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DEÜT^aiHLANUS
GESOHICHTSüüELLEN
IM MITTELALTER
BIS ZIiR MITTE DES DREIZEHNTEN JAHRHUNDERTS
VON
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ERSTER BAND
SIEBENTE VON ERNST DÜMMLPIR UMGEARBEITETE AUFLAGE
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1
STUTTGART UND BERLIN 1904
J. G. COTTA'SCHE BUCHHANDLUNG NACHFOLGER
G. in. b. H.
Alle Rechte vorbehalten.
DP
10
FRAU
MARIE WATTENBACH
GEB. VON HENNINGS
GEWIDMET.
Vorwort zur siebenten Auflage.
Es war zu Weihnachten 1856, als sich in dem Hause des
Unterzeichneten zu Halle, Schimnielstrafse 7, die Freunde
Wilhelm Wattenbach und Emil Röfsler zur festlichen Feier
mit ihm zusammenfanden. Während die Gäste mit der Haus-
frau sich emsig und kunstfertig dem Aufputze des Christ-
baums widmeten, blätterte der Hausherr in einem stattlichen
Manuskripte von 722 Folioseiten und unterbrach ihre Thätig-
keit durch allerlei kritische Bemerkungen über das, was er
darin anerkannte oder vermifste. Dies Manuskript war der
Keim des gegenwärtigen Buches, die von der Göttinger Ge-
sellschaft der Wissenschaften im vorhergehenden Herbste ge-
krönte Preisschrift Wattenbachs, für welche „eine kritische Ge-
schichte der Historiographie bei den Deutschen bis zur Mitte
des 13. Jahrhunderts" gefordert worden war. Dafs die Lösung,
früheren Vorlesungen des Verfassers entsprechend, eine etwas
andere, wenn man will reichhaltigere war, wurde getadelt,
doch in den Kauf genommen.
Die erste Ausgabe von Deutschlands Geschichtsquellen er-
schien, damals noch in einem Bande von 477 Seiten, im Jahre
1858 und die Widmung an die beiden Freunde rief die Er-
innerung an jenes gemeinsame Weihnachtsfest, sowie an eine
zweite haUische Zusammenkunft zu Ostern 1858 zurück. Leider
mufste jene sich später auf den einen, auf mich, beschränken,
da Röfsler bereits am 5. Dezember 1863 ein Leben voller
Enttäuschungen verlassen hatte. Der Ehre aber der wieder-
holten Zueignung in den folgenden Auflagen von 1866, 1873,
YI N'orwort zur siebenten Auflage.
1877, 1885, endlich 1893 suchte ich mich durch kleine Nach-
träge und Berichtigungen aus meinen Studien würdig zu er-
weisen, die stets mit einer gewissen Ueberschätzung ihres
Wertes geneigte Aufnahme fanden. Das Buch bürgerte sich
indessen bei allen des Mittelalters Beflissenen als ein unent-
behrliches Hilfsmittel, ein zuverlässiger Wegweiser, ein. Bis
an sein Ende war der Verfasser eifrig bemüht, der unüber-
sehbar anschwellenden Litteratur gegenüber es durch stete
Erweiterung und Vervollständigung auf seiner Höhe zu er-
halten. Durch die vielen Flicken, die zuweilen in Eile und
nicht immer gleich an der richtigen Stelle aufgesetzt wurden,
litt ein wenig die ursprüngliche Geschlossenheit der Darstellung
und die strenge zeitliche und örtliche Ordnung, es fehlte nicht
ganz an Widersprüchen und eine etwas gründlichere Um-
arbeitung erschien hie und da notwendig.
Als am 20. September 1897 der Tod den auf der Reise
befindhchen Verfasser in Frankfurt a. M. hinweggei-afl't hatte,
durfte ich mich nach allem vorangehenden trotz meines Alters
und anderweitiger Beschäftigungen der Aufgabe nicht ent-
ziehen, mich meines gleichsam verwaisten Patenkindes anzu-
nehmen. Allerdings unmittelbar nur des ersten Bandes,
während für den zweiten in der Person unseres Mitarbeiters
0. Holder-Egger ein in den späteren Partien des Mittelalters
viel besser bewanderter Forscher eintreten wird. Die Aus-
führung meines Entschlusses aber wurde mir dadurch erleich-
tert, dafs einerseits Wattenbach selbst in den vier Jahren,
um welche er das Erscheinen der 6. Auflage dieses Bandes
noch überlebte, fleifsig gesammelt und wenigstens in kurzen
Andeutungen auf mancherlei Nachträge hingewiesen hatte,
andererseits mein Freund L. Traube in München mir bei der
Durchsicht der einzelnen Bogen die Hilfe seiner, nach der
paläographischen wie nach der litterarhistorischen Seite gleich
umfassenden, Gelehrsamkeit freiwillig zur Verfügung stellte.
Der Plan des Werkes ist auch in dieser neuen Auflage
unverändert geblieben : es beschränkt sich wesentlich auf die
Geschichtsquellen in lateinischer Sprache und schliefst deshalb
die, für die älteste Zeit namentlich so wichtigen, Byzantiner
aus. In dem Zeiträume der Karolinger habe ich den über
^'orwol•t zur siebenten Auflagt*. V'Il
Paulus Diaconus handelnden Abschnitt dem über Alcvin voran-
gestellt, weil jener unzweifelhaft der ältere von beiden war
und weiter zurückreicht. Ferner liefs ich auf Schwal)en und
Bayern als die älteren Kulturländer erst Sachsen folgen und
Lothi'ingen, das damals gesonderte Königreich, Frankreich
unmittelbar vorangehen, zu welchem es ja in mancher Hin-
sicht den Uebergang bildet. In dem Zeitalter der Ottonen ist
nur ein, wenn auch etwas dürftiger Abschnitt über Mainz,
Hessen und Franken eingeschoben worden, ohne im übrigen
die Anordnung zu ändern. Im einzelnen sind manche kleinere
Umstellungen, bisweilen auch zwischen den beiden Bänden,
erfolgt, Kürzungen haben wenige stattgefunden, um so mehr
Zusätze, von denen nicht wenige der wichtigsten auf Traubes
Rechnung kommen. Als Autorität für die Entscheidung
schwebender Streitfragen betrachtet zu werden, lehnte Watten-
bach stets von sich ab, er wollte darüber nur unparteiisch
berichten. Ohne mich zu einer gründlicheren Umar])eitung
befugt oder veranlafst zu fühlen, habe ich manche nicht allzu
eingreifende stilistische Aenderungen vorgenommen, für welche
ich aus meiner langjährigen innigen Vertrautheit mit dem
Geiste des Verfassers die Berechtigung schöpfte.
Nicht, lange nach Wattenbach starb der demselben einst
nahe befreundete Verleger Wilhelm Hertz, und das Buch ist
daher mit der gleichen Ausstattung in einen andern ange-
sehenen Verlag übergegangen. Die Beigabe eines demselben
zu verdankenden Bildes aus den letzten Lebensjahren des
Verfassers wird gewifs vielen seiner Verehrer willkommen sein.
Berlin 1902.
Ernst Dümmler.
Bald nachdem er diese Worte aufgezeichnet hatte, starb
Ernst Dümmler. am 11. September 1902. Er hinterliefs das
Werk, dem er sich bis zuletzt gewidmet hatte, im wesent-
lichen abgeschlossen. Die ersten 23 Bogen lagen ini Rein-
drucke vor, von da an stand alles bis auf das Register im
Satze. Man hätte sich in seinem Sinne mit einer sorgfältigen
Korrektur begnügen können. Doch schien es dem Unterzeich-
neten richtiger, das im Drucke noch nicht abgeschlossene Viertel
YJII Vorwort zur siebenten Auflage.
des Bandes noch einmal durchzuarbeiten und dabei auch von
durchgreifenden Umgestaltungen nicht abzusehen. Ist ihm das
Richtige zu treffen hierbei einigermal'sen gelungen, so verdankt
er es der selbstlosen Mithilfe von H. Bloch, H. Brefslau,
S. Hellmann und P. v. Winterfeld.
Besonders Blochs und Brefslaus Ratschläge und Nachträge
förderten die unter so schwierigen Verhältnissen auf mich ge-
kommene Arbeit. Zwar hatte mir Dümmler am 16. Juni 1902
geschrieben: ^Der Verleger hätte gern eine Zusicherung für
künftige Auflagen gehabt, die ich bei meinem Alter für den
l. Band natürlich nicht geben kann. Ich verwies indessen vor-
läufig auf Sie und hoffe, Sie werden sich in dieser Hinsicht
als meinen Erben betrachten.'' Aber ich war nicht darauf ge-
fafst, schon nach so kurzer Frist und unter dem traurigsten
Zwange mich den „Geschichtsquellen" widmen zu müssen. Es
war mir klar gewesen, daJs nur ein jahrelanges Vorbereiten
dazu befähigen könne, diesem Werke seinen hohen Wert zu
erhalten. Einst war es auf dem Gebiete der mittelalterlichen
Quellenforschung und Textedition als der kundigste Führer er-
schienen, der aber in anmutiger und oft behaglicher Sprache
die Schwierigkeiten und Gefahren der Wanderung mehr verbarg
als darlegte. Dann hemmte den leichten Schritt dieses Führers
immer mehr die gelehrte Kleinarbeit, die er zum gröfsten Teile
selbst hervorrief und deren Funde er bei jedem neuen Gange,
den er durch die Gunst des Publikums antrat, von neuem sich
aufbürden mufste ; und immer weiter wurde er in eine Rich-
tung hinübergezogen, die, wenn auch Wattenbachs gleich-
raäfsig ausgebreitetem Wissen, doch nicht seinen Absichten ent-
sprach. Diese gingen nach wie vor mehr dahin, ein lesbares
und anregendes Buch einem gröfseren Kreise zu übergeben,
als ein feingeschliffenes Werkzeug in die Hand der Arbeiter
zu legen. So wuchs der innere Widerspruch von Auflage zu
Auflage. Eine Auflösung, eine Umkehr war nicht mehr mög-
lich; es galt mit Ueberlegung da zu enden, wohin die natür-
liche Entwickelung drängte, und mit Verzicht auf allen Schmuck
und Reiz, der nicht in den Dingen selbst liegt, nur den
dreifachen Panzer der Bündigkeit, Thatsächlichkeit und Voll-
ständigkeit anzulegen, gerade das also auf sich zu nehmen^
Vorwort zur siebenten Auflage. IX
was Wattenbach in (Um Vorworte der ersten Auflage aus-
drücklich abgelehnt hatte. Er sagte damals: ,Die Rücksicht
,auf" das praktische Bedürfnis der Zuhörer war bei den Vor-
.,tr'ägen niafsgebend gewesen, und sie ist es auch bei der Aus-
., arbeitung dieses Buches geblieben. Es kam darauf an, eine
»Uebersicht zu geben und die Wege zu weiterer eigener
„Forschung zu weisen. Bibliographische Vollständigkeit lag
., nie in meinem Plan ; ich beschränkte mich auf die wirklich
, brauchbaren Ausgaben, denn die älteren Ausgaben dieser
„Autoren sind in der Regel so mangelhaft, dafs ihr Gebrauch
„unvermeidlich zu Fehlern und Irrtümern führt. Aber auch auf
„den Nachweis der Handschriften und andere Einzelheiten bin ich
„nur selten eingegangen, teils um dem Buche einen mäfsigen
„Umfang zu bewahren, teils aus einer anderen Rücksicht. Es
„ist nämlich für die Redaktion der Monumenta Germaniae von
«Anfang an ein sogenanntes Direktorium angelegt, welches
,ein Verzeichnis aller bekannt gewordenen Quellenschriften
„im weitesten Umfange enthält, verbunden mit vollständigem
, litterarischen Nachweis über die Ausgaben und Handschriften
„nicht allein, sondern auch über die Quellen, die ein jeder
„Autor benutzt hat, und die späteren Schriften, in denen wieder
„auf ihn Rücksicht genommen ist. Auf eine Publikation dieser
„unschätzbaren Sammlung ist Hoffnung gemacht, und es wäre
., wahrlich eine Verschwendung von Zeit und Mühe, unabhängig
„von derselben ein ähnliches Werk zu unternehmen. Der von
.,mir verfolgte Plan ist ein völlig verschiedener; er ist weniger
.nach dem Bedürfnis der speziellen Fachgenossen bemessen,
„wird aber, Avie ich hoffe, anderen Wünschen entgegenkommen.
_So viel zur Verhütung von Mifsverständnissen und unbilligen
„Anforderungen. "
Das Direktorium der Monumenta Germaniae ist bekanntlich
nie erschienen und wohl kaum auch ernstlich weitergeführt
worden. Gerade, dafs Wattenbach auf den Plan trat, mufste
den Fortsfanjx hemmen. Und so haben wahrscheinlich beide
Unternehmungen sich gegenseitig geschädigt. Wattenbach
verzichtete der Monumenta wegen auf die Aktenmälsigkeit
eines Direktoriums, die Monumenta Wattenbachs wegen auf
die Pflege und Herausgabe ihres eigenen Hilfsmittels.
\ Vorwort zur siebenten Auflage.
Inzwischen ist nun aber ein solches Direktorium für die
Monumenta Gernianiae und ihre Mitarbeiter und für alle ihnen
verbündeten Forscher wieder dringend nötig geworden ^). Neben
der Zeitschrift, deren eine, bisher so musterhaft erfüllte, Auf-
gabe darin besteht, über die laufenden Erscheinungen unseres
Gebietes auf das pünktlichste zu unterrichten , brauchen wir
ein festes Grundbuch, das in knappen Paragraphen und
Anmerkungen die Geschichte der Monumenta Germaniae, die
Denkmäler, die Handschriften, die Litteratur, die ergiebigen
Quellenstellen u. s. w. zusammenfassend vorführt und, mit Hilfe
vor allem der Zeitschrift, in Zwischenräumen von etwa zehn
Jahren ohne zu grofse Schwierigkeit &ich verjüngen läfst.
Für dieses Grundbuch gäbe es keine bessere Unterlage als
das Wattenbachsche Werk, das seinerseits nur fortleben kann,
wenn seine Bearbeiter den entscheidenden Schritt thun und es
') Potthasts Bibliotheca historica inedii aevl, auf die Wattenbach seit
seiner zweiten Auflage für das Bibliographische verweist, bietet auch
hierfür keinerlei Ersatz. So sehr ein solches Register an und für sich
selbst neben einem Direktorium nutzen könnte, so wenig kommt es
in seiner heutigen Fassung in Betracht, die ihrerseits gar zu oft auf
Wattenbach beruht und mit ihm auch die Irrtümer teilt. Z. B. sub-
notierte Wattenbach von der ersten bis in die sechste Auflage zur Trans-
latio sanguinis Domini (l.Aufl. S. 196 Anm. 1, 6. Aufl. I S. 397 Anm. 2):
, Später wiederholt überarbeitet, auch in deutschen Reimen, von Albert,
herausgegeben von Schmeller, München 1844". Zar selben Schrift be-
merkt Potthast (2. Aufl. S. 1070): ^in deutschen Reimen von Albert; her-
ausgegeben von Schmeller, München 1844''. Gemeint kann nichts anderes
sein als „St. Ulrichs Leben, lateinisch beschrieben durch Berno von
Reichenau u. um das Jahr 1200 in deutsche Reime gebracht von Albertus.
Herausgegeben von Job. Andr. Schmeller, München 1844", ein den Ger-
manisten wohl bekanntes Denkmal , das übrigens bei Wattenbach und
Potthast auch noch einmal und richtig zu Bernos Vita S. Udalrici an-
geführt wird.
Ein unschätzbares Hilfsmittel ist dagegen für uns die Bibliotheca
hagiogiaphicn latina der Bollandisten (vgl. unten S, 12). Moliniers
Manuel (vgl. unten S. 40) nähert sich dem Gedanken des Direktoriums.
Haften der ersten Auflage auch noch , wie mir übrigens scheint , ganz
unvermeidliche Fehler an, so hätten sie bei uns nicht so herb getadelt
werden sollen, sondern die Anlage des Werkes, das gewifs eine ehren-
volle Zukunft hat, hätte gerade auch im Hinblick auf die ,Geschichts-
quellen" eher Lob und Beachtung verdient.
\'orwoi'l zur siflx'uti'ii Auflauf. XI
völlisT in ein wissenschaftliches Nachschlajirebuch verwanflehi.
Eine Geschichte der deutschen Historiographie im Mittelalter
kann auf den verwischten Spuren und den übereinander ge-
häuften Trümmern der ersten Auflage der „Geschichtsquellen''
dagegen durchaus nicht mehr errichtet werden ; diese Ge-
schichte, die uns nicht weniger notthut als das Direktorium, ist
von Grund auf neu zu schaffen.
Die eben ausgesprochenen Wünsche sind gewil's aucli im
Sinne Dümmlers, mit dem ich öfters über die Zukunft der
„Geschichtsquellen'' schreiben und sprechen durfte. Dem ver-
ehrten Mann ist es zu danken, dafs im Jahre 1901 eine Art
von Zusammenhang zwischen der Zentraldirektion der Monu-
mentu Germaniae und dem Wattenbachschen Werke schon
hergestellt wurde. Aber bei seiner Umwandlung entschieden
und entscheidend selbst Hand anzulegen, dazu mochte er sich
nicht mehr entschliefsen. Das bleibt, wenigstens für den
ersten Band, einer achten Auflage vorbehalten. Er trug im
wesentlichen wieder nur nach, und seinem Beispiele mufste ich
folgen, was ja für uns beide ein sachgemäfseres Anordnen
innerhalb der Anmerkungen, und wohl auch des Textes, und
überall zahlreiche einzelne Aenderungen nicht ausschlol's ^).
Aus Dümmlers Vorwort habe ich gewagt, folgenden dort
erst nachträglich von ihm eingeschobenen Satz wieder aus-
zuscheiden: „Am meisten Anspruch auf Nachsicht hinsichtlich
- der Vollständigkeit werden vielleicht die so schwer zu über-
„ sehenden Totenbücher am Schlüsse erheben, deren planmäfsige
„Sammlung und Herausgabe, ebenso wie die der mittelalter-
..lichen Bibliothekskataloge und Schatzverzeichnisse, täglich
-mehr ein Bedürfnis wird.'" Denn wie beherzigenswert auch
seine Mahnung ist, die Nekrologien und die Bücher- und
Schatzverzeichnisse zu sammeln, so habe ich die von ihm an-
gekündigte Uebersicht über die Totenbücher, die erst in der
^) Hier möchte ich noch auf einen kleinen Mifsstand hinweisen :
Dümmler hat oft, aber keineswegs immer, an den Stellen, wo Watten-
bach in der ersten Person von sich sprach, den Eigennamen eingesetzt;
daneben redet er gelegentlich von sich selbst in erster Person. So kann
man ohne Zuhilfenahme der 6. Auflage manchmal schwanken? ob eine
Bemerkung vom Verfasser oder vom Bearbeiter kommt.
XII Vorwort zur siebenten Auflage.
6. Auflage dem ersten Bande beigegeben wurde und vordem
am Schlüsse des Werkes stand, doch geglaubt weglassen zu
müssen. Vielleicht könnte dafür weiter gesammelt und ein voll-
ständigeres Verzeichnis wieder dem zweiten Bande angehängt
werden. An den Schlufs des zweiten Bandes gehören auch,
wie bisher, die Nachträge für den ersten Band. Besonders zu
bedauern ist, dafs der Druck zu Aveit vorgeschritten war, um
noch einzelne Arbeiten an Ort und Stelle anzuführen, die uns
ganz neue Quellen erschliefsen (wie K. A. Kehrs Aufsatz über
ein verschollenes karolingisches Annalenwerk, NA. XXVIII,
323 — 335, und A. Poncelets Ausgabe von Idos Translatio
S, Liborii und der ältesten Vita S. Richarii, Analecta Bollan-
diana XXII, 146—194).
Bei der Korrektur half mir treulich Herr Gymnasiallehrer
H. SchreibmüUer in Kaiserslautern. Das Register wird Herrn
Dr. J. Völler in München verdankt, es ist reicher als die
früheren .
München. September 1903.
L. Traube.
Vorwort zur sechsten Aufläse.
Im Jahre 1858 erschien die erste Ausgabe dieses Hand-
buches, veranlafst durch eine von der Göttinger Gesellschaft
der Wissenschaften gestellte Preisfrage; sie ist einem dringend
empfundenen Bedürfnisse entgegen gekommen und hat eine
sehr günstige Aufnahme gefunden. Die Mängel, welche bei
einem ersten Versuch kaum zu vermeiden waren, wurden mit
freundlicher Nachsicht beurteilt. In den neuen Ausgaben
sind sie, so weit es mir möglich war, beseitigt worden:
manche früher übersehene Quellenschrift ist nachgetragen.
Vorzüglich aber ist die sehr lebhafte litterarische Thätigkeit
der Zwischenzeit auf diesem Gebiete sorgfältig berücksichtigt.
Dagegen ist an dem Plane und Charakter des Buches nichts
geändert; es soU kein gelehrtes Repei-torium zum Nachschlagen
sein, sondern durch zusammenhängende Darstellung zum
eigenen Studium der Quellen anleiten, diesen in Beziehung zu
den geschichtlichen Vorgängen der einzelnen Abschnitte ihren
Platz anweisen. Bibliographische Vollständigkeit anzustreben.
war um so weniger nötig, da seitdem Potthasts Werk er-
schienen ist, welches diese Aufgabe verfolgt; hier genügte es,
die zunächst brauchbaren Ausgaben anzuführen, und Schriften,
in welchen weitere Nachweise zu finden sind.
Ein grofses Verdienst um die neuen Bearbeitungen hat
sich, wie schon um das ursprüngliche Werk, Ernst Dümmler
erworben, Avelcher nie ermüdete, mich mit Berichtigungen und
wertvollen Nachweisuugen zu versehen, von denen nur wenige
ausdrücklich erwähnt werden konnten. Vorzüglich auf seinen
XIV Vorwort zur sechsten Auflage.
Wunsch sind auch mancherlei Umstände und Nachrichten an-
geführt und verwertet, welche mehr kulturgeschichtlicher Art
sind und den eigentlichen Geschichtsquellen etwas ferner
stehen. Nicht ganz ohne Besorgnis, dadurch der Uebersicht-
lichkeit zu schaden, habe ich mich doch von der Ueberlegung
leiten lassen, dafs die richtige Würdigung der Persönlich-
keiten und ihrer Werke dadurch befördert wird. Eine gleich-
mäfsige Durchforschung aller Schulen, auch solcher, welche
geschichtlicher Arbeit fern geblieben sind, eine Darstellung
der litterarischen Thätigkeit auf allen Gebieten ist eine so
schwierige Aufgabe, dafs ihre Lösung so bald wohl nicht
zu hoffen ist, und ich habe deshalb nach dieser Seite hin
lieber etwas zu viel als zu Avenig thun wollen. Die von der
Münchener historischen Kommission gekrönte Preisschrift des
Dr. Specht über die Geschichte des Unterrichtswesens in
Deutschland während desselben Zeitraums berührt sich viel-
fach mit meinem Buche und ergänzt es in gewisser Hinsicht.
Auch anderen Freunden habe ich wiederum für ihre rege
Teilnahme an dieser Arbeit zu danken. Ganz besonders
förderlich waren mir auch die zahlreichen Zusendungen von
Dissertationen, Programmen und einzelnen Aufsätzen, welche
das hier vorliegende Gebiet berühren ; je leichter gerade solche
Schriften der Aufmerksamkeit entgehen, um so dankenswerter
ist die Zusendung derselben, und indem ich für diese sehr
wesentliche Erleichterung meiner Arbeit den lebhaftesten
Dank ausspreche, erneuere ich die Bitte, mich auch fernerhin
in gleicher Weise unterstützen zu wollen bei der Bestrebung,
die Fortschritte der Forschung auf diesem Gebiete für eine
spätere neue Bearbeitung zu verwerten.
Berlin, den 7. August 1892.
W. Wattenbach.
A' e r z e i c li ii i s
einiger Werke, die häufiger abgekürzt angeführt werden.
d'Acheiy, Lucas, Spicüegium veterum aliquot Scriptoiuui , Paris
1655—1677. 13 T. 4. Gewöhnlich nach der 2. Ausg. in 3 Fol. 1724
angeführt.
Acta SS. Acta Sanctorum, Antw. 1643 ff. fol. Nov. mens. tom. II, 1,
Brüssel 1894 und Propyl. Nov. 1902. Vgl. unten S. 10 ff.
Allg. D. Biogr. Allgemeine Deutsche Biographie. 1—47 (in den beiden
letzten Bänden beginnen die Nachträge). 1875 — 1903.
Analecta BoUaudiana. Bruxellis 1882—1902, t. 1—21.
Anz. d. Germ. Mus. Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, Organ
des Germanischen Museums. 1—30. Nürnb. 1853 — 1883, 4.
Archiv. Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde.
Bd. 1—8 von Büchler und Dümge, Frankf. 1820. 1821. Bd. 4 von
Fichard, ib. 1822. Bd. 5—12 von Pertz, Kann. 1824—1874.
Archiv d.W. A. Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen (dann für
österr. Geschichte), herausgeg. von der zur Pflege vaterländischer
Geschichte aufgestellten Kommission der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften, Bd. 1—92. Wien 1848—1902. Dazu als Beilage das
Notizenblatt, 1851—1859.
Baehr, Die christlichen Dichter und Geschichtschreiber Roms (Karlsr.
1836). Zweite Ausg. 1872 als 4. Band der Gesch. der röm. Litteratur.
— Geschichte der römischen Litteratur im karolingischen Zeitalter. 1840
als 3. Supplement-Band der Gesch. der röm. Litteratur.
Balzani, Le cronache italiane nel medio evo, 2. Aufl. Milano 1900.
Berliner SB. Die Sitzungsberichte der Berliner Akademie.
Bibliotheca s. Jaffe.
Bibliotheca hagiograph. lat. ant. et med. aetat. edd. socii BoUan-
diani. Bruxellis 1898—1901.
Bielowski, Monumenta Poloniae historica, 1 — 4. Lemb. 1864 — 1884, 4.
Boehmer, Fontes Rerum Germanicai'um, 1 — 4. Stuttg. 1843 — 1868.
Bouquet, Recueil des historiens des Gaules et de la France, von An-
deren fortgesetzt, 23 T. Paris 1738—1876. Vgl. unten S. 13.
Canis. Henr. Canisii Lectiones Antiquae, 6 Tomi, Ingolstadt 1601 bis
1604, 4. Neue Ausgabe von Jac. Basnage, Antw. 1725 f.
Chevalier, Ul. , Repertoire des sources historiques du moyen äge,
bio-bibliographie, Paris 1877—1883, mit einem Supplement 1888.
— , — , topo-bibliographie. :\Iontb«''linrd 1894—1903.
XVI Verzeicbnis abgekürzt angeführter Werke.
Dobner. Monumenta historita Boemiae. 6 T. Prag 1764 — 1786, 4.
Du Chesne, Historiae Francorum Scriptores coaetanei. 5 T. Paris 1636
bis 1649 f.
Dum ml er, Ostfr. , Geschichte des ostfränk. Reichs, von E. Dümmler,
2. Aufl. 3 Bde., in den Jahrbüchern der deutschen Geschichte.
Berlin 1887. 1888.
Du Meril, Edelestand, Poesies populaires latines anterieures au douzieme
siecle, Paris 1843. Poesies pop. lat. du moyen iige, 1847. Ohne Bei-
fügung der Jahreszahl ist die erste Sammlung gemeint.
Ebert, Allgemeine Geschichte der Litteratur des Mittelalters im Abend-
lande. 1—3. Leipzig 1874. 1880. 1887. Der 3. Band reicht bis zum
Ausgange der Ottouen. 2. Aufl. des 1. Bandes 1889.
Eccard, Corpus Historicorum Medii Aevi, Lips. 1723 f. 2 T.
Endlicher, Rerum Hungaricarum Monumenta Arpadiana. Sangalli 1848
bis 1849.
Fabr. Bibl. Jo. Alb. Fabricii Bibliotheca Latina Mediae et Infimae
Aetatis, T. 1—5. Hamb. 1734—1736. T. VI. cur. Christ. Schoettgenio
1746. Ed. IL cur. Jo. Dom. Mansi, Patavii 1754, 4.
Fontes s. Böhmer.
Fontes Rerum Bohemicarum, 1 — 4. Prag 1871 ff. 4.
Forschungen zur Deutschen Geschichte, 1 — 26. Göttingen 1802—1886.
Preher, M., Corpus Francicae Historiae, 1613 f. Rerum Germanicarum
Scriptores aliquot insignes, Francf. 1600 — 1611: ed. III. cur. Struvio
1717. 3 T. fol.
G G A. Göttinger Gelehrte Anzeigen, verbunden mit den Nachrichten von
der Georg Augustus-Universität und der k. Ges, der Wissenschaften
zu Göttingen. Die letzteren werden als Gott. Nachr. angeführt.
Giesebrecht, Ludwig, Wendische Gesch. 780—1182. 3 Bde. Berlin 1843.
Giesebrecht, Wilhelm, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, 1. 2. Band
5. Ausg. 1881. 1885. 3. Band 4. Ausg. 1877. 4. Band 1875. 2. Ausg.
1877. S.Band 1880.
Hauck. Alb., Kirchengeschichte Deutschlands. I. 1887, 2. Aufl. 1898.
IL 1890, 2. Aufl. 1900. III. 1896. IV, 1. 1902.
Histoire Litterair e de la France, ouvrage commence par des
Religieux Benedictins de la Congregation de St. Maur et continue
par des Membres de l'Institut. 1733—1763. 1814—1856. 23 Vol.
bis ans Ende des 13. Jahrhunderts. Der 24. Band (1862) eiöffnet
das 14. Jahrhundert.
Historische Zeitschrift (auch HZ.) , herausgeg. von Heinrich von
Sybel. jetzt von Friedr. Meinecke. München 1859—1902. 1—89.
Historisches Jahrbuch der Goerres-Gesellsehaft. 1 — 23. Münster
1880—1902.
Jaffe, Bibliotheca Rerum Germanicarum. I. Monumenta Corbeiensia, 1864.
II. Monumenta Gregoriana, 1865. III. Monumenta Moguntina, 1866.
IV. Monumenta Carolina, 1867. Y. Monumenta Bambergensia, 1869.
A'I. Monumenta Alcuiniana, 1873. Auch als Bibl. angeführt.
Verzeichnis abgekürzt an<,'eführter Werke. XVII
Lanf^ebek, Scrii)tores Rerum Danicarum Medii Aevi. fortges. v. Suhm.
7 T. Hafn. 1772—1792 W T. V[n v. Engelstoft u. Werlauff. 1S34.
T. IX Jndices. 1878.
Leibniz, Accessiones historicae. 2 T. Lips. 1698, 4. Scriptores Rerum
Brunsvicensium. 3 T. Hanov. 1707 — 1711 f. Annales Imperii Occi-
dentis ed. G. H. Pertz, 3 T. 1843—1846.
Mabillon, Acta Sanctorum Ordinis S. Benedicti, aus den Sammlungen
von d'Achery, später unterstützt von Germain und Rninart, 9 T.
Paris 1668—1701 f. Nachdruck Ven. 1733—1740. In der Regel ist
die Pariser Ausgabe zitiert. Unter Mab. ohne Zusatz ist immer dieses
Werk zu verstehen.
— , Veterum Analectorum T. 1—4, 167.5—1685, 8. Ed. II. 1723 fol. in
1 Bande.
Manitius, Max, Geschichte der christlich-lat. Poesie bis zur Mitte des
8. Jahrhunderts. Stuttg. 1891.
Martene et Durand, Thesaurus Novus Anecdotorum. .5 T. Paris 1717 f.
, Veterum Scriptoruni Amplissima Collectio. 9 T. Paris 1724 — 1733 f.
M B. s. Monumenta Boica.
Mencken, Scriptores Rerum Germanicarum praecipue Saxonicarum.
3 T. Lips. 1728. 1730 f.
Migne, Patrologiae Cuvsus completus. Paris 1844 S. gr. 8. Meistens
nur inkorrekte und nachlässige Abdrücke alter Ausgaben, und des-
halb nicht immer angeführt. Kurzes Inhaltsverzeichnis bei Potthast
I, S. XCIII — CI, ausführlich bei L. de Mas Latrie, Tresor de Chro-
nologie, Paris 1889, S. 916 — 1034, und in den eigenen Bänden der
Patrologie, T. 218—222.
Mitteilungen des Instituts für Oesterreich. Geschichtsforschung,
begründet von Sickel, red. von E. Mühlbacher. 1 — 23. Innsbruck
1880—1902, dazu Ergänzungsband 1—6.
Mone, Quellensammlung für die badische Landesgeschichte, 3 Bände.
Karlsruhe 1848—1863. 4.
Monumenta Boica, angef. als MB., 1 — 47, von 28 an Doppelbände.
Mon. 1763 ff., 4. Vgl. Böhmers Einleitung zu den Wittelsbachischen
Regesten. Stuttg. 1854, 4.
Monumenta Germaniae historica inde ab a. C. 500 usque ad a. 1500,
ed. G. H. Pertz. Zitiert als MG. SS.. Legg., Epp. etc. Ein vortreff-
liches Hilfsmittel zum Auffinden gewähren die Indices von 0. Holder-
Egger und K. Zeumer, 1890.
Müllenhoff und Seh er er, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa
aus dem 8.-12. Jahrhundert. Berlin 1864. 2. Aufl. 1873. 3., von
E. Steinmeyer, in 2 Bänden, 1892.
Münch. SB. Sitzungsberichte der philos., philol. u. bist. Klasse der k. B.
Akad. d. Wissenschaften zu München. Nach Jahrg. ohne Bandzahl.
Muratori, Scriptores Rerum Italicarum. 28 T. Med. 1723—1751 f.
Neue verbesserte Ausg. von Carducci seit 1900.
NA., Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde.
Wattenbach, Gescliiclitsquelleu. I. 7. Aufl. II
XVIII \'erzeicbnis abgekürzt angeführter Werke.
1—28. Hanu. 1876—1902, bis zum 13. Bde. redigiert von W. Watten-
bacb, vom 14. an durch H. ßrefslau. Angef. als NA.
Oefele. Rerum Boicarum Scriptores. 2 T. Augustae 17G3 f.
P e r t z , s. Archiv und Monumenta.
Pez. B., Thesaurus Anecdotorum Novissimus. 6 T. Aug. 1721 — 1729 f.
Der letzte Band bat auch den Titel: Codex diplomatico-bistorico-
epistolaris, in 3 Teilen.
Pez, H., Scriptores Rerum Austriacarum. 3 T. Lips. 1721 — 1745 f.
Pistorii Rerum Germanicarum Scrijjtores aliquot insignes, ed. III. cur.
Struvio. 3 T. Rat. 1726 f.
Potthast, Bibliotheca historica Medii Aevi, Berlin 1862. 1868. 2. Ausg.
in 2 Bänden, Berlin 1896.
(Pusch und Froelich) Diplomataria Sacra Styriae. 2 T. Vienn. 1756, 4.
Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands. 2 Bde. Göttingen 1845
bis 1848.
R 6 üb er, Veterum Scriptorum . . . tomus unus. 1584. Ed. III. cur.
G. Ch. loannis. Francf. 1726 f.
Ro n c a 11 i u s , Vetustiora Latinorum Scriptorum Chronica. 2 T. Patav. 1787, 4.
Schannat, Vindemiae Litterariae. 2 T. Fuld. 1723 f.
Schmidt, W. A., Zeitschr. f. Geschichtswiss. 9 Bde. Berlin 1844—1848.
Schöttgen et Kreysig, Dij^lomataria et Scriptores historiae Germ,
medii aevi. 3 T. 1753—1760 f.
S t ä 1 i n , Wirtemberg. Geschichte. 4 Bde. Stuttg. 1841— 1873.
Surius, De probatis Sanctorum Historiis, 1—6, Col. 1570—1575. Ed. IT.
(T. VII. von Mosander mit Register zu beiden Ausgaben, Nachträgen
u. Martyrol. Adonis) 1576—1581. Ed. III. Col. 1618 f. in 12 Bänden.
Ed. Taurin. (Marietti) 1875—1880.
Tengnagel. Vetera Monumenta contra Schismaticos, Ingoist. 1612, 4.
Wiederholt in Opp. Gretseri Vol. VI, 429—601. 1735 f.
Teuf fei, W. S. , Geschichte der römischen Litteratur, 1. Aufl. 1871.
5. Aufl. (von L. Schwabe) 1890. Da die betreifenden Paragraphen
leicht zu finden sind, habe ich sie nur an wenigen Orten nngeführt.
Traube, Ludwig, Karolingische Dichtungen, untersucht (Schriften zur
germ, Philologie, her. von M. Roediger). Berlin 1888.
— , 0 Roma nobilis. Philologische Untersuchungen aus dem Mittelalter.
(Abhandl. der k. Bayer. Akad. d. Wiss. I. Kl. 19. Bd. II. Abteil.)
München 1891.
— , Textgeschichte der Regula S. Benedicti. (Abhandl. der k. Bayer.
Akad. d. Wiss. III. Kl. 21. Bd. III. Abteil.) München 1898.
Ughelli, Italia Sacra. 9 T. Romae 1644— 1662 f. Sehr vermehrte Aus-
gabe von M. Coleti. 10 T. Ven. 1717—1722 f.
Waitz-Aufsätze. Historische Aufsätze dem Andenken an Waitz ge-
widmet. Hannover 1886.
Watt er ich, Pontificum Romanorum Vitae, I. II. Leipzig 1862.
Wiener SB. Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Phil.-hist. Klasse.
Inhalt.
Littcrarische Einleitung-.
Seite
§ 1. Die Ausgaben des 16. Jahrhunderts 1
§ 2. Die katholische Kirche. Die Heiligenleben 9
§ 3. Sammlungen für Landesgeschichte 12
§ 4. Die Monumenta Germaniae historica 18
§ 5. Andere Arbeiten des 19. Jahrhunderts 32
I. Die Vorzeit.
Von den ersten Anfängen bis zur Herrschaft der Karolinger.
§ 1. Die Römerzeit. Legenden 41
§ 2. Das Leben des heiligen Severin AO
§ 3. Die Anfänge u. Gattungen der christlichen Geschichtschreibung f)7
§ 4. Die Ostgoten. Cassiodor 72
§ 5. , „ Jordanis 80
§ 6. Die Westgoten. Isidor 87
§ 7. Die Franken 9(j
§ 8. , „ Gregor von Tours 103
§ 9. , , Fredegar 114
ij 10. , , Die Thaten der Frankenkönige 118
§11. , , Fränkische Heiligenleben 124
II. Die Karolinger.
Vom Anfang des 8. bis zum Anfang des 10. Jahrhunderts.
§ 1. Neue Anfänge der Geschichtschreibung. Fredegars Fortsetzer 141
§ 2. Die Angelsachsen 145
§ 3. Die Annalen 1.54
§ 4. Karl der Grofse. Allgemeines 167
XX Tnbiilt.
Seite
^ 5. Paulus Diaconus 177
§ 6. Alcvin 186
J? 7. Angilbert 191
§ 8. Einhard 198
§ 9. Die Reichsannalen 210
§ 10. Ludwigs des Frommen Zeit 226
§11. Der Streit der Söhne. Nithard . 233
s5 12. Frecliulfs Weltchronik und andere Chroniken 237
§ 13. Deutschland unter den Karolingern. Reichsannalen . . . 241
§ 14. Fulda, Hersfeld. Mainz 251
§ 15. Schwaben 266
§ 16. Bayern und Franken 287
§ 17. Sachsen. Münster, Bremen, Hamburg 293
§ 18. „ Corvey, Gandersheim 299
§ 19. Lothringen 308
§ 20. Frankreich 322
§ 21. Italien 337
III. Die Zeit der Ottonen.
Von Heinricli I. bis zum Tode Heinrichs H.. 919—1024.
§ 1. Allgemeines 350
§ 2. Sachsen. Corvey 363
§ 3. „ Gandersheim, Quedlinburg 369
§ 4. „ Hildesheim 381
§ 5. , Magdebui-g, Merseburg 385
§ 6. Miiinz, Hessen und Franken 395
§ 7. Lothringen. Köln. Trier, Metz . 401
§ 8. , Lüttich 423
§ 9. Alamannien 439
ii 10. Bayern . .^ 449
§ 11. Frankreich. Reims 456
§ 12. , Cluny 472
ij 13. Italien. Liudprand 474
V? 14. , Chroniken 483
§ 15. „ Biographien 487
Register 490
Litterarisc]ie Einleitimg.
§ 1. Die Ausgaben des 16. Jahrhunderts.
Ungeachtet des grofsen Unterschiedes zwischen den Denkmälern
des klassischen Altertums und des ^Mittelalters findet sich doch auch
in ihnen viel Uebereinstimmendes, haben sie oft ähnliche Schicksale
geteilt. Bis gegen den Anfang des 13. Jahrhunderts las man in
den Schulen noch häufig und fleifsig die alten Autoren, und hielt
sich für die Geschichte der näheren Vergangenheit an echte und
unverfälschte Quellen. In den nächsten Jahrhunderten tritt beides
mehr zurück. Auch die ausgezeichnetsten Geister begnügen sich mit
phantastischen A^'orstellungen von der Vorzeit, ohne deren Richtig-
keit zu prüfen. Die alten Schriftsteller verschwinden aus dem
Unterricht, abgeschmackte Fabeln überwuchern bei den Chronisten
die Geschichte, und die einfachere, wahrheitsliebende Darstellung
der Zeitgenossen findet solchen Entstellungen gegenüber keine Be-
achtung. Fast gänzlich scheint der Sinn für Kritik verloren, bis
wir im 15. Jahrhundert wieder einzelne Spuren davon wahrnehmen,
worauf dann bald die Bestrebungen der Humanisten für die Wieder-
belebung der klassischen Studien auch der Kunde des früheren
Mittelalters zu gute kommen.
In Italien freilich ist es das römische Altertum fast ausschliefs-
lich, welches die Geister beschäftigt; als dazu auch die Griechen-
welt noch hinzutrat, wandte man sich dieser fernen Vergangenheit
völlig zu, und die platonische Akademie hat mit der Gegenwart
und den aus dem Christentum erwachsenen Zuständen kaum eine
Berührung.
Anders in Deutschland. Hier richtet sich die Kritik sogleich auf
Wat t e nb a c li , Geschichtsquellen. I. 7. Autl. 1
2 Einleitung § 1.
die Urkunden der christlichen Religion, und die drückend empfundene
päpstliche Herrschaft veranlafst zur Prüfung der Ueberliet'erung.
Da werden die alten lauteren Quellen der Geschichte wieder ans
Tageslicht gezogen, und gefeierte Humanisten wenden auch diesem
Felde ihre Thätigkeit zu. Das lebhaft erwachende Volksbewufstsein
konnte ebenfalls in der römischen Vorzeit nicht Befriedigung finden,
wie es in Italien der Fall war, und wie mit den reformatorischen
Bestrebungen diesseit der Alpen überall ein kräftiger Aufschwung
der Landessprache zusammenfällt, so auch ein eifriges Erforschen
der heimischen Geschichte ^). Merkwürdigerweise ist es der italie-
nische Humanist Aeneas Silvius aus Siena, den zuerst seine
Forschungen über österreichische Geschichte zur Bekanntschaft mit
Otto von Freising führten, der durch eine Goetweiher Handschrift
Jordanis Gotengeschichte kennen lernte-). Wenig später (1457)
benutzte Peter Luder mangelhafte Quellen zu rhetorischer Dar-
stellung deutscher Vorzeit ^) und Hartmann Schedel sammelte
neben altrömischen auch deutsche Inschriften und Chroniken •*).
Mehrere unserer besten Geschichtsquellen sind uns nur in Ab-
schriften des 15. Jahrhunderts erhalten, gerade wie so manche
Klassiker, und den Handschriften reihen sich bald die ersten Drucke
an. Schon in diesem Jahrhundert, um 1472, wurde in Nürnberg
Honorius De imagine mundi gedruckt; in Ulm, 1473, erschien die
deutsche Uebersetzung der Flores temporum von dem ülmer Arzt
H. Steinhöwel; zwischen 1470 und 1474, vermutlich zu Augs-
burg^), die Historia Friderici I, welche nichts anderes ist als ein
Teil der ürsperger Chronik. Denn nicht als Quellen für gelehrte
Forschung betrachtete man damals diese Schriften ; noch waren sie
unmittelbar als darstellende Geschichtswerke willkommen, da man
in der Sprache sowohl wie in der ganzen Denkweise jenen Zeiten
noch nicht so fern stand , dafs es eines eigenen Studiums bedurft
hätte, um sich an den Schriften des Mittelalters zu erfreuen, sie
auch nur zu verstehen.
Zu den eifrigsten Sammlern und Forschern gehörte der gelehrte,
') S. die Darlegung dieser Richtung der humanistischen Studien
in Deutschland bei R. v. Raumer, Gesch. d. Genn. Philologie (1870) am
Anfang und bei Wegele, Gesch. der Deutschen Historiographie (1885),
S. 44 flg.
-) G. Voigt, Enea Silvio II, 312. 314. 320; Wegele S. 36-88.
') Wattenbach in d. Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh. XXIII, 24. Ders.,
AUg. D. Biogr. XIX, 376.
*) Wattenbach, Forsch. XI, 373. Allg. D. Biogr. XXX, 661.
•^) O.Abel, Archiv XI, 81. Giesebrecht, SB. d. Münch. Akad. 1881,
I, 211. Vgl. Ph. Strauch, Allg. D. Biogr. XXXV, 730.
Die Forschungen dev Humanisten. 3
aber phantastische Abt von Sponlieim, Johann von Trittenheini
(Trithemius) ') , der nur leider seine in der That bewunderungs-
würdige Thätigkeit und Litteraturkenntnis durch kecke Fälschungen
selbst um den Ruhm gebracht hat , welcher ihr sonst gebühren
würde. In seinem Auftrage durchforschte der Bosauer Mönch Paul
Lang 1515 viele Klöster nach Werken über die deutsche Ge-
schichte^).
Vor allen aber war es Kaiser Maximilian, welcher die Er-
forschung der deutschen Geschichte, d. h. vornehmlich der Habs-
burgischen Plausgeschichte, auf alle Weise beförderte und sogar
selbst dai'an teilnahm. Ueberall liel's er nach alten Urkunden und
Chroniken suchen und belohnte jeden Fund ; sein Historiograph
Stabius (t 1522) sollte daraus ein grolses Geschichtswerk zu-
sammensetzen ^). Die bedeutendsten Gelehrten der Zeit wusste er
an seinem Hofe zu vereinigen, und die Wiener Universität erreichte
unter ihm ihre höchste Blüte; sie soll damals an 7000 Studenten
gezählt haben , und viele der angesehensten Humanisten fanden
dort begeisterte Schüler^). Auf sein Geheifs bereiste von 1498 bis
1505 Ladislaus Suntheim aus Ravensburg (f 1513) das süd-
westliche Deutschland, um die Materialien zu einer genealogischen
Geschichte des habsburgischen und anderer deutscher Füi'stenhäuser
zusammenzubringen^). Seinem gelehrten Arzte Johann Spiefshaymer,
der sich Cuspinian nannte''), gab Maximilian 1508 den Auftrag,
^) Monographie über ihn von Silbernagel, 2. Aufl. 1885 ; Schneegans,
Abt Johannes Trithemius, 1882.
^) Horawitz in d. Allg. D. Biogr. XVII, 614. Nachrichten über Paul
Lang in „Das Chronicon Citizense des Benediktinermönches Paul Lang
im Kloster Bosau und die in demselben enthaltenen •.Juellen". Von
K. E. Hermann Müller im Neuen Archiv für Sachs. Gesch. XIII (1892),
S. 279 — 314. Ausser den Auszügen aus Lamberts Hersfelder Geschichte
ohne Bedeutung für die ältere Zeit.
^) üeber ihn Aschbach, Gesch. d. kais. Univ. zu Wien II, 363 — 873.
Von den Belohnungen spricht Beatns Rhenanus, Rer. Genn. libri. III,
p. 113, ed. 1651; p. 202. 203, ed. 1610. Vgl. besonders Simon Laschitzer,
Die Genealogie des Kaisers Maximilian I. in dem (Wiener) Jahrbuch der
kunsthistor. Sammlungen VII, 1 — 46.
•*) Khautz . Versuch einer Geschichte der Oesterr. Gelehrten (1755),
S. 121—125. Vgl. Kink, Gesch. der kais. Univ. zu Wien I. 226. Aschbach,
Gesch. ders. Univ. I, 200 ff. Zweiter Band 1877 u. d. Titel : Die Wiener
Universität und ihre Humanisten im Zeitalter Maximilians I.
•') Franz Pfeiffer. Das Donauthal von Ladislaus Suntheim, im Jahr-
buch für vaterl. Geschichte (Wien 1861), S. 273—297. Ueber ihn Asch-
bach II, 377—381. S. 878 die Instruktion von 1505; Wegele S. 105—110;
Heyd, Allg. D. Biogr. XXXVII, 161.
«) Ueber ihn Aschbach II, 284—309; Horawitz, Allg. D. Biogr. IV,
662— 664; G. Schepss im Archiv f. Unterfranken. 1884.
4 Einleitung § 1.
Bücher aus allen Teilen des Reichs zu sammeln , und einen ähn-
lichen Auftrag hatte auch Dr. Jacob Mennel aus Bregenz (Manlius)
erhalten '), von welchem der Kaiser sich nachts, wenn er an Schlaf-
losigkeit litt, aus den alten Schriften vorlesen liefs'). Auch der
talentvolle, aber unstäte Dichter Konrad Celtis (Pickel), welchen
Maximilian im Jahre 1497 nach Wien berufen hatte, erhielt im
folgenden Jahre vom Kaiser die Mittel zu seiner letzten grofsen
Reise in den fernen Norden, deren Frucht die Germania iUustrata
sein sollte, Celtis' lange versprochenes Hauptwerk, für welches er aber
bei seinem Tode 1508 nur Vorarbeiten hinterlassen hat '"). Doch sind
seine eifrigen Forschungen nicht ohne bedeutende Frucht geblieben.
Im Kloster St. Emmeram zu Regensburg entdeckte er die Werke
der Nonne Hrotsvit, welche er 1501 herausgab. Im fränkischen
Kloster Ebrach fand er den Ligurinus, über den er selbst in Wien,
seine Freunde in Freiburg, Tübingen, Leipzig Vorlesungen hielten ;
1507 besorgten seine Augsburger Freunde den Druck. Ihm danken
wir auch die Entdeckung der Tabula Pcutingeriana , jener merk-
würdigen römischen Strafsenkarte des 2. Jahrhunderts, mit späteren
Zusätzen erhalten in einer Kopie des 13. Jahrhunderts, welche sich
ietzt in der Wiener Hofbibliothek befindet'*). Ihren Namen führt
sie davon, dafs Celtis sie in seinem Testamente dem gelehrten Augs-
burger Patrizier Konrad Peu tinger-') vermachte. Dieser, der
^) Der Rat von Freiburg im Breisgau meldet 1509 K. Max, der be-
stellte Dr. Jakob Mennel könne mit den Chroniken nicht auf den Reichs-
tag nach Worms kommen, weil er nach Oesterreich verreist sei. Zeitschr.
f. Gesch. d. Oberrh. XVII, 254. Am 31. März 1510 beauftragte M. ihn mit
geschichtlichen Forschungen über die Häuser Oesterreich und Burgund.
X"gl. auch Th. Gottlieb, Büchersamml. Kaiser Maximil. I., Leipz. 1900, S. 49 ff.
-) M. Freheri SS. ed. Struv. II, 707. Ueber seine eigenen sehr mangel-
haften Leistungen Horawitz, Allg. D. Biogr. XXI, 358—362. Vgl. Ph. Lud-
wig, Die Konstanzer Geschichtschreibung (1894), S. 38 ff.
^) Engelb. Klüpfel de vita et scriptis Conradi Celtis Protucii, Frib.
1827. Erhard , Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bil-
dung (1830), II, 1 — 146 und in der Encyklop. von Ersch und Gruber 21.
135. Kink a.a.O. S. 201 f. Aschbach II, 189-270. Job. Huemer in
d. Allg. D. Biogr. IV, 82—88. Bursian, Gesch. d. klass. Phil, S. 109—117.
Ueber die Angriffe auf die Echtheit der von ihm entdeckten Werke s.
unten bei Hrotsvit und Ligurinus.
■*) Die ältere Ansicht, Avelche sie dem Verfasser der Annalen von
Kolmar zuschrieb, bekämpft Jaffe, MG. SS. XVII, 187. Vgl. Frid. Philippi
de tab. Peuting. Diss. Bonn 1876. Die neue Pariser Ausgabe von Des
Jardins ist unvollendet geblieben. Konr. Miller, Die Weltkarte des Ca-
storius, gen. die Peut. Tafel. In den Farben des Orig. und mit einleit.
Text (mangelh.). Ravensburg 1888. Rec. v. G. Hirschfeld, Berl. philol.
Wochenscbr. VIII, 20, der sich hier besonders gegen die Heranziehung
des Namens Castoriua wendet.
'') Ueber ihn s. Th. Herberger, Konrad Peutinger in seinem Verhält-
Die Forschungen der Humanisten. 5
ebenfalls von Maximilian zu seinem Rat erhoben war und fort-
während für künstlerische und gelehrte Zwecke in Anspruch ge-
nommen wurde, war 150G beim Kaiser in Klosterneuburg, um die
alten Briefe des Hauses Oesterreich zu besichtigen, und erhielt ein
eigen Gemach in der Wiener Burg, wohin „S. Mt. von allen orten
Cronica und historien bringen lassen". Er selbst besafs in seiner
reichhaltigen Bibliothek die wertvollsten deutschen Geschichtsquellen,
und wir verdanken ihm mehrere vortreffliche Ausgaben, die aber
Peutingers Namen nicht auf dem Titel tragen. Nachdem er 1507
bei der Herausgabe des Ligurinus geholfen, erschien 1515 aus der
in seinem Besitze befindlichen Abschrift die erste Ausgabe des
Chronicon Urspergense, besorgt von Joh. Mader ') ; gleichzeitig er-
schienen, von Peutinger bearbeitet, Jordanis de Rebus Geticis und
Pauli Diaconi historia Langobardorum ^), eine sehr gute Ausgabe,
gegen welche die 1514 zu Paris von Guillaume Petit besorgte
Ausgabe des Paulus weit zurücksteht. Doch verdienen auch die
Bestrebungen dieses Buchhändlers, bei welchem 1512 Gregor von
Tours, 1513 Sigebert, 1514 aufser Paulus noch Liudprand und
Aimoin erschienen, unsere Anerkennung.
Ebenfalls im Jahre 1515 besorgte der schon erwähnte Cuspinian,
zusammen mit dem kaiserlichen Historiographen Stabius, in Strafs-
burg eine vortreflFliche Ausgabe des Otto von Freising mit der Fort-
setzung des Ragewin. Ebenda waren bereits im Jahre 1508 von
dem Breisgauer Gervasius Soupher die Gesta Heinrici IV. heraus-
gegeben, mit einem Vorwort, welches von stolzem Selbstgefühl den
Franzosen gegenüber erfüllt ist. Von ähnlicher Denkungsart zur
Ehrenrettung dieses vielgeschmähten Kaisers getrieben, gab Aventin
(Joh. Turmair) 1518 in Augsburg die schöne prosaische Lebens-
beschreibung desselben heraus; er war ein Schüler von Celtis und
hatte sich nach dessen Vorbild der deutschen Geschichte schon früh
eifrig zugewandt ''). Für seine Annales Boiorum sammelte er ein
nisse zum Kaiser Maximilian. Augsburg 1851. 4. H. A. Lier, Allg. D.
Biogr. XXY, 561—568; Wegele, Historiogr. S. 110—116. Verzeichnisse
seiner Bibliothek in den Münchener Hss. 4021 b. c. d.
') 0. Abel im Archiv XI, 77. 79, berichtigt von Giesebrecht in d. SB.
d. Münch. Akad. 1881, I, 208-210.
-) Archiv YII, 314.
') Ueber Aventin s. Wegele, Allg. D. Biogr. I, 700—704, Historiogr.
S. 261 — 277. u. Bayer. Bibl. X (1890). Krit. Ausgabe seiner Werke durch
die bayer. Akad. 1881—1886, darin die Annalen (II. III.) von Riezler,
die Chronik (IV. V.) von Lexer. Vgl. W. Meyer, Philol. Bemerkungen
zu Aventins Annalen, u. Aventins Lobgedicht auf Albrecht IV. von 1507,
Abh. d. Münch. Akad. I. Cl. XVII. 3. Abt. 1886. Riezlers Entgegnung ebend.
III. Cl. XVII. Ueber seine geplante Berufung nach Strassburg (1531) M. Lenz,
g Einleitung § 1.
überaus reiches Material, zumal auch an Urkunden, und einzelne
seiner Quellen sind nur durch ihn ei-halten worden. So traten
nacheinander die vorzüglichsten Geschichtschreiber des deutschen
Mittelalters ans Licht; 1521 erschienen in Köln auch die Werke
Einhards, herausgegeben von dem Grafen Hermann von Nuenar');
in Mainz die Chronik des Regino von Sebastian von Rotenhan").
Besonders eifrig aber nahmen die Protestanten, denen auch
Aventin zuneigte, diese Bestrebungen auf; sie fanden bald auch
unter diesen Schriften Waffen gegen die päpstlichen Ansprüche, und
die Streitschriften des 11. Jahrhunderts erschienen selbst für den
veränderten Standpunkt des 16. noch verwendbar. Hatte man doch
schon lange im Einklänge mit der wachsenden Erbitterung gegen
den entarteten Klerus die scharfen Satiren des früheren Mittelalters
hervorgezogen, so in Köln bald nach 14-70 und mehrmals wieder-
holt den Pseudo- Ovidius de Vetula mit seinen Ausfällen gegen sitten-
lose Prälaten, und den Brunellus mit der schonungslosen Verspottung
der Mönche. Die Schrift des Spaniers Alvarus Pelagius Be planctu
ecclesiae, in welcher er unter dem Eindruck seiner Erfahrungen an
der Kurie in Avignon den verderbten Zustand der Kirche beklagt,
1340 in Portugal zuletzt überarbeitet, erschien schon 1474 in Ulm
bei Johann Zainer von Reutlingen, und wurde 1517 in Lyon wieder-
holt. Lupolds von Bebenburg Schrift Germanoram principum zelus
in christianam religionem erschien 1497 in Basel. Die Epistola
Luciferi ad malos principes ecciesiasticos, eine sehr bittere Satire,
welche 1351 in Avignon zum Vorschein kam und in vielen Ab-
schriften verbreitet war, wurde nach einer nicht mehr bekannten
Pariser Ausgabe 1507 in Strafsburg gedruckt, um 1530 in einem
Einzeldruck o. J. wiederholt und 1549 in Magdeburg von Flacius
Illyricus herausgegeben^). Derselbe wiederholte 1550 die deutsche
Uebersetzung des Briefes, welche schon 1521 o. 0. erschienen war*).
Ulrich von Hütten gab 1520 die Walram von Naumburg fälsch-
lich zugeschriebene Schrift gegen Gregor VII., De unitate ecclesiae
conservanda, heraus, welcher bald noch mehrere Schriften verwandten
Zeitschr. f. d. Gesch. des Oberrheins, N. F. IX, 629—637, vgl. Geschicht-
schreibung im Elsass (1895), Schriften des Vereins für Ref. Gesch. 49.
*) UeVjer den Codex Steinveldensis (jetzt Brit. Mus. 21109), durch
dessen Auffindung Nuenar gegen den Vorwurf willkürlicher Aenderungen
gerechtfertigt ist, s. Archiv VII, 364.
2j üeber ihn s. Wegele, Allg. D. Biogr. XXIX, 299.
*) Anz. d. Germ. Mus. XVI (1869), Sp. 9. Lieber diesen u. andere
Teufelsbriefe s. Wattenbach, SB. d. Berl. Ak. Febr. 1892.
■•) E. Weller, Die ersten deutschen Zeitungen, S. 90.
Ausgaben der Protestanten. 7
Geistes aus der Zeit des Schisma und der Reformbewegung des 1-i. und
15. Jahrhunderts folgten')- So erschien 1-">21 in Wittenberg der dem
Bischof Ulrich von Augsburg untergeschobene Brief unter dem Titel :
Hulderichi Aiifj.cp.einstoJa advcrsus consfUiifioncm de clcri corlihnlu.
Der Kölner Humanist Jakob Sobius gab 1521 in Basel die Kommen-
tare des Aeneas Silvius nebst anderen Stücken von verwandtem Inhalt
(darunter Beno) heraus, eine Sammlung, welche 1535 in Köln mit
neuen Zuthaten von Ortwinus Gratius wiederholt wurde, dessen
Standpunkt in seinem späteren Leben ein von dem früheren sehr
verschiedener wurde"). Im Jahre 1529 wurden zu Hagenau die
ersten Briefe Peters de Vinea gedruckt, weil sie auch für die Gegen-
wart zutreffend zu sein schienen. Unbefangener liefs Mel an chthon
es sich angelegen sein , den Schulunterricht in der Geschichte zu
fördern. Sehr nachdrücklich spricht er sich über den hohen Wert
der Geschichte aus in der an Sigismund von Brandenburg, Erz-
bischof von Magdeburg, gerichteten Widmung des von ihm 1558
für die Schulen bearbeiteten Chronicon Carionis ^). Schon 1525 gab
Kaspar Churrer in Tübingen die Chronik Lamberts nach einer
Abschrift heraus, welche Melanchthon ihm geschickt hatte, und
1556 begleitete dieser Siegmund Schorkels Ausgabe des Helmold
mit einem Brief an den Herzog von Stettin.
In Basel, wo schon 1529 Joh. Sichardus, dem wir auch die
ersten Ausgaben von deutschen Volksrechten verdanken, die Chro-
niken des Hieronymus, Prosper, Cassiodor, Hermannus Contractus
mit einer Widmung an den Kardinal Albrecht von Brandenburg
herausgegeben hatte, besorgten die Buchhändler Heer wagen, die
auch Melanchthons Verleger waren, 1531 eine Sammlung, welche
den Prokop , Agathias übersetzt und Jordanis (die Romana zum
') Straufs, Ulrich von Hütten II, 47. 55. 166. 3-20. 358.
^) David Clement, Bibliotheque curieuse (1759) VIII, 241 weist die
Autorschaft des Jakobus Sobius nach, S. 243 die des Ortw. Gratius,
welcher sie nie geleugnet hat. S. auch Ennen, Gesch. d. Stadt Köln,
IV, 87—92; L. Geiger, Allg. D. Biogr. IX, 600—602. Reichling, Ortwin
Gratius. Heiligenstadt 1884.
^) Zuletzt bei Bretschneider , Corpus Reformatorum XII. 707. Vgl.
G. D. Hoffmann, Abhandlung von Philipp Melanchthons Verdiensten um
die teutsche Reichs- und Staatsgeschichte, Tübingen 1760. Schon 1532
schreibt er: Mi.sit Carion ad ine farvaginem quiindam negliyentiu^ coacer-
vatam, qune n me disposita est. Ueber Carion.s Leben und Schriften
Strobels Miscell. Lit. Inhalt, 6. Samml. S. 139 ff. A. Stern in d. Allg. D.
Biogr. III, 781. Dafs Melanchthon auch die Ausgabe des Nauclerus 1516
besorgt habe, bestreiten Herrn. Müller, Forsch. XXIII, 595, u. M. Spiefs
ib. XXVI, 138 — 140. Winsheira vei-wechselte in seiner Gedächtnisrede
Carion u. Nauclerus. Vgl. Lier, Allg. D. Biogr. XXIII, 296—298.
8 Einleitung § 1.
erstenmal) enthält, mit einer Vorrede von Beatus Rhenanus
aus Schlettstadt. Dieser hatte auch zum Otto von Freising das
Titelblatt entworfen und ist dadurch zu dem unverdienten Ruhme
gekommen, als ob er der erste Herausgeber deutscher Geschichts-
quellen gewesen wäre. Die Handschriften aber zu jener Sammlung
hatte Konrad Peutinger aus Augsburg geschickt^).
Im Jahre 1532 erschien in demselben Verlage eine zweite Samm-
lung, welche den Widukind, Einhard, Liudprand und das Leben
Heinrichs IV. enthält, herausgegeben von dem Professor Martin
Fr echt zu Tübingen.
Es würde uns zu weit führen, wenn wir fortfahren wollten, die
Ausgaben des 16. Jahrhunderts aufzuzählen , denn ihre Zahl ist
nicht gering; besonders die We che Ische Buchhandlung in Frank-
furt verlegte eine ganze Reihe von Sammlungen dieser Art ^).
Unsere Absicht war nur, zu zeigen, mit welchem Eifer man damals
bestrebt war, die echten Quellen der Geschichte wieder ans Licht
zu ziehen ; mit richtiger Auswahl wurden die besten derselben zuerst
herausgegeben und mit derselben Sorgfalt behandelt, welche die
ersten Ausgaben der alten Klassiker auszeichnet. Es war ein treff-
licher Anfang gemacht, hinter dem der gröfste Teil der späteren
Leistungen weit zurückblieb, und an die Ausgaben schlofs sich so-
gleich auch die geschichtliche Verwertung, getragen von demselben
Geiste wahrheitsuchender Kritik, die sich vorzüglich der Prüfung
der kirchlichen Ueberlieferung zuwandte. Hervoi'zuheben ist unter
diesen Werken die nach Jahrhunderten eingeteilte Kirchengeschichte
der sogenannten Magdeburger Centuriatoren, Mathias Flacius,
Wigand u. a. (Basil. 1559—1574, 13 Voll, fol.), weil sie für ihre
Zeit durch scharfe Kritik und umfassende Forschung geradezu
epochemachend wirkte, und durch Mitteilungen aus einem reichen
handschriftlichen Material noch jetzt schätzbar ist ^). Eine wichtige
1) Ueber B. Rhenanus s. A. Horawitz in d. Wiener SB. LXX, 189—244.
LXXI, 643—690. LXXII, 323—376. LXXVIIl, 313—340. Horawitz u.
Hartfelder . Briefwechsel des B. Rh. Leipzig 1886. Geny u. Knod , Die
Stadtbibl. zu Schlettstadt, 1889.
^) S. SteifF Wechel, Allg. D. Biogr. XLT, 364—368.
2) Vgl. Rinck in Pertz Archiv III, 52—56. W. Preger, M. Fl. HI. u.
seine Zeit, 2 Bde. Erl. 1859—1861; Allg. D. Biogr. VII, 95. W. Schulte,
Beitr. z. Entstehungsgesch. d. Magdeb. Cent. Neisse 1877. S. seinen Brief-
wechsel mit dem kai.s. Rate Kasp. v. Nidbruck in dem Jahrb. d. Gesellsch.
für Gesch. des Protestantism. in Oesterr. XVII, 1—24. XVIII, 201—238.
XIX, 96—110. XX, 83—116, und Bibl, Nidbruck u. Tanner im Arch. der
W. A. LXXXV, 379 — 430. Flacius gab auch nach dem Vorgange des
Engländers Bale und von ihm unterstützt die Satiren des 12. und
13. Jahrhunderts gegen Papst und Klerus heraus unter dem Titel: Gar-
Protestantische und katholische Forschung. 9
Ergänzung dazu bildete der CaUtlogus testium reriUdh, erste Aus-
gabe 155(5, zweite vermehrte 1562 und oft wiederholt.
Freilich waren nicht alle gleich bereit, die geschichtliche Wahr-
heit anzunehmen , und unter die Ausgaben der echten Quellen
mischten sich bald auch falsche. Schon 1498 erschien in Rom der
nachgemachte Berosus und anderes Machwerk des berüchtigten (von
Aventin benutzten) Annius von Viterbo. Nicht ganz so plump
erfunden waren die Megenfrid, Benno und andere Schriftsteller, auf
welche Trithemius sich in seiner Hirschauer Chronik (1514)
berief, und seine Angaben führen deshalb noch jetzt nicht selten
irre; hat doch sogar sein Hunibald, dessen lächerliche Larve schon
der Graf von Nuenar durchschaute, noch im 19. Jahrhundert Ver-
teidiger gefunden ! Zum ärgsten Unfug dieser Art aber gehört das
1530 erschienene Turnierbuch von Georg Rüxner'), dessen
freche Lügen von den ahnensüchtigen Herren begierig aufgenommen
wurden und noch heutigestags hin und wieder gespensterhaft
erscheinen.
!^ 2. Die katholische Kirche. Die Heiligenleben.
Während einerseits die neu erwachende kritische Richtung will-
kommene Waflfen in der Litteratur des früheren Mittelalters fand,
bot sich andererseits hierin auch der katholischen Kirche ein schöner
Schatz ascetischer Schriften dar, und die Briefe der alten Päpste,
wie die alten Vorkämpfer ihrer Ansprüche, waren noch immer zu
brauchen. So finden wir denn, nachdem die katholische Kirche sich
wieder ermannt und auch wissenschaftlich neue Kraft gewonnen
hatte, auch von dieser Seite viele Publikationen; der Kardinal Cäsar
Baronius setzte den Magdeburger Centuriatoren seine Annales
ecciesiastici entgegen , welchen die aus dem Vatikanischen Archiv
und anderen Quellen mitgeteilten Aktenstücke hohen und bleiben-
den Wert verleihen ^). Durch gute Ausgaben wichtiger neu ent-
mina vetusta ante trecentos annos scripta , quae deplorant inscitiam
evangelii etc. Viteb. 1548, vermehrt 1557 als: Varia doctorum piorumque
virorum de corrupto ecclesiae statu poemata.
M S. darüber Waitz , Heinrich I., 3. Ausg., S. 265—272. Ein Teil
der Fabeln ist älteren Ursprungs, schon 1518 in Bayern ein Werk der
Art entstanden, aber Rüxnern bleibt doch eine ansehnliche Vermehrung
derselben.
2) Bis 1198 in 12 Folianten 1588—1607 erschienen. Die Fortsetzung
von Raynaldus in 9 Folianten bis 1565 erschien von 1646—1677. Aus-
gabe von Mansi m. Pagis Kritik, Lacae 1738 — 1759, neuer Abdruck von
Ausr. Theiner seit 1864.
IQ Einleitung § 2.
decktet Quellen machten sich besonders Heinrich Canisius')^
Brouwcr"), Sirmond, Tengnagel, Gretser^) verdient. Auf
einzelnes einzugehen , würde hier zu weit fühi-en ; nur einen be-
sonderen Zweig der Litteratur scheint es erforderlich hier näher zu
betrachten.
Aus den einzeln überlieferten Heiligenleben hatte man früh be-
gonnen , gröfsere Sammlungen zu formen. Aus den Handschriften
übertrugen sich solche in die ältesten Inkunabeln , doch waren
sie nur zur Erbauung bestimmt. Hin und wieder bieten sie ein
brauchbares Körnchen dar; im ganzen aber erscheinen die Legenden
in solcher Weise überai'beitet, dafs das Triviale, allen Gemein-
same, überhand genommen hat, das Geschichtliche oft ganz ver-
schwunden oder doch verdunkelt ist. Die zahlreichen Wunder, die
vielen Fabeln und Albernheiten machten diese Litteratur gerade
ganz besonders zum Gegenstande lebhafter Angriffe , und bald
empfand man, dafs sie allen Wert und Nutzen verlieren werde,
wenn man sich nicht zu einer Sichtung des überkommenen Stoffes
entschliefsen wolle. Nachdem schon der Mailänder Boninus
Mombritius auf alte Handschriften zurückgegangen war, die er
mühsam aufsuchte, und durch deren unveränderten Abdruck'*) er
sich verdient gemacht hatte, ohne Nachfolger zu finden, erschien
ein Jahrhundert später die Sammlung des Kölner Karthäusers Laur.
Surius (t 1578): Vitae Prohatormn Sanctorum, die viel brauch-
baren geschichtlichen Stoff zuerst ans Licht brachte, und wenn auch
der lateinische Stil etwas überarbeitet ist, so berührt das doch
kaum den Inhalt''). Von Kritik aber ist in diesem Werke keine
Rede, und die herrschende Meinung der Gebildeten verwarf alle
diese Mönchsgeschichten als leere Fabeln.
Diesen Angriffen gegenüber fafste nun der Jesuit Heribert
van Rosweyd (f 1629) den Plan, durch strenge Sichtung des ganzen
vorhandenen Materials und Aufopferung des falschen das echte zu
retten und zu sichern. Er selbst gab u. a. das Martyrologium
Romanum heraus; besonders aber veranlafste er seinen Ordens-
M Neffe des berühmteren Petrus, s. v. Schulte in d. AUg. D. Biogr.
III, 749.
') Kraus in d. Allg. D. Biogr. III, 368.
^) Werner in d. Allg. D. Biogr. IX, «45.
*) Sanctuarium , in 2 grofsen Folianten o. J. (um 1475). Vgl. Tira-
boschi, Tomo VI, 1. II, c. 32. Von demselben rührt die erste Ausgabe
des Prosper her, welche Holder-Egger im NA. I, 22 erwähnt, s. Auct.
ant. IX, 371.
"j Reusch, Allg. D. Biogr. XXXVII, 166.
Ausgaben fliT Hcilij^enleben. H
bruder Johann Bolland in Antwerpen zu dem grol'sartigen Unter-
nehmen der Acta Sancforum, wovon 1G43 der erste Band erschien,
Noch 5 Bände gab Bolland selbst heraus; dann liinterliels er die
Fortsetzung Daniel Papebroch (Papenbroeck) und Gottfried
Henschen, von welchen der gediegenste Teil des Werkes gearbeitet
ist. Sie gewannen bei ihrer Arbeit eine solche Sicherheit der
historischen Kritik und verfuhren mit so wenig Schonung, daCs sie
bald vielfache Angriffe erfuhren und die spanische Inquisition sogar
im Jahre 1G95 die bis dahin erschienenen 14 Bände verbot. Man
versuchte auch den Papst zu einem Verbote desselben zu bewegen,
aber vergeblich ; nur Papebrochs Chronologia Pontificum Romanorum
wurde wirklich verboten ^). Mit dem unermüdlichsten, mühsamsten
Fleifse setzten auch später die Antwerpener Jesuiten, welche man
gewöhnlich als Bolland isten bezeichnet , das begonnene Werk
fort; ihre Abhandlungen wurden immer weitschichtiger und ver-
loren an innerem Werte , während das Ganze immer langsamer
vorrückte. Doch sind noch viele sehr tüchtige Arbeiten und un-
ermefsliches historisches Material darin. Durch die Aufhebung des
Ordens wurde das Unternehmen gestört; andere führten es weiter,
dann aber machte ihm die Occupation Belgiens durch die Franzosen
ein Ende. In neuerer Zeit hat man es seit 1845 von Brüssel aus
durch eine Erneuerung der Societe des Bollandistes (zur Zeit be-
stehend aus de Smedt, de Backer, van Ortroy, van den Gheyn,
Delehaye, Poncelet) wieder aufgenommen. Bis jetzt sind mehr als
60 Folianten erschienen, welche bis zum (4.) November reichen, denn
das ganze Werk folgt der Ordnung des Kalenders. Neben der Fort-
setzung des Hauptwerkes gehen seit 1881 Analecta BoUandiana ein-
her, mit sehr wertvollen Ergänzungen durch neue Funde, kritischen
Untersuchungen, litterarischen Besprechungen u. s. w. '^). Die Auf-
findung eines bestimmten Heiligen war früher nicht leicht; man
bedurfte dazu der Kenntnis seines Tages, wozu das Heiligenlexikon
(von Schmaufs), Gott. 1719, 8, brauchbar ist, welches zugleich
zur vorläufigen Orientierung dienen kann. Gegenwärtig aber bietet
Potthasts Bibliothcca historica, 2. Ausg., in dem Artikel 7?Ya II,
^) S. Rettberg, Art. Papebroch in der Encyklopädie von Ersch und
Gruber. A. Schaler, Zur Ge,.schichte des Werkes Acta Sanctorum , Sera-
peumVII, 305 ff. Pitra. Etudes sur la coUection des actes des saints
par les Bollandistes, Paris 1850. Potthast, Bibl. historica, I, S. XXXIl
bis XXXIV. Vgl. Aehelis, Die Martyrologien S. 239—244.
^) Ein wichtiges Hilfsmittel für diese Studien" ist auch der Catalog.
codicum hagiographicor. bibl. Bruxellensis 1, 1886 — 1889; in bibl. Paris,
nat. 1—4, 1889—1893.
12 Einleitung § 2. 3.
1120 — 1646, ein nicht allein auf den Umfang des Mittelalters be-
schränktes Repertorium sämtlicher von den Bollandisten besproche-
ner Personen, dem ein Register der übrigen in jenem Riesenwerke
enthaltenen Abhandlungen beigefügt ist. Aufserdem aber enthält
ein Supplementband der Acta Sanctorum zum Oktober General-
register über das ganze Werk von Rigollot. Das bei weitem beste
Hilfsmittel, umfassender und zuverlässiger als Potthast, bietet jetzt
die Bihliotheca liagiographlca lafiiia antiquae et mcdiae aetatis der
Bollandisten, 2 Bände, Brüssel 1899—1901.
Neben den Jesuiten begannen auch die französischen Bene-
diktiner ein ähnliches Werk, nachdem ihr Orden in der Con-
gregation de Saint-Maur, die ihren Sitz in St. Germain-des-Pres
hatte, einen neuen, aulserordentlich kräftigen Aufschwung genommen
hatte ^). Die Erforschung der Geschichte ihres Ordens wurde bald
ein Hauptgesichtspunkt der Kongregation und ihr Bibliothekar Dom
Luc d'Achery sammelte dafür viele Jahre mit Unterstützung der
ganzen Genossenschaft unschätzbares Material. Zur Bearbeitung
desselben wurde ihm 1664 Dom Jean Mabillon beigegeben, den
dann wieder Germain und Ruinart unterstützten. Von ihnen
erschienen 1668 — 1701 die Acta Sanctorum Ordinis S. Benedictt in
9 Folianten, welche bis zum Jahre 1100 reichen und vom gröfsten
Werte für die Geschichte sind. Abweichend von der Anordnung
der Bollandisten ist diese SammJung nach der Zeitfolge geordnet;
sie beginnt natürlicherweise erst mit der Entstehung des Ordens
der Benediktiner, den ersten Jahrhunderten der Kirche aber gilt
Ruinarts treffliche Ausgabe der Acta primorum martyrum sincera^
1689, 4.
S ^•
Sammlungen für Landesgeschichte.
In viele einzelne Staaten zerspalten schien Italien weniger
als andere Länder berufen, ein Vorbild für eine umfassende Samm-
lung von Geschichtsquellen zu geben. Auch ging hier der Patrio-
tismus gerne gleich über die Zeiten des Mittelalters hinaus in
die antike Welt hinüber. Die römische Kirche aber konnte
vom Mittelalter nicht lassen, wir brauchen hier nur an das schon
erwähnte Riesenwerk des Kardinals Baronius zu erinnern. Viele
Geschichtsquellen Italiens zog Ferd. Ughelli zuerst ans Licht
') Vgl. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, 3. Ausg. S. IS
bis 20.
Heiligenleben. Landesgeschichte. ] 3
in dem grofsen Werk der Ifalht Sacra, welches später von Coleti
umgearbeitet und sehr vermehrt wurde '). Gleichzeitig mit Coleti
wirkte Mansi, der Sammler der Concilien, und vor allem Lud-
wig Anton Muratori, Bibliothekar in Modena (f 1750), der mit
der umfassendsten Gelehrsamkeit, rastlosem Fleilse und unermüd-
licher Thatkraft die Grundlagen der italienischen Geschichte legte,
auf denen noch heute fortgebaut wird. Seine Scrijjforcs Herum
Italkarum in 28 Folianten, 1723 — 1751 (ergänzt durch die Anfi-
quifates Itulicac in 6 Folianten, 1738 — 1742), sind die erste um-
fassende, planmäfsig angelegte Sammlung der Geschichtsquellen
eines ganzen Landes, und bis jetzt die einzige, welche ihre Voll-
endung erreicht hat; das grofse Verdienst, durch eifrige Unter-
stützung der Sache, auch durch wissenschaftliche Mitwii'kung die
Ausführung möglich gemacht zu haben, gebührt den bescheiden im
Hintergrund gebliebenen Socii Palatini -). Eine neue verbesserte
Ausgabe der Scriptores hat unter der Leitung von G. Carducci 1900
begonnen ^).
Erstrebt war freilich schon früher ähnliches in Frankreich
durch die Sammlung von Duchesne in 5 Folianten (1G36 — 1649),
doch genügte diese nicht, so wertvoll auch ihr Inhalt ist. Colbert
fafste bereits 1676 den Plan einer neuen umfassenderen Sammlung,
der jedoch erst später zur Ausführung kam, als die Kongregation
der Mauriner auch diese Aufgabe übernommen hatte. Nachdem
diese fleilsigen und gelehrten Mönche bereits für die Geschichte
ihres Ordens und der Kirche das Aufserordentlichste geleistet, und
in verschiedenen Sammlungen unendliches Material zugänglich ge-
macht hatten, erschien von 1738 an der Becueil des Historicns des
Gaules et de lu France von Dom Martin Bouquet und seinen
Nachfolgern, eine Sammlung, deren Fortführung in neuester Zeit
wieder aufgenommen ist, und die bis jetzt aus 23 Folianten be-
steht. Eine neue Reihe in Quart befindet sich im Druck. Während
Muratori nur Geschichtschreiber und zum Teil Gesetze aufgenom-
men hatte, erweiterten die Mauriner nach Duchesnes Vorbild den
Plan durch Ausdehnung auf LTrkunden, Synodalakten (im Auszuge),
Briefe, Gedichte u. s. w., doch ohne jede Unterscheidung abgeleiteter
Quellen.
') Ughelli, Italia Sacra, 9 Bände f. 1644—1662. Neue Ausg. v. Coleti
in 10 Bänden, 1717— 172L
-) S. über diese L. Vischi im Arch. stör. Lombarde 1880, S. 391-566.
'j Eine Darstellung der italienischen Chronistik ist das zuerst in eng-
lischer Sprache erschienene Buch von Ugo Balzani, Le cronache Italiane
nel medio evo. 2. Ausg., Mail. 1900.
14 Einleitimg § 3.
In Deutschland waren die vielversprechenden Anfänge des
16. Jahrhunderts durch die inneren Spaltungen gehemmt und end-
lich durch den Dreifsigjährigen Krieg fast gänzlich erstickt worden.
Die folgende Zeit des Reichtums und der fürstlichen Stellung der
Geistlichkeit brachte wohl einige Stiftshistorien'), aber nichts, das
sich mit dem Wirken der Mauriner in Frankreich irgendwie ver-
gleichen liefse. Wohl reizte das Beispiel zur Nachahmung , aber
alle Versuche scheiterten teils an der Trägheit der in Reichtum und
üeppigkeit versunkenen Stifter, teils an der Eifersucht der Landes-
fürsten, welchen es bedenklich erschien, die Geistlichkeit ihrer Terri-
torien in nähere Verbindung mit den Ordensbrüdern anderer Ge-
biete treten zu lassen. Und geradezu unmöglich war es für die
Reichsabteien, selbst wenn sie es gewollt hätten, sich einer gemein-
samen Leitung und wechselnden Aebten unterzuordnen. Das er-
fuhren namentlich die treflflichen Gebrüder Bernhard und Hierony-
mus Pez') in Melk (f 1735. 1762) bei ihren Bemühungen, neues
Leben in den alten Orden der Benediktiner zu bringen ; und die
Stiftung einer Kongregation, welche es möglich gemacht hätte, die
vorhandenen Kräfte zu vereinigen und , wie in Frankreich , plan-
mäfsig für gemeinsame Zwecke zu verwenden, scheiterte an solchen
Hindernissen.
Sonst ward Material freilich in groisen Massen zu Tage gefördert,
aber ohne Auswahl, ohne Kritik; die neuen Publikationen fügten nur
immer mehr rohe Masse hinzu, in noch mangelhafterer Weise, und
niemand verstand es, den Stoff zu bearbeiten. Ln 17. Jahrhundert
erschienen bei dem Uebergewicht des Partikularismus fast nur noch
Sammlungen für die Geschichte einzelner Reichslande. Eine neue
Epoche beginnt dann mit Leibniz, dem Zeitgenossen Muratoris,
und in noch viel höherem Grade würde dies der Fall gewesen sein,
wenn nicht seine Forschungen unvollendet und grofsenteils unbe-
kannt geblieben wären. Wie Muratori von der Geschichte des
Hauses Este, so ging Leibniz von den Weifen aus, und wie Muratori
wurde er durch diese Untersuchungen immer weiter geführt zu
den ausgedehntesten Quellenforschungen , welche die ganze Reichs-
geschichte umfafsten , Forschungen , die sich andererseits an seine
philosophischen sowohl wie an seine staatsrechtlichen Studien an-
schlössen. Er durchsuchte alle ihm zugänglichen Archive und
') F. L. Baumami, Der bayer. Geschichtschreiber Karl Meichelbeck
1669—1734, Akad. Pestrede, München 1897.
^) S. Krones, Allg. D. Biogr. XXV, 569—575; KatscMhaler, Ueber
B. Pez und dessen Briefnachlass, Melk 1889.
Leibniz und seine Naclifolf,'er. 15
Bibliotheken , und ergriff mit dem lebhaftesten Eifer den Plan
einer systematischen Sammlung und Ausgabe aller vorhandenen
Quellen für die politische und die Eechts- und Kirchengeschichte,
auf deren Wichtigkeit und die Notwendigkeit ihrer gründlichen
Erforschung zuerst Herrn. Conring (f 1081) energisch hinge-
wiesen hatte.
Wohl einsehend, dal's die Aufgabe die Kräfte eines einzelnen
übersteige, versuchte man wiederholt, Gesellschaften zu diesem
Zwecke zusammenzubringen. Schon Johann Christian von
Boineburg, der Ratgeber des Kurfürsten Johann Philipp von
Mainz, der Freund Conrings, Leibnizens und Forsters, entwarf den
Plan , ein Collegium universale Eruditoriim in Lvperio liomano
mit vorzüglicher Rücksicht auf Geschichte zu stiften , und teilte
denselben 1670 mehreren Gelehrten mit. Mainz, wo das Reichs-
archiv sich befand, war zum Sitz desselben bestimmt, allein es blieb
bei diesen Anfängen und hatte keinen weiteren Erfolg. Neue An-
regungen zu Versuchen dieser Art gab bald darauf die kräftige
Entwickelung der schon 1651 gestifteten, 1677 vom Kaiser privi-
legierten Academia Leopoldina Naturae Curiosorum. Paullini in
Eisen ach, wegen seiner jetzt immer mehr aufgedeckten Fälschungen
ein bedenklicher Genosse, fafste die Idee einer ähnlichen historischen
Gesellschaft; er liefs 1687 eine Delineatio CoUegii Imperialis Mstorict
gloriose et felicifer fundandi drucken und verteilen. Mit vorzüg-
lichem Eifer gingen Hiob Ludolf und T e n t z e 1 auf diesen Ge-
danken ein : Ludolf teilte Paullini seine unmafsgeblichen Bedenken
mit und von ihm ging die förmliche Aufforderung zur Teilnahme
aus , welche 1688 versandt wurde. Er war der Präses der neuen
Gesellschaft, welcher mehrere namhafte Gelehrte sich anschlössen.
Vor allem aber bedurfte man materieller Unterstützung, ohne die
sich wenig ausrichten liefs ; man wünschte den Kaiser, den Reichs-
tag dafür zu gewinnen, man suchte nach vornehmen Patronen, aber
man fand, wie Ludolf 1695 an Leibniz schrieb, keinen einzigen,
welcher einen Pfennig daran wenden wollte '). Nur der Herzog von
Württemberg gewährte Pregitzer die Kosten zu einer Reise durch
Schwaben, die Schweiz, Burgund und Frankreich, um die Archive
zu durchforschen ; seine Reiseberichte befinden sich auf der Göttinger
Bibliothek. Erfolg hatte also auch dieser Versuch nicht, und er
') De CoUec/io iwstrohistorico qnod dicam vix habeo, adeo omnia frir/ent.
Scilicet nemo de magnatibus nostris est pii urgent, niiilto minus qiii oboluiti
impendat. Qui ad niitum alienum laborare debeiit sine magno aiitore, sine
praemio. sunt difficillimi. 1695, Dec. 9.
16 Einleitung § 3.
konnte kaum Erfolg haben zu einer Zeit, wo die höheren Stände
ganz der französischen Bildung hingegeben und die Gelehrten
gröfstenteils von geistloser Pedanterie erfüllt waren , wo lebhafte
Teilnahme für die Erforschung der vaterländischen Geschichte eben-
so selten zu finden war wie die Fähigkeit zum richtigen Ver-
ständnis der Quellen.
Leibniz hatte diesen Bestrebungen von Anfang an grofsen An-
teil zugewandt ; er wies vornehmlich auf den unveränderten Ab-
druck der reinen Quellenschriften hin , während Ludolf mehr eine
Bearbeitung der Reichsgeschichte ins Auge falste. Leibnizen da-
gegen war um fremde Darstellungen wenig zu thun ; er wufste
wohl , dals Urkunden , in denen ein anderer nichts finden konnte,
ihm die bedeutendsten Aufschlüsse gewährten, und riet deshalb
ernstlich, dals man sich nicht bemühen solle, um eine Geschichte
stylo florido et eleganti zu schreiben, sondern man solle die Docu-
menta und Urkunden geben, ut praesens aetas thesaurum quendam
relinquat. Er zuerst erhob sich über den Dilettantismus und die
Vielwisserei und verband die ausgebreitetsten Kenntnisse mit staats-
männischem Blick und historischer Einsicht. Und so leistete denn
dieser aufserordentliche Mann allein einen grofsen Teil desjenigen,
was jene gutgemeinten Unternehmungen bezweckt hatten, ohne zur
Ausführung kommen zu können.
Schon 1693 gab Leibniz seinen Codex juris gentium heraus, dem
1700 die 2 Folianten der Mantissa Documentoriini folgten. Von
1707 — 1711 erschienen dann die Scriptores Herum JBrunsvicensium.
welche teils die niedersächsische Landesgeschichte, teils die weifische
Hausgeschichte erläutern sollten, und durch die grofsartige Stellung
des weifischen Hauses , durch die Verflechtung desselben in alle
wichtigsten Angelegenheiten des Reiches einen universellen Charakter
erhielten, der sie von allen anderen Sammlungen für spezielle Landes-
geschichte unterscheidet. Eine Anzahl anderer wichtiger Schrift-
steller war schon 1698 in den Accessiones historicae zuerst ans
Licht gebracht. Aber von den überreichen Sammlungen Leibnizens
war dadurch nur ein kleiner Teil erschöpft; nachdem er selbst vom
Schauplatze abgetreten war, brachten seine Nachfolger Eckhart,
S. Fr. Hahn, Jung, Gruber, Scheidt aus seinem Nachlafs das grofs-
artige Werk der Origines Guelficae zu stände, welches noch jetzt
einen ehrenvollen Namen behauptet, in Form und Inhalt aber ganz
auf den Vorarbeiten von Leibniz ruht ')•
') Die vorstehenden Angaben sind aus den Mitteilungen unseres 1863
verstorbenen Freundes Rölsler entnommen, welcher sie aus dem in Göt-
Leibniz und seine Nachfolger. 17
Aber Leibniz hinterliefs auch noch ein anderes Werk , welches
allein ausgereicht hätte, um einen gewöhnlichen Menschen berühmt
zu machen, die Annalen des abendländischen Reiches, zu welchen
ihn seine Forschungen über die Weifen ebenso hinführten , wie
Muratori die Geschichte des Hauses Este zur Verfassung der An-
nalen Italiens veranlalste. Dieses Werk, welches Leibniz viele Jahre
lang vorzüglich beschäftigte, reicht von 768 — 1005, denn weiter
ist er leider nicht damit gekommen. Es ist durchaus ein Meister-
werk, welches alle früheren Leistungen weit hinter sich läfst; auch
hegten die Zeitgenossen grofse Erwartungen davon, und lange war
von dem Drucke desselben die Rede, der aber dennoch zum groCsen
Schaden der Wissenschaft unterblieb, bis in neuester Zeit Pertz das
fast schon in Vergessenheit geratene Werk herausgab ') , nachdem
ein grofser Teil der darin enthaltenen Forschungen von neuem ge-
macht worden war. Aber noch immer ist das Werk sehr brauch-
bar, da es mit der vollständigen Uebersicht und Benutzung des bis
dahin bekannt gewordenen Stoffes gearbeitet ist. während die sichere
Methode, der durchdringende Scharfsinn und die geistvolle Behand-
lung des grofsen Verfassers den Leser durchgehends fesseln und
zur Bewunderung fortreifsen.
Die Fehler der früheren Sammlungen , von denen auch die
Leibnizsche nicht ganz frei ist, den Mangel an kritischer Sichtung
des Stoffes, an systematischer Auswahl und Zusammenstellung, die
UnZuverlässigkeit der Abdrücke, schilderte niemand schärfer und
eindringlicher als Job. G. Eckhart-), Leibnizens Gehilfe, dann
tingen und Hannover verwahrten handschriftlichen Materiale geschöpft
hatte, mit Benutzung der Nachrichten über Paullinis Briefwechsel im
Serapeum 1856, S. B5. 367. der Schriften Guhrauers u. a. Vgl. auch
Lucä. Der Chronist Friedr. Lucä (Frankfurt 1854), S. 279—344; PBeiderer,
Leibniz als Patriot etc., S. 682 ff. Mit Benutzung von Paullinis Nachlafs
in Jena ist der Aufsatz von Wegele gearbeitet : Das historische Reichs-
kolleg, Im neuen Reich 1881, N. 25; Historiogr., S. 597— 609. Ueber
Leibniz' Reise nach Wien 1708 s. Wilh. Guerrier, Leibniz in seinen Be-
ziehungen zu Rufsland (1873), S. 67.
^) G. W. Leibuitii Annales Imperii Occidentis Brunsvicenses , ed. G.
H. Pertz. 3 Tomi. Hannov. 1843—1846. Mit einer sehr lehrreichen Vor-
rede des Herausgebers. Vgl. Giesebrecht I, 798. Viele Nachrichten über
die Geschichte dieses Werkes , über die schlechte Behandlung , welche
Leibniz zu erfahren hatte , und die Intriguen Eckharts , welche dieselbe
hauptsächlich veranlafsten , enthält : Leibnizens Briefwechsel mit dem
Minister v. Bernstorff etc. von R. Doebner. Hannover 1882, und in der
Zeitschr. d. histor. Vereins f. Niedersachsen 1881.
^) Wegele in d. Allg. D. Biogr. V, 627—631; zu ergänzen aus der
eben erwähnten Publikation v. Doebner, vgl. Wegele, Historiogr., S. 637 ff.
687 ff.
Wat teil ba ch, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 2
18 Einleitung § 3. 4.
Konvertit und fürstlich Würzburgiscber Rat. Dennoch vermied er
in seiner eigenen Sammlung, dem Corpus historicorum medii aevi
(1723), keinen jener Fehler, vermehrte aber das vorhandene Material
durch sehr wertvolle Beiträge.
J. B. Mencke veröifentlichte 1728 und 1730 noch eine sehr
schätzbare Sammlung, B, G. Struve gab 1717 und 1720 die älteren
Sammlungen von Pistorius und Freher neu heraus ; immer mehr
wuchs die Masse des gröfstenteils rohen, ungeordneten, ungesichteten
Materials; immer schwieriger wurde es, eine Uebersicht über das-
selbe zu gewinnen. Dieser Uebelstand veranlafste das Erscheinen
von Schriften, die als Wegweiser dienen sollten: J. P. Finckes
Index in Collectiones Scripforuni Berum Germanicarum . Lips.
1737, 4 und das vielgebrauchte Diredorium von Freher, zuletzt
1772 von Harn berger neu herausgegeben. Desselben Hambergers
Nachrichten von den vornehmsten Schriftstellern, Bd. 3. 4. 1760,
sind von geringer Brauchbarkeit, dagegen des trefflichen Joh. Alb.
Fabricius BihUotlicca Media e et Infimae Latinitatis 1734 — 1746, 8,
und ed. Mansi 1754, 4 noch jetzt unentbehrlich und von grofsem
Nutzen. Eine neue vermehrte Ausgabe derselben mit Berücksichti-
gung der seitdem erschienenen Sammlungen und Ausgaben wäre
sehr wünschenswert und würde einem dringenden Bedürfnis ent-
gegenkommen.
Zurechtfinden können wir uns jetzt auch in der älteren histori-
schen Litteratur des Mittelalters mit grofser Leichtigkeit, seitdem
Potthasts BibUotheca historica medii aevi (Berlin 1862, 1868,
2. Ausg. 1896) erschienen ist, ein höchst dankenswertes Werk, das
Produkt des mühsamsten Sammelfleifses, welches, obschon keines-
wegs frei von manchen Schwächen und Mängeln, doch als ein nütz-
liches Hilfsmittel allgemeine Verbreitung und Anerkennung gefunden
hat. Sehr brauchbar als zuverlässiges Nachschlagebuch ist daneben
Ul. Chevalier, Bepertolrc des sources histor. du moyen dge mit
Supplement, Paris 1883—1888.
§ 4. Die Monumenta Germaniae historica.
Immer lebhafter empfand man in Deutschland während des
18. Jahrhunderts das Bedürfnis einer planmäfsig geordneten, kriti-
schen Sammlung der echten und ursprünglichen Geschichtsquellen ;
das Beispiel von Muratori in Italien und den Maurinern in Frank-
reich reizte zur Nachfolge, aber alle Wünsche und Versuche schei-
terten, wie jene eben erwähnten ersten Anfänge, an der Zerstücke-
Aelteve Sammlungen, Monumenta Germaniao. 19
lung Deutschlands, an der Unmüglichkeit, ein Zusammenwirken
vieler Gelehrten herbeizuführen, an dem Mangel ausreichender Geld-
mittel. Die Nachrichten über diese Bestrebungen findet man ge-
sammelt im ersten Bande des Archivs der Gesellschaft für ältere
deutsche Geschichtskunde. Namentlich hatte der Hallische Theologe
Semler einen solchen Plan, und bezeichnet in seinem „Versuch den
Gebrauch der Quellen in der Staats- und Kirchengesehichte der
mittleren Zeiten zu erleichtern" (17G1) scharf und treffend die
Mängel der vorhandenen Sammlungen, die Notwendigkeit, Original-
quellen von Ausschreibern zu sondern, mit Sorgfalt und gesunder
Kritik eine Reihe der bedeutendsten Autoren durchnehmend. Aehn-
liche Absichten verfolgte, ohne sie durchzuführen, der Göttinger
Universalhistoriker Job. Christ. Gatter er. Durch Semler angeregt,
gab 1797 sein Kollege Krause den Lambert heraus als Anfang
und Probe einer solchen Sammlung; aber er starb bald nachher
und es blieb bei diesem ersten Bande. Im folgenden Jahre 1798
gab Rösler in Tübingen eine kritische Bearbeitung der ältesten
Chroniken des Mittelalters, allein die Aufgabe einer umfassenden
Sammlung war für die Kräfte einzelner Männer viel zu grols, als
dafs etwas Genügendes hätte zu stände kommen können.
Die lange Fremdherrschaft in Deutschland und die Befreiung
davon durch die vereinten Anstrengungen des ganzen Volkes weckten
endlich in höherem Grade das Bewufstsein eines gemeinschaftlichen
Vaterlandes. Mit neuer Liebe wandte man sich der Erforschung der
Vorzeit zu; E. M. Arndt, die Gebrüder Grimm bestärkten in
dieser Richtung durch die kräftigste Anregung. Eifrig und dringend
wies Johannes von Müller auf die Notwendigkeit des Quellen-
studiums hin. Auch der Freiherr vom Stein empfand das leb-
hafte Bedürfnis, eine genügende Anschauung der deutschen Ge-
schichte sich zu verschaffen. Die voi'handenen Darstellungen reichten
dazu nicht aus ; er suchte die Kenntnis aus den Quellen selbst zu
schöpfen , stiefs aber dabei auf unüberwindliche Schwierigkeiten
wegen des verwahrlosten Zustandes derselben. Es war nicht seine
Art, wegen solcher Hindernisse einen Gedanken aufzugeben, und
seine Entfernung von den Staatsgeschäften trug dazu bei, dafs er
ihn um so entschiedener festhielt und verfolgte. Der Gedanke an
sich selbst, seinen eigenen Vorteil und Genuls, trat dabei bald
völlig zurück ; er hatte nur noch sein Volk im Auge, der Wunsch
erfüllte ihn, ,,den Geschmack an deutscher Geschichte zu beleben,
ihr gründliches Studium zu erleichtern und hierdurch zur Erhaltung
der Liebe zum gemeinsamen Vaterland und dem Gedächtnis unserer
20 Einleitung § 4.
grol'sen Vortahren beizutragen". Mit der ganzen Energie seines ge-
waltigen Geistes fafste er den Plan, eine umfassende und kritisch
bearbeitete Sammlung der deutschen Geschichtsquellen zu veran-
stalten, und er liefs nicht ab, bis er denselben zur Ausführung ge-
bracht hatte'). Im Februar 1818 brachte er ihn zuerst zur Sprache;
es gelang ihm, mehrere seiner westfälischen Freunde zu bedeuten-
den Geldbeiträgen zu bewegen; er selbst hat nach und nach an
10,000 Fl. darauf verwandt. Mehrere der damaligen Bundestags-
gesandten gingen auf Steins Vorschläge ein, und am 20. Januar 1819
trat zu Frankfurt die Geseilschaft für ältere deutsche Ge-
schichtskunde zusammen. Der badische Legationsrat Büchler
wurde zum Sekretär, der Archivrat Dümge zum Redakteur be-
stimmt; beide begannen sogleich die Herausgabe der Zeitschrift,
welche vom wesentlichsten Nutzen für das Unternehmen gewesen
ist. Sie heilst das Archiv der Gesellschaft und führte mit Recht
diesen Namen, weil darin alle Vorarbeiten für das grofse Unter-
nehmen, Nachrichten über Handschriften, Untersuchungen über die
einzelnen Quellenschriften niedergelegt wurden ^).
Der ungeheuere Umfang des Unternehmens, die Notwendigkeit
vieler und ausgedehnter Reisen, zeigten sich erst wähi-end der Ar-
beit in zunehmendem Mafse; bald sah man, dafs Privatmittel, so
bedeutend auch die Beiträge der Gründer waren, doch nicht weit
genug reichten. Die Bundesversammlung war gleich anfangs um
Unterstützung ersucht worden und hatte in Ermangelung eigener
Geldmittel zu solchem Zwecke das Werk den einzelnen Regierungen
zur Förderung empfohlen, allein fast ohne Erfolg. Man befürchtete
von der einen Seite Mifsbrauch des Unternehmens für revolutionäre
Zwecke — denn die Geschichte könne ebenso gut zum Umstui'z der
Monarchie, wie zu ihrer Erhaltung verwertet werden ■ — von anderer
witterte man etwas Serviles darin, und der alte Vofs sah darin eine
grofse Verschwörung, die Geschichte für oligarchische und katho-
lische Zwecke auszubeuten ^). In Oesterreich galt das Unternehmen
') Vgl. Archiv I. VI, 294. MG. SS. I, Praefatio. Stein und die Monu-
menta Germaniae. Antrittsrede von Pertz 6. Aug. (rect. 6. Juli) 1843, gedr.
in d. Allg. Preufs. Zeitung 1843 N, 53 vom 22. August. Steins Leben
von Pertz V, 57. 264 ff. u. s. w. an vielen Stellen. E. Dümmler, Ueber die
Entstehung der MG. Im neuen Reich 1876, II, 201 ff. Alfred Stern, Briefe
des Freih. vom Stein an N. F. von Mülinen, NA. IX, 257—268. Harnack,
Gesch. der Akad. zu Berlin I, 678—680 und daselbst das Gutachten von
Wilken TI, 410-416. S. auch Schüddekopf im Goethejahrb. XXI, 52—85.
^) Eine sehr nützliche Arbeit ist das Register über alle darin be-
sprochenen Bibliotheken von Dr. H. Kohl im NA. II, 629—634.
') A. Stern im NA. IX, 265.
Anfänge der Monumenta Germaniae. J, \
als revolutionär, und nachdem eine anfänglich beabsichtigte be-
sondere Direktion für Oesterreich fallen gelassen war, blieb für
die einheimischen Gelehrten eine förmliche Beteiligung an der Ge-
sellschaft unmöglich'). 1828 hatte man sogar Bedenken, den fertig
gewordenen ersten Band der Bundesversammlung zu überreichen -).
Der König von Bayern hatte noch 1829 gar nichts dafür gethan^),
während doch Baden die Dienste des Archivrats Dümge gleich an-
fangs auf einige Jahre der Gesellschaft überliefs, und der König von
Preufsen von 1821 an einigemal einen Beitrag von 1000 Thalern
bewilligte"*). Mit Bitterkeit dachte Stein daran, dafs er schon im
Herbst 1818 eine vom russischen Kaiser angebotene Unterstützung
abgelehnt hatte''), und erst nach des Stifters Tode (29. Juni 1831)
und nachdem auf einer Ministerkonferenz in Wien 1834 der Fürst
Metternich sich dem Unternehmen günstig erwiesen hatte , ent-
schlossen die verschiedenen Regierungen sich nach und nach, nament-
lich seit 1845 in gesteigertem Mafse , zu festen Beiträgen , welche
den Bestand der Sache sicherten.
In den gelehrten Kreisen fand das Unternehmen gleich anfangs
lebhafte Teilnahme, aber lange dauerte es, bis ein ausführbarer
Plan zu stände kam. Ein Vorschlag nach dem andern wurde im
Archiv veröffentlicht ; während man sich zu orientieren suchte, fing
man erst an, den Umfang der Arbeit, den man zuerst auf 20 Quart-
bände veranschlagt hatte, zu übersehen, die Masse des Stoffes, die
Schwierigkeit ihn zu bearbeiten, namentlich wegen der in so vielen
Bibliotheken und Archiven zerstreuten Handschriften und Urkunden,
welche sich noch viel zahlreicher erwiesen, als man anfänglich ge-
ahnt hatte.
Nach dem ursprünglichen Plane verteilte man die einzelnen
Schriftsteller an verschiedene Gelehrte zur Bearbeitung, aber es
zeigte sich bald , dafs auf diese Weise weder Einheit in Plan und
Methode, noch ein rascher Fortschritt in der Ausführung zu er-
reichen war. Die ersten Bände des Archivs sind voll von Ver-
sprechungen und Anerbietungen, von denen aber die meisten er-
folglos blieben.
Von entscheidender Bedeutung für die ganze Zukunft des Unter-
nehmens war deshalb der Zutritt des Mannes, unter dessen Leitung
es bald den kräftigsten Aufschwung nehmen sollte. G. H. Pertz
aus Hannover hatte im Jahre 1818 in Göttingen seine Stadien voll-
1) Steins Leben V, 580 ff. Vgl. Anz. d. Germ. Mus. XXII (1875), S. 31.
-) VI, 499. ■^) VI, 751.
') V, 567. 790. VI, 954. '^) VI, 779.
22 Einleitung § 4.
endet und 1S19 die Geschichte der Merowingischen Hausmeier mit
einer Vorrede und lebhaften Empfehlung seines Lehrers Heeren
vom 4. September 1818 veröffentlicht. Eine Aufforderung Büchlers
zur Teilnahme an den Arbeiten der Gesellschaft erwiderte er am
5. Juli 1819 mit freudiger Zustimmung und dem Erbieten zur
Bearbeitung der wichtigsten Quellenschriften aus der karolingischen
Periode '), Auf Büchlers Mitteilung nahm Stein dieses Anerbieten
bereitwillig an, und forderte am 21. Dezember Pertz nicht nur zur
Uebernahme der Schriftsteller aus der karolingischen Periode, son-
dern auch zu einer Reise nach Wien auf, weil die Benutzung der
auf der Hofbibliothek befindlichen Handschriften zunächst notwendig
war^). Diese Reise, welche den reichsten Ertrag gewährte, wurde
nicht blofs auf andere österreichische Bibliotheken, sondern auch
auf Italien ausgedehnt. Hier war der Freiherr vom Stein bereits
selbst gewesen, hatte von den Schätzen des Vatikan vorläufige Kunde
verschafft und Mitarbeiter zu gewinnen gesucht, auf deren Unter-
stützung damals noch stark gerechnet wurde. Diese Teilnahme der
Italiener erwies sich indessen später als gänzlich trügerisch , und
nicht viel mehr Ei'folg hatten die Zusagen, welche Pertz in Oester-
reich gemacht wurden. Seine Reise aber gewährte die erste feste
Grundlage für das Unternehmen; allein aus den päpstlichen Regesten
gewann er 1800 ungedruckte Briefe '). Seine Reiseberichte zeigten
so entschieden eine meisterhafte Handhabung der Kritik in scharfem
Gegensatze zu den vielen dilettantischen Beiträgen anderer, dals
ihm nach seiner Rückkehr die Redaktion sowohl des Hauptwerks
als auch der Zeitschrift übertragen wurde, da Büchler und Dümge
beide von ihrem Grofsherzog abberufen waren ^).
Im Jahre 1824 wurde der endgültige Plan des Werkes ver-
öffentlicht (Arch. V, 788 — 798), und 1826 erschien der erste Band
desselben. Aus 5 Abteilungen soll die ganze Sammlung bestehen,
*) Steins Leben V, 364. Vgl. über Pertz : W. Arndt, Im neuen Reich
1876, II, 651-657. G. Waitz im N. Archiv II, 454-473, vorzüglich zur
Charakteristik seiner Thätigkeit als Herausgeber, Nekrolog von Giese-
brecht, Münch. SB. 1877. S. 65—74. Wattenbach, Allg. D. ßiogr. XXV,
406 — 410. Harnack, Gesch. d. Akademie zu Berlin I, 922—924; Leonor
Pertz, Autobiography and lettres of G. H. Pertz (ohne Jahr).
2) Steins Leben V, 412. 416. 478—483.
^) Archiv V, 352, erst von Rodenberg seit 1883 bearbeitet.
*) Eine aulserordentlich warme und lebhafte Darstellung von Pertzens
Verdiensten um das Unternehmen findet sich in einem Briefe Boehmers
an Gfroerer bei Janssen, Boehmers Briefe, 450. Nach dem Nekrolog des
Rats Schlosser ib. 11, 480, war dieser Mitstifter und bewirkte durch seinen
Einflufs vorzüglich, dafs Pertz bei der Ausführung an die Spitze kam.
Pertz. Monumenta Germani;io. 23
nämlich I. Schi-iftsteller, II. Gesetze, III. Kaiserurkunclen, IV. Briefe,
V. Antiquitäten. Die Privaturkunden bleiben ausgeschlossen. Für
alle sind bedeutende Vorarbeiten gemacht worden, wirklich be-
gonnen aber wurden unter Pertz nur die beiden ersten Ab-
teilungen und in ungenügender Weise die dritte.
Eigentlich hätten die ältesten Annalen dos Mittelalters und die
Geschichtschreiber der Goten , Merowinger und Langobarden das
Werk eröffnen sollen; die Vorarbeiten dazu waren aber so schwierig,
und die Benutzung so unentbehrlicher Handschriften noch nachzu-
holen, dal's diese ganze Abteilung einstweilen übergangen wurde,
um nicht zu lange mit dem wirklichen Beginn der Publikationen
zögern zu müssen. Jetzt erst, nach wiederholten Reisen durch
Frankreich, Belgien, England, Spanien, Italien, Kulsland, sind die
Vorbereitungen zur Vollendung gediehen, und die Herausgabe dieser
sehnlich erwarteten Quellen ist endlich gröfstenteils erfolgt.
Den Anfang machten also aus diesen Gründen die karo-
lingischen Annalen'), welche mit ihren Anfängen noch in die
merowingische Zeit hinaufreichen und mit den Fortsetzungen zum
Teil durch das ganze Mittelalter sich erstrecken. Nur wer die Ver-
wirrung, den verwahrlosten Zustand kennt, in welchem sich früher
diese Annalen befanden, an verschiedenen Orten und meist in sehr
fehlerhafter Gestalt gedruckt, ohne Unterscheidung ihres echten,
gleichzeitig niedergeschriebenen Gebaltes und der späteren Zusätze,
nur der kann sich eine richtige Vorstellung machen von dem aufser-
ordentlichen Gewinn , welcher der Geschichtsforschung daraus er-
wuchs, dafs nun alle jene Annalen in einem Bande vereinigt, kritisch
gesichtet und durch neue Entdeckungen bereichert, zur ungehin-
derten Benutzung bereitet vorlagen. Dafs eben hierdurch auch die
Möglichkeit gegeben wurde, über die ursprüngliche Arbeit hinaus-
zugehen und die Kritik weiter zu führen , liegt in der Natur der
Dinge, und auch an Nachträgen hat es nicht ganz gefehlt.
Nach einer neuen Reise des Herausgebers nach den Nieder-
landen, Paris und England erschien 1829 der zweite Band-), welcher
die Chroniken und Biographieen der karolingischen Periode enthält.
Den Anfang aber bilden die Geschichtsquellen des Klosters St. Gallen,
') S. darüber Archiv VI, 251 — 373. Ausführliche Rezension der bei-
den ersten Bände, von Waitz, in den Jahrbüchern f. wiss. Kritik 1837,
S. 694-731.
^) S. Archiv VI, 274 — 294. Der Plan des Unternehmens war in dieser
Zeit noch nicht so ausgedehnt wie später, weshalb hier noch sehr wichtige
Stücke, wie die V. Eigilis, fehlen. Diese sind jetzt in den Ergänzungs-
bänden nachgetragen.
24 Einleitung § 4.
bearbeitet von Ildefons von Arx '), welche mit dem alten Leben
des Stifters beginnen und bis zum Jahre 1233 unzerteilt beisammen
gelassen wurden. Das Leben des heiligen Ansgar bearbeitete für
diesen Band Dahlmann, der sich rasch wieder zurückzogt).
Einen neuen sehr bedeutenden Fortschritt brachten die beiden
Bände Leg es 1835 und 1837. Auch hier wurden einstweilen die
alten Volksrechte noch beiseite gelassen; erst 1863 erschien der
dritte Band, welcher die Gesetze der Alamannen und Bayern von
Joh. Merkel, der Burgunden von B 1 u h m e , der Friesen von
Richthofen bearbeitet enthält; 1868 im vierten Band das von
Fr. Bluhme und Alfred Boretius bearbeitete Recht der Lango-
barden ; von diesen Volksrechten aber erscheinen jetzt neue Bear-
beitungen in der Quartausgabe. Die jüngeren Rechtsbücher blieben
der Thätigkeit der Rechtshistoriker überlassen, während die Reichs-
tagsakten seit König Wenzels Wahl von der Münchner historischen
Kommission übernommen sind. Von jenen beiden Bänden aber um-
fafst der erste die Kapitularien bis 921, der zweite aufser neu auf-
gefundenen Supplementen Reichsgesetze, kaiserliche Verordnungen,
Rechtsprüche, Verträge und andere wichtige Urkunden bis 1313;
hier ist namentlich aus den Vatikanischen Regesten viel Neues von
erheblicher Bedeutung mitgeteilt. Ein Anhang enthält in völlig
prinziploser Mischung unechte Kapitularien, Synodalbeschlüsse und
einige päpstliche Bullen. Die verfälschte Kapitulariensammlung des
sogenannten Benedictus levita ist hier von dem leider zu früh
der Wissenschaft entrissenen Dr. Knust herausgegeben , welcher
auf der Heimkehr aus Spanien in Paris am 9. Oktober 1841 ver-
starb^). Seine Leistung wird ihren kritischen Wert behaupten, aber
die in der vorausgeschickten Abhandlung niedergelegten Unter-
suchungen sind von Paul Hinschius in seiner Ausgabe der
Decretales Pseudo-Isidorianae (1863) zum Teil widerlegt und be-
richtigt. Diese beiden ersten Bände der Leges sind längst vergriffen
und eine neue Ausgabe war um so notwendiger, da die ursprüng-
liche Arbeit in hohem Grrade durch Flüchtigkeitsfehler entstellt ist,
wie dies Alfred Boretius in seiner Schrift: Die Kapitularien im
Langobardenreich (Halle 1864) nachwies'*).
') Vgl. (Gerold Meyer von Knonau) P. Ildefons von Arx , St. Gallen
1874, 4, u. dess. Art. in d. Allg. D. Biogr. I, 615.
2) S. Ant. Springer, Dahlmann I, 174—183.
^) Seine sehr reichhaltigen und anziehenden Reisebriefe sind im Archiv
VIIl, 102 — 252, gedruckt. Eine neue Ausgabe Benedikts wird von Seckel
vorbereitet, s. NA. XXVI, 37—72.
') \g\. über seine Ansichten die beachtenswerte Schrift von G. Seeliger,
Fortgang der Monumenta Germaniae. 25
In besserer Weise wurde mit Benutzung tüchtiger jüngerer
Kräfte die Reibe der Scriptores fortgeführt; in rascher Folge er-
schienen 1839 und 1841 der dritte und vierte Band, welche die
Periode der sächsischen Kaiser enthalten. Bei diesen trat
1836 G. Waitz als Mitarbeiter ein '), während Lappenberg, der
seit 1838 die Geschiehtsquellen der niederelbischen Lande über-
nommen hatte, hier als Erstling den Thietmar von Merseburg be-
arbeitete , dem später Adam von Bremen u. a. folgten '^). Für
die Zeit der Karolinger hatten zwei Bände genügt und ebenso
noch für die Zeit der Ottonen zwei von etwas stärkerem Um-
fange; die Salier dagegen, mit Lothar, erforderten acht Bände,
die von 1844 — 1856 erschienen; so sehr wächst um diese Zeit
die Masse des Stoffes. Neben Waitz finden wir hier auch seit
1839 C. L. Bethmann thätigO, der schon längere Zeit an den
Vorarbeiten teilgenommen und namentlich in den Bibliotheken
Frankreichs und Belgiens gearbeitet hatte; es gelang ihm u. a.
die Urschrift der Chronik des Sigebert zu entdecken, welche mit
allen ihren Fortsetzungen im sechsten Bande erschien. Sehr wich-
tig sind seine erst 1874 gedruckten italienischen Reiseberichte aus
dem Jahre 1854. W. Wattenbach eröffnete seine durch philo-
logische Kritik ausgezeichneten Arbeiten im siebenten Bande mit
der Chronik von Montecassino. Auf einer Reise nach Oesterreich
1847 — 1849 sammelte er besonders das Material für die umfassende
Ausgabe der Annales Austriae im neunten Bande. Eine längere
Reihe jüngerer Mitarbeiter hatte sich den schon genannten ange-
schlossen, so namentlich R. Köpke-*) (1842), Wilmanns (1845),
Jaffe, endlich W. Arndt, Pabst, Weiland, Scheffer-
Boichorst, in den letzten Jahren häufiger wechselnd; von der
ersten Generation blieb fast nur G. Waitz fortwährend noch als
Herausgeber einzelner Werke beteiligt.
So erspriefslich nun auch für die rasche Ausführung des Unter-
nehmens sich die thatsächlich durchaus monarchische Leitung an-
fänglich erwiesen hatte, so zeigte sich im Verlaufe desselben immer
deutlicher , dals seine grofse Ausdehnung die Kräfte eines Mannes
Die Kapitularien der Karolinger, München 1893, u. Volksreoht u. Königs-
recht in der Histor. Vierteljahrsschr. I.
^) Die Akten über seine erste Einführung bei Pertz sind von E. Dümm-
1er mitgeteilt, NA. XIX, 2G9— 282.
^) E. H. Meyer, Joh. Mart. Lappenberg, Hamburg 1867.
^) V. Heinemann, Allg. D. Biogr. JI, 573.
•») S. Rud. Köpkes Kleine Schriften, Berlin 1872. W. v. Giesebrecht,
Erinnerungen an Rud. Köpke, Hist. Taschenb., 5. Folge. II. S. 247—328.
26 Einleitung § 4.
überstieg ') , wie denn auch die ursprünglichen Statuten eine ganz
andere Form vorgeschrieben hatten. Nachdem schon am Bundes-
tage nach dem Referate Roberts von Mohl eine Aenderung der
Leitung in Angriff genommen war, nahm nach den Kriegsjahren
der neue Bundesrat sich der Sache an, und im Januar 1875 ist
unter der Vermittelung der Berliner Akademie der Wissenschaften
eine neue Organisation ins Leben gerufen ^). Die Leitung des
ganzen Unternehmens hat jetzt eine Zentraldirektion, deren Vor-
sitzender bis an seinen Tod G. Waitz war (f 25. Mai 1886), dann
zeitweilig Wattenbach, jetzt (seit Mai 1888) E. Düramler; die
einzelnen Abteilungen sind besonderen Leitern selbständig übergeben.
Waitz selbst übernahm die Scriptores und vorläufig die Leges, die
später auf Brunner und Zeumer übergingen, während die Fort-
führung der Hauptreihe der Scriptores Holder-Egger zufiel,
Th. Mommsen die „Auetores antiquissimi" der Uebergangszeit als
eigene Abteilung*), Sickel die Diplomata, worin ihm Brefslau und
Mühlbacher folgten, Wattenbach (nach ihm Dümmler) die Briefe,
Dum ml er (und nach ihm Traube) die Antiquitates. Als be-
schlossen war, auch die Konzilien der Merowingerzeit aufzunehmen,
fielMaafsen die Vorbereitung der Ausgabe zu, denen sich die von
Werminghoff bearbeiteten karolingischen anschliefsen werden'*).
Für solche Serien , welche neu begonnen werden , wurde ein be-
quemeres Quartformat eingeführt, welches vom 31. Bande an auch
auf die Scriptores ausgedehnt wird, so dafs die Folioausgabe mit
dem noch unvollendeten 30. Bande schliefst. Als Fortsetzung des
Archivs der Gesellschaft erscheint das Neue Archiv, von
welchem jährlich ein Band ausgegeben wird, bis zum 14. Bande von
Wattenbach, seitdem von Brefslau redigiert; dasselbe beginnt
mit einem Bericht über die Neugestaltung der Direktion und bringt
regelmäfsig Berichte über die jährlichen Versammlungen der Zentral-
direktion in Berlin und den Stand der Arbeiten, es bildet eine für
die Monumenta unentbehrliche Ergänzung.
Von dem Deutschen Reiche und Oesterreich sind bedeutende
(seit 1892 erhöhte) Geldmittel bewilligt, welche eine gesteigerte
Betreibung der Arbeiten durch zahlreiche Gelehrte möglich machen.
') Vgl. darüber die Anzeige von SS. XXIII. und Archiv Xli. von
L. Weiland, GftA. 1877, S. 769—796.
^) S. Harnack, Gesch. der Akad. zu Berlin I. 995—997, die Satzungen
daselbst II, 597—600, NA. XVII, 624—627.
') S. seinen Schlussbericht NA. XXIV, 9—12, doch folgt noch ein
Ergänzungsband von Traube und Vollmer nach.
"} S. NA. XXIV, 457—502. XXVI, 607—678.
Neue Orffanisation der Monuraenta Germaniae.
'J.i
Das Ergebnis aller dieser Anstrengungen eines mehr als achtzig-
jährigen Zeitraums stellt sich nun in der Weise dar, dals die Ge-
schichtschreiber von dem Ausgange des römischen Reiches bis in
das 13. Jahrhundert hinein fertig vorliegen, abgesehen von einem
Teile der merowingischen Heiligenleben, deren Vollendung wir von
B. Krusch zu erwarten haben, einem erheblichen Teile der stau-
fischen Quellen, den späteren Papstleben und einzelnen Nachträgen.
Manche darunter, wie namentlich die karolingischen Quellen, sind
jetzt schon wieder sehr veraltet. Den lateinischen Geschichtschrei-
bern haben sich die deutschen Chroniken des 12. — 13. Jahrhunderts
in 4'|2 Bänden angeschlossen und als Nebenpartie die Schritten über
den Investiturstreit. Von den Leges besitzen wir sämtliche Volks-
rechte, mit Ausnahme der Salica , zum Teil in zweiten Ausgaben.
Eine überaus wertvolle Ergänzung bildet die Sammlung der For-
meln von K. Z e u m e r. Die Eeichsgesetze reichen in der ersten
Ausgabe bis 1313, in der neuen Bearbeitung, welche bis zum Ende
der Karolinger Boretius und Krause (f 1896), von da an
Weiland (f 1895) und Schwalm unternahmen, von den Mero-
wingern bis zum Zwischenreiche. Sie werden durch die merowingi-
schen Synoden ergänzt. Von den Diplomata sind aul'ser dem Ab-
druck der Merowinger von K. Pertz die Urkunden Karls des
Grofsen vollendet und die des Deutschen Reiches von Konrad I.
bis auf Heinrich II. Die Abteilung der Briefe begann mit dem
Registrum Gregorii, welches nach dem frühen Tode P. Ewalds
(t 1887) L. Hartmann zum Abschlufs gebracht hat^), es folgen
die merowingischen von Gundlach und die karolingischen bis in
die Mitte des 9. Jahrhunderts, daneben in 3 Bänden die von Roden-
berg aus den päpstlichen Registern des 13. Jahrhunderts ausge-
wählten Stücke. Von den Antiquitates wurden bisher 3'/2 Bände
Gedichte der karolingischen Zeit veröffentlicht, zudem 2 Bände
Necrologia Germaniae und einer mit Verbrüderungsbüchern. Mit
Ausschlufs der Kaiserurkunden und Deutschen Chroniken ist die
lateinische Sprache für alle diese Publikationen beibehalten worden.
Werfen wir nun einen Blick auf die Art der Ausführung, so
treten uns besonders zwei Hauptprinzipien entgegen, welche im Ver-
gleich mit den älteren Sammlungen einen bedeutenden Fortschritt
bezeugen: die genaue philologische Wortkritik und die strenge
Sichtung des Inhalts mit Bezug auf Herkunft und Glaubwürdigkeit
der Nachrichten.
^) Vgl. NA. XV, 527 — 549 und die Rezensionen Seckels in Sybels
Hist. Zeitschr. LXXVI, 111. LXXIX, 90. LXXXVII, 293.
28 Einleitung § 4.
Zum erstenmal sind hier die mittelalterlichen Schriftsteller mit
einer Genauigkeit behandelt, wie sie früher nur klassischen Autoren
zugewandt wurde. Von Anfang an wurde der Grundsatz aufgestellt
und in der Regel auch befolgt, für jeden Schriftsteller alle erreich-
baren handschriftlichen Hilfsmittel zusammenzubringen, ohne Rück-
sicht auf die Fehler früherer Drucke nur die beste Handschrift zu
Grunde zu legen, und durch Vergleichung der übrigen die mög-
lichste Reinheit und Sicherheit des Textes zu erzielen.
Wenn auch durch frühere Sorglosigkeit, durch die Verwüstungen
der Bauernkriege und die stürmischen Zeiten am Ende des 18. Jahr-
hunderts viel zu Grunde gegangen ist, so hat sich doch, wie die
unternommenen Reisen nach und nach ergaben, mehr erhalten, als
man irgend erwartet hatte. Und wenn auch jetzt so manche Hand-
schi'ift vermifst wird, welche den Maurinern noch vorlag, so bietet
dagegen unsere Zeit den Vorteil, dafs fast alle Bibliotheken und
Archive der wissenschaftlichen Forschung zugänglich sind, während
jene noch häufig über die eifersüchtige Verweigerung des Eintritts
Klage führten. Hat doch selbst Mabillon in Salzburg, so festlich
er auch dort empfangen wurde, keine Handschrift zu sehen be-
kommen ^). Auch durch die in neuerer Zeit zahlreich gedruckten
Handschriftenkataloge, ebenso wie durch die immer allgemeiner
werdende Versendung von Handschriften , sind diese Forschungen
ungemein erleichtert worden.
Von nicht geringerer Wichtigkeit als die Korrektheit der Texte
ist aber zweitens die genaue kritische Analyse der Quellen. Nicht
nur sind dadurch mehrere früher allgemein benutzte Schriften als
untergeschoben gänzlich ausgeschieden worden , sondern auch die
echten Chronisten werden erst dadurch dem Geschichtsforscher recht
brauchbar, dafs ihm auf den ersten Blick entgegentritt, was jedem
eigentümlich, was von anderen entlehnt ist, und woher er es ent-
nommen hat. Zuerst in der Ausgabe des Regino , und seit dem
vierten Bande der Scriptores in folgerechter Durchführung, wird
alles von anderen unmittelbar Entlehnte auch durch kleinen Druck
kenntlich gemacht, was die Benutzung ungemein erleichtert. Das
wird jeder zu würdigen wissen, welcher irgend Gelegenheit gehabt
hat, andere Sammlungen und Ausgaben zu benutzen, wo der ge-
wissenhafte Forscher diese Arbeit stets von neuem vornehmen mufs,
während freilich viele es sich leichter machen und ohne Unter-
scheidung gleichzeitige, spätere und abgeleitete Nachrichten benutzen..
') Vgl. darüber B. Pez, Thes. I. Diss. Isagog. p. V.
Die Monumenta Gemianiae. 29
Die Reihenfolge der Quellen ist im ganzen chronologisch,
und zwar in zwiefacher Weise, zuerst nach den angegebenen gröfseren
Perioden und dann wieder innerhalb der kleineren Abteilungen. In
einer solchen Periode werden nämlich zuerst die Annalen gegeben,
streng nach Jahren geordnete, oft gleichzeitige, in der Regel kurze
Aufzeichnungen '). Darauf folgen die Chroniken und Geschichten,
welche zum Teil noch die annalistische Form beibehalten, doch nur
als äufseres Gerüst, denn sie sind meistens nicht gleichzeitig und
unterbrochen, sondern zusammenhängend, im Rückblick auf einen
gröfseren Zeitraum aufgezeichnet, und versuchen, über die blol'se
Aufzeichnung der Thatsachen hinausgehend, deren pragmatische Ver-
bindung und innere Entwicklung nachzuweisen. Den allgemeineren
Werken dieser Art schliefsen sich die Lokalchroniken an, deren wir
aus der älteren Zeit manche von Klöstern und Bistümern besitzen,
während später die Chroniken der Länder und Städte beginnen, und
allmählich ganz das Uebergewicht gewinnen. Den Schlufs bilden
die Biographieen und kleineren Erzählungen verschiedener Art,
welche nebst den Lokalchroniken in das lebendige Treiben der Zeit
einführen, und denen wir gröfstenteils das Fleisch und Blut zu dem
dürren Gerippe der Annalen verdanken.
Es versteht sich von selbst, dafs diese Gattungen durch keine
scharfen Grenzen gesondert sind, und manches Stück so sehr in der
Mitte steht, dafs es nur nach zufälligen Umständen hier oder dort
seine Stelle findet.
Innerhalb dieser Kategorieen ist die Anordnung wiederum chro-
nologisch, nach dem Endjahr, doch wird dieser Grundsatz nicht
pedantisch durchgeführt, sondern durch mancherlei Rücksichten be-
einträchtigt. Nicht nur wird nachträglich mitgeteilt, was während
der Arbeit neu entdeckt wird, sondern es bleibt auch oft das
Gleichartige zusammen. Namentlich wird die Fortsetzung nicht
vom Hauptwerk getrennt, wenn sie nicht ganz selbständiger Art
ist. So sind die Casus S. Galli bis 1233 beisammen geblieben, und
Sigebert mit seinen Fortsetzern, so auch Cosmas und die öster-
reichischen wie die schwäbischen Annalen.
Dom Bouquet und seine ersten Fortsetzer haben das entgegen-
gesetzte Prinzip verfolgt. Sie gaben zu jeder Periode alles darauf
Bezügliche aus allen Schriftstellern , wodurch scheinbar ein grofser
Vorteil für den Geschichtschreiber erreicht wird, da er seinen
*) In den späteren Bänden unter der Leitung von Pertz ist der Be-
griff der Annalen immer weiter und, wie mir scheint, übermäfsig aus-
gedehnt, z. B. auf Albert von Stade. Vincenz von Prag.
30 Einleitung § 4.
ganzen Stoff übersichtlich vor Augen hat. Dagegen aber wird es
ihm aufserordentlich schwer, ja unmöglich, ein kritisches Urteil
über die Quellen zu gewinnen, weil er sie nirgends vollständig bei-
sammen hat; und doch kommt bei der geschichtlichen Forschung
gerade darauf so viel an : es ist wenig damit gewonnen , die aus
dem Zusammenhange gerissenen Worte einer historischen Nachricht
zu haben, wenn man nicht weifs, wie viel Glauben der Schriftsteller
verdient, und wie die ganze Art und Weise seiner Auffassung und
Darstellung beschaffen ist.
Während nun bei Bouquet z. B. der Sigebert in viele Bände
verteilt ist, bleibt in den Mon. Germ, jeder Schriftsteller so viel
wie möglich in seiner Ganzheit; man hat auch nicht, wie Stenzel
früher vorschlug, dasjenige weggelassen, was der Verfasser nur aus
anderen bekannten Quellen entlehnt hat; sondern man hat es we-
nigstens bei den bedeutenderen Schriftstellern vorgezogen , diese
Teile nur durch kleineren Druck kenntlich zu machen, weil es für
uns auch von Wichtigkeit ist zu wissen, wie die Schriftsteller der
Zeit die Vergangenheit behandelten, aus welchen abgeleiteten Quellen
die Folgezeit ihre Kenntnis schöpfte, und wie auf diese Weise die
Kunde der Geschichte allmählich verengt und entstellt wurde. So
hat z. B. die Chronik des Martin von Troppau fast gar keinen
selbständigen Wert, aber sein Compendium der Papst- und Kaiser-
geschichte ist nichtsdestoweniger sehr wichtig, weil es jahrhunderte-
lang die Hauptquelle der Geschichtskenntnis blieb.
In manchen Fällen jedoch war es nicht ratsam oder thunlich,
die ganzen Werke aufzunehmen, und dann hat man sich auf Aus-
züge notgedrungen beschränkt; wenn nämlich die Hauptmasse der
deutschen Geschichte fern liegt , fremde Länder oder zu entlegene
Zeiten betrifft, wenn zwischen theologischen und anderen Betrach-
tungen sich nur vereinzelt geschichtliche Nachrichten finden , oder
wenn eine wüste Kompilation vorlag, welche keinen Anspruch
darauf machen kann , als litterarisches Erzeugnis behandelt zu
werden. Deutsche Hauptschriftsteller dagegen , welche durch ihre
ganze Persönlichkeit bedeutend sind, haben ein wohlbegründetes
Recht darauf, in ihrer ganzen Eigenart aufgefafst zu werden, und
Männern wie Otto von Freising darf man ihre Werke nicht ver-
stümmeln ').
') Sehr verständig äufsert sich darüber am 21. Jan. IS'Jl Herr von
Buchholz in Wien, der mit lebhafter Teilnahme dem Unternehmen zuge-
wandt war, Archiv III, 327, und schon früher E. M. Arndt in Steins Leben
VI, 2. 129; vgl. V, 273. 366. Ebenso auch Niebuhr, Arch. V, 729.
Die Monumenta Germaniae. 31
Von auswärtigen Geschichtsquellen sind von Anfang an nicht
selten Auszüge mitgeteilt; in der Periode der Staufer haben diese
einen weiten Umfang gewonnen. Es bedarf zu ihrer Bearbeitung
einer sehr grofsen Mühe voll Selbstverleugnung, da gewöhnlich
zur Gewinnung der Auszüge das ganze Werk kritisch untersucht
werden mufste. Für die Benutzung aber ist bei der oft schwierigen
Zugänglichkeit der Ausgaben diese Zusammenstellung eine grofse
Wohlthat, und ein gegen dieses ganze Verfahren gerichteter An-
griff hat deshalb von vielen Seiten eine scharfe Zurückweisung
hervorgerufen; es genügt hier, auf die Schrift von 0. Holder-
Egger zu verweisen: „Die I\lonumenta Germaniae und ihr neuester
Kritiker" (Hann. 1888)').
Von manchen der bedeutenderen Quellen sind nun neben der
grofsen Sammlung auch Oktav ausgaben erschienen, ursprüng-
lich ohne den kritischen Apparat, jetzt aber mit demselben. Auch
werden in dieser Form neue verbessei'te Ausgaben veranstaltet und
einzelne ferner liegende Quellen vorläufig mitgeteilt.
lieber diesen ganzen reichhaltigen , aber wegen verschiedener
Umstände nicht systematisch geordneten und schwer zu übersehen-
den Inhalt gewährt bis 1890 ein ungemein dankenswertes Reper-
torium die vortrefflichste Uebersicht, gemeinschaftlich verfafst
von 0. Holder-Egger und K. Zeumer-).
Sehr zu raten ist , die wichtigeren , jetzt so leicht zugänglich
gemachten Quellenschriften auch wirklich durchzulesen , weil das
blofse Nachschlagen und Benutzen einzelner Stellen zu so vielen
Irrtümern und Mifsverständnissen Anlafs gibt, und nur das Lesen
im Zusammenhange die richtige Anschauung gewährt; erst dadurch
gewinnt man ein lebendiges Bild von den einzelnen Schriftstellern,
wie von der ganzen Zeit und der damals herrschenden Art der
Anschauung und Auffassung.
Noch leichter wird vielleicht in manchen Fällen dieser Zweck
erreicht durch die schon von Stein gewünschten ') U e b e r-
setzungen, aus denen uns der Inhalt der Schriften weit reiner
entgegentritt, indem der Leser hier nicht durch die einzelnen
Schwierigkeiten beschäftigt wird , die sonst leicht seine Aufmerk-
1) Vgl. Weiland in Sybels bist. Zeitschr. LVIII, 310—335.
') Indices eorum quae in Monumentorum Germaniae historicorum
tomis huiusque editis continentur. Hannov. et Berol. 1890. 4.
^) In einem Brief an Büehler vom 23. Juli 1827. Steins Leben VI,
1, 415 (vgl. jedoch V, 491). Böhmer legte der Zentraldirektion den Plan
zu einer solchen Sammlung vor, s. Janssen, Böhmers Leben S. 129.
32 Einleitung § 4. 5.
samkeit zerstreuen. Auch wird man durch die üebei'setzungen
nicht selten auf Stellen aufmerksam gemacht, die man früher über-
sah, und wenn die üebersetzung gelungen ist, bietet sie kein un-
bedeutendes Hilfsmittel dar zum richtigen Verständnis des Textes,
welches häufig gar nicht so leicht ist, wie der erste Anschein
glauben läfst. Denn das mittelalterliche Latein hat viel Eigentüm-
liches, und nicht nur in diese Sprache überhaupt, auch in den
Sprachgebrauch der einzelnen Schriftsteller mui's man sich erst mit
Sorgfalt hineinlesen, um ihn ganz zu verstehen. Man hat begonnen,
die Besonderheiten dieses Lateins, welches nicht eine Entartung,
sondern eine selbständige Weiterbildung darstellt, mit philologischer
Methode zu erforschen und dem kunstvollen Rhythmus des Satz-
baus nachzugehen '), wodurch der Kritik neue Handhaben gewonnen
werden.
Die Wichtigkeit der seit 1847 unter dem Titel der Geschicht-
schreiber der deutschen Vorzeit erscheinenden Sammlung
von Uebersetzungen ist unverkennbar, aber die Ausführung liefs
viel zu wünschen übrig. Die üngleichartigkeit der einzelnen Ar-
beiten liefs den Mangel einer eigentlichen Leitung sehr empfinden,
und manche üebersetzung war voll von Fehlern. Von den auf dem
Titel genannten berühmten Namen hatte nur Pertz sich der Sache
wirklich angenommen, doch begreiflicherweise nur als einer Neben-
sache. Seit 1878 übernahm Watten b ach die Führung, setzte die
Sammlung fort und liefs eine chronologisch fortschreitende neue
Bearbeitung erscheinen , deren Uebersicht man bei Potthast,
2. Aufl., I, S. LXXIV f. findet.
§ 5. Andere Arbeiten des 19. Jahrhunderts.
In weiten Kreisen hat das Unternehmen der Monumenta Ger-
maniae anspornend gewirkt, es hat als Vorbild gedient in Turin und
in England ; aber andererseits wurde es auch befördert durch man-
cherlei Bestrebungen verwandter Art und durch die lebhafte Auf-
merksamkeit, welche überhaupt für das Mittelalter einmal erweckt
war und bald zu den gediegensten Untersuchungen führte. Raumer,
Ranke, Stenzel wirkten in anregendster Weise sowohl mündlich
wie schriftlich. Schon 1813 erschien von Fr. v. Raumer das Hand-
buch merkwürdiger Stellen aus den lateinischen Geschichtschreibern
') S. A\'. Meyer, Die rhythm. lat. Prosa in den Götting. Gel. Anz.
1893, 1 flf-. V. Winterfeld. Rhein. Museum für Philol. LVIl, 167.
Arbeiten des 19. Jahrhunderts. 33
des ^littelalters , und die Geschichte der Hohenstaufen (1824) gab
das Beispiel einer lebendigen Benutzung der Quellen , einer auf
Leben, Verfassung, Sitte eingehenden Darstellung, welche nicht für
den Gelehrten allein geschrieben ist. Ranke stellte in seiner Schrift
Ztir Krifik neuerer GescJncJitschrciher, welche 1824 als Beilage zu
seinen Romanischen und Germaniseben Geschichten erschien, das
trefflichste Muster der Quellenkritik auf), während seine prak-
tischen Hebungen, aus denen die Jahrbücher des Deutschen Reichs
unter den sächsischen Kaisern hervorgegangen sind, die Mehrzahl
der älteren Mitarbeiter an den Monumenten ausgebildet haben.
Sein wirksamster Fortsetzer war in dieser Richtung sein Schüler
Waitz, dessen historische Hebungen in seiner langjährigen Göttinger
Thätigkeit eine wahre Brutstätte für kritische Quellenuntersucbungen
wurden ').
Stenzel gab in seiner Geschichte der fränkischen Kaiser 1828
eine rein nach Originalquellen gearbeitete Darstellung, welche um
so bewundernswerter erscheint, wenn man den damaligen Zustand
der Quellen und den Mangel an guten Hilfsmitteln und Vorarbeiten
bedenkt. Vorzüglich aber enthält der zweite Band treffliche Unter-
suchungen über einzelne Geschichtsquellen dieser Zeit, und eine
ausgezeichnete Abhandlung über die bei ihrer Behandlung festzu-
haltenden Grundsätze.
Seitdem haben sich diese Bestrebungen in immer weiteren
Kreisen verbi*eitet; aller Orten sind historische Vereine thätig für
die Bearbeitung der vorherrschend landschaftlichen Quellen. Eine
Zeitlang war man vielfach geneigt, alles von den Herausgebern der
Monumenta zu erwarten, allein bald erkannte man doch, dafs diese
die späteren Zeiten noch lange nicht erreichen werden , und dafs
auch, je mehr mit der Zeit der Stoff anwächst und sich zersplittert,
desto weniger alles ohne Ausnahme Aufnahme finden kann. Sehr
zweckmäfsig ist es daher, dafs man angefangen hat, die Quellen
einzelner Gegenden selbständig herauszugeben , wobei dann auch
das spätere Mittelalter und das 16. Jahrhundert mehr Berücksich-
tigung gefunden haben. So erschienen von Mone die badischen
Geschichtsquellen, von Grautoff die lübischen, von Lappenberg
die bremischen, hamburgischen, holsteinischen, von Stenzel die
schlesischen , von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz
M Neue Ausgabe 1874: Ges. Werke XXXIV. Vgl. G. Waitz in den
Nachrichten von der G. A. Universität 1855, N. 14.
^) S. Die Jubelfeier der histor. Uebungen zu Göttingen am 1. Aug.
1874, Bericht des Festkomitees.
Watt enb ach, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 3
34 Einleitung. § 5.
die Lausitzer'), von Ficker, Cornelius, Janssen, Diekamp
die münsterischen, von Endlicher die ungrischen, Fontes rerum
Austriacarum von der Wiener Akademie (53 Bände) , Quellen zur
Schweizerischen Geschichte von der allgemeinen geschichtsforschenden
Gesellschaft der Schweiz, vielfach sind aufserdem einzelne Quellen-
schriften abgesondert herausgegeben. In Böhmen, wo schon früher
eine rege Thätigkeit auf diesem Felde entfaltet war, legte Palacky
durch seine Würdigung der böhmischen Geschichtschreiber den Grund
zu einer erneuten kritischen Beai'beitung, und 1853 ei'schien von
M. Toppen die Geschichte der preufsischen Historiographie , als
Vorläufer und Keim der ausgezeichneten Sammlung der Scriptores
Herum Prussicarum, welche jetzt in fünf Bänden vollendet vor-
liegt. Fortgeführt werden diese Bestrebungen jetzt vorzüglich durch
die historischen Kommissionen für einzelne deutsche Landschaften,
so für die Provinz Sachsen und Anhalt, die älteste seit 1876
(39 Bände), für Rheinland, Westfalen, Hessen - Nassau , Baden,
Württemberg, das Königreich Sachsen u. s. w. , höhere Potenzen
gleichsam der einzelnen historischen Vereine. Die Städtechro-
niken, ein ebenso wichtiges wie schwieriges Gebiet, hat die
Münchener historische Kommission unter ihre Aufgaben aufgenom-
men, und unter Karl v. Hegels Leitung (f 1901) sind bereits
27 Bände erschienen.
üeber das viele Material, welches in periodischen Schriften, be-
sonders in den Zeitschriften der historischen Vereine niedergelegt
ist, orientiert für die ältere Zeit das Repertorium von Walt her
1845 und das neuere und zugleich umfassendere von Koner (1856).
Eine weitere Foi'tsetzung fehlt leider.
Doch noch eines Mannes haben wir zu gedenken , der allein
mehr gewirkt hat, als die meisten Vereine, und von dem sich der
anregendste lebendigste Einflufs nach allen Seiten verbreitete. Joh.
Fr. Böhmer, Bibliothekar in Frankfurt a. M. und mit Pertz
Direktor der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde ^),
^) Da gegenwärtig die Schreibart solcher Fonnen mit kleinem An-
fangsbuchstaben durchaus herrschend ist, so scheint es nicht überflüssig,
auf J. Grimms Kl. Schriften V, 380 zu verweisen: „Ein grobes versehn,
dessen sich heutzutage fast alle . . . schuldig machen, ist es in den redens-
arten Pariser vertrag, Berliner belagerungszustand und zahllosen andern
den vorausgesetzten, freilich ungefühlten gen. pl. für ein adjectiv zu
halten .... Wenn doch einmal grosze Buchstaben gelten sollen, dürfen
am allerwenigsten sie solchen appellativen fehlen."
^) üeber seinen Anteil s. Janssen, Böhmers Leben 1, 122 ff. Allg. D.
Biogr. JII, 76—78, von Wattenbach.
Johann Friedrich Böhmer. 35
hatte anfangs die Redaktion der Abteilung der Kaiserurkunden
übernommen , diese aber später wieder aufgegeben , und sich auf
die ursprünglich als Vorarbeit dafür begonnenen Regesten beschrünkt.
Diese haben in den neueren Bearbeitungen immer weitere Ausdeh-
nung erhalten: die kurzen Urkundenauszüge sind vollständiger ge-
worden und durch Auszüge aus den Geschichtschreibern und Annalen
in Verbindung gebracht; das ganze historische Material einer Periode
wird dem Geschichtsforscher geordnet vor Augen gelegt und in den
Einleitungen die Quellen besprochen und gewürdigt. Der zuerst
erschienene Teil, von !'19 — 1197, bedurfte begreiflicherweise auch
zuerst der Berichtigung und Ergänzung. Diese Aufgabe stellte sich
K. F. Stumpf- Brentano in seinem Werke: „Die Reichskanzler
vornehmlich des 10., 11. und 12. Jahrhunderts", dessen Abschlufs
J. Ficker nach dem frühen Tode des Verfassers (f 1882) in der Weise
besorgte, dafs durch Aufnahme von Böhmers Citaten das Buch
selbständig geworden ist, und man der alten Regesten nicht mehr
bedarf. Aufserdem aber ist als Vermächtnis Böhmers eine Neu-
bearbeitung des ganzen Regesten Werkes in erweiterter Form in An-
griff genommen, wovon die Regesten der Karolinger von E. Mühl-
bacher (I), zum Teil schon in 2. Auflage, und die der Staufer
von 1198 — 1272, von Ficker und Winkelmann (V. VI.) und
der erste Teil des sächsischen Hauses von E. v. Ottenthai (IL),
ihrer Vollendung entgegengehen.
Neben dieser, für die historischen Studien unendlich frucht-
reichen Arbeit wurde Böhmer durch die Verwahrlosung der
späteren Chroniken und den Besitz an reichem, aus Handschriften
gewonnenem Stoff veranlafst, in den drei Bänden seiner Fontes
Beruw Germanicaruni auch eine eigene handliche Quellensammlung
erscheinen zu lassen, welche, wenn gleich ohne kritischen Apparat,
für das 12. — 14. Jahrhundert von ausgezeichnetem Werte ist. Mit
mannigfachen Entwürfen beschäftigt, die nicht mehr zur Ausführung
kamen, ist Böhmer am 22. Oktober 1863 in Frankfurt gestorben;
in seinem letzten Willen hat er für die geeignete Verwertung seines
handschriftlichen Nachlasses und die Fortführung seiner Arbeiten
Fürsorge getroffen. Auch wurde bereits durch Alfons Huber
der vierte Band der Fontes herausgegeben, während eine grol'se
Fülle von wertvollem, urkundlichem Material durch Julius Ficker
in den Acta leperii SeJecta verwertet ist. Aufser der schon er-
wähnten Neubearbeitung der Kaiser-Regesten aber sind von A. H u b e r
die Regesten Karls IV., von C. Will in 2 Bänden die Regesten
der Mainzer Erzbischöfe , jetzt von H o h 1 b a u m fortgesetzt , als
36 Einleitung. § 'j.
Teile dieses grofsen Corpus erschienen. Alt mann hat sich mit
den Regesten Sigismunds angeschlossen.
Eine umfassendere Quellensammlung von strengerem wissen-
schaftlichem Charakter und mehr methodischer Art verdanken wir
Philipp Jaffe, lange Zeit (1854 — 1863) einem der vorzüglichsten
Mitarbeiter der Monumenta'). Von diesen zurücktretend, begann
Jaffe ein selbständiges Unternehmen unter dem Titel Bibliotheca
Herum Germanicarum. Hinweisend auf den langsamen Fortgang
der Monumenta Germaniae, auf die nach 40 Jahren noch gänzlich
fehlenden drei Abteilungen der Urkunden, Briefe und Altertümer,
gab der Herausgeber als seinen Zweck an , Quellen verschiedener
Art, vorzüglich solche, welche in den Monumenten fehlen, zu ein-
zelnen auch in sich abgerundeten Gruppen zu vereinigen, so dal's
ein Ort, eine bedeutende Persönlichkeit oder ein wichtiger Zeitraum
den Mittelpunkt bilde. So sind zuerst 1864 Monumenfa Corbeiensia
erschienen, welche mit einer berichtigten Ausgabe der Annalen und
anderer kleinerer Stücke die lange begehrten Briefe Wibalds ver-
binden, und schon 1865 folgten Monumenta Gregoriana, die erste
kritische Ausgabe der Briefe Gregors VII. nebst Bonithos v. Sutri
liber ad amicum. Trefflichkeit der Arbeit mit sauberer Ausstattung
und handlichem Format verbindend , hat dieses neue Unternehmen
übei-all freudige Aufnahme gefunden. In rascher Folge erschienen
noch drei Bände, welche als Hauptstücke die Bonifazische Brief-
sammlung, den Codex Carolinus nebst Einhards Briefen und den
Codex Udalrici brachten, bis ein plötzlicher Tod am 3. April 1870
der rastlosen Arbeit des Herausgebers ein Ziel setzte. Wie gewaltig
diese Arbeit gewesen war, das wissen am besten diejenigen zu
schätzen, welche den begonnenen sechsten Band vollendet haben,
dessen Hauptinhalt die Briefe Alcvins bilden.
Nicht unerwähnt darf hier auch Jaffes älteres Werk bleiben, die
Begesta Pontificum Bomanorum bis zum Jahr 1198. Im Jahr 1851
erschienen , ist es seitdem als unentbehrliches Hilfsmittel überall
verbreitet und in seinem hohen Werte anerkannt. Was bis dahin
wohl lebhaft gewünscht war, aber nur durch gemeinschaftliche Ar-
beit einer gelehrten Körperschaft erreichbar schien, gewährt hier
der eiserne Fleil's und die umfassende Gelehrsamkeit des einzelnen
Mannes. Für den uns zunächst vorliegenden Zweck ist dieses Werk
insofern von Bedeutung, als es wegen der Berücksichtigung von
Chronisten und Biographieen auch einen Wegweiser durch die Lit-
') S. über ihn Allg. D. Biogr. XIIT, 636—642 von A. Dove.
Philipp Jaffe. Zur Quellenkunde. 37
teratur der Papstgeschichte darbietet. Diese ist in neuerer Zeit
noch durch eine umfassende Sammlung bereichert worden , durch
Watterichs Ausgabe der Ponfificui)! Ronianoruw Vifac von 872
bis 1198; der versprochene dritte Band bis auf Gregor X. fehlt.
Nicht eben einverstanden mit • der Zusammenhäufung abgerissener
Bruchstücke, verkennen wir doch nicht die Verdienstlichkeit dieser
mühsamen Arbeit und werden sie noch öfter zu erwähnen haben.
Die weitere Fortführung der Regesten bis 1304 verdanken wir
August Potthast.
Von Jaffes Regesten aber ist unter Wattenbachs Leitung in
2 Bänden 1885 — 1888 eine neue, sehr vermehrte Ausgabe er-
schienen, von welcher der erste Teil bis 590 von F. Kalte n-
brunner, der zweite bis 882 von P. Ewald, der Hauptteil von
882 bis 1198 von S. Löwenfeld bearbeitet sind.
Eine ungemeine Erweiterung und zugleich kritische Durch-
forschung des Stoffes steht diesem Gebiete durch die von Paul
Kehr im Auftrage der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften
unternommene Sammlung der Papsturkunden bis 1198 bevor:
von seinen bedeutenden Erfolgen in Italien geben (seit 1896) die
Reiseberichte in den Gott. Gel. Anz. Zeugnis.
Es bleibt noch übrig, einige Worte über ältere Arbeiten auf
dem uns vorliegenden Gebiete hinzuzufügen. Das Bedürfnis einer
Darstellung der historiographischen Entwickelung des deutschen
Mittelalters machte sich seit der immer wachsenden Beschäftigung
mit diesem Zeiträume stets dringender geltend. Ludwig Wachlers
kurze Skizze im Eingange seiner „Geschichte der historischen For-
schung und Kunst" (Gott. 1812) verdient als erster Versuch Er-
wähnung, kann aber doch jetzt nur noch dazu dienen, die seitdem
gemachten Fortschritte recht lebhaft empfinden zu lassen, während
das eigentliche Hauptwerk auch jetzt noch brauchbar ist. Will-
kommen als übei-sichtliches Hilfsmittel war Dahlmanns „Quellen-
kunde der deutschen Geschichte nach Folge der Begebenheiten",
zuerst 1830, dann 1838 in zweiter Ausgabe erschienen; 1869 in
dritter, 1875 in vierter, 1883 in fünfter Ausgabe durch G. Waitz,
1896 durch E. Steindorff neu bearbeitet und bedeutend vermehrt,
ist diese Quellenkunde als eine überaus dankenswerte Gabe zu be-
trachten, aber Darstellung liegt dem Plane des Buches fern ')•
') Ein Seitenstück zu diesem Werke für Frankreich lieferte G. M o n o d,
Bibliographie de l'hist. de France, Paris 1888.
3g Einleitung. § 5.
Recht verdienstlich war es, dafs F. Baehr, seine Geschichte
der römischen Litteratur über die gewöhnliche Grenze fortführend,
1836 die christlichen Dichter und Geschichtschreiber Roms, 1837
die theologische Litteratur hinzufügte, 1840 die Geschichte der
römischen Litteratur im karolingischen Zeitalter, hauptsächlich nach
der Hist. liter. de la France, folgen liefs, mit derselben Gelehrsamkeit
und Sorgfalt gearbeitet, welche das ganze Werk auszeichnet. Die
neue Ausgabe wurde leider durch den Tod des Verfassers unter-
brochen und nur die erste Abteilung des vierten Bandes (Die christ-
lichen Dichter und Geschichtschreiber bis auf Paulus Diaconus) ist
1872 in zweiter Ausgabe erschienen. Nicht minder umfassend ist
die jetzt schon in fünfter Auflage (1890) vorliegende ausgezeichnete
Geschichte der römischen Litteratur -.on W. S. Teuf fei (besorgt
von L. Schwabe). 1837 erschienen ,Die Geschichtschreiber der
sächsischen Kaiserzeit" von Contzen, der sich durch die falschen
Corveyer Quellen irre führen liefs; was sonst etwa für jene Zeit
Brauchbares in der Schrift enthalten war, ist durch die inzwischen
erschienenen neuen Ausgaben der betreffenden Schriftsteller voll-
kommen veraltet. Auf einen anderen Abweg war L. Haeusser
geraten, indem er durch die von Schlosser ihm mitgeteilten Briefe
des Herrn Galiffe in Genf) sich verleiten liefs, auf dessen wunder-
liche Ideen von systematischer Fälschung der Quellen in grofsem
Umfange einzugehen. Freilich bewahrte ihn sein richtiger kriti-
scher Sinn vor völliger Zustimmung, doch ist er noch immer ge-
neigt, den Behauptungen Galiffes zu grofse Bedeutung beizulegen.
Üebrigens enthält diese Schrift „Ueber die Teutschen Geschicht-
schreiber vom Anfang des Frankenreichs bis auf die Hohenstaufen "
(Heid. 1839) manche treffende Bemerkung, beruht aber auf zu un-
genügenden Studien, um das vorgesteckte Ziel erreichen zu können.
Haeusser war damals noch Lehrer in Wertheim ; er hat sich später
anderen Gebieten zugewandt und diesen Gegenstand nicht wieder
berührt.
Noch war die Lage der Dinge so, dafs fast nur in dem Kreise
der Mitarbeiter an den Monumenta Germaniae die hinlängliche
Vertrautheit mit dem ganzen Quellengebiet erreichbar war, welche
die Lösung der vorliegenden Aufgabe möglich machte. Von hier
aus trat nun G. Waitz mit einer Arbeit auf, welche zuerst ein
bleibendes Verdienst in Anspruch nehmen kann. In Kiel gehaltene
') Diese Briefe sind nur autographiert vorhanden; vgl. die Lob-
preisung: Notice sur la vie et les travaux de J. A. Galiffe (Geneve 1856)
S. 56.
Bearbeitungen der Quellenkunde. 39
Vorträge weiter ausführend, gab er 1844 und 1845 in W. A. Schmidts
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 11, 39— 58,97— 114, IV, 97— 112
„Ueber die Entwickelung der deutschen Historiographie im Mittel-
alter" eine Darstellung, welche als grundlegend auf diesem Gebiete
betrachtet werden mufs, und lange Zeit für diese Studien das vor-
züglichste Hilfsmittel blieb. Die Absicht, den Gegenstand in einem
grölseren Werke eingehender zu behandeln , brachte Waitz jedoch
nicht zur Ausführung und suchte dagegen durch eine 1853 von
der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften gestellte Preisfrage
eine Bearbeitung von andrer Hand hervorzurufen ')• Schon früher
mit dem Plane eines solchen Werkes beschäftigt, nahm Watten-
bach hiervon Veranlassung zu der 1858 erschienenen ersten Auflage
des vorliegenden Buches, welchem 1866 die zweite, 1873 die dritte,
1877 die vierte, 1885 die fünfte, 1892 die sechste folgten. Eine
nützliche und willkommene Ergänzung desselben gewähren die von
W. V. Giesebrecht in seiner „Geschichte der deutschen Kaiser-
zeit" mit den einzelnen Abschnitten verbundenen Uebersichten der
Quellen und Hilfsmittel, welche von anderem Gesichtspunkt aus-
gehen und über manche Quellenschriften sehr lehrreiche Bemer-
kungen enthalten. Untersuchungen über einzelne Geschichtsquellen
sind in reicher Fülle erschienen ; sie werden in dieser neuen Aus-
gabe berücksichtigt werden , soweit sie in den betreffenden Zeit-
raum gehören. Um darüber hinauszugehen, würde ein Studium
der Quellen allein kaum ausreichen ; es war fast unerläfslich, dafs.
wer eine solche Aufgabe lösen wollte, selbständig innerhalb dieses
Zeitraums gearbeitet habe. Sehr erfreulich war es daher, dafs
Ottokar Lorenz, der Verfasser der freilich leider unvollendeten
„Deutschen Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert", sich entschlofs,
diese gerade ihm so nahe liegende Arbeit zu unternehmen. Zuerst
1870 im Anschlufs an dies Werk erschienen, hat auch sein Buch
1876 eine zweite Auflage erlebt, in welcher es durchgängig ver-
mehrt, verbessert und bis zum Ausgange des Mittelaltei's fortgeführt
ist. 1886 erschien die dritte Auflage in Verbindung mit Dr. Ar-
thur Goldmann.
Einen populären Ueberblick ohne gelehrte Nachweisungen be-
absichtigt Vildhaut, Handbuch der Quellenkunde zur Deutschen
Geschichte bis zum Ausgange der Staufer, Arnsberg 1898, fort-
ofesetzt in einem zweiten Bändchen. Hierher gehört auch W. Gund-
^) S. das Urteil darüber in den Gott. Nachrichten von 1856, S. 268
bis 295.
40 Einleitung. § 5.
lach, Heldenlieder der deutschen Kaiserzeit aus dem Lateinischen
übersetzt, an zeitgenössischen Berichten erläutert und eingeleitet
durch Uebersiehten über die Entwickelung der deutschen Geschicht-
schreibung im 10., 11. und 12. Jahrhundert zur Ergänzung der
deutschen Litteraturgeschichten und zur Einführung in die Ge-
schichtswissenschaft. 1. Hrotsvithas Otto -Lied, Innsbruck 1894.
2. Der Sang vom Sachsenkriege, 1896. 3. Barbarossalieder, 1899.
Ein übersichtliches und kurz gefasstes Nachschlagebuch, welches
auch die römische Zeit einschliefst, lieferte soeben Aug. Molinier
in den Sources de l'histoire de France. I (Paris 1902). Epoque
primitive, Merovingiens et Carolingiens (also bis 987 reichend).
Wenn auch für Frankreich bestimmt, deckt es sich in diesen Ab-
schnitten grofsenteils mit unseren Geschichtsquellen. Ein verwandtes
Werk von Balz an i für Italien haben wir oben (S. 13, Anm. 3)
schon erwähnt ').
') Andrer Art, auch die Byzantiner, die Gesetze und Urkunden um-
fassend, ist die Schrift von ConstanzoRinaudo: Le fonti della storia
d'Italia della caduta dell' impero Romano d'Occidente all' invasione dei
Longobardi (476—568). Torino 1883.
I. Die Vorzeit.
Von den ersten Anfängen bis zur Herrschaft der Karolinger.
§ 1. Die Rom er zeit. Legenden.
Tacitus berichtet uns, dafs noch zu seiner Zeit die Germanen in
ihren Liedern die Thaten des Arminius feierten'). Nicht unmög-
lich ist, dafs noch in den Dichtungen der deutschen Heldensage,
welche Karl der Grofse sammeln und aufschreiben liefs ^) , dieser
uralten Kämpfe gedacht wui'de: was uns von einheimischer Sage
erhalten ist, reicht nicht weit über die Zeiten Attilas hinauf, dessen
gewaltige Hand mit so übermächtiger Kraft alles zerschmetterte,
was ihm entgegentrat, dafs auch das Gedächtnis der früheren Zeit
erlosch. Von den Völkerschaften, deren Tacitus gedenkt, weifs die
Sage nichts; auch die gotischen und langobardischen Heldenlieder,
deren Inhalt uns zvim Teil erhalten ist, sind früh verklungen. Erman-
rich aber, Etzel, Dietrich von Bern und die Könige der Burgunden
lebten fort in der Erinnerung des Volks, die mit der Völkerwande-
rung abschlofs; wir haben die Lieder, welche von ihnen reden,
aber wie unbestimmt und nebelhaft sind ihre Gestalten geworden :
kaum erkennt man noch, ob es Menschen sind oder Götter. Das
ist die Natur der mündlichen Ueberlieferung , in der es nichts
Festes und Stätiges gibt, und schlimm würde es um unsere Kenntnis
der Geschichte stehen, wenn wir auf jene allein angewiesen wären.
') Ann. II, 88. Vgl. Wackernagel, Geschichte der deutschen Litte-
ratur, 2. Ausg. von Martin I, 8 ff.; W. Grimm, Deutsche Heldensage,
2. Ausg. (von Müllenhoff), Berlin 1867 (3. Aufl. von Steig 1889). Wolfg.
Lazius wollte in seinem Buche: De gentium aliquot migrationibus (Basel
15-57) das Nibelungenlied als geschichtliche Quelle benutzen und noch
Dümge den Waltharius an die Spitze der Mon. Germ, stellen !
2) Einh. V. Karoli c. 29.
42 I- Vorzeit. § 1. Römerzeit.
Kaiser Ludwig hatte keine Freude an den Liedern der Heimat,
welche er in seiner Kindheit erlernt hatte ^) ; mit heidnischen Vor-
stellungen und Anschauungen durchwoben, widerstrebten sie seinem
kirchlichen Sinne, und wie dieser Kaiser, so verhielt sich auch die
ganze Kirche feindlich gegen diese Sagendichtung, so grofse Freude
auch einzelne ihrer Diener daran haben mochten. Die Kirche
aber führte damals , und bald für lange Zeit aussehliefslich und
allein, den Griffel und die Feder, welche sie nicht entweihen wollte
durch die Aufzeichnungen halb heidnischer Gesänge; sie strebte
vielmehr dahin , auch auf dem Felde der Dichtkunst das Christen-
tum zum Siege zu führen. Wir gedenken jetzt mit vergeblicher
Sehnsucht der verlorenen Sammlung Karls des Grofsen ; allein die
Kirche, in welcher sich jahrhundertelang fast das ganze geistige
Leben des Volkes uns darstellt, hat für diesen Verlust auch reichen
Ersatz geboten, indem sie die wirkliche Geschichte der Zeit in
fester, zuverlässiger Aufzeichnung überlieferte, freilich sehr ein-
seitig ^), oft in dürrer und reizloser Form, aber um so treuer und
wahrhaftiger.
Vor der Bekehrung zum Christentum kann daher von ein-
heimischen Geschichtsquellen nicht die Rede sein ; von dem Deutsch-
land, welches Arminius' Heldenkampf dem römischen Einflüsse ent-
zogen hat , bringen uns nur die Werke der Römer und Griechen
spärliche Kunde, und diese zu berühren, liegt aufserhalb der Grenzen
unserer Aufgabe. Aber auch westlich vom Rheine, südlich von
der Donau und der Teufelsmauer (des limes transrhenanus) , liegt
gegenwärtig viel deutsches Land , wohnte auch unter der Römer-
herrschaft manch deutscher Stamm, und nicht ganz ist der Faden
zerrissen, welcher in diese Zeiten hinüberführt. Der Boden selber
redet zu uns in vernehmlicher Weise. Noch stehen in Trier die
gewaltigen Bauten der Römer; ihre Türme und Wälle, ihre Land-
strafsen und Gräber, die zahlreichen Inschriften, welche die ver-
schiedensten Verhältnisse des Lebens berühren, entrollen vor un-
seren Augen ein Bild jener Zeit, da das weltbeherrschende Volk
sich auch hier häuslich niedergelassen hatte und manche blühende
Stadt ein kleines Abbild der ewigen Roma darbot. Wir erkennen
noch ihre Kapitole, ihre Tempel, Theater und Gerichtshallen, ihre
Bäder und Villen, ihre Fabriken, deren Stempel auf den Trümmern
der Geräte deutlich zu lesen sind. Allein das alles liegt wie eine
') Thegani V. Lud. c. 19.
*) Vgl. hiezu d. treffenden Bemerkungen Varrentrapps, „Zur Geschichte
der Deutschen Kaiserzeit'' in Sybels bist. Zeitschr. XLVII, 385—422.
Lieder. Das römische Deutschland. 43
fremde Welt hinter uns, eine gewaltige Kluft trennt uns von jener
Zeit, erfüllt von allem Greuel der Verwüstung und vernichtenden
Kriegszügen. Der bebaute Acker birgt Reste von Gebäuden, die
mit der sinnvollsten Technik dem Klima gemäls zu behaglicher
Bewohnung eingerichtet und mit reichem Schmuck der Kunst aus-
gestattet waren ; aber was blieb aul'ser diesen schwachen Spuren
übrig von dem einst so volkreichen und betriebsamen Virunum?
In Salzburg fand Sankt Rupert nur waldbewachsene Ruinen des
alten Juvavum, wilde Tiere hausten in den Räumen der Pracht-
gebäude. Andere Städte, wie Regensburg und Augsburg, wie Trier,
Köln und Mainz, sind bewohnt geblieben, ja man hat geglaubt,
dafs ganze römische Stadtgemeinden mit ihrer Verfassung und ihren
Obrigkeiten sich hier erhalten hätten. Eitler Traum! Zu gründ-
lich haben unsere Vorfahren hier aufgeräumt ; wer durch Reichtum
und ansehnliche Stellung hervorragte, fiel als Opfer oder entwich
beizeiten der Gefahr : einzelne fanden bei den germanischen Fürsten
als Tischgenossen des Königs Aufnahme , aber nur indem sie den
alten Verhältnissen gänzlich entsagten und sich dem Gefolge des
neuen Herrschers anschlössen. Und so wurden auch die übrigen
Romanen , so viele ihrer am Leben und im Lande blieben , als
Hörige, einzelne hin und wieder auch als Volksgenossen, in die
Gemeinschaft der Einwanderer aufgenommen.
In den Grenzlanden , welche schon durch den langen Kampf
verödet waren, welche dann die ganze Wucht der hereinbrechenden
beutelustigen Heerscharen traf, mag kaum ein römisch redender
Bauer übrig geblieben sein ; die Eroberer stürmten mit ihren Ge-
fangenen weiter und liefsen das Land verödet hinter sich. Auch
war hier schon lange die Bevölkerung grofsenteils germanisch.
Aber in den Gebirgen des Südrandes M finden wir noch nach Jahr-
hunderten wälsche Bauern (Walchen) erwähnt; wo der überflutende
Strom seine Dämme fand, blieb unter der Herrschaft des deutschen
Kriegers auch die gewonnene Beute der unterworfenen Bevölkerung.
Sie mufste dem neuen Herrn das Feld bauen und ihm dienen mit
der sehr willkommenen und geschätzten Arbeit ihrer kunstfertigen
Hände -).
Aber wo der Knecht den Herrn an geistiger Bildung übertrifft,
') Auch in der Ortenau, s. Aloys Schulte, Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh.
N. F. IV, 300—314.
^j Vgl. Julius Jung, Römer und Romanen in den Donauländem, Inns-
bruck 1877, und die Ergebnisse der durch Virchow veranlafsten Ermitte-
luncren über Farbe der Haut und der Auji^en.
44 !• Vorzeit. § 1. Römerzeit.
da bleibt auch die Rückwirkung nicht aus, dafs dieser von seinem
Diener lernt und manches von ihm annimmt. In Hauswirtschaft
und Ackerbau wie im Handwerk haben sicher die Deutschen viel
von den Wälschen gelernt, wie alte Lehnworte beweisen; vorzüg-
lich aber zeigt sich die Einwirkung der besiegten Bevölkerung in
der raschen Annahme des Christentums durch die Eroberer.
In den Städten des Niederx-heins und Lothringens scheint die Reihe
der Bischöfe kaum unterbrochen zu sein , obgleich sich von der
Fortdauer römischer Bevölkerung, so weit noch jetzt die Sprach-
grenze reicht, keine Spur nachweisen läfst. In Noricuni und Pan-
nonien sind die alten Bischofsitze fast gänzlich von der Erde ver-
schwunden ; dass aber die Verehrung eines Märtyrers, des heiligen
Florian, durch blofse Tradition, unmittelbar an der alten Grenze
sich erhalten habe, erscheint nicht glaubhaft, weil er erst seit etwa
800 nachweisbar ist ').
Denn mit den römischen Legionen und Handelsleuten war auch
in diese Gegenden schon frühzeitig das Christentum eingedrungen,
und als das alte Reich endlich den stets wiederholten Angriffen
erlag, hatte die christliche Kirche bereits in allen Provinzen die
unbestrittene Herrschaft errungen. Ueber diese frühesten Zeiten
der Kirche in Deutschland, über ihre Glaubensboten und Blut-
zeugen , wufste das Mittelalter gar vieles zu erzählen ; unmittelbar
von den Aposteln und ihren ersten Schülern sollte die Predigt
und die Stiftung der Bistümer am Rhein wie in den Donaulanden
ausgegangen sein ^). Es ist darüber eine so reiche Litteratur vor-
handen, und diese Erzählungen nehmen in den Chroniken des Mittel-
alters eine so bedeutende Stelle ein , dafs wir sie hier nicht ganz
übergehen dürfen, wenngleich diese kirchliche Sage in noch weit
höherem Grade als die weltliche jedes festen Bodens entbehrt.
Die Phantasie der Geistlichkeit, der Heldensage abgewandt, ergriff
^) Stmadt in der Archival. Zeitschr. N. V. YIII, 1 ff. IX, 176 ff. scheint
mir jedoch zu weit zu gehen, wenn er den h. Florian ursprünglich im
Sprengel von Aquileia verehrt werden läfst.
^) Die Kritik der gleichen Nachrichten in Frankreich und Nachweis
des allmählichen Auswachsens der Legenden, in : Origines de l'Eglise de
Tours, par M. Tabbe C. Chevalier (T. XXI des Memoires de la\Societe
archeologique de Touraine) , Tours 1871. Vgl. die Anzeige von Monod,
Revue crit. 1872. Tome II, p. 84—88. Ferner die Kritik von Aube über
das Buch von Dom Chamard: Les eglises du monde Romain. Revue bist.
VII, 1.52 — 164, und jetzt vorzüglich: Memoire sur l'origine des dioceses
episcopaux dans I'ancienne Gaule, par M. l'abbe Duchesne, Paris 1890
(Mem. de la Soc. nat. des Antiquaires de France, Tome L), vollständiger
wiederholt in den Fastes episcopaux, de I'ancienne Gaule I, Paris 1894.
Kritik der Lcgendou. Rettberg. 45
mit um so gröfserem Eifer die kirchliche, und aus den unschein-
barsten Anfängen erwuchsen da die wunderbarsten Gebilde : weit
verzweigte, mit allen Einzelheiten ausgeführte Geschichten, welche
sich immer üppiger entwickelten und auf die ganze Denkweise der
Menschen den gröfsten Einfluls gewannen. Den reichsten Baum
der Dichtung trieb die Legende von der thebäischen Legion , von
deren Führern Gereon in Köln mit der heiligen Ursula und ihren
11,000 Jungfrauen zusammentrifft. Köln wird nun vorzugsweise
die heilige Stadt durch die Menge der Heiligenleiber, welche sie
bewahrt, aber fast jeder Ort im Rheinthale hat seinen Anteil an
dieser Geschichte und erhält dadurch eine geheimnisvolle Weihe.
In anderen Gegenden sind mehr vereinzelte Legenden dieser Art,
doch fehlen sie auf dem einst römischen Boden nirgends.
Der leider zu früh verstorbene F. W, Rettberg (f 1849) hat
das grofse Verdienst , zum erstenmal alle diese Erzählungen einer
zusammenhängenden , systematischen , strengen Kritik unterzogen
zu haben')- Den einzig richtigen Weg einschlagend, hat er das
ganze ungeheure Material kritisch untersucht, der Herkunft und
Entstehung jeder einzelnen Nachricht nachgeforscht. Wohl hatte
man schon früher einzelnes als unhaltbar aufgegeben, aber immer
suchte man doch wieder historisches Material aus dem Wüste der
Fabeln zu gewinnen; man konnte sich nicht entschliefsen auf das-
jenige, dessen späte betrügliche Entstehung einmal nachgewiesen
war, nun auch gänzlich zu verzichten, und auch jetzt noch ist für
viele dieser Entschlufs zu schwer: man will doch nicht alle schein-
bare Ausbeute aufgeben für Zeiten und Gegenstände, von denen
man sonst gar nichts weifs. So ist es nur zu gewöhnlich, dafs
man das gänzlich Unhaltbare fortwirft, aber dasjenige, was nicht
in sich unmöglich ist, behält — ein durchaus unhistorisches Ver-
fahren -).
Wenn es z. B. feststeht, dafs man von S. Dysibod im zwölften
Jahrhundert noch nichts als den Namen wufste, dafs dann die
Nonne Hildegard nach angeblichen Visionen seine Geschichte schrieb,
') Kircliengeschichte Deutschlands, 2 Bde. 8. 1848, bis zum Tode
Karls des Grofsen. Vgl. jetzt auch Hauck, Kirchengesch. Deutschlands I.
bis Bonifaz, 2. Ausg. Leipzig 1898.
2) Vgl. die Worte von Waitz in den Gott. G. A. 1855, S. 274: Es
ist hier geschehen, was manchmal geschieht und die Leute beruhigt: man
hat zeitig die besonders groben und anstöfsigen Behauptungen entfernt,
und dann gemeint, dafs das, was allenfalls wahr sein könnte, nun auch
Anspruch habe, wirklich dafür zu gelten, während die wahre Kritik an-
erkennt, dafs ein solches Abhandeln bei Sage und Erdichtung meist
gerade am allerwenigsten zur historischen Gewifsheit führt.
4(3 1- Vorzeit. § 1. Römerzeit.
die von chronologischen Widersprüchen strotzt, so sollte man doch
denken , dal's niemand dieses Märchen ferner als Geschichtsquelle
benutzen werde. Und dennoch machte Remling in seiner Geschichte
der Bischöfe von Speier davon Gebrauch, obgleich ihm Rettbergs
Werk nicht unbekannt war. Jedem besonnenen und gewissenhaften
Forscher aber gewährt die „Kirchengeschichte Deutschlands" eine
feste Grundlage für die Beurteilung dieser Zeiten. Das Verfahren
Rettbergs besteht darin , dafs er die Entstehung der Legenden
genau untersucht und nachweist, wie sie allmählich gewachsen
sind , wie anfangs nur die Namen der Heiligen vorkommen , von
denen einige wenige auf wirklich alter lokaler Verehrung beruhen ;
wie dann zuerst einige Umstände, dann nach und nach mehr hin-
zugesetzt wird, bis die ganze Geschichte fertig ist. Die Legenden
selbst sind grofsenteils ohne Zeitangaben über ihx'e Abfassung;
einen ganz bestimmten Anhalt aber gewähren die Martyrologien '),
deren Verfasser bekannt sind, und die uns daher das allmähliche
Anwachsen der Legenden auf das deutlichste und bestimmteste er-
kennen lassen. Dafs aber solche spätei'e Zusätze nicht etwa auf
wirklicher, durch mündliche Ueberlieferung bewahrter Kenntnis
beruhen , das zeigt uns , aufser den inneren Widersprüchen , be-
sonders die Vergleichung mit den späteren echten Legenden , mit
den Lebensbeschreibungen der Heiligen aus geschichtlich bekannter
Zeit, welche in den Legendarien ebenfalls fortwährend sich ver-
ändern und mit allerlei fabelhaften Zuthaten vermehrt werden.
- Man hat freilich Rettbergs Verfahren als zu negativ angegriffen,
und es wird zuzugeben sein, dafs er in einzelnen Fällen zu weit
gegangen ist. Auch ist hin und wieder etwas aufgefunden, wo-
durch auf einzelne Fragen neues Licht fällt. Es war deshalb nicht
ungerechtfertigt, dafs Pi*of. J. Friedrich den Vei'such machte,
jenem Werke eine „Kirchengeschichte Deutschlands" (L Die Römer-
zeit 1867, IL Die Merovinger 1869) von mehr konservativer Rich-
tung entgegen zu setzen. Allein es fehlt in dieser frühen Arbeit
Friedrichs noch an jener strengen wissenschaftlichen Methode, durch
welche Rettberg sich so sehr auszeichnet, und infolge übermäfsiger
Ausdehnung ist von der Zeit der Merovinger nur der Anfang be-
rührt. Eine weitere Fortsetzung ist nicht erschienen.
Das Ergebnis von Rettbergs Kritik aller jener Legenden über
die Zeit der ersten Einführung des Christentums in das römische
Deutschland ist, dafs sie alle späteren Ursprungs sind, dafs für die
') S. über diese § .3.
Rettberg und Fiifdrich. Afra und Florian. 47
wirkliche Geschichte jener Zeit nichts daraus zu lernen ist. Auch
was Friedrich nachträglich zu retten versucht, ist nur sehr wenig,
und es trägt für diesen Gegenstand wenig aus, ob in der auf den
Bischof Eucherius von Lyon (um 450) zurückgehenden Geschichte
von dem Märtyrertode der Thebäer in Agaunum ein dürftiger
historischer Kern sich nachweisen läfst '), ob das Martyrium einiger
christlicher Jungfrauen zu Köln glaubhaft bezeugt ist^). Etwas
erheblicher schien die Verteidigung der Legende von dem Martyrium
der heil. Afra zu Augsburg, deren Verehrung Fortunatus schon
kannte, allein sie stammt erst aus karolingischer Zeit, und ihren
völligen Unwert hat Krusch gegen Duchesne siegreich erwiesen ').
Rettberg fällte ein günstigeres Urteil nur über die Leidensgeschichte
des heil. Florian^). Dieser, ein entlassener Veteran, soll infolge
') S. darüber Franz Stolle, Das Martyrium der thebaischen Legion,
Breslau 1891; vgl. NA. XVIT, 223, und die Ausgabe von Krusch, SS. rer.
Meroving. III, 20—41.
^) Ist der Einfall 0. Schades (Die Sage von der heiligen Ursula, 1854),
für die Ursulalegende eine mythologische Begründung nachzuweisen, ohne
Zweifel verfehlt, so ist dagegen der Versuch Joh. Hubert Kessels (S. Ursula
und ihre Gesellschaft, Köln 1863), durch rationalistische Deutung, mit
Verwerfung der abgeschmackten Visionen, die ältere Legende zu retten,
nicht minder abzuweisen. Sein Verfahren widerspricht jeder gesunden
historischen Kritik, er benutzt allerlei späte Legenden in unzulässiger
Weise als Quelle für die Hunnenzeit; seine Hauptstütze aber ist die
Predigt In natali, welche er ins 8. Jahrhundert setzt. Diese ist von
Klinkenberg aus einer Hs. saec. XII. herausg. und in Karol. Zeit gesetzt
(Kl. u. Düntzer in d. Jahrbb. d. V. v. Alt. im Rheinland, Heft 88. 89);
er setzt seine Untersuchungen daselbst fort, Heft 93, 130 ff, und druckt
S. 150 ff. die Passio liegnante doniino ab. Friedrich gibt die Legende
auf. Vgl. auch Annalen des Niederrheins 1874, Heft 26 u. 27, S. 116—176,
G. Stein: Ursula, S. 177—196, Flofs: Die Clematianische Inschrift. Facs.
ders. bei F. X. Kraus: Die christl. Inss. d. Rheinlande (1890), S. 143. In
den Anal. Bolland. III, 1 — 20, ist die Legende Fuit tempore pervetmto, her-
ausgegeben mit einer früher unbekannten Widmung an p]rzb. Gero, wie
es scheint die älteste Form, die hiernach durch einen Grafen Hoolf vom
Erzb. Dunstan von Canterbury stammte. An die Thatsache des Mar-
tyriums einiger Christinnen und deren Kult hat phantastische Sage sich
angeschlossen, welche schon Wandalbert von Prüm bekannt war, in jener
alten Legende noch in einfacherer Form erscheint, später auch absichtlich
erweitert ist.
2) Conversio et passio S. Afrae, SS. rer. Meroving. ed. Krusch III, 41
bis 64, vorher bei Friedrich I, 427—430; vgl. Krusch, Zur Afralegende,
NA. XXIV, 289—294; Mitt. des Inst. XXI, 1—8.
*) I, 157. Passio S. Floriani , SS. rer. Meroving. III, 65—71, vorher
aus einer St. Emmerammer Handschrift (clm. 14418) saec. IX, bei Pez,
SS. I, 36. Der längere Text ist der ursprüngliche. Vgl. gegen Duchesne
Krusch, Zur Florianslegende, NA. XXIV, 535—559 und die Arbeiten von
Strnadt oben S. 44. Ueber den Grabstein der Valeria, die ihn begrub,
Kenner im Archiv d. W. A. XXXVIII, 174 und (Münchener) AUgem. Zeit.
1898, Nr. 53 (7. März), Beil. S. 7.
48 T. Vorzeit. § 1. Römerzeit.
der Verfolgungsedikte von Diocletian und Maximian (304) auf Be-
fehl des Aquilinus, Präses von Ufernoricum, zu Lorch in die Enns
gestürzt sein, ungeachtet eines schweren Steins, der an seinen
Hals gebunden ist, trägt ihn der Flufs auf einen hervorragenden
Fels, von wo eine fromme christliche Frau ihn infolge einer Vision
zur Bestattung abholt. Diese Erzählung aber ist eine deutliche
Nachahmung der viel älteren Passio des heil. Irenaeus von Sir-
mium, so dafs sich die absichtliche Erdichtung darin kaum ver-
kennen läfst. Denn es ist eben eine Eigentümlichkeit dieser spä-
teren Legendenfabrikation, dafs sich in benachbarten Gegenden
immer dieselben Todesarten und Wunder wiederholen ; die Phantasie
des Mittelalters erscheint darin arm und dürftig. Auch finden sich
diese Angaben über Sankt Florians Ende erst in Martyrologien des
9. Jahrhunderts, die Handschriften der Legende reichen nicht höher
hinauf), und nichts weist darauf hin, dafs sie etwa, wie das Leben
Severins, in Italien aufbewahrt und von dort zurückgebracht wäre,
vielmehr ist Florian als ein Vorläufer der auf Lorch bezüglichen
Passauer Fälschungen zu betrachten.
Obgleich dem deutschen Boden nur benachbart , verdient eine
andere Legende, die Leidensgeschichte der heiligen Vier
Gekrönten, hier noch Erwähnung, welche Rettberg unbekannt
geblieben ist -). Sie berichtet uns von vier christlichen Arbeitern
in den Steinbrüchen Pannoniens, welche noch einen ihrer Genossen
bekehren ; ihn tauft der in Ketten dorthin verbannte Bischof Cyrill
von Antiochien. Das ist ein merkwürdiger Fingerzeig für die Aus-
breitung des Christentums. Rettberg, der nicht nur das spätere
Fabelwerk mit schonungsloser Kritik zerstört, sondern auch den
wirklichen Verlauf der Bekehrung dieser Lande mit gröfster Sorg-
falt aus den einzelnen Anhaltspunkten nachgewiesen hat, ist zu
^) Eine Handschrift in Lambach (nicht Linz) wird ins 9. Jahrhundert
gesetzt, aber der Wiener Cod. 650, in welchem sich die zweite Bear-
beitung findet, ist nicht, wie Tabb. I, 112 gesagt ist, saec. IX, sondern
saec. XII.
^) Passio Sanctorum Quatuor Coronatorum, herausgegeben von Watten-
bach, mit einem Nachwort von Karajan, in den Wiener SB. X, 115 — 137
(auch schon in dem Sanctuarium des Mombritius I, fol. 160). Neue Aus-
gabe in Büdingers Untersuchungen zur Rom. Kaisergesch. III, 321 — 338
und zum dritten Male mit Benutzung der ältesten Pariser Hs. SB. der
Berl. Akad. 1896 , S. 1288—1302. Vgl. dazu NA. V, 227. VII , 226. XI,
202. XII, 426. 602. — J. Jung a. a. 0. hat die Legende benutzt, und ver-
weist auch S. 132. 159 auf die Geschichte der Nonsberger Märtyrer
Sisinnius, Martyrius und Alexander (f 397) Acta SS. Mai. VII, 38-44. Gar
wenig Inhalt hat die chronologisch ganz unbestimmte Vita S. Florini,
aus dem Vintschgau, Anal. Boll. III, App. p. 122—127.
Die vier Gekrönten. 49
der Ansicht gekommen , dafs für dieselbe nicht sowohl eigentliche
Missionare thätig waren , als vielmehr die christlichen Soldaten *),
Handelsleute und Arbeiter , welche hierher kamen , während die
späteren Legenden durcbgehends die Gründung der Kirchen durch
die Apostel und ihre ersten Schüler behaupten. Die Verbannung
gefangener Christen in die Steinbrüche Pannoniens, und wohl auch
anderer Lande, wird das ihrige dazu beigetragen haben. Es er-
klärt sich aber aus dieser unmerklichen und unscheinbaren Ver-
breitung auch zur Genüge, warum keine Schriftsteller das An-
denken derselben aufbewahrt haben. Jene Arbeiter nun fielen dem
Neide ihrer Gesellen durch Diocletians Spruch zum Opfer, so gerne
dieser auch anfangs seine geschicktesten Arbeiter sich erhalten
wollte (307?). Die Reliquien der fünf Arbeiter finden sich später
zu Rom in der Kirche der heiligen Vier Gekrönten -) , mit denen
sie nur hierdurch in zufällige Verbindung gebracht sind, und dies
hat auch eine Verschmelzung ihrer Legenden zur Folge gehabt.
Vielleicht erst hierdurch sind auch chronologische Widersprüche
hineingekommen, aber alt ist die Legende sicher, geschrieben, bevor
Pannonien von den Barbaren überschwemmt war, und das Treiben
in den Steinbrüchen ist mit solcher Anschaulichkeit und auch mit
so durchgängiger Beibehaltung der technischen Ausdrücke geschil-
dert, dafs der Verfasser selbst noch persönliche Kunde davon ge-
habt haben muls. Als solchen nennt die alte Pariser Handschrift
den Schatzungsbeamten Porphyrius, welchen De Rossi auch aus
anderen Erwähnungen nachgewiesen hat ^). Aber nur die ursprüng-
liche pannonische Legende können wir ihm zuschreiben.
Während nun also diese Legende noch die ungestörte Römer-
herrscbaft in diesen Gegenden voraussetzt, führt uns eine andere so
recht mitten hinein in die Stürme der Völkerwanderung, und wir
können es uns daher nicht versagen, bei dieser etwas länger zu
verweilen.
') Vgl. die Verschleppung des Dolichenoskults durch römische Sol-
daten; G. Seidl in den Wiener Sitzungsberichten XII, 4-90. XIII, 233
bis 260.
-) 0. Hirschfeld (Archäolog. u. epigr. Mitt. aus Oesterr. IX, 21) er-
innert anläfslich einer Inschrift, worin von capitella columnarum die Rede
ist, welche bei Sirmium für die Thermae Licinianae verfertigt worden,
an unsere Passio, und weist dabei den Gebrauch des Ausdrucks coronati
für höhere Beamte nächst dem Comicularius nach.
^) Censualis a gleha actuarius nomine Forfyreus haue gestain scripsit.
Wattenbach, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl.
50 I- Vorzeit. § 2. S. Severin.
§ 2. Das Leben des heiligen Severin.
Ausgabe von Welser in Augsburg 1595, 4 (Opera p. 635) aus einer HS. des 11. Jahr-
hunderts in St. Emmeram (clm. 14031). Den hier fehlenden Brief Eugipp.s an
Paschasius gab Canisius, Antiquae Lect. VI, 53, I, 411. Danach vollständig in
der 2. Ausgabe des Surius und Acta SS. Jan. I, 484 mit Kommentar von Bolland.
Nach den ostr. Handschriften in H. Pez SS. I, 64, und daraus bei Muchar, Das
römische Noricum, II, 152—239, mit Kommentar. Ausgabe von Ant. Kersch-
baumer, Scaphus. 1862 nach dem alten Lateran. Codex, aber unkritisch und
wegen vieler Druckfehler unzuverlässig; Reo. von Sauppe, Gott. Gel. Anz. 1862,
S. I.'i44— 1552. Nach Münchener Handschriften bei Friedrich, I, 431—489. Ausg.
von Sauppe, MG. Auctt. antt. I, 2. 1877 (auf Grund besonders des Lateran.);
vgl. NA. IV, 407, Waitz, GGA. 1879, S. 581. Gegen Sauppes krit. Grundlage u. f.
d. Cod. Taurin. F. Knöll, Wiener SB. XCV, 445—498. Ausg. v. Knöll im Wiener
Corpus SS. eccl. VIII, 2, von Mommsen, Berl. 1898, vgl. dazu Hermes XXII, 454.
XXIII, 460 (wieder mehr Sauppe zuneigend, aber statt einer Hs. die betreffende
ganze Klasse bevorzugend) und v. Grienberger in der Zeitschr. f. D. Altert.
XLV, Anz. S. 126—129. Glossen aus österreichischen Hss. teilt Wattenbach mit
NA. IV. 407 ff. üebers. von C. Ritter, Linz 1853, von K. Rodenberg, Berlin
1878 (Urzeit Bd. 4), von S. Brunner, Wien i879. — Eugippii opera, Migne 62.
— Rinaudo p. 14—19. Vgl. Rettberg I, 226. Eüdinger, Oesterr. Gesch. I, 47 ff.
Pallmann II, 393—401. J. Jung, Römer u. Romaneu S. 132 und an vielen Orten.
Hauck I, 349—352.
Die Lebensbeschreibung des heiligen Severin, von seinem Schüler
Eugippius verfafst, ist für uns von ganz unschätzbarem Werte, in-
dem sie einen hellen Lichtstrahl wirft in Zeiten und Zustände, von
denen wir sonst gar nichts wissen würden, wie denn auch vorher
und nachher tiefe Finsternis diese Donauländer bedeckt. Keine
andere Quelle gibt uns in so reichhaltiger Weise ein Bild des
christlich gewordenen und bereits mit vollständiger kirchlicher
Einrichtung versehenen Römerlandes im Süden der Donau; un-
mittelbar vor der Vernichtung zeigt ein günstiges Geschick uns
diese Gegenden und ihre Bevölkerung in scharfen und lebensvollen
Umrissen.
Attila war 453 gestorben und die frei gewordenen Völker
wenden nur ihre Waffen gegeneinander und gegen die kläglichen
üeberbleibsel des römischen Reiches. Alamannen und Thüringer
hatten den Grenzwall durchbrochen und drangen in Rätien immer
weiter gegen Süden und Osten vor. In Noricum hielt sich noch
die römische Bevölkerung, aber in welchem Zustande! Von allen
Seiten wurde sie schwer bedrängt durch die vorrückenden Bar-
baren — denn so nannten damals und noch lange nachher nicht
nur die Römer, sondern auch die Deutschen selbst alle Nichtrömer.
Jenseits der Donau schalteten die Rugier, durch häufige Streifzüge
das Land bedrängend und bald auch diesseits festen Fufs fassend.
Sie sowohl wie die Goten in Pannonien waren Arianer, den katholi-
schen Romanen fast noch verhafster als die Heiden. In Comagena,
einer bald darauf völlig verschwundenen Römerstadt unweit Tuln,
Leben des heiligen Severin. 51
hatten bex'eits Barbaren sich festgesetzt; unfähig, sie zu vertreiben,
schlössen die Römer ein Bündnis mit ihnen, und die Einwohner
lebten nun wie Gefangene in ihrer eigenen Stadt. Da tritt plötz-
lich , ungehindert durch die Wachen , Severinus unter sie : eben
war, wie er vorher verkündigt hatte, die benachbarte Stadt Astura
gänzlich zerstört worden , und gläubig horchte man nun auf seine
Worte, da er Rettung verhiefs, fastete und betete, bis plötzlich in
der Nacht ein Erdbeben die Barbaren in Schrecken setzt ; voll
Angst eilen sie aus den Thoren und morden sich gegenseitig in
der Finsternis und Verwirrung. So war die Stadt von ihren Drän-
gern befreit, allein was war damit gewonnen !
Nur von den Städten aus wurde noch das Feld gebaut, und
nur zu häufig fielen Ernte und Schnitter in die Hände der Bar-
baren; Hunger verwüstete das reiche und fruchtbare Land, wenn
die Zufuhr auf dem Inn ausblieb. Die Grenzsoldaten erhielten
aus Italien keinen Sold mehr, und infolge davon lösten ihre Scharen
sich auf; nur die batavische Cohorte in Passau hielt noch zusammen,
und einige von ihren Leuten machen sich auf, um den Sold über die
Alpen zu holen, werden aber unterwegs erschlagen. Vor der Donau-
stadt Faviana, zwischen Passau und Wien, erscheinen plötzlich Räuber
und führen alles hinweg, was sie aufserhalb der Mauern finden,
Menschen und Vieh. Der Tribun Mamertinus hat so wenig Mann-
schaft, dafs er keinen Ausfall wagen will, bis Severin ihm den gött-
lichen Beistand verheifst ; da zieht er mutig hinaus und gewinnt
den Sieg.
Eine der wunderbarsten Erscheinungen ist dieser Severin. Nie
hat er sagen wollen , wer er sei , woher er stamme ; nur dafs er
aus dem fernen Osten komme, nahm man aus seinen Reden ab,
doch erkannte man an der Sprache den geborenen Lateiner. Von
vornehmer Abkunft, so schien es, hatte er sich in die Einsamkeit
zu den heiligen Vätern, vermutlich in die thebaische Wüste, zurück-
gezogen ; dann aber trieb ihn , wie er selber andeutete , eine gött-
liche Stimme, den bedrängten Bewohnern des Ufernoricum Trost
und Hilfe zu bringen. Seine Enthaltsamkeit erschien übermensch-
lich ; bei der heftigsten Kälte ging er barfufs, und an die strengsten
Fasten gewöhnt, schien er Hunger und Entbehrung nur in der Seele
der Notleidenden zu empfinden. So durchzog er das ganze Land,
ermahnend, Bufse predigend, tröstend, vor allem aber Hilfe brin-
gend, so viel er vermochte. Förmliche Zehnten forderte er ein,
um Gefangene loszukaufen , Arme zu unterstützen. Sein Ansehen
war bald grofs im Lande ; unbedingte Herrschaft über die Natur
52 I- Vorzeit. § 2. S. Severin.
mafs man ihm bei, und Gottes Zorn trcaf jeden, der auf sein Wort
nicht achtete.
Den merkwürdigsten Gegensatz bildet dieses Land, welches in
seiner Bedrängnis sich willig der Leitung eines frommen, gott-
begeisterten Mönches hingibt, zu den sittenlosen Grenzstädten Gal-
liens, über deren Verderbtheit und Leichtsinn Salviau vergeblich
eiferte, zu Trier, wo „selbst noch bei dem Sturme der fränkischen
Sieger auf die Stadt jung und alt der zügellosesten Schlemmerei
und Ausschweifung sich ergibt, mit wahrer Raserei alles dem un-
ausweichbaren Untergang trunken und prassend entgegenstürzt *■ ^).
Severins Ansehen beugten sich auch die Fürsten der Barbaren,
selbst jene böse Königin Giso, welche rechtgläubige Katholiken
umtaufen wollte; halb aus Wohlwollen, halb aus Furcht erfüllten
sie seine Bitten , achteten sie auf seine Ermahnungen ; seinen Rat-
schlägen dankte der Rugierkönig Flaccitheus seine friedliche Regie-
rung. Schützte Severin die Römer manchmal durch Ermutigung
zu kräftigem Widerstand und durch Vorhersagen feindlicher An-
griffe, so wandte er doch häufiger durch seine Fürbitten Gefahren
ab und erlangte die Freigebung der Gefangenen. An vielen Orten
hatte er Klöster errichtet , die nach der Weise des Morgenlandes
aus einer Vereinigung einzelner Hütten bestanden, das gröfste, in
welchem er sich am häufigsten aufhielt, bei Faviana, einem jetzt
spurlos verschwundenen Orte. Hier traten einst einige Barbaren
zu ihm , die nach Italien zogen und ihn um seinen Segen baten ;
unter ihnen Odovacar, damals noch ein gemeiner Krieger und mit
schlechten Tierfellen notdürftig bekleidet, aber so hoch gewachsen,
dafs er sich bücken mufste, um nicht die Decke der Zelle zu be-
rühren. Geh, sagte Severin zu ihm, geh nach Italien; jetzt deckt
dich noch ein geringes Gewand , aber bald wirst du vielem Volke
grofse Gaben auszuteilen haben. Als König gedachte Odovacar
dieser Weissagung und forderte Severin auf, sich eine Gnade aus-
zubitten, worauf dieser sich für einen Verbannten verwendete.
Severin konnte es doch nicht hindern, dals Stadt auf Stadt in
die Hände der Feinde fiel. Die Rugier bemächtigten sich der Stadt
^) Rettberg l, 25. \'gl. W. Zschimmer, Salvian und seine Schriften,
Halle 1875. Ebert I, 452-454. Opera ed. C. Halm, MG. Auett. antt. J,
1. 1877; ed. Fr. Pauly im Wiener Corpus VIII. 1883. Uebersetzt von
Pet. Gaffer, Aachen 1858. — G. Monod meint freilich (Revue crit. 1879,
N, 24), dafs wir, wenn aus den Donauländern Bufspredigten erhalten
wären, darin ähnliche Anklagen finden würden. Aber Eugippius würde
doch auch dergleichen nicht unterlassen haben, wenn er Anlafs dazu ge-
funden hätte.
Leben des heiligen Severin. 53
Faviana und der benachbarten Orte; ihre Herrschaft gewährte wenig-
stens Schutz gegen die wilderen Feinde, welche alle weiter aufwärts
gelegenen Burgen und Städte zerstörten. Die geflüchteten Ein-
wohner führte König Feva aus Lorch (Lauriacum), wo sie sich
gesammelt hatten, in die ihm unterthänigen Städte, Joviacum da-
gegen wurde von den Herulern gänzlich verheert, während Tiburnia
(Teurnia) in Oberkärnten, an dessen Namen noch Liburnia, Lurna,
Lurnfeld erinnert '), eine Belagerung der Cloten glücklich überstand,
Noch im 6. Jahrhundert waren hier christliche Bischöfe ; dann aber
unterlag auch diese uralte Stiftung, sowie die alte Bischofstadt
Pettau, den Slaven und Avaren.
Am 8. Januar um 482 starb Severin. Fevas Bruder Ferderuchus
plünderte gleich darauf sein Kloster; innere Kriege unter den Ru-
giern und Odovacars Feldzug gegen sie mehrten die Bedrängnis
der Römer, bis endlich sechs Jahre nach Severins Tod Odovacar
die ganze römische Bevölkerung aus Noricum abrief und ihr in
Italien Land anwies. Dadurch erklärt es sich, dafs gerade hier von
den alten und einst so bedeutenden Römerstädten fast jede Spur ver-
schwand und nur schwache Reste einer unterwürfigen romanischen
Bevölkerung in den Gebirgen zurückblieben. Damals scheint auch
der heilige Antonius Noricum verlassen zu haben; er war aus
Pannonien zu Severin noch kurz vor dessen Tode gekommen , wie
Ennodius in der Lebensbeschreibung des Antonius berichtet ^).
Severins Mönche folgten mit Freuden dem Rufe, welcher sie
aus der Knechtschaft erlöste; der Anordnung ihres Meisters ge-
mäfs führten sie dessen Leiche mit sich bis nach Neapel, wo sie
endlich Ruhe fanden. Hier richtete ihnen eine vornehme Frau,
Namens Barbaria, ein Kloster ein im Castellum LucuUanum, dessen
Name noch das Andenken der üppigen Gärten Luculis bewahrte;
ebenda war kurz zuvor auch dem letzten römischen Kaiser sein
Aufenthalt angewiesen worden ^).
In diesem Kloster nun war Eugippius^) Abt, ein Schüler
Severins, der nach Cassiodors Zeugnis von weltlicher Gelehrsamkeit
') Nach Rieh. Müller, Debem u. Lurnfeld, Carinthia (1894). S. 15—22,
53—58.
^) Vita S. Antonii Liritiensis , in den verschiedenen Ausgaben der
Werke des Ennodius, von Fr. Vogel Auctt. antt. VII, 185—190.
') Nach Caravita , I codici e le arti a Monte Cassino 1 , 14 auf dem
Pizzofalcone bei, jetzt in Neapel; vgl. Capasso, Monum. Neapolit. ducat.
n, 2, 171.
■') Andere Formen , mit guter handschriftlicher Beglaubigung sind
Eugipius und Eugepius; vgl. Mommsen in seiner Ausg. S. I, Anm. 1.
54 I- Vorzeit. § 2. S. Severin.
nicht gar viel wufste , aber in den heiligen Schriften wohl belesen
war '), der Verfasser eines Auszuges aus den Schriften des heiligen
Augustin -). Mit bedeutenden Kirchenschriftstellern der Zeit stand
er im Briefwechsel. Diesen Eugippius nun forderte ein ungenannter
Laie auf, ihm Materialien zu einer Lebensbeschreibung Severins zu
geben ; er zeichnete darauf auch wirklich seine Erinnerungen auf,
sandte dieselben aber (511) nicht an jenen Laien, denn das erschien
ihm unpassend, sondern an den gelehrten Diakonus der römischen
Kirche, Paschasius, mit der Bitte, sie zu einer förmlichen Lebens-
beschreibung zu verarbeiten. Zugleich sandte er ihm in dem Boten
einen Mann, der als Augenzeuge über die Wunder berichten sollte,
welche auf dem Zuge durch Italien an Severins Sarg geschehen
waren. Paschasius aber lehnte jede Aenderung an Eugipps Auf-
zeichnungen ab, und in der That ist ec auch sehr zweifelhaft, ob
jene Bitte ernsthaft gemeint war, da uns ähnliche Aufforderungen,
die nichts als Redensart sind, so häufig begegnen. Eugipps Auf-
zeichnungen sind durchaus nicht unfertig, nicht nachlässig und
formlos, und gerade aus jenen italischen Wundern hebt er einige
als die wichtigsten und statt aller genügend, sorgsam hervor.
Auch gibt er als den wesentlichsten Grund, weshalb er den Wunsch
jenes Laien, von dem eine andere Biographie ihm bekannt war,
nicht erfüllt, die Besorgnis an, er möchte durch die Anwendung
der rhetorischen Kunst den Gegenstand verhüllen und für den ein-
fachen und ungebildeten Gläubigen geradezu unverständlich machen.
Er war also kein Freund von den kunstgerechten Büchern jener
Zeit, welche, wie z. B. die Schriften des Ennodius und manche von
Cassiodor, durch eine Ueberfülle gesuchter Antithesen und wort-
reichen Phrasenschwall so unerträglich schwülstig und geziert sind,
dafs man oft nur mit Mühe den Sinn der Worte enträtselt. Das
galt in den Rhetorenschulen als schöner Stil.
Eugipps Aufzeichnungen dagegen sind viel einfacher und fast
schmucklos, ohne strenge Reihenfolge und Ordnung, aber um so mehr
der treue Ausdruck dessen-., was ihm in seiner Erinnerung als das
Bemerkenswerteste erschienen war. Gerade darin liegt der Haupt-
yorzug dieser Lebensbeschreibung vor den zahlreichen Legenden,
') Divin. Lectionum c. 23: quem nos quoque vidimus, virum quidem
non usque adeo saecularibus literis eruditum, sed scripturarum divinarum
lectione plenissimum. V^l. V. Severini ed. Mommsen p. VIII ; Büdinger,
Eugipius, Wiener SB. XCI, 793—814.
^) Sehr gerühmt von Notker, bei Dümmler, Fonnelbucli Salomons
III, S. 65. Ausg. V. KnöU im Wiener Corpus VIII, 1.
Severins Biograph Eugippius. 55
aus deren salbungsvollem Wortreichtum die wenigen geschichtlichen
Nachrichten mühsam hervorgesucht werden müssen. Er selbst hatte
Severin und den Schauplatz seiner Wirksamkeit gekannt; in den
letzten Abschnitten bezeichnet er sich ausdrücklich als Augen-
zeugen , aber auch nur in diesen , während er sich übrigens auf
die häufig gehörten Erzählungen, zuweilen auf bestimmte Gewährs-
männer beruft.
Das Leben Severins finden wir schon bald nach seiner Ent-
stehung bei dem sogenannten Anonymus Valesianus '), im Anfange
des 7. Jahrhunderts von Isidor erwähnt, im 8. von Paulus Diaconus
benutzt; um dieselbe Zeit verfafste man zu Neapel einen Hymnus,
dem dasselbe zu Grunde liegt"). Bald wurde es dann auch an dem
Schauplatz seiner Wirksamkeit bekannt, denn schon im Jahre 903
erwarb die Passauer Kirche eine Handschrift desselben von dem
Landbischof Madalwin ^) , die Grundlage vielleicht eines Teiles der
bayerischen und österreichischen Handschriften. Eigentümlich sind
die Wirkungen, welche hier von diesem Werk ausgingen. Man las
darin von der grofsen alten Stadt Faviana, die man nirgends fand,
und da man nun bei Wien alte Römersteine aufgrub, so zweifelte
man nicht daran , dafs hier einst Faviana gelegen habe ; Otto von
Freising und Herzog Heinrich von Oesterreich nahmen diese Mei-
nung an , und sie hat sich bis auf die neuesten Zeiten behauptet,
bis endlich Blumberger sie siegreich widerlegte'*).
Schlimmere Folgen hatte es , dafs man in Passau nun erfuhr,
Lorch habe einst Bischöfe gehabt, lange bevor Salzburg den
Krummstab führte. Es lag nahe, sich als Erben der benachbarten
Stadt zu betrachten, welche jetzt zum Passauer Sprengel gehörte;
^) Nachgewiesen von Glück, Die Bistümer Noricums, Wiener SB.
XVII, 77.
^) Canticum laudis Domino canentes. Ozanam, Documents inedits.
p. 241, besser in Eugipii opera ed. KnöU S. 71 — 73; V. Sever. ed. Mommsen
p. VIII — IX; mit Benutzung einer zweiten, ganz übereinstimmenden Hs.
bei Dreves, Anal. hymn. XIV, a. S. 41.
3) Mon. Boica XXVIII, 2. 201.
■*) Archiv der W. A. III, 355 (1849, vor der Ausgabe von Böckings
Kommentar). Vgl. Böcking, Notitia Dign. Occ. p. 747 — 750. Glück, Die
Bistümer Noricums S. 76. Aschbach, Ueber die römischen Militärstationen
im Üfer-Noricum zwischen Lauriacum und Vindobona, nebst einer Unter-
suchung über die Lage der norischen Stadt Faviana, SB. XXXV, 3 — 32
für Traismauer, Tauschinski SB. XXXVIII, 31 — 46 wieder für die Identität
mit Wien, ohne erhebliche Gründe. Kenner in d. Blättern d. Vereins f.
Landesk. v. N. Oesterr., N. F. XVI (1882), S. 3—53, für Mautern. In
Severins Zeit brauchte man den Abi. Favianis, in der Notitia Dign. Occ.
p. 100 (ed. Seeck p. 198) steht Fafianae (Genetiv). S. CIL. IH, 2, 687 und
passim zur Erklärung der Ortsnamen.
5(5 I. Vorzeit. § 2. S. Severin.
aber der einmal angefachte Ehrgeiz strebte immer weiter: um dem
Vorrange des jüngeren Salzburg nachdrücklicher entgegentreten zu
können, wurde ein Erzbistum Lorch erdacht und bald zu fabelhafter
Gröfse ausgedehnt; neu angefertigte Legenden von St. Quirin und
Maximilian mufsten die Beweise dazu hergeben, untergeschobene
Urkunden das Vorgehen unterstützen, und mit Hilfe dieser Waffen
setzte Passau wirklich bei dem in geschichtlicher Kritik wenig er-
fahrenen Stuhle Petri seine Ansprüche durch, und wufste sich seit
dem Ende des 17. Jahrhunderts der rechtmäfsigen Salzburger Metro-
politangewalt zu entziehen. Viel gröfser aber, oder doch für uns
bedeutender, ist das Unheil, welches diese Fälschungen in der Ge-
schichtsforschung angerichtet haben ; noch Rettbergs Werk trägt be-
deutende Spuren davon, und es wird noch eine gute Weile dauern,
bis es gelingt, diesen häfslichen Spuk gänzlich aus der Geschichte
zu verbannen. Aufgedeckt aber ist die ganze Sache namentlich in
E. Dümmlers Werk über Piligrim von Passau und das Erzbistum
Lorch '). Nachdem dann die Fälschung wohl zugegeben, aber ver-
schiedene Versuche gemacht waren , Piligrim von dem auf ihm
lastenden Verdachte zu befreien , hat neuerdings Karl Uhlirz alle
betreffenden Urkunden einer genauen Kritik unterzogen und ist zu
dem Ergebnis gelangt, dafs als Fälscher sich ein Beamter aus der
Kanzlei Ottos IL nachweisen läfst, welcher von Piligrim gewonnen
sein mufs.
Severins Leben ist der letzte Sonnenblick vor einer Zeit der
äufsersten Finsternis, wie der Abendstrahl durch die Grotte des
Posilipp. Erst viel später, und von der anderen Seite, von Gallien
aus, werden wir Deutschland wieder erreichen können. Von dort
wurde ihm aufs neue die litterarische Kultur gebracht, vermittelt
durch diejenigen Stämme des deutschen Volkes, welche auf römi-
schem Boden sich niedergelassen hatten, und hier die Schüler ihrer
Feinde geworden waren. Die Geschichtschreibung, welche sich im
römischen Reiche während der letzten Jahrhunderte entwickelte,
bildet die Grundlage der mittelalterlichen, welche mit ihr im un-
mittelbaren Zusammenhange steht, und es ist deshalb notwendig,
dafs wir sie auch hier etwas ausführlicher ins Auge fassen, da sonst
die Entwickelung der deutschen Historiographie nicht verständlich
sein würde.
') Leipzig 1854. Ueber die weitere Litteratur K. ühlirz, Die Ur-
kundenfälschung zu Passau im 10. Jahrhundert. Mitt. d. Wiener Inst. IIL
177 — 228. Dümmler, Die Entstehung der Lorcher Fälschungen, SB. der
Berl. Akad. 1898, S. 758—775.
Anfänge der christlichen Geschiehtsohreihung. 57
§ 3. Die Anfänge und Gattungen der christlichen
Geschichtschreibung.
Baehr, Geschichte der römischen Litteratur. Supplementband. Die christlich-römische
Litteratur. 1. Abteilung. Die christlichen Dicliter und Geschichtschreiber. 1836.
In der zweiten Ausgabe 1872 als vierter liand bezeichnet. Teuffei, Gesell, der
röm. Litt. 5. Autl. 1890. Adolf Ebert, Allg. tiesch. d. Litt, des M. A. im Abend-
lande, 1. Gesch. d christl. lat. Litt, von ihren Anfängen bis zum Zeitalter Karls
des Grossen. 2. Aufl. 1890.
Das Mittelalter ist durch keine bestimmte Grenzlinie vom Alter-
tum geschieden : lange Zeit laufen beide gewissermafsen parallel
nebeneinander her. Das unterscheidende Element ist das Christen-
tum, welches das antike Wesen zersetzt, und teils vernichtet, teils
umformt; dann das Eintreten ganz neuer Völker in die Geschichte,
welche nach und nach den Schwerpunkt ihrer Entwickelung zu sich
hinüberziehen. Die klassisch - heidnische Litteratur gehört einem
anderen Gebiete an, und liegt unserer Aufgabe fern; allmählich
erstarb in ihr das Leben , und auch die Geschichtschreibung be-
schränkte sich immer mehr auf Auszüge aus den älteren Werken.
Hieran konnte sich natürlich keine weitere Entwickelung anknüpfen.
Den vorhandenen Stoff, wie ihn besonders Eutropius zubereitet hatte,
fafste zuletzt noch einmal Paulus Diaconus in seiner römischen
Geschichte zusammen , und machte ihn durch Verschmelzung mit
der Kirchengeschichte für seine Zeit brauchbarer. So ging er in das
Mittelalter hinüber, und bildete hier die Grundlage aller Kenntnis
der römischen Welt. Aber ungeachtet der christlichen Zusätze und
Fortsetzungen blieb doch dieses Werk nur eine tote Masse; die
lebendige neue Entwickelung schlofs sich an die christliche Ge-
schichtschreibung, welche sich für die veränderte Auffassung und
andere Bedürfnisse auch neue Formen erschuf.
Die römische Weltgeschichte konnte den Christen unmöglich
genügen , die eigene Geschichte der römischen Republik sie nur
wenig anziehen. Ihnen war das Wesentliche in der Weltgeschichte
die Geschichte des Reiches Gottes, der Mittelpunkt lag ihnen in
der jüdischen Geschichte, und davon meldeten die Werke der Römer
nichts. Daher fand auch des Königs Desiderius Tochter Adelperga
den Eutrop, welchen Paulus Diaconus ihr zu lesen gegeben, so un-
genügend, und einige Zusätze konnten hier nichts helfen; es mufste
eine ganz neue Weltgeschichte aufgestellt werden, die mit dem ver-
änderten Standpunkte im Einklang war, die namentlich auch das
hohe Alter der jüdischen Kultur, die spätere Entstehung der heid-
nischen Staaten nachwies. Um dieses möglich zu machen, kam es
58 T. ^'orzeit. § 3. Anfänge und Gattungen.
vor allem darauf an, das chronologische Verhältnis der heiligen und
profanen Geschichte zu bestimmen , um dann eine Verschmelzung
der beiderseitigen Nachrichten vornehmen zu können. Diese Auf-
gabe löste, nach dem Vorgange des Sextus Julius Africanus, welcher
zuerst den Versuch machte, chronologisch das gesamte Altertum
mit der Bibel zu vereinigen ^), Eusebius (364 — 340) ; seine zwei
Bücher Allgemeiner Geschichte enthielten zuerst in darstellender
Form die Chronogi'aphie , dann tabellarisch den synchronistischen
Kanon bis 325. Auf diesem grofsen Werke beruhen alle späteren
Weltchroniken , der Byzantiner sowohl wie des Abendlandes , wäh-
rend zugleich aus seiner Kirchengeschichte das Mittelalter alle seine
Kenntnis von den Anfängen der christlichen Kirche schöpfte. Dieses
letztere Werk hatte für die Lateiner Rufinus bearbeitet^) und
(bis 395) fortgesetzt, die Chronik aber Hieronymus (geb. 346
oder 347, f 420), welcher sie zugleich bis 378 fortsetzte ").
Diese Chronik des Hieronymus finden wir vollständig oder im
Auszug an der Spitze aller umfassenden Chroniken des Mittelalters ;
sie war ihre Grundlage und ihr Vorbild, und dadurch war die knappe
Form der annalistischen Aufzeichnung gegeben. Darstellende Werke
aller Art hatten daneben freien Raum, aber um eine übersichtliche
Anschauung von dem chronologischen Zusammenhange der Welt-
begebenheiten zu erhalten, war diese Form unstreitig die angemes-
senste, wie man ja auch heutzutage der Tabellen zu diesem Zwecke
nicht entbehren kann. Sehr dürftig und ungenügend freilich er-
scheint uns dieselbe, wo sie fast allein und ausschliefslich zur
Ueberlieferung der geschichtlichen Ereignisse verwandt wird, oder
doch anderes uns nicht erhalten ist, wie dies in den nächsten Jahr-
hunderten nach Hieronymus der Fall war. Diese ersten mageren
Fortsetzungen seiner Chronik sind für uns ihres Inhalts wegen
wichtig; der Geschichtschreiber der auf römischem Boden angesie-
') Dr. Konr. Trieber, Die Chronologie des Julius Africanus, 1879 ; vgl.
Gott. Nachr. 1880, Nr. 1. H. Geizer, S. Jul. Afr. u. die Byzant. Chrono-
logie, Leipzig 1880—1898.
^) Ausgabe von Mommsen im Anschluss an Eusebius im Drucke.
*) Opera S. Hier. ed. Vallarsius, Tom. VIII. Baehr S. 189—197. Vgl.
Bemays, Scaliger S. 92, 217. Neue kritische Ausgabe von Alfred Schoene
in: Eusebi cbronicorum canonum quae supersunt. Vol. II, Berlin 1866.
Nachträge in Vol. I (1875), Eusebi cbronicorum libri duo, ergänzend
Schöne, Die Weltchronik des Eusebius, Berlin 1890. Vgl. Mommsen, Die
älteste Hs. der Chronik des Hieronymus, Hermes XXIV. Facs. ders.
Palaeogr. Soc. II, 129. 130. lieber die Quellen der Chronik des Hiero-
nymus handelt Mommsen im Anhange zu seiner Ausgabe des Chrono-
graphen S, 669—693.
Eusebius und Hieronymus. 59
delten deutschen Stämme ist gröfstenteils auf diese dürftigen Quellen
angewiesen, für die Entwickelung der Historiographie in Deutsch-
land aber haben sie nur insofern Bedeutung, als durch ihre Ver-
mittehing die unmittelbare Anknüpfung der späteren Chronisten
an Hieronymus müglich wurde ').
Bemerkenswert ist aber bei diesen Chronisten der allen gemein-
same römische Standpunkt, das ängstliche Festhalten am römischen
Reich. Uns erscheint gegenwärtig der Gedanke, dals in den neuen
Bildungen , den romanischen Staaten , der fruchtbare Keim einer
neuen Zukunft enthalten war, als natürlich und naheliegend: da-
mals aber fiel weit mehr die Zerstörung des alten Reiches ins
Auge; man sah und beklagte überall nur den Verfall, und wer
die Weltgeschichte zu betrachten versuchte, sah fortwährend nur
in dem römischen Weltreich den Träger derselben. Boten doch
die Jahre seiner Kaiser und seiner Konsulate die einzige vorhandene
Zeitrechnung, denn weder die von Eusebius eingeführte Rechnung
nach Jahren Abrahams noch auch die Jahre von Erbauung der
Stadt Rom erscheinen im Westreiche je im praktischen Gebrauch,
und Justinians Siege stellten noch einmal die Fortdauer aller der
neu entstandenen Reiche in Frage. Mochte aber auch das abend-
ländische Römerreich in Trümmer fallen, das morgenländische
keinen Schatten von Macht über den Westen besitzen, für die
Chronisten ist und bleibt es das Weltreich, der Faden, der sie
leitet. Die in das Reich eindringenden deutschen Stämme sind und
bleiben Barbaren, wenn auch der Schreibende, welcher jedoch immer
der Kirche angehört, selber ihr Landsmann ist. Diese Auffassung
beschränkt sich nicht auf diese Zeit, sie bleibt herrschend durch
das ganze Mittelalter, denn sie war bedingt durch die auf An-
schauungen der Alten beruhende, seit Hieronymus allgemein an-
genommene Erklärung von dem Traume des Nebukadnezar bei
dem Propheten Daniel, nach welchem das römische Reich, das
eiserne, welches die früheren zermalmt, bleiben soll bis zum Ein-
tritt des himmlischen Reiches ^). Die Fortdauer desselben war
daher aufser aller Frage. Demgemäfs behandeln auch die späteren
Weltchroniken die deutsche Geschichte niemals als etwas Neues,
^) Die neue Ausgabe dieser ältesten Annalisten für die MG. ist jetzt
von Th. Mommsen, Auctt. antt. IX, XI, XIII erschienen mit Indices von
Job. Lucas (Chronica minora I — III).
2) Dan. c. 2. Vgl. Otto Fris. II, 13. Büdinger in der Hist. Zeitschr.
VII, 113. Bernheim in der Deutschen Zeitschr. f. Geschichtsw. I (1889),
S. 61. Konr. Trieber, Die Idee der 4 Weltreiche im Hermes XXVI, 321
bis 344 über den antiken Ursprung dieser Auffassung.
60 1- ^ orzeit. § 3. Anfänge und Gattungen.
Selbständiges, sondern nur als eine Fortführung des römischen
Reiches: sie führen nach dem Untergange des westlichen Reiches
die byzantinischen Kaiser fort bis auf Karl den Grol'sen und be-
wahren so seine scheinbare Kontinuität, wenn sie auch dazwischen
die Volksgeschichten episodisch in ihr grofses Fachwerk einschalten,
wie Ekkehard.
Neben der greisen Chronik des Hieronymus gab es nun aber
auch noch eine andere, sehr dürftige und kompendiarische, welche
nur einige Anhaltspunkte zur chronologischen Oinentierung gewährte.
Sie läfst sich zurückführen auf ein älteres griechisches Werk des
Hippolyt von Porto , das bis 235 reichte , ein Werk, welches auch
dem Liber Generationis des sogenannten Fredegar zu Grunde liegt.
Ueberarbeitet und bis 334 fortgesetzt, bildet es einen Teil jenes
merkwm-digen römischen Staatskalenders, den Th. Mommsen
in seiner Abhandlung über den Chronographus von 354 ausführlich
behandelt hat *). Er hat nachgewiesen , dafs dieser Kalender mit
den nötigen Veränderungen von Zeit zu Zeit neu herausgegeben
wurde ; doch war er viel zu kostbar, als dafs sich, wer ihn einmal
besafs, immer ein neues Exemplar davon angeschafft hätte, und da
die ganze Einrichtung des Werkes zur Eintragung geschichtlicher
Ereignisse eine sehr passende Gelegenheit darbot, so ist seine Form
nicht ohne Einflufs auf die Gestaltung der verschiedenen Gattungen
geschichtlicher Aufzeichnungen geblieben. Sein Inhalt mufs folgen-
den Stücken entsprochen haben, welche die noch erhaltene Abschrift
eines Exemplars vom Jahre 354 uns kennen lehrt :
1. Der eigentliche Kalender mit Bildern, die noch völlig in
heidnisch-antiker Weise gezeichnet sind. Der Kalender selbst
ist nicht mehr heidnisch, aber doch auch noch nicht christ-
lich. Die öffentlichen Spiele, die Senatstage und andere sind
^) Abhandlungen der Kgl. Sachs. Ges. der Wissenschaften in Leipzig.
I. 1850, S. 547— 668. Neue Ausg. des Textes Auctt. antt. IX, 13—196.
Ein mit jener Arbeit verwandter, von Pallmann zuerst herausgegebener,
ganz kurzer Abril's der Weltgeschichte bis 452 Auctt. antt. IX, 149 — 153,
Vgl. auch C. Frick im Rh. Mus. f. Philol. XLVI, 106 ff. Den Liber Ge-
nerationis hat C. Frick, Chronica minora, Lips. 1892, I, 1—78, neu her-
ausgegeben, vgl. S. CX— CXXV über die Hss. und S. I — LXVII über das
Verhältnis zu seinen Quellen, den Stromata des Clemens Alexandrinus
und der Chronik des Hippolitus. — Daselbst S. 79 — 180, vgl. CXXV bis
CXXXr, die Chronik bis 834, S. 175—182, vgl. LXXVII— LXXXII und
CCVII, die Chronik bis 452. S. die Recens. von K. J, Neumann, DLZ.
1894, S. 552 ff., von Geizer in der Berl. philol. Wochenschr. 1894.
29. Sept., Sp. 1255—1261.
Römischer Staatskai ondt-r. 61
darin verzeichnet und die Geburtstage der Cäsaren auch noch
abgesondert auf einem verzierten Blatt vorangestellt ')•
2. Konsular fast eil bis zum Jahre 354.
3. Ostertafeln auf 100 Jahre von ol2 an.
4. Ein Verzeichnis der Stadtpriifekten von 258 — 354.
5. Die Todestage (Depositiones) der römischen Bischöfe
und der Märtyrer '-'j.
6. Ein Papstkatalog bis auf Liberius.
7. Die oben erwähnte Weltchronik bis 334, verbunden mit
einer Stadtchronik von Rom und der Regionenbeschrei-
bung-').
In diesen Stücken lälst sich mehr als ein Keim erkennen, der
später zu weiterer Entfaltung gelangt ist. Während aus dem letzten
Teile jene so zahlreichen , immer neu aufgelegten Beschreibungen
von Rom entstanden, hauptsächlich zum Wegweiser für die Pilger
bestimmt, fox'derten die Konsular fasten, sowie die Ostertafeln
von selbst dazu auf, bedeutende Begebenheiten bei den betreffenden
Namen und Zahlen einzutragen, wie es z. B. Cassiodor gethan hat,
und in vollständigerer Weise Prosper. Ein solches Werk ist auch
den späteren Exemplaren jenes Kalenders eingefügt : Fasten , die
anfangs nur sehr vereinzelte Bemerkungen enthalten, für das fünfte
Jahrhundert aber reichhaltiger und wegen der genauen chrono-
logischen Bezeichnung wichtig werden, ohne Zweifel, abgesehen
von dem früheren Teil, in Ravenna geschrieben''). Und zwar
haben sie einen durchaus offiziellen Charakter; es sind bedeutende
Vorfälle in betreff der kaiserlichen Familie, mit denen sie sich be-
schäftigen , dazu wichtige staatliche Begebenheiten und Natur-
erscheinungen, mit ausschliefslicher Beschränkung auf Italien. Mit
den Konsullisten wurden sie von Zeit zu Zeit neu ausgegeben.
■"o^o^
^) Ausg. V. Mommsen, CIL. T (ed. alt.), 254—279; Ausg. der Bilder
V. Strzygowski, Jahrb. des archäolog. Inst., Ergänzungsh. 1 (Berl. 1838),
über die metr. Tituli Schenkl in der Festschr. für Benndorf S. 29.
^) Nach De Rossi, La Roma sotteranea I, 11(5 eigentlich ein Fest-
kalender, feriale, und deshalb nicht vollständig, reicht nicht über 200
zurück, s. Achelis, Ueber Gesch. und Wert der Martyrologien, Abhandl.
der Gott. Ges., N. F., III, 6—18.
') S. darüber und ül)er die im 12. Jahrhundert daraus erwachsenen
Mirabilia Boiuae, H.Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum II,
1871. Dess. Forma urbis Romae regionum XIII. 1875.
^) Früher als Anonymus oder Chronicon Cuspiniani bekannt, zuletzt
gedr. bei Mommsen a. a. 0. S. 656—668, Auctt. antt. IX, 263 ff. als Fasti
Vindohovenses , mit d. Anon. Vales, u. a. herausgegeben als Constilaria
Italica, auch bei Frick, Chron. minora S. 371 — 418.
62 I- Vorzeit. § 3. Anfänge und Gattungen.
Durch sehr sorgfältige und eingehende Untersuchungen von Pall-
mann, Waitz, G. Kaufmann, Holder-Egger ist die Benutzung dieser
Annalen bei immer zahlreicheren Schriftstellern nachgewiesen , so
dafs Holder-Egger sogar den Versuch machen konnte, dieselben
von 379 — 572 wieder herzustellen '). Nach dem Ergebnis seiner
Untersuchung (S. 344) sind diese Fasti consulares für uns für volle
zwei Jahrhunderte in chronologischer Beziehung eine Quelle von
höchstem Werte. „Sie haben, so heifst es bei ihm, ganz aufser-
ordentliche Verbreitung gefunden : fast alle weströmischen und ein
oströmischer -) Chronist des 5. und 6. Jahrhunderts haben sie be-
nutzt, sie teilweise zur chronologischen Gi'undlage ihrer Werke
gemacht. Zuletzt sind sie noch im 9. Jahi'hundert von Theophanes,
Agnellus und einem Mönche von St. Gallen benutzt. Sie müssen
mehrmals redigiert und jedesmal mit neuer Fortsetzung heraus-
gegeben sein. Die erste Redaktion fällt vor das Jahr 445 , in
welchem Prosper sie bereits für die erste Ausgabe seiner Chronik
benutzt hat ; dieselbe Redaktion wird auch dem Chronicon imperiale
vorgelegen haben. Eine zweite schloTs , wie wir mit ziemlicher
Sicherheit sagen können, mit dem Jahre 493 ; sie ist von Cassiodor
und Marcellin benutzt. Die meisten Chronisten schöpften aus einer
Vorlage, welche über dieses Jahr noch hinausreichte, so der Anony-
mus Valesianus ^), Marius, der langobardische Chronist (Cont. Pro-
') Die Ravennater Annalen, NA. I, 215 — 368. Eine Berichtigung von
Usener in dem Anecdoton Holderi, 1877. Benutzung bei Beda nach
L. Schmidt, NA. IX, 197, verworfen v. Mommsen a. a. 0. S. 253.
^) Mareellinus Com es, s. Marcellini V. C. Chronicon ed. Momm-
sen, Auctt. antt. XI, 37—108 mit ausführlicher Einleitung (vgl. XIH, 725);
s. Holder-Egger, NA. II. 49 — 109. Sein Werk reicht im Auschluls an
Hieronymus von 379 — 518 und ist von ihm selbst bis 534 , weiter bis
548 fortgesetzt. Die weitere Fortsetzung 549 — 566 in den Ausgaben (ed.
Mommsen p. 48) ist aus Herrn. Contr. entlehnt, wie Waitz, Gott. Nachr.
1857, S. 38 nachgewiesen hat. Jordanis hat nach Mommsen (}). 58) neben
Marcellinus dessen Quellen benutzt, eine ausführlichere Recension seiner
Chronik ist nicht wahrscheinlich.
') Anonymus Yalesianus, zuerst von H. Valois mit Ammianus
Marcellinus herausgegebene Hauptquelle für Odovacar und Theodorich.
Neue Ausgabe mit Benutzung der wiedergefundenen Es. hinter Amm.
Marc. ed. Y. Gardthausen, Lips. 1875; Mommsen, Auctt. antt. IX. 3 — 11.
259—262. 306—328. XIII, 717. 720. Ausführlich über den An. Val.
handelt C. Cipolla im Bullettino dell' Istituto stör. (1892) n. 2, p. 7—98:
er sieht in ihm eine Reihe lückenhafter und entstellter Auszüge aus einer
älteren umfassenderen Quelle. Uebers. v. D. Coste bei Procops Goten-
krieg. Benutzt von Sicard von Cremona, s. Holder-Egger, NA. XXVI,
475 flg. Vgl. C. Frick über d. cod. Pal. 927 in d. Comm. Wolf lin. von
Mommsen zurückgewiesen. Nach Holder-Egger im NA. J. 316—324
schrieb er in Ravenna und benutzte die verlorene Chronik des Bischofs
Maximian (546—556); SS. Langob. p. 273 stimmt H. E. der Ansicht bei,
Konsularfasten. 63
speri Havniensis), wahrscheinlich auch der Verfasser der Continuatio
und des Auctarium Prosperi ') in der vatikanischen Handschrift. . . .
Wie weit deren Exemplare reichten, läfst sich nicht bestimmen ; doch
ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden , dafs im Jahre 526
eine neue Redaktion abgeschlossen ist. Wahrscheinlich ist dann
noch eine neue Fortsetzung etwa bis zum Jahre 572 in Ravenna
hinzugefügt; diese letztere hätte dann Agnellus, möglicherweise
auch der Mönch von St. Gallen -) benutzt."
Leicht möglich ist es, dafs Holder-Egger in seinen Folgerungen
zu weit gegangen ist. G. Kaufmann hat dieselben angegriffen ^) ;
er bestreitet die Ableitung mancher Nachrichten aus dieser Quelle,
beschränkt die Ravennater Fasten auf die Zeit von 455 — 493, und
bestreitet ihren amtlichen Charakter. Das Gewicht seiner Gründe
ist nicht zu verkennen ; ohne Zweifel hat es damals noch vielerlei
Aufzeichnungen gegeben, welche sich meistens an Konsullisten an-
geschlossen haben werden. Doch von allen unterscheiden sich die
Ravennater durch ihre knappe Auswahl und Fassung , und durch
die genauen Tagesdaten'*).
Auch von einer zweiten Konsulliste mit stadtrömischen Nach-
richten lassen sich Spuren nachweisen. Ein Exemplar der raven-
natischen aber bis etwa 456 ist nach Holder-Eggers Vermutung
nach Arles gekommen, dort überarbeitet, mit gallischen Nach-
richten verbunden und fortgesetzt worden. Diese so neu entstan-
denen Annalen sind von Gregor von Tours und dem sogenannten
Severus Sulpitius^) benutzt.
der Anon. sei ein Fragment der Chronik Maximians, nach Mommsen
S. 257 — 258 dagegen hat er dieselbe vielmehr nur abgekürzt und fort-
gesetzt.
^) Nach Br. Knisch in NA. IX, 103 nm- eine Kopie des Ostercyklus
des Victurius mit einigen bist. Zusätzen ; die doppelten Osterdaten hat
Holder-Egger irrtümlich f. bist. Daten gehalten.
^) Excerptum ex Chronica Horosii , mit gleichzeitiger Notiz über das
Erdbeben vom April 849, gedr. e cod. S. Galli 878 von De Rossi, Bullet-
tino di Archeologia crist. 1867, S. 17 — 23. Wiederholt von G. Kaufmann,
Die Ravenn. Fasten, S. 484. Auctt. antt. IX, 32, n. 1. Frick, Chron.
min. S. 419.
^) Die Fasten v. Konstantinopel u. Ravenna, Philologus XLII, 471—510.
*) Mommsen, Praef. Jord. p. XXXIX, sagt von den „Consularia
Ravennatia" : „tota imbuta spiritu regni Theodericiani, sive ea publico
consilio edita sunt, sive, quod prudentiores praef erent, a laudatore aliquo
Status praesentis". Auch in der neuen Ausgabe verhält er sich dagegen
ablehnend, p. 251.
■'') Holder-Egger , üeber die Weltchronik des sog. Severus Sulpi-
tius und südgallische Annalen des 5. Jahrhunderts. Gott. 1875. Neue
Ausgabe von Mommsen, Auctt. antt. IX, p. 626. 632 — 666 als „Chronica
ad annum 511".
(54 1. Vorzeit. § 3. Anfänge und Gattungen.
Die ursprünglich in Italien zusammengestellten und fortgesetzten
Fasten kamen unter Constantin auch nach Konstantinopel und wurden
hier fortgeführt; ein Exemplar, welches bis zum Tode Theodosius' I.
reichte, kam nach Spanien und ist uns, jedoch nur im Auszuge,
von Hydatius mit seiner Fortsetzung und in engster Verbindung
mit seiner Chronik bis 468 erhalten. Reichlichere Auszüge aus
dem ursprünglichen und in Konstantinopel fortgeführten Werk
sind im Chronicon paschale bis 630 enthalten. Aus beiden hat
Mommsen die Consularia Gonstantinopolitana (bis 468) zusammen-
gestellt 0.
In gleicher Weise, wie diese Konsultafeln zu einem chrono-
logischen Anhalt für geschichtliche Notizen dienten , benutzte man
auch die Folge der Kaiser, indem man entweder nur mit jedem
Namen kurze Bemerkungen verband, oder auch die Regierungsjahre
der Kaiser einzeln unterschied -). Weit zweckmäl'siger für kurze
annalistische Aufzeichnungen waren aber nach dem Aufhören der
Konsularfasten die Oster tafeln, welche sich ebenfalls in jenem
Kalender fanden und auch ohne denselben bald in jeder bedeuten-
deren Kirche vorhanden waren. Im Abendlande fand nach manchen
Versuchen, unter denen die Ostertafel des Aquitaniers Victurius eine
gewisse Rolle spielt, besonders der von Dionysius Exiguus ange-
nommene Kanon des Alexandrinischen Bischofs Cyrillus eine grol'se
Verbreitung, welche noch zunahm, als Beda die Tafeln desselben
über die Cyklen von 1 — 532 und von da bis 1063 in sein Werk
De rafione tempormn aufnahm ^).
Doch hat es längere Zeit gedauert, bis man von der einmal
herkömmlichen Rechnung nach Konsulaten und Jahren der Kaiser
abging; in England zuerst, wo man aufserhalb des römischen Her-
kommens stand, sind Ostertafeln zu diesem Zwecke benutzt und von
^) MG. Auctt. antt. IX, 197—247. Gegen Mommsens Annahme einer
umfangreichen latein. Chronik als Original zu den beiden ersten Ab-
schnitten der Fasti Idatiani und der Fastenchronik des Chronicon paschale
erklärt sich Karl Frick, Die Fasti Idatiani und das Chronicon paschale.
Byzantin. Zeitsch. T, 283—292.
^) S. hierüber Bethmann im Archiv X, 387 und über die Ostertafeln
S. 279; vgl. V, 102 und Piper, Karls des Grol'sen Kalendarium und Oster-
tafeln, Berlin 1858, S. 100 ff. — Die Echtheit der Briefe von Victurius
und Papst Hilarus vor dem Canon paschalis hat Br. Krusch erwiesen,
NA. IV, 169—172. IX, 102, abgedruckt bei Mommsen, Auctt. antt. IX,
677 flg.
^) S. darüber Br. Krusch , Die Einführung des griech. Paschalritus
im Abendlande, NA. IX, 99 — 169, vgl. 658. — Konsulliste des Victurius
mit Forts, ib. S. 269 — 281 ; Victorii Aquitani Cursus paschalis, Auctt. antt.
IX, 667—785.
Pontificale Romanuin. 65
dort durch die Vermittelung der irischen und englischen Missionare
nach Gallien und Deutschland gekommen ')•
Schon 354 hatte auch der römische Staatskalender ein Ver-
zeichnis der römischen Päpste aufgenommen, welches seiner
Anlage nach um 230 entstanden ist. Dieses wurde in der Folge
nicht allein immer weiter fortgesetzt, sondern auch durch allerlei
Zusätze vermehrt. Man fügte die Amtsdauer der PUpste hinzu,
ihre Bauten und andere Verdienste um die kirchliche Verwaltung,
die von ihnen vorgenommenen Weihen, endlich auch geschichtliche
Vorfälle, und so entstand das Ponfificalc Romanum, welches früher
gewöhnlich nach dem päpstlichen Bibliothekar Anastasius benannt
wurde. Doch zeigen weit ältere Handschriften, dafs schon im
7, Jahrhundert der Anfang des Werkes vorhanden war ") , welches
in erster Ausgabe nach Mommsen nicht vor dem Tode Theoderichs
abschlofs, in zweiter bis auf Conon 686 — 687 reichte; Beda und
Paulus Diakonus haben diese Aufzeichnungen bereits benutzen
^) Es kann ja auch einmal in Italien geschehen sein, vgl. NA. 1, 283,
aber die hier früher nach Bethmann im Arch. X, 820 angeführte Hand-
schrift aus Sant Andrea della Valle enthält keine Annalen. Es ist Christ.
2077, gedr. Roncall. I, 721 ; vgl. Mommsen im Hermes 1, 130, Auctt. antt.
IX, 372 flg., NA. 1, 29 und das Facs. bei Zangemeister u. Wattenbach,
Exempla codicum Latinorum Tab. IV.
2) S. Pertz im Archiv V, 70—74; De Rossi, La Roma sott. 1, 122.
Sorgfältige Analyse des ganzen Werkes bei Piper, Einl. in die monu-
mentale Theologie (Gotha 1867), S. 315— 349, der auch bereits die Be-
nutzung durch Beda nachgewiesen und die Wichtigkeit dieses Verhält-
nisses für die Kritik hervorgehoben hat, vgl. S. 198. 202 Anm. 12. —
Ganz neue Ansichten über diesen ältesten Teil, seine Entstehung und
das Verhältnis der Handschriften entwickelte L. Duchesne, Etüde sur le
Liber pontificalis, Paris 1877 (Biblioth. des ecoles Franp. d'Athenes et
de Rome, 1). Ihm entgegnete Waitz, NA. IV, 215—237: Ueber die ver-
schiedenen Texte des Liber pontificalis. Ders. V, 229 über Lipsius : Neue
Studien zur Papstchronologie; VIII, 405 über eine neue Schrift von
Duchesne; IX, 457—472 über den sog. Catal. Cononianus; X, 453 — 465
über die ital. Hss.; über den Catal. Felicianus XI, 217—229. Vgl. auch
Krusch, XII, 236. Jetzt ist die Ausgabe von Duchesne Bd. I. 1886, II. 1892
erschienen, während Waitz dazu nicht mehr gekommen ist. Rec. v. Grisar,
Zeitschr. f. Kath. Theol. 1887, S. 417—446. Ihm folgte Libri pontificalis
pars prior ed. Mommsen, Berlin 1898 (bis auf Konstantin f 715), als
I. Band der Gesta pontific. Romanor. Vgl. darüber Duchesne in den Me-
langes d'archeol. et d'hist. XVIII, 381—417. Gute Uebersicht gibt Brack-
mann, Lib. pontificalis in der Realencykl. f. protest. Theol. u. Kirche,
3. Aufl. — Ein merkwürd. Elogium Liherii jjapae (f 366) hat De Rossi
herausoregeben, Bullettino di Archeologia crist. 1883, wiederholt Inscript.
Christ. ll, 83 u. 85. Prof. Funk im Hist. Jahrb. V, 424-436 u. XII, 757 ff.,
bezieht es jedoch auf Martin I (f 055), Friedrich, Münch. SB. 1891, S. 87
bis 127 auf Johannes I., De Rossi wieder auf Liberius im Bull. 1891.
Mommsen in der D. Zeitschr. für Gesch.-Wiss. 1896/97 auf Felix II.
Wattenbach, Geschiclitsquellen. I. 7. Aufl. 5
(36 T. Vorzeit. § 3. Anfänge und Gattungen.
können. Eine ältere Rezension aus dem Anfange des 0. Jahrhunderts,
die mit Felix IV. (f 530) enden sollte, nahmen Rossi und Duchesne
an. Eine übersichtliche Darstellung der Entstehung dieses Werkes
und seiner Fortsetzungen hat Giesebrecht gegeben in der Allgemeinen
Monatschrift für 1852, April. Wie in Rom, so entstanden ähnliche
Aufzeichnungen auch an anderen Bischofsitzen und in manchen
Klöstern, und daraus erwuchsen später die ausführlichen Geschichten
der Bistümer und Klöster, welche in der geschichtlichen Litteratur
des Mittelalters eine so bedeutende Stelle einnehmen.
Endlich aber enthält auch der Abschnitt des Kalenders , in
welchem die Todestage der Märtyrer und Päpste -verzeichnet sind,
den Anfang eines ganz eigentümlichen Zweiges der Litteratur,
nämlich der Martyrologien, in welchen die dort verzeichneten
Namen sich immer als die ersten wiederfinden und gewissermafsen
den Kern der immer mehr anwachsenden Verzeichnisse bilden,
welche zu dem blofsen Namen bald auch Nachrichten über Leiden
und Leben der Märtyrer und Bekenner hinzufügen. Wir sahen
schon , wie lehrreich diese Martyrologien in Rettbergs Händen für
die Entstehungsgeschichte der kirchlichen Sage geworden sind ;
denn da die Zeit der Verfasser bekannt ist, so läfst sich darin die
allmähliche Erweiterung der Legenden urkundlich nachweisen '). Das
älteste trägt den Namen des Hieronymus ^) , obwohl mit Unrecht ;
es hat sich nur in einer gallischen Redaktion erhalten , die auf
Luxeuil und die Jahre 627 — 628 zurückgeht, wie Krusch gegen
Duchesne, der sich für Auxerre erklärte, überzeugend nachgewiesen
hat. Ueber seine Zusammensetzung aus älteren Quellen und die Kritik
einzelner Angaben, namentlich die vielen Verdoppelungen, handelte
Achelis ^). Besonders geschätzt ist das Martyrologium Gellonense '*).
Die gröfste Verbreitung fand , wie alle Schriften B e d a s , auch
dessen Martyrologium , das wir jedoch nicht in seiner ursprüng-
') Ausführlicheres darüber mit dem Nachweise der Ausgaben bei
Rettberg I, 76. Vgl. Potthast I, 773—775. Das Hauptwerk ist die Ab-
handl. von J. B. Sollerius vor der Ausg. des Martyrol. Usuardi, Acta SS.
Jun. VI. Vgl. auch die oben S. 47 angef. Schrift v. Fr. Stolle.
^) Mart. Hieron. ed. Fiorentini, Lucae 1668. Nach den 3 besten Hss.
ist es jetzt herausgegeben, Acta SS. Nov. IT. 1 flg. (1894) von De Rossi
u. Duchesne, s. die Kritik von Krusch NA. XX, 487—440, ferner XXIV,
294—331. XXVI; 349—389; Mitt. d. Inst. XXI, 9—97.
=>) Ueber die mittelalterl. Martyrologien S. 111—115. 213—239, angez.
von Krusch, D. Litteraturzeit. 1901, S. 133—187.
*) D'Acheiy Spicil. ed. IL II, 27. Geschrieben 792—795, vielleicht in
Rebais, s. Traube, Reg. S. Bened. S, 124. Sickel in d. Wiener SB.
XXXVIII, 161 macht auf das noch nicht benutzte Martyrologium aus
derselben Zeit im Wiener Cod. 387 aus Salzburg aufmerksam.
Die Maityrologien. 67
liehen Gestalt besitzen, sondern nur mit den Zusätzen des Florus,
eines Subdiakonus zu Lyon im 9. Jahrhundert '). So kam also
auch dieser Zweig der Litteratur über England nach Gallien ; hier
wurde er im 9. Jahrhundert mit besonderer Vorliebe behandelt,
und aus der mündlich sich fortbildenden Tradition kamen bei jeder
neuen Ausgabe stets auch neue Zusätze hinzu. Ein Reichenauer,
welches zwischen 837 und 842 entstanden ist, gab A. Holder
heraus"). Eine metrische Bearbeitung verfafste um H50 Wan-
dalbert, Mönch zu Prüm ■^), andere in Prosa Hraban*) zwischen
842 und 854, Ado von Vienne"^) (859-874), und auf Befehl Karls
des Kahlen Husward*^) (Usuardus) im Jahre 875; am Ende des
Jahrhunderts schrieben Notker der Stammler (896) auf der Basis
des von Ado 870 den Mönchen von St. Gallen geschenkten Exem-
plars seines Martyrologium ') , und in Versen Erchempert, der
Mönch von Montecassino ■ ) ; noch im 11. Jahrhundert verfafste
Hermann von Reichenau ein Martyrologium*). Damit war
1) In den Werken des Beda (ed. Giles IV, 1-5 ff.) und Acta SS. Mart. II.
Ueber ein ihm zugeschriebenes kurzes Mart. in Hexametern (ed. Giles I,
50—53) vgl. Dümmler, NA. IV, 516; Poet. Carol. III, 294.
2) Rom. Quartalschr. III, 204—251.
^) Erste krit. Ausgabe von Dümmler, Poetae Lat. aevi Carolini II,
569—603.
*) Canis. VI, 687—758 = II, 2, 313 (Hrabani opp. ed. Colvener.
VI, 179—201, Migne CX, 1121—1188). Vgl. E. Dümmler, Das Martyrol.
Notkers u. seine Verwandten (Forsch. XXV, S. 197 — 200), mit Ergänzung
des Textes.
*) Herausgeg. von Surius im Anhange der Vitae probb. SS., dann von
Heribert van Rosweyd mit dem Martyrologium Romanum ; am besten ed.
Domenico Giorgi, Romae 1745 (Migne CXXIII, 145). Vergleichung eines
cod. Hamilton, aus Novalese bei Cipolla , Appunti dal cod. Noval. del
M. A., Memorie dell' Acc. di Torino ser. II, t. 44, 1894. lieber das vorher-
gehende, von Ado in Ravenna abgeschriebene Romano piccolo s. De Rossi,
La Roma sott. I, 125. Vgl. Dümmler a. a. 0. S. 200.
8) Ed. Sollerius, Acta SS. Jun. VI u. VII. Migne CXXIV, 1-860.
A. Longnon, Notice sur le plus ancien obituaire de l'abbaye de St. Ger-
main-des-pres (Not. et Doc. publ. p. la Soc. de l'hist. de France p. 19)
hält diese Hs. für sein Autograph.
') Canis. VI, 759—932 = II, 3, 89 (Migne CXXXI, 1025-1164). Vgl.
Dümmler, St. Gall. Denkmale, S. 252. Scherrer S. 149 über den cod. 454.
Dümmler, Forsch. XXV, 202 ff. Es ist unvollständig erhalten (nur bis
zum 26. Okt.).
8) NA. IV, 544. VI, 285. Noch ungedruckt. Die nach der Vorr. zur
Bezeichnung seiner Zusätze gesetzten obeli finden sieh in der Hs. nicht. —
Ein metr. Martyrologium (Anf. Jure calendanim) ist aus dem angels. Teil
der Hs. Galba A. 18, die K. Aethelstans Psalter gewesen sein soll, herausg.
v. Hampson, Medii Aevi Calendarium (1841), S. 397—420. Die Hs. ist be-
schrieben in Thompsons Catal. of anc. mss. Latin (1884), S. 12, Fase. pl. 28.
*) Darüber, nebst Zusätzen einer späteren Bearbeitung, Dümmler ib.
S. 208—214.
68 I. Vorzeit. § 3. Anfänge und Gattungen.
nun aber auch dem Verlangen nach Martyrologien völlig genügt;
man fragte nicht mehr so viel nach diesen immer noch kurzen
und dürftigen Aufzeichnungen, da man bereits eine sehr grofse Zahl
ausführlicher Legenden besafs, teils aus der Zeit der Merowinger,
teils aber auch über eben jene alten Märtyrer, von denen die
Martyrologien so v/enig zu sagen wufsten. Der Wunsch danach
war zu dringend, besonders in den Klöstern, vs^elche Reliquien von
ihnen besafsen , als dafs nicht eine reiche Auswahl nachgemachter
Legenden hätte entstehen sollen, welche leicht genug Glauben fanden
oder doch in Ermangelung anderer benutzt wurden , wie z. B. die
Legende vom Apostel Thomas , deren ünglaubwürdigkeit wohl be-
kannt war ^). Bald hatte man Legenden für jeden Tag im Jahr,
und eine Sammlung derselben veranstaltete schon im Anfange des
10. Jahrhunderts Wolfhard, Mönch zu Herrieden ^). Kleinere,
unvollständige Legendarien hatte man schon früher, und sie finden
sich in grofser Zahl in den folgenden Jahrhunderten , bis sie end-
lich wiederum verdrängt wurden durch die in zahllosen Abschriften
verbreitete Goldene Legende des Jacob von Genua ^), welche
dem Gebrauch für das Leben und für die praktische Anwendung
auf der Kanzel am meisten entsprach und in gedrängter Kürze
den ganzen Kreis der Heiligengeschichte auf den Umfang eines
Bandes beschränkte.
Geschichtlich ist Jacobs kompendiarische Behandlung der Le-
genden unbrauchbar; die ausführlichen Lebensbeschreibungen der
Heiligen aber enthalten für manche Zeiträume die wertvollsten
Nachrichten. Auch diese Aufzeichnungen finden ihre Vorbilder
schon in den früheren Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit.
Die christlichen Gemeinden teilten sich untereinander die Todes-
tage der Märtyrer mit nebst den Umständen ihres Leidens, und
solche Mitteilungen wurden bei ihren Zusammenkünften verlesen.
Bald fing man auch an , das Leben anderer frommen Männer, der
Bekenner, aufzuzeichnen. Cassians vielgelesenes Werk über die Ein-
siedler der Thebais, das Leben des Cyprian, Ambrosius, Augustin,
und ganz besonders das um 400 von Sulpicius Severus verfafste
') Ch. Schmidt, Histoire du Chapitre de Saint-Thomas de Strasbourg,
p. 121. Auch in Handschriften des Thomasklosters zu Vorau fand ich die
Klage über den Mangel an authentischen Nachrichten bei den Legenden
des Heiligen, die man aus Not benutzte.
2) Anon. Haser. MG. SS. VIF, 256. Vgl. Archiv V, 565. X, 645.
Ueber sein Martyrologium s. Anal. Bolland. XVII, 5 — 23.
^) Jacobi a Voragine Legenda aurea, vulgo Historia Lombardica dicta,
reo. Th. Grässe, ed. II, Lips. 1850. 8.
Martyrologien und Legenden. 09
und durch ganz Gallien verbreitete Leben des heiligen Martin von
Tours V) von Fortunatus später in Verse gebracht , regten zu ähn-
licher Thätigkeit an-). Benedikt von Nursia, der eigentliche Be-
gründer des abendländischen Mönchtums, fand einen Biographen
in dem Papste Gregor dem Grofsen, und dieses Werk fehlte natür-
lich in keinem Kloster seines Ordens ; nebst den übrigen Büchern
der Dialoge bot es der Wundersucht des Mittelalters reichliche
Nahrung und reizte zur Nachahmung. Daran also schliefst sich
nun eine überaus reiche Litteratur, und wenn auch vielfach der
erbauliche Ton so sehr überwiegt, dafs der geschichtliche Wert
nur gering ist, so ist doch keine der wirklich echten gleichzeitigen
Biographieen ganz ohne Frucht, und für die Zeiten, wo die Heiligen
zugleich Staatsmänner waren , gehören ihre Lebensbeschreibungen
zu den wichtigsten Quellen der Geschichte. Mit dem 13. Jahr-
hundert aber verlieren sie fast alle Bedeutung.
Ganz vereinzelt erscheint daneben die weltliche Biographie ; nur
einige Kaiser haben Lebensbeschreiber gefunden , und wenn Ein-
hard den Sueton zum Vorbilde nahm , so ist das nur eine ver-
einzelte Frucht der durch Karl den Grofsen erneuten Einwirkung
auch der heidnischen Klassiker ; eine lebendige Fortentwickelung
knüpfte sich allein an die kirchliche Litteratur.
Zu erwähnen bleibt endlich noch eine Art der Aufzeichnung,
welche den Martyrologien sehr nahe steht und häufig damit ver-
bunden ist, die Nekrologien nämlich, in welchen die Todestage
(ohne die Jahre) aller derjenigen verzeichnet wurden , deren Ge-
dächtnis in der Kirche oder dem Kloster, dem diese Aufzeichnungen
angehörten, gefeiert werden sollte. Da jeder angesehene Mann sich
um seiner Seligkeit willen eine solche Gedächtnisfeier zu sichern
pflegte, erfahren wir hierdurch ihre Todestage, deren Kenntnis für
manche Fragen wichtig werden kann ; auch für die verwandtschaft-
^) Vgl. Reinkens, Martin v. Tours (1866), S. 258—274. Fast unbeachtet
dagegen und ohne Nachwirkung blieb desselben Sulpicius Chronik bis
403, welche, die jüdische Geschichte mit der profanen verarbeitend , im
Stile sich den Werken des Sallust, Veliejus, Tacitus anschlofs und dem
Geschmacke des Mittelalters nicht zusagte; s. die geistreiche Würdigung
dieses Werkes von Jakob Bernays: üeber die Chronik des Sulpicius Se-
verus, Berlin 1861, 4. u. in d. Sammlung seiner Kl. Schriften. Benutzung
in der V. Heinr. I^'. sucht Gundlach ohne Erfolg nachzuweisen, NA. XI,
299 — 304. Neue Ausg. von C. Halm: Sulpicii Severi libri qui supersunt.
Vindob. 1866, und von A. Lavertujon, 2 Bände, Paris 1896—1899. Ebert
S. 327—336.
^) Wie sehr es bis ins 13. Jahrb. als Vorbild diente und ausgenutzt
wurde, zeigt Manitius, NA. XIV, 165—170. XV, 194—196.
70 I- Vorzeit. § 3. Anfänge und Gattungen.
liehen Verhältnisse ist manches daraus zu entnehmen, und zuweilen
sind auch einzelne geschichtliche Begebenheiten anderer Art, z. B.
Schlachttage, darin verzeichnet. Zur geschichtlichen Litteratur kann
man diese dürren Namensverzeichnisse, welche freilich einen grofsen
Wert für die deutsche Sprachforschung haben, nicht rechnen, und
ich beschränke mich daher auf diese Erwähnung und auf ein Ver-
zeichnis der mir bekannt gewordenen gedruckten Nekrologien,
welches im Anfange zu finden ist.
Eine Zeitbestimmung ist nicht hinzugefügt, weil auch in jüngere
Nekrologien einzelne ältere Angaben herübergenommen sind und
ältere durch die fortgesetzten Eintragungen wertvoller zu werden
pflegen. Doch ist es nicht unwichtig, die Zeit der ersten Anlage
zu erkennen; bei dem lobenswerten Versuche, dahin zu gelangen,
begegnet aber stets wiederholt ein Fehler, vor dem ich deshalb
ausdrücklich warnen möchte. Die Herausgeber glauben nämlich, zu
dieser Bestimmung die Ansetzung des Osterfestes benutzen zu können,
und lassen sich dabei auch durch den auffallenden Umstand nicht
stören, dafs dieser überall derselbe ist, nämlich der 27. März; auch
nicht dadurch , dafs es ja gar keinen Sinn haben würde , das zu-
fällige Datum eines einzelnen Jahres einzutragen. Es ist aber dieser
27. März ein festes Datum , welches man für dasjenige der wirk-
lichen Auferstehung hielt.
Den vollen Nutzen für geschichtliche Forschung werden diese
Nekrologien erst gewähren, wenn sie systematisch gesammelt, durch-
gearbeitet und zusammengestellt sind. Das ist jetzt geleistet von
Baumann für die Sprengel von Augsburg, Constanz und Chur ^),
von Herzberg-Fränkel für Salzburg ^) , und wird für die anderen
bayerischen Bistümer vorbereitet.
Geschichtlich noch wichtiger sind die Toten- Annalen, in
welchen Jahr für Jahr die Todesfälle eingetragen sind. Solche sind
aus Fulda von 779 — 1065 erhalten ^), und an diese sich anschliefsend,
aber weit weniger reichhaltig, aus Prüm, von 1039 — 1104''), aus
St. Blasien von vor 1036— 1474 s).
') MG. Necrologia Germaniae I. 1888; vgl. NA. VII, 19—41. VIII,
425—447. XIII, 409—429.
^) A^ol. II, 1. 1880; vgl. NA. XIII, 269-304.
^) Erste vollständige Ausg. aus den verschiedenen Hss. v. G. Waitz :
Annales necrologici Fuldense.'^, MG. SS. XIII, 161—215.
'•) Annales necrologici Prüm. ib. p. 219 — 223 (mit Benutzung der
Fulder).
^) Necrol. I, 329—333. Die Weltenburger 1045—1109 (MB. XIII, 473
bis 493) werden auch wohl bei den Necrol. gedruckt.
Totenbücher und Verbrüderungsbücher. 71
Eine besondere Erwähnung verdienen neben jenen die alten
Diptycha, in welche Namen ohne Daten eingetragen wurden,
um sie der Fürbitte teilhaftig werden zu lassen, wobei auf die
Ordnung nichts ankam; aus Fulda, Trier, Novara haben sich der-
gleichen erhalten '). In Ermangelung anderer Denkmäler hat man
daraus Bischofslisten entnommen, deren Lücken und Umstellungen
sich aus solchem Ursprung erklären.
Hierher gehört auch die Sitte, in Evangelienbücher Namen
einzutragen , wovon man sich gute Folgen für das Seelenheil ver-
sprach. So schrieb nach einer Mitteilung von K. Lamprecht in der
Westd. Zeitschr. IV, 156 in einem Evangeliar des Castorstifts in Kob-
lenz der Schreiber selbst hinzu: „Waniggus peccator nomen habeo.
in vitae libro mei raemoriam condo". Darauf folgen andere Namen.
Beispiele davon kommen auch sonst in Sacramentarien vor -) ; ge-
schichtlich wichtig sind die Eintragungen im Evangeliar von Aquileja
(aus Duino bei Triest stammend) für die Anfänge des Christentums
unter den Bulgaren, während Theodelinde und andere Namen
später trügerisch zugesetzt sind, was Bethmann entdeckt und nach-
gewiesen hat^).
Auf diesen Grundlagen beruhen die Verbrüderungsbücher
(libri vitae) , in welche Lebende eingetragen wurden ; bei weitem
das wichtigste darunter ist das von Karajan, jetzt aber mit wesent-
lichen Verbesserungen von Herzberg-Fränkel herausgegebene von
Sankt Peter in Salzburg^); als Anfang einer systematischen Be-
arbeitung sind die von Sankt Gallen, Reichenau und Pfävers
erschienen '"). Sie geben über die Verbindungen der Klöster unter-
einander Kunde und sind, ebenso wie die Totenbücher, durch die
') Das älteste, aus dem 6. bis 7. Jahrhundert stammend, befindet sich
jetzt im Museum du Louvre in Paris, s. Omont im Journal des Savants
1901, S. 101-105.
2) L. Delisle, Bibl. de l'Ecole des eh. 1876, S. 484. Delisle, Mem. sur
d'anciens sacramentaires p. 85. 96. 99. 125 etc.
ä) NA. II, 112—128, vgl. Mitteil, des Inst. X, 479.
*) Necrol. II, 3—60; vgl. NA. XII, 53—107, über die Sprache Zs. f.
D. Altert. XLIII. 1-45, Anz. S. 395.
^) MG. Libri Confraternitatum S. Galli, Augiensis, Fabariensis, ed.
P. Piper 1884. Das Verbrüderungsbuch von St. Gallen ist, nebst dem
Buche der Gelübde , auch von E. Arbenz herausgegeben und erläutert,
Mitt. z. vaterl. Gesch. XIX. St. Gallen 1884. Vgl. auch C. Will, Monum.
Blidenstatensia , p. XX — XXII. A. Ebner, Die klösterlichen Gebetsver-
brüderungen, Regensburg 1890. Lib. vitae von Remiremont, NA. XIX,
47 — 83, lehrreich für Einrichtung der alten Toten- und Verbrüderungs-
bücher. Ueber das Verbrüderungsbuch des Nonnenklosters S. Julia in
Brescia s. Mühlbacher in den Mitteil, des Inst. X, 469 — 479.
72 ^- Vorzeit. § 4. Die Ostgoten.
Fülle alter Eigennamen für die Sprachforschung von Bedeutung.
Auch von den Rot ein späterer Zeit, durch welche man von den
Todesfällen verbundenen Klöstern Nachricht gab, und welche teils
nur mit Empfangsbescheinigung, teils sogar mit längeren Gedichten
versehen wurden, hat sich namentlich in Frankreich eine grol'se
Anzahl , wenn auch meistens nur fragmentarisch , erhalten , welche
von L. Delisle gesammelt und herausgegeben ist ')■ Ein Liber vitae
ecclesiae Dunelmensis (jetzt Cott. Domit. A. VII) aus der Mitte des
9, Jahrhunderts und bis in späte Zeit fortgeführt, lag im Pracht-
band auf dem Altar-), herausgegeben von Stevenson 1841.
§ 4. Die Ostgoten. Cassiodor.
Manso, Geschichte des ostgotischen Reiches in Italien, Breslau 1824. Aschbach,
Geschichte der Westgoten, Frankfurt 1827. Waitz, Ueber das Leben und die
Lehre des Ulfila, Hannover 1840. 4. Bessell, Ueber das Leben des Ulfilas und
die Bekehrung der Goten zum Christentum, Göttingen 1860. Kautfmann, Aus
der Schule des Wulfila, Strassburg 1899. Max Müller, Lectures on the Science
of Language, 2. ed. 1862, p 179 ff. Bessell, Art. Goten in der Encyklopädie von
Ersch und Gruber I, 75, S. 98 242 (1862). Raszraann, Got. Sprache und Litte-
ratur, ib. 294—348. Wietersheim, Geschichte der Völkerwanderung, bes. II, 137 ff.
Pallmann, Die Geschichte der Völkerwanderung, I, Gotha 1863. II, Weimar 1864.
F. Dahn, Die Könige der Germanen, Abt. II, 1861. Wackernagel, Geschichte der
deutschen Litteratur, 2. Ausg. 1 , 16—26. A. Thorbecke^ C. Senator, Progr. des
Heidelb. Lyceums 1S«7. Ad. Franz, C. Senator, Ein Beitr. z. Gesch. der theol.
Litt., Breslau 1872. Teuffei § 475. Ebert S. 498—542. Balzani p. 1—19. Rinaudo
p. 25— 31. — Ueber Cassiodor und Jordanis: Papencordt, Geschichte der vandal.
Herrschaft in Afrika (1837), S. 383—388. Freudensprung, De Jornande sive Jor-
dane et libellorum eius natalibus, Monaci 1837. H. v. Sybel, De fontibus libri
Jordanis de origine actuque Getarum, Berol. 1838; Entstehung d. D. Königtums,
2. Ausg. (1881), 8.134—218. Waitz, GGA. 1839, S. 769— 781. .loh. Jordan, Jordanes
Leben und Schriften, Progr des Gymnasiums zu Ansbach, 1843 J. Grimm, Ueber
Jornandes. Abh. der Berliner Akademie, 1846 (Kleinere Schriften III, 171-2.15).
Cassel, Magyarische Altertümer, 1818, S. 293—310. Stahlberg, Jornandes, Progr.
der höheren Bürgerschule zu Mühlheim a. Rh. 1854. C. Schirren, De ratione
quae inter Jordanem et Cassiodorium intercedat commentatio, Dorp. 1858; vgl.
die Recens. v. A. v. Gutschmid, Kl. Schriften V, 293—336. R. Köpke , Deutsche
Forschungen, Berlin 1859. Bessell, Artikel Goten, S. 101-116, rekapituliert die
ganze Frage. Waitz, Gott. Nachrichten 1865, Nr. 4, über das Verhältnis zum
Anon. Cuspiniani. Baehr S. 247—262. Mommsen, Praef. Jord. p. XL— XLIV. —
Cassiodori Oper. ed. Garet, Rothomagi 1679. fol. (Venet. 1729). Cassiodori Variae
ed. Mommsen, Auctt. antt. XII (1894); Orationum reliquiae ed. L. Traube, ebd.
457—484. H. Usener, Festschrift zur Philol. Vers, in Wiesbaden 1877 (Anecdoton
Holderi, Excerpt aus der früher unbekannten Schrift C.'s über die Schriftsteller
in seiner Familie); jetzt bei Mommsen S. V— VI; vgl. Schepss, im NA. XI, 125—128.
Das ostgotische Reich, so kurz es dauerte, bildete doch ein sehr
wichtiges Mittelglied zwischen der antiken Welt und dem Mittel-
alter, welche sich in ihm auf merkwürdige Weise berühren.
') Des monuments paleographiques concemant Fusage de prier pour
les morts, Bibl. de l'ecole des chartes, IT, 3, 361 — 411, und die Ausgabe:
Rouleaux des morts du IX, au XV. siecle, 1866. Vgl. Wattenbach, Schrift-
wesen (3. Ausg.), S. 165.
*) Genaue Beschreibung der Hs. v. Thompson im Catalogue of ancient
Latin Mss. p. 81 — 84.
Die Ostgoten. Boethius. 73
Der gotische Stamm war einer der begabtesten, bildungsfähigsten
deutschen Stämme. Er allein, nebst den Angelsachsen, hat von An-
fang an auch die Muttersprache ausgebildet, nicht nur in Lied und
Gesang, sondern auch für die Rechtssatzungen ') und zu wissenschaft-
lichem Gebrauch; aulser Vulfilas Bibelübersetzung haben sich auch
Fragmente einer Evangelienbarmonie erhalten. Getrennt von der
herrschenden Kirche, feierten sie den Gottesdienst in ihrer eigenen
Sprache ^), und deren Gebrauch war dadurch bei ihnen, wie später
bei den Slaven, besser gesichert als in der römischen Kirche. Den-
noch hätten auch die Ostgoten , wäre ihrem Reiche längere Dauer
beschieden gewesen , sich der Uebermacht römischer Kultur sicher
ebenso wenig zu erwehren vermocht, wie die Westgoten in Spanien
und später die Angelsachsen.
Denn mit der gröfsten Empfänglichkeit wandten die Goten sich
auch der antiken Bildung zu; Theoderichs Reich ist merkwürdig
als ein Versuch, die neuen Elemente mit den alten zu vereinen
und die Herrschaft in den alten Formen fortzufübi-en ; an seinem
Hofe hörte man noch die alten gotischen Heldenlieder, aber es
sammelten sich dort auch die noch übrigen Träger der alten Bil-
dung; hier entstanden mehrere der Werke, welche die Elemente
der alten Kultur dem Mittelalter überlieferten, aus denen es seine
Kenntnis des Altertums schöpfte und zugleich den gezierten dunkeln
Stil lernte, der damals in den Schulen der Rhetoren und Gram-
matiker für schön galt.
Den Schriftstellern des 4. Jahrhunderts, Donat, Macrobius, Mar-
cianus Capella, reiht sich Priscianus an, Theoderichs Zeitgenosse
und mit Cassiodor bekannt ; doch lebte er in Konstantinopel. Einer
der Haaptlehrer des Mittelalters aber, dem es zunächst die Kenntnis
der Aristotelischen Philosophie verdankte, war Boethius^), der
mit seinem gelehrten Schwiegervater Symmachus am Hofe zu
Ravenna lebte. Die Familie der Symmacher, die domni Symmachi,
werden uns ganz besondei's genannt unter den Männern, welche in
genauer Verbindung mit den Schulen der Grammatiker und Rhe-
toren noch einmal die heidnische Bildung neu zu beleben suchten,
durch Auffrischung der Mysterien, der Philosophie, und namentlich
auch durch angelegentliche Beschäftigung mit der alten Litteratur,
^) Ueber die gotischen Belagines s. Zeumer im NA. XXIII, 425.
2) Papencordt, Geschichte der vandalischen Herrschaft in Afrika,
S. 295.
^) So nach der Etymologie, während die handschriftliche Ueberliefe-
rung mehr für B o e t i u s spricht.
74 I- Vorzeit. § 4. Die Ostgoten.
deren Werke sie durch sorgfältige Verbesserung der verwahrlosten
Handschriften in diejenige Gestalt brachten, in welcher sie uns
jetzt vorliegen '). Das Christentum war nun freilich bereits zum
unbestrittenen Siege durchgedrungen , Boethius selbst ist zugleich
Theologe und der erste , welcher aristotelische Methoden auf theo-
logische Stofife angewendet hat. Auch Cassiodor gehört zu diesen
Vermittlern; erst in seinem Alter gab er sich immer ausschliefslicher
einer kirchlich frommen Richtung hin.
Dieselbe Mischung römischer und deutscher, heidnischer und
christlicher Elemente, wie an Theoderichs Hofe, finden wir nun
auch in der geschichtlichen Litteratur , die uns leider nur unvoll-
ständig erhalten ist. Was es für eine Bewandtnis mit den gotischen
Philosophen habe , mit Athanarit , Hildebald und Markomir , auf
die sich der Ravennatische Geograph beruft, ob sie gelebt haben
oder nicht, ist bis jetzt noch dunkel^). Deutlicher tritt der von
Jordanis ^) benutzte und gelobte Ablavius, der „treffliche Ge-
schichtschreiber des gotischen Volks", hervor. Mommsen vermutet,
dafs er an Theoderichs Hofe nicht lange vor Cassiodor geschrieben
und, der gotischen Sprache kundig, ihre üeberlieferungen und Lieder
mit den Nachrichten des Priscus u. a. verbunden habe. Er ist ge-
neigt, einen sehr wesentlichen Teil des Cassiodorischen Werkes ihm
zuzuschreiben, wenn auch Schirren sich von neuem sehr nachdrück-
lich dagegen erklärt hat. Der Name ist in jener Zeit häufig und
^) 0. Jahn, Ueber die Subskriptionen in den Handschriften römischer
Klassiker. Berichte über die Verhandlungen der königl. Sachs. Ges. der
W. Phil. bist. Klasse, III, 327. 1851.
^) Th. Mommsen, Ueber die Ravennatische Kosmographie, SB. der k.
Sachs. Ges. der W. Phil. bist. Klasse, III, 80—117. 18-51. Bock, Lettre
a Mr. Bethmann , Annuaire de la Bibl. Royale de Belgique , Vol. XII.
1851. Rec. vonWaitz, GGA. 1851, N. 121. Ravennatis Anonymi Cosmo-
graphia et Guidonis Geographia. Ex libris manuscriptis edd. M. Pinder
et G. Parthey, Berol. 1860. — Guido Pisanus excerpiei"te das ältere
Werk des 7. Jahrhunderts um 1119. Während Mommsen und De Rossi
{Giomale Arcadico CXXIV, p. 259—281. 1851) samt vielen anderen
seiner Gewährsmänner auch die gotischen Philosophen für erfunden
halten, sehen Bock und Pallmann, I, 9 — 12. II, 139, in ihnen Zeitgenossen
Theoderichs.
^) De orig. Gett. c. 4. 14. 23. Vgl. Sybel, De fontibus Jord. p. 34—37.
Schirren S. 36—44. Koepke S. 80. Gutschmid S. 129. 130. Sybel, König-
tum, S. 193. Mommsen, Praef. Jord. p. XXXVII. S. besonders jetzt Var.
X, 22 (ed. Mommsen 312) von W. Meyer verbessert: „Abiabi vestri historica
monimenta recolite." — Dafs um 1200 jemand Blavius de gestis Gothorum
aus der Bibliothek des Klosters Tegernsee verlangte (Pez, Thes. VI, 2, 53),
erklärt sich wohl einfach aus der Lektüre des Jordanis. Die Meinung
von P. Buchholz , dafs Flavius Blondus den A. gekannt habe , widerlegt
Mommsen p. XXXVII, n. 70.
Ablavius. Cassiotlorus. 75
lautet richtiger Abi ab ins, doch folge ich lieber der damals üb-
lichen, durch Jordanis bezeugten Aussprache.
Der rechte Vertreter dieses üebergangsreiches ist Flavius Magnus
Aurelius Cassiodorus') Senator, ein vornehmer Rümer von
angesehener Familie, aus Bruttien, vielleicht aus Squillace gebürtig
(gegen 490). Dem Beispiele seines Vaters folgend, stellte er sich der
Herrschaft der Barbaren nicht feindselig oder schmollend gegenüber,
sondern war als Staatsmann und als Gelehrter aufrichtig und un-
ablässig bemüht, die widerstrebenden Elemente friedlich zu ver-
binden und auszugleichen ; als Minister Theoderichs und seiner Nach-
folger suchte er die Regierung in den alten Formen fortzuführen,
und als Geschichtschreiber verkündete er den erstaunten Römern,
dafs das Volk der Goten und das Königsgeschlecht der Amaler ihnen
an Alter und Adel, ja sogar an uralter Kultur mindestens eben-
bürtig sei.
Schon die Chronik Cassiodors ^) dient der Verherrlichung
Theoderichs und seines Eidams Eutharich, dem sie in seinem Kon-
sulatsjahre überreicht wurde; der Schwall der Lobrede belebt 496
bis 519 das dürftig und ungeschickt zusammengestoppelte chrono-
logische Gerippe, dessen Mangelhaftigkeit und willkürlich leicht-
sinniges Machwerk Th. Mommsen schonungslos aufgedeckt hat.
Auch die wenigen früheren historischen Notizen zur Konsular-
tafel, die er aus Hieronymus, Prosper, Eutrop, von 456 — 493 aus
den Ravennater Fasten schöpfte ^) , hat er in gotischem Interesse
verändert ■*). Von weit gröfserem Wert, fleifsiger gearbeitet und
der schulmäfsigen Gelehrsamkeit jener Zeit entsprechend , waren
Cassiodors zwölf Bücher Gotischer Geschichten (zwischen 526
und 533 entstanden) , ein früh verlorenes Werk , über welches je-
doch der Auszug des Jordanis ein Urteil gestattet, denn nach den
Untersuchungen von Schirren und Koepke kann man es jetzt wohl
^) Die Form Cassiodorius wollten nach dem Veroneser Cod. saec. VII.
der Complexiones Maffei und Reifferscheid , SB. XLTX, 49, vorziehen.
Mommsen verwarf sie, Praef. Varr. p. XII, nachdem auch F. Rühl, Jahrb.
f. Philol. 1880, S. 564, sich dagegen erklärt.
^) Die Chronik des Cassiodorus Senator vom Jahre 519. Nach den
Handschriften herausgegeben von Th. Mommsen. Abhandl. der königl.
Sachs. Ges. der Wiss. VIII. 1861; Auctt. antt. XI, 109—161. — Zugesetzt
sind die Konsuln 520 — 559. Benutzt ist die Chronik nur von Hermannus
Contractus aus der Reichenauer, von Marian und den Ann. S. Dysibodi
aus der Mainzer Handschrift.
3) Holder-Egger, NA. I, 247—250.
"*) Vgl. Thorbecke S. 43. Ueber ein ähnliches Verfahren in der Goten-
geschichte s. G. Kaufmann, Forschungen VI, 464.
70 I- Vorzeit. § 4. Die Ostgoten.
als festgestellte Thatsache betrachten, wie es denn auch von Mommsen
angenommen ist, dafs der ganze wesentliche Inhalt dieses Werkes
mit EinschluCs des gelehrten Apparats von Cassiodor selbst her-
rührt ')• Aufserdem finden sich in der Sammlung seiner Briefe
mehrere Aeufserungen , welche sich auf sein Geschichtswerk be-
ziehen ; so legt er gleich in der Vorrede einem Freunde die Worte
in den Mund"): „Du hast in zwölf Büchern die Geschichte der
Goten in einer Blütenlese ihrer glücklichen Thaten niedergelegt".
Varr. XII, 20 (p. 377) wird eine Stelle über die Einnahme Roms
durch Alarich daraus angeführt, welche beweist, dafs auch die Ge-
schichte der Westgoten darin behandelt war.
Wichtiger aber und lehrreicher sind die Worte des Königs
Athalarich in dem Schreiben (Varr. IX, 25, p. 291), durch welches
er dem römischen Senate Cassiodors Erhebung zum Praefectus prae-
torio für das Jahr 534 anzeigt. Nicht damit habe er sich begnügt,
heifst es da, die lebenden Herren zu loben: „auch in das Altertum
Unseres Geschlechtes ist er hinaufgestiegen und hat durch Lesen
erkundet, was kaum noch in dem Gedächtnis unserer Altvorderen
haftete. Er hat die Könige der Goten, welche lange Vergessenheit
barg, aus den Schlupfwinkeln der Urzeit hervorgezogen. Er hat die
Amaler mit dem vollen Ruhm ihres Geschlechtes wieder ans Licht
gestellt, indem er klärlich nachwies, dafs Wir bis in die 17. Gene-
ration von königlichem Stamme sind. Er hat die Herkunft der
Goten zu einer römischen Geschichte gemacht, und die Blüten-
keime, welche bis dahin auf den Gefilden der Bücher hier und
dort zerstreut waren, in einen einzigen Kranz gesammelt^). Be-
denkt, welche Liebe zu euch er durch Unser Lob bewiesen hat,
^) Auch H. V. Sybel, der in seiner Abhandlung die entgegengesetzte
Ansicht durchgeführt hatte, gab 1858 in der Hist. Zeitschr. II, 515 die
Wahrscheinlichkeit der Beweisführung von Schirren und Koepke zu. Ihm
folgt darin auch Bessell. Nur die Benutzung des Orosius hält Mommsen
p. XLIV für Eigentum des Jordanis, während er auf die von H. v. Sybel
(Königtum S. 198) aufgestellte Behauptung, dafs J. selbst die Reihe der
Gotenkönige aus Ammian ei'gänzt habe, nicht Rücksicht nimmt. — Nach
F. Rühl kannte auch Aethicus das Werk Cassiodors (ed. Mommsen p. 4).
^) „Duodeeim libris Gothorum historiam defloratis prosperitatibus
condidisti." Vgl. C. Cipolla, Considerazioni sulle Getica di Jordanes e
suUe loro relazioni coUa Hist. Get. di Cassiod., Memoria d. R. Accad. d.
Sc. di Torino (1893) ser. II, vol. XLIII, woselbst S. 105—113 die Chrono-
logie der Variae behandelt wird. Bessells Deutung (Forschungen I, 639
bis G43) , „mit auserlesenem Glück geschrieben", scheint mir unhaltbar,
trotz Thorbeckes Zustimmung (vgl. Traubes Index zu Mommsens Ausgabe
p. 633).^
') Gutschmid S. 140 bemerkt, dafs Cassiodor in diesen Worten Justins
Vorrede nachgeahmt zu haben scheine.
Cassiodors Gotengescliichte. 77
da er nachwies, dals eueres Herrschers Stamm von Uranfanf,' her
wunderbar gewesen ist, so dals, wie ihr von eueren Vorfahren her
immer für edeler Art gegolten habt, so nun auch ein altes Königs-
haus über euch die HeiTschaft führt')." Und weiterhin wird
Cassiodor gerühmt, weil er gleich den Anfang von Athalarichs
Herrschaft gleichmäfsig mit den Wafl'en und mit gelehrter Thätig-
keit (litteris) gefördert habe ; von der tiefen Ruhe litterarischer
Beschäftigung aufgescheucht ^) , habe er ohne Zaudern zu den
Waifen gegriffen .
Cassiodor selbst ist es, der diesen Brief verfafst hat, und klar
genug hat er darin Zweck und Absicht seines Werkes ausgesprochen.
Der übergrofse Abstand zwischen dem kräftigen, aber noch den
Römern als barbarisch geltenden Gotenvolke und den auf ihre
Geschichte und Bildung stolzen Römern sollte ausgeglichen werden,
das war der leitende Gedanke in Cassiodors ganzer Thätigkeit. Dazu
mufste ihm nun auch seine Gelehrsamkeit dienen ; dals Goten und
Geten dasselbe Volk wären, war eine längst geläufige Annahme^),
aber noch hatte niemand es versucht, den Zusammenhang nach-
zuweisen. Cassiodor that es, und zwar, wie jetzt durch das von
Holder entdeckte Fragment bekannt geworden ist, im Auftrag des
Königs Theoderich, doch erst nach dem Tode desselben gelang ihm
die Vollendung'*). Er verflocht zu diesem Zwecke, was er über
die Goten wufste und bei Ablavius las , mit dem , was er bei Rö-
mern und Griechen über die Geten vorfand, und da diese wie jene
von den Griechen häufig Skythen genannt wurden, zog er auch die
ganze Urgeschichte der Skythen heran und machte sogar die Ama-
zonen ohne Bedenken zu gotischen Weibern. So erschienen die
') Tetendit se etiam in antiquam prosapiem nostram, lectione discens
quod vis maiorum notitia cana retinebat. Iste reges Gothorum longa ob-
livione celatos latibulo vetustatis eduxit. Iste Hamalos cum generis sui
claritate restituit, evidenter ostendens in septimam decimam progeniem
stirpem nos habere regalem. Originem Gothicam historiam fecit esse
Romanam, colligens quasi in unam coronam germen floridum, quod per
librorum campos passim fuerat ante dispersum. Perpendite quantum vos
in nostra laude dilexerit, qui vestri principis nationem doeuit ab anti-
quitate mirabilem , ut sicut fuistis a maioribus vestris semper nobiles
aestimati, ita vobis antiqua regum progenies inperaret.
2) A litterarum penetralibus eiectus (p. 292). Bessell S. 115 bemerkt
richtig, dafs damit seine Thätigkeit in der k. Kanzlei nicht wohl be-
zeichnet sein kann.
3) S. Schirren S. 54. Koepke S. 209. Die schon von Conring abge-
lehnte, von Grimm verteidigte Identität kann als überwunden betrachtet
werden; ich begnüge mich, auf die Anm. y. Waitz zu verweisen, Ver-
fassungsgesch. II, S. XIII, 2. u. 3. Ausg. 1, S. 5.
^) Mommsen, Praef. Jord. p. XLI.
78 I- Vorzeit. § 4. Die Ostgoten.
Amaler, deren Glanz die gotische Sage verkündete, nun als un-
mittelbare Nachfolger des Zamolxis und Sitalkes, und die Römer
konnten darin einen Trost finden für die Bitterkeit der fremden
Herrschaft '). Es war das ein Gedanke , der wohl Anerkennung
verdient, wenn auch der Zweck unerreicht blieb, die Grundlage
irrig war, wenn auch zur Verherrlichung der Amaler er ihren
Stammbaum selbst mit freier Dichtung über alle Gebühr verherr-
licht haben mag^). Ein von F. Rühl entdecktes barbarisches Bruch-
stück , welches über Skythen und Amazonen handelt und von ihm
für einen Auszug aus Cassiodors Gotengeschichte gehalten wurde,
hat nach Mommsen nichts damit zu thun, sondern besteht aus Fa-
beleien, die auf Justin, Orosius und andere bekannte Quellen zurück-
gehen ^).
Als Cassiodor oder Senator , denn das war sein eigentlicher
Name, alle seine Bestrebungen vereitelt sah, als das Gotenreich
dem Angriff der Mächte, mit welchen er es hatte aussöhnen wollen,
unterlag, da zog er sich, vermutlich nach Vitigis Sturz (um 540)
vor 555 von der Welt zurück und gründete ein Kloster (mona-
sterium Vivariense) in Bruttien, wo er das Ende seines Lebens in
stiller Beschaulichkeit und schriftstellerischer Thätigkeit als hoch-
betagter Greis erwartete. Hier liefs er unter seiner Aufsicht die
im Mittelalter vielgelesene Kirchengeschichte *) (aus Theodoret,
Sozomenos und Sokrates) zusammenstellen und übersetzen ; hier
schrieb er in seinem 93. Jahre eine Abhandlung über die Ortho-
graphie, zum Frommen seiner Mönche, denen er die Vervielfältigung
der Bücher durch Abschriften ganz besonders zur Pflicht machte.
') Diesen Gedanken hat R. Koepke lichtvoll entwickelt. Forsch. S. 89 ff.
Die Art der Verknüpfung, das chronologische System von Cassiodors
Gotengeschichte weist Gutschmid S. 141 ff. nach, nachdem er S. 133—140
den Stammbaum der Amaler behandelt hat. Er hält mit Schirren den
Eutharich für keinen wirklichen Amaler und sieht in dessen Stammbaum
einen Hauptzweck des Werkes; aber weshalb wurde dann Eutharich aus
Spanien geholt, wenn nicht, weil er ein Amaler war? Dafür auch Thorb.
S. 18—20. — Waitz, Nachrichten 1865 S. 101 vermutet, dafs Cassiodors
Geschichte sich auf Theoderichs Regierung nicht erstreckte. Ihm stimmt
Thorb. S. 45 bei.
'^) Das hat vorzüglich H. v. Sybel nachgewiesen und eben deshalb
angenommen, dafs die nicht als Amaler bezeichneten Gotenkönige erst
von Jordanis eingeschoben sind.
^) F. Rühl, Ein Anecdoton zur got. Urgesch. im Jahrb. f. klass. Philol.
1880, S. 549—576; Exordia Scythica ed. Mommsen, Auctt. antt. XI, 308
bis 322. Vgl. auch Cipolla, Memorie della Accad. di Torino ser. II,
t. XLIII, 120 N. 1.
■*) Die Historia tripartita, durch Epiphanius. Ueber dieses sehr mangel-
hafte Werk s. Ad. Franz S. 104 — 120.
Cassiodors Variae und andere Werke. 79
Er zuerst hat die wissenschaftliche Arbeit grundsätzlich in die
Klöster eingeführt und dadurch einen weitreichenden segensreichen
Anstofs gegeben '). Ist er, wie Mommsen annimmt, erst gegen 583
gestorben , so erlebte er noch die neue Verwüstung Italiens durch
die Langobarden, sah er, wie die blutigen Lorbeern Justianus
fruchtlos hinwelkten.
Von vorzüglichem Werte für uns sind unter seinen erhaltenen
Werken^) die 537 — 538 verfafsten zwölf Bücher seiner Briefe
(Variae), in welchen er die Kanzleiformen der Zeit und viele auch
durch ihren Inhalt wichtige Briefe aus der königlichen Kanzlei der
Goten aufbewahrt hat. Das Zureden seiner Freunde, sagt er in
der Vorrede, habe ihn zu dieser Sammlung veranlafst, welche einen
Vorrat fertiger Formeln darbieten und zugleich zur Bildung junger
Staatsmänner dienen sollte, während sie auch das Andenken der
von ihm gelobten trefflichen Männer der Nachwelt erhalte. Alles
habe er hier vereinigt, was er aus der Zeit seiner Quästur, seines
Magisteriums und seiner Präfektur in den öffentlichen Aktenstücken
von ihm herrührend habe finden können. Doch nicht selten sei
es ihm begegnet, dafs er wegen übergrol'ser Eile bei der Erteilung
von Würden und Ehren hastige und schmucklose Schreiben erlassen
habe : davor wolle er nun andere bewahren , und deshalb habe er
die im sechsten und siebenten Buche enthaltenen Formulare für
die Verleihung aller Würden nun mit Sorgfalt überarbeitet^).
Denn reden können wir alle ohne Unterschied ; nur der Schmuck
ist es, welcher den Gelehrten vom Ungelehrten unterscheidet ^).
Das war der Grundsatz und die Richtschnur der damaligen
') Thorb. S. 29—31. Sehr ausführlich Franz S. 85 ff.
-) Sehr lehrreich sind auch seine Institutiones divinarum et saecula-
rium litterarum (zwischen 543 und 555): I, c. 17, ed. Mommsen, Auctt.
antt. XI, 39—41. lieber die verschiedenen Texte des zweiten Buches s.
Laubmann in d. Münch. SB. 1878, II, S. 71—96.
^) Diese bestimmte Angabe macht es bedenklich, Schirrens Vennutung
zu folgen, der auch in den übrigen Büchern eine bedeutende Ueber-
arbeitung, zum Teil neue Abfassung annimmt. Er hätte ja das nicht
nötig gehabt zu verschweigen.
'') „Dictio semper agrestis est, quae aut sensibus electis per moram
non comitur aut verborum minime proprietatibus explicatur. Loqui nobis
communiter datum est: solus ornatus est qui discernit indoctos." Die
Erlasse in seinem eigenen Namen, als Präfekt, aus den Jahren 533 Mitte,
535—537 finden sich im elften und zwölften Buche; in den früheren
schreibt er im Namen des Königs. Vgl. über die Variae Thorb. S. 50—60.
Horst Kohl, Zehn Jahre ostgot. Gesch. (526—536), Leipzig 1877. Hasen-
stab, Studien zur Variensamnilung des C. S. Progr. d. Max. Gymn. zu
München 1883. Tanzi, Cronologia dei libri Var., Triest 1887. Ueber eine
Abb. V. Gaudenzi s. Mommsen, NA. XIV, 437.
80 J- Vorzeit. § 5. Jordanis.
Schulen , und demgeraäfs hat denn auch Cassiodor den oft gering-
fügigen Inhalt seiner Briefe unter einem solchen Wortschwall und
so vielem Zierat der gesuchtesten Phrasen verborgen, dafs es häufig
nicht leicht ist, ihn herauszufinden. Bruchstücke von Lobreden
haben sich erhalten auf Eutharich aus dem Jahre 518 oder 519 und
auf Witigis und Mathasventha aus dem Jahre 53G.
Im höchsten Grade trifft der Vorwurf des Schwulstes auch die
Schriften des Ennodius, Bischofs von Pavia^), unter denen be-
sonders sein Panegyricus auf Theoderich vom Jahre 507 geschicht-
lich wichtig ist').
§ 5. Jordanis.
Baelir S.249— 260. Teuffei § 477, Ebert S. 556-f62. Dalin A. D. B. XIV, 522— 526.
Rinaudo p. 31— 3ü. Balzaiii p. 19-21. S. d. neuere Litt, zu § 4. Anstatt der
älteren Ausgaben genügt es jetzt, die Ausgabe der MG. v. Mommseu zu nennen,
Berlin 1882, 4 (Auctt. antt. V, 1). Reo. von Schirren, Deutsche LZ. 1882, S 1420
bis 1424, von L Erhardt, GGA. 1886, S. K69— 708. Bemerkungen von Manitius,
NA. XIII, 212. 513. B. v. Simson, NA. XXII, 741—747, von v. Bachmann, NA.
XXIII, 175—176; Wölfflin zur Latinität des Jordanes, Archiv für latein. Lexiko-
graphie XI, 361—368. Eine kritische Nachprüfung über Jordanis, besonders über
sein Verhältnis zu Cassiodor und den sonst von ihm benutzten Quellen, gibt
C. CipoUa in den Mem. della R. Accad. di Torino ser II, t. XLIII, S. 116—132,
am meisten mit Schirren übereinstimmend. — Ausg. der Getica v. Holder 1882,
mit selbständ. Benutzung d. Heidelb. Hs. 1882, 3. Ausg. v. Closs 1889. Emenda-
tiouen v. Fröhner, Philologus, Suppl. V, 55 (1884) üebers. v. W. Martens, 1884.
Geschichtscbr. 5 (VI, 1). Grienberger, Die nord. Völker bei Jord., Zeitschr. f.
D. Altert. XLVI (1902), S. 128—168.
An jene Vertreter der antiken Bildung, welche Theoderich an
seinem Hofe versammelte, reiht sich nun der erste und einzige
gotische Schriftsteller, dessen Werke wir besitzen, Jordanis; denn
so wird sein Name in den besten Handschriften geschrieben , mit
so überwiegender Autorität, dafs die durch Peutingers Ausgabe
von 1515 gebräuchlich gewordene Form Jornandes sich dagegen
^) Ennodii Opera ed. Sirmond, Paris 1611, Hartel im Wiener Coi-pus
VI, 1882. Reo. v. Krusch, HZ. LI, 100-102. MG. Auctt. antt. VII von
Fr. Vogel 1885. Fertig, Magnus Felix Ennodius und seine Zeit. 1. Abt.
Passau 1855, 4. Pallmann II, 190—192. Ebert 432—440. Rinaudo p. 19
bis 24. Zur Chronologie Hasenstab, Progr. d. Münch. Luitpoldgymnas.
1889/90. Tanzi^ s. NA. XV, 425. Vogel , Chronolog. Untersuchungen zu
Ennod. NA. XXUI, 51—74. Auf die Bedeutung seiner Vita Epifani ep.
Ticin. weist Binding hin: Das Burgundisch-roman. Kgr. I, 97. Seine
Briefe sind kulturgeschichtlich wichtig. — Ueber die schon früh sagen-
haft entstellte Geschichte Theoderichs, aus welcher geschichtliche That-
sachen nicht zu entnehmen sind, findet sich eine sorgfältige, auf Unter-
suchung der Handschriften begründete Abhandlung bei A. Thorbecke :
Ueber Gef<ta Theoderici, Herbstpr. des Heidelb. Gymn. 1875. Ausg. von
Krusch, SS. Meroving. II, 200—214.
'^) Dafür H. v. Schubert: Die Unterwerfung der Alamannen (Strassb.
1874), S. 67—89. Er wurde nach Cipolla dem Könige schriftlich zugesandt;
s. darüber NA. IX, 244. XI\', 2U5,
.Tordanis Gotengeschichte. 81
nicht behaupten kann. Jakob Grimm freilich hat sie sehr nach-
drücklich in Schutz genommen, und unmöglich wäre es nicht, dals
in der entscheidenden Stelle (Kap. 50) ursprünglich gestanden hat:
Jordanis sive Jornandes. Dann wäre nach Grimms Vermutung der
kriegerischer lautende gotische Name Jornandes, d. i. Eberkühn,
beim Eintritt in den geistlichen Stand mit dem griechisch-römischen
Namen Jordanis vertauscht worden ')■ Wie dem nun auch sein
möge, sicher gestellt ist allein der letztere, durch das ganze Mittel-
alter gebräuchliche Name, den wir deshalb auch hier vorziehen.
Jordanis rechnet sich selbst zum gotischen Volke •■'). Er stammte
aus einem sehr angesehenen Geschlechte, das mit den Amalern ver-
schwägert war; sein Grofsvater war Notar oder Kanzler des Alanen-
königs Candac in Mösien , er selbst ebenfalls Notar : leider wissen
wir nicht , wo und unter welchen Verhältnissen ^) ; später ist er
in den geistlichen Stand eingetreten. Seiner, wie es scheint, alani-
schen Abkunft entsprechend, zeigt er für dieses Volk eine deutliche
Vorliebe^), während er die Vandalen nicht leiden kann'').
Die eigentliche grammatische Bildung der Schule war ihm fremd,
wie er selbst sagt, doch konnte es ihm nicht schwer fallen, grie-
chische und lateinische Schriftsteller zu lesen , und damit hat er
sich denn auch, wohl besonders in der späteren Zeit seines Lebens,
eifrig beschäftigt, wenngleich die umfassende Belesenheit, welche
seine Gotengeschichte zu zeigen scheint , nur als erborgtes Gut
gelten kann.
Seine Schi-eibweise ist entstellt durch den gesuchten , senten-
tiösen Charakter der Zeit, doch nur da, wo er seiner cassiodorischen
Vorlage folgt; er selbst drückt sich ungeschickt und unbehilflich
^) Für Jemandes kämpft Dietrich, Ueber die Aussprache des Goti-
schen, Marburg 1862. Mommsen schreibt Jordanes; ich folge auch hier
der überlieferten Form, welche sich der Aussprache anschliefst.
^) De rebus Get. am Schlufs (p. 138): „Nee me quis in favorem gentis
praedictae quasi ex ipsa trahenti originem aliqua addidisse credat."
^) Ib. c. .50 (p. 126): ,Scyri vero et Sadagarii et certi Alanorum cum
duce suo nomine Candac Scythiam minorem infei-ioremque Moesiam
acceperunt. Cuius Candacis Alanoviiamuthis jjatris mei genitor Paria,
id est mens avus, notarius quousque Candac ipse viveret fuit, eiusque
germanae filio Gunthicis (1. Gunthigis, p. 1.50) qui et Baza dicebatur mag.
mil. filio Andages fili Andele, de prosapia Amalorum descendente , ego
item quamvis agramatus lordannis ante conversionem meam notarius fui."
Die nach dem Hss. hergestellte Form dieser Stelle macht ihre Bedeutung
noch unsicherer. Ueber die Namen Grienberger, Germania XXXIV, 406
(NA. XV, 615).
*} Mommsen, Praef. p. X.
s) ibid. p. VII.
Wat tenb ach , Geschichtsiiuellcn. I. 7. .\utl. 6
82 T. Vorzeit. § 5. .lordanis.
aus und klammert sich ängstlich an seine Quellen ; die volle Bar-
barei der damals gewöhnlichen Schreibweise einer Bevölkerung,
welche fast alles Gefühl für grammatische Formen verloren hatte,
bis dahin nur aus den im Original uns erhaltenen Urkunden be-
kannt, ist nun auch bei ihm nach den ältesten und besten Hand-
schriften hergestellt ^).
Die Vorrede seiner Getica hat Jordanis mit geringen Aenderungen
wörtlich von Rufin entlehnt ^). Natürlich eignete er sich auch die
römisch-christliche Weltanschauung an ; dahin fühi'te ihn sein Stand,
dahin auch die ganze Richtung seines Volkes. Vollkommen teilt
er die Verehrung des Kaisertums, und wenn er es unternahm, die
Folge der Weltreiche in gedrängter üebersicht darzustellen, so
konnte ihm doch der Gedanke niemals nahen , dafs etwa auch das
römische Reich sein Ende erreicht habe und andere an seine Stelle
treten würden. Eben war er, wie er uns berichtet, mit der Ab-
fassung eines solchen Handbuches beschäftigt, als sein Freund Ca-
stalius ihn aufforderte, Cassiodors Geschichte der Goten in
einen Auszug zu bringen^). Diese Aufgabe, sagt er, sei für ihn
um so schwieriger gewesen , da ihm das Werk nicht einmal vor-
liege, sondern er es nur einmal in früherer Zeit auf drei Tage zum
Lesen erhalten habe. Doch glaube er sich des wesentlichen Inhalts
noch vollständig zu erinnern''). Damit habe er nun verschiedenes
aus griechischen und lateinischen Geschichten verbunden, den An-
fang und das Ende aber, wie auch mehreres in der Mitte von seinem
Eigenen dazu gethan. Später, im Verlauf der Geschichte, nennt er
den Cassiodor nie, ebenso wenig aber auch den gegen das Ende be-
nutzten Marcellinus. Es unterliegt nun wohl kaum noch einem
Zweifel, dafs er, wie schon Cassel angenommen hatte, bis auf wenige
unbedeutende Zusätze eben nur den Cassiodor ausgezogen hat, was
ihm ja auch aufgetragen war, und die Ungenauigkeit der gelehrten
') Immerhin gibt es zu denken, dafs auch bei Orosius, wenn der
cod. Laurent, nicht erhalten wäre, aus der Donaueschinger Hs. dieselbe
Barbarei herzustellen sein würde.
^) Aus Rufini presb. praefatio in explanationem Origenis super ep.
Pauli ad Romanos, wie H. v. Sybel nachgewiesen, in Schmidts Zeitschr.
für Gesch. VII, 288. Ueber den am Eingang seiner Rom. angeführten
Jamblichus s. Mommsen, NA. VIII, 352.
^) Der Titel beider Werke scheint gelautet zu haben : De origine
actibusque Getnrum.
*) „Ad triduanam lectionem dispensatoris eius beneficio libros ipsos
antehac relegi , quorum quamvis verba non recolo , sensus tarnen et res
actas Credo me integre retinere." — Zu den drei Tagen bemerkt Mommsen
„si credis".
Jordanis Gotengeschichte. 83
Citate bestätigt, dafs auch sie fast alle mit herüber genommen sind ').
Man muls also annehmen, daCs er sich schon früher schriftliche Aus-
züge gemacht hatte, die er jetzt, ohne das Werk selbst wieder ein-
sehen zu können, verarbeitete, eine in der That schwierige Aufgabe,
welche wohl von einer zu harten Beux-teilung des ungeschulten Goten
abhalten sollte. Doch läfst sich freilich nicht leugnen , dal's seine
Benutzung der Annalen des gleichzeitigen Marcellinus Comes^l nicht
befriedigender ausgefallen ist. Denn nach diesem Führer erzählt er
mit auffallender Kürze von den Siegen Belisars, und die Vergleichung
mit den knappen , aber genauen und zuverlässigen Angaben dieses
Schriftstellers fällt nicht günstig für unseren Autor aus , der sich
offenbar mit grölserer Vorliebe den alten Ueberlieferungen zuwendet,
und wie das bei den Anfängen einer gelehrten Geschichtschreibung so
häufig ist, gerne eine unverdaute Gelehrsamkeit auskramt, von der
sorgsamen Gewissenhaftigkeit aber, welche die Nachwelt am höchsten
schätzt, kaum einen Begriff hat.
Indem er nun hierin gegen gleichzeitige und spätere Annalen
zurücksteht, zeichnet er sich dagegen vor den einfachen Chronisten
aus durch das Festhalten eines leitenden Gedankens, welcher die Dar-
stellung beherrscht. Man hat Jordanis eine gänzliche Entfremdung
von seinem Volke zum Vorwurf gemacht. Nicht zum Ruhme der
Goten, sagt er schliefslich, habe er dieses geschrieben, sondern um
den Ruhm des Siegers zu erhöhen. Allein darauf darf man nicht zu
viel Gewicht legen. Die Liebe zu seinem Volke, der Stolz auf die
Tapferkeit der Goten, auf die Herrlichkeit der Amaler, ti-eten viel-
mehr mit grolser Lebhaftigkeit überall hervor, und eben deshalb
hielt Jordanis es für nötig, durch eine solche Wendung in der da-
maligen Zeit des Krieges dem Argwohn der Herrscher zu begegnen.
Denn als er dieses schrieb, war der Krieg noch keineswegs beendigt,
sondern vielmehr mit neuer Wut entbrannt. Jordanis aber hatte
allerdings für diesen letzten Todeskampf der Goten keine Teilnahme:
dem stand in ihm teils seine politische Ansicht, teils das Blut der
Amaler entgegen , welches mächtiger war als das Volksbewulstein.
Er setzte seine Hoffnungen auf Germanus, den Gemahl der Matas-
^) G. Kaufmann. Krit. Unters, der Quellen z. Gesch. Ulfilas, handelt
von den Gothi minores (c. 51) im Gegensatz zu Bestell, u. bemerkt S. 243,
dafs, wenn auch Jordanis den Orosius selbständig benutzt habe, doch im
Gap. 25 u. 26 die Vermischung seiner Angaben mit Amm. Marc. 31, 3 ihm
von Cassiodor herzurühren scheine. Cipolla (a. a. 0. S. 132) will aufser
Orosius auch Mela, Justin, Aur. Victor, Hieronymus, Symmachus, Socrates
und Josephus ihm zugestehen {?).
^) Oder dessen Vorlage, s. oben S. 62, Anm. 2.
84 I. Vorzeit. § 5. Jordanis.
vinth, dem ja auch von seinen Landsleuten so viele sich zuwandten,
und nach dessen frühem Tode auf den letzten Sprossen der Amaler,
auf das Kind Germanus : der sollte sein Volk wieder sammeln und
beherrschen, im engsten Anschluss an das Römerreich, so wie einst
Theoderich. An drei Stellen gedenkt er dieses Kindes, und an der
letzten spricht er ausdrücklich die Hoffnungen aus, welche er an
diesen Erben der vereinigten Anicier und Amaler knüpft.
Denn das ist eben, wie Sybel nachgewiesen und Stahlberg weiter
ausgeführt hat, der leitende Gedanke des Jordanis, dafs er, was ja
auch richtig war, nur in der friedlichen Einfügung des Gotenvolkes
in das römische Reich die Möglichkeit und Hoffnung einer gedeih-
lichen Zukunft für dasselbe erkennt. Ihm konnte es nur als ein
hoffnungsloses und frevelhaftes Unternehmen erscheinen, wenn die
letzten Gotenfürsten, die dem Stamm der Amaler fremd waren,
sich dem letzten Weltreiche gegenüber feindlich behaupten wollten,
um so mehr, da er katholisch war und dadurch im Gegensatze zu
seinen arianischen Volksgenossen mit der Einheit der Kirche auch
die Einheit des weltlichen Reiches erstreben mufste. Daher legt
er überall besonderes Gewicht auf die friedlichen Beziehungen der
Goten zum Ostreiche, und seine Teilnahme und Hoffnung konnten
sich nur dem Germanus zuwenden. Dieser Auffassung konnte sich
damals niemand entziehen, der in den Bildungskreis der römischen
Kirche eingetreten war, und sie blieb herrschend, bis die Franken
stark genug waren , um sich selbst als die wahren Träger des er-
neuten römischen Reiches betrachten zu können. Vollkommen zu-
treffend bezeichnet daher L. v. Ranke *) sein Werk als eine ,,zwar
auf historische Vorstudien basierte, aber zugleich auf den Moment
angelegte politisch-historische Arbeit über die Geschichte der Goten".
Auch ist es richtig, dafs er ganz im Sinne Cassiodors geschrieben
hat, aber wenn dann die Vermutung hinzugefügt wird, dafs Cassiodor
selbst als der intellektuelle Urheber des Werkes zu betrachten sei,
so läfst sich das weder mit den Verhältnissen vereinigen , noch ist
zu erklären , weshalb Jordanis das so sorgfältig hätte verbergen
sollen.
Von grofser Wichtigkeit aber ist es, festzustellen, wo und unter
welchen Verhältnissen Jordanis sein Werk geschrieben hat. Da
finden wir nun bei Mommsen , dem sich Cipolla anschliesst, die
Behauptung, dafs er als Mönch in einem mösischen oder thracischen
Kloster gelebt und geschrieben habe. Er beruft sich auf seine be-
1) Weltgeschichte 1\', 2. Abt. S. 313—327.
Jordanis Gotengeschichte. 85
sonders genaue Kenntnis des unteren Donaulaufes und der benach-
barten Gegenden , und dafs er bei dem Auszug aus Cassiodor ge-
rade, was sich auf Mösien und Thracien bezog, bevorzugt habe,
was sich indessen durch die Angaben über seine Herkunft leicht
erklären läfst. Weit wichtiger ist die Frage, ob aus den Worten
,ante conversionem naeam" mit Notwendigkeit zu schliel'sen ist,
dafs er Mönch geworden sei. Das wird behauptet, doch nach den
von B. V. Simson gebrachten Zeugnissen kann auch der Eintritt
in den geistlichen Stand so bezeichnet werden. Wir haben ja aus
späterer Zeit Mönche genug, welche geschichtliche Werke geschrieben
haben, aber aus diesen Jahrhunderten ist mir keiner bekannt. Ihre
Stellung zur Welt hat sich im Laufe der Zeit, und vorzüglich durch
die eigentümliche Entwickelung der Kirche, im Abendlande völlig
verändert. Wer damals in ein Kloster eintrat, zog sich in vollem
Ernst aus der Welt zurück und erfuhr, wie noch jetzt orientalische
Mönche, sehr wenig von ihr. Cassiodor zuerst scheint seine Mönche
überhaupt auf litterarische Beschäftigung hingewiesen zu haben.
Ich halte es für vollkommen undenkbar, dafs ein Mönch in einem
Kloster in Mösien ein solches Werk hätte zu stände bringen , dafs
er das neueste Annalenwerk hätte erhalten und über die politischen
Angelegenheiten der Gegenwart hätte schreiben können.
Deshalb halte ich fest an der Entdeckung Jakob Grimms , der
in dem Vigilius, welchem Jordanis sein zweites Werk gewidmet hat,
den damaligen römischen Papst erkannt und mit überzeugenden
Gründen nachgewiesen hat '). Schon früher hatte Cassel auf einen
Jordanis, Bischof von Kroton , aufmerksam gemacht, welcher in
einem Schreiben des Papstes Vigilius erwähnt wird; seine Ver-
mutung, dafs er mit unserem Autor identisch sei, fand Zustimmung.
Es erklärt sich nun dadurch leicht, dafs er von dem Verwalter der
unfern gelegenen Güter Cassiodors dessen Werk auf kurze Zeit er-
hielt , auch dafs er sich nicht selbst im Gotenreiche befand , als er
schrieb. Schirren freilich hat einen anderen Jordanis vorgezogen,
den Papst Pelagius in einem Schreiben vom Jahre 556 als Defensor
^) Ueber Jomandes S. 12. Ebert S. .535 bekämpft die Annahme,
weil die Sprache des Schreibers nicht hinlänglich respektfoll sei. Mir
scheint das bei der damaligen Sachlage und der durchaus nicht im-
posanten Pei-sönlichkeit des Papstes unerheblich. Noch weniger kann
ich in den Worten: „quatinus diversiirum gentium calamitate conperta
ab omni erumna liberum te fieri cupias et ad Deum convertas, qui est
vera libertas" eine Aufforderung sehen, Mönch zu werden, wie sich da-
gegen auch Schirren erklärt. — In der 2. Ausg. S. 501, Anm. 3, ist Ebert
dabei sreblieben.
35 I. Vorzeit. § 5. Jordania.
der römischen Kirche erwähnt ; allein mit Recht hat Bessell hervor-
gehoben, dal's doch nur ein Bischof den römischen Papst frafer an-
reden könne , und dafs auch der ganze Inhalt des Trostschreibens
nur für einen Amtsbruder angemessen sei. Auch bezeichnen ihn
als solchen nicht geringe Handschriften M. Noch erheblicher aber
ist der Umstand, dafs nach jenem Schreiben des Vigilius Jordanis
(von Kroton) sich im Jahre 551 mit ihm in Konstantinopel be-
fand, dafs er also zu denjenigen gehöi'te, welche ihn in seinem Exil
(547 — 554) begleiteten. Dasselbe nimmt auch Schirren von dem
Defensor Jordanis an, und hat deshalb die Vermutung, welche
auch Stahlberg wahrscheinlich fand, ausführlich begründet, dals
nämlich Jordanis seine Gotengeschichte 551 in Konstantinopel ver-
fafst habe^): darin stimmen Bessell und Gutschmid mit ihm über-
ein , und in der That ist die Wahrscheinlichkeit dafür so grofs,
dafs sie fast zur Gewifsheit wird. Nun erklärt es sich sehr ein-
fach, weshalb Jordanis sich Cassiodors Buch nicht wieder ver-
schaffen konnte, während Marcellins Annalen ihm zugänglich waren;
man begreift, dafs Vigilius und seine Anhänger eines Buches be-
durften, welches ihnen die gotische Geschichte kurz und übersicht-
lich vorführte, die ältere vorzüglich, weil die Ereignisse der letzten
Jahrzehnte noch in frischem Gedächtnis waren. Die Worte Jordanis,
in welchen er seinen Freund Castalius als Nachbar der Goten (vicinus
genti) im Gegensatz zu seiner eigenen Lage bezeichnet, sind nun
nicht mehr auffallend, und der politische Standpunkt, die ängst-
liche Behutsamkeit des Verfassers, seine geringe Kenntnis der
Kämpfe in Italien , der Mangel an Teilnahme für die neue Er-
hebung unter Totila , die lebhafte Hoffnung , welche er an den
Spröfsling der Anicier und Amaler knüpft, sowie die Vertrautheit
mit den in Byzanz getroffenen Mafsregeln und erst begonnenen
Unternehmungen, alles das tritt in ein helleres Licht, so dafs an
der Richtigkeit dieser Annahme kaum zu zweifeln ist. An einen
afrikanischen Bischof hat neuerdings B. v. Simson gedacht, ohne
jedoch einen solchen dieses Namens nachweisen zu können.
Bald nach der Vollendung der Gotengeschichte konnte Jordanis
auch dem Vigilius seine Chronik überreichen , die , wie er selbst
sagt, im 24. Jahre Justinians (welches am 1. April 551 be-
'j „Episcopum eum dieit librorum ordo primus in titulo Romanorum. "
Mommsen p. XIII. In dem Chronic. Vedastin. (SS. XIII, 678): Ravennatae
urbis episcopus.
^) Oder in Chalcedon, wohin Vigilius um Weihnachten 550 flüchtete,
und wo er bis zum Frühjahr .5.58 blieb.
Jordanis Chronik. Die Westgoten. 87
gann) M, beendigt war. Die erneuten Kämpfe der Goten sind hier
mit sichtlicher Abneigung gegen Totila berührt, die letzte Kata-
strophe aber war noch nicht zur Kenntnis des Verfassers gekommen,
üebrigens ist dieses Werk , welches gewöhnlich J)r rcgnorum siic-
cesslone genannt wird, richtiger (nach Mommsen) iJe summa fem-
porum vel origine acHbusque genfis Romanorum heissen sollte, eine
unbedeutende und ungeschickte Kompilation ; es ist grolsenteils aus
Florus entlehnt, so wörtlich, daCs die neuesten Herausgeber aus Jor-
danis den Text des Florus bedeutend berichtigen konnten ; später
benutzt er den Eutrop, Orosius und andere, welche in der Ausgabe
von Mommsen nachgewiesen sind. Wichtig ist diese Schrift fast nur
als höchst charakteristisch für den Standpunkt des Verfassers, denn
die Weltgeschichte ist ihm eben nur die römische, angeknüpft an
die aus der Chronik des Hieronynius entlehnten Generationen des
alten Testaments und die Regentenreihen der früheren Weltreiche;
er beruft sich ausdrücklich auf die Prophezeiung des Daniel, dafs
diesem Reiche die Herrschaft bis ans Ende der Welt beschieden sei.
§ 6. Die Westgoten. Isidor.
Aschbach, Geschichte der Westgothen, Frankf. I8i7. Lembke, Geschichte v. Spanien,
Hamb. 1831. F. Dahn, Die Könige der Germanen, Abt. V. 1870. Teuft'el § 487.
Zeumer, Gesch. d. westgoth. Gesetzgebung, NA. XXIII, 419-516; XXIV, 39—122;
XXVI, 91—149. Die Chronologie der Westgothenkönige, NA. XXVII, 409.
Spanien gehörte , wie Gallien , in den letzten Zeiten des römi-
schen Reiches zu den blühendsten Provinzen und war von der
römischen Bildung der damaligen Zeit vollkommen durchdrungen.
Unendlich viel ging hier zu Grunde in den verheerenden Kriegen
des 5. Jahrhunderts, wo Spanien unausgesetzt der Kampfplatz ver-
schiedener deutscher Völkerschaften war ; die Westgoten aber, welche
allmählich ihr Reich dort befestigten , zeigten sich der römischen
Bildung ebenso wenig abgeneigt wie die Ostgoten, und während sie
die unterworfenen Romanen mit grofser Milde behandelten, erhielt
sich auch unter ihnen noch ein Nachklang des wissenschaftlichen
Lebens der besseren Zeit; sie selbst jeiloch haben nicht in nam-
hafter Weise an dieser Thätigkeit teilgenommen.
Den Anfang der barbarischen Heimsuchung Spaniens erlebte
noch Orosius, der Augustins Geschichte des Reiches Gottes auf
dessen Wunsch die Schilderung des Elendes dieser Welt zur Seite
stellte. Er wollte darin nachweisen , dafs nicht das Christentum,
') Mommsen p. XI\'.
88 T- Vorzeit. § 6. Die Westgoten.
wie die Heiden behaupteten , das Elend über die Welt gebracht
habe, sondern dafs es zu allen Zeiten viel Trübsal und Leiden ge-
geben: eine Auffassung, welche in den Zeiten des Unglücks und
der Verwirrung überall Anklang fand und grolsen Einflufs auf die
Ansichten der mittelalterlichen Geschichtschreiber geübt hat, ganz
besonders auf Otto von Preising, dessen Chronik sich unmittelbar
an Augustin und Orosius anschliefst. Für uns mindert die un-
historische Auffassung des Orosius, die dadurch bedingte einseitige
Benutzung und Entstellung seiner Quellen, und sein ziemlich leicht-
fertiges Verfahren , den Wert, welchen sein Werk sonst durch die
Benutzung jetzt verlorener Schriften, namentlich des Livius, haben
würde. Im Anfange legt auch er den Eusebius in der Bearbeitung
des Hieronymus und des Rufin zu Grunde, schreibt dann vorzüg-
lich den Justin aus und geht endlich zu einer ganz überwiegenden
Darstellung der römischen Geschichte über. Das römische Reich
ist ihm nach der erst kurz zuvor, wenn auch nicht zuerst, von
Hieronymus aufgestellten Deutung die vierte Weltmonarchie; als
die vorhergehenden aber sieht er, abweichend von den späteren
Chronisten, das babylonische, macedonische und karthagische Reich
an. Am Schlüsse seines Werkes gibt Orosius die Geschichte seiner
Zeit bis 417, in welchem Jahre er endete, und dieser Abschnitt hat,
obschon dürftig und ganz erfüllt von dem engherzigen Geiste der
pfäffischen Hofpartei, welcher soeben der Sturz des grofsen Stilico
gelungen war, doch selbständigen Wert, und enthält namentlich gute
Nachrichten über Spanien und die Geschichte der Westgoten ')•
Unter der westgotischen Herrschaft entstanden ferner mehrei-e
jener wortkargen annalistischen Aufzeichnungen, welche sich an die
Chronik des Hieronymus anschlössen und in den späteren W'elt-
chroniken regelmäfsig den Uebergang vom Hieronymus zum Beda
bilden, weshalb eine Zeit lang westgotische , später angelsächsische
Namen vorherrschen. Die wichtigste dieser Chroniken, für viele
Begebenheiten unsere einzige Quelle, ist das Werk des Aquitaniers
Tiro Prosper, wie er an einigen Stellen genannt wird, oder
^) Th. de Monier, De Orosii vita eiusque Historiarum libris Mf ad-
versus paganos. Berol. 1844. 8. Vgl. Papencordt, Geschichte der Vand.
337—340. 365. Büdinger in Sybels Zeitschrift VII, 113; Denkschr. der
Wiener Akad. XLVI, 1, 13—18. Pallmann II, 236—245. (Gegen dessen
Vermutung einer Fortsetzung unter dem Titel De Placidia et moribns
ejus, Waitz, Gott. Nachr. 1865, S. 113, Zangemeister in der klein. Ausg.
bei Teubner v. 1889 Praef. p. XXI.) Ebert S. 337—344. Ausg. v. Zange-
meister im Wiener Corpus V, 1882. Rec. v. Krusch, HZ. L. 472—476,
darin S. 475 über das Jahr 417, nach Orosius' Rechnung 419.
Orosius. Chrunik des Prosper. 89
kurzweg Prosper, wie er gewöhnlich heifst '). Um 390 ge-
boren , hat Prosper sich eine für jene Zeit hervorragende Bildung
erworben, und zwar haben ihn, obgleich er Laie war und blieb ^),
ganz vorzüglich theologische Studien beschäftigt. Als eifriger Ver-
ehrer und Bewunderer Augustins kämpfte er wacker gegen Pela-
gianer und andere Ketzer, und erwarb sich als Schriftsteller einen
angesehenen Namen. Im Jahre 440 scheint er den Papst Leo nach
Rom, das er schon einmal 431 besucht hatte, begleitet zu haben;
er wird als Verfasser von Briefen genannt, welche Leos Namen
tragen, und blieb fortan, vermutlich als Notar, am römischen Hofe,
wo er die Angst vor Attila und den Schrecken der vandalischen
Eroberung erlebte. Hier, wie es scheint, hat er sein CJironicon
geschrieben, oder doch vollendet, welches in erster Redaktion bis
445 reicht^), in zweiter bis 455 fortgeführt ist^). Er lebte viel-
leicht bis 4t)3. Er beginnt mit der Erschaffung der Welt, be-
schränkt sich aber im ersten Teile ganz auf einen grundschlechten
Auszug aus Hieronymus, welcher dessen eigentümlichen Vorzug,
die chronologische Bestimmtheit und Uebersichtlichkeit , ganz zer-
stört. Von Christi Tod an beginnt bei ihm das Verzeichnis der
Konsuln, welches er einem Exemplare der Ravennatischen Fasten
entlehnte. Auch finden sich Zusätze, welche sich vorzüglich auf
die verschiedenen Ketzereien beziehen und auf Augustins Schriften
beruhen. Weiterhin sind auch andere Quellen benutzt, darunter
die Geschichte des ihm geistesverwandten Orosius. Spätestens von
425 an berichtet er als Zeitgenosse, und zwar über einen Zeit-
raum, aus welchem andere Quellen fast ganz mangeln. Flüchtig
und nachlässig, in dürftiger Kürze berichtet er auch hier, aber
') S. über ihn die Abhandlung von Holder-Egger im NA. I, 13—90,
welche ich hier zu Grunde lege; sehr ausführlich Valentin, S. Prosper
d'Aquitaine, Paris 1900, vgl. Moyen-äge 1901, S. 113—120.
'^) Holder-Egger S. 55, bes. auf Gennadius gestützt. Mommsen freilich
nimmt geistlichen Stand an, weil er in dem Schreiben an Augustin einen
Diaconus seinen frater nennt. Das ist jedoch schon von den alten geist-
lichen Herausgebern als unerheblich zurückgewiesen.
3) Chronicum vulgatum genannt, weil es zuerst als Fortsetzung des
Hieronymus, bekannt wurde, in allen Drucken mit Interpolationen. Ueber
die älteste Ausgabe s. oben S. 10, Anm. 4. Erste und beste kritische von
Pontacus: Chronica trium illustrium auctorum, Burdigalae 1*304. Mommsen
nimmt wegen der abschliefsenden Berechnung eine erste Ausgabe bis 433
an (ebenso Valentin), «ine zweite bis 443, an welche Victor Tonnenensis
(so schreibt M.) sich anschlol's.
'') Chronicum integrum ed. Labbe, Bibl. nova manuscriptorum , Pai-is
1657, I, 16 — 55. Jetzt allein brauchbar die Ausgabe von Mommsen u.
d. 1. Epitoma chronicon, Auctt. antt. IX, .341—499 (vgl. XIII, 721), woran
sich verschiedene Additamente schliei'sen.
90 T. Vorzeit. § 6. Die Westgoten.
wertvoll ist in hohem Grade, was er mitteilt. Dem Interesse des
römischen Stuhles zeigt er sich überall eifrig ergeben und ver-
ändert sogar Nachrichten des Hieronymus in solcher Tendenz, die
Kirche liegt ihm viel mehr am Herzen als der Staat.
Verständigerweise hat man schon früh den ersten Teil bis 378
als wertlos fortgelassen und nur den zweiten als Fortsetzung mit
der Chronik des Hieronymus verbunden. In dieser Gestalt wurde
die Chronik als bequemstes Handbuch der Weltgeschichte schon
sehr früh allgemein benutzt und noch im 16. Jahrhundert häufig
gedruckt, jedoch mit Zusätzen, welche den ursprünglichen Text
verdunkeln. Man verband damit die Fortsetzung des Matthaeus
Palmerius bis 1449, die weitere des Matthias Palmerius bis 1482,
und fügte noch eine Fortführung bis zum Druckjahre hinzu , weil
man den praktischen Gebrauch im Auge hatte.
Eine Ueberarbeitung der Chronik des Prosper bis 445, mit einer
römischen Fortsetzung bis 4-51 , die noch Verwandtschaft mit dem
Texte des Prosper zeigt, ist in Afrika, wahrscheinlich in Karthago,
verfafst und bis 457 fortgeführt, mit Benutzung der Konsularfasten.
Hinzugefügt ist eine üebersicht der Geschichte des vandalischen
Reiches von der Einnahme von Karthago bis zum Untergänge des
Reiches 533 ^).
Irrtümlich Prosper zugeschrieben ist das Chronicon imperiale
oder Pithoeanum (379 — 452), welches am Anfang und am Ende mit
Prosper übereinstimmt, übrigens aber in Form und Inhalt ganz von
ihm verschieden ist. Als Zeitrechnung dienen hier die Regierungs-
jahre der Kaiser. Verfafst ist es als Fortsetzung des Hieronymus;
wenigstens findet es sich nur mit diesem verbunden. Geschrieben
ist es auf Grundlage der Konsularfasten mit Benutzung des Rufinus
und anderer unbekannter Quellen im südlichen Gallien, vielleicht
in Marseille, mit besonderer Verehrung des Klosters Lerins. In
scharfem Gegensatze zu Prosper erscheint der Verfasser zwar auch
von lebhaftem kirchlichen Eifer erfüllt, aber Augustin abgeneigt
und semipelagianisch gesinnt. Holder -Egger vermutet, dafs die
') Das sog. Chronicon Canisianum, auch ülricianuui und Augustanum
nach dem Fundort der HS. in St. Ulrich u. Afra. Diese und die zweite
Pariser HS. stammen aus der Sammlung des Reichenauer Reginbert. Ausg.
Canis. I, 148—162 u. 306 ed. II. Bibl. Max. Patr. Col. V pars III. Lugd.
\'III. Rone. I, 677 — 704. Bei Mommsen ist es zerrissen, s. Auctt. antfc.
IX, 488 ff. XIII, 384. 456—460, über die Hs. Krusch. NA. VII, 278-282.
8. Holder-Egger im NA. t, 24. 37—47. 278 und S. 280-291 über den
vat. Auszug mit Forts, bis 466 u. Auctarium Proaperi e cod. Vat. Christ.
2077, ed. Mommsen, Auctt. antt. IX, 491—493.
Prospers Fortset/er. Hydatius. 91
Chronik vielleicht unvollendet blieb und von anderer Hand aus
Prosper ergänzt wurde, um den Uebergang zum Marius zu bilden.
Benutzt ist es nur von dem sogenannten Severus Sulpicius, von
Paulus und später von Sigebert, durch den es allgemein bekannt
und verbreitet wurde. Es ist voll von chronologischen Irrtümern,
enthält aber wichtige Nachrichten über die Geschicke der germa-
nischen Völker in Gallien *).
Von erheblichem Werte und nam(>ntlich durch gute Nachrichten
über die Sueven und Westgoten sehr schätzbar ist die Chronik des
galicischen Bischofs Idatius, richtiger Hydatius (gebürtig aus
Lemica in Galicien, das von Lamego verschieden ist, jetzt Jinzo de
Lima, daher Lemicensis), welcher den Hieronymus fortsetzte, und
nach seiner eigenen Angabe bis 427, in welchem Jahre er Bischof
wurde , aus Büchern und den Berichten der Zeitgenossen schöpfte,
von da an bis 468 aus eigener Erfahrung von den Begebenheiten
berichtete, in welchen er als angesehener Bischof eine nicht unbe-
deutende Rolle spielte ^).
Eine für die Zeitgeschichte durch ihren überwiegend kirchlichen
Inhalt wichtige Chronik schrieb Victor, Bischof der unbekannten
Stadt T u n n u n a in der afrikanischen Prokonsularprovinz. Er
scheint von der Schöpfung begonnen zu haben , aber erhalten ist
sein Werk nur als Fortsetzung des Prosper (444 — 566)-'). An das-
selbe schliefst sich die Fortsetzung eines Goten , Johannes von
Biclaro, der aber in Konstantinopel seine Bildung erhalten hatte,
bis zum Jahre 590. Er stiftete 586 das Kloster Biclaro unbe-
kannter Lage, wo er auch seine Chronik geschrieben hat: 591 ist
er Bischof von Gerona geworden^) und starb nach 610.
') Holder-Egger im NA. I, 91—120. Ausg. von Pithou 1588 etc.
Roncall. I, 739—760; Chronica Gallica a. 452, Auctt. antt. IX, 617-66(j
(Xin, 724), vgl. Frick S. 175—182.
^) Rone, ir, 1 — 54. Sirinondi opera varia II. Ausg. von De Ram,
Brux. 1845. Migne LI. Hydatii Lemici continuatio chronicorum Hiero-
nvmi, Auctt. antt. XI, 1-36. Vgl. Baehr S. 208—212. Papencordt,
Gesch. d. Vandalen S. 352—355. Ebert S. 443. Krusch, NA. VH, 475—478.
lieber sein Verhältnis zu den Konsularfasten : Mommsen, Auctt. antt. IX,
201 (oben S. 58). Litter.-hist. Studie über ihn v. F. Görres in Theolog.
Studien u. Kritiken (1895) LXVIII, 103—115.
*) Rone. II, 387. Migne LXVIII. Victoris Tonnenensis Chronica,
Auctt. antt. XI, 178—206. Vgl. Baehr S. 217. Papeneordt S. 359 — 365.
Ebert S. 586. Holder-Egger im NA. I, 298—300. Scaliger benutzte die-
selbe Abschrift Schotts aus Toledo wie Canisius, s. darüber C. Frick,
Rhein. Mus. f. Philol. N. F. XLIV, 369-373.
*) Ausg. V. Canisius mit Victor Tonnenensis 1600 etc. Auett. antt.
XI, 207 — 220. Baehr S. 218. Ebert S. 587. Zu warnen ist vor den von
Papencordt benutzten und durch ihn weiter gelangten, gefälschten Frag-
92 T. Vorzeit. § 6. Die Westgoten.
Eine Fortsetzung des Prosper bis 581 schrieb in Burgund der
Bischof Marius von Avenches, auf welchen wir noch zurück-
kommen. Eine eigentümliche Umgestaltung des Textes mit wert-
vollen Zusätzen und Fortsetzung bis etwa 625 bietet uns der Con-
tinuator Prosperi Havniensis,so genannt, weil die Hand-
schrift 1836 von G. Waitz in Kopenhagen entdeckt wurde. Lange
nur durch spärliche Mitteilungen bekannt, wurde sie endlieh von
G. Hille abgeschrieben und 1866 in einer Berliner Dissertation her-
ausgegeben. Der Verfasser schrieb um 625 unter König Ariwald
im Langobardenreiche, vielleicht in Mailand oder Pavia, gehörte
aber der romanischen Bevölkerung an. Er versah schon den Aus-
zug aus Hieronymus, Prosper und den Consularia Italica, welche
er vollständig ausschrieb, mit Zusätzen aus Isidor und einem Papst-
katalog, auch hat er gallische Annalen benutzt. Der Fortsetzung
fehlen die Jahre 458 — 474. Beim Jahre 523 hört die Rechnung
nach Konsuln auf, und die Regierungen der Kaiser treten an die
Stelle, wie bei Isidor, welcher von nun an dem Verfasser als Leit-
faden dient ^); wir verdanken ihm wertvolle Nachrichten.
Näher auf diese Werke einzugehen , deren Wert nur in ihrem
materiellen Inhalte besteht, würde hier nicht am Orte sein: sie
durften nicht ganz übergangen werden, weil sie den üebergang zu
den späteren Chronisten bildeten, denen vorzüglich Prosper und
Hydatius ganz allgemein als Grundlage für diese Zeiten dienten :
die weiteren Quellen der westgotischen Geschichte aber dürfen wir
hier wohl unbedenklich beiseite lassen "). Nur im Vorbeigehen
menten des angeblichen Victor Cartenensis. — Sehr wertvoll, aber
die Grenzen dieser Darstellung überschreitend, ist dagegen des Bischofs
Victor V. Vita Hist. persecut. Africanae prov., am besten herausgegeben
von Halm, Auctt. antt. ITI, 1. und v. Petschenig, SS. eccles. lat. VII.
1) Bethmann im Arch. X, 380. Waitz. Nachr. 1865, N. 4. Holder-
Egger im NA. I, 259—268. Geteilt Auctt. antt. IX, 266—339 v. Mommsen
herausgegeben (vgl. XIII, 720).
^) Hervorzuheben ist noch des B. Julian von Toledo Historia
Wambae regis über den Aufstand des Herzogs Paulus von Narbonne und
den Sieg des Königs 674. Duchesne, SS. rer. Franc. 1, 821 etc. Migne
XCVl. Ebert S. 604. Ein gefeierter Schriftsteller, Apostel der Sueven in
Gallicien, war der Pannonier Martin, j 580 als Bischof vonBracara
(Braga). Seine kulturhistorisch wichtige Schrift De correctione rusticorum
hat 188o Caspari mit gründlicher Einleitung über sein Leben heraus-
gegeben. Vgl. Krusch, HZ. LH, 128—130. Die Chronik des sog. Isi-
dorus Pacensis, vielmehr eines Klerikers in Toledo, bis 754, gab
Mommsen im Anhange zum Isidor, daneben die von ihm benutzte etwas
ältere Chronik eines Alexandriners (?) bis 741, beides wichtige Quellen für
Spanien unter den Arabern, Auctt. antt. XI, 323—369. Vgl. über das
Verhältnis beider die Göttinger Dissert. von Schwenkow aus dem J. 1894:
Prospers Fortsetzer. Isidor von Sevilla. 93
sei des Königs Sisebut (612 — 620) gedacht'), dem wir auCser einem
Gedichte über den Mond nicht uninteressante Briefe und ein Leben
des Bischofs Desiderius von Vienne in schv?-ülstiger Sprache ver-
danken , das unter die merov?ingischen Quellen gehört. Ein sehr
beliebter Dichter war der Erzbischof Eugen ius IL von Toledo
(t 657) '^). Dagegen haben wir noch eines Mannes zu gedenken,
der, wie jene Vertreter der alten grammatischen Bildung am Hofe
von Ravenna, alles was von der überlieferten Schulbildung noch
übrig war, in sich aufgenommen hatte, und durch seine Schriften
einer der einflulsreichsten Lehrer des Mittelalters geworden ist,
nämlich Isidor von Sevilla').
Isidor , etwa 560 geboren , war der Sohn des Severian , eines
Provinzialen aus dem Distrikt von Karthagena. Er folgte seinem
Bruder Leander auf dem bischöflichen Stuhle von Sevilla um 603,
und starb 636. Aul'ser vielen anderen Werken brachte er die
Summe aller Kenntnisse , welche er sich vermittelst der damals
noch vorhandenen Hilfsmittel erworben hatte, in ein von ihm nicht
ganz vollendetes Compendium, die 20 Bücher Originum sive Etymo-
logiarum. welche eine aufserordentliche Verbreitung erlangten und
allgemein gelesen und benutzt wurden ^). Heutzutage ist man ge-
neigt, diese Bestrebungen gei'ing zu schätzen , ja ihnen zu zürnen,
weil dadurch die älteren und besseren Werke verdrängt wurden.
Allein es war damals schwer , sich eine Bibliothek zu sammeln ;
nur wenige von denen , welche sich mit Wissenschaften überhaupt
beschäftigten, konnten sich die umfangreichen Handschriften der
alten Klassiker verschaffen , und deshalb gewannen die leicht zu-
gänglichen Auszüge eine so rasche Verbreitung. Es ist sehr fraglich,
ob sich die reineren Quellen besser erhalten haben würden , wenn
auch niemand Auszüge daraus verfafst hätte; diese dagegen setzten
auch unbemittelte Schüler in den Stand, wenigstens etwas zu lernen.
,,Die latein. geschrieb. Quellen z. Gesch. der Eroberung Spaniens durch
die Araber ^ aus dem 8. Jahrb. s. P. Ewald, NA. X, 604.
') Seine Briefe ed. Gundlach , EE. III, 658—690, darunter einer an
den Langobardenkönig Adalwald, mit anderen westgotischen, vgl. über
ihn Krusch in den SS. rer. Meroving. III, 620—624.
2) S. Vollmer im NA. XXVI. 391—409.
^) Isidori Hispalensis Opera ed. Arevalo . 1790— 1S03. 7 Bände in
quarto. Vol. VII enthält die historischen Schriften. Migne LXXXI bis
LXXXIV. Baehr. S. 22L Ebert S. 588—602.
*) Ausg. von Arevalo. Vol. III. l\ , von Otto in Lindemanns Corpus
Grammatt. Vol. III. 1833. Migne LXXXII. Ueber die Quellen eine Gott.
Dissert. von Dressel, 1875. Die Benutzung der Prata Suetons (Suetonii
Reliquiae ed. Reifferscheid 1860) ist stark überschätzt. Vgl. L. Traube
im Arch. für Stenographie LIIl (1901).
94 I- ^ orzeit. § 6. Die Westgoten.
In jenem umfassenden Werke, welches freilich auch die mäfsig-
sten Ansprüche unbefriedigt läfst, ist nun auch eine kurze Chronik
bis 627 oder chronologische üebersicht enthalten , ein dürftiger
Auszug aus der zwölf Jahre früher verfalsten Chronik, welche
in gedrängter Kürze eine Üebersicht der Begebenheiten von der
Erschaffung der Welt bis zum fünften Jahre des Heraklius, dem
vierten des Sisebut (615) gab'), mit Zusätzen von anderer Hand
bis 624 und 630, von denen jene nicht unwichtig für die fränkische
Geschichte sind. Der Stoff ist ganz überwiegend aus bekannten
Quellen geschöpft. Eigentümlich ist Isidor die Einteilung nach den
sechs Weltaltern, entsprechend den sechs Schöpfungstagen; das
letzte beginnt mit Christi Geburt und Augusti Kaisertum. Es ist
das ein bei Augustin wiederholt vorkommender Gedanke ^), welcher
hier zuer.st chronistisch verwertet wurde und später durch Beda
allgemeine Verbreitung fand.
So sehr nun auch Isidor von der kirchlichen Auffassung der
Geschichte erfüllt war, so hatte er doch auch ein lebhaftes Gefühl
für sein Land und für das Volk der Westgoten , von deren Milde
und Menschenfreundlichkeit er ein schönes Zeugnis ablegt. Denn
nachdem er die Einnahme Roms durch Alarich und die dabei ge-
übte Schonung beschrieben hat, fügt er (nach Orosius) hinzu: , Des-
halb lieben auch bis auf den heutigen Tag die Römer, welche im
Reiche der Goten leben, die Herrschaft derselben so sehr, dafs sie
es für besser halten, mit den Goten in Armut zu leben, als unter
den Römern mächtig zu sein und die schwere Last der Abgaben zu
tragen." Das steht in der Volksgeschichte der Westgoten,
welche er verfafst hat, kurz zwar und dürftig für uns, die wir nach
eingehenderer Darstellung verlangen, aber doch nicht ohne Geschick
zusammengefalst und mit Wärme erzählt. Kurze Geschichten der
Vandalen und der Sueben schliefsen sich daran. Vorangeschickt
aber ist ein überschwengliches Lob Spaniens, das jetzt von dem
') Bis era 654. Den Ursprung dieser spanischen, 38 a. C. beginnenden
Zeitrechnung findet Job. Heller in dem Anfangsjahre der Ostercyklen,
Bist. Zeitschr. XXXI, 13—32. Ueber das Wort vgl. Mommsen im NA.
XVIIT, 271 — 273. — Isidori iunioris chronica maiora und cbronicorum
epitome nebst Anhängen ed. Mommsen, Auett. antt. XI, 391 — 502, vgl.
über die fränkischen Zusätze Krusch in den Mitteil. d. Inst. XVIII, 362
bis 365. Kurze Fortsetzung bis 877 MG. SS. XIII, 725.
^) Gegen Büdinger, welcher Isidor für den Urheber derselben hielt
(s. auch Denkschr, d. Wien. Akad. XLVI [1900], J, 39—42), nachgewiesen
von P]bert S. 233 u. 599 , und von H. Hertzberg in seiner Abb. über die
Chroniken des Isidor, Forsch. XV, 289—360, wo auch die Quellen der-
selben aufgedeckt sind.
Isidor von Sevilla. 95
blühenden Volke der Goten in Reichtum und glücklicher Sicherheit
beherrscht w^erde '). Von der Gotengeschichte gibt es zwei Rezen-
sionen bis 619 und 624, beide gleichzeitig unter König Svinthila
verfal'st , jene von einem Bearbeiter verkürzt , diese mit manchen
Zusätzen versehen. Die Widmung eines Exemplars an König Sise-
nand (631 — 636) kann von Isidor selbst, aber auch von einem
Anderen herrühren-).
Aufserdem aber haben wir endlich noch ein Werk des Isidor
zu erwähnen , welches ebenfalls grofse Verbreitung gefunden und
manchen zur Nachahmung gereizt hat. Das ist sein litterarhisto-
risches Buch De scriptorihus ecclesiasticis. Er selbst folgte darin
dem Vorgange des Hieronymus und des Gennadius, eines Marseiller
Priesters im 5. Jahrhundert. Ihm schlofs sich dann zunächst II de-
fons von Toledo an ^), und darauf nach langem Zwischenräume
im 12. Jahrhundert Sigebert, Honorius, Petrus Diaconus
und der ungenannte Mönch, welcher nach dem Fundort der Hand-
schrift von Melk (Anonymus Mellicensis) genannt wird, aber dem
Inhalt nach vielmehr nach Regensburg gehört ■•), alle dürftig
und mager, aber schätzbar dui'ch einige nur von ihnen aufbewahx'te
Nachrichten. Im 13. Jahrhundert folgte ihnen Heinrich von
Gent'^), und endlich am Schlüsse des Mittelalters der vielbelesene,
aber unzuverlässige Johann von Trittenheim''). Denselben
') Auctt. antt. XI, 267—303, vgl. Hugo Hertzberg, Die Historien des
Is. (Gott. Diss. 1874) mit genauer Analyse der Quellen, zu welchen vor-
züglich auch die verlorene Geschichte des Bischofs Maximus von
Zaragoza bis c. 620 gehört, aus welcher auch die Randglossen zum
Victor Tonnenensis stammen (S. 65 — 72), bei Mommsen als Chronicorum
Caesaraugustanorum reliquiae , a. a. 0. p. 221 — 223. Vgl. NA. IX , 244.
Uebersetz. der Volksgeschichten von D. Coste 1887, Geschichtschr. 10
(VII, 1).
-) Auctt. antt. XI, 804, vgl. 2.54.
^) Ueber Isidor und Ildefons vgl. Kirchengeschichtl. Stud. aus Münster
1898, Heft IV, 2, vgl. dazu Traube, D. Litteraturzeit. 1899, S. 1217.
*) Ueber die viel bessere gleichzeitige Handschr. in Admunt s. NA.
II, 421, Ausg. von E. Ettlinger, Der sog. Anon. Mellic. . Strassb. Diss.
1896, setzt ihn nach Prüfling.
^) Der Name beruht nur auf der Ausgabe von Suffridus Petri 1580.
Sicher ist er verschieden von dem bekannten Philosophen des Namens,
s. Haureau, Mem. de l'Acad. des Inscriptions XXX, II, 349 — 357. Notic.
et extr. de quelques manuscr. lat. de la Bibl. nat. \\ (1893), S. 162 — 178,
wo die Hs. Nouv. acq. 314 mit den verschiedenen Traktaten de viris ill.
beschrieben und überzeugend nachgewiesen wird, dal's Heinrich v. Gent
nicht der berühmte Philosoph sein kann.
^) Alle zusammen gedruckt in J. A. Fabricius Bibliotheca ecclesiastica
1718, Aub. Miraeus Bibl. eccles. 16.39. Eine neue Ausgabe wäre überaus
erwünscht. Vgl. Baehr S. 228 — 245. Die gänzlich unzuverlässigen, zum
Teil geradezu ei'fundenen Angaben des Trithemius sind lange Zeit ohne
96 I- Vorzeit. § fi. 7. Die Franken.
Gegenstand behandelte im 12. Jahrhundert Konrad von Hir-
sch au in seinem Dialogus super aiictores \) . und im Jahre 1380
Hugo von Trimberg, Lehrer zu St. Gangolf in Bamberg, in
Versen , in seinem Registrum multorum auctorum , dessen nicht
eben reicher Ertrag von M. Haupt geprüft ist, in den Sitzungs-
berichten der Berliner Akademie 1854, S. 142 flp. ; vollständig heraus-
gegeben von Joh. Huemer ^).
§ 7. Die Franken.
Histoire Litteiairp de la France, 1733 ff. Guizot, Histoire de la Civilisatiou en
France dejjuis la chute de l'Empire Romain , zuerst 1830 erschienen. Ampere,
Histoire Litteraire de la France avant le douzierae siecle. 3 Vol. 1839. 1840.
Aug. Thierry, Recits des temps Merovingiens, 1840. Löbell, Gregor von Tours
und seine Zeit, 1839. Zweite Ausg. 1869. Ozanam, Etudes Germaniques. 1845,
1849; dritte Ausg. 1861. Vacandard, La scola du palais Merovingien (Revue des
quest. liistor. LXI, 490—502 (1897), v.iderlegt die ,\nsicht von einer (litter.) Hof-
schule unter den Merowingern (vgl. auch Krusch, SS. Merov. IV, 643). .lunghans.
Die Gesch. d. Frank. Könige Ohilderich u. Chlodevech, 1857. Diss. traduite par
M. Gabriel Monod, augmentöe d'une introduction et de notes nouvelles, 1879.
G. Monod, Bibliographie de l'histoire de France, 1888. Hauck, Kirchengesch.
Deutschi. I (2. Ausg.), 89 ff.
Die Goten waren ohne Zweifel ein wohlbegabter, bildsamer
Stamm und ihre Anfänge vielversprechend ; aber die Westgoten
zeigen nach Isidor keine fortschreitende Entwickelung in der Litte-
ratur, und der O.stgoten Reich war in vollster Auflösung begriffen,
als es den Feldherren Justinians erlag. Keines der deutschen Reiche,
Prüfung angenommen und werden noch jetzt häufig unvorsichtig nach-
geschrieben. Adolf Helmsdörffer in seinen Forschungen zur Geschichte
Wilhelms v. Hirschau (Gott. 1874) , S. 35 ff. , weist sehr gut nach , wie
Trithemius in seinen eigenen Schriften sich nicht gleich bleibt, die er-
fundenen Schriftsteller seiner Annales Hirsaug. in den älteren Verzeich-
nissen selb.st nicht kennt. (Vgl. Traube, 0 Roma nobilis S. 313 — 316 u.
Silbernagel, Trith. 1885, über die Zusätze der Würzburg. Hs. zu seinem
Catalogus illustrium virorum.) Er verweist auf ein ungedrucktes Werk
des Abts Andreas von Michelsberg (1483 — 1502) Opus canonimtuni
de Ordine S. Benedicti , welches in Verbindung mit ihm steht (s. Arch.
XI, 421 — 424). Nicolaus de Siegen in Erfurt in seinem um 1490
verfal'sten Chronicon ecclefdasticum (ed. Wegele, Thür. Geschichtsquellen
II, 1855) scheint ihn schon benutzt zu haben. Ein Congestus virorum
illustrium Ordinis S. Benedicti von Petrus Gallus Wagner 1487 in
St. Ulrich und Afra verfafst, ist noch ungedruckt und scheint unabhängig
zu sein. Das (wertlose) von Radulfus de Diceto seiner Chronik vor-
ausgeschickte Verzeichnis seiner Gewährsmänner s. in der Ausgabe von
W. Stubbs, Lond. 187(i, NA. 111, 208.
*) P]ntdeckt und herausgegeben von G. Schepss im Progr. des alten
Gymn. in Würzburg 1889; vgl. Dreves, Zeitschr. für die kathol. Theol.
1901, S. 546 if.
2) Wiener SB. CXVI, 145—190. Ueber eine zweite von A. Ebner ge-
fundene Hs. Hist. -Jahrb. XI, 283 ff.
Ausonius. A2)olliiiaris Sidoniiis. 97
welche auf rüiniscliem Boden errichtet wurden, vermochte die innere
Festigkeit und Ordnung zu. gewinnen, welche allein die Grundlage
einer dauernden und fortschreitenden Geistesbildung und littera-
rischen Entwickelung darbieten kann. Einen ganz ähnlichen Ver-
lauf der Dinge sehen wir auch bei den Franken : auch j^ie finden
einige Reste der alten Bildung vor, welche sich eine Zeit lang
kümmerlich erhalten ; in der Kirche regt sich dann einige littera-
rische Thätigkeit, aber zuletzt droht doch alles in der allgemeinen
Auflösung und Verwirrung rettungslos unterzugehen , und es be-
darf einer Neubelebung der fast ganz erstorbenen Keime, um ein
besseres Zeitalter herbeizuführen auf der Grundlage festerer staat-
licher Bildungen.
Hochberühmt waren in den letzten Jahrhunderten der Kaiser-
herrschaft die Schulen der Grammatiker und Rhetoren in Gallien,
die französischen Schriftsteller gefallen sich darin , das Bild dieser
Zeiten auszumalen , und es tritt uns in den Werken von Guizot
und Ampere lebendig entgegen. Diese Studien , welche noch in
den letzten Jahrzehnten des Reiches so eifrig betrieben wurden,
waren aber, wie sich das bei dem Geiste dieser Zeiten nicht anders
erwarten lälst, dem wirklichen Leben gänzlich entfremdet und be-
wegten sich nur auf dem Boden der Schule. Die Prosa war bis
auf einen unerträglichen Grad verkünstelt; die gesuchte, kaum
verständliche Schreibart, deren wir schon bei Ennodius und Cas-
siodor gedachten, ist hier auf die Spitze geti'ieben. Die Poesie
war vorherrschend epigrammatisch und diente fast nur dem Zeit-
vertreibe der vornehmen Welt: durch Gelegenheitsgedichte suchten
die Poeten die Gunst hoher Gönner, oder diese griffen auch selbst
zur Feder und bewiesen ihre feine Bildung durch allerhand poe-
tisches Spielwerk, wie Ausonius aus Bordeaux, der nach der
Verwaltung bedeutender Staatsämter in Mul'se der Litteratur
lebte und bald nach 392 gestorben ist 0- Weniger glücklich als
dieser sah sich Apollina ris Sidonius schon verdammt, unter
den Barbaren zu leben, und deshalb sind seine Gedichte und Briefe
von um so gröfserem Werte für uns : sie zeigen uns nicht nur den
*) Neue Ausg. v. C. Schenk!, MG. Auctt. antt. V, 2. 1883; von Peiper
1886, Leipzig, Teubner 188*^, reo. von Seeck, G.G.A. 1887 S. 497—520
(vgl. Peiper, Die handschriftl. Ueberliefer. des Auson., Jahrb. für klass.
l'hilol.. Suppl. XT, Leipzig 1879). Mosella mit franz. Uebers. und Anm.
von H. de la Ville de Minnont. Bordeaux 1889; derselbe, De Ausonii
Mosella. Paris 1892, rec. von Fr. Marx, Gott. Gel. Anz. 1896, S. 79—83.
Neue kommentierte Ausg. durch Hosius. Manitius. Gesch. d. christl. lat.
Poesie (1891), S. 105—111, Phüologus LVl, 535.
Watten back, Geschichtsquellen. I. 7. Auti. 7
98 I- Vorzeit. § 7. Die Franken.
damaligen Zustand der Schulen und des Lebens in Gallien, sondern
gewähren auch manche Kunde von den Burgunden und Westgoten,
denen er mit seiner Kunst dienen muLste. Innigst verabscheut er
diese Barbaren , und bei mancher Gelegenheit spricht er das un-
verhohlen aus, aber bewundern und feiern liel's er sich doch recht
gerne von ihnen. Auch das grofse Hochzeitsfest der Franken , bei
welchem diese von Aetius überfallen wurden , hat Sidonius zum
Preise des Siegers geschildert. Zuletzt wandte er sich der Kirche
zu, welche allein noch einen sicheren Hafen darbot, wurde 471
Bischof von Clermont in der Auvergne und starb bald nach 484 ^).
Ein Verwandter des Sidonius war der hochangesehene Bischof
(seit 490) Alcimus Ecdicius Avitus, geb. um 460, gest. nach
525 , einer der letzten Vertreter der römischen Bildung in Gallien
und eifrigster Vorkämpfer der katholischen Kirche gegen den Aria-
nismus. Wenn uns auch hier weder seine Homilien und theologi-
schen Schriften berühren, noch seine sehr geschätzten Dichtungen
über alttestam entliche Stoffe, so bilden doch seine Briefe eine wich-
tige Quelle für die Zeitgeschichte: die Bedeutung der Taufe Chlo-
dovechs erkannte er mit prophetischem Blicke, und im burgundi-
schen Königshause gelang es ihm , den Sohn des eifrigen Arianers
Gundobad, Sigismund, zum katholischen Glauben zu bekehren -).
Einst hatte Konstantin die fränkischen Gefangenen den wilden
Tieren vorwerfen lassen , weil sie ihm zu wild und treulos er-
schienen , um sich wie andere Barbaren zum Anbau des Landes,
') Teuffei § 460. Fertig , Apollinaris Sidonius und seine Zeit , in
3 Würzburger u. Passauer Programmen 1845. 46. 48. Georg Kaufmann,
Die Werke des C. SoUius Apollinaris Sidonius, Gott. Diss. 1864. Derselbe,
Ueber Leben und Charakter des Sidonius, im Neuen Schweizer Museum,
1865. Von demselben: Rhetorenschulen und Klosterschulen oder heid-
nische u. christliche Kultur in Gallien während des 5. u. 6. Jahrhunderts,
in Raumers histor. Taschenbuch IV, 10 (1869), S. 1—94. St. Sidoine
Apollinaire et son siecle par l'abbe Chaix, 1867 ; besser als das Buch ist
die Rezension von G. Kaufmann, GGA. 1868, S. 1001—1021. Ebert I,
419 ff. Manitius a. a. 0. S. 218—224. Mommsen, S. A. am westgot. Hof,
Berliner SB. 1885, S. 215-223. Büdinger, A. S. als Politiker, Wiener
SB. XCVII, 915—954. Aufsatz v. Sandret über ihn als Historiker in d.
Revue des questions bist. LXIII, 210 (Juli 1882). Ueber den ihm be-
freundeten Narbonner Gelehrten Leo s. Zeumer im NA. XXIV, 119 flg.
Ausg. von Gregoire und Collombet in 3 Bänden, Lyon 1836; Migne
LVIII; V. Baret, Paris 1879; v. Luetjohann MG. Auett. antt. YWl; v. Mohr.
Leipzig 1895, vgl. Engelbrecht, Wiener Stud. XX, 293-308. E. Chatelain
über den cod. Vat. 3421, Melanges Graux, S. 321—327. Max Müller, De
Apollin. Sidonii latinitate, Diss. Leipzig 1888.
") Ale. Ecd. Aviti Viennens. episc. opp. ed. Peiper, Auett. antt. VT, 2
(1883), vgl. Ebert I, 393—402.
Die Franken. Lex Salica. 99
zum Kriegsdienst oder als Sklaven verwenden zu lassen : nur der
Schrecken, meinte er, vermöge sie zu bändigen. Aber die viel-
fache, wenn auch feindliche Berührung mit den Römern milderte
allmählich ihre Wildheit; bald finden wir Franken in ansehnlichen
Aemtern bei den Römern, und schon am Ende des 4. Jahrhunderts
war der Franke Arbogast Befehlshaber der Heeresmacht im west-
lichen Reiche. In der Mitte des 5. Jahrhunderts sind die salischen
Franken von den Römern abhängig, sie führen ihre Kriege und
schlagen ihre Schlachten. Mit den Römern verbündet, durchzieht
der König Cbilderich ganz Gallien nach allen Seiten ; er besiegt
mit ihnen die ketzerischen Westgoten, die britischen und sächsi-
schen Seeräuber, die plündernden Alamannen. Obgleich noch Heide,
ist Childerich mit seinen Franken doch bereits dem ganzen Lande
wohlbekannt, aber nicht mehr als der wildeste aller Feinde, son-
dern als Retter und Beschützer. Man freute sich des alten Hünen,
wo man ihn sah, hoch zu Rofs, in reicher und prächtiger Rüstung :
der Königsmantel, in welchem seine Getreuen ihn zu Tournay be-
stattet haben , bestand aus purpurner , golddurchwirkter Seide,
wahrscheinlich besetzt mit den goldenen Bienen , die man in so
grofser Zahl in seinem Grabe fand , und die Napoleon von ihm
entlehnt hat. Natürlich war das alles von römischer Arbeit, auch
sein Siegelring führte die lateinische Inschrift : CHILDIRICI
REGIS 0.
Da ist es denn nicht zu verwvindern , dafs auch daheim im
Salierlande scton Römer wohnen konnten , als Gäste und Haus-
genossen des Königs , ja dafs auch die Salier selbst ihr eigenes
Volksrecht in lateinischer Sprache aufzeichneten — denn noch
wagte oder verstand man es nicht, die fränkische zur Schrift-
sprache zu machen , und erst an eben dieses Rechtsbuch lehnten
die ersten noch unbeholfenen Versuche sich an -) — und anderer-
seits erklärt es sich auch, wie bald darauf die Vermischung der
Franken mit den schon halb barbarisch gewordenen Provinzialen
so leicht und rasch von statten gehen konnte ; war man doch beider-
seitig schon längst daran gewöhnt, miteinander zu leben und zu
verkehren.
In lateinischer Sprache ist auch das älteste uns erhaltene Denk-
^) J. J. Chifflet, Anastasis Childerici I illustr., Antv. 1655, 4. L'abbe
Cochet, Le Tombeau de Childeric I, Paris 1859.
^) Ungeachtet anderer entgegengesetzter Ansichten scheint mir diese
Auffassung dem ganzen Bildungsgange der Franken nicht nur, sondern
auch anderer Völker in gleicher Lage besser zu entsprechen.
100 I- Vorzeit. § 7. Die Franken.
mal einheimischer Poesie der Franken verfafst, der Prolog zum
Volks recht der Salier, wo das Volk der Franken hoch ge-
priesen wird, das schöne, kluge, tapfere und treue, das jetzt auch
den katholischen Glauben empfangen habe und von jeder Ketzerei
rein sei. Die frühere Abhängigkeit von den Römern erschien ihnen
in der Erinnerung als die härteste Knechtschaft, deren Joch sie
mit ihrer gewaltigen Kraft abgeworfen hätten, und voll Stolzes
rühmen sie sich der reichen Gaben an die Kirchen der heiligen
Märtyrer, gegen welche die Römer einst mit Feuer und Schwert
gewütet hätten.
Dieser letzte Satz, welcher erst lange nach der Bekehrung ge-
schrieben sein kann, hat aber nicht mehr die rhythmische Form,
welche für den Anfang dieses Prologs zuerst v. Bethmann-Hollweg
nachgewiesen hat^), und dieser erste Teil, in welchem die neulich
geschehene Bekehrung des Volkes erwähnt wird, scheint älterer
Zeit anzugehören. Doch ist das sehr unsicher und die genauere
Zeitbestimmung des Prologs viel umstritten.
So wie die Franken das Christentum sogleich mit dem ortho-
doxen Eifer ergriffen, welcher sich in jenen Worten ausspricht, so
waren sie auch der übrigen römischen Bildung durchaus nicht
feind ; ja Chlodovechs Enkel Chilperich, der auch für byzantinischen
Hofstaat und römische Staatseinrichtung grofse Vorliebe zeigte, ver-
suchte sogar das lateinische Alphabet durch Erfindung neuer Buch-
staben zu verbessern und machte selbst lateinische Verse nach dem
Vorbilde des Sedulius, aber wie Gregor von Tours berichtet, wollte
es ihm mit der Metrik nicht recht gelingen '^).
Höchst charakteristisch für diese erste Zeit der Vermischung
des Alten und Neuen ist die Persönlichkeit des Venantius For-
tunatus^). Noch in den alten Rhetorenschulen gebildet, ist er
') Schmidts Zeitschr. f. Geschichte IX, 49. Vgl. Waitz, Das alte Recht
der salischen Franken , S. 36 ff. und jetzt ausführlicher in der 3. Aufl.
d. Verfassungsgesch. II, 1, 122 ff. Der Schluss des Prol. aus d. Pariser
Hs. Lat. 2294 bei L. Delisle, Sacramentaires p. 187.
^) S. darüber Gregor v. Tours V, 45, u. die Uebersetzung Giesebrechts
I, 287. Das ihm zugeschriebene Epitaphium S. Germani bei Aimoin III,
Iß scheint nicht wirklich von ihm zu sein, dagegen ein Rhythmus auf
den heil. Medardus. s. NA. XXV. 407.
') Baehr S. 145—161. Teuffei § 483. Ebert I, 518 ff. Manitius
S. 438 — 470. Vgl. über ihn besonders die Werke von Guizot u. Ampere.
Opera poetica ed. Fr. Leo, MG. Auctt. antt. IV, 1. 1881; Opp. pedestria
ed. Krusch ib. 2. 1886; einige Gedichte auch bei Hagen, Carm. med.
aevi p. 80 — 84. Vgl. auch Böcking, Moselgedichte des Ausonius u. Ven.
Fortimatus, Bonn 1845 (Jahrbuch der Altertumsfreunde im Rheinland.
Lex Salica. Venantius Fortunatus. 101
einer der letzten Vertreter jener verkünstelten Schulgelehrsamkeit.
Er stammte aus Italien und kam um das Jahr 565 nach Gallien,
an König Sigiberts Hof, wo man viel Gefallen an dieser Poesie
fand. Ueberall bei den fränkischen wie bei den römischen vor-
nehmen Herren und Bischöfen war er ein gern gesehener Gast
und auf ein Lobgedicht voii ihm legte man den gröfsten Wert.
Aber mehr als alles dieses fesselte ihn (seit 567) die Freundschaft
der heiligen Radegunde, die ihn zuletzt bewog, in den geistlichen
Stand einzutreten und sich ganz nach Poitiers zurückzuziehen.
Hierhin hatte Radegunde, aller Herrlichkeit der Welt entsagend,
sich begeben, um ihr Leben in dem von ihr gestifteten Kloster
bei den Werken der Frömmigkeit und Demut zu beschlielsen , sie,
einst die Gemahlin Chlothars, den sie aber nach der Ermordung
ihres Bruders, des letzten Sprossen der thüringischen Königsfamilie,
verlassen hatte. Nur ein Vetter von ihr war noch übrig, der in
Konstantinopel lebte , Amalafrid , und an diesen schrieb nun For-
tunat in ihrem Namen eine wahrhaft schöne poetische Epistel, in
welcher er den Untergang des thüringischen Reiches in ergreifender
Weise schildert. Ebenso schön ist ein zweites langes Gedicht über
das traurige Geschick der Geleswintha, Tochter des Westgoten-
königs Athanagild , der Schwester der Königin Brunhilde, die mit
König Chilperich vermählt, aber bald nach der Hochzeit auf An-
stiften der Fredegunde ermordet wurde ').
Wo Fortunat in solcher Weise einen bedeiitenden Gegenstand
aus dem wirklichen Leben zu behandeln unternimmt , zeigt er
wahres Gefühl und ungewöhnliches Talent. Aber bei weitem die
Mehrzahl seiner Gedichte bewegt sich ganz in der spielenden Weise
seiner Zeit; er besingt jede gute Mahlzeit, die Radegunde ihm zu-
kommen läfst, und widmet jedem kleinen Vorfall ein Epigramm.
Doch ist er im Ausdrvick sehr selbständig und dichtet nur. wenn
eine greifbare Wirklichkeit ihn dazu veranlafst. Die ersten acht
Bücher seiner Gedichte gab er, wie W. Meyer gezeigt hat (576 oder
bald nachher), selbst heraus, ebenso noch (nach 584) das neunte,
Band VII). Fr. Leo, V. F. der letzte röm. Dichter, Deutsche Rundschau
XXXII, 414—426. W. Meyer, Der Gelegenheitsdichter Venant. Fortun.
in den Abhandl. d. Gott. Ges. d. W.. N. F., IV, 5; Dostal, Ueber Identität
und Zeit von Personen bei Ven. Fort. , Programm v. Wiener-Neustadt
1900. Sehr häufige Benutzung im MA. hat Manitius nachgewiesen, NA.
XII, 591—592; XIII, 631—635.
^) Beide Gedichte schreibt Ch. Nisard der Radegunde, Fortun. nur
Retouche zu, hat aber nur Widerspruch gefunden, s. NA. XIV, 437.
W. Lippert, Zeitschr. f. Thür. Gesch., N. F. VII, 16—38.
1(32 I- Vorzeit. § 7. Die Franken.
das zehnte und eilfte aber sind von anderen als Ergänzung ver-
öffentlicht. Vollends unerträglich ist seine Prosa, schwülstig, ge-
ziert, kaum verständlich ; nur in den von ihm verfafsten Heiligen-
leben redet er einfach und natürlich. Das findet sich überhaupt
fast durehgehends , nur wenige derselben sind in dem gesuchten
Stile der Schule geschrieben, und zwar aus dem einfachen Grunde,
weil sie zur Erbauung, zum Vorlesen bestimmt waren und deshalb
allgemein verständlich sein mufsten. Den heiligen Martin verherr-
lichte er in Versen (zwischen 573 und 576) in vier Büchern ganz
nach Sulpicius Severus.
In den Heiligenleben, die Fortunat verfafste, darunter das des
heiligen Kemedius, herrscht übrigens der moralisch-theologische
Zweck und Standpunkt zu sehr vor, als dafs sie einen bedeutenden
historiseben Wert haben könnten; am anziehendsten und am lehr-
reichsten ist das Leben der Radegunde (f 13. August 587),
worin das Klosterwesen der damaligen Zeit anschaulich geschildert
wird, doch waren auch hier so bedeutende und für das Kloster
wichtige geschichtliche Vorgänge ganz übei'gangen, dafs schon von
der damaligen Aebtissin Dedimia der Nonne Baudonivia die
Abfassung einer zweiten Biographie aufgetragen wurde, was sie
gewissenhaft, wenn auch in ungeschickter Weise, bald nach 600
ausgeführt hat *).
Wie nun die Legenden sich schon durch ihre einfache Sprache
als dem Leben näherstehend bewähren , so zeigt es sich überhaupt
bald, dafs die kirchliche Litteratur die einzige wahrhaft lebens-
fähige war. In die Kirche flüchteten sich alle, welche noch Sinn
und Neigung für litterarische Bildung hatten, die in dem wilden
Getümmel des weltlichen Lebens keine Stätte mehr fand. Das
sahen wir an Ennodius, der auch im südlichen Gallien geboren
und in den dortigen Rhetorenschulen gebildet war, an Cassiodor,
Jordanis, Apollinaris Sidonius, und auch Fortunat wurde in seinem
hohen Alter (um 600) noch Bischof von Poitiers, wo er zu An-
fang des 7. Jahrhunderts gestorben ist.
Jene innerlich leblose, gekünstelte Litteratur der Grammatiker
starb mit ihren letzten, von den Franken noch vorgefundenen Ver-
') De vita S. Radegundis libri II, ed. Krusch, Auctt. antt. IV, 2.
XVI--XIX, 38— .39; SS. Meroving. II, 358-395. Ein Schreiben der
Aebtissin Caesaria v. Arles an sie, Epp. III, 450 — 453. Vgl. Dümmler,
Radegunde v. Thüringen (Im neuen Reich 1871, S. 641—656). Die Kehr-
seite zeigen die höchst ärgerlichen und anstöfsigen Zustände im Kloster
gleich nach Radegundens Tod, Greg. Tur. IX, 39—43. X, 1.5—17.
Fortunatus. Die gallische Kirche. 103
tretern ab, und nur die Kirche bewahrte von nun an die Keime
des geistigen Lebens, welche sie naturgemäfs für ihren Dienst ver-
wandte. Freilich konnte auch sie dem Drucke dieser Zeiten nicht
unversehrt widerstehen ; die früher in Gallien sehr bedeutende
spekulativ-theologische Thätigkeit hörte gänzlich auf, da man zu
gewaltsam vom Drange des praktischen Lebens ergriffen wurde ;
aber in diesem bewahrte die Kirche eine bedeutende Stellung.
Politisch war die Macht der Bischöfe im fränkischen Reiche bald
gröfser, als sie je gewesen war, und wenn sie auch von der immer
mehr überhandnehmenden Verwilderung stark ergriffen wurden, so
ging der tiefere sittliche Gehalt in der Kirche doch niemals völlig
verloren . und mitten in dem allgemeinen Verderben erschienen
immer aufs neue einzelne Männer, welche durch Reinheit der Ge-
sinnung und durch rückhaltlose Hingabe ihrer eigenen Person für
die Gebote des Evangeliums die Verehrung ihrer Zeitgenossen und
die Bewunderung der Nachwelt erzwangen. Zu keiner Zeit nach
den ei'sten Jahrhunderten der christlichen Kirche finden wir eine
gröfsere Zahl von Heiligen als gerade damals, Männer und Frauen,
grofsenteils von hervorragender äufserer Stellung, die dm*ch Ent-
sagungen aller Art, durch aufopfernde Wohlthätigkeit , durch un-
erschrockenes Auftreten gegen die Verbrechen der Grofsen und
Mächtigen, sich die dankbare Verehrung des Volkes erwarben. Das
äufsere Leben nahm gebieterisch alle ihre Kräfte in Anspruch ; für
wissenschaftliche Bestrebungen war kein Raum in dieser Zeit, und
die geringe, litterarische Thätigkeit, welche noch stattfindet, be-
schränkt sich auf Predigten , moralische Schriften und Legenden,
die ebenfalls als Vorbilder zum Zweck der unmittelbaren Einwirkung
auf die Zeitgenossen verfafst wurden.
Auf diesem Felde schlofs sich an Sulpicius Severus eine reiche
Litteratur an, und auch der Mann, mit dem wir uns zunächst zu
beschäftigen haben, der bedeutendste Schriftsteller der merowin-
gischen Zeit, Gregor von Tours, wandte der Legende seine Thätig-
keit hauptsächlich zu.
§ 8. Gregor von Tours.
Opera ed. Ruinart, Paris 1699, fol. Migne LXXI. SS. Meroving. I, 1885 (Hist. Fr. ed.
W. Arndt, De miraculis S. Andreae ed. M. ßonnet, die übrigen Schriften von
Br. Krusch). Rec. v. Bonnet, Revue crit. 188.5, N. 9 (vgl. NA. X. 603), 1886, N. 8
(vgl. NA. XI, 632). Differenzen zwischen Krusch u. Bonnet, NA. XII, 309—314.
XVI, 432. XVII, 189—203. Krusch, Ohlod. Sieg über die Alamannen, gegen Vogel.
NA. XII, 239—302; zu Greg, de cursu stell. NA. XII, 303—314. Krusch, Ueber die
handsehriftl. Grundlage von Gregors Miracula, NA. XIX, 25 — 45, widerlegt die
Vorwürfe von Bonnet und gibt einige nachträgliche Berichtigungen. — Einen
Nachtrag zu der Ausg. bildet die Passio VII. Dormientium, von Krusch entdeckt
1()4 1- Vorzeit. !^ 8. Gregor von Tours.
u. herausgeg. Anal. Bollaml. XII (1893), S. y71— 387, ein nach Gregors Bericht
durch einen Sju-er aus dem Griechischen übersetzter Text.
In Not. et Düc. piibl. p. la Soc. de l'hist. de France (1881) gibt H. Oniont S. 1—18
Nachricht von einem durch L. Delisle in Kopenhagen entdeckten Fragment e.
Hs. (l. Hist. in Uncialen u. einer zweiten saec. IX. Auch sind die Leid. u. Vat.
Fi-agniente (A2 bei Arndt) abgedruclit, weil sie vielleicht ders. alten Hs. laus
Orleans) entstammen. — L. I— VI e cod. Corb. mit d. Zusätzen d. 2. Ausg. von
H. Omont 1886. Album pal. pl. 12 codd. Belvac. Corb. pl. 13 Camerac. mit von
Bethmann übersehenen Korrekturen. Ueber den wieder gefundenen Cod. Bel-
vac. des lib. Mirac. Delisle in den Mel. Jul. Havet (189.5), p. 1—8 mit Facsim.
— Livres VII ä X, Texte du ms. de Bruxelles (B2) public, par Gasten CoUon,
Paris lS'.r.i.
üebersetzung der Gesch. mit vortreif lieber Einleitung von W. Giesebrecht, Berlin
18.il, 2. Aufl. 1878 (Geschichtschr. 8. 9. VI, 4. 5). Kries, De Greg. Tur. vita et
scriptis, Vratisl. 1838. Löbell, Gregor von Tours und seine Zeit, Leipzig l8o9,
18ü9. Haeusser S. 8— 17. R. Koepke in der Allgem. Monatsschrift, 18.52 Sept ,
S. 775-800. Kl. Sehr. S. 289 ff. Waitz in den Gott. Gel. Anz. 1839, 8. 781-793,
in Schmidts Zeitschrift für Geschichte II, 44. Dazu jetzt die vortreft'l. Mono-
graphie von G. Monod, Etudes critiques sur les sources de Thist. Merovingienne
(Bibl. del'Ecole des hautes etudes, 8 Fase. 1872) p. 21—146 (vgl. seine oben S 44
angeführte Rezension), rec. v. Dümmler. Lit. Centr. 1872, 819; v. Waitz, GGA.
1872, 903—909; von W. Arndt, Hist. Zeitschr. 23, 415-422. Ebert S. 56G— 579.
Alfred .lacobs, Geographie de Gregoire de Tours et de Fredegaire, Paris 1861.
n. bei der Ausg. von (juizots Üebersetzung. Longnon. Geographie de la Gaule
ä l'epoque de Gr. de T. 1878. Le Mire, Etur'es archeolog. sur Gr. de T. Lons-
le Saulnier 1879. Bonnet, Le Latin de Gr. dt T.. Paris 1890 (auch über die Be-
nutzung früherer Schriftsteller und der von ihm herangezogenen Bibelüber-
setzung).
Gregor von Tours stammte aus einer sehr vornehmen römischen
Familie, der fast alle Bischöfe von Tours und viele Heilige ange-
hörten. Um das Jahr 540 in Clermont-Ferrand (Arverni) geboren,
erhielt er nach seinem Vater und seinem Grofsvater die Namen
Georgius Florentius; Gregor hat er sich erst später genannt, nach
seinem mütterlichen Ahnherrn, dem heiligen Gregorius, Bischof von
Langres. Seinen Vater scheint er früh verloren zu haben ; erzogen
wurde er an seinem Geburtsorte von seinem Oheim, dem heiligen
Bischof Gallus, u.nd nach dessen Tode von dem Priester Avitus, der
im Jahre 571 ebenfalls Bischof von Clermont wurde. Er selbst nennt
nur diesen , der ihn nicht in weltlicher , sondern in kirchlicher
Wissenschaft unterwiesen habe. Doch hat er natüx'lich in der Schule
einige Kenntnis des Vergil und Sallust bekommen, weifs auch von
A. Geilius und Marcianus Capella und liebt die christlichen Dichter,
aber wenn auch seine Citate sieh sehr beschränken, so ist doch der
von G. Kurth daraus gezogene Schlufs irrig, dafs Gregor nur ein
Excerptenschulbuch benutzt habe ').
Im Jahre 573 erhielt Gregor von König Sigebert das Bistum
Tours, und Fortunat versäumte nicht, sein Gedicht dazu zu machen;
Gregor , der ihm nahe befreundet war , hat ihn später sogar mit
einem Landgütchen beschenkt.
') Godefroy Kurth, Saint Gregoire de Tours et les etudes classiques
au VI. siecle. Revue des questions historiques, XXIV, 592, Oktober 1878,
dagegen Manitius, Zur Frankengeschichte Gregors v. Tours, NA. XXI
549—557.
Gregor von Tours. 105
Der Bischof von Tours, der Nachfolger des heiligen Martin,
war eine der ansehnlichsten Personen im fränkischen Reiche, ein
Kirchenfürst von bedeutender Macht, und mehr noch wegen der
ungemeinen Verehrung des heiligen Martin ein Mann, auf den die
Blicke vieler ^lenschen gerichtet waren und dessen Stimme bei allen
Staatshändeln von Gewicht war. In Tours, dem wichtigsten reli-
giösen ^littelpunkte des Reiches, liefen die Fäden von allen Seiten
zusammen. Bei den inneren Kriegen unter den Merowingern konnte
es daher nicht fehlen , dafs Gregor sehr bald in schwierige Ver-
wickelungen hineingezogen wurde, und gleich anfangs sah er sich
in sehr gefährdeter Lage, als Chilperich die Stadt Tours seiner
Herrschaft unterwarf. Er benahm sich aber stets mit Klugheit
und Festigkeit, und wuCste sich selbst gegen erbitterte und mäch-
tige Feinde zu behaupten. Nach Chilperichs Tode (584) stieg
sein Ansehen, und von nun an war er einer der einflufsreichsten
Männer im Reiche. Allgemein geachtet starb er am 17. Nov. 594,
und hinterliefs ein dankbares Andenken in seinem Sprengel, für
den er in jeder Beziehung mit unermüdlichem Eifer thätig gewesen
war; man verehrte ihn sogar als einen Heiligen. Seine im 10. Jahr-
hundert in Tours verfafste Biographie hebt nur diese Seite hervor
und gewährt fast keine neue Belehrung über ihn ').
Vieles hatte Gregor erlebt und gesehen, von seiner Kindheit an,
wo die Auvergne der Schauplatz des Kampfes zwischen Chlothar
und Childebert war, bis zu dem blutigen Streite der Königinnen
Brunbilde und Fredegunde; seitdem er zu den Bischöfen des Reiches
gehörte, konnte kein bedeutendes Ereignis eintreten, ohne ihn un-
mittelbar zu berühren ; von allem erfuhr er , und an vielen wich-
tigen Staatsgeschäften nahm er persönlich teil ; einen grofsen Teil
des Reiches kannte er aus persönlicher Anschauving. Da erwachte
in ihm der Wunsch , die Kunde dieser Dinge auch der Nachwelt
zu überliefern , und während er das Leben der Heiligen beschrieb
und reiche Sammlungen von Wundergeschichten verzeichnete , ar-
beitete er zugleich unablässig an dem Geschichtswerke, welchem
wir fast allein unsere Kenntnis von dem Reiche der Merowinger
verdanken. Noch trägt es die Spuren seiner allmählichen Ent-
stehung , man erkennt spätere Nachträge , und es fehlt ihm die
letzte Feile. Um so gröfser ist deshalb die Glaubwürdigkeit der
^) Die darin von ihm erzählte Reise nach Rom ist erfunden, s. Monod
p. 37. Als Verfasser ist von Ruinart ohne Grund der Abt Odo von Cluny
genannt, ib. p. 25.
106 I- Vorzeit. § 8. Gregor von Tours.
letzten Bücher, in welche er den Ereignissen gleichzeitig die Zeit-
geschichte eintrug.
Häufig nennt man dieses Werk die Kirchengeschichte der Fran-
ken, und in manchen Handschiüften trägt es nach dem Vorbilde des
Beda diesen Titel (Historia ecclesiastica Francorum). Allein so sehr
auch dem Charakter der Zeit entsprechend das kirchliche Element
vorwiegt, der Inhalt zeigt doch, dafs jene Ueberschrift den Grund-
gedanken des Werkes nicht ausdrückt und also nicht von Gregor
herrühren kann. Richtiger nennt man es: Zehn Bücher fränkischer
Geschichten.
Gregor hatte bereits Vorgänger gehabt; er selbst, und nur er
allein, hat uns (II, 8. 9) Namen und Bruchstücke von zwei ver-
lorenen Historikern aufbewahrt, von Renatus Profuturus Fri-
geridus^, dessen zwölftes Buch dei Geschichten er anführt, und
Sulpicius Alexander. Aber diese scheinen beide noch den
Zeiten der letzten Kaiser angehört zu haben, und niemand ver-
suchte mehr das Andenken dieser trüben Zeiten aufzuzeichnen. Mit
der Klage darüber beginnt Gregor sein Werk. Jetzt, da die Pflege
der schönen Wissenschaften in den Städten Galliens vernachlässigt,
ja sogar gänzlich in Verfall geraten sei^), so lauten die inhalts-
schweren Worte, jetzt finde sich kein Gelehrter, dem die Kunst der
Rede zu Gebote stände^), der in Prosa oder Versen die Begeben-
heiten der Gegenwart der Nachwelt aufbewahre. Laut klage das
Volk : Wehe über unsere Tage, dafs die Pflege der Wissenschaften
bei uns untergegangen ist und niemand sich findet, der, was zu
unseren Zeiten geschehen, berichten könnte ! Deshalb also, weil kein
anderer auftrete, habe er es auf sich genommen, das Gedächtnis
dieser Tage den Nachkommen zu überliefern.
Die Geschichte seiner Zeit also ist sein Gegenstand ; aber um
dafür eine chronologische Grundlage zu gewinnen, schickt er im
ersten Buche eine Uebersicht der Weltgeschichte, hauptsächlich der
biblischen , seit der Schöpfung voran ') ; die Ei-zählung von der
Stiftung der gallischen Kirchen, zuletzt von seinem Schutzheiligen
') J. Grimm, Ueber Jornandes S. 17, erklärt den letzten Namen für
gotisch. Beide Namen kommen bei Ammian XXXI , 7 vor. Schirren,
De Jord. p. 7, vermutet in dem Profuturus ep. Braccarensis, an welchen
Papst Vigilius 538 schreibt (Jaffe, Reg. n. 907), den Autor.
^) Decedente atque immo potius pereunte ab urbibus Gallicanis libe-
ralium cultura litterarum.
') Peritus dialectica in arte grammaticus.
■*) Libuit etiam animo, ut pro suppotatione annorum ab ipso mundi
principio libri primi poneretur initium.
Gregors Frankengeschichte. 107
Martin . gibt dann den Uebergang zur fränkischen Geschichte.
Allein er führt doch auch noch einen anderen Grund an für die
Berechnungen, mit denen er sein Werk beschliefst, nämlich damit
diejenigen, welche wegen des herannahenden Endes der Welt in
Sorgen sind, genau wissen möchten, wie viele Jahre seit der Er-
schaffung der Welt verflossen wären. Denn diese Vorstellung be-
herrschte auch ihn, sowie alle, die auf das untergehende römische
Reich, das letzte AVeltreich , ihre Blicke gerichtet hatten. Und in
der That bot diese Zeit kaum etwas anderes dar, als Zeichen des
Verfalles und des Unterganges; Keime neuen Lebens mufsten dem
Frankenreiche in Gallien erst von aufsen wieder zugetragen werden,
für die Neugestaltung des Staates von Austrasien , für die Kirche
von den britischen Inseln.
Vor allem findet nun Gregor es durchaus notwendig, sein
Glaubensbekenntnis an die Spitze des Buches zu stellen, damit kein
Leser an seiner Rechtgläubigkeit zweifeln könne ; denn ein Haupt-
gegenstand seines Werkes würden die Kämpfe der Kirche mit den
Ketzern sein. Höchst charakteristisch ist dies für eine Zeit, die
seit Jahrhunderten von dem Gegensatze der Katholiken und Arianer
erfüllt war, wo der Name des Orthodoxen der höchste Ehrentitel
der Fürsten war. und die Franken ihren gröfsten Stolz darin fan-
den, von jeder Ketzerei frei zu sein. Das gesteht ihnen auch der
Mönch Jonas im Leben des Columban zu; den katholischen Glauben
finde man bei ihnen, nur leider von den Werken auch gar keine
Spur.
Es ist aber dieser Standpunkt für die Beurteilung von Gregors
Werk sehr wichtig; seine ganze Auffassung Chlodovechs beruht
darauf. Nicht nach schriftlichen Aufzeichnungen schildert ihn Gre-
gor ; für die ersten Zeiten hat er wohl die schon erwähnten Autoren
und den Orosius benutzt, auch einzelne annalistische Notizen und
Heiligenleben , vorzüglich das Leben des Remigius , nebst Briefen
und Aktenstücken 0 ; aber seine Hauptquelle für die Urgeschichte
') S. Monod S. 81 ff. und über die Vita Aniani ep. Aurelian. die Aus-
gabe von Krusch, SS. rer. Meroving. III, 104—117: sie ist Gregor gegen-
über ohne selbständigen Wert. Dazu jetzt die Vorrede von Arndt.
G. Kurth, Revue des Questions bist. XXIII, S. 385 ff. untersucht seine
Quellen für die Gesch. Chlodwigs, nimmt Ann. Turone^ises an und eine
verlorene Vita Remigi'.. Letzteres bekämpft mit Recht Hans v. Schubert:
Die Unterwerfung der Alamannen unter die Franken (Strassb. 1884) und
macht dagegen aus einer freilich fehlervollen Hs. in Montpellier eine
Vita Vedastis bekannt, welche in Betreff der Bekehrung Chlodwigs
Gregor benutzt haben soll. Diese hat Krusch mit Benutzung einer
besseren Hs. untersucht, Mitteil, des Inst. XIV, 427 — 448, und heraus-
108 I- Vorzeit. § 8. Gregor von Tours.
der Franken, und bald seine einzige, ist doch die lebendige Ueber-
lieferung, und die Darstellung Chlodovechs sowie seiner nächsten
Nachfolger ist darum schon dm-chaus sagenhaft; in diesem Ab-
schnitte hat man sich sehr davor zu hüten, Gregors Zeugnis zu über-
schätzen ').
Chlodovech ist ihm der Streiter der Kirche, ihr Vorkämpfer
gegen die Arianer ; als solchen fafst er ihn vorzugsweise auf, und
deshalb kann er auch (II, 40) von ihm sagen: „Gott aber warf Tag
für Tag seine Feinde vor ihm zu Boden und vermehrte sein Reich,
darum, dafs er rechten Herzens vor ihm wandelte, und that, was
seinen Augen wohlgefällig war."
Unmittelbar vorher hat Gregor erzählt, wie sich Chlodovech
durch Mord und Verrat des ripuarischen Reiches bemächtigte, und
man hat ihm daher jenen Ausspruch sehr zum Vorwurfe gemacht.
Diese Worte fassen aber den Inhalt nicht des einen Kapitels allein,
sondern auch der vorhei'gehenden zusammen . in welchen die Be-
kämpfung der arianischen Westgoten erzählt ist, der Kreuzzug,
welchen die Kirche als Chlodovechs gröfstes Verdienst betrachtete.
Ein feines Gefühl für Recht und Unrecht darf man freilich bei den
Schriftstellern dieser Zeit nicht suchen ; wie bei den Italienern des
15, Jahi'hunderts war durch die täglich sich wiederholenden Greuel-
thaten das Gefühl dafür abgestumpft worden. Mord und Hinterlist
gegeben SS. rer. Meroving. ITI, 399 — 413; er erklärt sie nach genauer
Vergleichung des Sprachgebrauches für ein Werk des Abtes Jonas oder
eines Nachahmers, verfafst nach örtlicher Tradition mit Benutzung Gre-
gors (um 640), ihren Wert verteidigt Hauck I, 119. — Die von Gr. be-
nutzte, später von Hinkmar interpolierte, Yen. Fort, mit Unrecht zu-
geschriebene, sehr magere Vita liemeäii (=: Remigii) , Auctt. antt. VF,
2, 64—67.
') Seine Nachrichten sind in diesem Sinne geprüft von Junghans, Die
Geschichte der fränkischen Könige Childerich und Chlodovech kritisch
untersucht, Göttingen 1857, und in der Bearbeitung von Monod (eine
ganz abweichende Ansicht über die Taufe Chlodovechs . die er nach
Tours in das Jahr -508 verlegen will , entwickelt Krusch in den Mitteil,
des Inst. XIV. 441 — 44S, vgl. dagegen Hauck I, 579 — 588) und von
Ad. Gloel, Zur Geschichte der alten Thüringer, Forsch. IV, 195 — 240;
dagegen L. Hoffmann, Zur Gesch. des alten Thüringerreiches, im Jahres-
ber. d. höh. Bürgerschule zu Rathenow 1(S72, 4. — Die Vita Basini regis,
ed. Guil. C'uper, Acta SS. Jul. 111, 701, des Gründers von Trunchinium
oder Dronghen bei Gent (vgl. Herrn. Müller, Lex Salica, S. 12s. Holtz-
mann, Ueber das Verhältnis der Malb. Glosse, S. 22) ist geschichtlich
ganz unbrauchbar; erst sehr spät ist von ihm, u. als König noch später
die Rede, s. H. W. Lippert, Beiträge zur ältesten Gesch. d. Thüringer,
Zeitschr. d. Vereins f. thür. (resch. Xl, S. 292—802. Xll, 91—96. Gegen
die linksrheinischen Thüringer und für Dispargum = Duisburg Konrad
Plath im Jahrb. der Altertumsfr. im Rheinl. XCV, 121 ff.
Gregors Frankengeschichte. 109
waren so gewöhnliche Werkzeuge geworden , dafs wer sie nicht
selber anwandte, ihnen zum Opfer fiel; es kam daher für die Be-
urteilung nur noch darauf an, ob sich ein lobenswerter Zweck damit
verband, oder ob sie blofs der Selbstsucht und anderen schlechten
Leidenschaften dienten. So erzählt denn auch Gregor zahlreiche
Geschichten derart mit einer Kälte, die uns unheimlich berührt,
ohne irgend etwas von dem Abscheu zu üulsern, welcher den
heutigen Leser dabei ergreift. Eben dadurch aber gewinnt er um
so mehr an Glaubwürdigkeit; ganz in seiner Zeit stehend, gewährt
er uns das treueste Bild derselben, und indem er nur einfach be-
richtet, was geschehen war, verdient er ohne Zweifel vollen Glauben,
soweit seine eigene Kenntnis der Begebenheiten reicht, und soweit
nicht etwa leidenschaftliche Erregung, soweit nicht seine eifrig
kirchliche Denkungsart, sein Hals gegen die Ketzer, sein Urteil
trüben, oder seine übergrofse Leichtgläubigkeit ihn irre fühi't. Sehr
mit Unrecht hat man ihm absichtliche Entstellung schuld geben
wollen; von Flüchtigkeit und Ungenauigkeit dagegen ist er im
ersten Teile seines Werkes nicht frei, und daran wird es auch wohl
in den späteren Abschnitten, wo er unsere einzige Quelle ist, nicht
fehlen.
Die Darstellung Gregors ist einfach und kunstlos ; er selbst
bittet um Entschuldigung deshalb: ,Ich bitte die Leser vorher um
Verzeihung," sagt er, „wenn ich im grofsen oder geringen gegen
die Grammatik fehlen sollte, denn ich bin nicht recht bewandert
in dieser Wissenschaft." Die Schulgelehrsamkeit der Zeit mangelte
ihm . und das ist ein Glück für uns , ebenso wie bei Eugippius.
Gregor selbst sagt darüber nicht ohne Ironie, dafs er sich zu dieser
Arbeit entschlossen habe, weil kein Gelehrter sie auf sich nehme,
und weil er häufig verwundei't habe vernehmen müssen, dafs einen
Schriftsteller von gelehrter Bildung nur wenige verständen , des
schlichten Mannes Rede aber viele')- Einige Stellen seines Werkes,
wo er sich in dieser Schreibart versucht hat, zeigen uns die Gefahr,
vor welcher sein Mangel an Schulbildung uns bewahrt hat. In der
Regel aber ist seine Schreibart diejenige, welche sich damals für
die Legende ausgebildet hatte, und nach und nach allgemein herr-
schend wurde; schlicht und einfach, weil sie allgemein verständ-
') ..IJuia pbilosophantem rhetorem intellegunt pauci. loquentem rusti-
cum multi." Auch bei den Griechen war eine rhetorische Kunstsprache
üblich ; im Anfang des 7. Jahrhunderts drang die vulgärgriechische Um-
gangsprache durch kirchlichen Einfluls in die Litteratur ein. Geizer,
HZ. LXl. 9.
110 I. Vorzeit. § 8. Gregor von Tours.
lieh sein mufste, und erfüllt von biblischen Ausdrücken und An-
spielungen, dem Standpunkte der Verfasser und dem Zweck ihrer
Werke angemessen, da sie ja sämtlich Geistliche sind und auch in der
Darstellung der Geschichte die kirchliche Bedeutung derselben fast
überall vorherrscht; dabei dem verfallenen Zustande der damaligen
ümgangsprache entsprechend, erfüllt von den ärgsten grammatischen
Verstöfsen ; das Gefühl für die Bedeutung der Flexionsendungen
hatte sich fast ganz verloren ').
Die kunstlose, einfache Sprache Gregors, seine behagliche, me-
moirenartige Erzählung, welche Geschichten aller Art, die gröfsten
Staatsbegebenheiten und unbedeutende Vorfälle des gewöhnlichen
Lebens bunt durcheinander mischt, das ist es eben, was seinem
Werke einen so groCsen Reiz verleiht, und es zu einem so treuen
Spiegel seiner Zeit macht, dafs ihm in dieser Hinsicht kein zweites
zu vergleichen ist.
Vorzüglich zeigt uns Gregors Werk auch, wie besonders Loebell
schlagend nachgewiesen hat, die völlige Verschmelzung der fränki-
schen und der romanischen Bevölkerung: von einem feindlichen
Gegensatze beider Elemente ist nichts darin wahrzunehmen , und
die römische Abkunft des Verfassers hat durchaus keinen Einflufs
auf seine Darstellung ausgeübt.
Was er hörte, was er sah, das erzählte er, ohne weiteren Zweck,
als das Andenken der Dinge zu erhalten; er dachte keineswegs ge-
ring von dieser Avifgabe und dem Werte derselben, denn ausdrück-
lich beschwört er am Ende des letzten Buches seine Nachfolger auf
dem Stuhle des heiligen Martin, sie unverkürzt und unversehrt der
Nachwelt aufzubewahren, und nichts daran zu ändern. Und wenn
auch nicht durch ihr Verdienst , so ist uns doch wirklich Gregors
Werk in seiner ursprünglichen Gestalt überliefert worden, und seit
Jahrhunderten hat man diese ungeschminkte Dai'stellung einer fernen
Zeit hoch geschätzt und in Ehren gehalten. Wir können ihm keine
hohe Stelle unter den Geschichtschreibern einräumen , denn ihm
') Ueber seine Bildung und Sprache vgl. Monod S. HO ff. u. Bonnet.
Die neue Ausgabe von W. Arndt läfst mit gröfserer Sicherheit seine
Sprache erkennen, obgleich leider die ältesten Hs. nicht vollständig sind.
Diese zeigen einen hohen Grad von Barbarei , welche sowohl alte Ab-
schreiber als neuere Herausgeber bei Gregor und in den Heiligenleben
fortwährend abgeglättet haben. Es mag noch in Betracht kommen, dal's
der Frankengeschichte die letzte Hand fehlt; doch bleibt es andererseits
auch immer noch zweifelhaft, was gerade die ältesten Abschreiber schon
angerichtet haben mögen. Vgl. gegen W. Meyers Einwendungen Kruscli
im NA. XXVII, 321.
Gregors Frankengeschichte. 111
fehlen die wesentlichsten Eigenschaften, welche dazu gehören, die
Beherrschung des Stoffes, das tiefere Eindringen in den Zusammen-
hang der Dinge; aber um so dankbarer ist es anzuerkennen, dafs
er nicht versucht hat, was ihm nicht gelingen konnte, sondern sich
in Bescheidenheit begnügte, eine reiche Fülle des mannigfaltigen
Stoffes in seinen Werken zusammenzufassen. Von vorzüglichstem
Werte ist darunter für uns seine Geschichte der Franken , doch
enthalten auch seine Wundergeschichten und Heiligenleben viele
für die Charakteristik der Zeit wichtige Züge.
In seinen letzten Jahren, als die blutigen Stürme, die das Fran-
kenreich zerrissen hatten , eine Weile ruhten , als Childebert und
König Gunthram den Frieden aufrecht hielten, hat Gregor seine
Erzählung fortgeführt bis zum Jahre 591; am Ende fügte er noch
eine kurze Geschichte der Bischöfe von Tours ^), und zuletzt einen
Abrifs seines eigenen Lebens hinzu: ein Schlufswort, welches Monod
als Epilog zu allen seinen Wei'ken, nicht zur Geschichte allein be-
trachtet. Dann begann er, wie es scheint, sein Werk noch einmal
zu übei'arbeiten ; die sechs ersten Bücher enthalten Einschiebungen,
welche um diese Zeit geschrieben sind, und diese sechs Bücher sind
denn auch, so scheint es, zuerst allein bekannt geworden; nur sie
finden sich in der ältesten Handschrift, und sie allein wurden später
in einen Auszug gebracht.
Bei weitem nicht mehr in dem Grade wie Isidor, hatte Gregor
in sich aufgenommen, was von der alten Bildung noch übrig war;
doch war si& auch auf ihn nicht ohne Einflufs geblieben ; hoch
überragt er die nun folgende Zeit der tiefsten Barbarei, wo kaum
noch einzelne Funken litterarischen Lebens zu finden sind , wo die
aus der alten Welt herübergenommene Bildung fast vollständig
abstarb , während zugleich politisch die ärgste Verwilderung und
Auflösung eintrat: im 7. Jahrhundert, sagt 0. Abel, nach Brun-
hilde und Fredegunde verliert im merowingischen Königshause auch
das Laster seine Gröfse, in wachsender Jämmerlichkeit schleppt sich
das entartete Geschlecht noch anderthalb Jahrhunderte durch die
Geschichte.
Erwähnt habe ich vorher (S. 107), dafs Gregor auch annalistische
Notizen benutzt habe, welche im Anfang seiner Geschichte sehr
deutlich zu erkennen sind. Mit diesen hat man sich neuerdings
') Die Grabschrift eines sonst unbekannten „Ebracharius heros", der
zur Zeit des etwas späteren Bischofs Chrodobertus 4 Klöster stiftete, bei
De Rossi, Inscriptt. urbis Romae christ. II, 1, 69.
W-2 1. Vorzeit. § 8. Gregor von Tours.
sehr eingehend beschäftigt'). Schon oben S. 63 ist der Annalen
von Arles gedacht worden, welche mit Kon sularf asten verbunden
sind. Holder-Egger hat ihre Benutzung nachgewiesen in einer Welt-
chronik, welche fälschlich den Namen des Severus Sulpicius
trägt'-), und bis 511 reicht; nicht unwichtig für die westgotische
Geschichte von 450 — 500. Er findet aufserdem ihre Spuren bei
Isidor, Marius, Jordanis, und in Verbindung mit den Ravennater
Fasten bei Gregor ^) und in der Fortsetzung des Prosper bis 641.
Gregor hat aufserdem noch Annalen benutzt, welche wahrscheinlich
aus Angers stammen, und burgundische, welche auch Marius
hatte, und deren Verwertung bei beiden ihre Uebereinstimmung
erklärt, wie W. Arndt nachgewiesen, und Monod, welcher früher
Benutzung des Marius bei Gregor angenommen hatte, ihm zu-
gegeben hat.
Der Bischof Marius von Avenches, ein Zeitgenosse Gregors,
ist zu erwähnen als Verfasser einer Fortsetzung des Prosper, oder
vielmehr des Chronicon imperiale (oben S. 92) bis 581. Marius
scheint ein vortrefflicher Mann und exemplarischer Bischof gewesen
zu sein , dazu ein geschickter Goldschmied , welcher kunstreiche
Geräte für seine Kirche selbst verfertigte. Im Jahre 530 oder 531
aus edlem Geschlecht im Sprengel von Autun geboren , wurde er
574 Bischof der alten Römerstadt Avenches , welche sich von der
Zerstörung durch die Alamannen niemals recht erholt hatte, und
deshalb verlegte er den Sitz des Bischofs nach Lausanne, wo er
am 31. Dezember 594 gestorben ist^).
In seiner Schulbildung stand er nicht höher als Gregor. Es
verdient Anerkennung, dafs er in dieser Zeit den Versuch machte,
die Weltchronik fortzusetzen, aber dürftig genug ist der Versuch
ausgefallen. Er besafs ein Exemplar der Ravennater Fasten, mit
aiinalistischen Notizen aus Arles vermehrt, und benutzt, ihnen folgend,
1) W. Arndt, HZ. XXVIII. 0. Holder-Egger in der S. 63 angeführten
Schrift. Reo. von J. J. M. im Litter. Centralbl. 1875, Sp. 1380, von
AV. Arndt, Jen. LZ. 1875, N. 48. Arndts Vorr. S. 22, wo auch noch
annalistische Notizen aus der Auvergne u. aus Poitiers vermutet werden,
üeber Annalen von Tours s. oben S. 107.
2) Florez, Esp. sagr. IV, 430—457; vom Jahre 379 an wieder abge-
druckt bei Holder-Egger; ed. Mommsen, Auctt. antt. IX, 626 — 666.
3) Vgl. Holder-Egger im NA. I, 276—278.
*) W. Arndt, Bischof Marius v. Aventicum. Sein Leben und seine
Chronik. Nebst einem Anhang über die Konsulreihe der Chronik. Leipz.
Habilitationsschrift 1875, nach der einzigen HS., einst in St. Trond, jetzt
Brit. Mus. 16974. Faks. in Arndts Schrifttafeln 16. Ausg. v. Mommsen.
Auctt. antt. XI, 225—239.
Marias Aventicensis. Legenden. 113
die Konsulreihe, zu welcher er die Indiktionen hinzufügt, später die
Jahre p. c. Basilii und die Kegierungsjahre Justins II und Tiberius II,
als einzige brauchbare Chronologie; inmitten der vorübergehenden
und durch innere Kriege erschütterten neuen Reiche ist ihm die
„res publica" das einzig bleibende, und ganz aufserhalb ihres Be-
reiches, scheint er doch die Kaiser als die wahren Herren der
Christenheit zu betrachten. Uebrigens berichtet er vorzüglich die
ihn näher berührenden Vorgänge des burgundischen und des frän-
kischen Reiches, und was er mitteilt, hat für uns grofsen Wert.
Bis 467 lassen sich bei ihm (nach W. Arndt) die Annalen von Ai'les,
bis 526 die Ravennater verfolgen. Vom Jahre 5U0 an schöpft er
aus burgundisch-fränkischen Annalen, vielleicht bis 570 oder 571.
Endlich nimmt Arndt noch „byzantinische, wohl in Mailand ver-
fafste Annalen" an, welche bis 568 nachweisbar wären, und auch
von Marcellin benutzt.
Verbunden mit diesen Annalen ist ein Anhang von 581 — 624,
von Mommsen hinter Isidor herausgegeben (Auctt. antt. XI, 489 — 490),
welcher mit Unrecht von Brosien verdächtigt ^) , von G. Monod in
Schutz genommen ist'), in Uebereinstimmung mit G. Kaufmann^)
und H. Hertzberg ^). Nach letzterem ist der erste Teil desselben aus
Isidor entnommen ; der zweite ist selbständig, erzählt in fliefsender
Darstellung, und geht bald völlig in die fränkische Geschichte über.
Dieser Anhang ist benutzt in der Fortsetzung des Isidor bis 636
im Cod. Urbinas, und diese wieder in der Fortsetzung des Prosper
bis 625. Vollständig aufgenommen ist er in der Fortsetzung des
Isidor von 1017 (MG. SS. XIII, 261).
Im burgundischen Reiche ist angeblich schon in der ersten
Hälfte des 6. Jahrhunderts die Vita sanctorum abbatum Acau-
nensium (von St. Maurice im Wallis) geschrieben, welche zuerst
W. Arndt nach einer Abschrift des Jesuiten P. Fr. Chifflet heraus-
gegeben hat ^) , allein Krusch hat gezeigt , dafs es sich um ein Er-
zeugnis des 9. Jahrhunderts handelt, mehrere Grabschriften sind
angehängt , namentlich eine in rhythmischen Versen des Priesters
') Krit. Untersuchung der Quellen zur Geschichte Dagoberts T (Gott.
1868), S. 5.
2) Revue Critique 1873, N. 42.
^) Forsch. XIII, 418-424.
") Forsch. XV, 317—324. Vgl. das Fase, bei Arndt, Schriftt. 16.
*) Kleine Denkmäler aus der Merowingerzeit , Hann. 1874. Acta SS.
Nov. I, 552 — 554, mit neuen Hilfsmitteln verbesserte Ausg. v. De Smedt,
auch mit der vorher noch fehlenden Chronologica Serien, vgl. Krusch,
HZ. LXIII, 102. A. Jahn, Gesch. der Burgundionen (1874) II, 504—512,
Wattenbach, Gescliichtsquellen. I. 7. Aufl. 8
114 I- Vorzeit. § 9. Fredegar.
Pragmatius auf Probus'). Ein ebenso ungünstiges Urteil fällt Kru seh
über das Leben der Stifter von Condate (St. Claude) im Jura und
zweier anderer Klöster, Romanus, Lupicinus und Eugendus, angeb-
lich von einem Schüler des letzteren verfasst, indem er es aus dem
6. in den Anfang des 9. Jahrhunderts versetzte, doch ist dieser
Annahme von Poupai'din und Duchesne widersprochen worden^).
Dem 6. Jahrhundert gehört das Leben eines Einsiedlers an , des
Hostianus, welcher ein Verwandter des Königs Sigismund war;
geschichtliche Thatsachen sind aber nicht daraus zu entnehmen ^).
Nach Gregor versiegt im Frankenreiche die geschichtliche Auf-
zeichnung der Begebenheiten fast völlig, und nur in Burgund ent-
stehen noch Schriften, welche uns über die folgenden Zeiten dürftige
Kunde gewähren^).
§ 9. Fredegar.
Ausgabe v. Br. Kruscli, MG. SS. Her. Merov. II, 1888, vgl. Br. Krusch, Die Chronicae
fies sog. Fredegar, NA. Yll, 247— aöl. 421—516. Auszug des fünften Buclies in
Giesebrechts Uebersetzung des Gregor. II, 26ö— 281. Die Chronik Fredegars
(Buch 6) und der Frankenkönige übersetzt von Otto Abel, Berlin 1.S49. 1876.
1888 mit d. Forts. (Geschichtschr. 11. VII, 2). Schnürer, Die Verfasser der sog.
Fi-edegarchronik, Collectanea Friburgensia IX, 1900, vgl. NA. XXVI. 266, Sybels
Hist. Zeitschr. LXXXVII, 295—299. Ebert S. 606. Palacky, Ueber d. Chronisten
Fi-edegar und seine Nachrichten von Samo, .Jahrb. des Böhm. Museums I, 387
bis 413. Herm. Brosien, Kritische Untersuchung der Quellen zur Gesch. Dago-
berts I, Gott. 1868. Alfr. Jacobs, Geographie de Fredegaire, de ses Continuateurs
et des Gesta Francorum, Paris 1859. G. Monod, Revue crit. 1873. N. 42. Ders.,
Du lieu d'origine de la chronique dite de P'redegaire, im 3. Bd. d. Jahrb. f.
Schweiz. Gesch. 1878. Ders., Sur un texte de la compilation dite de Fr. relatif
ä l'fetablissement des Burgundions dans Tempire Romain, in: Melanges publies
par TEcole des hautes etudes, 1878 (NA. IV, 418). Abdr. des cod. 10910, von
Monod besorgt, Bibl. de TEcole des hautes etudes, fasc. 63, Paris 1885. Faks. v.
Harl. 5251 im Catal. of anc. Mss. pl. 52; des cod. Ciarom. im Album pal. pl. 13,
wo H. Omont 678 berechnet.
Das einzige Geschichtswerk, welches uns aus dem 7. Jahrhundert
aufbewahrt ist, trägt den Namen des Scholasticus Fredegar;
aber dieser Name findet sich nur bei J. Scaliger im Jahre 1598 und
gibt den ältesten Text der ebenfalls in Agaunum im Anf. des 8. Jahr-
hunderts geschriebenen Passio Sigismundi regis und erweist S. 513 — 518
den Unwert der von Lütolf, Glaubensboten der Schweiz S. 172, mitge-
teilten Passio SS. Victoris et Ursi nebst der Translatio. Die Passio
Sigism., welche einige Umstände aus der Tradition u. die Translations-
gesch. bietet, ed. Kruscli, SS. Meroving. II, 329—340.
^) S. Krusch in Mel. Jul. Havet p. 47—51 u. die Ausg. SS. Meroving.
III, 171 — 183. (ianz wertlos ist das Leben des Abtes Severin v. Agaunum,
eines angeblichen Zeitgenossen Chlodovechs, SS. Meroving. III, 166 — 170.
^) SS. Meroving. III, 125 — 166: Vita patrum lurensium, vgl. Poupardin,
Moyen äge XI (1898), S. 31— 48; Melanges d'archeol. et d'hist. t. XVIII.
■ ^) Analecta Bolland. II, 355—358; vgl. NA. IX. 444.
■•) Völlig unbekannt sind die „regnorum libri diversarum gentium,
quos pretiosissimo dictamine et in luculento sermone insignis historio-
graphus edidit Roter ius", angeführt in der Vita Severi Agath. (Acta
Die Fredegarisclie Chronik. 115
in den Antiquites Gauloises et Fran(;oises von Claude Fauchet 1599,
in den uns erhaltenen Handschriften dagegen nirgends '). Doch ist
es zweckmäfsig ihn beizubehalten, wie ja auch allgemein üblich ist.
Allein durch die scharfsinnigsten Untersuchungen hat Bruno Krusch,
gestützt auf die früher noch nicht bekannt gewordenen Kapitel des
Liber generationum, der ganzen Untersuchung über den rätselhaften
Schulmeister — den Monod für einen Mönch in St. Marcel zu Chalon
an der Saöne hielt — eine neue Wendung gegeben , und unter
seinem kritischen Messer hat das scheinbar einheitliche Werk sich
in ganz verschiedene Bestandteile, in die Arbeiten von drei Ver-
fassern, aufgelöst. Seine Forschungen sind in einigen Funkten von
Schnürer weitergeführt worden.
Zunächst treten uns Annalen entgegen, die in Burgund, im
„pagus Ultrajoranus", vielleicht in Avenches, von wo Marius nach
Lausanne fortgezogen war, bis in den Anfang des 7. Jahrhunderts
fortgeführt wurden, und deutlich zu erkennen sind in der Com-
pilation eines Burgunders, welcher vielleicht auch auf Grund einer
älteren verloren gegangenen Quelle die Geschichte bis auf seine Zeit
fortsetzte^), und um den Zusammenhang der Weltgeschichte zu ge-
winnen, den im Jahre 235 von Hippolyt verfafsten Liber genera-
tionis^) und einen Auszug aus Hieronymus, Isidor und Hydatius
voranstellte*). Auf ihn ist auch (nach Schnürer) das dritte Buch
zurückzuführen, ein Auszug aus den ihm allein bekannt gewordenen
sechs ersten Büchern Gregors von Tours ^). Er ist der Königin
Brunichilde überaus feindlich gesinnt. Seine nach 624 verfafste
Arbeit reicht bis zum 39. Kapitel (nach Schnürer bis zum 42.) des
SS. Aug. 25). Er soll zu Zeiten K. Reccareds, also gegen 600, geschrieben
und über die Verheerung gallischer Städte, bes. Agde, durch Attila be-
richtet haben.
1) Vgl. über den Namen G. Monod, Etudes crit. p. 256; Schnürer
S. 237-259.
^) Dieser ist nach Krusch der im Prolog als quidam sapiens bezeich-
nete, doch ist darunter mit Mommsen (Auctt. antt. TX, 84 n. 3) vielmehr
der liber genealog. als Quelle zu verstehen.
3) Darüber s. Krusch, NA. Vif, 456; vgl. oben 8.60.
•*) G. Kurth, welcher in der Revue des Questions bist. 1890, S. 60 ff.
die Geschichte Chlodwigs nach Fredegar behandelt, weist den Teil der
Chronik von Chilperichs Tod bis 613 dem zweiten Compilator zu, indem
er bestreitet, dafs der erste überhaupt etwas Originales geschrieben habe
(NA. XV, 615).
'") Die auch abgesondert vorkommende sog. Historia epitomata in
93 Kapiteln. Gegen L. v. Rankes Ansicht (Weltgesch.IV, 2, 328-368),
dafs sie nicht als Auszug aus Gregor zu betrachten sei, hat sich Waitz
sehr entschieden erklärt. Praef. Greg. Tur. p. VIII, NA. IX, 650.
WQ 1. Vorzeit. § 9. Fredegar.
vierten Buches des sogenannten Fredegar, und dieser Anfang ge-
winnt also durch diese Entdeckung bedeutend an Gewicht. Der
Fortsetzer aber, von welchem man bisher allgemein annahm, dafs
er vor dem Jahre 660 nicht geschrieben haben könne, nahm, wie
Krusch jetzt ganz überzeugend nachgewiesen hat, im Jahre 642,
bis wohin er seine Arbeit geführt hat, das ältere Werk vor; er
war im Süden der Loire heimisch. Er versah die ersten Bücher mit
Zusätzen, nicht ohne Einmischung von allerlei Fabeln, namentlich
im dritten Buche nach dem wirklichen Hydatius jene über die
Vorzeit der Franken, von welchen Gregor noch frei ist, die uns
aber von nun an allei'orten begegnen, und bald weiter ausgesponnen
wurden: Erzeugnisse einer kindischen Gelehrsamkeit und kecker
Erfindung, echter Sage völlig fremd, die aber nach und nach bei
Halbgelehrten und Ungelehrten Eingang fanden ^).
Dasselbe nun , was die ersten Bearbeiter , für ihre Zeit und
Bildung gut genug, geleistet hatten, vei'suchte um 658 ein dritter,
ein Austrasier , den Krusch vermutungsweise nach Metz setzt; er
ergänzte das Werk durch einen Auszug der Vita Columbani, der
auf nähere Beziehungen zu Luxeuil hinweist, und fügte verschiedene
Ergänzungen über austrasische, westgotische, oströmische Geschichte,
auch über Samo hinzu; von ihm mufs auch der Absatz vom Schluss
des Kapitels 84 — 88 mit entschieden austrasischem Charakter her-
rühren. Seine Zuthaten sind es, welche früher zu der Annahme
führten , das ganze Werk könne nicht vor 660 geschrieben sein.
Eine weitere Fortsetzung aber hat er nicht zu stände gebracht.
Man hat ihn und seine Vorgänger unter den Hofbeamten gesucht,
weil sie namentlich mit den Hausmeiern in engen Beziehungen stan-
den, bestimmte Personen aber lassen sich nicht namhaft machen.
Wie nun später die Sammlung fortgesetzt, vermehrt und um-
gestaltet ist, werden wir noch zu betrachten haben. Unbehilflich,
') Vgl. hierüber Zarncke, üeber die Trojanersage der Franken, in
den Berichten der k. Sachs. Ges. d. Wiss. 1866, S. 2.57 — 285, nebst dessen
Anzeige der Schrift v. Wormstall , Die Herkunft der Franken von Troja,
Münster 1869, im Litt. Centr. 1869, 381, u. G. Waitz zu Jord. Osnabrug.
S. 13. A. Dederich, Der Frankenbund. Hann. 1873. A. Thorbecke, Ueber
Gesta Theoderici (1875), S. 9 — 13. Lüthgen, Die Quellen und der bist.
Wert der fränkischen Trojasage, Diss., Bonn 1875. Die Entstehung der
Fabelei ist jetzt lichtvoll nachgewiesen von Krusch, NA. VII, 473. Weitere
Litteratur: G. Heeger, Ueber die Trojanersage der Franken und Nor-
mannen, Landau 1890. 0. Dijjpe, Die fränk. Trojanersagen, Wandsbeck
1896. Tb. Birt im Rhein. Mus. für Philol. LI (1896), 506-528. Die in
den mit Fortsetzungen versehenen Hss. eingeschobene HistoHa Daretis
Frigii de origine Fruncorum ist nach Fred. S. 194 — 200 von Krusch her-
ausgegeben.
Fredegar und seine Sprache. 117
trocken und dürftig war diese Schriftstellerei, aber es kommt auch
Fredegar gar nicht in den Sinn , grol'se Ansprüche zu machen ; er
empfindet lebhaft den traurigen Zustand der Zeit, und sieht nach
der damals herrschenden Vorstellung das Ende der Welt als nahe
bevorstehend an. „Wir stehen jetzt im Greisenalter der Welt, sagt
er ; darum hat die Schärfe des Geistes nachgelassen , und niemand
vermag es in dieser Zeit den früheren Schriftstellern gleichzu-
kommen." Sich selbst legte er nur einen bäurischen und ganz be-
schränkten Sinn bei ') , und diese rührende Bescheidenheit sollte
wohl den Spott über den ehrlichen Mann entwaffnen , welcher mit
aller Anstrengung geleistet hat , was er vermochte . und der sich
dadurch um die Nachwelt ein unsterbliches Verdienst erworben hat.
Merkwürdig wäre es allerdings , wenn Fredegar wirklich einer
Schule vorgestanden hätte; denn seine und seiner Genossen Kenntnis
des Lateinischen war unglaublich gering, seine Sprache ist über die
Mafsen barbarisch , aber freilich nicht verschieden von derjenigen,
welche wir auch in den Urkunden der Zeit, und in Italien bis ins
11. Jahrhundert finden. Entschieden falsch ist es, wenn man diese
Sprache als die des romanischen Volkes bezeichnet, sie kann nie
gesprochen worden sein. Alle Flexionsendungen sind nämlich darin
vorhanden , sie werden aber nur noch aus Konvenienz gebraucht,
da das Gefühl für ihre Bedeutung sich fast ganz verloren hat ^).
Das Volk wirft in solchem Falle die Endungen ab, und bildet sich
neue; nur wer gelehrt scheinen will, braucht sie noch, ohne aber
ihre Bedeutung recht zu kennen. Treffend vergleicht einmal Kausler
diese Schreibart mit schriftlichen Aufsätzen, die einer aus der nie-
deren Klasse in der Sprache der Gebildeten, welcher er nicht recht
mächtig ist, niedergeschrieben hat. Wir finden sie deshalb nur da,
wo die Volksprache der lateinischen noch nahe genug stand , dafs
man lateinisch schreiben konnte, ohne es schulgemäfs erlernt zu
^) Rusticitas et extremitas sensus mei.
'^j Krusch hat die Eigentümlichkeiten dieser Sprache sorgfältig zu-
sammengestellt, S. 486 — 494. Vgl. besonders auch 0. Haag, Ueber die
Latinität Fredegars in Vollmöllers Roman. Forschungen X (1899), 835
bis 932. Ganz ungrammatisch sind auch die Reliquienverzeichnisse, vgl.
L. Delisle, Authentiques de Reliques de l'Epoque Merov. (Melanges d'arch.
et d'hist. IV, 1 — 8). Welches entsetzliche Latein man noch 754 schrieb,
zeigt die Unterschrift des Gundohin , Bibl. de l'Ecole des Chartes VI,
4, 217. Vgl. auch Sickel, Urkk. der Karolinger I, 137 ff., dem ich aber
darin nicht beistimmen kann, wenn er dieses Kauderwelsch als sermo
plebejus bezeichnet. Eine ähnliche Erscheinung bietet das ausgehende
15. Jahrhundert in dem Diarium Nepesinum, Arch. della See. Rom. di
Storia patria, Vol. VII.
118 I. Vorzeit. § 9. Fredegar. § 10. Gesta Francorum.
haben , besonders in Italien , wo sich ein solches Kauderwelsch bei
den Notai'en am längsten erhielt. Dort zeigt es sich auch deutlich,
dals die Schreiber weit davon entfernt waren, in der Volksprache
schreiben zu wollen , denn mitten in solchen Urkunden kommen
Zeugenaussagen in ausgebildetem Italienisch vor.
Fredegar stand übrigens mit seinem Latein durchaus nicht
allein unter der fränkischen Geistlichkeit des 7. Jahrhunderts; das
zeigt uns das Leben des um 668 verstorbenen Wandregisil, des
Stifters von Fontanelle (St. Wandrille), welches W. Arndt genau
nach der schönen Uncialhandschrift hat abdrucken lassen , die der
etwa ein Menschenalter nach dem Tode desselben anzusetzenden
Abfassung sehr nahe stehen mufs und gewifs mit aller Sorgfalt
geschrieben ist 0- Jordanis und Gregor von Tours scheinen eben-
falls schon auf diesen Weg geführt zu haben.
Wiederum verging nach Fredegar mehr als ein halbes Jahr-
hundert, in dem, aufser einigen Heiligenleben , unter denen jedoch
mehrere nicht gering anzuschlagen sind, das ganze Frankenreich
keine Spur von Geschichtschreibung darbietet. Erst, in den letzten
Zeiten der Merowinger, als in Austrasien schon die ganze littera-
rische Thätigkeit dem aufstrebenden Geschlecht der Hausmeier sich
zugewandt hatte, wurde in Neustrien ein Werk verfafst, welches
.sich Gregor und Fredegar anschliefst, und in seiner Armseligkeit
dem Zustande des absterbenden Reiches vollkommen entspricht.
Es ist daher auch kaum möglich , bei den darin Kapitel 44 an-
geführten scrlptores . wie Krusch S. 217 annimmt, an wii'kliche
Geschichtschreiber zu denken; mit Recht hebt Kurth hervor, dafs
mit dem ganz unbedeutenden Chlodwig II sich nicht mehrere Ge-
schichtschreiber beschäftigt haben werden , dagegen in Saint-Denis,
wo er ihrem Heiligen einen Arm genommen hatte, verschiedentlich
über ihn gesehrieben sein mag.
§ 10. Die T baten der Frankenkönige.
Gesta Francorum, Boiniuet 11, 580. Migne XCVI , 1421 aus Duchesne. Neue Ausg.
unter dem Titel Liher historiae Francorum von L?r. Krusch, SS. Merov. II, 215
bis 328. Vgl. f'auer, De Karolo Martello. Herol. 1841, p. 11—28. Brosien p. 41
bis 44^. Breysig, Karl Martell S. 112. G. Monod, Les Origines de riiistoriographie
ä Pai-is (Mfemoires de la Sociötfe de l'hi.stoire de Paris et de l'Ile de France,
Tome III, p. 219-240). G. Kurth, Etüde crit. sur les Gesta Rerum Francorum,
') Kleine Denkmäler aus der Merowingerzeit, Hann. 1874. Abbildung
bei Silvestre pl. 120. Ueber die Wertlosigkeit der weiteren daran sich
schliel'senden Lebensbeschreibmigen aus der Zeit Karls des Gr. s. Levison
im NA. XXV, .59.8—607; XXVI, 571—572.
Die Gesta Francoruni. 119
Bull, de l'Acatl r. de Belg. .'S si-r. t. XVllI il889), p. 2(;i— 291. Auszugsweise
Uebersetzung des eisten Teils von \V. Giese1»iecht, hinter Gregor von Tours ü,
282-302. Vollständig von 639 an, von Abel, hinter Fredegar, s. oben 8. 114.
Die Anfänge, die Heikunft und die Thaten des Frankenvolkes
und seiner Könige will ich erzählen — so beginnt nicht ohne Kühn-
heit der Verfasser sein Werk, aber genannt hat er sich nicht, und
obgleich er für seine Zeit Aufserordentliches leistete und im ganzen
Mittelalter sein Buch viel gelesen wurde, so hat doch niemand seinen
Namen uns überliefert. Ohne Zweifel war er ein Neustrier. E. Cauer
glaubte, wegen der besonderen Verehrung, mit welcher er des heiligen
Bischofs Audoenus gedenkt, dafs er der Kirche zu Rouen angehört
habe'), und dieser Ansicht hat auch Krusch sich angeschlossen, und
einige Stellen für seinen Aufenthalt in dieser Gegend geltend ge-
macht. Die von G. Monod aufgestellte Vermutung, dafs der Verfasser
ein aus Spanien geflüchteter westgotischer Mönch in Paris gewesen
sei, kann wohl als ausreichend widerlegt betrachtet werden, aber
seine Beziehungen zu Paris sind auch von Kurth wieder schärfer
betont; er hält ihn für einen Mönch von Saint-Denis. Seine Heimat
vermutet er in der Gegend von Laon und Soissons , von wo er
allerlei zu berichten und Oertlichkeiten zu nennen weifs.
Neustrien ist das Land, von dem der Verfasser des liher historiae
berichtet; Austrasien erwähnt er nur gelegentlich, er liebt es nicht,
und von dem Neuen, was sich dort bildet, ist er unberührt; wäh-
rend man in Austrasien wenig mehr von den Merowingern weifs,
sie in den Annalen kaum noch nennt, stehen sie bei ihm überall im
Vordergrunde. Er gehört ganz der alten Zeit an, und bezeichnet
durch seine den Fredegar weit übertreffende Dürftigkeit und Armut
den fortgehenden Verfall, wenn auch sein Latein weniger barbarisch
ist. Dafür aber fehlt ihm auch die gelehrte Belesenheit Fredegars.
Er hat für die alte Zeit , aufser dem Prologus legis Salicae -) , nur
eine Quelle, die ersten sechs Bücher Gregors, und hierauf gestützt
unternahm er es im sechsten Jahre Theuderichs IV d, i. im Jahre
727^), die Geschichte seines Volkes zu schreiben. Mit mageren
Auszügen aus Gregor verbindet er wie Fredegar die halb volks-
tümlichen , halb gelehrten Sagen über die Anfänge der Franken ;
dann fährt er selbständig fort, nicht Jahr für Jahr berichtend, son-
') 1. c. p. 14.
^) Was Kurth, der vielmehr den Prolog für jünger hält, m. E. ohne
Grund bekämpft. Aufserdem hat Monod in c. 38 u. 40 eine Verwandfe-
sehaft mit dem Anhange zu Marius Avent. nachgewiesen.
^) Nicht 725, wie man früher annahm, s. Br. Krusch, NA. X, 94, wo
die Chronologie der letzten Merowinger berichtigt ist, und Levison, NA.
XXVII, 359.
120 I- Vorzeit. § 10. Die Thaten der Frankenkönige.
dem in kurzen Umrissen , wie sie sich allenfalls durch mündliche
üeberlieferung erhalten konnten. Fredegars Chronik war ihm nicht
bekannt, und soweit diese reicht, ist sein Werk kaum zu benutzen ;
dann aber ist es für lange Zeit die einzige zusammenhängende Er-
zählung, welche wir besitzen, und wie er seiner eigenen Zeit näher
kommt, wird seine Darstellung, wenn sie gleich immer dürftig bleibt,
doch zuverlässig. Die besseren Heiligenleben, aus denen einzelne
Abschnitte sich ergänzen lassen, bestätigen seine Angaben.
Wenige Jahre nachher, noch bei Lebzeiten Theuderichs IV, der
737 gestorben ist, hat ein Austrasier eine neue Bearbeitung dieses
Buches (B) unternommen , welches er für ein Werk Gregors von
Tours hielt und dem er daher den Titel gab „Liber sancti Gregorii
Toronis episcopi gesta regum Francorum". Daher der gewöhnliche
Titel, an welchem man als an einem gewohnten und allgemein ver-
ständlichen wohl auch ferner festhalten wird. Der Verfasser ergänzte
einiges aus Gregors Geschichte, auch aus Isidor: schon 736 wurde
dazu eine Fortsetzung geschrieben, welche wir nur in überarbeiteter
Gestalt als erste Fortsetzung des Fredegar kennen.
Damit ist nun die Zahl der merowingischen Historiker erschöpft.
Die Thaten Dagoberts^), eine von einem Mönche zu Saint-Denis
verfafste Kompilation, um das Kloster und seinen Stifter zu ver-
herrlichen, zum Teil auf mündlicher Tradition beruhend, sind von
einigem Wert dui'ch die Benutzung der damals noch vorhandenen
Urkunden , unter welchen schon falsche sich befanden. Hat man
früher sie in das Ende des 9. Jahrhunderts gesetzt^), so weist da-
gegen Krusch (S. 396) nach , dafs sie 835 schon vorhanden waren.
Entschiedener hat Julien Havet ihre Glaubwürdigkeit in Schutz ge-
nommen, natürlich abgesehen von den nur wiedererzählten Fabeln,
vorzüglich in Bezug auf die Thatsache, dafs wirklich Dagobert I.,
wenn auch bei Lebzeiten seines Vaters, das Kloster gestiftet hat,
während Mabillon eine viel frühere Stiftung annahm ^).
^) Gesta Dagoherti, Ausg. Bouquet II, 580. Migne XCVI , 1395 aus
Duchesne. Krusch, SS. Merov. II, 396—425, vgl. Forsch. XXVI, 161 — 191,
ergänzt durch eine scharfsinnige Untersuchung Levisons im NA. XXVII,
333 — 356, der das darin enthaltene Testament Dagoberts zu retten sucht.
Ueber Hss. dieses Werkes s. Luchaire, Bibl. de la fac. des lettr. XIII,
3—5.
2) So Monod , Rev. crit. 1873 , II , S. 258 , welcher die Vermutung
ausspricht, dafs die Flucht der Mönche vor den Normannen nach Reims,
die wahrscheinlich mit dem Verluste von Urkunden verbunden war, nach
ihrer Rückkehr 888 zu dieser trügerischen Arbeit den Anlafs gegeben habe.
') Quest. Merov. V. Les origines de Saint-Denis (Jul. Havet, Oeuvres
I [1896], S. 191— 246). Derselben Zeit schreibt Havet S. 223—225 die
Gesta Dagoberti. Aimoin. Briefe. 121
Der so viel benutzte und oft angeführte Aimoin aber ist gar
erst aus dem Anfange des 11. Jahrhunderts und ohne allen eigenen
Wert. Es war die Rohheit der Form, welche zur neuen Bearbeitung
trieb, wie Aimoin ausdrücklich sagt, und aus demselben Grunde
zog man später diese Bearbeitungen vor. Für geschichtliche Unter-
suchungen aber darf man sich auf Aimoin so wenig wie auf den
noch späteren Rorico berufen').
Aktenstücke, Gesetzbücher und Formeln^) liegen unserer Auf-
gabe fern , aber gedenken müssen wir doch der Briefe, welche
teils einzeln und ihrer besonderen Wichtigkeit wegen, teils, und
vorzüglich, in Sammlungen, die als Muster gebraucht wurden, sich
erhalten haben. Für diesen Zeitraum schliefsen sie sich an die be-
rühmten Namen der Bischöfe Avitus von Vienne, dessen wir oben
(S.98) gedachten, Remigius von Reims, Desiderius vonCahors^). Von
besonderer Wichtigkeit ist die Sammlung der F.pistolde Äustrasicae,
welche, mit einigen Schreiben des Remigius beginnend, in grofser
Zahl amtliche Korrespondenzen der Könige Sigebert und Childe-
bert II (bis 585) enthält, und zwar nach Konzepten, so dafs die
Entstehung notwendig in der königlichen Kanzlei zu suchen ist.
Passio SS. Dionijsii, Rustici et FAeuthern zu, die aber nach seiner Ansicht
in Aquitanien geschrieben ist. Sie ist gedr. Auctt. antt. IV, 2, 101 — 105,
als fälschlich Venantius Fortunatus zugeschrieben.
') Aimoin , von dem noch unter III , § 1 1 die Rede sein wird , war
Mönch von Fleury und widmete sein Werk dem Abt Abbo (f 1004). Er
wollte die Geschichte bis auf Karls des Grotsen Vater Pippin beschreiben,
sein Werk reicht aber nur bis 653. Rorico schrieb in sehr geziertem
Stil und reicht bis 511. Ueber seine Person ist nichts bekannt, nur
weisen einige Umstände nach Amiens ; mit Unrecht hat man aus der
idyllischen Einkleidung geschlossen, dafs er die Schafe gehütet habe.
Vgl. A. Thorbecke über Gesta Theodorici (Heidelb. Progr. 1875) S. 13
bis 18. In der Chronikensammlung von St. Denis, welche man der Ver-
anlassung Sugers zuschreibt, wurde Aimoin mit den Gesta Dagoberti,
Gesta Francorum , den Fortsetzern des Fredegar etc. verbunden . später
die Chronik amtlich fortgeführt und im 13. Jahrhundert alles ins Fran-
zösische übersetzt. Ausgabe bei Bouquet III. Die darin benutzte Forts,
aus Saint-Germain-des-Pres 1125—1167 (= Hist. Lud. VII) teilweise MG.
SS. XXVI, 151. — Den Anfang einer eigentümlichen Ueberarbeitung der
Gesta Francorum. welchen Ekkehard benutzt hat, teilt Waitz aus einer
Bamberger Handschrift mit, Forsch. III, 145 — 147: vgl. 607.
^) Ueber diese genügt es, auf die Abhh. v. Zeumer. NA. VI, 9—115,
XI, 811—358, und die Ausg. MG. Legum Sectio V zu verweisen. Den
Bischof Landerich , welcher Marculfs Sammlung veranlalste . hält Z. für
den Bischof von Meaux um 700 , K. Pfister (Rev. hist. L , 53) für einen
Bischof von Metz um 650, was Z. längst widerlegt hat.
^) Die letzteren gab Arndt heraus, Epp. III, 191 — 214, Verbesserungen
dazu von Krusch, SS. Merov. IV, 553 n. 1 , s. aufserdem Epistolae aevi
Merov. collectae ed. Gundlach, ib. 434 — 468.
122 '• Vorzeit. § 10. Die Thaten der Frankenkönige.
Hier hatte der von Fortunat (L. VII, 1 — 4) besungene Gogo ge-
wirkt, gefeiei't als ein neuer Cicero wegen seiner Beredsamkeit, Vor-
steher der Hofschule und aus weiter Ferne aufgesuchter Lehrer;
zweimal wird er als Konzipient genannt. In der kritisch gereinigten
Ausgabe von Gundlach, der ersten seit F.reher, sind diese Briefe erst
recht benutzbar '), doch bleibt der Text oft schwierig und dunkel.
Sehr eigentümlicher Art ist die Korrespondenz zwischen einem
Bischof Frodebert, vermutlich Chrodebert II von Tours, und Im-
portunus von Paris (um 666)^ welcher jenem u. a. vorwirft, dafs
er des Hausmeiers Grimoald Frau entführt habe. In höchst bar-
barischem Latein verfafst, aber durchgehends gereimt, können
diese Schmähschriften unmöglich als wirkliche Briefe betrachtet
werden , sind aber um so merkwürdiger als ein boshaftes Pasquill
des 7. Jahrhunderts^). Den um 630 geschriebenen Brief eines
Venerandus, Stifters von Altaripa, an den Bischof Constantius von
Albi hat Traube^) aus einer jungen Handschrift herausgegeben.
Von jenen halb verklungenen , halb durch Zuthaten der Schul-
gelehrsamkeit entstellten Stammsagen der Franken finden sich Spuren
auch in dem schon früher (S. 100) erwähnten Prologe des Salischen
Gesetzes, und an diesen erinnert ein seltsames Werk des 7. Jahr-
hunderts, die poetische Weltbeschreibung eines ungenannten
Verfassers, der in ganz ähnlicher Sprache und Weise einige Kapitel
des Isidor in Verse brachte, und nur über die Franken einige selb-
ständige Zusätze anbrachte, in denen sich das stolze Selbstgefühl
jenes Prologs wieder erkennen läfsf). Es sind dreizeilige Strophen
') Gundlach, NA. XIII, 365—387; Epp. III, 110—153.
^) S. Zeumer im NA. VI, 75 u. die Ausg. Formulae p. 220—226.
») Textgesch. der Reg. S. Bened. S. 690—691.
'') Versus de rota mundi, ed. Pertz ; lieber eine fränkische Kosmo-
graphie des 7. .Jahrhunderts, Abb. der Berl. Ak. 1845, S. 253. Wright,
Anecd. p. 101 — 104 aus Clm. 903. Dazu kommen noch die Handschriften
Cod. S. Galli 213 u. Vat. Pal 1357, Arch. XII, 854. Vgl. Huemer, Unter-
suchungen über die ältesten lat. christl. Rhythmen (Wien 1879) S. 63 — 65.
Manitius, Gesch. d. christl. lat. Poesie S. 474. — Ueber eine alte f rank.
Völkertafel, die er um 520 ansetzt, Müllenhoff. Abb. d. Berl. Akad.
1863, S. 520. Für erheblich jüngeren Ursi^rung Ad. Bachmann , Wiener
SB. XCl, 864. In welche Zeit und Verbindung die fabelhafte Kosmo-
graphic des Aethicus gehört, welche bei der Trojanersage eine Rolle
spielt, ist noch dunkel; Krusch bemerkt (vgl. SS. Merov. II, 220), „dafs
darin die Fassung der Gesta Francorum von 736 benutzt und er also
erheblich jünger ist, als man ihn gewöhnlich ansetzt. Auf die erste
Hälfte des 9. Jahrhunderts weist auch seine Verwandtschaft mit der Hist.
Daretis, welche der erste Fortsetzer des Fredegar in den Hieronymus ein-
schob : beide haben die Fabel von Francus u. Vassus, beide gleichen sich
Fonuelu. Briefe und Verse. 123
mit sebr ungenauen Endreimen , rhythmische Langzeilen von fünf-
zehn Silben mit einer Cäsur nach der achten Silbe, eine in jener
Zeit häufige Form. Für den Verfasser dieses Kunstwerkes hält
Dümmler denselben Theodofridus, welcher ein anderes, nicht
minder rohes Gedicht über die sechs Weltalter verfafst hat; beide
sind von demselben Winitharius abgeschrieben ; auch einen dritten,
chronologischen Rhythmus vom Jahre 718 fügt er hinzu. In
Theodofrid aber erkennt er den ersten, bald nach 657 aus Luxeuil
gekommenen Abt von Corbie , welcher um 681 Bischof wurde,
wahi'scheinlich von Amiens ')•
Höchst eigentümlich ist eine andere Dichtung, die vielleicht
ebenfalls noch dem 7. Jahrhundert angehört, nämlich ein Lied,
welches sich auf Chlothars II Sieg über die Sachsen im
Jahre 622 (?) bezog, wovon uns aber leider nur ein kleines Bruch-
stück erhalten ist. Es bestand ebenfalls aus je drei gereimten
Zeilen, die aber iambischen Rhythmus haben und je vier Hebungen
enthalten. Der eigentliche Held des Liedes ist der heilige Faro,
Bischof von Meaux, welcher die Gesandten der Sachsen gegen die
beabsichtigte Ermordung von selten des Königs beschützt hatte,
und ihm zu Ehren wurde nach dem Zeugnis des Biographen des
heiligen Faro , Bischof Hildegars , der zu Karls des Kahlen Zeit
schrieb , dieses Lied allgemein von Männern und Frauen zum
Tanze gesungen , doch hält Krusch dasselbe für eine Fälschung
Hildegars ■).
Ein anderes, noch weit merkwürdigeres Lied glaubte Lenormant
entdeckt zu haben''), ein historisches Volkslied des 6. Jahr-
hunderts zur Feier von Childeberts I Feldzug gegen Sara-
gossa im Jahre 542. Dieses sollte nämlich paraphrasiert sein in
dem Leben des heiligen Droctoveus, ersten Abtes von St. Germain-
des-Pres, einer Stiftung jenes Childebert, und sich daraus zum
im Stil (z. B. gignarus für gnarus)." Das Gegenteil behauptet freilich
K. Plath, Die Königspfalzeu (Berl. Diss. 1892), These '2, I, 10, wonach
Isidor u. die Gesta Franc, aus ihm schöpfen. A. v. Gutschmid (Kl. Sehr.
V, 418—425) setzte ihn vor Fredegar zwischen 630 u. (540.
') Zeitschr. f. D. Altert. XXII, 423. XXIII, 280, Manitius S. 476.
Zustimmend v. Winterfeld, NA. XXV, 390, A. 1.
-) Mab. Acta SS, O. S. B. II, 617. Hildegar war aus dem Kloster
St. Denis. Brosien S. 58 schlägt die Glaubwürdigkeit dieser Vita sehr
gering an. Manitius, S. 474, hält das Lied für Uebersetzung eines frän-
kischen, dagegen Krusch im NA. XX, 240. XXI, 318, der die Annahme
Suchiers von einem Volksepos in Gröbers Zeitschr. f. Roman. Phil. 1894.
S. 175—194 bekämpft.
^) Bibl. de l'Ecole des Chartes I. 1, 321.
124 I- Vorzeit. § 11- Fränkische Heiligenleben.
Teil wieder herstellen lassen. In der That erinnern Ausdrücke
darin, wie torrens pulchritiidinis ^) , an jene alte fränkische Poesie,
und es ist nicht unmöglich , dafs wirklich die Spur eines alten
Liedes darin zu erkennen ist; im übrigen aber ist die Erzählung
von der angeblichen Erwerbung der Stola des heiligen Vincenz auf
jenem Feldzuge ganz den „Thaten der Franken" entnommen, und
deshalb die Herstellung jenes Liedes aus den Worten der Lebens-
beschreibung ein verfehltes Unternehmen.
§ 11. Fränkische Heiligenleben.
C. A. Bernoulli. Die Heiligen der Merowiuger, Tübingen 1900. A. Marignan, Le culte
des saints sous les Merovingiens (Etudes sur la civilisat. frang. 11, Paris 1900).
ilolinier. Les soiirces de l'hist. de Fr. S. 9i — 165.
Aufser den bis jetzt erwähnten Geschichtswerken ist uns aus der
Zeit der Merowinger noch eine bedeutende Menge von geschicht-
lichem Material erhalten in den Legenden der Heiligen, deren Zahl
in diesen Zeiten aufserordentlich grofs ist. Die meisten von ihnen
sind kirchliche Würdenträger und dadurch auch in die weltlichen
Händel verflochten ; ihre Lebensbeschreibungen würden unschätzbar
sein, wenn sie nicht erstlich zu ausschliefslich blofse Lobreden
wären, und namentlich die weltlichen Beziehungen der Heiligen nur
ganz oberflächlich berührten , zweitens auch zum grössten Teile in
späterer Zeit verfafst wären ^). Auch wo vielleicht eine wirklich
gleichzeitige Aufzeichnung vorhanden war, besitzen wir doch häufig
nur eine spätere Ueberarbeitung; noch weit häufiger aber hat man
das Leben des Heiligen erst später nach unsicherer Ueberlieferung
beschrieben, wenige bekannte Züge nach beliebten Mustern zu einer
ausführlichen Geschichte ausgemalt und Wunder angehängt. Na-
türlich wurden dann die Vorstellungen der späteren Zeit auf diese
schon weit entlegene Vergangenheit übertragen, und die unkritische
Benutzung solcher Quellen trägt einen grofsen Teil der Schuld an
den falschen Ansichten, welche bis auf die jüngste Zeit über die
Zeit der Merowinger herrschend waren.
Der 5. Ausgabe dieses Buches war ein alphabetisches Verzeichnis
aller dieser Legenden mit möglichst vollständigem Nachweise der
Litteratur , von Br. Krusch , beigegeben : schon ein Blick darauf
genügt, um zu zeigen, wie fern die grofse Mehrzahl unserem Zwecke
') Vgl, V. Eligii I, 14 (SS. Merov. IV, 680): rex Dagobertus torrens
pulcher et inclytus.
^) Vgl. Brosien, Quellen Dagoberts S. 47 ff.
Fränkische Heiligenleben. 125
liegt, während allerdings für vollständige Durchforschung der Mero-
wingerzeit alle wenigstens geprüft werden müssen. Auch für die
M. 6. kann nur eine, wenn auch sehr weit ausgedehnte, Auswahl
in Betracht kommen, und jede Berührung zeigt, wie viel hier noch
für die Kritik zu thun ist. Br. Krusch hat zuerst die von Venan-
tius Fortunatus herrührenden Legenden herausgegeben und die
ihm fälschlich zugeschriebenen damit verbunden ; SS. Meroving. II
blieb noch Raum für die Heiligen, welche der königlichen Familie
angehören. Von der aufserordentlich grol'sen und mühsamen syste-
matischen Durcharbeitung des übrigen Vorrats, in der er jetzt von
W. Levison unterstützt wird, liegen uns bereits die Ergebnisse teil-
weise in dem III. und dem seiner Vollendung entgegen gehenden
IV. Bande der SS. Merov. vor. deren Fortsetzung dem V. und VI.
vorbehalten bleibt. Diese Ausgaben, durch welche alle älteren Vor-
arbeiten auf diesem Gebiete weit überholt sind, müssen jeder ferneren
Untersuchung zu Grunde gelegt werden.
Die Vifa Vedastis (f 540), die man früher für eine der ge-
schichtlich wichtigeren hielt, ist schon oben S. 107 erwähnt; das
Leben von Chlodwigs Gemahlin Chrothildis^) (f 548), aus den
Gestis Francorum geschöpft, ist kaum vor dem 10. Jahrhundert
geschrieben und geschichtlich unbrauchbar. Von Chlodovald
(Saint Cloud, f um 550). einem Sohne Chlodomirs. den seine Grofs-
mutter vor dem Schicksal seiner gemordeten Brüder bewahrte und
der dann ein frommer Priester wurde, gibt es eine ganz aus Gregor
entnommene Lebensbeschreibung; eine zweite, im 10. Jahrhundert
in St. Cloud verfafste-) ist wertlos. Nicht so inhaltlos, wenn auch
hauptsächlich Wundergeschichten berichtend, ist das von Fortun at
beschriebene Leben des Bischofs Germanus von Paris^) (f 576).
Des Lebens der heiligen Radegunde (f 587) wurde schon oben
S. 102 gedacht. Von der Passio des Bischofs Desiderius von
Vienne (f 606 — 607), der trotz seines unheiligen Wandels und
seiner dadui'ch veranlafsten Absetzung wegen seines gewaltsamen
Endes als Heiliger verehrt wurde, verdanken wir die älteste Fassung
dem westgotischen Könige Sisebut, während eine andere jüngst
bekannt gewordene und spätere Bearbeitungen keinen selbständigen
Quellen wert besitzen''). Durch ziemlich gleichzeitige Entstehung
und noch unverfälschte üeberlieferung ausgezeichnet ist die erst
1) SS. Meroving. II, 341—348.
•-) ib. 849-357.
^) Auctt. antt. IV, 2, 11—27.
") SS. Meroving. III, 620—648.
126 1- Vorzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben,
kürzlich ^Yiedel• aufgefundene älteste Lebensbeschreibung des Bischofs
Gaugerich von Cambrai (f zw. (323 und 626), welche manche
kulturgeschichtlich wichtige Züge und auch geschichtlich brauchbare
Nachrichten bietet*). Arnulf und Gertrud werden weiter unten
noch zu erwähnen sein. Zu den geschichtlich wichtigsten gehört
wegen der darin aufgenommenen Aktenstücke und der hervorragen-
den Bedeutung des Mannes, obgleich es frühestens am, Ende des
8. Jahrhunderts verfafst ist, das Leben des Bischofs Desiderius
von Gabors (seit 630)^).
Von ausgezeichnetem Wert könnten die Lebensbeschreibungen
der Männer sein, welche in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts
zugleich kirchlich und politisch bedeutend hervortreten, vor allem
des heiligen Eligius (St. Eloi, f zw. 659 und 665), zuletzt Bischofs
von Noyon, der, hervorragend als kunstreicher Goldschmied, und
deshalb auch Schutzpatron dieser Künstler^), vorher königlicher
Schatzmeister , sich besonders durch seine Kirchenbauten einen
bleibenden Namen schuf, doch ist auch diese Vita erst karolingischen
Ursprunges. Ein gleichzeitiges Werk des Audoen, welches er dem
Bischof Chrodobert von Tours übersandt hatte, ist zwar darin
von einem Mönche in St. Eloi zu Noyon benutzt, aber dadurch
nur teilweise erhalten und verfälscht. Aebnlich steht es mit dem
in die politischen Händel seiner Zeit tief verstrickten Bischof
Leodegar (St. Leger) von Autun (f 679) , dem Gegner des
Maiordomus Ebroin*). Von einer seinem Nachfolger Hermenar vor
693 gewidmeten gleichzeitigen Vita entdeckte und veröffentlichte
Krusch ein bedeutendes Bruchstück, daneben erscheint ein angeb-
licher Zeitgenosse Ursinus als ein Fälscher aus der zweiten Hälfte
des 8. Jahrhunderts im Interesse der Abtei St. Maixent, welche
ohne sonstige Beziehung zu ihm den Leib Leodegars besals. Diese
beiden Biographien sind dann in einer anonymen Kompilation ver-
1) Analecta Bolland. VII, 388—398; vgl. Krusch, NA. XVI, 225—234.
SS. Meroving. III, 649—658.
2) Labbe, Bibl. nova I, 699 u. App. vgl. Krusch, Forsch. XXII, 466.
SS. Meroväng. IV, 547—602, vorher von R. Poupardin, La vie de St. Didier
ev. de Gabors, Paris 1900, vgl. NA. XXV, 831.
2) D'Achery Spicil. V, 156. Hall. Diss. v. 0. Reich, 1872 (verfehlt).
Uebers. im Auszug Geschichtschr. XI (VII, 2), S. 160—173. Neue Aus-
gabe SS. Meroving. IV, 634—741.
*) Ueber das Bruchstück einer gleichzeitigen Vita, die Fälschungen
des Ursinus, die Kompilation des Anonymus aus beiden, Krusch, NA. XVI.
563—596. Die Vita metrica (nicht von Walahfrid) Poet. Lat. III, 1—37
aus St. Maixent. Uebers. des Anon. Geschichtschr. XI (VII, 2), S. 141
bis 156. Vgl. 0. Läger (Progr.), Nordhausen 1892.
Fränkische Heiligenleben. 127
arbeitet worden, deren Wert darin besteht, dafs sie uns von der
ersteren Vita gröl'sere Teile allein erhalten hat. Eine sehr wert-
volle Ergänzung zum heiligen Leodegar bildet die von einem Zeit-
genossen verfal'ste, sehr glaubwürdige Vita des Bischofs Praeiectus
von Clermont, als deren Verfasser Krusch , der ihren Prolog und
Schluss zum erstenmal herausgegeben hat (NA. XVIII, 629 — 649),
keinen geringeren als Jonas vermutet. Von dem heiligen Audoinus
(Audoenus) oder Dado (St. Ouen) , seit dem 13. Mai 641 Bischof
von Rouen, vorher Referendar am Hofe Dagoberts und Freund des
heiligen Eligius (f 687), besitzen wir drei Biographien, von denen nur
die älteste sehr dürftige, zu Anfang des 8. Jahrhunderts verfalst,
einen eigentlichen Quellenwert beanspruchen kann'). Die zweite,
gegen die Mitte des 9. Jahrhunderts in Rouen verfalst, vermehrt
den Stoff fast nur aus uns bekannten Quellen, noch wertloser ist
die dritte, eine Ueberarbeitung beider.
Zu den nicht gering zu schätzenden Leistungen des 7, Jahr-
hunderts gehört auch noch das Leben der Balthildis, der Ge-
mahlin Chlodwigs II. ^) (t um 680), der Stifterin von Corbie an der
Somme und von Chelles, wo wahrscheinlich diese Schrift zur Feier
ihres Andenkens verfalst ist. Wie elend dagegen das in viel späterer
Zeit im Kloster Stenay geschriebene Leben Dagoberts III.')
(t 716), den aber der Verfasser für den Zweiten hält , ausgefallen
ist, das möge man in dem Vorworte von Krusch nachlesen. Es
hat nur dadurch eine relative Bedeutung, dafs es von Theofrid
von Echternach und von Albrich als Quelle benutzt worden ist.
In Betreff des Lebens der heiligen Odilia (f um 720) ist nur zu
warnen vor den als Reste eines angeblich ältesten Lebens veröffent-
lichten Bruchstücken, welche eine Fälschung Vigniers sind, während
die echte Vita doch auch nicht älter als das Ende des 10. Jahr-
hunderts ist und geringen Wert haf). Von den Lütticher Heiligen
Hubert (f um 727) und Lambert wird weiter unten die Rede sein. Zur
Zeit des ersteren unter Karl Mai'tel fand eine Erhebung der Gebeine
des heiligen Servatius statt , der vim die Mitte des 4. Jahrhundei'ts
') Acta SS. Aug. IV, 805—809, vgl. NA. XII, 603. Verse zu seinem
Lobe von seinem Nachfolger Ansibert NA. XIV, 171 . ed. Vacandard,
St. Ouen mit Facsim. 1901, Krusch im Anhange.
2) SS. Meroving. il, 475—508. Auszug Geschichtschr. XI (VIT, 2),
g IK'? 1KQ
3) ib. S. 509-524. Vgl. B. Simson NA. XV, 557 über das Verhältnis
der V. Dagoberti TII zum Texte der Ann. Mett.
•») Vgl. NA. XVIT, 223. 628. Herausgeg. v. Chr. Pfister, Anal. Bolland.
XIII, 1-32.
128 ^- ^ orzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben.
dem später nach Mastricht verlegten Bistum Tongern vorstand.
Als man dann auch eine Lebensbeschreibung desselben haben wollte,
wurden die Nachrichten, welche Gregor von Tours über den um
100 Jahre jüngeren Bischof Aravatius hat, einfach auf seinen älteren
bis auf den Namen verschollenen Vorgänger übertragen').
Zunächst aber wollen wir uns hier noch einer Betrachtung der-
jenigen Legenden zuwenden , welche eine nähere Beziehung auf
Deutschland haben und die erneute Pflanzung des Christentums auf
deutschem Boden berühren.
Die Franken haben sich damit nicht viel befafst; es kümmerte
sie wenig, da(s so viele ihrer Landsleute noch Heiden waren; im
alten Frankenlande an der Scheide fand noch im 7. Jahrhundert
der Aquitanier Amandus viel Heidentum auszurotten^). Er pre-
digte auch den Slaven (in Kärnten) und den Basken , das Bistum
Mastricht (647 — 649) legte er nach kurzer Zeit wieder nieder und
endete sein vielbewegtes Leben in dem später nach ihm benannten
Kloster zu Elno, das er ebenso wie Blandigny und die Petersabtei
zu Gent gestiftet hatte. Sein Biograph, der Mönch Baudemund,
scheint nicht mehr zu seinen eigentlichen Zeitgenossen gehört zu
haben, doch zeigt er sich wohl unterrichtet und zuverlässig. Sein
Werk wurde in karolingischer Zeit von Milo in Hexameter um-
gedichtet. War doch bei den christlichen Franken selbst nicht viel
mehr als die äulsere Form der Rechtgläubigkeit übrig geblieben;
fromme Männer fanden zu Hause Spielraum genug für ihre Thätig-
keit. Die Mission finden wir daher in diesen -Jahrhunderten fast
ausschliefslich in den Händen Schottischer, d. h. nach dem
Sprachgebrauch des früheren Mittelalters Irländischer Mönche^),
welche damals alle Länder durchzogen. In dieser Insel, welche
allein ihre keltische Bevölkerung ungemischt bewahrt hatte, die
^) Vita Servatii vel potius Aravatii ep. Tungrensis ed. Krusch, SS.
Meroving. III, 87 — 89, vorher Kurth, Deux biographies inedites de St.
Servais, Liege 1881, der eine ältere Quelle als Gregor v. Tours bestritt,
dagegen Anal. BoUand. I, 89 ff. Vgl. auch Kurth, Nouvelles recherches
sur St. Servais, Liege 1884, gegen V. de Smedt, wo irrig die Benutzung
eines älteren Epitaphs angenommen und Fortunatus als Vei-fasser der
ältesten Vita vermutet wird.
^) Ueber ihn und seine Biographen Baudemund (Mabillon Acta SS.
II, 710 — 719, Ausgabe von Krusch bevorstehend) und Milo (ed. Traube,
Poet. Carol. III, 567—600) s. Rettberg I, 5.54. Brosien S. 49. Hauck
I, 311 — 315, an spätere Einschiebsel ist jedoch nach Krusch nicht zu
denken.
3) Vgl. Isidor. Etymol. XIV, 6, 6 ; Beda Hist. Angl. I c. 1 ; II, 4 p. 8.
70 ed. Holder; Ratramn. contra Graecor. oppos. 1. IV c. 3 bei Dachery
Spicil. 11, 119.
Schotlenmönche. 129
allen fremden Welthändeln ferne lag, war das Christentum mit dem
hingehendsten Eifer aufgenommen worden, und hier war bald nicht
nur die strengste, mönchische Frömmigkeit, sondern auch eine
ernstliche wissenschaftliche Thätigkeit zu Hause ; während im ganzen
Abendlande die gelehrte Bildung unterzugehen und zu verschwinden
drohte, fand sie hier sorgsame Pflege^), freilich nur im Dienste der
Kirche. Man schrieb die heiligen Schriften ab, man lernte, um sie
zu verstehen, lateinisch und griechisch, man beobachtete die Sterne,
um die kirchlichen Feste berechnen zu können, man übte die Musik
für den Gottesdienst, baute Kircben und Glockentürme, man
schmückte die Bücher der Kirchen mit kunstreicher Malerei und
ihre Altäre mit köstlichen GefäCsen. Doch auch die profanen Schrift-
steller erschienen hier nicht, wie in Italien, gefährlich; die Echtheit
der Columban zugeschriebenen Gedichte, worin die alten Dichter
viel benutzt und angeführt werden, hat man ohne triftigen Grund
bezweifelt. Vorzugsweise aber äulserte sich die Frömmigkeit dieser
Mönche in weiten Pilgerfahrten, in dem Verlassen der Heimat, um
in entlegener Fremde als Einsiedler zu leben oder Klöster zu gründen,
um unter Christen und Heiden das Evangelium zu predigen^). Das
Frankenreich war erfüllt von ihnen : was gäben wir darum , wenn
sie aufgeschrieben hätten , was sie sahen ; wenn sie uns über ihre
Thätigkeit und ihre Schicksale zuverlässige Berichte hinterlassen
hätten ! Allein das lag ihnen ferne ; sie, die Meister im Schreiben,
^) Eine seltsam sagenhafte Aufzeichnung in einem Leidener Cod. s. XII
läfst die römische Lehrer vor den Hunnen und anderen Barbaren nach
Irland flüchten, mitgeteilt von Luc. Müller, Neue Jahrbücher für Philol.
XCIII, 389.
^) Vgl. Fr. Keller, Bilder u. Schriftzüge in den irischen Manuscripten
der schweizerischen Bibliotheken (Mitteilungen der Antiquarischen Gesell-
schaft in Zürich VII, 3) 1851. Wattenbach, Die Congregation d. Schotten-
klöster in Deutschland , in der Archäologischen Zeitschr. von Otte und
von Quast, Heft 1 und 2. Haureau, Ecoles d'Irlande, Singularites bist.
(1861) p. 1—36. Arbois de Jubainville, Introduction ä l'etude de la litt.
Celtique. Die seltsamen Ansichten Ebrards über die Culdeer in der Zeit-
schrift f. bist. Theol. XXXII u. XXXIII (Die Irische Missionskirche 1873.
Bonifatius, der Zerstörer des Columbanischen Kirchenthums auf dem
Festlande, 1882) kann ich nur erwähnen, um davor zu warnen. Hier ist
Friedrichs Polemik durchaus zutreffend. Auch 0. Reicli bekämpft sie.
Jetzt kann verwiesen werden auf Loofs, Antiquae Britonum Scotorumque
ecclesiae quales fuerint mores etc., Lips. 1882. Vor allem H. Zimmer,
Keltische Kirche in Britannien und Irland, Protestant. Realencyklopädie
3. Aufl. X, 204—243. Keledei, verheiratete Anachoreten, kommen erst
im 8. Jahrhundert auf, nach R. Paulis Anz. von Skene, Celtic Scotland
II, GGA. 1878, S. 1015 ff. VgL Krusch, NA. IX, 141—167 den Streit
über die Osterfeier.
Watt enb ach, Geschichtsquellen. 1. 7. .\ufl. 9
130 '• Vorzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben.
hatten für geschichtliehe Aufzeichnungen keinen rechten Sinn, und
nur wo sie so bedeutend wirkten , dafs dauernde Gründungen ihr
Gedächtnis bewahrten , hat ihr Andenken sich erhalten. Aber in
völlig nebelhaften Umrissen würde ihr Bild uns verschwimmen,
wenn nicht glücklicherweise einer von ihnen , und zwar von allen
der hervorragendste , in Italien einen Biographen gefunden hätte.
Das ist S. C 0 1 u m b a oder Columbanus , der Stifter von Bobio '),
von dem älteren Columba (f 598), dem Stifter von Jona, zu unter-
scheiden.
Nach der Gewohnheit dieser Schottenmönche zog Columban, ge-
bürtig gegen 530 aus Leinster, gegen das Ende des 6. Jahrhunderts")
mit zwölf Gefährten aus von dem Kloster Benchuir oder Bangor;
staunend und tief ergriffen lauschte das Volk im Frankenreiche
ihrer feurigen Beredsamkeit, die entartete Geistlichkeit aber scheute
die strengen Bufsprediger und fürchtete ihren Einflufs auf die Menge.
Die Könige dagegen nahmen sie willig auf, ihr Eifern gegen die
ganz verfallene Kirchenzucht war ihnen willkommen und auf Chil-
deberts Wunsch liefs Columban sich mit seinen Begleitern in dem
Wasgau nieder; zahlreiche Schüler strömten ihnen zu, und bald
entstanden Klöster in der Wildnis, im Jahre 591 zuerst Annegray,
dann vor allem Luxeuil. Es waren dies nicht grofsartige Gebäude,
wie in der späteren Zeit, sondern wie einst Severins Ansiedelungen
1) Vgl. Rettberg II, 35. G. Hertel, Ueber des h. Columba Leben u.
Schriften, bes. über seine Klosterregel, Zeitschr. f. bist. Theol. 1875, III,
396—454. Hauck I, 251—274. 325—326. 583—585. Vita S. Columbani
auct. Jona abb. Bobiensi , Mab. Actt. II, 5. Im Ausz. übers, von Abel,
hinter Fredegar. Daran schliefst sich als zweites Buch die T'. ÄthaJae
abb. Bob. (Mab. II, 123) und Eustasii (S. 116); die Vita Burgundofarae
oder Gesta in coenobio Ebroicen^i (S. 439) und F. Bertulfi abb. Bob.
(S. 160), das ganze Werk des Jonas jetzt bei Krusch, SS. Meroving. IV,
1 — 152: die erste kritische Ausgabe. Ueber die aus der Vita Eustasii
schöi^fenden Biographen des Agilus und der Salaberga s. Büdinger, SB.
der Wiener Akad. XXIII, 372—383. Brosien S. 51. — Versus de Bobuleno
abbate, einen alphabetischen Rhythmus auf Bertulfs Nachfolger in Bobio,
nicht gleichzeitig und ohne viel Inhalt , hat Dümmler herausgegeben,
NA. X, 334 und Krusch, SS. Meroving. IV, 153—156.
2) Im Jahre 590 nach G. Hertel, Anm. zur Gesch. Columbas, Zeitschr.
f. Kirchengesch. III, 145—150. — C. Briefe ed. Gundlach, Epp. III, 154
bis 190 (vgl. SS. Meroving. IV, 20) s. Krusch, NA. X, 84—88; Gundlach
ib. XV, 497—526; 0. Seebass ib. XVII, 243—259 u. Entgegnung v. Gund-
lach S. 425—429. Seebass hält in der Zeitschr. f. Kirchengesch. XIV,
93 ff. gegen Gundlach seine Meinung aufrecht, dafs der Brief Epp. III,
177 nicht von Columba sei. Er beginnt daselbst die Ausgabe seiner
Schriften mit Ausnahme der Briefe, fortgesetzt XV, 366 ff. XVII, 215 ff.
XVIIT, 58 ff., vgl. dazu NA. XXI, 739—746. — E. Dümmler, NA. VI, 190
gab das Ruderlied En silvis caem heraus.
Sankt Columbanus. 131
Haufen unscheinbarer Hütten, in deren Mitte eine kleine Kirche sich
erhob; neben ihr der runde Turm, der die Glocken trug, und im
unteren Geschofs, von der Erde nur auf Leitern zugänglich, eine
Zuflucht in Zeiten der Gefahr darbot.
Aber Columbans Feuereifer schonte auch die Könige nicht;
keine menschliche Rücksicht konnte ihn, eine heftige und leiden-
schaftliche Natur, bestimmen, zu dem sittenlosen Treiben des bur-
gundischen Hofes zu schweigen, und furchtlos trat er den Aus-
schweifungen Theuderichs entgegen. Den Bischöfen war er längst
zuwider ; schon die blofse Anwesenheit dieser Mönche im Lande vex'-
anlafste zu Vergleichungen ihres asketisch strengen Lebens mit dem
lockeren Wandel der merowingischen Prälaten. Die Abweichung
der irischen Kirchengewohnheiten von den gallischen, zumal in der
Osterfeier, und die Unabhängigkeit der Klöster von bischöflicher
Aufsicht, welche nach irischer Weise in Anspruch genommen wurde,
boten eine Waffe dar; man erklärte sie für ketzerisch, und so ver-
trieb denn endlich um 610 Brunichilde, deren Zorn er verachtet
hatte, den Columban samt seinen Genossen. Ueber Nantes sollten
sie nach Irland geschafft werden, aber ein Sturm warf sie wieder
an die Küste zurück; Chlothar II. und Theudebert nahmen sie
ehrfurchtsvoll auf; Columban zog den Rhein aufwärts und wählte
sodann zu seinem Aufenthalte Bregenz in Alamannien , wo unge-
achtet der Frankenherrschaft und der Bestimmungen des Volks-
rechts doch das Heidentum noch stark war.
Zwei Jahre lang blieb er daselbst zur Bekämpfung desselben.
Hierauf aber verliefs er das Frankenland gänzlich und wanderte 612
in das Langobardenreich, wo Theudelinde, die Freundin Gregors
des Grofsen , ihn mit Freuden aufnahm. Hier stiftete Columban
nun das Kloster Bobio zur Vertilgung der Reste arianischer Ketzerei,
und noch jetzt zeigen die zerstreuten Handschriften dieses Klosters
die alten irischen Schriftzüge und Erinnerungen an die Heimat, wie
die VersicuU famüiae Benchuir^). Mit vollem Eifer überliefsen sie
sich hier ihrer Lieblingsneigung zum Schreiben, die unverständlich
0 In dem Antiphonarium monasterii Benchorensis , ed. Muratori,
Anecdota Bibl. Ambros. IV, 121 — 159 (Verbesserungen von A. Peyron,
Ciceronis Orationum Fragmenta, 1824, Anhang S. 224— 226) ; The Anti-
pbonary of Bangor ed. by F. E. Warren , London 1893—1895, 2 Bde.
(Bradshaw Society). Bei Muratori Antt. III , 817 der wichtige Katalog
der Bob. Bibliothek saec. X. Sacramentarium Gallicanum aus Bobio in
Halbuncialschr. saec. VIT, ed. Mabillon, Mus, Ital. I, 2. 273—397. Von
Luxeuil aus ist um 657 Corbie durch die Königin Balthilde gestiftet,
daher Notizen von dort im C'alend. Corbeiense, gedr. NA. X, 91.
132 '• Vorzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben.
gewordenen Ueberbleibsel der gotischen Litteratur und Fragmente
von alten Prachthandschriften der Klassiker benutzten sie, um auf
das reingewaschene Pergament die Werke der rechtgläubigen Kirchen-
väter zu schreiben'). Sie retteten jene Pergamentblätter dadurch
vom Untergang, und es war auch nicht etwa ein fanatischer Hafs
gegen die heidnischen Schriftsteller, welcher sie zur Vertilgung der-
selben antrieb. An Handschriften derselben war damals noch kein
Mangel, und sie selber benutzten dergleichen zur Erlernung der
Sprache; finden wir doch unter den Schulbüchern zu Bobio auch
den Ovid.
Am 23. November im Jahre 615 ist Columban gestorben. Drei
Jahre nach seinem Tode kam Jonas aus Susa in das Kloster Bobio,
von wo er 628 den Abt Bertulf auf einer Reise nach Rom be-
gleitete. Er verliefs aber Bobio, vielleicht um nach Luxeuil zu
gehen, noch vor dem Tode Bertulfs, den er um 639 noch einmal
besuchte. In Gallien beschrieb er zuerst, noch auf Veranlassung
des Abtes Bertulf, das Leben des Columban, welchem er als zweites
Buch etwas später das Leben seiner Schüler Eustasius (f 629)
und Athala (f um 627), die ebenfalls als Missionare bei den
Waraskern und Baiern von Luxeuil ausgingen, folgen liefs; dann
des Bertulf, Abtes von Bobio (f um 640), und der Burgundo-
fara (Fara), welche Columban zur Nonne geweiht hatte, Aebtissin
des nach ihr benannten Klosters Faremoutiers. Die Vita Columbans
ist spätestens 641 verfafst, v/eil sie schon von dem sogenannten
Fredegar benutzt wird. Sie ist den Aebten Waidebert von Luxeuil
(629 — 670) und Bobolenus von Bobio (nach etwa 640) gewidmet.
Im Frankenreiche nahm Jonas drei Jahre hindurch unter Amandus
an der Bekämpfung des Heidentums in der Gegend von Arras
teil und verfafste hier wahrscheinlich das Leben des heiligen Ve-
dastes. Jonas verrät seine italische Herkunft und den Unterricht
der Grammatiker durch seine unerträglich schwülstige, auf das Ab-
sonderliche gerichtete Schreibart, aber er hat uns aufserordentlich
') Möglich, dafs Columban selbst noch die ai-ianischen Schriften sam-
melte , um sie zu widerlegen , wie Krafft , De fontibus Ulfilae Arianismi
p. 18 — 20 annimmt, weil alle gotischen Reste von da stammen. Ob man
sie aber damals noch verstand ? Nicht lange nachher begann man sicher
zu reskribieren. Ebrard in d. Zeitschr. f. bist. Theol. XXXII, 403 gibt
die merkwürdige Inschrift des Cod. Erlang, v. Hieron. de viris ill. (mit
dem üblichen Lesefehler quum statt quoniam), wonach es scheint, als sei
unser Text durch Columban aus einer beschädigten Handschrift auszugs-
weise hergestellt; vgl. 0. v. Gebhardt u. Harnack, Texte u. Untersuch.
XIV, 1 b, p. XXVI II ff.
Jonas von Bobio. Der heilige Gallus. 133
schätzbare Nachrichten aufbewahrt, welche grofsenteils auf Augen-
zeugen zurückgehen. Auf den Wunsch der Königin Balthilde ist
er, der inzwischen Abt geworden war, auch nach Chalon-sur-Saone
gekommen, und hat im November 659 im Kloster Moutiers-Saint-
Jean nach den ihm gemachten Mitteilungen auf Verlangen des Abts
das Leben des nicht vor 544 gestorbenen Gründers des Klosters
Johannes beschrieben'). Der Text reicht bis zur ersten Ueber-
tragung (um 580?).
Einer von jenen ursprünglichen zwölf Gefährten, die mit Co-
lumban von Bangor auszogen, war Gallus, in älterer Form Gallo,
Gallunus, der in Alamannien zurückblieb, als sein Meister über die
Alpen zog, und zuerst die Bekämpfung des Heidentums am Boden-
see fortsetzte , später aber als Einsiedler in das wildeste Gebirge
sich zurückzog, wo er um die Mitte des 7. Jahrhunderts gestorben
ist. Als dann nach seinem Tode das Grab des Heiligen immer
häufiger von irischen Pilgern aufgesucht wurde und immer mehrere
von ihnen, sowie auch von den Alamannen, sich hier niederliefsen,
erwuchs aus dem unscheinbarsten Anfange das Kloster St. Gallen, und
so wie die kleine Zelle des Gottesmannes der Kern und Anfang
dieser reichen Stiftung ist, so schlofs sich in gleicher Weise an die
Lebensbeschreibung des Stifters") die später so bedeutende Litteratur
von St. Gallen. In ihrer ui'sprünglichen Form ist uns diese aber
nicht ganz erhalten ; sie war nach einer alten Aufzeichnung a Scotis
semilatinis corruptkis scripta, und enthielt nach Walahfrids Zeug-
nis häufig die Form Altimanula^). Die neuerdings von E. Egli in
Zürich entdeckten und zum erstenmal herausgegebenen Bruchstücke
scheinen dieser ältesten Form anzugehören, die am Ende des 8. Jahr-
hunderts entstanden war. Der Verfasser der zweiten Biographie
war ein Alamanne, welcher die alte barbarisch geschriebene fast nur
formell überarbeitet hat; sein Name ist uns aber erst dadurch be-
') Vita S. Johannis Reomensis, SS. Meroving. III, 502 — 517. s. Wiener
Mitteil. XIV, 385—427.
-) MG. SS. II, 1 — 21 von Ild. v. Ars nach der von ihm wieder auf-
gefundenen Handsclirift zuerst herausgegeben. Daraus Acta SS. Oct. VII,
869. Vgl. Stalins Wirt. Gesch. II, 167 ; Rettberg II, 40. Uebersetzung v.
Potthast, Geschichtschr. 12 (VIII, 1) 1888, übers, v. Götzinger, St. Gallen
1896. Neue Ausg. v. G. Meyer v. Knonau, in den Mitteil. z. vaterl. Gesch.
(St. Gallen 1870) XII, 1 — 61. Nach einem älteren Irrtum von Arx ist
S. 16 die Feldflasche ascopn mit der Reliquienkapsel verwechselt. Ausg.
V. Krusch, SS. Meroving. IV, 256—280.
=*) S. Weidmann, Gesch. d. Stiftsbibl. S. 485. Gust. Scherer, Ver-
zeichnis der Handschriften S. 172— 175. S. jetzt NA. XXI, 359—371;
SS. Meroving. IV, 251—256.
J34 I- Vorzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben.
kannt geworden^), dafs Fr. Bücheier in dem unglaublich barbarischen
metrischen Prolog das Acrostichon erkannte : Cozherto patri Wetti-
nus verba salutis (Poet. Carol. II, 701). Wetti also ist es, der
824 nach seiner bekannten Vision gestorben ist und dem Abte
Gozbert (816 — 837) sein Werk widmete. Es ist daher noch be-
deutend jünger als man früher annahm. Mancher merkwürdige,
namentlich kulturgeschichtlich bedeutende Zug ist darin aufbewahrt,
aber erst fast zwei Jahrhunderte nach dem Tode ihres Helden ge-
schrieben, darf diese Biographie ebenso wie ihre ältere Grundlage
doch nur mit Vorsicht benutzt werden. Vorzüglich auf die Wunder,
überhaupt aber auf Verherrlichung des Stifters ist das Bestreben
des Verfassers gerichtet; ganz besonders darauf, jede Abhängigkeit
von Constanz, wie sie ursprünglich bestanden hat, abzuleugnen, ja
umgekehrt, den Constanzer Bischof vielmehr als einen Schützling
des heiligen Gallus hinzustellen; im Anfange benutzt er das Leben
Columbans, später nur die Tradition nicht ohne starke chronologische
Verstölse. Seine Sprache zeigt gegen die frühere Zeit einen er-
heblichen Fortschritt, doch ist sie für karolingische Zeit noch
recht roh und fehlerhaft ; hin und wieder fällt rhythmischer Klang
mit Reimen auf
Von Columbans Stiftung Luxeuil ging auch unter dem Abte
Waidebert das Kloster Granval oder Granfelden im Basler Sprengel
aus, und das Leben des ersten aus Trier stammenden Abtes Ger-
manus^), der um die Mitte des 7. Jahrhunderts erschlagen ist,
wurde bald nachher in einer kurzen, aber sehr wertvollen Biographie
von Bobolenus beschrieben. Ebenfalls mit Luxeuil hängt die Stif-
tung des Nonnenklosters Rimelsburg oder Remiremont im Was-
gau zusammen, die auf Romarich und Amatus unter Mitwirkung
des Abtes Eustasius zurückgeht^); es war zuerst ein Doppelkloster.
Luxeuil übte als eines der ersten Klöster Frankreichs überhaupt
einen vorbildlichen und weitreichenden Einfiufs*).
Noch andere Klöster Alamanniens und des Elsasses führten ihren
Ursprung auf irische Mönche zurück'^) und haben es auch nicht an
') Schon Jodocus Metzler vermutete ihn, doch ohne einen Beweis
dafür zu geben ; ebenso Mab. Anal. IV, 640 (ed. 2 p. 20) u. Goldast.
2) Mabillon, Acta SS. II, 511 aus Acta SS. Feb. III, 263.
') Krusch hat die Nachrichten über die Stiftung geprüft, SS. Merov.
IV, 200 ff., und die Wertlosigkeit der von ihm herausgegebenen Vitae
Amati Romarici Adelphii abbat. Habendens. (p. 210—228) aus karoling.
Zeit dargethan.
*) Vgl. Hauck I, 277—286.
*) So stiftete Columbans Schüler, der Ire Deicolus, Lutra (Lure, Lüders.
Saint-Diey), doch stammt seine Vita erst aus dem 10. Jahrhundert.
Schottenmönche in Schwaben und Bayern. 135
Lebensbeschreibungen ihrer Stifter fehlen lassen, die aber erst später
entstanden und völlig unbrauchbar sind. Merkwürdig ist, dals man
in späterer Zeit in diesen Gegenden so gewohnt war, die Begründer
der Klöster aus der merowingischen Zeit als Schotten zu betrachten,
dal's man sie in den Legenden unbedenklich dafür ausgab, wenn
auch gar kein Grund dazu vorhanden war; auch Franken, wie
Arbogast^), Trudpert und Landelin^), erscheinen da als
Schotten, und sogar S. Rupert, der angebliche Apostel der Bayern,
wird ihnen zugesellt.
Freilich sind in Bayern ebenfalls Schotten thätig gewesen, — so
unternahm Columbans Jünger Eustasius dorthin eine Missionsreise —
obwohl hier die namhaftesten Missionare Franken waren. Die
Kirehengründungen aber entstanden nach irischer Weise in der
^) Eine geschichtlich wertlose Biogr. Arbogasts wird seinem Nach-
folger Utho im 11. Jahrhundert zugeschrieben, Acta SS. Jul. V, 177 ff.,
Rettberg II, 63. Hauck III, 325 A. 5. Mit Arbogast, Theodat u. Hildulf
soll Florentius zu Dagoberts Zeit aus Irland gekommen und Bischof
von Strafsburg geworden sein , das Kloster Haslach gegründet haben.
Die Namen sind nichts weniger als irisch , die Legende , deren Wunder
von anderen bekannten kopiert sind, sehr jung und völlig unbrauchbar.
Neue Ausgabe der Vita Florentii bei Ch. Schmidt, Histoire du Chapitre
de Saint-Thomas de Strasbourg (1860), p. 283. Vgl. Rettberg II, 65. —
Ueber das ganz unbrauchbare Leben Trudperts s. Anm. 4 auf S. 136.
^) Ich rechnete hierhin früher auch Fridolin, glaube aber jetzt,
dafs dies ein fränkisch umgemodelter Schottenname ist, da es von
Columban Verse an einen Fedolius gibt, und auch Petrus Damiani
Opp. II, 9 den Fredelinus in Poitiers als Schotten bezeichnet. Die
Legende (Hone, Quellens. I, 1 — 16, alte Uebers. 99 — 111; SS. Meroving.
III, 350—369) aus dem Anfange des 11. Jahrb. aber gewinnt dadurch
wenig, sie soll v. Balther, einem Seckinger Mönch in dem angeblichen
Kloster Helera ad Musellam (Eller), auch einer Stiftung Fridolins zu
Ehren des h. Hilarius, entdeckt und wegen Mangels an Pergament und
Dinte auswendig gelernt, dann in Seckingen aufgeschrieben und mit
einem zweiten Teil aus örtlicher Tradition versehen sein Ich kann darin
nur eine Erfindung sehen, wie sie ähnlich auch sonst zur Einführung er-
dichteter Legenden vorkommen, doch wird man Balthers Namen und die
Widmung an einen Notker (Labeo) gelten lassen können. Vgl. Rettberg
II, 29. Stalin I, 166. Hauck I, 328. — Von den Versuchen, die Legende
ganz oder teilweise zu retten, erwähne ich Lütolf: Die Glaubensboten
der Schweiz vor Gallus (Luc. 1871), S. 267 ff. Die Erwähnung einer
VitaFredelini in Poitiers bei Petrus Dam. Opp. II, 9, worauf hier
Gewicht gelegt wird, ist merkwürdig ; aber was von diesem gesagt wird,
stimmt wenig zu unserer Legende. Seine Existenz und Herkunft sind
allerdings jetzt besser festgestellt. Gegen G. Heer, der einen bist. Kern
retten will (NA. XIV, 627), G. Meyer v. Knonau im Anz. f. Schw. Gesch.
1889, S. 377. Nach AI. Schulte (Jahrb. f. Schweiz. Gesch. XVIII, 134
bis 152) bestand ein Zusammenhang Seckingens mit Poitiers, von wo es
Reliquien empfing. Ueber ein späteres, auf Glarus bezügliches Ein-
schiebsel des 13. Jahrhunderts (in c. 29) handelt Caro in dem Anz. für
Schweiz. Gesch. 1901, S. 444—449.
136 f- Vorzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben.
Form von Klöstern, deren Aebte auch zugleich das bischöfliche Amt
verwalteten. So war es in Salzburg, Regensburg und Freising, und
die Eifersucht zwischen den Bischöfen und den Klöstern von Sankt
Emmeram und St. Peter zieht sich fort bis in die neueste Zeit.
Das Christentum war zwar äufserlich durch die Franken-
könige eingeführt, aber wenig ins Volk eingedrungen und nach
der Lockerung des staatlichen Bandes völlig verfallen, die Herzogs-
familie selbst, heifst es, ungetauft^). Da berief der Herzog Theodo
im Jahre 696 den vornehmen Bischof Rupert von Worms zu sich,
nicht als Heidenbekehrer, sondern um das kirchliche Wesen einzu-
richten^). Er wurde einer der wirksamsten Begründer des nun
fest und bleibend gepflanzten Christentums in Bayern, der Stifter
des Klosters St. Peter in Salzburg, von wo sein Nachfolger Virgil
(743 als Abt, als Bischof 767 bis 784), ein Ire, das Evangelium
auch zu den karantanischen Slaven trug").
Auch ein fränkischer Bischof, Emmeram (eigentlich Haini-
hrammus), angeblich von Poitiers, vielleicht eher ein Wanderbischof,
verliefs, vermutlich im Anfang des 8. Jahrhunderts, seine Heimat,
um auf diesem Felde zu wirken; sein Martyrium in Helfendorf
wegen vermeintlicher Unzucht mit der Herzogstochter wurde der
Ausgangspunkt seiner Verehrung und sein Grab der Grundstein
der Regensburger Kirche ; Corbinian, ebenfalls ein Franke, legte
den Grund zu der Freisinger Kirche.
Unsere Nachrichten über diese Begebenheiten sind aber leider
sehr unzulänglich; für den zuverlässigsten galt der kurze Bericht
über S. Rupert, welcher den Eingang der Schrift über die Bekehrung
der Bayern bildet, ihm schienen alte Aufzeichnungen zu Grunde zu
liegen^). Und diese, nämlich die ursprüngliche Form der Vita,
^) Vgl. S. Riezler. Ueber die Entstehungszeit der Lex Bajuwariorum.
Forsch. XVI, 409—446.
^) Vgl. die Abhandlung von ßlumberger, Ueber die Frage vom Zeit-
alter des heiligen Rupert, im Arch. d. W. Ak. X, 329—368. Clegen die
immer wiederholten Bemühungen, Rupert dem 6. Jahrhundert zuzuweisen,
habe ich mich in den Heidelb. Jahrbb. 1870 S. 24 ausgesprochen; mir
zustimmend Riezler a. a. 0. S. 418; auch Zillner, Streifzüge, in den Mit-
teil, d. Ges. f. Salzb. Landeskunde 1878. Vgl. auch Hauck I, 358—362.
S. B. Sepp , Die Berechnungen des Todesjahres des heiligen Rupert,
München 1896, mit Abdruck der Computationes (Oberbayer. Arch. XLIX,
408—431).
•^) Die Nachricht aus irl. Annalen von einem Fergil oder Feirgil, ge-
nannt der Geometer, der Abt von Aghaboe gewesen war, und im 30. Jahre
seiner Bischofswürde in Deutschland 789 gestorben, ist ungenau. Zimmer,
NA. XYU, 211.
*) MG. SS. XI, 4. .5. Doch konnte ich dem v. Büdinger, Gest. Gesch.
Rupert, Emmeram und Corbinian. 137
glaubte Franz Martin ]^layer in einer Grazer, ursprünglich Salz-
burger, Hs. aus der Mitte des !>. Jahrhunderts gefunden zu haben,
worin freilich von Sprache und Stil des 8. Jahrhunderts nicht viel
zu spüren ist'). Hiergegen aber hat sich J. Friedrich erhoben^)
und aus alten Salzburger liturgischen Büchern nachzuweisen ge-
sucht, dafs man noch lange im 9. Jahrhundert kein Leben Ruperts
besafs und dafs man den 24. September als seinen Todestag feierte^).
Nur durch ein Mifsverständnis hielt man später den Sonntag, an
welchem er gestorben, für den Auferstehungstag. Die Grazer Vita
erklärt Friedrich für die aus der Conversio entnommenen Lektionen,
beiden aber spricht er allen historischen Wert ab, allein mit Un-
recht, denn es ist von Sepp und Hauck hinlänglich dargethan
worden , dals die Gesta S. Hrodberti in der That die Quelle der
Conversio sind , deren Aenderungen keinen Glauben verdienen,
während jene, vor 800 verfafst, in der Hauptsache als zuverlässig
gelten könne.
Die Legenden von Emmeram^) und Corbinian^), dessen Tod in
I, 101 geltend gemachten Grunde für die Abfassung des ersten Teils
unter Virgil nicht beistimmen. Auch hat Blumberger, Ueber die Frage,
ob der heilige Rupert das Apostelamt in Bayern bis an sein Lebensende
geführt habe, im Arch. d. Wiener Akad. XVI, 225 — 238, mich nicht von
Ruperts Rückkehr nach Worms überzeugt, da es mir unglaublich ist,
dafs die Translation der Gebeine vergessen oder unerwähnt geblieben sein
könnte. Andere Gründe dagegen bei AI. Huber , Das Grab des heiligen
Rupert, Arch. d. W. A. XL, 275 — 321. — Unbrauchbar ist die nach der
Elevation von 816 geschriebene Passio Trudperts, den man wohl
nur wegen der Aehnlichkeit des Namens zu einem Bruder Ruperts machte,
bei Mone, Quellens. I, 19. SS. Meroving. IV, 352-363. Vgl. Stalin I,
167. Rettberg II, 48. Hauck I, 829. Facs. aus den Actis bei Herrgott,
Geneal. I, p. XVIII.
') Die Vita S. Hrodberti in älterer Gestalt. Arch. d. W. Ak. LXIII,
595 — 608. Zweite Ausg. von B. Sepp im Progr. des Regensb. Lyceums
1890/91. Hauck II, 417 für Veranlassung dieser Vita durch Virgil im
Anschlufs an Büdinger.
2) Münch. SB. 1883, S. 509-547.
^) So auch in dem aus Regensburg stammenden Veroneser Sacra-
mentar (Saltisburgo). Delisle, Sacram. p. 194.
■*) Acta SS. Sept. VI, 474. Neue Ausg. von B. Sepp, Anal. BoUand.
VIII, 211—240 und Sep.-Ausg. 1890; von Krusch, SS. Meroving. IV, 452
bis 524, woselbst der ursprüngliche Text in seiner Rohheit und die glät-
tende Ueberarbeitung gegeben wird. Vgl. Rettberg II, 189. Hauck 1, 363.
Nach Hugo Graf Walderdorff, Regensburg (4. Aufl.). S. 297, ist die ur-
sprüngliche Form in einem Kalend. saec. VIIL Kinhram. Vgl. Riezler,
Forsch. XVIII, 528, über den Ort seines Todes.
5) Meichelbeck, Hist. Fris. I, 2 p. 3. Acta SS. Sept. III, 281. Vgl.
Rettberg II, 213; Hauck I, 366, und über beide M. Büdinger, Zur Kritik
altbaier. Geschichte , Wiener SB. XXIII. Darin wird auch die früher
herrschende Ansicht von der Anwesenheit des Eustasius und Agilus in
138 I- Vorzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben.
das Jahr 725 gesetzt wird, sind zuerst vom Bischof Aribo von
Freising') (764 — 783), letztere auf Ansuchen des Bischofs Virgil
von Salzburg, nach der mündlichen Ueberlieferung verfafst und von
zweifelhaftem Werte. Ein anstöfsiger umstand darin ist die Reise
der beiden Missionare nach Rom; denn erst die Angelsachsen hielten
es für notwendig, sich von dort die Vollmacht zur Missionsthätig-
keit zu holen, während vorher den Franken wie den Iren ein solcher
Gedanke ganz fern lag, ja selbst Bonifaz noch zu seiner ersten
Mission unter den Friesen eine solche Vollmacht nicht eingeholt
hat. Später aber galt diese Erlaubnis für so unerläfslich, dafs die
Legendenschreiber sie auch für die ältere Zeit ganz unbedenklich
als selbstverständlich annahmen. Sie erzählen daher eine solche
Reise als Thatsache, und nennen den Papst, der nach ihrer Be-
rechnung der Zeitverhältnisse damals regiert hatte. Die neueren
Gelehrten haben dann wieder umgekehrt nach dem Namen des
Papstes die Zeit des Heiligen bestimmt und dadurch die Verwirrung
vollständig gemacht ; ein Fehler, von dem auch Rettberg nicht frei
ist. Dafs die Sache sich aber wirklich so verhielt, zeigt sich deutlich
an den Legenden, die in ihrer älteren noch erhaltenen Form nichts
von einer solchen Reise nach Rom wissen , während sie in den
späteren Bearbeitungen eingeschoben ist. Das ist der Fall bei dem
heiligen Patricius, bei S. Rupert ; auch Gregor von Tours läl'st sein
späterer Biograph nach Rom reisen.
Denselben Umstand finden wir auch im Leben des heiligen
Kilian^), des ersten bekannten Missionars unter den Ostfranken.
Bayern bekämpft, welche mit Recht G. Waitz, Gott. Nachr. 1869 S. 136 ;
Friedrich, Münch. SB. 1874, I, 358; Riezler, Forsch. XVI, 417; Hauck I,
356, wieder in Schutz nehmen. Büd. , Oest. Gesch. 1 , 85. 94, und über
Aribo S. 141. Vgl. M. Fastlinger, Das Todesjahr des heiligen Korbinian
in Deutingers Beitr. zur Gesch. des Erzbistums München u. Freising VII
(1901) 1—16. Aelteste Fonn der V. Corbiniani im Cod. Mus. Brit. 11880
(auch in einer Karlsruher Hs.) , her. von Riezler, Abh. d. Münch. Akad.
III. Cl. XVIII, 1 (1888). Die Bearbeitung ist nach ihm wahrscheinlich
von H rotrohe, einem Mönche von Tegernsee, dem eine V. Corb. zuge-
schrieben wird, saec. IX. X. Vgl. auch Dr. David Schönherr, Ueber die
Lage der angeblich verschütteten Römerstadt Maja, Innsbr. 1873. Corpus
Inscr. Lat. III, 707. V, 543.
') Er nennt sich auch Cyrinus nach der Deutung des Namens Cyrus
als haeres bei Hieronymus de nominibus Hebraeorum.
2) Canis. III, 1. 180. Mab. II, 991. Acta SS. Jul. II, 612. Emmerich,
Der heilige Kilian, Regionarbischof u. Mäi-tyrer, Würzb. 1896, gibt S. 3
bis 25 den Text beider Passionen und will die ältere in die Mitte des
8. Jahrhunderts setzen. Vgl. Stalin I, 167. Rettberg II, 303. Hauck I,
370 — 371. Das älteste Zeugnis für Kilians Martyrium ist im Necrolog.
Wirzib. s. IX bei Eckhardt, Comm. de or. Francia I, 831. Dümmler,
Aribo von Freising. Sankt Kilian. 139
Auch er war gegen das Ende des 7. Jahrhunderts mit zwei Beglei-
tern aus Irland gekommen und um seines Glaubens willen getötet
worden, seine Wirksamkeit ist bezeugt durch die hohe Verehrung
seines Namens ; wie an S. Gallus' Grabe, so scheinen sich auch in
Würzburg seine Landsleute zahlreich eingefunden zu haben, und noch
jetzt finden wir ihre Spuren in den irischen Schriftzügen der dortigen
Handschriften. Die beiden Passionen , eine kürzere und eine aus-
führlichere, sind erst im 9. Jahrhundert verfal'st und von geringem
Werte, wenn man sie auch früher irrig erst in das 10. Jahrhundert
setzen wollte.
Diese irischen und fränkischen Missionare bereiteten den Boden
vor für die Angelsachsen, mit deren Auftreten ihr Stern erlischt.
Ihre Pflanzungen waren zu vereinzelt, um sich erhalten zu können,
es fehlte ihnen die feste Organisation, durch welche jene so stark
waren, und die vereinzelten Mönche konnten sich vor Entartung
und Verwilderung nicht freihalten. Ihre Eigentümlichkeiten in
Lehre und Gebräuchen brachten sie bald in Streit mit den Angel-
sachsen , und es ist ferner nicht mehr die Rede von ihnen. Nur
als Pilger erscheinen sie noch, viel geschätzt wegen ihrer strengen
Entsagung , wegen ihrer Fertigkeit im Schreiben , und häufig auch
noch wegen ihrer Gelehrsamkeit, zumal ihrer Kenntnis der griechi-
schen Sprache ; aber als Missionare finden wir sie nur zur Zeit der
Merowinger genannt.
Geschichtliche Nachrichten aus dieser Zeit haben sie selbst uns
durchaus nicht überliefert ; man sollte meinen, dafs ihnen der Sinn
für historische Aufzeichnung der Begebenheiten gänzlich fehlte. In
der Heimat aber verfafsten sie doch Jahrbücher, deren Anfänge
sehr alten Zeiten zugeschrieben werden, und sie mögen wohl nicht
ganz ohne Einflufs auf die Entstehung der jetzt im Frankenreiche
aufkommenden Klosterannalen gewesen sein, da wir an der Spitze
derselben hin und wieder irische Namen finden, doch ist eine irgend
erhebliche Beteiligung von Schottenmönchen an den weiteren Auf-
zeichnungen nicht nachweisbar. Andere Annalen gehen auf Lindis-
farne zurück , eine britische Stiftung in England ; aber diese sind
Forsch. VI, 116. 118. Piper, Karls d. Gr. Kalend. S. 26. Ueber die in
Kilians Grab gefundene Bibel in Uncialschrift Eckhardt, Franc. Or. I, 451 ;
Schepss, Die ältesten Evangelienhss. der Üniv.-Bibl. (1887), S. 6. Facsim.
bei Zangemeister u. Wattenbach, Exempla tab. LVIII und bei Emmerich.
Irische Handschriften in Würzburg: Archiv VII, 106; Catalogue of
Manuscripts in the British Museum, New Series I, 1843 fol. Tab. 1, 3;
Zeufs, Grammatica Celtica, p. XX.
140 '• Vorzeit. § 11. Fränkische Heiligenleben.
nicht unmittelbar, sondern über Canterbury ins Frankenreich ge-
kommen, wie denn überhaupt diese Annalen von den Angelsachsen,
nicht von den Iren ihren Anfang nehmen.
Die Schotten stehen in der genauesten Beziehung zu der alten
fränkischen Kirche , und gehören mit dieser wesentlich der mero-
wingischen Periode an ; sie haben manche Keime gelegt und an-
regend gewirkt, aber eine neue frische Entwickelung war im mero-
wingischen Reiche und auf dem alten Boden nicht mehr möglich ;
schon in den letzten Zeiten der Merowinger knüpft sich alles wirklich
lebensfähige an das neue Geschlecht der Arnulfinger, und wir be-
ginnen deshalb mit seinem Auftreten einen neuen Zeitraum.
IL Die Karolinger.
Vom Anfang' des 8. bis zum Anfang des 10. Jahrhunderts.
§ 1. Neue Anfänge der Geschichtseh reibung.
Fredegars Fortsetzer.
Ausgaben mit Fredegars Chronik. Uebersetzung von 0. Abel ebend. und von 7;i5
an bei Kinhards Aunalen; vereinigt und nach der neuen Ausg. von Krusch be-
richtigt 1888. — Cauer, De Carolo Martello, Berl. 1846. Breysig, De continuato
Fredegarii scholastici chronico, Berl. 1849. Oelsner, De Pippino rege, Vratisl.
1853, p. 24—34. De Chronico Fredegarii continuato. Breysig, Karl Martell S. 112.
Hahn, Einige Bemerkungen über Fredegar, Arch. XI, 805—840. G. Monod, Eevue
erit. 1873, I, 153. Br. Krusch, NA. VIII, .495— 515. Bonnell, Die Anfänge des
karoling. Hauses, Berl. 1866. G. Monod, Etudes crit. sur les sources de l'hist.
Carolingienne, Paris 1898.
Das Haus der Karolinger bewies von Anfang an seine Berechti-
gung zur Herrschaft dadurch, dafs es allein im stände war, das
Reich herzustellen , dem weit vorgeschi'ittenen Verfall Einhalt zu
thun und auf neuen Grundlagen ein neues Zeitalter zu begründen.
Auch das Wiedererwachen der Geschichtschreibung knüpft sich an
sein Auftreten : mit dem Jahre 687, mit dem entscheidenden Siege
Pippins, beginnen die Annalen von St. Amand.
Fredegars Chronik war in Burgund, das Buch von den Thaten
der Franken in Neustrien geschrieben, in Austrasien fanden beide
ihre letzte Bearbeitung und Fortsetzung. Viel ist über die Be-
schaffenheit dieser, über die Arbeit der verschiedenen dabei thätigen
Personen geschrieben worden ; ich halte mich jetzt an die auch von
Monod geteilten Ergebnisse von Br. Krusch, welcher genauer, als
zuvor geschehen war, namentlich auch in Bezug auf die Sprache, die
Prüfung dnrchgeführt hat.
Als unter Pippin das Frankenreich in seiner neuen Gestaltung
glänzend befestigt war, unternahm es sein Oheim Childebrand,
auch für das dauernde Andenken dieser merkwürdigen Begeben-
142 II- I^iß Karolinger. § 1. Neue Anfänge.
heiten zu sorgen. Er liefs ein Exemplar der alten Chronik des
Fredegar sorgfältig abschreiben, aber er oder der von ihm Beauf-
tragte begnügte sich nicht mit einfacher Abschrift: er liefs den
Liber generationis weg, und setzte an dessen Stelle den Hilarianus
de cursu temporum ein, welchen er in seiner Vorlage an anderem
Orte fand, und erweiterte die Stammsage im Hieronymus durch ein
Excerpt aus Dares Phrygius. An den Fredegar knüpfte er einen
Auszug von cap. 43 bis 52 der Gesta Francorum nebst ihrer 736
geschriebenen Fortsetzung ; recht mangelhaft gearbeitet und voll
chronologischer Verwirrung , aber bereichert mit Zusätzen , welche
das Haus der Arnulfinger hervoi*heben , während er manches weg-
liefs, was das Haus der Merowinger betraf, das ihn nicht mehr
kümmei'te ; anfangs dürftig , dann von erheblichem Werte. Das
ist die sogenannte erste Fortsetzung (cd,p. 1 — 17) bis zur Mitte von
cap. 109, an welche bis cap. 117 einschlielsl. die zweite (cap. 18 — 33)
sich reiht, innerhalb welcher stilistische Gründe einen Wechsel des
Schreibers (nach cap. 109) annehmen lassen. So weit, bis 752, war
unter Childebrands Leitung das Werk geführt, da übernahm dessen
Sohn Nibelung') die weitere Fortsetzung (cap. 34 — 54), welche
uns in noch schlechterem Latein einen schon ausführlicheren, nach
Jahren genau geordneten und wohl teilweise gleichzeitig aufgezeich-
neten Bericht über die königliche Herrschaft Pippins darbietet.
Als vereinzelte sehr schätzbare Notiz reiht sich an diese Fort-
setzer des Fredegar eine Aufzeichnung aus Saint Denis über die
Königsweihe Pippins vind seiner Söhne (754) durch Papst Stephan IL^),
welche sich am Schlufs einer Handschrift von Werken Gregors von
Tours befindet, von anderer Hand mit blasserer Dinte geschrieben
und offenbar aus einer älteren Handschrift herübergenommen, und
Clausula de Fippino genannt wird^).
^) Cap. 117 (34): ^Usque nunc inluster vir Childebrandus comes,
avunculus praedicto rege Pippino , hanc historiam vel gesta Francorum
diligentissime scribere procuravit. Abhinc ab inlustre viro Nibelungo,
filium ipsius Childebrando itemque comite, succedat auctoritas. "
") Auf dessen Reise „Roma salvanda" starb m. Dec. ind. VII (758)
der primicerius notariorum Ambrosius in Saint-Maurice ; er wurde nach
6 Jahren in St. Peter bestattet mit einem rühmenden rhythmischen Epi-
taph. Rossi, L'inscription du tombeau d'Hadr. I., Mel. d'Archeol. et d'hist.
VIII, 495.
ä) Mab. Dipl. p. 384. SS. Meroving. 1 , 465 mit Schriftprobe. MG.
SS. XV, 1 (vgl. p. 574 a) als De unctione Fippmi regis nota. Diese Nach-
richt wurde später mit der fabelhaften Ilevelatio facta S. Stephano jMjJue
verbunden, mit welcher sie von Regino abgeschrieben, und bei Sur. V,
p. 658 (740 ed. II) zuerst gedruckt ist. Hierdurch habe ich mich früher
verleiten lassen, die Chiusula als unglaubwürdig zu bezeichnen. Vgl.
Fredegars Fortsetzer. Ann. Mettenses. 143
So wie das ganze Reich von den Merowingern an die Karolinger
überging, so wurde auch die einzige Chronik der Franken zu einer
Familienchronik des karolingischen Hauses. Sie gewinnt dadurch
gewissermafsen einen offiziellen Charakter und damit eine gewisse
Glaubwürdigkeit ; andererseits leidet sie aber auch an den Mängeln
solcher amtlicher Aufzeichnungen. Je näher die Verfasser den Ka-
rolingern standen , je besser sie unterrichtet waren , um so mehr
hüteten sie sich auch , etwas aufzunehmen , was den Machthabern
unangenehm war. Es genügt, in dieser Beziehung den einen Umstand
hervorzuheben, dafs die bedeutenden und gefährlichen Unruhen,
welche Grifo, Karl M arteis Sohn von der Swanhilde, nach des Vaters
Tode erregte, und welche dem Verfasser doch unmöglich unbekannt
geblieben sein konnten , hier mit gänzlichem Stillschweigen über-
gangen werden. Ebensowenig ist andererseits von der ganzen Wirk-
samkeit des Bonifatius und überhaupt von den kirchlichen An-
gelegenheiten die Rede. Eine vollständige und unparteiische Ueber-
sicht der Begebenheiten darf man daher bei diesen Fortsetzern des
Fredegar nicht suchen ')•
Ebensowenig unparteiisch , zur Verherrlichung der Arnulfinger
geschrieben und namentlich in den ältesten Teilen irreführend,
übrigens aber aus guten Quellen fliefsend, ist die Geschichte von
687 — 692, welche den Anfang der Ännales Mettenses bildet^), wo
bis 768 eine Kompilation aus Fredegar u. a. Annalen sich anschliefst.
Früher gering geschätzt, ist sie von L. Ranke, trotz der sagenhaften
Oelsner, K. Pippin S. 155. Das Schreiben Stephans IL, welches B. Simson,
Forsch. XIX. 180, als die Quelle betrachtet, ist in der neuen Ausg. von
Jaffes Reg. Pont. n. 2316 von P. Ewald mit Recht als unecht bezeichnet.
Ebenso in der Ausg. jenes, von Hilduin seinen Acta Dionysii angehängten
Stückes von Waitz , SS. XV, 2. — Benutzt ist die Clausula in einem
(unechten?) Breve Clemens 11. für Romainmötier, NA. XI, 590.
^) Zu vergleichen ist für diese Zeit noch der Libellus de Majorihu^
domiis, Bouq. II, 699 aus Du Chesne SS. II, 1, der nicht vor dem 9. Jahr-
himdert geschrieben ist, wie B. Simson bemerkt, nahe verwandt dem
Chron. Adonis, vielleicht ein Auszug. Ferner das von Wilthem excei'pierte
Fragmentum historicum ex libro aureo Epternacensi über die Jahre 714 u.
715, aus unbekannter Quelle, herausgegeben von Reiffenberg im Bulletin
de l'Academie de Bruxelles (1843) X, 2. 264, u. Monuments de Namur etc.
VII, 209; jetzt MG. SS. XXIII, 59. Rätselhaft ist Aex Dionij^ius, welchen
Gobelinus Person als Chronisten von Prosper bis Einhard (455 — 741) an-
führt, vgl. Hagemann, üeber die Quellen des G. P. (Diss. Hai. 1874) S. 32.
Cosmidromius ed. Jansen p. XLV. Er ist aber nicht zusammenzubringen
mit der Erwähnung der Cyclen des Dionysius Exiguus bei Regino z. J.
741 , wo er nur von der Incongruenz der verschiedenen Berechnungen
spricht; allerdings scheint er in seinem Exemplar eine annalistische Be-
merkung zu 741 gehabt zu haben.
2) MG. SS. I, 316—321.
144 II. Die Karolinger. § 1. Fredegars Fortsetzer.
Färbung der ältesten Pai'tien, nachdrücklich in Schutz genommen und
ihr Wert ins Licht gestellt^). Es kommt hinzu, dafs das Fragmentum
de Pij}jnno duce"^), welches Bonnell für ein schlechtes Excerpt aus
den Mettenser Annalen erklärt hatte, in dem Cod. Arundel. 375
saec. XI des Brit. Museum aufgefunden ist^) und, da es nun als
Quelle anerkannt ist, ein höheres Alter dieser Darstellung verbürgt.
Die Würdigung dieser Quelle ist dadurch zum Teil eine andere
geworden , dafs Hampe in einer Handschrift der Kathedrale von
Durham des 11. Jahrhunderts eine bis 830 reichende Kompilation
auffand, in welcher wir die unmittelbare Quelle der sogenannten
Ann. Mett. zu erkennen haben. Obgleich die Handschrift fehlerhaft
ist, bietet sie doch manche sachliche Verbesserungen und läfst
namentlich die in ihr benutzten Quellen deutlicher erkennen, ihre
Entstehung aber wird man gleichfalls nach St. Arnulf in Metz ver-
legen müssen'*).
Natürlich ist es, dafs man bei fortschreitender litterarischer
Bildung bald sowohl an der rohen Form des Fredegar und seiner
Fortsetzer, als auch an dem dürftigen Inhalte dieser Aufzeichnungen
Anstofs nahm. Zu Karls d. Gr. Zeit entstand eine Kompilation, in
welcher die Chronik des Beda verbunden ist mit Zusätzen aus
Hieronymus, Orosius, Fredegar und seinen Fortsetzern, den Gestis
Francorum und Jahrbüchern, die mit den Lorscher grofse Aehnlich-
keit haben, bis 741. Wir werden auf dieses, sowie auf andere ähn-
liche Arbeiten zurückzukommen haben.
Mit dem kriegerischen Ruhme vereinigte das karolingische Haus,
wie es zu einer hervorragenden Stellung damals fast unerläfslich
war, auch den kirchlichen. Klosterstiftungen und klösterlich frommer
Lebenswandel schmücken ihren Stammbaum mit Heiligen, wie Ger-
trud und Begga, und auch dem Ahnherrn, Bischof Arnulf von
Metz, wurde mit gutem Recht die dankbare Verehrung der Nach-
kommen zu teil. Sein Leben ist auch von einem Zeitgenossen be-
schrieben worden, und was hier über ihn berichtet wird, ist wert-
voll, aber dem Verfasser^), einem der Mönche, welche den heiligen
1) Weltgesch. Y, 2, S. 294 ff.
2) Freher, Corpus SS. Franc, p. 168 — 170; am Sclilufs unvollständig,
ä) Arch. VIII, 759, vgl. Simson, NA. XXV, 177.
'') S. B. V. Simson, Die wieder aufgefundene Vorlage der Ann. Mett.
und Nachtrag dazu, NA. XXIV, 399-424; XXV, 177—183.
^) Ueber die 4 angeblich von ihm verfafsten Vitae s. die Diss. von
Dony in den von G. Kurth 1888 herausgeg. Dissert. aeademiques. Krusch
hat nachgewiesen (s. oben S. 134 A. 2) , dafs der viel jüngere Verf. des
Lebens der Stifter von Remiremont vielmehr die V. Amulfi benutzt hat.
Heiligenleben. Die Angelsachsen. 145
Romarich nach Metz begleiteten, als er den weltmüden Bischof 629
nach seiner Einsiedelei in Remiremont abholte, hatte begreiflicher-
weise wesentlich den Zweck und Gesichtspunkt, seine kirchlichen
Tugenden zu preisen')-
Als Werk eines Zeitgenossen und Augenzeugen schätzbar ist
auch das Leben der heiligen Gertrud, Pippins I. Tochter, der
Stifterin des Klosters Nivelle, wo sie am 17. März 659 starb. Ganz
ohne Grund von Bonneil verdächtigt, ist ihre Lebensbeschreibung
von Friedrich in ihrem Wert erkannt und von Krusch nach einer
Handschrift des 8. Jahrhunderts herausgegeben-).
Einige gute Nachrichten enthält auch das noch zu König Pippins
Lebzeiten geschriebene Leben des Stifters des Klosters Laubach
oder Lobbes, Ermino (f 737) vom Abt Anso^). Die schon für
diese Zeit nicht unwichtige Lütticher Litteratur werden wir später
noch zu berühren Anlafs haben.
Ganz unverändert werden uns aufser diesen sehr wenige Legenden
erhalten sein ; dafür ist ihre Form zu glatt, zu abweichend von den
authentischen Denkmälern. Zum Vorlesen bestimmt und gebraucht,
mufsten sie der zunehmenden Bildung angepafst werden, und leicht
verbanden sich damit Zusätze und Aenderungen, welche auch den
Inhalt berührten.
§ 2. Die Angelsachsen.
Die zahlreichen Missionen der irischen Mönche vermochten doch
nichts dauerndes zu schaffen, und auch in der Heimat konnte diese
alte vereinzelte Kirche sich der römisch-englischen Uebermacht nicht
erweh^-en. Sie unterlag überall, aber nicht etwa der äufseren Ueber-
macht allein ; in jeder Weise wurden die Angelsachsen ihrer alten
Lehrer Meister. In den grofsen Weltchroniken des Mittelalters
finden wir kaum eine Erwähnung von Irland ; die Reiche der Angel-
sachsen aber treten auffallend in den Vordergrund für lange Zeit.
Das ist der Einflufs des Beda (geb. 673, f 735 oder 742?), dessen
') Neue Ausg. v. Krusch, SS. Merov. II, 426—446. Die Hs. schrieb
Karl Martels 9jähriger Sohn Hieronymus ab; vo-1. Poet. Car. I, 89 n. L
Uebers. Geschichtschr. XI (VII, 2), S. 131— 140, nach Fredegar. Der
angebliche Name des Verf. der wertlosen 2. Vita Umno ist ein Lese-
fehler: „Exhortatione plurimorum commonitus Umno Dei gratia prae-
ventus' statt immo.
^) Vitn S. Geretrudi!< , SS. Meroving. II, 447 — 474 mit den noch im
8. Jahrhundert hinzugefügten Wundern.
2) Mab. III, 1, 564.
Wattenbach, Greschichtsquellen. I. 7. Aufl. 10
146 II' Karolinger. § 2. Angelsachsen.
Schriften diese Angaben entnommen wurden^). Einen Mann wie
diesen Beda hat die gesamte irische Kirche nicht hervorgebracht;
er war der Lehrer des ganzen Mittelalters-). Durch mathematisches
Wissen haben gerade die Schottenmönche sich augezeichnet, auf
ihren Unterricht mag ein bedeutender Teil der Gelehrsamkeit Bedas
sich, wenn auch nur mittelbar, zurückführen lassen, ihm aber war
es vorbehalten, durch die Gediegenheit und Fafslichkeit seiner Lehr-
bücher für Jahrhunderte in jedem Kloster die Anleitung zu den
nötigen astronomischen Kenntnissen zu geben ; wo man es ver-
schmähte, tiefer einzudringen, benutzte man wenigstens seine Oster-
tafeln als unentbehrliches Hilfsmittel der kirchlichen Zeitrechnung,
in welcher durch ihn die für leicht übersichtliche Chronologie so
förderliche dionysische Aera üblich wurde. Sein Martyrologium ist
die Grundlage aller späteren Umarbeitangen ; seine kleine Chronik
von den sechs Weltaltern (bis 726), welche seinem Buche De tem-
poribus (c. 66 — 71) einverleibt ist, war überall bekannt, und die
Kirchengeschichte Englands (bis 731) wurde um so eifriger gelesen,
als man hierin den Ursprung der eigenen Kirche erkannte, sowie
sie andererseits das Bewufstsein dieser Verbindung wach erhielt.
Hatten die irischen Missionare nicht durch Frömmigkeit allein,
sondern auch durch mancherlei Kenntnisse und Gelehrsamkeit die
Bewunderung der Franken erregt, so überragten doch nun die
Angelsachsen noch in weit höherem Mafse alles , was man bis da-
hin gekannt hatte.
Ein älterer Zeitgenosse des Beda, ein Northumbrier aus dem
^) Von den durch Mommsen im 13. Bande der Auctt. antt. heraus-
gegebenen britischen Geschichtschreibern Gildas und Nennius sehen wir
hier ab, weil sie Deutschland völlig fremd sind.
^) Ueber die Schreibart Baeda (die eben damals veraltende) s. H.
Zimmer, NA. XVI, 599—601. Vgl. über ihn Ebert S. 634—650. Karl
Werner, Beda der Ehrwürdige u. seine Zeit, Wien 1875. Cantor, Gesch. d.
Mathem. I, 707 — 712. Scholl u. Seebafs in Herzogs Realencyclopädie. —
Opera ed. Giles, London 1843 ff. 12 Bände. Bd. 1 — 4 die historischen
Schriften. Chron. VI, 270 als c. 66. 67, von De temporum ratione. Opera
historica ed. Stevenson, 1841, 2 Bände; cura R. Hussey, Ox. 1846. Mon.
bist. Brit. (1848) p. 83—102 (Sexta aetas), p. 103—289 (Bist. eccl.). Migne
XC— XCV. Eist. eccl. ed. Holder 1882. Hist. eccl. Hist. abb. Wirem.
ad Ecgbertum cum hist. abb. auct. anonymo ed. Ch. Plummer, Oxford
1896, 2 Bde. (nach den 4 ältesten Hss.). Auszüge, Geschichtschr. VII, 1
bei Isidor, von Coste. Bedae Chronica minora et maiora nebst Anhängen
ed. Mommsen, Auctt. antt. XIII, 223—334. G. Wetzel, Die Chroniken
des Beda (über seine Quellen und die Art ihrer Benutzung), Diss. Hai.
1878. Büdinger in den Denkschr. der phil. hist. Cl. der Wiener Akad.
XLVI, II, 1 — 9. Ueber die Continuatio Bedae von 781 — 766, H. Hahn,
Forsch. XX, 553—569. Die Annales chronographi vetusti, SS. XIII, 716,
schreibt Krusch ihm zu, NA. XI, 633.
Vita Gregorii I. Angelsächsische Mission. 147
Kloster Streoneshalch (Wbitby), an Bildung und Wissen ihm weit
nachstehend, hat seiner Verehrung für den Begründer des Christen-
tums in England, Papst Gregor den Grofsen, ein Denkmal ge-
stiftet, indem er, so gut er es vermochte, eine Lebensbeschreibung
desselben verfafste, mit nicht unwichtigen Nachrichten über die
Bekehrung seiner Heimat Wundergeschichten und den Preis der
Werke Gregors verbindend. Dieses merkwürdige Werkchen ist erst
durch P. Ewald in einer alten Sanktgaller Handschrift entdeckt,
der wesentliche Inhalt mitgeteilt, und mit grofsem Scharfsinne nach-
gewiesen, dafs dieses die von Beda, Paulus und Johannes Diaconus
benutzte angelsächsische Legende istO-
Schon vor Beda hatte auch die angelsächsische Mission begonnen,
welche sich hauptsächlich den stammverwandten Sachsen und Friesen
zuwandte. Ein charakteristischer Unterschied dieser Mission von
der irischen liegt in ihrem Verhältnis zum römischen Stuhl : seitdem
S. Augustin, von Gregor dem Grofsen gesendet, die englische Kirche
begründet hatte, war diese in der engsten Verbindung mit Rom
geblieben, und von da aus geleitet, wurde die Kirchen Verfassung fest
und sicher organisiert. Dadurch gewann diese Mission einen ganz
anderen Boden , und war nicht der Vereinzelung und der daraus
folgenden Verwilderung ausgesetzt, welche den Erfolg der Schotten-
predigt auf einzelne Klosterstiftungen beschränkte.
An zuverlässigen Lebensbeschreibungen der älteren unter diesen
Glaubensboten fehlt es freilich auch, und ihre Wirksamkeit würde
uns in nicht minder zweifelhaftem Dämmerlichte erscheinen, als die
der Schottenmönche, wenn nicht die englische Kirche, von der sie
ausgingen, in helleren Umrissen vor uns stände, und vor allem
Beda uns so manche sichere Nachricht aufbewahrt hätte.
Augustin, der erste Erzbischof von Canterbuiy, starb um das
Jahr 604. Schon sein Schüler Livin soll in Friesland gepredigt haben,
seine Lebensbeschreibung aber ist ein späteres betrügliches Mach-
werk. Da sie fälschlich dem Bonifatius zugeschrieben wird, findet
sie sich in der Sammlung seiner Schriften^).
Auch Wilfrid, Erzbischof von York, der im Jahre 709 ge-
^) P. Ewald, Die älteste Biographie Gregors L Eist. Aufsätze dem
Andenken an G. Waitz gewidmet (1886), S. 17 — 54.
-) Vgl. Rettberg II, 509. Die Unecbtheit der ihm zugeschriebenen
Verse an den Genter Abt Florbertus mit dem Epitaphium S. Bavonis,
mit Anklängen an Boethius (die an sich nicht gegen die Echtheit sprechen
würden) , hat Holder-Egger nachgewiesen , Waitz-Aufsätze S. 623 — 665.
NA. XVI, 623. E. Norden (Ant. Kunstprosa S. 667 A. 2) hat sie arglos
benutzt.
148 II- Karolinger. § 2. Angelsachsen.
sterben ist, hat unter den Friesen gepredigt, als er auf einer Reise
nach Rom 678 an ihrer Küste landete, um den Nachstellungen des
Hausmeiers Ebroin zu entgehen 0- Besonderes Verdienst um die
Mission erwarb sich aber Ecgberct, der Abt des Klosters Hy, in
welchem er die bis dahin dort herrschende ix'ische Weise durch die
siegreiche römisch-englische verdrängte. Er entsandte 686|87 noch
von Irland aus , bevor er es verlassen hatte , zum Friesenfürsten
Radbod den Wictberct^), und nach dessen Heimkehr im Jahi*e
690 Willibrord mit elf Gefährten. Dieser, zu Ripon erzogen, 695
in Rom unter dem Namen Clemens zum Erzbischof geweiht, be-
gründete 698 das Kloster Echternach, aber nicht allein als Stätte
eines stillen beschaulichen Lebens, sondern als Ausgangspunkt für
seine Thätigkeit, und mit Karl Martels Hilfe gelang ihm sodann
auch die Stiftung des Bistums Utrecht, wo er im Jahre 739 als
erster Bischof verstorben ist. Sein Leben ist erst lange nach seinem
Tode von Ale vi n aus fast ausschliefslich erbaulichem Gesichtspunkte
beschrieben und dem Abte Beornrad von Echternach, einem Ver-
wandten Will ibrords, gewidmet worden^); die ältere Lebensbeschrei-
bung, welcher er gewifs wesentlich folgte, von einem Schottenmönche
^) Rettberg II, 511. Dafs jedoch Wilfrid nicht wider Willen an diese
Küste verschlagen wurde , bezeugt sein Schüler und Biograph A e d d e,
genannt Stephanus, bei Mab. IV, 1, 671. Wenn aber Alberdingk
Thijm, H. Willibrordus S. 84 (deutsch S. 57) auch in der Missionspredigt
unter den Friesen einen tief angelegten Plan sieht, so findet das in den
Quellen keine Bestätigung. Dagegen auch Moll, Kerkgeschiedenis van
Nederland I, 87.
2) Rettberg IT, 513.
*) Alcvini Vita S. WiUibrordi ed. Wattenbach , nach Jaffes Vorarbeit
den älteren , früher nicht benutzten Handschriften folgend , Bibl. VI, 32
bis 79. Das metr. 2. Buch auch bei Dümmler, Poet. Carol. I, 207—220,
wo eine AVürzburger Hs. Theol. f. 34 unbenutzt geblieben ist. Die Wid-
mung auch Epp. IV, 174. Ebert II, 25 behauptet, dafs das hexametr.
Gedicht über Willibrord schon früher verfafst war, jedoch mit Unrecht,
s. Traube, Karoling. Dichtungen S. 17. Die eigenhändige Aufzeichnung
Willibrords vom J. 728 über seine Weihe (ib. p. 46) ist im Pariser cod.
Lat. 10887 (Suppl. 1680). NA. II, 293. Facs. einer Schriftseite des Mar-
tyrol. Acta SS. Apr. II, Propyl. Tab. II, vgl. Delisle, Gab. d. Mss. pl. XIX.
Auch das Evangeliar, Paris 9889 (Suppl. lat. 693) soll von ihm mitge-
bracht sein , Waagen, Kunstwerke in Paris S. 241 , Facs. Hist. de l'Im-
primerie (Livre d'or des metiers) p. 12 u. bei Delisle. Alberdingk Thijm,
H. Willibrordus , Apostel der Nederlanden, Amsterd. und Brüssel 1861
(Deutsch mit Zusätzen von Dr. Trofs in Hamm , Münster 1863) sucht
einen Gegensatz zwischen Willibrord als Vorkämpfer der auf Errichtung
einer unabhängigen deutschen Kirche gerichteten Politik der Päpste, und
den egoistischen fränkischen Missionsbestrebungen nachzuweisen im An-
schlufs an Gfrörer, wofür ich in den Quellen keine Begründung finden
kann. Vgl. Moll I, 95—118. Hauck I, 417—431, vgl. 290.
Angelsächsische Mission. 149
nisHco sWo verfafst, ist leider verloren, aber sie wurde noch be-
nutzt von Tbiofrid, Abte von Echternach (1083 — 1110), dessen
Werk deshalb nicht ohne Wert ist').
Gleichzeitig mit ihm predigte auch Suitbert, der Stifter von
Kaiserswerth, von Wilfrid 692j93 zum Bischof geweiht, f März 713,
von dem jedoch nur wenig bekannt ist. Als das merkwürdigste
Andenken, welches er uns hinterlassen hat, sehr bezeichnend für die
höhere und feinere Bildung, welche diese Angelsachsen in der Heimat
pflegten und von da ins Frankenreich verpflanzten, galt bisher die
schöne Handschrift des Livius, welche er mitgebracht haben sollte,
und die jetzt zu den kostbarsten Schätzen der Wiener Hofbibliothek
gehört. Doch wird die Inschrift jetzt richtiger anders gelesen, die
Bedeutung der Handschrift aber ist nicht geringer, wenn sie aus
der Utrechter Schule stammt^). Suitberts Biographie dagegen, an-
geblich von Liudgers Genossen Marchelm oder Marcellinus verfafst,
ist ein grober Beti'Ug späterer Zeit^). In diese Zeit gehört auch
noch das Leben eines angelsächsischen Einsiedlers Philipp, der zur
Zeit des Königs Pippin eine Zelle im Nahegau gründete, geschrieben
etwa um 850 von einem Mönche eines benachbarten Klosters. Der
Inhalt ist sehr dürftig^).
Unter den Sachsen predigten der weifse und der schwarze Ewald,
deren Lebensbeschreibung aus Beda entnommen, aber völlig sagen-
haft ist^). Später folgte ihnen Liafwin, jedoch erst um 770,
nachdem vielleicht schon mancher Glaubensbote vergeblich, und
ohne das Andenken seines Namens zu hinterlassen, versucht hatte,
das starre Heidentum der alten Sachsen zu überwinden. Das Leben
Liafwins, von Hucbald von St. Amand, ist nicht ganz ohne Wert,
aber doch erst in viel späterer Zeit, im 10. Jahrhundert verfafsf').
') MG. SS. XXIII, 23—30, Auszüge aus dem prächtigen, dem Erzb.
Bruno von Trier (1102 — 1124) gewidmeten Codex, jetzt in Gotha (diese
Stelle S. 11). Die metr. Bearbeitung ist von R. Decker im Progr. d. k.
Gymn. zu Trier 1880/1, u. mit Benutzung d. Goth. Hs. von K. Rofsberg,
L. 83 herausgegeben.
^) Mommsen et Studemund, Analecta Liviana (1873) p. 4 et tab. IV.
Gitlbauer de cod. Liv. Vindobonensi, Vind. 1876.
3) S. Rettberg II, 396; Hauck I, 421; II, 367. Bouterwek, Swidbert
der Apostel des Bergischen Landes, Elberf. 1859.
*) Acta SS. Mail I, 423 — 426. üeber einen abweichenden alten Druck
s. Falk, NA. XXIII, 557 ff.
5) Rettberg II, 397. Ueber den Ort des Todes Dr. Trofs bei Alber-
dingk Thijm, S. 217 — 223. Lohoff, Krit. Untersuchungen der Geschichte
der beiden Ewalde unter bes. Berücksichtigung d. Aplenbecker Tradition
(Beiträge z. Gesch. Dortmunds I, 1875). Hauck II, 368.
«) Rettberg II, 405. Hauck II, 348—349; vgl. unten § 17, III, § 11.
150 11- Karolinger. § 2. Angelsachsen.
In Franken finden wir Burchard, den Bonifaz zum ersten
Bischof von Würzburg weihte, woselbst Kilian mit seinen Genossen
den Boden bereitet hatte. Auch seine Lebensbeschreibung aber ist
erst im 9. Jahrhundert von einem Würzburger Kleriker verfafst
und völlig wertlos ; die wenigen Thatsachen, welche darin berichtet
werden, sind teils entstellt, teils mit oder ohne Absicht erfunden').
Die erste wirklich gleichzeitige Lebensbeschreibung besitzen wir
von Wynfrith, dem Stifter der neuen fränkischen Kirche, der
alle die einzelnen Pflanzungen seiner Vorgänger zusammenfalste in
eine mächtige Organisation, und ihnen dadurch die Kraft zum
dauernden Bestehen gab, der zugleich die alte verfallene fränkische
Landeskirche im engsten Anschlul's an Rom emporrichtete, und so
im Vereine mit den karolingischen Herrschern das gewaltige Ge-
bäude aufführte, in dem die neu hervorspriefsende geistige Bildung
für viele Jahrhunderte eine gesicherte Stätte finden sollte, mitten
unter allen Stürmen und Drangsalen der kampferfüllten Zeiten.
Allein die Schilderung seines Lebens und seiner Wirksamkeit liegt
unserer Aufgabe fern; wir müssen uns hier begnügen, auf die aus-
führlichen Darstellungen Rettbergs I, 331 S. und Haucks zu ver-
weisen, wo auch genauere Nachweisungen über seine Biographen
zu finden sind^).
Sein kirchlicher Name war Bonifatius, ohne Zweifel von ho-
num fatum abzuleiten , aber nach einer richtigen Bemerkung von
Loofs scheinen die Zeitgenossen den Namen vielmehr von hormm
fari hergeleitet zu haben ^). Er besafs eine für jene Zeit hervor-
1) Rettberg II, 314. _ Ausg. Mab. III, 1. 700. Acta SS. Oct. VI, .573.
MG. SS. XV, 43 — 50 mit Auszügen aus der jüngeren Vita, von Hokler-
Egger. Hauck I, 473.
'^) Dazu kommen nun u. a. die Jahrbücher des fränk. Reiches unter
Pippin von Hahn u. Oelsner, Vgl. C. Will, Regesten d. Mainz. Erzbb. I.
Ebert S. 650— 659. Hauck I, 432—578. Die schöne Charakteristik bei
Moll I, 141 berührt wohlthuend, gegenüber den zur Mode gewordenen
unwürdigen und unhistorischen AngriflPen auf ihn. — Opera ed. Giles,
Lond. 1844, 2 Bde. Külb, Sämtl. Schriften übers, u. erl. 1859, 2 Bde.
Nürnberger, Zur handschr. Ueberlieferung d. Werke, NA. VIII, 299—325.
Aus der litt. Hinterlassenschaft des h. Bon. u. des h. Burchard. 24. Ber.
d. Philomathie in Neisse, 1888. Beitr. zu d. Schriften des h. Bon. Rom.
Quartalschr. V, 28 ff. Die Glossen zur Ep. Jacobi im Cod. Fuld. ed.
E. Ranke 1868 (vgl. dess. Specimen Cod. Fuld. zum Berlin. Jubil. 1860,
Facs. der Glossen) sind von irischer Hand, s. Traube in den Münch. SB.
phil. bist. Cl. 1900 S. 492 Dagegen ist die fuldische Hs. der Evang. von
seinem Genossen Vidrung (Wintrung) geschrieben. Gegen die Echtheit
der Sermones Scherer, Denkmäler (1864) S. 144. H. Hahn, Forsch.
XXIV, 583—625; für dieselbe Nürnberger. NA. XIV, 109—134, dagegen
Hauck I, 462 ff. Steinmeyer, 3. Ausg. II, 328, f. d. Unechtheit.
=") C. Will, Hist. pol. Bl. LXXVIIl, Heft 4. Regesten S. V. W. Schmitz,
Bonifatius (WjTifritli). 151
ragende Bildung, und wir besitzen noch von ihm eine Grammatik
und Metrik'), und nicht ohne Geschick und Gewandtheit verfafste
Gedichte mit der Vorliebe für Akrostichen und andere Spielereien,
welche der Zeit und besonders seinen Landsleuten eigen ist^).
Von weit grölserem Werte für uns ist die Sammlung von Boni-
fazens eigenen Briefen und den päpstlichen Schreiben an ihn'):
aber auch die bald nach seinem Tode, vielleicht noch zu Pippins
Lebzeiten ^ ) , sicher vor 786 verfafste Biographie enthält schätzbare
Nachrichten, und erhebt sich weit über die früheren Leistungen der
Art. Der Verfasser war ein Priester Namens Willibald, wohl
ein Landsmann, der bei der Kirche St. Victor bei Mainz lebte, und
auf Veranlassung der Bischöfe Lul von Mainz und Megingoz von
Würzburg seine Arbeit unternahm. Lul besonders versah ihn mit
Nachrichten, so wie auch andere Schüler Wynfriths, den Willibald
selbst nicht gekannt hatte. Dieser ist freilich hinter einer genü-
genden Behandlung seiner grofsen Aufgabe weit zurückgeblieben ;
anfangs sorgfältig und genau, scheint er bei der grofsartigen Ent-
faltung der Wirksamkeit seines Helden , bei den verwickeiteren
politischen Verhältnissen unter Pippins Regierung zu ermatten , er
Beitr. z. Lat. Sprach- u. Litt.-Kunde (1877) S. 141. Loofs, Zeitschr. f.
Kirchengescli. V, Heft 4.
^) Ars gramm. bei A. Mai, Auctt. class. VII, 475 — 548; vgl. Bursian
in d. Münch. SB. 1873 S. 457—460.
^) Hierüber s. Dümmler, NA. IV, 98 — 101, u. die Ausg. Poet. Carol.
I, 1—19, vgl. II, 687; NA. XI, 412; XXVII, 211—216 von Traube, Die
älteste Hs. der Aenigmata Bon.
^) Diese überaus wichtige, auch über B.'s Zeit hinausreichende Samm-
lung liegt in der ersten kritischen Ausgabe von Jaffe vor, Bibl. III, 8
bis 315, und Dümmler, Epp. III, 215-433. 721. 5 Gedichte v. Aldhelms
Schüler Aethilwald sind vorangestellt, vgl. English histor. review XV,
291 S. Vgl. Forsch. X, 397 — 426 gegen die chronolog. Behauptungen
Dünzelmanns in seiner Gott. Diss. von 1869. Dieser hält jedoch einen
Teil derselben, und vorzüglich die grundsätzliche Annahme willkürlicher
Zufügung der Daten, aufrecht, und erklärt einige der Briefe für Stil-
übungen, Forsch. XIII, 1 — 32. H. Hahn, Noch einmal die Briefe und
Synoden des Bonifaz, Forsch, XV, 43 — 124. Ein übersehener Brief des
P. Zacharias, NA. I, 580—583, berichtigt von Loewenfeld, ib. IV, 173
bis 175. Hahn, üeber einige Briefe d. Bonif. Sammlung m. unbest, Adr.,
Forsch. XXI. 388 — 400. Hahn, Bonifaz u. Lul. Ihre angels. Correspon-
denten, 1883, Loofs, Zur Chronol. der auf die fränk. Synoden bezügl.
Briefe, Leipz. Diss. 1881 , vgl. NA. VII , 418. P. Ewald über die Frag-
mente in d. Brit. u. a. Canonensammlungen , NA. V, 284 — 295. Nürn-
berger, Verlorene Hss. der Briefe, NA. VII, 353—381. Die Bonif.-Litter.
der Magdeb. Centuriatoren, ib. XI, 9 — 41. P, Ewald, Susanna u. Brann-
linde, Deutung der chiffrierten Namen, NA. VII, 196 — 198. Dagegen
' Diekamp in d. Beschr. d. Wiener Hs, ib. IX, 9 — 28. Hahn, Die Namen
der Briefe im Liber eccl. Dunelm. NA. XII, 109—127.
-*) Dagegen L. Oelsner, Jahrb. S. 490.
152 II- Karolinger. § 2. AngelsacliseB.
wii-d verwirrt und ungenau, übergeht gänzlich die wichtigsten Vor-
fälle und eilt weiter zu dem Märtyrertode des Bonifaz\), bei welchena
er in frommem Phrasenschwalle verweilt. Aehnliche Ei'scheinungen
sind auch in Biographien der späteren Zeit häufig; wo ein Bischof
aus dem engen Kreise der Asketik und bescheidener Pastoraltugenden
heraustritt, wo er als Staatsmann zu schildern war, entzieht er sich
dem Gesichtskreise seines beschränkten Biographen. Hier aber ist
der Abstand der §§ 30 — 32 von Anfang und Ende so auffallend,
namentlich auch der Mangel aller bestimmten Angaben über Boni-
fatius' Erhebung auf den Mainzer Stuhl, die plötzlich als fertige
Thatsache erwähnt wird, sowie über die Stiftung des Klosters zu
Fulda so unerklärlich, dafs der Verdacht, Luis Zensurstriche möchten
hier verwirrend und verstümmelnd eingewirkt haben, kaum abzu-
weisen ist^). Auch der Streit über die Beerdigung des Märtyrers
in Mainz oder in Fulda ist mit keinem Worte berührt. Willibalds
Sprache ist noch weit entfernt von der Reinheit der karolingischen
Latinität, aber er bezeichnet doch schon den Anfang einer besseren
Zeit; er hat in der Schule seine Klassiker gelesen, und sein Haupt-
fehler besteht darin , dals er es zu gut machen will , dafs er im
Streben nach einem gewählten Stil in Verkünstelung verfällt,
während er doch in den Grundregeln der Grammatik noch keines-
wegs sicher ist^).
') Nach der seit Rettberg herkömmlichen Annahme am 5. Juni 755.
Sickels und Oelsners Meinung, dafs 754 das richtige Jahr sei, wird mit
sehr erheblichen Gründen bekämpft von C. Will in d. Tüb. theol. Quartal-
schrift 1873 S. 510 — 533, worauf er auch in den Regesten der Mainzer
Erzbischöfe S. 30 verweist. Hauck I, 573—575 für 755.
^) Vgl. die Einleitung B. Simsons zur üebersetzung. Die Feindschaft
zwischen den Fuldem und Lul, dem Gründer von Hersfeld, ist bekannt;
bei Arndt, Zur Üebersetzung der V. Bonif. S. 130, ist das Privilegium d.
Papstes Zacharias für Fulda aus der Bonifazischen Briefsammlung mit-
geteilt, das aus dem Mainzer Exemplar ausgeschnitten war. Ohne Kennt-
nis hiervon erweist Th. Sickel die Echtheit jener Bulle in den Beiträgen
zur Diplomatik IV, 47—73. Vgl. Bibl. III, 228. Oelsner, Jahrbb. S. 487.
Hahn, Forsch. XV, 87. Ewald, Regesta Pontiff. 2293. Abschlielsend
handelt über das päpstl. Privilegium für Fulda und über die Versuche,
nachträglich dafür eine königl. Bestätigung zu beschaffen: Tangl in den
Mitteil, des Inst. XX, 193—252. — Im Prolog (abgedr. Epp. IV, 500) bat
Willibald die Epistola Victurii benutzt nach Br. Krusch, NA. IV, 171.
^) Ausgabe von Pertz, MG. SS. II, 331—353; von Nürnberger mit
textkritischem Apparat, Breslau 1895, im 27. Bericht der Philomathie in
Neisse. Uebersetzungen v. H. E. Bonnell, Berl. 1856, 8. Külb, Sämtliche
Schriften des heil. Bonifacius übersetzt, Regensb. 1859; von B. Simson
und von W. Arndt, 1863 (diese Geschichtschr. 13. VIII, 2 in neuer Aus-
gabe), beide mit berichtigter Abteilung d. Kapitel, jene mit sorgfältigem
Kommentar, Arndt mit Benutzung der ältesten Münchener (Freisinger)
Handschrift. Nach dieser, grammatisch fehlerhaftesten, und der einsichtig
Bonifatius, Willibald und Wynnebald. 153-
Von Lul, Bonifatius' Schüler und Nachfolger, besitzen wir
ebenfalls eine Biographie, in welcher kürzlich Holder-Egger ein Werk
Lamberts erkannt hat, und welche deshalb als solche später zu
erwähnen sein wird, Ihr geschichtlicher Wert ist unbedeutend').
Dagegen ist als ein merkwürdiges Denkmal dieser Zeit noch
das Leben der beiden Brüder Willibald und Wynnebald zu
nennen^), verfafst von einer Nonne des Klosters Heidenheim, welches
Wynnebald um 751 gestiftet hatte und bis zu seinem Tode (19. De-
zember 761) leitete; während Willibald 741 von Bonifaz zum ersten
Bischöfe von Eichstedt geweiht war. Wie diese Brüder, so stammte
auch die mit ihnen verwandte Verfasserin aus England, von wo sie
erst nach Wynnebalds Tode nach Heidenheim kam. Ihr Werk zeigt
uns, was auch aus Bonifatius' Briefsammlung hervorgeht, wie über-
aus lebhaft dort auch die Nonnen an den gelehrten Studien Anteil
nahmen^). Freilich wurde auch sie, wie es leider so häufig vorkam,
durch ihre Gelehx'samkeit zu einer sehr gezierten und schwülstigen
Schreibart verleitet und vor fehlerhaftem Ausdrucke nicht bewahrt ;
ja der Ausdruck ist, wie er in der neuen Ausgabe nach der
ältesten Handschrift hergestellt ist, sogar in unglaublichem Mafse
barbarisch, aber gelehrt barbarisch, d. h. mit griechischen und
anderen seltsamen Worten beladen. Den Hauptinhalt und den
wertvollsten Teil bildet in dem Leben Willibalds der Bericht über
seine Pilgerfahrt nach dem gelobten Land (bis 729), welcher darin
besonders hervortritt und den gröfsten Eaum einnimmt. Er ist
korrigierten Reichenauer von Reginbert , hat Jaffe seine neue Ausgabe
gemacht, Bibl. III, 422 — 471. Es folgen hier noch die Mainzer Passio
und Auszüge aus Othloh und dem Presb. Ultraiectinus. Eine verkürzte
Ueberarbeitung, irrig für älter gehalten, ist in den Analecta BoUandiana
abgedruckt, s. Waitz, NA. VIII, 169—171. Hauck I, 432—433. Eine
interpolierte Legende , deren Angabe über die Stiftung der Kirche zu
Hameln mit neuen Erweiterungen in die Hämelsche Chronik des Johann
von Pohle übergegangen ist, hat 0. Meinardu? in der Zeitschr. d. bist. V.
f. Niedersachsen 1882 herausgegeben. Nürnberger, Disquisitt. ci-it. im
Progr. d. Bresl. Matthias- Gymn. 1892. Wertlos ist die Jenenser Dissert.
von G. Woelbing über die mittelalterl. Lebensbeschreibungen des Boni-
fatius, Leipz. 1892.
') S. über ihn vorzüglich das oben angeführte Werk von Hahn, Bonif.
u. Lull, 1883. Brief Karls des Gr. an ihn(?), Epp. IV, 532. üeber ein
vielleicht von ihm selbst verfafstes Epitaphium Forsch. XXII, 423 ; NA.
VIII, 225. Ein nach der in Marburg wiedergefundenen Hs. wesentlich
verbesserter Text Forsch. XXV, 177; Lamperti opp. ed. Holder-Egger
p. 355.
^) So die authentische Form. Die älteren Ausgaben sind unbrauchbar
neben der neuen von Holder-Egger, SS. XV, 80—117.
^) Eine Hs. aus dem Besitz einer angelsächs. Aebtissin befindet sich
jetzt in Würzburg, vgl. Arch. f. d. Stud. d. neueren Sprachen CVII, 103,
154 II- Karolinger. § 2. Angelsachsen. § 3. Die Annalen.
offenbar nach den Mitteilungen Willibalds am 23. Juni 778 über
seine Pilgerfahrten und die daran sich schliefsenden Umstände auf-
gezeichnet.
Nach Wynnebalds Tod übernahm seine Schwester Wald bürg a
die Leitung des Klosters zu Heidenheim, von welcher nur im
9, Jahrhundert Wolfhard von Herrieden in dem Werk über ihre
Wunder etwas berichtet 0.
Zu diesem Kreise gehört ferner noch Wigbert, den Bonifaz
in Fritzlar als Abt einsetzte, Sualo oder Solus, und Leobgyth
oder Lioba, die Aebtissin von Bischofsheim '■^), deren Biographen
Lupus von Ferneres und Rudolf von Fulda später zu erwähnen
sein werden. Zweifelhaft bleibt es, wohin wir den Bischof Pirmi-
nius stellen sollen, ob etwa auch zu den Angelsachsen, die im Ein-
vernehmen mit Bonifatius wirkten. Um 724 stiftete er auf der
früher Sintleozesau genannten Insel das nachmals so berühmte
Kloster Reichenau (Augia), welches schon zu hoher Blüte gelangte,
als St. Gallen noch schwach und unbedeutend war. Pirmin, aus
Schwaben vei'trieben, übernahm 727 im Elsafs die Leitung des von
dem Grafen Eberhard auf eigenem Grunde angelegten Klosters
Murbach, zuerst Vivarius peregrinorum genannt, das 728 bestätigt
wurde. Von da ging Pirmin nach Franken und endete sein Leben
753 in dem gleichfalls von ihm gegründeten Hornbach; wertvoller
als seine dort aufgezeichnete Legende^) sind seine Predigten, die
in rauher Sprache uns vielfache Belehrung über heidnischen Aber-
glauben in Schwaben gewähren.
§ 3. Die Annalen.
In dem Abschnitte, bei welchem wir jetzt verweilen, in den
Anfängen der karolingischen Periode, beginnt zuerst ein Zweig der
Geschichtschreibung ans Licht zu treten, welcher sich aus den un-
1) Excerpta ed. Holder-Egger, SS. XV, 535—555.
2) Nach Link im Klosterbuch der Diözese Würzburg (1876) 11, 538
bis 545 unzweifelhaft Tauberbischofsheim, vgl. Hauck I, 474—479.
3) Mone, Quellensamml. I, 30—36. 528. Acta SS. Nov. II, 33—47 ed.
de Smedt. Vita Pirminii I et II cum mirac. ed. Holder-Egger, SS. XV,
17 — 35, 574a. Ueber die von Gallus Oehem benutzte Bearbeitung vgl.
Breitenbach im NA. II, 170 — 174, berichtigt von Brandi in seiner Ausg.
des Oh, S. 5. Die „dicta abbatis Priminii" bei Caspari, Kirchenhistor.
Anecdota (1883) S. 151—159 (eine Inschrift für sein Grab von Hraban,
Poet. Car. 11, 224), vgl. Rettberg II, 51. Hauck I, 385-344. Ueber Mur-
bach s. Levison im NA. XXVII, 368—395.
Die ältesten Annalen. 155
scheinbarsten Anfängen zu einer wahren Kunstform entwickelte,
und dem wir grofsenteils die festen Grundlagen, das Gerippe der
älteren Geschichte des Mittelalters verdanken, nämlich die Jahrzeit-
bücher oder Annalen. „Wer jetzt," so sagt Freytag'), „die kurzen
Notizen der ältesten Klosterannalen übersieht, muls sich erst deutlich
machen, wie unermefslich der Fortschritt war, den diese wenigenWorte
bezeichnen. Erst durch sie erhielt der Germane eine verhältnismäfsig
sichere Kenntnis vergangener Ereignisse." Augenscheinlich durch die
Mission veranlal'st, kommen sie jetzt an verschiedenen Orten zum
Vorschein. Es bedurfte eben keiner neuen Erfindung, um Jahr
für Jahr die wichtigsten Ereignisse gleichzeitig mit wenigen Worten
aufzuzeichnen ; wir haben ähnliches schon aus der römischen Zeit
zu erwähnen gehabt, und es mag auch hin und wieder im mero-
wingischen Reiche geschehen sein, aber erhalten haben sich keine
Beispiele davon. Einst hatten die Verzeichnisse der Konsuln den
passendsten Raum dazu dargeboten, jetzt waren es die überall ver-
breiteten Ostertafeln, deren Rand schon von selbst dazu aufforderte,
neben der Jahreszahl kurze Nachrichten einzutragen. Wir finden
diese Aufzeichnungen zuerst in England, und die Missionare, denen
Bedas Ostertafeln wohl selten fehlten, behielten die heimische Sitte
bei. Mit den Ostertafeln selbst wurden nun auch die Randbe-
merkungen abgeschrieben , und gingen so von einem Kloster ins
andere über; bald fing man an darauf Wert zu legen, schrieb die
noch ganz kurzen und mageren, völlig formlosen Annalen auch
abgesondert ab , setzte sie fort , verband sie mit anderen , und
machte sich endlich auch an die Arbeit, die dürftige Kunde über
die frühere Vorzeit durch Benutzung anderer Quellen , aus Schrift-
stelle?;n aller Art, aus der Sage und gelehrter Berechnung zu ei*-
gänzen.
Daraus ergibt sich nun, wie verschiedenartig, von wie ungleichem
Werte der Stoff ist, welchen diese Jahrbücher uns darbieten. Viel-
fache Fehler konnten schon beim Abschreiben nicht ausbleiben.
Der Rand der Ostei'tafeln hatte häufig nicht ausgereicht; dann
waren Bemerkungen unten , oben , an verschiedenen Stellen nach-
getragen ^) , durch Zeichen auf das betreffende Jahr bezogen , und
oft ist es selbst, wenn das Original noch erhalten ist, schwer, sich
darin zurecht zu finden. Gedankenlose Abschreiber haben dann
^) Vermischte Aufsätze I (Leipz. 1901) S. 186.
-) Vgl. die Schriftprobe der Annales Corbejenses, MG. SS. III, Tab. 1.
Sickel in den Forsch. IV, 451 u. ib. 454—461 über die älteste im Original
erhaltene Fnlder Ostertafel mit Annalen.
156 II- Karolinger. § 3. Die Annalen.
nicht selten die allergröfste Verwirrung angerichtet, zuweilen gar
die Jahreszahlen ganz fortgelassen').
Um diese Annalen also mit Sicherheit benutzen zu können, um
an ihnen wirklich eine zuverlässige Grundlage für die Zeitrechnung
zu gewinnen, kommt natürlich alles darauf an, ihre Abstammung
und Herkunft zu erforschen , spätere Zusätze auszuscheiden, ihrem
Ursprünge so nahe wie möglich zu kommen, wenn man nicht das
Original selbst noch aufzufinden vermag.
Das ist es, was für die gesamte Masse der Annalen aus karo-
lingischer Zeit zum ersten Male von Pertz im ersten Bande der
Monumenta geleistet worden ist, und zwar in einer für seine Zeit
so ausgezeichneten Weise und mit so umfassender Benutzung des
bis dahin bekannt gewordenen handschriftlichen und gedruckten
Materials, dafs hier für alle weiteren Forschungen die sicherste
Grundlage gegeben ist").
Es ist jedoch gleich hier auf eine Unterscheidung hinzuweisen^
welche erst durch die fortgesetzte Beschäftigung mit dieser eigen-
tümlichen Form der Geschichtschreibung sich immer deutlicher
herausgestellt hat. Zu ausschliefslich hat man anfangs, von späteren
Zuständen rückschliefsend , die Klöster für die Ursprungstätten
dieser Aufzeichnungen angesehen ; man suchte in allen Annalen nach
örtlichen Andeutungen, welche in irgend ein Kloster führen. Auch
trifft dies für die Mehrzahl der Annalen zu ; sie verbinden in buntem
Gemische die Hausgeschichte mit Vorfällen von allgemeinerer Be-
deutung, die aber in diesem Falle keine zusammenhängende Folge
darstellen. Findet sich dagegen eine Reichsgeschichte, welche, wenn
auch noch so dürftig, doch das Bestreben nach vollständiger Mit-
teilung dessen zeigt, was, vom Mittelpunkt aus gesehen, das ganze
Reich betrifft, so wird man an dem Ursprünge in einem Kloster
zweifeln, und wenn hin und wieder eine örtliche Notiz sich findet,
ist sie wahrscheinlich, oft nachweisbar, einer Abschrift zugesetzt.
Den Klöstern lag ein solcher Gesichtspunkt ursprünglich fern, während
der Hof damals den lebendigen Mittelpunkt des Reiches bildete,
an dessen Bewegungen und Heerfahrten auch die Bischöfe mit ihren
Kaplan en fortwährend sich beteiligen mufsten. Die Aebte aber,
welche in denselben Strudel hineingezogen wurden, waren entweder
geradezu Laienäbte, oder sie entfi-emdeten sich doch durch solch
unklösterliches Leben der Genossenschaft der Mönche. Es hat freilich
1) So bei den Ann. Ottenb. MG. SS. V, I.
2) S. den Bericht von Pertz im Arch. VI, 258 ff.
Die ältesten Annalen. 157
neuerdings H. v. Sybel für die klösterliche Herkunft von neuem
das Wort ergrifiFen'). und namentlich behauptet, dafs man, was in
den sogenannten Königsannalen steht, im Kloster Lorsch recht gut
in Erfahrung bringen konnte. Ich gebe das gerne zu, kann mir aber
kaum vorstellen, dafs schon im 8. Jahrhundert der Sinn der Mönche
in so hohem Grade den weltlichen Dingen zugewandt war, was doch
auch später nur ausnahmsweise der Fall gewesen ist. Nur für wenige
Klöster hatten die jährlichen Feldzüge ein unmittelbares Interesse.
Es hatte nun wohl den Anschein , als ob tuan die allmähliche
Entstehung der geschichtlichen Ueberlieferung aus den unschein-
barsten Anfängen , die Verbindung verschiedener Aufzeichnungen
und ihre nun schon besser gelungene Fortführung deutlich vor
Augen habe; man glaubte eben jene ersten Anfänge in ursprüng-
licher Gestalt zu besitzen, und bezweifelte, dal's es in jener Zeit des
wenig federfertigen 8. Jahrhunderts viel mehr und bessere Aufzeich-
nungen gegeben habe, als uns noch jetzt vorliegen. Allein die fort-
gesetzte Beschäftigung mit diesen Annalen zeigt in so hohem Grade
Uebereinstimmurig derselben in vielen Notizen, während doch andere
Sätze sich nur in dem einen Exemplar, zugleich jedoch in anderen
ganz entlegenen Annalen finden , auch Spuren alter guter Ueber-
lieferung, die plötzlich in jüngeren Kompilationen auftauchen, dals
hier, wie in manchen Fällen aus späterer Zeit, kein anderer Ausweg
möglich zu bleiben scheint, als die Annahme verlorener Aufzeich-
nungen, aus welchen nur Ableitungen uns vorliegen ; wir besitzen
blofs Bruchstücke einer einst vorhanden gewesenen noch reicheren
Litteratur, die wir uns aber doch hüten müssen, uns zu bedeutend
vorzustellen. „Unsere scharfsinnigsten Kombinationen," so sagt mit
Recht G. Kaufmann (S. 66), „würden uns vielleicht als eitel Nichts
erscheinen, wenn uns einige Mittelglieder mehr erhalten wären."
Grol'se Vorsicht ist hier notwendig , und eben diese vermifst man
bei Is. Bernays^), dessen Zusammenstellungen häufig gerade den
entgegengesetzten Eindruck machen , indem nur die notorischen
Thatsachen übereinstimmen , im Ausdruck aber die gröfstmögliche
Verschiedenheit geradezu aufgesucht sein mülste. Weit vorsichtiger
ist zwar R. Arnold') verfahren, doch ist auch dessen Annahme von
1) Hist. Zeitschr. XLII, 265. Kleine bist. Schriften III, 1 ff.
^) Zur Kritik Karolingischer Annalen, Strafsb. 1883. In einem dadurch
veranlafsten Aufsatz HZ. LIV (1885), S. 55—70 bestreitet G. Kaufmann
überhaupt den Nutzen solcher Untersuchungen und die Möglichkeit ge-
sicherter Erfolge.
') Beiträge zur Kritik Karolingischer Annalen, Diss. Lips. 1878. Für
Hofannalen von 785 — 803 ist E. Seraphim eingetreten, Quellenkritische
158 II- Karolinger. § 3. Die Annalen.
Hofannalen von 771 odei* 772 an eine unbegründete, indem ihr von
Waitz\) die erheblichsten Gründe entgegengestellt sind. Ein solches
Werk müfste deutlichere Spuren hinterlassen haben, und als Regel
werden wir festzuhalten haben , dafs man mühsam die dürftigen
Aufzeichnungen zusammen arbeitete, und mit einer uns oft unbe-
gi-eiflichen Sorglosigkeit häufig einzelne Sätze aus einer zugänglich
gewordenen Quelle herübernahm, andere bedeutendere Nachrichten
aber unberührt liefs. In diesem Sinne hat Kux'ze") den Zusammen-
hang dieser Annalen, die er auf eine austrasische , eine neustrische
und eine alamannische Wurzel zurückführt, zu ergänzen versucht,
mit zu grofser Sicherheit jedoch Entstehungsort und sogar Verfasser
erschlossen, so dafs der skeptische Standpunkt, den Monod u. a.
seinen Untersuchungen gegenüber einnehmen , gerechtfertigt er-
scheint, wenn er auch von einem richtigen Grundprinzip ausgeht.
Nach den bisher üblichen, nicht immer zutreffenden Bezeichnungen
wird man drei Hauptgruppen unterscheiden können: die erste sind
die Annales St. Amandi und ihre Verwandten (besonders Tiliani
bis 737 und Laubacenses bis 791), ferner zweitens die Ableitungen
der alten Lorscher Jahrbücher (zumal die Ann. Mosellani und
Laureshamenses), endlich drittens die alten Murbacher Jahrbücher
(namentlich Alamannici, Guelferbytani und Nazariani, sowie die
mit den Alam. nahe verwandten Sangallenses) , in einer gewissen
Mittelstellung aus Quellen der ersten beiden Gruppen kombiniert
befinden sich die Petaviani.
Die Annales S. Amandi^) .haben diese Benennung von Pertz
Untersuchungen der kleineren Karol. Annaien. Progr. d. livländ. Landes-
gymn., Fellin 1887.
') Neues Arch. V, 497 ff.
^) Ueber die karoling. Reichsannalen von 741 — 829 , NA. XX , 9 flf. ;
XXI, 11 ff. u. die karolingischen Annalen des 8. Jahrhunderts NA. XXV,
291 — 315. Vgl. Monod, Etud. crit. sur les sources de l'hist. Caroling. in
der Bibl. de Fee. des haut. etud. CXIX, 100, angez. von Bloch, GGA.
1901 S. 872— 897.
^) Annales Sancti Amandi a. 687 — 810, MG. I, 6 — 11. Die nach dem
Besitzer der Handschrift genannten Ann. Tiliani (ib. p. 6 — 8) sind von 708
bis 787 nach Arnold, S. 53 — 55, aus der Quelle der Ann. S. Amandi ge-
flossen, in ihrem zweiten Teil 741 — 807 (S. 219—224) aus den Ann.
Lauriss. entnommen. Zu erkennen sind die Notizen bis 771 auch in den
dürftigen Ann. Sangallenses Baluzii p. 63, e cod. 124, welche nach Arnold,
S. 42 — 47, aus der von ihm angenommenen Kompilation stammen, weiter-
hin aus den Hofannalen. Ausg. von Henking, Sanctgaller Mitteil. XIX,
224 — 265 ; nach S. 340 stammen sie bis 764 aus gleicher Quelle mit den
Ann. S. Amandi u. sind auch weiterhin ein Auszug, nicht Original. Die
Ann. Laubuc. SS. I, p. 7 — 12, 15, 52, u. ihre Gruppe behandelt Arnold,
S. 55 — 61. Er erkennt in den Laubac. bis 814 eine mit einigen Zusätzen
versehene Umarbeitung der Ann. S. Amandi, welche kürzer in den Ann.
Annalen von St. Auiand. 159
erhalten, weil 783 und 809 Beziehungen auf das Kloster Saint-Amand
vorkommen ; dem früheren Teile fehlen sie und der Inhalt ist durch-
aus reichsgesfhichtlich. Die ürsprünglichkeit ihrer jetzt vorliegenden
Form ist angegriffen , eine verlorene Quelle oder etwas reichere
Form angenommen, aber als ein ziemlich treues Abbild dieser eben
beginnenden Annalistik werden wir sie doch betrachten dürfen.
Von Anbeginn an sind diese Annalen karolingisch. Sie heben
mit der dauernden Festsetzung dieses Hauses im Besitz der Macht
an, mit der Begründung einer neuen Ordnung der Dinge, der
Morgendämmerung einer bessex'en Zeit, welche wieder Hoffnungen
erweckte und die Seelen nicht mehr mit dem trostlosen Gedanken
von dem nahe bevorstehenden Untergange der Welt erfüllte.
Die am Eingange stehende Nachricht von der Schlacht bei Tertry
687 ist nachträglich zugesetzt; die regelmäfsig fortgesetzten Auf-
zeichnungen beginnen erst 708 , und auch von da an möchte ich
noch nicht behaupten, dafs gleich von Anfang an alles gleichzeitig
eingetragen wäre; die Form der kurzen und noch sehr dürftigen
Bemerkungen, wenn man z. B. zu dem Jahr 708, wo Ostern auf
den 15. April fiel, an den Rand schrieb: (Das war damals) als
Drogo im Frühjahr starb') — deutet eher auf ein späteres Besinnen
und Ueberdenken der Vergangenheit. Auch ist das ganz natürlich;
solange der Eindruck noch frisch ist, fühlt man kein Bedürfnis
ihn künstlich festzuhalten, und erst später macht sich das Verlangen
geltend, die verschiedenen Erinnerungen auseinander zu halten und
zu ordnen. Wenn aber nun eine Reihe solcher Aufzeichnungen
beisammen ist, dann ändert sich der Gesichtspunkt, man legt Wert
auf diese Zusammenstellung und setzt sie um ihrer selbst willen
fort, trägt Jahr für Jahr die wichtigsten Begebenheiten ein, um für
spätere Zeiten ein Denkmal zu hinterlassen. Jene Annalen nun,
welche in ihrer Fortsetzung bis 810 deutliche Beziehungen zu
Saint-Amand enthalten, entbehren in ihrem früheren Teile bis
771 und noch darüber hinaus jeder Hinweisung auf dieses Kloster
Auscienses, Augienses brevissimi, S. Germani minores, vielleicht ebenso in
den A7tn. S. Amandi breves (SS. II, 184, von 742—855) u. Ann. Bawarici
breves benutzt, auch im Chron. Lausonense nicht zu verkennen sei. Ver-
wandt, aber ganz unbedeutend, sind die Ann. S. Amandi brevissimi, 760
bis 796, SS. XIII, 38, u. Ann. Regum SangaUenses, 687—855, SS. XIII,
717 u. NA. V, 428. Vgl. über die Laubac. auch B. Simson, Forsch. XXV,
375 — 377. Seraphim S. 8— 12, der sie von ursprünglich reicheren Ann.
S. Amandi ableitet. — Ann. 759—805 im Cod. Vat. Christ. 213, Arch.
XII, 270, vgl. Waitz, HZ. XXVIII, 200, sind das Fragm. Chesnianum der
Ann. Laureshamenses, NA. 11, 329.
') Quando Droco mortuus fuit in vernale tempore.
160 II- Karolinger. § 3. Die Annalen.
oder dessen Umgegend; sie verzeichnen nur die grofsen Reichs-
begebenheiten, die Feldzüge jedes Jahres und zuweilen einen Todes-
fall oder einen anderen merkwürdigen Vorfall, so kurz, dafs die
eigentliche Kenntnis von den Dingen vorausgesetzt wird; an Er-
zählung ist kein Gedanke, nur an chronologische Ordnung der Er-
innerungen. Giesebrecht hält die Aufzeichnung dieser Notizen im
Kölnischen für sehr wahrscheinlich und möchte den Schottenmönchen
zu St. Martin, Pippins des mittleren Stiftung in Köln, dieses Ver-
dienst zuschreiben. Allein dafs 713 Suitberts Tod, 716 Radbots
Vordringen bis nach Köln erwähnt wird , dafs 753 gerade wie in
den Annales Mosellani der Tod des Bischofs Hildegar von Köln
auf dem Feldzuge gegen die Sachsen angemerkt wird, das berechtigt
uns noch nicht zu einer bestimmteren Annahme über die Herkunft
dieser Jahrbücher. Kurze dachte an den Trierer Sprengel. Vor-
züglich in den Klöstern Belgiens weit verbreitet, sind sie durch
Zusätze und Fortsetzungen immer mehr angewachsen, bis sie endlich
Sigebert von Gembloux zur Grundlage seiner gewaltigen Chronik
dienten, aber in ihren Anfängen weist nichts nach einer bestimmten
Gegend, nur nach Austrasien im allgemeinen. Nichts tritt so sehr
in den Vordergrund, wie die Familie der Hausmeier.
Ganz denselben Charakter tragen auch die gleichzeitigen An-
nalesMosellani'), deren Entdeckung in Petersburg durch Lappen-
berg ein unerwartetes Licht auf das Verhältnis der ältesten Annalen
zu einander geworfen hat, vorzüglich nachdem Giesebrecht in seiner
scharfsinnigen Abhandlung über die fränkischen Königsannalen^) die
Folgerungen, welche dem ersten Herausgeber noch entgangen waren,
daraus gezogen hat.
An der Spitze der Annales Mosellani stehen von 704 — 707 irische
Namen, Diese bilden den Uebergang von Bedas kleiner Chronik
in der Schrift de temporibus, an welche sie sich anschlössen, zu der
Nachricht von Drogos Tod 708, die auch hier die fränkischen Ein-
tragungen eröffnet. 713 ist der Tod einer englischen Prinzessin,
eines Königs von Ostangeln bemerkt, 726 und 729 unbekannte irische
Namen. Erwähnt wird ferner 726 der Tod Martins, welcher nach
den Ann. Petav. ein Mönch von Corbie und Karls Beichtvater war,
^) Von 703—797, SS. XVI, 491—499. Den Namen wählte Lappenberg
wegen der Beziehungen zu Klöstern an der oberen Mosel, welche sich
darin finden. Ueber den von Lappenberg nicht erkannten irischen Abt
Cellanus von Peronne z. J. 706 s. Traube in den Münchener Sitzungsber.
1900 S. 489.
2) Münch. Eist. Jahrb. (1865) S. 185—238; vgl. hier vorzüglich S. 224
bis 226.
Annales Mosellani. Potaviani. 161
736 Audoins, des Bischofs von Konstanz, dessen Name so wenig
etwas für die Herkunft der Annalen beweisen kann , wie 728 die
Erwähnung Haldulfs von Cambrai, der zugleich Abt von St. Vaaat
war. Dagegen finden sich von 701 an Beziehungen zu Chrodegang
ven Metz (f 7G6) , dessen hervorragende Stellung im Reiche ganz
geeignet war, die Abschrift solcher Aufzeichnungen und ihre Fort-
führung zu veranlassen , war er doch am Hofe Karl Martels auf-
gewachsen und hatte 742 von Pippin das Bistum erhalten, vom
Papste die erzbischöf liehe Würde*). Er stiftete Gorze bei Metz
als ein Musterkloster und übertrug dorthin die Reliquien des heiligen
Gorgonius, die der Papst Paul I. geschenkt hatte. Puckert hat
darauf hingewiesen, dal's Chrodegangs Bruder Gundeland Abt von
Lorsch war, was auf das in Lorsch so früh hervortretende Interesse
für Geschichte eingewirkt haben mag. Durch Chrodegang empfing
dieses die Reliquien des heiligen Nazarius, während Nabor nach
Hilariacum (St. Avold) gleichzeitig übertragen wurde. Auf Lorsch
sind die Mosell. in ihren Anfängen unzweifelhaft zurückzuführen,
und auch ihre Fortsetzung weist auf die Gegend von Worms.
Kaum waren die ersten Versuche geschichtlicher Thätigkeit ge-
wagt, so begann man auch schon ihre Zweckmässigkeit sowohl wie
ihre Un Vollkommenheit zu empfinden ; man kopierte sie und bereicherte
sie zugleich durch Verbindung der verschiedenen Exemplare, ohne
sich jedoch noch eine redigierende Thätigkeit zu erlauben, welche
das notdürftigste Mals überschritten hätte. Diese Gewissenhaftigkeit
sowohl wie die ersten Regungen einer kombinierenden wissenschaft-
lichen Thätigkeit liegen uns in verschiedenen Ableitungen vor, vor-
züglich in den Annales Petaviani, welche von dem früheren
Besitzer der Handschrift ihren Namen haben'-)- Sie verbinden
nämlich bis 771 die beiden bisher betrachteten Annalen, an welche
sich von da an eine schon wirklich erzählende, völlig gleichzeitige
und zuverlässige^) Fortsetzung bis 799 anschliefst, die bei dem
*) Die Ursprung]. Fassung seiner Regula Canonicorum hat W. Schmitz
herausgegeben mit Facs. der zum Teil in tironischen Noten geschriebenen
Handschrift, Hann. 1889. S. auch Werminghoff. NA. XXVII. 624 ff.,
646 ff. Ueber Gorze vgl. Acta SS. Sept. III, 340 (SS. IV, 269), Hauck II,
52—56, 62—68.
2) Ann. Pefav. (697) 708—799, MG. SS. I, 7—18; cf. TU, 170. Arch.
VII, 271. Ohne Zusätze, ex codice Vat. Christ. .520, olim Corbejensi, deinde
Petri Danielis, in A. Mais Spicil. Rom. VI, 181 — 190. Auch die Angabe
über Karls Geburt 747 (= Laubac.) fehlt hier. Eine Verbesserung bei
Kurze, NA. XXI, 24, der übrigens die Mosell. von den i'etav. abhängig
sein läfst.
^) Diese Ausdrücke sind natürlich nur relativ gemeint. Seraphim,
Wattenbach, Geschichtsciuellen. I. 7. Aufl. 11
162 II- Karolinger. § 3. Annalen.
Mangel aller lokalen Färbung wiederum nur für den Königshof,
den Mittelpunkt aller Unternehmungen , in Anspruch genommen
werden kann. Eine Abschrift, welche nur bis 796 reicht (Cod.
Masciacensis) , gewährt Zusätze , welche aus dem Martinskloster zu
Tours zu stammen scheinen, während die beiden anderen genaue
Angaben über die karolingische Familie hinzufügen ').
Neben der Fortführung der Annales Petaviani wurden nun auch
jene Ann. Mos eil an i in gleicher Weise fortgesetzt, ebenfalls schon
von dem ersten Hauche der karolingischen Zeit berührt und von
rätselhaften Notizen zur Erzählung übergehend; doch lassen auch
hier auffallende Uebereinstimmungen anstatt ganz selbständiger
gleichzeitiger Aufzeichnung vielmehr Benutzung einer gemeinsamen
Quelle voraussetzen. Wenn nun in diesem Teile zweimal der Tod
eines Abtes von Lorsch erwähnt wird, so darf das nicht auffallen
bei einem Kleriker, der etwa im Gefolge des Bischofs von Metz,
dem Hoflager folgte : ein Mönch aber hätte wohl schwerlich so aus-
schliefslich seinen Blick auf den König und die allgemeinen Reichs-
begebenheiten richten können. Nach dem Jahre 785 sind diese
Annalen wiederum durch Abschriften verbreitet; diejenigen, welche
Pertz wegen einiger lokalen Zusätze Annales Laureshamenses
genannt hat^), eine aus gemeinsamer Quelle stammende Nebenform
S. 26 — 31, sieht in diesen Annalen nur ein „schlechtes Excerpt der Hof-
annalen".
^) S. Hahn, Sur le lieu de naissance de Charlemagne p. 76. Da,
Remedius Pippins Halbbruder war, ist kein Grund, mit Giesebrecht wegen
der Notiz über ihn an eine Aufzeichnung in Ronen zu denken.
^) Annales Laureshamenses MG. I, 22 — 39, bis 768 neben den Ann.
Alam. Guelferbyt. und Nazar. gedruckt. Die damals in St. Paul vergeblich
gesuchte Hs. ist von Dr. Holder gefunden, und von Katz im Jahresbericht
des Stifts 1889 herausgegeben, vgl. NA. XV, 425. üeber das Fragmentum
Chesnianum, eine abweichende Form dieser Annalen s. Dünzelmann,
NA. n, .511, u. Katz. Die zweite Fortsetzung ist 791 — ^06 identisch mit
den Laurissenses. Ueber eine weitere Fortsetzung 803 — 818 s. unten § 10
zum chron. Moissiacense. Gerade bis 785 (731 — 753 mit Verschiebung
der Jahreszahlen) finden sich die Ann. Mosell. auch excei-piert in den
Annales Flaviniacenses, einer chronologischen Kompilation von 816 (doch
vgl. Waitz im NA. V, 484) und von da an gleichzeitig fortgesetzt bis 879.
Dazu geschrieben sind die Annales Lausonenses, Lausanner Notizen bis
968. 985. MG. SS. HI, 150; neue berichtigte Ausg. von JafFe in Mommsens
Cassiodor \). 684 — 680 ; vgl. dazu Waitz, NA. V, 484. Vollständiger finden
sich die Ann. Laus, in dem sogenannten Chronicon Laus. Chartularii
(ed. Gingins, Mt'-m. et Doc. de la Suisse Romande [1851] VI, 5—10; Ci-
brarioe Promis, Documenti p. 326— 331 ; Waitz, SS. XXIV, 774—810), in
dem sich vorher die Ann. Weil'senburgenses benutzt finden, nebst Spuren
gleichzeitiger Annalen saec. IX. Ilinzelne ältere Notizen 592. 688 fi". sind
vorgesetzt, eine Fortsetzung bis 1056 enthält fast nur die Folge der
Bischöfe.
Annales Laureshamenses. Maximiniani. 163
der Mosellani , erhielten von da ab zwei verschiedene ausführliche
Fortsetzungen bis 803 und SOG: in den Annales Mosellani aber
fehlen die Jahre 786 und 787, und die weitere Fortsetzung bis 798
ist um ein Jahr verschoben, jedenfalls nur durch einen Absckreibe-
fehler, denn die Handschrift stammt erst aus dem 11. Jahrhundert.
Der letzte Teil der Lorscher Annalen von 794 an entstand wahr-
scheinlich aufserhalb des Klosters, vielleicht in Aachen oder Trier,
doch bleibt dies ganz unsicher. Eine weitere Fortsetzung bis 818
läfst sich aus ihrer Benutzung im Chron. Moissiac. mit Sicherheit
erschliefsen.
Eine andere Fortsetzung von 786 — 796 hat G. Waitz nach-
gewiesen in den Annalen von 741 — 811, welche nach dem Fund-
orte der Handschrift von dem ersten Herausgeber, Baron von Reiffen-
berg, Maximiniani genannt sind'). Waitz wies nach, dafs die
Ableitung derselben aus verschiedenen Elementen sich durch das
Verhältnis zu anderen Quellengruppen mit voller Sicherheit darthun
läfst. Aufgeklärt wurde die ganze Sachlage sodann durch die neue
von ihm gegebene Ausgabe und die Sonderung der Annalen von
der Chronik bis 741, an welche sie sich anschliefsen und zu deren
Fortsetzung sie bestimmt zu sein scheinen. Diese, schon oben S. 144
kurz erwähnt, wird später zu besprechen sein. Die Annalen sind
eine um oder bald nach 811, wahrscheinlich in Baj-ern, und zwar
in Salzburg, verfafste Kompilation, zu welcher die Gesta Pontificum
Romanorum (doch noch nicht die Vita Leonis III) mit verschiedenen
Annalen in ziemlich freier Weise, nebst einigen willküi'lichen Zusätzen,
verbunden sind. Als solche hier benutzte Annalen sind nachgewiesen
die Mosellano-Laureshamenses, d. h. die gemeinsame Quelle beider,
und die Petaviani noch 778, vielleicht 779, dann die Laurissenses
mit Zusätzen aus einer unbekannten Quelle, bis 811, wo ein Ab-
schnitt derselben, das Ende einer Bearbeitung, wahrscheinlich ist.
Eigentümlich aber ist von 786 — 796 die Benutzung von Annalen,
welche wegen besonders hervortretender Berücksichtigung von Bayern
dort geschrieben zu sein scheinen , und welche wie B. Simson zu-
erst bemerkt, ebenfalls und ebensoweit in den Annales Xantenses
benutzt sind ; aber auch in dem letzten Teile, wo die Reichsannalen
zu Grunde liegen, treten Beziehungen auf Bayern deutlich hervor. Bis
M Compte-rendu des seances de la Commission roy. d'histoire. VIII
(1844) 168—191; vgl. Gott. Nachrichten 1871, S. 307—322. Ausg. von
Waitz SS. XIII, 19-25, und Abhandlung darüber im NA. V, 475— öOl.
Ergänzend tritt dazu Kurze im NA. XIX, 306—307; XXI. 11-22, ferner
V. Simson ebd. XXV, 187—188.
164 IT- Karolinger. § 3. Annalen.
796 reicht auch die von Arnold nachgewiesene Verwandtschaft mit
den Juvavenses minores, welchen die Mos. Laur. fremd sind; sie tritt
aber auch schon früher, schon 743, und überall da hervor, wo nicht
die Mos. Laur. Quelle sind, so dafs also die Existenz einer anderen,
den Laurissenses majores verwandten Redaktion fränkischer Annalen
anzunehmen ist, an welche die Fortsetzung von 786 — 796 sich an-
schlofs. Berührung ist auch mit den Ann. Juv. maj. und S. Em-
merammi maj. vorhanden, welche nach Waitz von den Maximiniani
unmittelbar oder mittelbar abhängig sind 0- Wir werden auf dieses
Werk noch zurückkommen.
Andere gleichzeitige Aufzeichnungen, welche nach dem Fundorte
der Handschrift Guelferbytani genannt werden, beginnen erst mit
Pippins Regierung 741. Sie weisen durch die Folge der Aebte
deutlich auf das von Pirminius 727 gegründete Kloster Murbach
im Wasgau, und verfolgen die Reichsbegebenheiten nicht so gleich-
mäfsig wie jene anderen Annalen, welche wir mit ihnen gemischt
bis 768 in den Ann al es Alamannici und Nazariani wieder-
finden, deren Anfang von 708 an ebenfalls den Annales Mosellani
entnommen ist. Von 771 — 790 folgt hier eine weitere Fortsetzung
von ganz allgemeinem Charakter, welche in den Annales Nazariani
am vollständigsten erhalten, im Wolfenbüttler Codex allein noch
bis 805 weitergeführt ist^), während die Annales Alamannici eine
selbständige Fortsetzung 790 — 799 erhielten^). Diese Annalen ver-
^) Diese Ansicht bekämpft wieder Seraphim, S. 66, indem er S. 61
bis 73 ausführlich von den kleinen bayr. Ann. handelt.
-) Für die Jahre 802 — 805 nach Heigel Auszug einer ausführlicheren
Version der Königsannalen, welche in den Ann. Mett. erhalten ist und
noch reiner in der Durhamer Hs. S. Heigel , Ueber die aus den alten
Murbacher Annalen abgeleiteten Quellen, Forsch. V, 397 — 403; zustim-
mend, gegen Arnold, Waitz, Forsch. XX, 391. Seraphim S. 32 — 61.
Vgl. Simson im NA. XXIV, 409. Giesebrecht (Münchner bist. Jahrb. 1865
S. 223) nahm einen selbständigen Anfang in Reichenau an, an dessen
Stelle Kurze (NA. XXV, 300) willkürlich Honau setzen will. — Der von
Pertz im Arch. VH, 1018 angeführte Murbacher Bibliothekskatalog saec. IX
vel X gehört, wie schon Pertz bemerkt (Arch. VIII, 257), nach Reichenau
(Gottlieb, Ueber mittelalterliche Bibliotheken S. 69). In Murbach wurde
bereits zwischen 774 und 791 unter den Aebten Amico und Sindbert eine
Sammlung von Briefformeln angelegt, herausg. in Zeumers Formulae
p. 328—387.
') Ann. Guelferhijt. 741—790, MG. I, 22—81; 40—44 neben den Alam.
und Nazariani; dann folgen die weiteren Fortsetzungen der Guelf. und
Alamannici. Neue Ausg. der Alam, nach dem in Zürich wiedergefundenen
Originale von Henking, Mitt. zur vaterl. Gesch. XIX, S. 224 — 265. Ar-
nold, S. 37—42, leitet die Forts. 771—790 und 790--799 von den Hof-
annalen ab; desgl. Seraphim S. 31 — 39. Nach Dünzelmann wären die
Alam. erst um 800 komiiiliert und schöpften aus den Lauresh. u. Guel-
Kleinere Annalen. 165
breiteten sich weithin durch die Klöster Schwabens und gelangten
auch nach Hersf'eld, wo an diesen Anfang Lamberts Geschichtswerk
sich anlehnte, während auf den aus gleicher Quelle stammenden
Reichenauer Annalen Hermann der Lahme seine Chronik erbaute.
Besonders merkwürdig sind die von Pertz in einer Handschrift
des Klostex'S St. Germain-des-Pres entdeckten Annalen*), welche
im Anfang des 9. Jahi-hunderts aus einer älteren Handschrift ab-
geschrieben sind, und wie gewöhnlich zur Eintragung der dortigen
Annalen benutzt wurden. An der Spitze stehen hier ganz kurze
Annalen von Lindisfarne (643 — 664), einem Bistum auf einer
der kleinen Inseln an der Ostküste von Northumberland, jetzt Holy-
island bei Bei'wick, welches von Hy aus begründet war. Darauf
folgen von 673 — 690 Notizen aus Canterbury. Nach Pertz' Ver-
mutung war es Alcvin, welcher diese Handschrift mit sich an
Karls Hof brachte, wo er von 782 — 787 (792) die Namen der Orte
eintrug, an, welchen Karl in diesen Jahren das Osterfest feierte.
Daran haben nun die Mönche von St. Germain ihre eigenen Annalen
gefügt"), als deren Grundlage jetzt Annalen von Saint- Denis bis
887, mit einer Fortsetzung 919 — 997 erkannt sind^). Jene Notizen
ferbytanis, NA. II, 511, ebenso Kurze, NA. XXI, 23—24. Untersuchung
von Henking a. a. 0. S. 347 flf. Danach ist bis 799 noch eine gemein-
same Quelle kenntlich, Fortsetzung der vorhergehenden, welche teils in
Gorze, teils in Murbach überarbeitet wurde. Vgl. über die weitere Ver-
breitung dieser Annalen Waitz in Schmidts Zeitschrift II, 51.
*) MG. SS. IV, 2, Ann. Alcuini. Ein ähnliches Exemplar bis 792,
mit Verbesserungen, aus Saint-Benoit sur Loire, bei Delisle, Catal. du
Fonds Libri, p. 70.
^) Ann. S. Germani minores 642—919, im Anfang des 10. Jahrhunderts
geschrieben, den Murbacher und besonders den Ann. Aug. brevissimi
(SS. III, 189) verwandt (vgl. Seraphim S. 73 — 75), von geringer Bedeutung;
die Fortsetzung 923 — 1146 sehr dürftig. Die Annales S. Germani Farisi-
ensis 466 — 1061. III, 166 — 168, sind im 11. Jahrhundert geschrieben und
meist lokalen Inhalts, a. 987 ist cajHitm irrig in Capetus verändert. Die
Translatio S. Germani (755) bei Mab. III, 2, 104—118, Acta SS. Mai. VI,
788 — 796, beschreibt die Translation, bei welcher Pippin geholfen und
Palaiseau geschenkt haben soll. Dafs die Erzählung Karl dem Gr. in den
Mund gelegt wird, hielt Wattenbach mit Recht für Fiktion, sie wurde in
Schutz genommen von Oelsner, Pipjnn S. 501, und sogar von Waitz, Ex
translationibus et miraculis S. Germ. Excerpta, SS. XV, 5 — 9. B. Simson,
Jahrb. Karls I, 9, verhielt sich skeptisch, um so mehr, da Aimoin die
Schrift nicht kennt. Dafs sie erst später in die Mirac. eingeschoben ist,
bat Holder -Egger aus einer Farfeser Hs. des 9. Jahrhunderts nach-
gewiesen, s. NA. XVIII, 274 — 278, sie ist mithin wertlos.
^) Annales S. Dioni/yii, ed. E. Berger, Bibl. de l'Ecole des Chartes XL
(1879), 261—295; SS." XIII, 718—721 von Waitz die Annalen mit der in
die Ann. S. Germ. min. übergegangenen Fortsetzung; aus den weiteren
Fortsetzungen nur Auszüge.
16G Tl- Karolinger. § 3. Annalen.
über die Osterfeier von 782 — 787 aber finden wir auch in einer
anderen Handschrift wieder, jedoch ohne die Bemerkungen aus
Canterbury. Dieses Exemplar nämlich hat Arn, der Freund Alcvins,
nach Salzburg mitgenommen; die Orte der Osterfeier sind hier
bis 797 genannt, und dann schliefsen sich Salzburger Nachrichten
daran'). In Salzburg selbst hatte man damals aber bereits ein-
heimische ältere Annalen, deren Spuren sich in den späteren Jahr-
büchern vorfinden'-'). Scheinbar bieten sich uns in diesen viel reichere
und vollständigere Aufzeichnungen dar, allein es läfst sich mit Be-
stimmtheit nachweisen, dafs diese erst im 12. Jahrhundert nach
Vermutungen und gelehrter Berechnung zusammengestellt wurden,
um die Düi'ftigkeit der alten Annalen zu ergänzen. Wie bedeutende
alte Quellen aber verloren gingen, und so lange sie noch vorhanden
waren, unbeachtet blieben, zeigen uns die von Riezler nachgewiesenen,
sehr wichtigen Fragmente, welche Aventin aus einem Buch von
„Herzog Thesseis Kanzler mit Namen Crantz" gerettet hat^).
Namen aus Lindisfarne finden wir auch an der Spitze der Jahr-
bücher von Fulda und von Corvey; letztere stammen aus der
angelsächsischen Stiftung Werden oder aus Münster, aber die 809
beginnenden Notizen reihen sich den alten Namen des 7. Jahr-
') Ann. Juvavenses majores 550 — 855, 976, leider mit einer grofsen
Lücke in der wichtigsten Zeit, MG. 1, 87 nach Eckhardt. Benutzung
der Ann. S. Amandi, wie Giesebrecht a. a. 0. S. 228 meint, scheint mir
zweifelhaft. Ann. Juravettses minores 742 — 814 (I, 88) sind 816 geschrieben;
über eine darin benutzte Quelle s. oben S. 163. Nach Auffindung der
Handschrift in Würzburg sind diese beiden Annalen leider nicht neu
abgedruckt, sondern SS. III, 122 mit keineswegs erschöpfenden Be-
richtigungen und Supplementen versehen. — Ann. Salish. 499 — 1049
(1, 89) von 784 an gleichzeitig, der Anfang saec. XII ergänzt, vorherr-
schend lokal. — Annales S. Emmerammi majores 74S — 823, minores 732
bis 1062, MG. I, 92-94. Wiederholt bei Karl Roth, Verzeichnis der
Freisinger Urkk. von Corb. bis Egilbert (München 1855) S. 89—92 nach
der Handschrift , vgl. Chroust , Monum. palaeograph. Lief. II Taf. 1 ;
minores jetzt auch SS. XIII, 47. Ann. Bawarici hreves 684 — 811, MG.
SS. XX, 8, ohne Grund in zwei Stücke geteilt, zu derselben Gruppe ge-
hörig; vgl. Arnold S. 50.
2) Den Ann. S. Rudberti, MG. SS. IX, 758.
') Ein verlorenes bayrisches Geschichtswerk des 8. Jahrhunderts,
Münch. SB. 1881, I, 247—291, vgl. S. 389. Einige Verbesserungen von
W. Meyer: Philol. Bemerkungen zu Aventius Annalen (Abh. d. Münch.
Ak. I. Kl. XVII, III) S. 762. Ders. weist S. 752 den Titel nach: „Vita
Thessaloni III scrij^ta a Creontio, qui Thessalono fuit ab epistolis, ine.
ab a. Chr. 771 usque ad a. 796" unter den von Aventin benutzten Quellen.
— Spuren davon in den Annales Salisb. cod. Monac. SS. XIII, 237. Die
Möglichkeit eines in der Form von „Crantz" wenig verschiedenen Namens
zeigt V. Oefele, HZ. LI, 154. Zustimmend Riezler im Nachwort zur Aus-
gabe von Aventins Werken III, 577.
Karl der Groi'se. 167
hunderts nui- ganz äuCserlich an'). Anders in Fulda, wo diese
irischen und angelsächsischen Namen nur in zwei Abschriften an die
Spitze gestellt sind, im Original abor schon um 760 der Rand der
Ostertafel mit den leider last ganz erloschenen Notizen von angel-
sächsischer Hand versehen wurde, welche, seit 790 von anderen
Händen fortgeführt, von 742 — 822 reichen. In einer anderen, jetzt
Kassler Handschrift, finden sich diese Annalen bis 814 angereiht
an einen Kaiserkatalog, dem auch jene altenglischen Annalen ein-
gefügt sind ; diese, ohne die Kaiser, und eine Fortführung bis 833
hat auch die dritte, jetzt Münchner Handschrift aus St. Emmeram^).
Hier also, wie in so vielen ähnlichen Fällen, sehen wir recht deutlich,
wie auch die dürftigsten Aufzeichnungen sich verbreiteten und als
wertvoll betrachtet wurden; bessere also, auch nachdem sie schon
in gröfserer Anzahl vorhanden waren, doch wenig Verbreitung ge-
funden haben müssen.
Die weitere Entwickelung dieser Annalen gehört einem späteren
Abschnitte an ; hier waren, wenn auch manchmal schon vorgegriffen
wurde, vorzüglich nur die ersten Anfänge zu betrachten, welche
noch im höchsten Grade dürftig und armselig sind , wie sie denn
auch in ihrer ursprünglichen Gestalt als Randbemerkungen zu Oster-
tafeln durchaus nicht den Anspruch machen , für litterarische Er-
zeugnisse zu gelten. Erst der lichteren Zeit des grofsen Karl ge-
hört der Gedanke an , diese Notizen mit anderen Nachrichten zu
einem Ganzen zu verbinden , und sie dann mit Absicht und Be-
wufstsein als gleichzeitige Aufzeichnung der Geschichte weiter zu
führen,
§ 4. Karl der Grofse. Allgemeines.
Betlinmim, Paulus Diaconus' Leben und Schriften, Arch. X, 247-334. C. F. Baehr,
De litterarum studiis a Carolo Magno revocatis ac schola palatina instaurata,
Heidelb. 1855, 4. Desselben G-eschichte der römischen Litteratur im karol. Zeit-
alter, Karlsruhe 1840. Phillips. Karl der Grofse im Kreise der Gelehrten, im
Almanach d. Kais. Akad. d. Wiss. 1856, S. 173—221. (Vermischte Schriften III,
93 ff. 415 ff.) F. Dahn, Urgeschichte der germ. u. rom. Völker IV (18»9). Litte-
ratur unter Karl d. Grofsen. Dümmler, Gedichte aus dem Hofkreise Karls des
Grofsen in Haupts Zeitschr. XII, 446^4ü0. S auch Waitz in Schmidts Zeitschr.
f. Gesch. II, 48 ff. Wilh. Scherer, Ueber den Ursprung der deutschen Litteratur,
Berl. 1864, vgl. Centralbl. Sp. 572. M. Büdinger, Von den Anfängen des Schul-
zwanges, Zur. 1865. Ger. Mej-er von Knonau, Ueber die Bedeutung Karls d. Gr.
f. d. Entwickelung der Geschichtschreibung im 9. Jahrh. Züricher Probevor-
lesung 1867. Menzel, Corssen, Janitschek, Die Trierer Ada-Handschrift, Leipzig
1889. S. Berger, Hist. de la Vulgata, Paris 1895. Traube, Textgesch. der Reg.
^) S. die Ausgabe von Jafie, Bibl. I, 32.
2) Annales Fühlendes antit/iii, ed. Pertz, MG. SS. III, 116, in Verbin-
dung mit Sickels Untersuchung der Wiener Handschrift, Forschungen IV,
454 — 461. Neue Ausgabe von Fr. Kurze, Ann. Fuld. p. 136 — 138.
IQQ II. Karolinger. § 4. Karl der Grofse.
S. Benedict! (Abhandl. der liayer. Akad. 3. Cl. XXI. 629 ff.)- — Jalirbüclier des
Frank. Reichs unter Karl d. Gr. I. von S. Abel 1866 (2. Ausg. von Simson 1888).
II. von B. Simson 1883. Dümmler, Poetae Latini aevi Carolini, I. 1881; II. 1884.
Eine lange Zeit der Finsternis liegt hinter uns. Nur geringe
und dürftige Spuren haben uns Zeugnis gegeben , dafs auch in
diesen traurigen Jahrhunderten das Bedürfnis historischer Aufzeich-
nungen nicht ganz erstorben war; wir haben gesehen, dafs mit der
beginnenden bessei*en Ordnung der Dinge, der Herstellung des
Reiches durch die karolingischen Hausmeier, auch einiges Leben
auf diesem Felde sich regte, dafs lebensfähige Keime zum A^'orschein
kamen. Aber noch ist fast alles namenlos ; seit Venantius Fortu-
natus und Gregor von Tours ist uns nirgends eine bedeutende Per-
sönlichkeit entgegengetreten. Das Frankenreich stand noch immer
an Bildung weit zurück hinter seinen Nachbarn, als Karl der
Grofse zum Throne gelangte, und die erste Hälfte seiner Regierung
war auch noch viel zu sehr vom Kriegslärm erfüllt, als dafs er
seine volle Aufmerksamkeit nach dieser Seite hin hätte wenden
können. Doch hat er in Italien schon im Jahre 776 den Gramma-
tiker PaulinusO mit einem Landgute beschenkt und wahrscheinlich
an den Hof mitgenommen, wo wir ihn in Gemeinschaft mit Petrus
von Pisa finden, befreundet mit Alcvin , der Angilbert als ihren
gemeinsamen Zögling bezeichnet. Wahrscheinlich 787 wurde er zum
Patriarchen von Aquileja erhoben. Verschiedene Gedichte kirchlichen
Inhalts haben sich von ihm erhalten und ein Buch der Ermahnung,
das er an den trefilichen Herzog Herich von Friaul richtete, welcher
mit ihm in treuer Freundschaft verbunden war und dessen Tode
799 er eine tiefgefühlte Totenklage widmete. Am IL Januar 802
ist er selbst gestorben.
Ohne Zweifel hat der Aufenthalt in Italien die Veranlassung
gegeben, dafs Karl aufmei'ksam wurde auf die unverkennbare Ueber-
legenheit, welche den Italienern ihre höhere geistige Bildung ver-
lieh; er fafste den Entschlufs , seine Franken von dem Joche der
Unwissenheit zu befreien, und von da ab finden wir ihn unablässig
^) „Venerabilis artis grammaticae magister." Er schrieb später gegen
Felix, nahm an den verschiedenen Synoden dieser Zeit teil, und starb
am n. Jan. 802. Opera ed. Madrisi 1737. Migne XCIX. Seine Briefe
Epp. r\^ 516—627. Vgl. Ebert II, 87-91. Dümmler, NA. IV, 113—118;
Poetae I, 123 — 148, darunter der Rhythmus de Herico duce Forojul. S. 131,
und die wahrscheinlich von ihm herrührende Klage um Aquileja S. 142,
vgl. v. Winterfeld NA. XXV, 392—395. Ausführlich handelt über ihn
Giannoni, Paulinus II, Patr. v. Aquil., Wien 1896. Ueber seine Hymnen
s. Traube, NA. XXVII. 790.
Karl der Grolse. 169
bemüht, mit allen Mitteln nach diesem Ziele zu streben'). Der
feste Grund geordneter äufserlicher Verhältnisse und einer neu ge-
kräftigten, von sittlichem Eifer erfüllten Kirche war bereits vor-
handen, und auf diesem Boden gediehen die Pflanzungen Kax-ls mit
dem überraschendsten Erfolge.
Schon regte sich's auch im Frankenreiche. Adam, Hajnhards
Sohn aus dem weinreichen Elsafs , Abt von Masmünster , kopierte
780 zu Worms des alten Grammatikers Diomedes Werk de oratione
et partibus orationis, und widmete es dem Könige in Versen, die
metrisch freilich mangelhaft, übxügens aber leidlich sind^). Im
folgenden Jahre 781, als Karl das Osterfest in Rom feierte, und
Papst Hadrian seinen Sohn Pippin aus der Taufe hob, begann
Godesscalc jenes Wunderwerk der Kalligraphie, das auf Purpur-
pergament mit Uncialschrift ganz in Gold und Silber geschriebene
Evangeliarium , welches Karl und Hildegard zum dauernden An-
denken dieser Feier anfertigen liel'sen. Proddus ac sapiens, Stu-
diosus in arte librormn heifst Karl in den Versen , durch welche
Godesscalc seinen Namen verewigt hat").
In diesem denkwürdigen Jahre traf auch Karl in Parma mit
Alcvin zusammen, den er schon früher als Boten des Yorker Erz-
bischofs kennen gelernt hatte, und veranlal'ste ihn an seinen Hof zu
ziehen; von demselben Heereszuge brachte er Paulus Diaconus,
dem der Grammatiker Peter v. Pisa schon vorangegangen war, mit
nach Frankreich^). Peter lehrte am Hofe Grammatik, unter welcher
^) Einen vermehrten Eifer, neue umfassende Mafsregeln weist Scherer
nach dem folgenden italienischen Feldzuge 787 nach. Ueber die Zusen-
dungen von Werken Gregors I. durch Hadrian zu kirchlichem Zweck,
aber doch auch litterarisch anregend, s. P. Ewald im NA. III, 440.
-) Keil, Grammatici Latini J, p. XXIX ; Delisle, Cabinet des Manu-
scrits I, 3. Poetae I, 93. Erst 30 Jahre alt, hatte er durch Karls Güte
die Abtei Masmünster (Masunvilare) erhalten, doch Avohl zur Belohnung
und Förderung seiner Studien.
^) Früher in Saint-Sernin de Toulouse, jetzt Hibl. Nat. nouv. acq.
lat. 1203, s. Bibl. de l'Ecole des Chartes XXXV, 85. Die Gemälde sind
nach antiken Mustern, die Randverzierungen jedes Blattes teils ebenfalls
römischen, teils irisch-englischen Ursprungs. Vgl. Piper, Karls d. Grol'sen
Kalendarium S. 36. Bastard, pl. 81 — S<). Dümmler, Poet, I, 94. Trierer
AdaHs. S. 85. Benutzung der Schreiberverse der Mensuratio orbis nach-
gewiesen von Traube, ^lünch. SB. 1891, S. 406.
"•) Diesen Petrus hörte Alcvin schon vor Karls Zeit in Pavia mit einem
Juden disputieren: ,Idem Petrus fuit qui in palatio vestro grammaticam
docens damit. " Ale. ep. ap. Jaffe, Bibl. VI, 54-^, Kpp. IV. '285; cf. Einh. V,
Karoli c. 25. Damals (799) war er schon tot. Dals Petrus schon vor
Paulus am Hofe wirkte, beweist das Gedicht Alcvins, Poet. Car. I, 222
V. 42. 45, vgl. Giannoni, Paulinus v. Aquil. S, 10, der es in das J, 777
setzen will. Gedichte von Angilbert u. Karl an ihn nach seiner Heim-
170 li- Karolinger. § 4. Karl der Grofse.
Bezeichnung die ganze Beschäftigung mit der lateinischen Litteratur
verstanden wurde. In Freundschaft mit Paulus wechselte er scherz-
hafte Verse mit ihm, und Karl selbst genofs seinen Unterricht und
bediente sich seiner, wenn er an diesem poetischen Verkehre teilnahm.
Aus Spanien flüchtig, wie es scheint, kam Theodulf zu Karl,
dessen geistreiche und formgewandte Dichtungen das lebhafteste
Bild von Karls Hof gewähren, während er als Staatsmann und
Bischof von Orleans eine bedeutende Wirksamkeit entfaltete. Sein
Gedicht an Karl nach dem Sieg über die Avaren 796 bietet uns
die eingehendste Schilderung des Hofes ^), wähi-end das lange und
ausführliche Gedicht an die Richter^) für die Zustände der Zeit un-
gemein lehrreich ist, und sein Capitulare^) die Ermahnungen und
Vorschriften für die Geistlichkeit seines Sprengeis enthält, welche
uns die reformatorischen Bestrebungen dieser Zeit zeigen. Unter
Ludwig in Ungnade gefallen und der Teilnahme an Bernhards Auf-
stande beschuldigt, verlor er sein Bistum und ist um 821 gestorben.
Eine etwas sagenhafte Nachricht über Komputisten und Gram-
matiker, welche Karl aus Rom in sein Reich berief, gibt Ademar
von Chabannes (SS. IV, 118). Schotten aus Irland hat er, wenn
wir dem Mönche von St. Gallen glauben dürfen , schon früher an
sich gezogen"*); hervorragend unter ihnen ist Dungal, der unter
kehr nach Italien hat Dümniler herausgegeben, Zeitschr. f. D. Alt. XVII,
141. 146; Poet. I, 75. 76. Wohl von ihm ist die lat. Grammatik eines
Petrus Grammaticus bei H. Hagen, Anecdota Helvetica (Suppl. ad Keilii
Gramm. lat.) S. 159—171. vgl. XCVI— XCVHl; Dümmler, Poet. I, 73
(die Verse auch in Mailand, Ambros. 0 95 sup. f. 34 aus dem 11. Jahrb.).
Seine Gedichte sind bei Dümmler S. 48 — 56 mit denen des Paulus Diac.
verbunden, vgl. S. 29; Hauck II, 155 — 156. Ueber eine Karl dem Gr.
gewidmete gramm. Hs. desselben s. Traube, Reg. S. Bened. S. 676. 726.
^) Dümmler, Poet. I, 483; II, 694—697. Ich begnüge mich jetzt, auf
diese so lange schmerzlich vermifste neue Ausgabe seiner Gedichte, mit
dem Vorwort, zu verweisen, S. 437 — 581; ein Nachtrag NA. VII, 401,
XI, 80 A. 7. Vgl. Ebert II, 70-84, Traube, Karol. Dichtungen (1888)
S. 66. 67. Hauck II, 164 — 168. Ueber die Grabschrift des Grafen Helmen-
gald, s. Puckert, Aniane S. 256. De Rossi bemerkt, dai's I, 557 das Epit.
Damasi papae, von ihm selbst verfafst, irrtümlich unter Th.s Gedichte
geraten ist (NA. XI, 313). Anklänge an ältere Dichter bei ihm, Mani-
tius, NA. XI, 561. Versuch einer zusammenfassenden Darstellung von
Cuissard, Theodulfe, Orleans 1892 (Memoires de la Soc. archeol. de l'Or-
leanais 1892, S. 1—350).
^) Poet. I, 493. Neue Ausg. v. H. Hagen in einem Berner Univ.-Progr.
V. 1882, vgl. NA. VIII, 422.
^) Theodulfi Opera ed. Sirmond. p. 1 — 28; Capitul. sec. bei Baluze,
Miscell. VII, 21—47, vgl. Traube, Reg. S. Ben. S. 645, Seckel im NA.
XXVI, 51 ff.
^) Cap. 1. Ueber Donat, Bischof von Fiesole (um 829—876), nach-
dem er vorher als Lehrer gewirkt hatte, s. Ozanam, Documenta inedits
Theodulf. Die Schotten. Aribo. 171
Waldos Obhut zu Saint-Denis lebte, und 810 an den Kaiser über
die Sonnenfinsternis dieses Jahres schrieb, vielleicht derselbe, welcher
825 in Pavia lehrte und 827 gegen Claudius kämpfte'): einer von
ihnen lebte am Hofe in heftiger Feindschaft mit Theodulf und An-
gilbert. Joseph, schon in England Alcvins Schüler und mit
Liudger befreundet, richtete an Karl als König einige sehr ge-
künstelte Verse mit Akrostichen^). Er ist vor Alcvin, also vor 804,
gestorben.
Vielleicht gehört zu ihnen auch Dicuil, in dessen 825 ver-
fafster Schrift de mensura orbis terrae^) der von Harun an Karl
geschenkte Elefant ervs^ähnt wird. Er verfertigte auch Verse
grammatischen Inhalts und ein poetisches Handbuch der Asti'onomie
in vier Büchern, welches er in den Jahren 814 — 81G vollendete und
Kaiser Ludwig überreichte. Dieses ist bis jetzt noch ungedruckt
geblieben.
Auch Bayern hatte unter den Agilolfingern, in enger Verbin-
dung mit Italien, bereits einen höheren Grad der Bildung erreicht.
Herzog Odilo hatte Cassinenser Mönche nach Mondsee berufen,
und Reichenauer nach Nied er- Altaich ; von hier entnahm Tassilo
den ersten Vorsteher seiner herrlichen Stiftung Kremsmünster.
Vor allem aber glänzte F reis in g unter seinem Bischof Arbeo
oder Aribo (764 — 78o) durch die Pflege der Wissenschaft^). Aribo
p. 48—57. Seine Vita vollständig Acta SS. Oet. IX, 65-5—662, vgl. Poet.
Carol. III, 691—692 und Davidsohn, Geschichte von Florenz, I, 83, For-
schungen S. 27.
') Ueber ihn und den Hiberniciis exul, welcher ein leider sehr frag-
mentarisch erhaltenes Gedicht auf Tassilos Abfall an Karl richtete, s.
Dümmler, NA. IV, 142. 2-54-2.56; Poet. I, 393—413. If. 664. Seine Briefe
Epp. IV, 570—585, vgl. 552. Traube, „0 Roma nobilis" (Abh. d. Manch.
Ak. I. Kl. XIX, 2, S. 3.32—337). Hauck II, 154— 15(;.
'^) Zuerst in H. Hagens Carmina Medü Aevi (Bernae 1877) p. 116 bis
124; jetzt bei Dümmler, Poet. I, 149—159. Einige Anklänge nachgewiesen
von Manitius, NA. XI, 558.
^) Ausg. von G. Parthey, Berl. 1870. Benutzung der Mensuratio orbis,
Traube, Münch. SB. 1891 S. 407. Vgl. Dümmler, 'NA. IV, 2-56 u. Poet. I,
666; auch Zimmer, Ueber die frühesten Berührungen der Iren mit den
Nordgermanen, Berl. SB. 1891 S. 279 ff.
*) Er erscheint von 7-54 — 760 als Schreiber in der bischöflichen
Kanzlei; als Freund der Franken fiel er gegen das Ende der Regierung
Tassilos bei ihm und Liutbirg in Ungnade, s. Graf Hundt, Ueber die
bayr. Urkunden aus der Zeit der Agilolfinger, Abh. d. Ak. III. Kl. XII,
182. 186, und was aus seinem Nachlafs im 44. u. 45. Jahresbericht des
bist. Vereins von Oberbayern (1883) S. VII— XVII aus einer unvollendeten
Abhandlung über Arbeo mitgeteilt ist. — Fabelhaft und von dürftigem
Inhalt ist die Vita Gumnlberti, eines Gutsherren und Pfarrers aus Pippins
Zeit in Michelsbuch, unweit des Einflusses der Isar in die Donau, Acta
172 II- Karolinger. § 4. Karl der Groise.
selbst verfafste in ungelenker und schwülstiger, aber von ange-
strengtem Studium zeugender Schreibart die Lebensbeschreibungen
der alten Glaubensboten Emmeram und Corbinian, deren wir oben
(S. 138) schon gedachten; als Diakonen aber finden wir an seiner
Kirche Arn iind Leidrad, und auch diese folgten einem Rufe
des grofsen Frankenkönigs. Arn erscheint in den Freisinger Ur-
kunden zuletzt 778; 782 erhielt er die Abtei von St. Amand.
Leidrad schrieb noch 782 eine Urkunde für Tassilo'), dann finden
wir auch ihn im Frankenreiche wieder, wo er neben Theodulf das
Amt eines königlichen Sendboten verwaltete, und von 799 — 813
dem Bistume zu Lyon vorstand, welches er dann seinem Schüler
Agobard übei'liefs , um sich in das Kloster des heiligen Medardus
zuz'ückzuziehen, woselbst er am 28. Dezember 816 gestoi^ben ist. In
Lyon war Claudius bei ihm und begann seinen Kommentar zur
Genesis, den er an des jungen Ludwigs Hof in Aquitanien voll-
endete, in Casanolio palatio bei Poitiers, wo 811 Faustinus das Buch
abschrieb").
So zog also Karl um das Jahr 782 von allen Seiten die Träger
wissenschaftlicher Bildung an sich und arbeitete von nun an unab-
lässig und unverwandt hin auf eine Wiederherstellung der antiken
SS. Jan. II, 591 — 595, doch dürfte vielleicht aus den alten Hss. in Mün-
chen und Adniunt eine bessere Form zu gewinnen sein.
^) lieber beide s. Meichelbecks Historia Frisingensis ; über Leidrad
Baehr S. 361, Graf Hundt a. a. 0. S. 181; seine Schriften gesammelt
bei Migne XCIX, 853—896, die Briefe Epp. IV, 539—546. Desvernay,
Lettr. de Leidrade (818—814), Lyon 1899. Ueber Hss., die er für die
Lyoner Kirche schreiben liels, Delisle, Notit. et extr. XXXV, 2 p. 831
bis 839. Giesebrecht erinnert dabei auch an jenen alten Agilolfinger
Wicterb, Bischof und Abt von St. Martin zu Tours, der 754 ja in
senex, inito nonagenarius aitt supra, dolentibus memhris et calighiantihus
oculis ein geistliches Werk für einen Regenten, doch wohl Tassilo, ab-
schrieb und unermüdet weiter schrieb, bis er 756 starb. Rettberg II, 269.
Dafs er Abt zu Tours war, darf nach der Notiz im Cod. Masciac. der
Ann. Petav. (MG. SS. III, 170) nicht bezweifelt werden; auch hatte damals
dieses Kloster seinen eigenen Bischof (Gallia Christ. XIV, 153), aber unter
die Regensburger Bischöfe gehört er doch nach seiner Erwähnung in den
Versus de ord. comprov. episcop. (SS. XIII, 352); das Verzeichnis der
Aebte von Grofs Sankt ]\Iartin in Köln dagegen ist eine Fälschung. ■ —
Ein merkwürdiges Schreiben eines (Iren?) Clemens an Tassilo, den
bayr. Episkopat u. Adel in Bezug auf die Eroberung und Bekehrung der
Carantanen hat Zierngibl in d. Neuen bist. Abb. d. baier. Akad. 1, 246
herausgegeben (wiederholt Epp. IV, 496), und Riezler, Gesch. Bayerns I,
155, zuerst benutzt.
^) Epistola ad Dructeramnum abb. (von St. ChaflFre) als Vorrede ; die
Vorrede zum Matthäuskomm, ist an einen Abt Justus gerichtet, s. seine
Briefe und Vorreden Epp. IV, ,586 — 613 und Dümmler, Ceber Leben und
Lehre des Bisch. Cl. v. Turin, Berl. SB. 1895.
Karls Akademie. 173
Kultur, deren Herrlichkeit seinen Geisterfüllte'). Wie er die alten
Kunstwerke nach Aachen luhrte und seine Bauten nach den Regeln
des Vitruv und den Mustern der Kirchen zu Ravenna und Rom
aufführen liefs, so liel's er auch die alten Schriftsteller nach den
alten Handschriften mit der sorgsamsten Genauigkeit abschreiben.
Aus Montecassino liefs er sich im Jahre 787 eine Abschrift von
dem Originalexemplar der Regula S. Bened. kommen. Staunend
bewundern wir die Prachtwerke seiner Kalligraphen, und nichts
ist vielleicht so charakteristisch für das was man damals erstrebte,
wie diese Handschriften mit ihrer Uncialschrift, ihren vollkommen
antiken Mustern nachgeahmten Verzierungen und Bildern. Ja, so
wie ein gewisser E. Modelle der antiken Säulen sich verschafft
hatte, welche Einhard benutzte, so wurden auch Sammlungen alter
Inschriften mit gröfster Sorgfalt zusammengestellt und die Siglen
der Juristen gesammelt und erklärt^).
Am Hofe hatte sich aus alter Zeit immer eine Hofschule er-
halten-'). Diese wurde durch Karl neu belebt; er selbst, seine
Kinder, seine Hofleute nahmen an dem unterrichte und den Uebungen
teil. Es erwuchs daraus neben der eigentlichen Schule eine Art
von Akademie, welche Karl und seine vertrauteren wissenschaft-
lichen Freunde zu regelmäfsigen Sitzungen vereinigte "*). In ähn-
^) „Quippe qui omniuni regum avidissimus erat sapientes diligenter
inquirere, et ut cum omni delectatione pbilosopharentur excolere. Ideo
regni a Deo sibi commissi nebulosam, et ut ita dieam paene caecam
latitudinem, totius scientiae nova irradiatione et huic barbariei ante
partim incognita luminosam reddidit Deo illustrante." Walafridi Praef.
ad Einhardi vitam Karoli, JafFe Bibl. IV. -507. Vgl. über Bücherschen-
kungen an ihn Traube, Reg. S. Bened. S. 673—676. 726.
^) Ueber die alten Inschriftensammlungen vgl. J. B. de Rossi, Inscript.
urb. Romae christ. II, 1. Was die notae juris betrifft, so überreichte schon
Karl dem Grofsen selbst Magno, Erzbiscbof von Sens (801 — 818). eine
Zusammenstellung der bei den Alten in juristischen Schriften gebräuch-
lichen Abkürzungen, zusammengestellt aus zwei anderen, die ihm in die
Hände gekommen waren. Mommsen, Laterculus notarum in Grammat.
Latt. ed. Keil TV, 28-5. 31-5. Ueber eine durch ihn veranlafste Formel-
sammlung Zeumer, NA. VI, 79. Karls Sorgfalt für die Berichtigung ver-
derbter Abschriften preist der Schreiber Winidharius im Wiener
Codex 743 (Poet. Carol. I, 89):
Qui sternit per bella truces fortissimus heros,
Rex Carolus nuUi cordis fulgore secundus,
Non passus sentes mendarum sei-pere libris,
Et bene correxit studio sublimis in omni. S. Epp. V, 138 n. 2.
^) Für Pippins Zeit nachgewiesen von Leon Maitre, Les ecoles epi-
scopales (Paris 1866) S. 34—37. Vgl. Rud. Sohm, Die fränkische Reichs-
u. Gerichtsverfassuncr S. 342 über das commetidare ad regem. Simson II,
570 ff.
*) Oebeke, De Academia Caroli Magni. Aachener Gymn.-Progr. 1847.
174 II. Karolinger. § 4. Karl der Grofse.
lieber Weise wie an den arabischen Höfen dieser Zeit, wux'den bier
poetische Episteln gewechselt, wissenschaftliche Aufgaben gestellt
und beantwortet, Rätsel aufgegeben und gelöst. Alle führten hier
Namen aus der Vorzeit, in denen heidnische und christliche Er-
innerungen in seltsamer Mischung erscheinen. So hiefs Karl selbst
David, Alcvin Flaccus, Einhard Beseleel nach dem kunstreichen Er-
bauer der Stiftshütte, Riculf Damoetas, Beornrad "von Sens Samuel,
Angilbert Homer; Audulf der Seneschalk und der Kämmerer Me-
ginfrid führten die idyllischen Namen Menalcas und Thyrsis. Naso
nannte sich selbst ein Dichter Modoin oder Muadwin, der von 815
bis nach 840 Bischof von Autun gewesen ist. In sehr ungelenken
Idyllen, nach dem Vorbilde der Eklogen Vergils und des Calpurnius,
feierte er David, den Kaiser, als Friedensfürsten und bewarb sich
um dessen Gunst ^). Die Standesverschiedenheiten der Gegenwart
wurden durch solche Verhüllung auf diesem Gebiete in den Hinter-
grund gestellt. Nicht zu bezweifeln ist, dafs Karl selbst eine für
jene Zeit nicht unbedeutende Bildung sich angeeignet hatte; Ein-
hards ausdrückliches Zeugnis, dafs es ihm nicht mehr gelingen
wollte, schreiben zu lernen, steht damit nicht im Widerspruche.
Man mufs erwägen, sagt Hauck (II, 121 A. 6) ganz richtig, dafs
das Schreiben eine Kunst war und dafs man damals ganz allgemein
zu diktieren pflegte. Seine gelehrten Briefe an Alcvin schrieben,
gewifs nach seiner Anweisung, die palaüni pueri"^).
Man wird durch dieses Treiben erinnert an die platonische
Akademie zu Florenz, allein es ist zwischen beiden doch ein grofser
Unterschied. Karl lag der Gedanke fern , die Litteratur nur wie
einen Gegenstand der müfsigen Unterhaltung zu seinem Vergnügen
zu pflegen ; sein Briefwechsel mit Alcvin zeigt uns, dafs seine Aka-
demie auch praktisch wichtige Fragen behandelte, und öfter einem
Ministerium der geistlichen Angelegenheiten ähnlich wird. Der
Herstellung des alten Glanzes und der Reinheit der Kirche mufsten
alle seine gelehrten Freunde mit ernstlicher Arbeit dienen^). Ueber
') Diese früher ganz unbekannten Dichtungen sind durch E. Dümmler
zuerst bekannt geworden, Poet. I, 382 — 392, und nach Entdeckung der
Darmst. Hs. besser NA. XI, 75 — 91 herausgegeben; vgl. Ebert II, 64—68.
Trotz der sehr fehlerhaften Form sind die Gedichte nicht unbeachtet
geblieben, und wurden von Ermenrich stark ausgebeutet.
2) Ep. Alcvini, Jaffe, Bibl. VI, 459, Epp. IV, 282.
^) Ueber die Libri Carolini, welche uns ferner liegen, bemerke ich
nur, dafs ihre Echtheit durch Auffindung des Cod. Vat. (wozu eine Hs.
der Pariser Arsenalbibliothek kommt) festgestellt ist, s. Reifferscheid im
Ind. lectt. Vrat. hib. a. 1873. Vgl. Leibn. Ann. Imp. Occ. ad a. 794.
H. Reuter, Geschichte d. relig. Aufklärung im Mittelalter I, (1875) S. 10
Karls Akademie. 175
die Bedeutung der Taiifgebrüuche , über den heiligen Geist und
andere theologische Gegenstände richtete er Kundfragen an seine
Bischöfe'). Allein das war doch auch wieder nur eine Seite der
Bestrebungen des Königs; ihm war es voller Ernst, sein ganzes
Volk auf eine höhere Stufe der Bildung zu heben , und deshalb
legte er überall Schulen an, und sorgte unermüdlich für die Pflege
und Hebung derselben'"). Sogar von Alcvin trennte er sich aus
diesem Grunde, und verlieh ihm 796 die Abtei des heiligen Martin
zu Tours, wo er von nun an als Leiter einer blühenden Schule
wirkte. Fast alle bedeutenderen Bistümer und Abteien des Franken-
reiches erhielten von hier aus ihre Vorsteher, und wo in der nächsten
Folgezeit von litterarischer Thätigkeit etwas zu melden ist, da
können wir mit Sicherheit darauf rechnen , einen Schüler Alcvins
zu finden. Weit genug erstreckte sich der Wirkungskreis dieser
Schule ; doch errichtete Karl für die entfernteren Teile seines Reiches
auch eigene Mittelpunkte, welche von seinem Scharfblicke Kunde
geben wie alles, was er gethan. In Italien besafs Pavia schon
von alters her gefeierte Lehrer, und diese Schule erhielt jetzt neuen
Glanz durch den Schotten DungaP); ihr Fortleben und bleiben-
des Gedeihen bezeugt der erst später durch Bologna verdunkelte
Ruhm der Rechtschule von Pavia.
Ein echt karlischer Gedanke war die Stiftung des Erzbistums
Hamburg an der Nordgrenze seines Reiches, die jedoch erst unter
seinem Nachfolger zu stände kam ; aber gerade in den fernsten
Osten liefs er Alcvins ebenbürtigen Freund, Arn, den Abt von
St. Amand, ziehen, dem Tassilo 785 das Bistum Salzburg verlieh'').
798 errichtete er hier dann ein Erzbistum, welches bestimmt war.
bis 13. Hauck TI , 31*5— 32G und besonders Hampe, NA. XXI, 95—99.
Abdr. Migne XCVIII.
') S. Capitul. reg. Francor. T, 246—248; Epp. TV, 529—531, 533—541,
V. 300. 642; F. Wiegand in den Studien zur Gesch. der Theol. u. der
Kirche IV, 1. A. Werminghoff. NA. XXVII, 580.
-) Ebert II, 8 über Karls Verordnungen. Simsen II, 567 über das
Sendschreiben an Baugulf. Hauck II, 186 ff. Diekamp im Hist. Jahrb. V,
259 gegen die unbegründete Verdächtigung desselben durch Harttung,
Dipl.-hist. Studien S.^ 319. 338 ff.
3) S. oben S. 171 Anm. 1.
*) Karls Zustimmung war ohne Zweifel erforderlich, um so mehr, da
Arn die Abtei Saint-Amand behielt. Zu A. Huber, Ueber das Vorleben
Arnos im Arch. d. W. Akad. XLVII, 197 — 217, ist zu bemerken, dafs in
der Urk. v. 779 (Meich. n. 57) dd David und nicht nrchidiacomis bedeutet,
der Diakon Arn ein anderer ist, und dafs in d. Urk. v. 776 (Meich. n. 48)
nobis auf den Aussteller Bisch. Aribo geht, und also für die Verwandt-
schaft Ams nichts austrägt. Vgl. auch Graf Hundt a. a. 0. S. 187.
176 II- Karolinger. § 4. Karl der Girofse.
ein fester iind segensreicher Mittelpunkt in politischer, kirchlicher
und littei-arischer Beziehung zu werden. Arn erfüllte seine Mission
in vollem Mafse; aus den Urkunden wie aus den Briefen Alcvins
an ihn ^) tritt uns das Bild des hervorragenden , nach allen Eich-
tungen thätigen Staatsmannes und Kirchenfürsten klar entgegen,
und wenn ihm auch zu schriftstellerischer Thätigkeit keine Zeit
blieb, so zeugen doch seine Bemühungen für die Sammlung eines
Bücherschatzes durch Abschriften von seiner Sorge für Schule und
Lehre-), wobei ihm von 797 — 801 Alcvins Schüler Wizo hilfreich
zur Seite stand. Die feindliche Erhebung des mährischen, dann des
ungrischen Reiches, die Errichtung selbständiger Metropolen im
Osten haben Salzburg nicht zu seiner vollen Entwickelung gelangen
lassen, doch auch in dieser Beschränkung ist die Stiftung des bay-
rischen Erzbistums von den bedeutendsten Polgen gewesen.
Ein wunderbarer Erfolg krönte diese Bemühungen Karls, und
er hattte das Glück, die Früchte seiner Mühen noch selbst zu er-
leben. Wie ein Phänomen in dunkelster Nacht erscheint plötzlich
die Litteratur des 9. Jahrhunderts; nicht nur Geistliche, auch Laien
schrieben Bücher, was seit Jahrhunderten nicht vorgekommen war,
und jahrhundertelang nicht wieder vorkommt^).
Denn von Dauer war dieser Glanz nicht : er verschwand fast
') Leider sind uns keine Briefe von Arn an Alcvin erhalten, Bibl, VI,
870, Epp. IV, 109 ein hübscher Brief von ihm an Cuculus, wie ein leicht-
fertiger Schüler Alcvins, wahrscheinlich Dodo, genannt wnrde. Wichtige
urkundliche Quellen aus seiner Zeit sind Indiculus Arnonis und Breves
notitiae Salzhurgenses, nach den bekannten und früher unbenutzten Hand-
schriften herausgegeben und mit Erläuterungen versehen von Friedrich
Keinz, München 1869 (vgl. Wattenbachs Anzeige in d. Heidelb. Jahrbb.
1870 S. 20—25) ; besser von Hauthaler, Salzb. Urkundenb. I, 1—52.
^) Mehr als 150 Bücher liefs er nach Angabe des Nekrologs schreiben,
MG. SS. IX, 770; vgl. Alcvins Brief. Bibl. VI, 525, Epp. IV, 320. Da-
runter ein Formelbuch, herausgegeben von Rockinger, Quellen zur bayri-
schen Geschichte, Bd. VII, von De Roziere, Revue bist, de droit franpais
et etranger, 1859, nach der Münchener und Kopenhagener Handschrift
und von Zeumer, Formulae p. 438 — 455. Ueber Arn Büdingers Oester-
reichische Geschichte 1, 147 ff., über Wizo 149; Allg. D, Biogr. I, 578.
Zeifsberg, Alcvin und Arno, Zeitschr. für österreichische Gymnasien, 1862,
S. 85 — 98. Derselbe, Arno, erster Erzbischof von Salzburg, Wiener SB.
(1863) XLIII, 305—381. VV. Giesebrecht, Königsannalen S. 199—202;
Hauck IT, 419—425 ; 447—452. Vgl. unten § 9.
^) Zu wai-nen ist vor dem immer wieder (noch von Prantl und
L. Maitre) angeführten unechten Diplom über die Errichtung griechischer
und lateinischer Schulen in Osnabrück, dessen ünechtheit zuletzt wieder
von R. Wilmans, Kaiserurkunden d. Provinz Westfalen, s. besonders S. 368,
und Sickel, Acta Carol. II, 428 nachgewiesen ist. Auch Bass MuUinger
wiederholte S. 70 unbekümmert die alte Fabel, hat sich aber in der
Revue bist. X, 183 selbst berichtigt.
Paulus Diaconus. 177
ebenso plötzlich, wie er gekommen war, aufs neue bedeckte Finster-
nis das Land, aber gerade in dieser Finsternis bewährte sich die
feste Begründung von Kai-ls Schöpfungen. So viel auch wieder
verloren ging, es blieb noch immer genug übrig, um als Grundlage
für alle Folgezeit zu dienen. Wir haben schon oben bemerkt, dafs
Karl sein Werk nicht erst begann , dals er den Boden vorbereitet
fand durch die Befestigung und Ordnung des Staates, durch die
Herstellung der Kirchenzucht, und dafs er nur dadurch im stände
war, so fest zu bauen. Es regten sich auch bereits einige Keime
litterarischer Thätigkeit, als er auftrat, aber ihre rasche und glän-
zende Entfaltung ist doch ganz sein Werk, und nicht mit Unrecht
sagte man im Mittelalter von ihm , dafs er den Sitz der Studien
von Rom nach Paris verpflanzt habe'). Zu einer Zeit, wo die Pa-
riser Universität als der ]\rittelpunkt der Wissenschaft betrachtet
wurde, galt er für den Stifter derselben. In dieser Form sprach
sich der richtige Gedanke aus, dafs Karl der Stifter einer neuen
Kulturperiode gewesen war.
§ 5. Paulus Diaconus.
Sein Leben ist erst genauer bekannt geworden durch die von Lebeuf entdeckten
und in der Dissertation sur l'histoire de Paris 1739 herausgegebeneu Gedichte,
die durch spätere Funde ergänzt wurden. Bethraann, Paulus Diaconus' Leben
u. Schriften, Arch. X, 247— 3a4. Bethmann, Die Geschichtschreibung der Lango-
barden, ib. 335—414. Langob. Regesten, nach Bethmanns Nachlass bearb. von
Holder-Egger, NA. III, 225-318. L. Ranke, P. D. Ges. Werke LI, 77—92. F. Dahn,
Des Paulus D. Leben u. Schriften, 1876 (die Gedichte in sehr schlechten Texten).
Vgl. die Anz.von G. Waitz, GGA. 1876 S. 1513-1523. Ebert II, 36-56. Bursian,
Gesch. d. Philol. I, 19. Balzani S. 63-86. Hauck II, 15.S— 161. Pasi). Del. Giudice,
Lo storico dei Longobardi e la critica odierna. Milano 1880, wiederholt in: Studi
di storia e diritto (1890) S. 1—43. C. Cipolla, Note bibliogratiche sul testo delle
opere di Paolo Diac,, Venezia 1901: Zusanimenstell. der Au>sg. u. Hss. (vgl. NA.
XXVII, 533). — Die Gedichte Poet. Car. I, 27—86, vgl. NA. IV, 102-112. 573;
X, IKi; XYII, 397—401. Traube. Karol. Dicht. S. 62. 63. NA. XV, 199 (die Verse
„Multa legit" zu streichen). Ein grammat. Gedicht Poet. Car. I, 625—628, vgl.
II, 698. Der Lobgesang auf den heil. Mercur kann nach Dümmler nicht von
P. D. herrühren, vgl. Dahn S. 17; Capetti, De Pauli Diac. carminib. in Atti e
memorie del congresso stör, in Gividale S. 63—116. Ein schon bekanntes Gedicht
wiederholt Hartel, Paulini Nol. Carm. JI, 356. lieber ein Epigramm des P. s.
Rubensohn, Neue Jahrb. f. Philol. u. Pädag. 1893 S. 764 ü'. Zu streichen Poet. I,
78 das Epitaph. Constantii, s. Hermes XXVIII, 33 ff. Ueber ein ihm fälschlich
zugeschriebenes Epigramm s. NA. XXV, 882.
Wie die Goten, so bewahrten auch die Langobarden ihres Volkes
Urgeschichte, die alten Sagen, die Grofsthaten der Väter, besonders
aber, worauf sie das gröfste Gewicht legten , die Folge und Ver-
^) Zuerst bei Jordanus de ijraerogativa Romani imperii, ed. Waitz
p. 70. In Vincontii Bellovac. Speculo bist. XXIII, 173 und daraus bei
Mart. Oijpav. wird Alcvin die Verlegung des Studium.s von Rom nach
Paris beigelegt. Vgl. auch G. Paris, Hist. poetique de Charlemagne p. 66.
"U'attenbach, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 12
178 II. Die Karolinger. § 5. Paulus Diaconus.
wandtschaft der Geschlechter , in ihren Liedern , die sich naündlich
vom Vater auf den Sohn vererbten. Sie aufzuzeichnen, keine leichte
Arbeit, mochte überflüssig erscheinen, so lange sie noch im Volke
lebten: doch gegen das Ende des 7. Jahrhunderts, um 670 hat ein
Langobarde aus ihnen die Geschichte seines Volkes entnommen, und
der Langobarden Herkunft, wie man davon sagte und sang,
in kurzen und schlichten Worten berichtet; in Umrissen nur, nicht
in ausführlicher Erzählung, aber was er uns gibt, ist unberührt
von der fremden Gelehrsamkeit, welche die gotischen und fränki-
schen Sagen entstellt hatO- ^^an fand darin doch etwas mehr als
in dem kahlen Königsverzeichnis, welches König Eothari 643 seinem
Gesetzbuche vorangestellt hatte; des Volkes Aelteste, welche das
Kecht sprachen und das Andenken der Vergangenheit festhielten,
tinigen darum auch dieses Schriftchen in ihr Rechtsbuch ein , wie
wir das so häufig wiederfinden in den Handschriften des Mittel-
alters, bei den Gesetzen der Westgoten und Franken so gut wie
beim Sachsenspiegel.
Es gab freilich damals bereits auch eine andere Geschichte der
Langobarden, verfafst von dem Knechte Gottes Secundus, Abt in
Trient (f 612), aller Wahrscheinlichkeit nach, wie R. Jacobi bemerkt,
demselben, welcher in Papst Gregors I. Briefen als Diaconus in Ravenna
vorkommt-); wir kennen sein Werk aber nur, weil Paulus seiner
^) Origo Geutis Laugohardorum , ZAierst in : Edieta regum Lango-
bardorum ed. opera et studio Caroli Baudi di Vesme. Aug. Taur. 1855,
vgl. p. LXXI— LXXXII. Ausg. v. F. Bluhme mit Chron. Goth. 1868 in
MG. Legg. IV, 641—647. Ausg. v. Waitz, SS. Lang. 1—6 (verwirft die
früher mit Baudi de Vesme angenommene erste Abfassung unter Rothari).
— Uebersetzung von Abel bei P. D. S. 1 — 8; vgl. Bethmann S. 851 — 365
und über die Sagen im allgemeinen S. 3-35 — 349. Hieraus geschöjjft,
aber erweitert auch mit Benutzung des Isidor, und mit einer Lobrede
auf Karl und Pippin versehen ist das um 810 geschriebene sog. Chron.
Gotliamun, d. h. aus der einst Fulder, jetzt Gothaer Handschr. der Volks-
rechte, in sehr barbarischer Form und Sprache; als Historia Langoba^-dorum
codicis Gothani bei Waitz S. 7 — 11. Fragm. aus einer and. Hs. bei Calli-
garis, s. unten. Platner, Forsch. XX, 172, vermutet erste Abfassung der
Origo im 6. Jahr Agilulfs (597), weil nur so weit im Chron. Goth. benutzt.
Mommsen, NA. V, 57 ff. sieht in der Origo einen Auszug aus dem Werke
des Secundus mit einer Fortsetzung, aus diesem habe auch Paulus ge-
schöpft; aber die Gegengründe von Waitz ib. S. 421 sind überwiegend.
Für Mommsen L. Schmidt, Zur Gesch. d. Langobarden (Diss. Lijjs. 1885),
NA. XIII, 2.36. 391—394. Nach E. Bernheini, Ueber die Or. gent. Lang.
(NA. XXI, 373 — 399) ist die Origo im Anschlufs an eine Königsreihe auf
dem Boden des Edikts entstanden. W. Brückner versucht ein deutsches
allitterierendes Gedicht als Quelle der Origo nachzuweisen, Zs. f. D. Altert.
XLIII, 47-58.
'^) R. Jacobi, Quellen der Langobardengeschichte, S. 63 — 84, stellt
zusammen, was er von Paulus' Werk für Secundus in Anspruch nehmen
Litteratur der Langobarden. 179
gedenkt, und es scheint wenig Verbreitung gefunden zuhaben. Ein
so frommer Mann ri'imischer Abkunft erzählte schwerlich von Wodan
und Freia, und mit der römischen Bildung haben die Langobarden
sich nur sehr langsam befreundet. Ein Römer scheint es auch ge-
wesen zu sein , der im Jahre 641 die oben S. '••2 erwähnte Fort-
setzung des Prosper verfal'ste. Von litterarischer Thätigkeit im
langobardischen Reiche finden sich weiter keine Spuren, man müfste
denn etwa des Abtes Jonas von Susa Schriften , deren wir schon
oben (S. 132) gedachten, dazu rechnen, der aber auch ein Romane
war. Sonst liegt noch ein um 698 in rhythmischen Trimetern ver-
falstes Gedicht von rohester Form vor, in welchem ein Magister
Stefanus den König Kunincpert feiert, der das Schisma von
Aquilegia beendigt hatte; auch seiner Vorfahren, die Arianer und
Juden verfolgten, wird rühmend gedacht')- Nicht minder roh in
der Form ist eine bald nach 738 verfal'ste rhythmische Beschreibung
von Mailand, worin König Liutprand und Bischof Theodor gepriesen
werden-).
Die Grammatiker jedoch, welche trotz aller Ungunst der Zeiten
ihre Thätigkeit in Italien immer fortgesetzt hatten, fanden allmäh-
lich auch unter den Langobarden Schüler, und als deren Herrschaft
sich ihrem Ende nahte, da hatten sie dem fremden Volke bereits
seinen Geschichtschreiber erzogen, der, wie Jordanis, nach dem
Sturze des Reiches wenigstens das Andenken desselben für die Nach-
welt treu bewahrte.
Paulus, des Warnefrid Sohn, aus einem edlen Langobarden-
geschlechte, das im Friaul begütert war, um 720 geboren, wurde
wahrscheinlich nach alter deutscher Sitte am Hofe des Ratchis
(744 — 749 ) zu Pavia erzogen ; als seinen Lehrer nennt er den Gram-
matiker Flavianus, dessen er noch in seinem hohen Alter mit Liebe
gedenkt^), wie er auch selbst grammatischen Studien zugethan war'').
zu können glaubt, und bekämpft Betlimanns ^Meinung, dafs der Contin.
Prosperi Havn. ihn gekannt habe. L. Schmidt hält sein Werk für eine
annaiistische Fortsetzung des Prosper.
') Aus 2 Hss. aus Bobio bei Oltrocchi, Eccl. Mediol. hist. Ligustica
(1795) II, 536. 579. 624 mit ausführlichem Kommentar. Waitz, SS. Lang,
p. 189—191. Paulus D. hat es nicht gekannt. Manitius S. 397. Vgl.
dazu W. Mever. Die Spaltung des Patriarchats Aquileia in den Abhandl.
der Gott. Ges. der Wiss. N. F. (1898) II, 5—6.
^) Poet. Card. I, 24—26, neu herausgeg. v. L. Traube, Karol. Dicht.
S, 119—122. Manitius S. 398.
^) Diesen vermutet Luc. Müller in einem oft angeführten Grammatiker,
Neue Jahrbb. f. Philol. XCIII (1866), 561. Dem aber widerspricht sehr
entschieden H. Hagen, Anecdota Helv. p. CLXIII.
■*) Ars Donati quam Paul. Diac. expos. ed. Amelli, Montecass. 1899.
180 II- Die Karolinger. § 5. Paulus Diaconus.
Auch dem Könige Desiderius soll Paulus lieb und wert gewesen
sein, und wenn auch die Zeugnisse dafür unzuverlässig sind, so ist
es doch an sich sehr wahrscheinlich, dafs er in der königlichen Kanzlei
Beschäftigung fand und eben dadurch in ein so nahes Verhältnis
zu der Herrscherfamilie trat. Im Jahre 763 verfafste er rhythmische
Verse über die sechs Weltalter, welche akrostichisch die Worte
Adelpcrga pia enthalten'), den Namen der Tochter des Desiderius,
welche seine Schülerin war; dieser und ihrem Gemahl Arichis war
er mit der wärmsten Anhänglichkeit und Freundschaft ergeben,
und an ihrem Hofe zu Benevent fand er eine Zuflucht nach dem
Falle des Reiches von Pavia, wenn er nicht schon früher die Königs-
tochter dorthin begleitet hatte. Für sie verfafste er hier seine
Römische Geschichte bis auf Justinian, deren wir schon oben
(S. 57) gedachten"). Er hatte der wifsbegierigen Königstochter den
Eutrop zu lesen gegeben, in welchem sie aber jede Erwähnung der
jüdischen und christlichen Geschichte vermifste. Deshalb versah er
das Werk mit Zusätzen und mit einer Fortsetzung aus verschiedenen
Quellen, und das Geschick nebst der umfassenden Litteraturkenntnis,
womit er diese Arbeit ausführte, hat lebhafte Anerkennung bei
Th. Mommsen gefunden, auf dessen Anordnung die Ausgabe von
H. Droysen die Gestalt von Zusätzen zum Eutrop erhalten hat").
Den zusammenhängenden Text des Paulus dagegen finden wir in
der Oktavausgabe.
Um diese Zeit dichtete Paulus auch für Arichis die Inschriften,
womit dieser seine glänzenden Bauten zu Salerno schmückte, und
S. besonders über die Pariser Hs. 7530 mit grammatischen Schriften,
welche Paulus gegen 779 schreiben liefs, Lejay in der Revue de philo-
logie XVIII, 42—52, doch ist diese Zeitbestimmung unsicher, s. Traube,
Textgesch. der Reg. S. Bened. S. 710.
») Waitz 1. I. p. 13. Poet. Car. I, 35.
^j Wie Del Giudice S. 25 f. nachzuweisen sucht, war er schon Mönch
und das Langobardenreich gefallen.
^) Von geringem Wert ist die Bearbeitung und Fortführung bis 813
von einem unbekannten Landulfus Sagax um das Jahr 1000, für die
spätere Zeit fast ausschliefslich aus der Kirchengeschichte des Anastasius
geschöpft, bekannt als Historia miscella (Ausg. v. Fr. Eyfsenhardt, Berl.
1869). Seine Originalhs. hat Heinrich IL (oder HI.) dem Kl. Corvey ge-
schenkt (Cod. Vat. pal. 909) : nach dieser auch die neue Ausg. von Fio-
rentini u. Rossi in Muratoris SS. rer. Ital. ed. alt. — Eutropi Breviarium
ab U. C. cum versionibus Graecis et Pauli Landolfique additamentis, rec.
H. Droysen, MG. Auctt. antiq. II. 1878 , 4. Pauli Historia Romana in
usum schob recusa, Berl. 1879, 8. Vgl. Waitz, GGA. 1879, S. 583—602.
H. Droysen. Zusammensetzung der H. R., Forsch. XV, 167 — 180. Mommsen,
NA. V, 53; Auctt. ant. IX, 258 n. 1.
Leben des Paulus Diaconus. \Q\
die Grabschrift auf die Königin Ansa^, welche 774 nach Frank-
reich abgeführt war, und deren Todesjahr unbekannt ist. Noch
feiert er darin Adelchis als die Hoffnung der Langobarden.
Wann Paulus in den geistlichen Stand eingetreten ist, dam er
seinen Beinamen Diaconus verdankt, wissen wir nicht; ebenso-
wenig, wann er das Mönchsgelübde abgelegt hat; doch gehörte er
zuerst, wie Traube scharfsinnig nachgewiesen hat^), dem Peters-
kloster bei Civate unweit des Corner Sees schon vor 774 an und
siedelte erst später (vor 782) nach Montecassino, dem grofsen Mutter-
kloster des Abendlandes, über. An jenem Orte verfafste er seine
ausführliche Auslegung zur Kegel des heiligen Benedikt. Vielleicht
führte ihn nach Montecassino die Anhänglichkeit an König Eatchis,
der hier als Mönch seinen Weinberg baute, vielleicht die Not nach
der Einziehung der Güter seiner Familie. Das stille Klosterleben
aber gewann bald einen solchen Reiz für Paulus nach den traurigen
Zeiten, die er durchlebt hatte, dafs er die heilige Stätte wohl nicht
wieder verlassen haben würde, wenn nicht die politischen Ereignisse
ihm auch hier keine Ruhe gelassen hätten.
Im Jahre 776 nämlich war im Friaul ein Aufstand gegen die
Franken ausgebrochen, dem vielleicht Paulus selbst nicht fremd war,
und wohl ohne Zweifel war dies die Veranlassung, weshalb sein
Bruder Arichis gefangen fortgeführt wurde und sein Vermögen
verlor. Lange scheint sich Paulus jeder Annäherung an die Franken
enthalten zu haben; als aber Karl 781 nach Rom gekommen war,
und in der Ordnung der italischen Verhältnisse seine Mäfsigun<T
und Milde bewährt hatte'), da richtete Paulus, sechs Jahre nach
jenem Ereignis, eine Elegie an den König, worin er ihn um Gnade
für seinen Bruder bat^). Damit begab er selbst sich zum Könige,
und schrieb am 10. Januar 783 von den Ufern der Mosel einen
Brief an seinen Abt Theudemar''), worin er noch den festen Ent-
schlufs ausspricht, in sein Kloster, nach welchem lebhafte Sehnsucht
ihn erfüllte, heimzukehren, sobald er den Zweck seiner Fürbitte
') Neue Ausgabe von Waitz, SS. Lang. S. 181; Dümmler, Poet.
Car. I, 45.
^) S. seine Textgeschichte der Regula S. Benedicti in den Abhandl.
der Münchener Akad. XXI. 639—642. 709— 71L Paulus' Kommentar ist
gedruckt Bibl. Casin. IV Floril. p. 1—173.
^) „Quod raro fieri adsolet, clementi moderatione victoriam tempeni-
vit." Pauli Gesta epp. Mett. p. 268.
■') Versus ad regem precando . wiederholt bei Waitz, S. 15; Poet.
Car. J, 47.
'-) Wiederholt bei Waitz, S. 16; Epp. IV. 506—508.
|g2 II. Die Karolinger. § 5. Paulus Diacouus.
erreicht habe. Er rühmt aber sehr die gute Aufnahme, welche er
gefunden habe. Es war gerade die Zeit, in welcher Karl die Ge-
lehrten aller Länder an seinem Hofe versammelte, und Paulus liefs
sich doch bestimmen, einige Jahre an dieser ersten frischen Ent-
faltung litterarischer Thätigkeit sich zu beteiligen. Noch haben
sich Verse erhalten, welche in Karls Namen Peter von Pisa au ihn
richtete^), wo in scherzhafter Uebertreibung seine Gaben und Kennt-
nisse gefeiert wex'den. Eben wolle er seine Tochter nach Griechen-
land verheiraten, sagt Karl, und Paulus solle ihre Begleiter in
dieser Sprache unterweisen. Bescheiden und aufrichtig lehnt Paulus
die Lobsprücbe und den Auftrag ab , und ebensowenig wird er,
was ihm in ähnlicher Weise zugemutet wurde, die Bekehrung des
Dänenkönigs Siegfried versucht haben. Einige Kenntnis der grie-
chischen Sprache, welche man bei der Nachbarschaft nicht gut ent-
behren konnte, hatte er, wie er selbst sagt, in der Schule erworben,
aber weit wird dieselbe nicht gereicht haben. Er dichtete aber
Grabschriften für die Königin Hildegard (f 783) und für deren
sowie für Pippins Töchter, und verfakte auf Karls Befehl die Ho-
miliensammlung, welche der Unwissenheit der Geistlichen in wirksamer
Weise zu Hilfe kam'-j. Diese wird er jedoch, wie Dahn nachgewiesen
hat, erst in Montecassino ausgearbeitet haben.
In eben dieser Zeit schrieb Paulus auch auf Bitten des Bischofs
Angilram von Metz die Geschichte von dessen Vorfahren auf dem
Stuhl des heiligen Clemens^). „Mit besonderer Ausführlichkeit be-
>) Bei Waitz S. 17; Poet. Car. I, 48.
2) Bethmann, Arch. X, 296 u. 301 : Poet. Car. I, 68, und die schönen
Widmungsverse eines Exemplars von Ebrard an den h. Germanus. Poet.
Car. I, 4S2, verb. von Traube, Reg. S. Ben. S. 699. G. Loeck, Die
Homiliensammlung des P. D. als unmittelbare Vorlage des Otfridischen
Evangelienbuches, Kieler Diss. 1890; über diese Sammlung, welche in
ihrer ersten Gestalt noch nicht bekannt ist und die ihr vorangegangene
des Bischofs Egino v. Verona, der schon 799 in Reichenau lebte und da-
selbst 802 starb, handelt ausführlich V. Rose im Verzeichn. der lat. Meer-
man-Hss. (Berl. 1892) S. 81—95. 457. Wiegand, Das Homiliarium Karls
des Grofsen, Leipzig 1897.
3) Gesta ejmcojm-itm Mettensium ed. Pertz, MG. SS. II, 260—270. Im
Auszuge übersetzt bei 0. Abel, Einhards Jahrbücher S. 1—8. Ueber die
von Freher benutzte Hs. (jetzt in Bremen) Dümmler, NA. III, 187. Andere
nachgewiesen im Catal. des Mss. des Depart. V, p. LXII. Ueber die
späteren Interpolationen den h. Clemens betreffend s. Paulus im Lothring.
Jahrb. 1895 S. 33 flg. Die nach Bethmanns Vermutung (Arch. X, 294)
von ihm herrührenden Versus de episcopis Meftenslbus bis auf Angilram,
Poet. Car. I, 60. SS. XIII, 803—305. — Durch weitere Ausführung mifs-
verstandener Worte des Paulus entstand aus den Gesten mit Benutzung
des Fredegar und seiner Fortsetzer unter Ludwig dem Frommen die
Domiis CaroUngicae genealogia, MG. SS. II, 308, XIII, 245 von Waitz als
Schriften des Paulus Diaconus. 183
handelte er darin die Familie und die Ahnen Karls des Grofsen,
vielleicht", wie Bethmann sagt, „auf dessen eigenen Wunsch oder
wenigstens ihm zu Gefallen, und nicht undeutlich blickt die Absicht
durch, die Thronbesteigung der Karolinger zu rechtfertigen und sie
als ein durch Heilige gleichsam legitimes Herrscherhaus darzustellen."
Doch hat gegen diese Auffassung Bonnell') nicht unerhebliche
Gründe geltend gemacht, und nur die Verherrlichung des Ahn-
herrn Arnulf im Anschlufs an dessen ältere Lebensbeschreibung be-
stehen lassen.
Paulus gab in diesem Werke das erste Beispiel und Vorbild
der Bistumsgeschichten. Eine Biographie Gregors des Grofsen hat
Paulus nach seiner eigenen Angabe geschrieben und sie hat sich
erhalten-); dafs er gleichfalls derjenige Paulus war, welcher eine
kritisch verbesserte Auswahl aus Gregors Briefen an Adalhard
schickte, ist mindestens sehr wahrscheinlich^). Daher auch der in
einem Schreiben Hadrians I. (Bibl. IV, 274, Epp. DI, 626) erwähnte
Paulus gramraaticus, welcher Gregors I. Sakramentar für Karl von
ihm erbeten hatte, für den unsrigen zu halten ist.
So wahrhaft und innig auch die Liebe gewesen zu sein scheint,
Genealogia regum Francorum wiederholt, welche nach Bonneil, Die An-
fänge S. 6 ff. mit Ludwigs aquitanischem Königreich in ^'erbindung steht,
indem sie ihm romanische Ahnen gibt und an südfranzösische Heilige
anknüpft. Ueber die Leipz. Hs. Rethfeld, NA. XIII, 243. Die Genealogia
S. Arniilfi ib. ist eine Fälschung von Yignier, NA. XI, 63L Waitz hat
aufser dieser andere ähnliche Stücke hinzugefügt, welche in Geneal. d.
franz. Könige u. Grafen von Flandern übergehen. S. 720 — 729 Historiae
Francorum Steinveldensef^. SS. XXV, 381 — 384 Genealogia Carolortini
Mettensis von 1164 ed. Heller; daran anschliefsend Geneal. ducum Bra-
hantiae, p. 385 — 413. Durch dieselbe Genealogie ist als später entstanden
kenntlich der Libellus de Maioribus domu>t. Mit der Gen. sind in der
Ausgabe von Pertz verbunden die Versifizierung derselben zu Ehren
Karls des Kahlen : Origo et exordium gentis Francorum (wiederholt Poet.
Car. II, 141) und Regum Mei-oiringnrum genealogia et catalogus, p. 307 ;
cfr. III, 19. 214. X, 138, und dazu die Bemerkung von Ermisch, Die
Chronik des Regino S. 22; weitere Catalogi regum et imperatorum
SS. XIII, 264—271. 742. Eine neue Geneal. Karl Martells, mitget. von
Mommsen in der Zs. f. D. Altert. XXXVI Anz. S. 298, in welcher Arnulf
fehlt (vom Abschreiber entweder entstellt oder übersprungen), die höheren
Glieder bis auf die Anknüpfung an Anchises aber echt sein können.
M Die Anfänge des karolingischen Hauses, S. 45.
2) S. darüber Bethmann im Arch. X, 303: NA. XII. 603 über die
neue Ausgabe von Grisar, Zts. f. kath. Theol. XI, 162—172 (1887), worin
mit den Interpolationen auch alle Andeutungen über den Aufenthalt
des Vfs. in Rom fortgefallen sind, üeber H.ss. in Italien NA. XXVI,
330—334. Die Autorschaft des P. D. ist sicher.
3) S. Ewald, NA. HI, 472 ff. 484. 624 u. NA. VI, 246 über die in
Petersburg wiedergefundene Handschrift: Faksim. in Epp. II, p. XVI,
vgl. p. XXVI.
]^84 11- Die Karolinger. § 5. Paulus Diaconus.
welche den langobardischen Mönch mit dem Besieger seines Volkes
verband, auf immer liefs er sich doch nicht am Hofe fesseln. Die
immer zunehmende, endlich bis zum Kriege gesteigerte Feindschaft
zwischen Arichis und Karl mag ihm wohl zuletzt den Aufenthalt
daselbst vollends verleidet haben, obwohl sein persönliches V^er-
hältnis zum Könige auch durch diese Vorfälle nicht gestört wurde.
Doch finden wir ihn 787 wieder in Montecassino, wo er die schöne
Grabschrift für den am 25. August verstorbenen Fürsten Arichis
verfafsteO- Den Abend seines Lebens widmete er von nun an in
ungestörter Ruhe frommen Betrachtungen^) und der Geschichte
seines Volkes; so verfafste er die sechs Bücher seiner Geschichte
der Langobarden^), die er leider unvollendet hinterlassen hat,
denn die letzten Bücher stehen stilistisch und sprachlich gegen die
früheren etwas zurück. Er erfüllte damit das schon in der Wid-
mung der Römischen Geschichte der Adelperga gegebene Versprechen,
sie bis auf seine Zeit fortzusetzen.
Als einen bedeutenden Historiker können wir Paulus freilich
nicht betrachten. Die Sprache weifs er in seinen Gedichten mit
Leichtigkeit und Anmut, wenn auch nicht fehlerfrei, zu bebandeln '')
1) SS. III, 482; Poet. Car. I, 66.
2) Der Brief an Karl im Namen des Abts Theudemar (Epp. lY, 509
bis 514, vgl. NA. XXII, 668) ist faks. bei der Beschreibung des cod. 179
Bibl. Casin. IV, 39—41. Ueber diesen Kommentar u. die Epit. Festi s.
K. Neff, De Paulo D. Festi epitomatore, Diss. Erl. 1891; Traube, Reg.
S. Bened. S. 705—708.
^) Die lange erwartete neue Ausgabe ist von Waitz vollendet: SS.
Rer. Langob. et Ital. saec. VI— IX. ed. G. Waitz 1877. 4; S. 193—197
Epitomae, S. 198—220 Coniinuationes , von geringer Bedeutung. Anz.
V. Bishop im Dublin Review, Apr. 1879, von Monod, Revue erit. 1879,
I, 272—276. Uebersehene Hs. der Klasse D. Christ. 597, NA. X, 165.
231. Cod. 96 = 105 ist jetzt in Paris Nouv. aquis. lat. 1602. Ueber eine
unvollständige Hs. aus Novalese (jetzt in Cheltenham) s. Hampe im NA.
XXII, 234—239, von der Friauler Hs. des 9. Jahrh. (A 1) lieferte Gius.
Vettacb einen diplom. Abdruck mit 2 Faksimiletafeln: Arclieografo
Triestino N. S. XXII fasc. 2. Ueber die umgearbeitete Bamberger Hs.,
welche Spruners Uebersetzung zu Grunde liegt, s. Waitz im Arch. IX,
673—703, über eine verwandte in Oxford R. Pauli im NA. 11, 101—168.
G. Calligaris über eine Hs. in Turin im Bull, dell' Istituto stör. Ital. n. 10,
S. 31 ff. u. Studien zur Kritik des Paulus in Mem. della R. Deputazione
di storia patria per la Venezia 1890 (NA. XVII, 224). — Uebers. v.
0. Abel 1849, 2, A. v. Reinh. Jacobi 1878, Geschichtschr. 15 (VIII, 4).
— Ueber den Weg, auf welchem die Lang, gekommen, Virchow in Verb,
d. Berl. Anthropol. Ges. v. 17. Nov. 1888, S. 508—532 (NA. XV 211).
Chroust, Ortsbestimmung, nach Pogatschnigg, NA. XV, 585.
■*) Die von Dümmler NA. X, 165 nachgetragenen Verse sind in scherz-
hafter Absicht, im Anschlufs an vorhergehende ähnlicher Art, mit Be-
obachtung rhythmischer, nicht metrischer Regeln gemacht.
Die Langobardengeschichte. 185
und in der Erzählung zieht uns ihre schmucklose Einfachheit an.
Von der gesuchten Gelehrsamkeit und Ueberkünstelung sowie von
der barbarischen Roheit des 7. .Jahrhunderts ist er frei, und für
sein Zeitalter ist seine gelehrte und sprachliche Bildung aafser-
ordentlich hoch anzuschlagen'). Allein historische Kunst oder tiefere
Auffassung dürfen wir bei ihm nicht suchen. In der Geschichte
der Bischöfe von Metz berichtet er anfangs die fabelhafte Lokal-
tradition, ohne ein Urteil darüber auszusprechen, als Sage, dann
schupfte er seine Nachrichten aus Gregor, Fredegar und dem Leben
Arnulfs ; was er aus der neueren Zeit hinzufügt, ist wenig erheblich,
wie denn auch dieses ganze Werk über einen ihm fernliegenden
Gegenstand, auf den Wunsch seines Gönners verfafst, zu keinen
höheren Ansprüchen berechtigt.
Anders verhält es sich mit der Geschichte der Langobarden.
Leider reicht sie nur bis zum Tode Liutprands (744), und es fehlt
uns also die Darstellung der Zeit, welche der Verfasser selbst durch-
lebt hat. So weit er aber mit seiner Arbeit gekommen ist, finden
wir auch hier nur einfache Erzählung, zusammengesetzt aus der
mündlichen üeberlieferung iind schriftlichen Quellen, wie der Origo,
Gregor von Tours, Beda, den Briefen Gregors des Grofsen, den
Leben der Päpste u. a. m.-). Aus diesen nimmt er ganze Stücke
auf, ohne sie eigentlich zu. einem Ganzen zu verarbeiten; in der
Kritik, sogar in der Sorgfalt und Genauigkeit bei Benutzung seiner
') Waitz, Ueber die handschriftliche Üeberlieferung und die Sprache
der H. Langobardorum, NA. I, 53.3 — 566. Die Ausgabe bietet doch nicht
die barbarische Sprache, welche die ältesten Handschriften enthalten.
Es kommen allerdings grobe grammatische Fehler vor. und zwar in den
letzten Büchern zunehmend. Da ist in Anschlag zu bringen, dals das
Werk unvollendet blieb.
^) Bethmann, Arch. X, 314. R. Jacobi, Die Quellen der Langobarden-
geschichte des P. Diaconus, Halle 1877. Lib. pontificalis ed. Mommsen I,
p. CVl ; Ejtp. II, XXVI. Kontroverse über den von ihm benutzten Cata-
logns provinciarum und verlorene annalistische Quellen, auch im Cont.
Havniensis, zwischen Mommsen u. Waitz. NA. V, 51 — 103 u. 417 — 424.
XI, 633. K. NefiF, NA. XVII, 204—208 gegen Waitz. Mommsen, Ueber
das Verzeichnis der Provinzen bei Paulus in der Einleitung zur Ausg. der
Nomina provinciarum, Auctt. antt. IX, 524 S. — Die auch von P. be-
nutzten bist. Stellen aus Gregors Dial. SS. Lang. p. 524 — 540. — Be-
nutzung des Fredegar, von Waitz geleugnet, behauptet Monod, Revue
crit. Is79, I, 276. Ueber die Quelle von HL. I. 25 über Justinians Gesetz-
gebung s. Th. Mommsen u. Fitting, NA. III, 185. 399—402. Zu III,
9. 31 Malfatti im Arch. stör, per Trieste, L'Istria e il Trentino II, fasc. 4,
1883. Zu VI, 54 W. Maiiens Pol. Gesch. d. Langobardenreichs unter
K. Liutprand, Heidelb. Diss. 1880, Exkurs S. 66—71. Ueber die Quellen
des P. zur Gesch. des Schismas von Aquileja s. Cipolla, Atti e mem. del
congrr. stör, in Cividale S. 117 — 140.
18(5 n. Die Karolinger. § 6. Alcvin.
Gewährsmänner erscheint er schwach, höchst verwirrt in der Chro-
nologie, und obwohl seine eigentliche Aufgabe die Volksgeschichte
der Langobarden ist, nimmt er ohne rechtes Mals doch auch Ferner-
liegendes auf. Läfst er aber demnach als gelehrter Geschicht-
schreiber viel zu wünschen übrig, so entschädigen uns doch dafür
andere sehr wesentliche Vorzüge, die einfache Klarheit seiner Dar-
stellung, die lautere Wahrheitsliebe, die ihn von allem in unge-
schminkter Geradheit berichten läfst, die Wärme des Gefühls für
sein Volk, welche sich auch ohne ruhmredige Verherrlichung be-
sonders in der Aufzeichnung der alten Sagen kundgibt. Sehen
wir nun aber vollends auf den materiellen Wert seiner Geschichte,
so ist derselbe unbedenklich als ganz vinschätzbar anzuerkennen,
wir vei'danken ihm eben die Bewahrung jenes reichen, durch keine
spätere Gelehrsamkeit verfälschten Sagenschatzes, und über die Ge-
schichte der Langobarden , was er aus dem Secundus von Trident
und anderen verlorenen Quellen schöpfte sowohl wie die Aufzeich-
nung mündlicher ü eberlief erung: rettungslos würde alles dieses nach
dem Sturze des Reiches dem Untergang verfallen sein, wenn nicht
des alten Mönches Hand es mit treuer Liebe aufgezeichnet hätte.
§ 6. Alcvin.
Alcuini opera ed. Frobenius (Proben Forster, Fürst-Abt zu St. Emraeram), 4 Bände,
fol. Ratisb. 1777. Danacli bei Migne, C. CI. Neue Ausgabe der Briefe u. bist.
Schriften nach Jaffes Vorarbeit von Dümraler u. Wattenbach, ßibl. VI. 1873, Die
Briefe, Epp. IV, 1-481; V, «13—845 (vgl. NA. XXIV, 762). Alcuins Leben von
F. Lorentz, Halle 1829. Monnier, Alcuin et Charlemague , Paris 185,( , 1863.
J. Bass MuUinger, The schools of Charles the Great and .the restoration of
education in the ninth Century, Lond. 1877. A. F. Thfery, L'Ecole et l'Acadfemie
Palatines. Alcuin, Amiens 1878. Dümmler, Art. Alcuin, Allg. D. Biogr. I, 343
bis 348 und Zur Lebensgesch. Alchvins, NA. XVIII, .51—70. K. Werner, Alcuin
u. sein Jahrh. 2. Ausg. 1881. Ganz fabelhafter Brief über die Herkunft der Bene-
ventaner unter Alcvins Namen NA. I, 169—172. — Vgl. Ebert II, 12— 3G. (Kantor,
Gesch. d. Mathematik I, 712-721. Hauck 11, 123—153; W. Puckert, Aniane und
Gellone 248—258. Alcuin and the Rise of the Christian Schools by Andrew
Fleming West, Prof. in the Princeton College, New York 1892, schildert die Lehr-
thätigkeit und deren Nachwirken.
Alchuine, wie die ursprüngliche Form lautete, oder Alcvin
nannte sich gern in mehr lateinisch klingender Form Albinus. Ver-
wandt mit Willibrord, dessen Leben er auch beschrieben hat, wurde
er aus angesehenem und begütertem Geschlechte um das Jahr 730
in Northumberland geboren. Seine Bildung verdankte er der aus-
gezeichneten Domschule in York, vielleicht seiner Vaterstadt, unter
der Leitung Egberts, der seit 732 Erzbischof war, und Aelberts,
der Alcvin mit sich nach Rom nahm, als er nach der Sitte dieser
Angelsachsen dahin reiste, um Handschriften auf dem dortigen
Markte zu erwerben, der noch immer bedeutend und damals wohl
Akvin im Frankenreiche. 187
der einzige im Abendlande war. Im Jahre 766 wurde Aelbert zum
Erzbischof erhoben, und Alcvin folgte ihm in der Leitung der Dom-
schule. Der Auftrag, für Eanbald das erzbischöfliche Pallium vom
päpstlichen Hofe zu holen, führte ihn 781 wieder nach Rom, und
auf dieser Reise war es, wo er zu Parma mit Karl zusammentraf,
an den er schon früher einmal eine Botschaft gebracht hatte'), und
von ihm die Einladung erhielt, welche ihn vermochte, im folgenden
Jahre an Karls Hof zu kommen, wohin ihm später seine Schüler
Wizo'-), Fridugis^ und Sigulf^) nachfolgten. Die Einkünfte der
Abteien zu Ferrieres und des heiligen Lupus zu Troyes sicherten
ihm eine ansehnliche Stellung, während er in der Hofschule vor
alten und jungen Zuhörern seine Vorträge hielt. Auch hier war
es durchaus nicht allein auf dilettantische Belehrung der Hofleute
') Vita ed. Arndt c. 9. Dafs der 773 von Karl an den Papst geschickte
Albinus Alcvin gewesen wäre, wie Jaffe p. 144 n. 1 annimmt, scheint
mir unmöglich. Leibniz, Ann. Imp. I, 40 hält ihn nach Albericus für den
Bischof von Angers.
^) Genannt Candidus, von 797 — 801 bei Arn in Salzburg.
2) Genannt Nathanael, von 819 — 832 Kanzler; wahrscheinlich führte
er das bessere Latein in die Kanzlei ein und veranlafste vielleicht die
Sammlung der Carpentierschen Formeln in tiron. Noten, jetzt MG. For-
mulae p. 285 als Formulae imperiales e curia Lud. pii; vgl. Sickel, Acta
Kar. I, 89—95 u. 160, B. Simsen, Ludw. d. Fr. II, 235—238. Max Ahner,
Fredegis von Tours, Leipz. 1878. Ueber seine durch Karl den Gr. ver-
anlalste Schrift de niliilo et de tenebris (Epp. V, 552 — 554) Prantl, Gesch.
d. Logik im Abendland 11, 17 — 19; Reuter, Gesch. d. relig. Aufklärung
im Mittelalter,!, 274; Ebert II, 221. Er war Alcvins Nachfolger als Abt
von St. Martin, wo die Regel des h. Benedikt schon vorher nicht eigent-
lich herrschte ; im Gegensatz gegen Alcvins Zeit ist von ihm kein Schüler
namentlich bekannt. Bei Herolds Taufe in Mainz erscheint er mit seinen
Schülern. Bücher schrieb unter ihm und für ihn Adalbaldus jDresb.,
der sieh artifex nannte, Delisle, Notice des Mss. de Tours, p. 81 — 83;
L"ecole calligr. de Tours p. 20. Desnoyers u. Delisle in Comptes rendus
des Seances de l'Acad. des Inscr. 1886 mit Monogramm. Album pal. pl. 21.
Ueber andere Tironische Kalligraphen unter ihm s. Traube, SB. d. bayer.
Akad. 1891 S. 425—428. Ein sehr schlechtes Andenken hinterliefs Fri-
dugis in St. Bertin, wo er gleichfalls 820 Abt wurde, wenn wir Folcwini
Gesta abb. S. Bert. MG. SS. XIII, 614, und daraus in Folcards V. S. Ber-
tini und bei Bovo, De elevatione S. Bertini Glauben schenken dürften,
doch hat ihn Puckert (Aniane u. Gellone S. 259—292) dagegen in Schutz
genommen, vgl. Hauck II, 148 — 150, der einen vermittelnden Standpunkt
einnimmt. Nach seinem Tode 834 folgte in St. Martin Adelard, unter
dem durch Amalrich, der 849 Erzb. v. Tours wurde, die Schule wieder
aufblühte (vgl. unten § 20). Dann folgt 845 Graf ^'ivian als erster
Laienabt.
■•) Genannt Vetulus, später als Alcvins Nachfolger Abt von Ferrieres
und Stifter der dortigen Schule. Er räumte seinen Platz Adalbert, der
die Bened. -Regel einführte, und wurde selbst, unter ihm Mönch; dann
folgt Aldrich bis 829, Odo, der abgesetzt wird, an dessen Stelle 22. Nov.
841 Lupus tritt.
188 ^I- Die Karolinger. § 6. Alcvin.
abgesehen , sondern die vielen Söhne vornehmer Franken , welche
nach alter Sitte zur Erziehung an den Hof gebracht wurden , ei*-
hielten hier alles Ernstes ihre Ausbildung zu Staatsmännern und
Bischöfen. Nach Alcvins eigener Angabe war sein vorzüglichster
Beweggrund nicht etwa wissenschaftlicher Eifer, sondern die Sorge
für Aufrechterhaltung der Rechtgläubigkeit im Frankenreicbe^),
wie denn überhaupt der kirchliche Standpunkt bei ihm durchaus
mafsgebend ist.
Im Jahre 789 kehrte Alcvin nach England zurück, wo wir ihn
aber auch schon 786 an Synoden teilnehmen sehen, deren Beschlüsse
er abgefafst zu haben scheint, doch die heftigen Streitigkeiten über
Adoptianismus und Bilderverehrung veranlafsten Karl, ihn von
neuem dringend einzuladen, und die inneren Unruhen, welche Eng-
land zerrissen und Alcvin sogleich wieder in die ihm verhafsten
politischen Händel verflochten hatten, machten diesen geneigt, seine
Heimat zu verlassen. Er erschien 794 auf dem zu Frankfurt gegen
Felix und Elipand versammelten Konzil als Abgesandter der eng-
lischen Kirche und bewährte sich durch mehrere Schriften als tapferer
Streiter gegen die Irrlehren-); noch zog es ihn zurück in sein
Vaterland, aber die Ermordung Ethelreds 796 verleidete ihm die
Heimkehr, und von nun an widmete er sich ganz dem Franken-
reiche. Nach Iterius' Tod erhielt er 796 die Abtei des heiligen
Martin zu Tours, hielt sich jedoch noch vorwiegend am Hofe auf,
um sich erst 801 in sein Kloster zurückzuziehen, wo er nicht als
Mönch, sondern als Kanoniker lebte ^). St. Martin stand er bis zu
seinem Tode, am 19. Mai 804, vor. Dem unruhigen Getreibe des
Hofes fern , entfaltete er hier die segensreichste Wirksamkeit und
bildete eine aufserordentliche Zahl von Zöglingen, welche im ganzen
weiten Reiche Karls neue Stätten wissenschaftlicher Thätigkeit be-
gründeten. Seinen Schüler Wizo schickte er nach England, um
Bücher zu holen, die er zu Tours durch zahlreiche und sorgfältige
Abschriften vervielfältigen liefs. Zugleich aber blieb er in fort-
währender Verbindung mit Karl , der ihm das grüfste Vertrauen
schenkte. Als unschätzbares Denkmal ist uns seine Briefsamm-
^) JafFe, Bibl. VI, 255 u. 541, Epp. IV, 89. 332 und daraus Vita c. 8,
SS. XV, 189.
^) Ueber seine Bekämpfung des Adoptianismus s. Gröfsler, Die Aus-
rottung des Adopt. im Reiche Karls d. Grofsen, Progr. d. Gymn. zu Eis-
leben 1879. Ob die lihri CaroUni (oben S. 174) von ihm verfafst sind,
ist sehr zweifelhaft. Ueber den ganzen Gegenstand Hauck IT, 288 — 307.
ä) Puckert, Aniane u. Gellone S. 248—255.
Alcvins Briefe und Schriften. 189
lung erhalten, welche zu den wichtigsten Quellen für die Geschichte
dieser Zeit gehört, wenngleich der stoffliche Inhalt viel geringer
ist, als wir wünschen möchten. Die gröfste Masse ist aus den
letzten Jahren, in welchen Alcvins Frömmigkeit immer mehr über-
hand nahm, und fromme Ermahnungen sind in hohem Grade vor-
herrschend. Eben diese gaben in jenen Zeiten Anlals, sie als Vor-
bilder zu sammeln und abzuschreiben ; es zeugt aber von der hohen
Bedeutung des Mannes, dafs nicht, wie bei anderen Briefsammlungen,
die Hauptmasse einem Konzeptbuche des Verfassers entstammt, son-
dern, wie Sickel nachgewiesen hat, seine Schüler und Verehrer, ein
Arno, Adalhard, Angilbert, dazu Angelsachsen es gewesen sind,
welche die ihnen zugänglichen Briefe sammelten und dadurch vor
dem Untergange bewahrten').
Viel und gern versuchte Alcvin sich auch in Gedichten, welche
freilich sehr inkorrekt, aber doch nicht ohne Leichtigkeit im Aus-
druck und gefällige Anmut sind"). Sie bieten uns manchen Ein-
blick in die Zustände der Zeit, und das umfangreichste darunter,
über die Bischöfe der Kirche zu York (mit Benutzung des Beda),
reich an schönen Stellen und belebt durch die wai-me Liebe zur
Heimat, gewährt mannigfache Belehrung über die Stiftschule zu
York und Alcvins Leben vor seiner Berufung nach Frankreich^),
Seine übrige schriftstellerische Thätigkeit dagegen war mehr auf
Theologie, Philosophie^) und Grammatik'^) gerichtet als auf Ge-
1) Neue Ausgabe Bibl. VI, 132 ff. Vgl. Sickel, Hist. Zeitschr. XXXII,
355—365, u. Alcuinstudien I, Wiener SB. LXXIX, 461 £F. Ein Faks. aus
Harl. 208 in Thompsons Catal. of ancient Lat. rass. (1884) pl. 51, Beschr.
S. 86 ; S. 87 von Reg. 8. E. XV. Einen Brief über Felix, vermutlich an
Theodulf gerichtet, hat Loewenfeld gefunden und Bibl. de l'Pk'ole des
chartes XLII herausgegeben (Epp. IV, 258). Bilder der Salzburger Hss.
bei Chroust, Mon. palaeograph. VII, 3. 4. — Dümmler, Alchvinstudien,
Berl. SB. 1891, S. 495—523 als A^orUlufer der neuen Ausgabe.
2) Ausg. von Dümmler, Poet. Car. I, 160—351, cf. II, 690—693. Die
S. 692 nachgetragenen sind aber von Prosper, s. Manitius, NA. XI, 553;
von dems. ib. S. 558 Anklänge in Alcuins Gedichten. Vgl. Traube, Karol.
Dichtungen, S. 47 — 51. 61 — 110. A. Largeault, Inscriptions metr. com-
posees par et ^jour les monasteres de St. Hilaire de Poitiei's et de Nouaille
(Poitiers. Guillois 1885), nach Traube, NA. XIX, 447. Ders. über andere
fälschlich ihm beigelegte Verse NA. XXVII, 284. J. B. de Rossi, L'in-
scription du tombeau d'Hadrien I., Mel. d'archeob et d'hist. publ. par
l'Ecole frauQ. de Rorae VIII (1888), 478—501 mit Berichtigungen zu A.s
Gedichten. Vgl. NA. XIV, 447.
3) Bibl. VI, 80—131 ; Poet. Car. I, 169—206.
M Vgl. Prantl, Gesch. d. Logik 11. 14—17.
') Jos. Zecbmeister. Scholia Vindobonensia ad Horatii Artem, Vind.
1877, glaubt diese Alcvin oder seiner Schule zuschreiben zu können,
aber der Stil erseheint mir sehr verschieden. S. 15, 23 1. colantes culices,
190 II- Die Karolinger. § 6. Alcvin.
schichte. Sein lateinischer Stil , der noch sehr fehlerhaft ist und
von seinen eigenen Schülern bald übertroffen wurde, fand bei seinen
Zeitgenossen hohe Bewunderung; und auf Bitten Angilberts bear-
beitete er das Leben des heiligen Richarius'), auf den Wunsch des
Abtes Rado^) das Leben des heiligen Vedastus. Bei beiden be-
schränkte er sich auf Glättung und Ausschmückung der überlieferten
Darstellungen, und der erbauliche Zweck ist die Hauptsache, wie
nicht nainder auch in dem schon oben (S. 148) erwähnten Leben
des heiligen Willibrord.
In seinen alten Tagen versank Alcvin mehr und mehr in Fröm-
melei, und das Studium Vergils , den er selbst einst eifrig nachzu-
ahmen gestrebt hatte, verwarf er später als höchst gefährlich, we-
nigstens für Mönche^).
Fast zwanzig Jahre waren schon süit Alcvins Tod vergangen,
als auf den Wunsch eines Abtes, wahrscheinlich des Abtes Aldrich
von Ferrieres, der unter Alcvin dort Mönch geworden war und 829
das Erzbistum Sens erhielt, nach Benedikts von Aniane Tode
(11. Februar 821), ein Schüler Sigulfs, dem nach Alcvin die Abtei
zugefallen war, es unternahm, das Leben Alcvins zu beschreiben.
Gesehen hatte er selbst ihn nicht mehr, aber Sigulf hatte ihm viel
erzählt, und das ist, aufser dem Briefwechsel über den Adoptianis-
mus, seine einzige Quelle. Daher ist es nicht zu verwundern, dafs
wir hier viel von Alcvins Frömmigkeit, von Askese und von Wun-
dern finden, keineswegs aber ein Bild seiner fruchti'eichen Thätigkeit
in den Jahren seiner Kraft. Erbauung für Mönche ist der Zweck
des Büchleins, und dem entspricht es leider nur zu sehr. Doch
finden sich darin auch manche nicht unwichtige Nachrichten, vor-
züglich über seine Jugendzeit, welche wir dankbar annehmen müssen.
Die Sprache ist im damaligen Schulgeschmack gesucht und mit
frommem Schmuck überladen^).
nicht volantes , nach Traube (Krit. Jahresber. über die Fortschritte der
Roman. Bibl. I, 1890, S. 90) gehören sie dem 11. Jahrh. an.
') SS. Merov. IV, 381—401 her. von Krusch, früher bei Mabillon H,
189, die ältere ist verloren.
*) Für diesen, Karls Kanzler (Sickel I, 80), ist auch die jetzt in Wien
verwahrte Biblia Radonis geschrieben. Vgl. Berger, Hist. de la Vulgate
S. 108 ff.; Corssen, GGA. 1894 S. 867. Ausg. der Vita SS. Merov." IV,
414—42.5.
^) Diese Ansicht bekämpft Ebert IT, 345, allein mir erscheinen die
Angaben der Vita c. 16 zu bestimmt und zuverlässig überliefert,, als dafs
wir sie verwerfen dürften.
*) Neue Ausgabe Bibl. VI, 1—84. MG. SS. XV, I, 182-197, von
Arndt.
Angilberts Leben und Schriften. 191
§ 7. Angilbert.
Aiigilberti C'armiua cd. Diimmler, Poet. Cur. I, :55.=i— 'isi : vgl. NA. IV, 110-142; XI,
5.il und einen Nachtrug in Hrotsvithao oiip. cd. Winterfeld )). XIV n. 19 Die
iilteren Drucke, gesammelt bei Migne XOIX, 849— 8öi, dadurch veraltet. Herm.
Althof, Angilberts Leben und Dichtungen (übersetzt). Wiss. Beilage ■/.. Progr.
des Realprogvmn. und Progymn. zu Münden. f?es. Abdr. Kann. -Münden 1888.
Traube, 0 Ko'ma nobilis (.Vbh. d. ::\Iünch. Akad. 1. Kl. XIX, 2) S. 32ü— :53l. Verz.
seiner Gedichte. Ein Abt Angilbert von Corbie zugeschriebenes Gedicht ihm
zugesprochen. Ders. , Karol. Dicht. 1, ,')1— 60 gewinnt Gedichte Angilberts aus
denen des Bcrnowin (Poet. Car. I, H3— i25), der sich als Plagiator A.s Gedichte
angeeignet hat. Hauck II, 171— I7ti.
Wie Paulus am langobardischen, so war Angilbert, der ebenfalls
aus vornehmem Geschlechte stammte , am fränkischen Hofe aufge-
wachsen'). Wohl wenig jünger als Karl selbst, war er mit diesem
durch innige Freundschaft verbunden und stand zu der ganzen
königlichen Familie im vertraulichsten Verhältnis. Er scheint sich
schon früh mit wissenschaftlichen Studien beschäftigt und eine an-
sehnliche Stellung in Karls Kapelle erlangt zu haben. Als Alcvin
an den Hof kam, ergriff er mit demselben Eifer, wie sein könig-
licher Freund, die Gelegenheit zu höherer Ausbildung; er wurde ein
Schüler des Paulinus und Peters von Pisa und Alcvins, und nahm
an der Akademie den lebhaftesten Anteil ; hier erhielt er wegen
seiner poetischen Begabung den Namen Homer. Aus dieser frühen
Zeit der achtziger Jahre haben sich einige, in der Form zum Teil noch
sehr unvollkommene Gedichte erhalten, welche Dümmler aus einer
gleichzeitigen Handschrift herausgegeben hat"). In dem einen,
welches aus versus scrpentini besteht, grüfst Angilbert mit seinen
Genossen Angelram und Riculf den nach Italien heimgekehrten
Lehrer Peter von Pisa, und sendet zugleich ein von ihm erbetenes
Gedicht Karls des Grofsen an ihn. In dem Gedicht eines rätsel-
haften Fiducia an Angelram werden Angilbert und Theodulf als
divini poefae erwähnt. Diese Verse scheinen früher angesetzt
werden zu müssen, als Angilberts Sendung nach Italien, wo ihm,
gewifs ein Zeichen hohen Vertrauens, eine bedeutende Stellung am
Hofe des Kindes Pippin in dem neugewonnenen italienischen König-
') Qui pene ab ipsis iHfantiae rudinienti^ in j)alatio vesti'O enutritus est,
schreibt Papst Hadrian um 791 an Karl (Epp. V, 7). Er mul's aber als
primicerius palatii bei dem unmündigen Pippin schon in reifem Alter
gewesen sein. Doch nennt Alcvin ihn wiederholt filiu^ und in dem Briefe
bei U^Q, Bibl. VI, 358 (Epp. IV, 184) vom J. 797 genauer: füius eru-
dUionif< nieae; Karl noch 796: Ilomeriane puer Bibl. IV, 354, Epp. IV, 186.
2) Zeitschrift f. Deutsches Altertum XVII, 141—146. Poet. Car. I,
75 — 77.
192 II- Die Karolinger. § 7. Angilbert.
reiche anvertraut wurde. Auch war er mit Alcvin schon vorher
befreundet').
Zurückgekehrt trat Angilbert wieder in den Ki'eis seiner alten
Freunde ein, und genofs in hohem Grade Karls Vertrauen, der ihn
796 in einem Briefe an Leo III. manualem nostrae familiär Itatis
auriculariiün, in dem an ihn selbst gerichteten Briefe seinen auri-
culariits nennt"). Er gehörte zur königlichen Kapelle, und auch
seine Würde am italienischen Hofe war vielleicht schon eine geist-
liche^). Wie bedeutend und einflufsreich seine Stellung gewesen
ist, zeigen die wichtigen Gesandtschaften an den römischen Papst,
welche ihn noch zweimal (792 , 796) nach Italien führten ; auch
soll er im Jahre 800 den König nach Rom geleitet haben, und im
Jahre 811 unterzeichnete er Karls Verfügung über seinen Schatz
zu Gunsten der Kirchen seines Reiches.
Noch hatte sich am fränkischen Hofe aus Karl Martels Zeit die
Sitte erhalten, dafs die Einkünfte reicher Abteien zum Unterhalte
der Hofleute verwandt wurden, und auch Angilbert war 790 Abt
von Centula oder Saint-Riquier in der Picardie geworden'^). Er be-
trachtete aber diese Würde nicht als eine blofse Pfründe, sondern
stellte es sich vielmehr zur Aufgabe, dieses Kloster so herrlich wie
möglich auszustatten. Unterstützt durch Karls fürstliche Freigiebig-
keit, mit Hilfe königlicher Baumeister und Künstler, baute er es
von Grund aus neu, und auch hierher kamen antike Säulen und
Marmorstücke aus Italien. Angilbert selbst hat darüber einen
Bericht geschrieben, der fast vollständig in Hariulfs Chronik auf-
genommen ist''). Die vollendete Kirche schmückte er in glänzendster
Weise mit jedem Zubehöre des prachtvollen Kirchendienstes ; nament-
lich liels er sich, wie Arn, die Pflege der Bibliothek angelegen sein
und bereicherte diese mit 200 Büchern. Vielleicht das köstlichste
unter diesen für die Mönche von Centula war das Leben ihres
1) Jaffe, Bibl. VI, 149; Epp. IV, 37, von Jaffe 783—785 angesetzt.
In der Anrede heilst er venerabilis u. 2}>'i>nicß>'in»f in der Aufschrift in
2 Handschriften primicerius palatii Pipini regis. B. Simson, Karl d. Gr.
II, 485, Anm. 6, venvirft diese Angabe gänzlich; ich sehe den Grund
nicht recht ein, wenn auch die Unsicherheit zuzugeben ist.
2) Bibl. IV, 353 u. 355, Epp. IV, 135. 137.
^) Ministrum capellae nennt ihn Hadrian um 791. Docen macht darauf
aufmerksam, dafs in seinem Gedichte an Karl primiceviiis aulae der Erz-
kaplan ist. Vgl. auch Leibniz, Ann. Imp. I, 168. lieber seine Sendungen
8. Hampe im NA. XXI, 94. 95.
*) Jaffö, Bibl. VI, 173; Epp. IV, 35.
^) Angilberti abbatis de ecclesia Centulensi libellus, MG. SS. XV,
173 — 179. In ders. Hs. ist von ihm eine Institutio de diversitate officiorum.
AnjriU^ert und Bertha. 193
Stifters, des heiligen K i c h a r i u s , welches auf Augilberts Bitten sein
Freund Alcvin nach den gesteigerten Anforderungen der Zeit neu
bearbeitete'). Im Jahre 800 hatte Angilbert die Freude, seinen
königlichen Freund in den Mauern seines Klosters als Gast zu em-
pfangen, der bei ihm am 19. April das Osterfest feierte, und wie er
diesem zeit seines Lebens in treuester Freundschaft zugethan war,
so folgte er ihm auch schon am 18. Februar 814 im Tode nach.
Dafs Angilbert nach solchen Verdiensten um das Kloster später
daselbst als Heiliger verehrt ward, versteht sich von selbst^);
An scher, sein Biograph im 12. Jahrhundert, weils auch viel von
seinem strengen und erbaulichen Wandel zu erzählen , allein das
war gleichfalls so unvermeidlich, wenn man nach Jahrhunderten
über das Leben des Stifters berichtete, dafs darauf durchaus kein
Gewicht zu legen ist. Einem Staatsmanne Karls des Grofsen stand
mönchische Askese übel an, und Angilberts Thätigkeit scheint mehr
auf eine tüchtige praktische Wirksamkeit gerichtet gewesen zu
sein ; unmöglich ist es aber nicht , dafs er in seinen alten Tagen
sich getrieben fühlte , für ein früher allzu freies Leben Bulse zu
thun. Hatte er sich doch schon von Alcvin einreden lassen , dafs
die Schauspiele, an denen er so viele Freude hatte, sündlich wären,
und wenn auch Alcvin seinen Wandel im übrigen würdig und an-
') S. oben S. 189. Daran schliefsen sich Miracula von 814—865 (Aus-
zug SS. XV, 2, 915—919), Historia relationis S. Bicharii a. 981 ib. p. 696
bis 698, viell. aus Hariulf), die Vita metr. vom Abt A n g e 1 r a m oder
Ingelram, einem Schüler Fulberts von Chartres (f 1045), weitere Mirakel
von Hariulf, dem Verfasser der Chronik (Auszug ib. 919. 920). Ein
Rhythmus mit den Namen der Aebte, von Angelram, SS. XV, 181. Dieser
hatte das Leben und die Wunder metrisch in 4 Büchern bearbeitet.
^) So in seiner Stiftung Cysoing bei Tournai Markgraf Eberhard
von Friaul, Gemahl von Ludw. d. Fr. Tochter Gisla, einer der litterarisch
gebildeten Laien dieser Zeit, s. Dümmler im Jalirbuch für vaterländische
Geschichte (Wien 1861) S. 171—179, Gesta Berengarii p. 17 und die in
der Translatio S. CalUsti Cisonium a. 854 durch Eberhard, Acta SS. Oct. VI,
445, ausgelassenen Stellen NA. III, 405 — 407. Vollst. Ausgabe dieser von
Holder-Egger SS. XV, 1, 418 — 422 (wo eine Hs. in Dijon nachzutragen
ist). Zu solcher Verehrung genügte die blofse Existenz des Grabes eines
vornehmen oder bekannten Mannes aus alter Zeit, wie recht deutlich
die Verehrung Zwentibolds in Süstern zeigt, und die des Mein-
gold in Huy. Von den Helden der Sage wurden Waltharius in
Novalese, Otger in St. Faron-les-Meaux, Tegernsee und Grofs St. Martin
zu Köln verehrt und ihre Geschichte mönchisch gestaltet. Gar wunder-
bar ist die Geschichte von dem Haimonskinde Reinold {Vita S. Heinoldi,
Acta SS. Jan. I, 385 — 387 und in lateinischen Versen im Annuaire de
la Bibliotheque Royale de Bruxelles XII, 239—281), der in Köln, für
seine Sünden büfsend, als Steinträger bei einem Kirchenbau arbeitete
u. von seinen mifsgünstigen Genossen erschlagen wurde ; seine angeblich
von dort geholten Knochen thaten in Dortmund Wunder. Abb. darüber
Wattenbach, Geschichtsquelleii. I. 7. Aufl. 13
194 n. Karolinger. § 7. Angübert.
gemessen nennt '), so wissen wir doch von einem Verhältnis, welches
den mönchischen Sittenpredigern nicht gefallen konnte, so wenig
es auch an Karls Hofe auffallen und Anstofs erregen mochte. Denn
Angilbert war der glückliche Geliebte von Karls schöner Tochter
Bertha , die ihm zwei Söhne , Nithard und Hamid , geboren hat :
ein Bund, welcher vielleicht durch eine naheliegende Verwechslung
Anlafs gegeben hat zu der bekannten Sage von Eginhard und
Emma^). Die Thatsache ist unzweifelhaft; Nithard, der eigene Sohn,
erzählt sie, und wir haben Einhards ausdrückliches Zeugnis dafür,
dafs Karl sich nicht entschliefsen konnte, eine von seinen Töchtern
zu verheiraten. Dafs er ihnen dafür um so gröfsere Freiheit ge-
stattete und dafs manches anstöfsige Verhältnis an seinem Hofe
geduldet wurde, ist ebenfalls bekannt genug. Wie Hariulf, der
1088 seine lehrreiche Chronik von Centula vollendete, diesen Um-
stand behandelt hat, wissen wir nicht, da gerade hier zwei Blätter
aus der Handschrift ausgeschnitten sind ; der Interpolator sagt kurz,
dafs Angilbert die Bertha zur Ehe erhalten habe und mit ihr den
Dukat des Küstenlandes^). Wahrscheinlich aber war die Darstellung
hier ähnlich wie in der zweiten Biographie, welche nebst drei
Büchern Mirakel von dem Abt An seh er verfafst ist, um die Ka-
nonisation Angilberts zu erwirken. Im Jahre 1110 hatten die
Wunder an dem vergessenen Grabe Angilberts neu begonnen, und
Anscher überreichte das Werk dem Erzbischofe Radulf von Reims,
vielleicht auch dem Papste, um die Heiligsprechung zu erreichen.
Ungeachtet dieses Zweckes aber erzählt er unbefangen, gewifs alter
Ueberlieferung folgend, dafs Bertha in heifser Liebe zu Angilbert,
der schon zum Priester geweiht war und ein Bistum erhalten sollte,
entbrannte; ungern habe Karl nachgegeben. Angilbert aber, aus-
gestattet mit dem Dukat, den Anscher schon nach den Begriffen
nebst Abdr. von Flols, Niederrhein. Ann. XXX (1876) S. 174—203.
Gleicher Art ist die von Giesebrecht zur Passio Adalberti beschriebene
V. Hugonis aus Jumieges, über die auch schon Ravaisson, Rapports p. 125,
Mitteilung gemacht hatte; vgl. Gesch. d. Kaiserzeit II, 601.
1) Alcvini epp. 116 u. 177 ed. JafFe; Epp. IV, 290. 381.
-) Chron. Lauresham. (SS. XXI, 357). S. 0. Abel, Kaiser Karls Leben
von Einhard, S. 56—62; vgl. Lorentz, Alcuins Leben, S. 183, A. 32.
^) flCui etiam ad augmentum palatini honoris totius maritimae terrae
ducatus commissus est." Hariulfi Chron. Centul. in d'Acherys Spicil.
ed. II. II, 291 sq. Hariulf, Chronique de l'abbaye de St. Riquier (V^ s.— 1104)
publ. par Ferd. Lot, Paris 1894 (vgl. NA. XXI, 320). Vgl. das daraus
mit Benutzung der Handschrift gegebene Leben Angilberts bei Mab. IV,
1, 108 — 122, worauf Anschers Werk folgt. Hier fehlt der Eingang, wes-
halb es zweifelhaft ist, ob Anscher auch diese Vita verfafste. Ein Frag-
ment ders. SS. XV, 180.
Angilberts Leben und Schriften. 195
seiner Zeit als ein Herzogtum auffaFst , schlägt die Dänen') mit
S. Richarius' Hilfe, wird dann Mönch und führt zur Bufse das
strengste Mönchsleben , während Hertha ebenfalls zu Saint-Riquier
den Schleier nimmt. Das ist nicht richtig, noch bei der Zusammen-
kunft Karls mit Papst Leo zu Paderborn 799 erscheint Hertha in
voller weltlicher Herrlichkeit, und hat nach Einhards Zeugnis bis
zu des Kaisers Tode den Vater nicht verlassen ; auch 82G bei der
Ankunft des heiligen Sebastian finden wir sie bei ihrem Bruder in
Soissons. Da sie ferner erst um 780 geboren ist'O , war Angilbert
schon Abt, als sie sich in ihn verliebte, und dafs er auch noch
viel später, noch im Jahre 800 nach Karls Osterfeier in St. Riquier,
sein Familienleben am Hofe nicht aufgegeben hatte , zeigt uns das
anmutige Gedicht, welches zuerst von Docen an dem Dichternamen
Homer als ein Werk Angilberts erkannt ist'^), ein Grufs an Karl
und den engeren Kreis der Seinen aus der Ferne. Hier gedenkt
er nach der Schilderung der königlichen Pfalz und ihrer Bewohner
zuletzt auch seines nahe gelegenen Hauses mit dem Garten, in wel-
chem seine Knaben spielen ; die zärtlichste Liebe und Sorge spricht
sich darin aus, aber von der Mutter ist keine Rede. Dagegen be-
grüfst er unter Karls Töchtern Bertha mit besonderer Verehrung'*),
und die Weise, wie er den König als seinen süfsen David, dessen
Kinder als seine Lieben grüfst, deutet auf eine sehr vertrauliche
Beziehung.
Aehnlicher Art wie dieses ist ein anderes Gedicht Angilberts,
verfafst als er 796 nach Italien eilend dem siegreichen jungen Könige
Pippin in Langres begegnete; er schildert die Freude des Wieder-
sehens, die ungeduldige Erwartung am Hofe und vorausschauend
die zärtliche BegrüCsung des jungen Helden im Kreise der Seinen'^).
') Auch das ist wohl Vorwegnahme späterer Zustände. Nach Hariulf
III, 9 wurde Rudolf, der Bruder der Kaiserin Judith, unter Karl dem
Kahlen zugleich Laienabt und comes maritimae provinciae.
2) S. Leibniz, Ann. Imp. I, 107.
^) Neuer litterarischer Anzeiger 1807 N. 6 (schon unter Alcvins Namen
bei Froben II, 614 gedruckt, wie Docen selbst später fand, Aretins Bei-
träge VII, 523). Poet. Car. I, 360.
■*) „Virginis egregiae Bertae nunc dicite laudes, Pierides, mecum,
placeant cui carmina nostra. Carminibus (cunctis) Musarum digna puella
est." Da hier nicht, wie in dem sonst sehr ähnlichen Gedichte Theodulf's,
die Königin Liudgard erwähnt wird, so ist dieses wohl erst nach deren
Tode, 4. Juni 800, geschrieben. Althof a. a. 0. S. 14 bemerkt, dafs hier
noch Thyrsis (der Kämmerer Meginfrid) als lebend erwähnt wird, der
damals auf einem Zug Pippins gegen Benevent starb.
^) Poet. Car. I, 358. Ueber die chronologischen Schwiei'igkeiten Sim-
son, Karl d. G. II, 126.
196 i^- Karolinger. § 7. Angilbert.
Geglaubt hat man, dafs uns auch noch aus einem gröfseren
Werke Angilberts ein Bruchstück erhalten sei. Sein Dichtername
Homer, den ihm Karl selbst 796 beilegt, in dem Briefe, welcher die
wichtigsten Aufträge für seine römische Gesandtschaft enthält'),
deutet auf grofse Erwartungen, die sich an ihn knüpften, die Er-
wartung, dafs er Karls Thaten in einem Epos feiern werde. Wenn
wir daher einem solchen Epos wirklich begegnen, so liegt wohl die
Vermutung nahe, dafs kein anderer als Angilbert der Verfasser sein
könne. Hegewisch hat deshalb einst bereits diese Annahme aus-
gesprochen, und Pertz das Gedicht unter Angilberts Namen heraus-
gegeben-). Allein der Abstand von Angilberts Werken in der Be-
herrschung der Sprache und der Behandlung des Verses zu gunsten
dieser Dichtung ist doch zu grofs, um beide demselben Verfasser
zuschreiben zu können. Auffallend ist es, da wir doch im ganzen
über diese Zeit so genau unterrichtet sind, von einem so bedeu-
tenden Werke gar keine Erwähnung zu finden. Vermutlich ist es
unvollendet geblieben, und deshalb weder vollständig erhalten, noch
hinlänglich beachtet, um von anderen genannt zu werden. Doch
würde Angilbei'ts Dichtername Homer wenigstens eine Hindeutung
enthalten, die für andere, wie Theodulf, den Dümmler vermutungs-
weise genannt hat, gänzlich fehlt. Ein Citat freilich ist uns jetzt
bekannt geworden: in der oben S. 174 angeführten Ekloge des Naso
wird ein Dichtergreis eingeführt, den er Micon nennt, und dieser
verwendet einen Vers aus jenem Epos zum Preise des Kaisers
(p. 389, V. 74). Doch kann er ihn sich ebenso Avie so manchen
Vergilvers angeeignet haben. Vorher spricht Naso von dem Dichter-
ruhme des Alcvin, Theodulf, Einhard, und setzt hinzu : „Nam nieus
ecce solet magno facundus Homerus Carminibus Carolo studiosis
saepe placere." Dafs aber nun dieser Homer eben der Micon sei,
darauf deutet nichts , und wir dürfen es kaum annehmen. Wir
ersehen hieraus nur, dafs schon wenige Jahre nach der Kaiserkrönung
das Gedicht vorhanden war. Sicher war der Verfasser ein Mann
von ungewöhnlichem Geiste und grofser dichterischer Begabung,
der sich den Unterricht der Hofschule mit bestem Erfolge zu nutze
') Bibl. IV, 353; Epp. IV, 135.
2) MG. II, 391—403. Orelli, Helperici sive ut alii arbitrantur Angil-
berti Carolus magnus et Leo III, 1832, nach der von ihm in Zürich wieder-
gefundenen Handschrift. Dagegen Pertz im Arch. VII, 363. — Poet.
Car. I, 366—381. M. Manitius, NA. VIII, 9—45, für Angilbert als Autor.
Dagegen Ausfeld, Forsch. XXIII, 609 — 615. Die Unsicherheit anerkennend
Manitius, NA. IX, 614—617; XI, 555. 556 über Benutzung älterer Dichter
bei ihm. Traube verwirft seine Autorschaft.
Caiolus Magnus et Leo III. 197
gemacht hat. Dafür zeugt die fleilsige, man mufs wohl sagen über-
niäfsige, Benutzung des Vergil, Ovid, Lucan und, wie B. Simson
nachgewiesen hat'), Venantius Fortunatus, zu denen Manitius noch
raehrei'e hinzugefügt hat, welche ihm an sich so wenig zum Vor-
wurfe gereichen kann, wie Einhard die Nachahmung des Sueton,
und bei seinen Zeitgenossen gewils eher Bewunderung als Tadel
erregte, wenn er auch in übergrofsem Eifer nach dem Vorbilde
von Karthago sogar Hafenbauten bei Aachen erdichtete. Auch zu
Karls Akademie mufs der Dichter gehört haben, da er ihn immer
David nennt, was ein anderer sich gewifs nicht hätte erlauben
dürfen, und die lebendige Schilderung verrät sowohl den Augen-
zeugen als auch einen Mann, der Karls Hofe nicht fern stand, was
freilich bei einem so ausgezeichneten Dichter ohnehin mit voller
Sicherheit anzunehmen ist.
Erhalten ist uns der Anfang des dritten Buches oder vielleicht
das ganze, 536 Verse, vermutlich ein Stück, welches seiner beson-
deren Schönheit wegen einzeln in eine Blumenlese aufgenommen
war, denn es steht mitten zwischen anderen Bruchstücken. Die
Geschichte der Gegenwart episch zu behandeln, ist stets ein Mifsgriff,
und immer werden es die einzelnen Schilderungen sein, welche
einem solchen Werke seinen Reiz verleihen. Aber auch die Anlage
ist hier doch sehr geschickt entworfen. In voller Pracht wird
Karls Hofhaltung uns vor Augen gefühi't ; eine Lobrede auf den
grofsen König eröffnet das Buch, dann werden die Bauten zu Aachen
und eine grofse Jagd mit reichen Farben und lebendiger Anschau-
lichkeit geschildert: mit besonderer Vorliebe verweilt der Dichter
bei den Töchtern Karls, zu denen wohl kein anderer Zeitgenosse
in so nahem Verhältnisse stand wie Angilbert. In der Nacht läfst
dann der Dichter den König im Traume die MiCshandlung er-
blicken, welche der Papst Leo 799 in Rom erfuhr ; er weicht darin
von der Wirklichkeit ab, aber wenn man einmal die Geschichte
episch behandeln will, so ist eine solche Wendung geschickt genug,
um ohne lange Vorbereitungen die Hauptereignisse einander nahe
zu rücken^). Ohne von den umständlichen Gesandtschaften, welche
in der Wirklichkeit dazwischen lagen, berichten zu müssen, gelangt
') Forsch. X!I, 567—590, vgl. XIV, 623—626, sehr ungünstig über
den Vf. urteilend, den dagegen Ebert, Deutsche Rundschau JII, 9, 407
(vgl. Lit. des MA. II, 58 — 63) lebhaft anerkennt. Aehnlich auch Althof.
-) Dieser dem Vergil entlehnte Kunstgriff ist freilich nicht selten,
sonst würde es für Angilberts Autorschaft sprechen, dafs auch in seinem
Gedichte auf Pippins Ankunft ein Traimi auf ülinliche Weise angewandt
198 ^I- Karolinger. § 8. Einhard.
SO der Dichter sogleich zu der Zusammenkunft Karls mit dem Papste
im Lager bei Paderborn, welche den eigentlichen Gegenstand seiner
Darstellung bildet.
Niemand wird dieses Fragment aus der Hand legen, ohne zu
bedauern, dafs uns von diesem Werke nicht mehr erhalten ist; es
weht uns darin gleichsam die frische Luft jenes kraftvollen Lebens
an, und wir fühlen uns auf einen Augenblick entrückt aus der ein-
förmigen Atmosphäre der geistlichen Chronisten, ja selbst der seelen-
losen Schulpoesie. Ueber den Verfasser aber werden wir uns be-
scheiden müssen, unsere Unwissenheit zu bekennen.
§ 8. Einhard.
Pertz, MG. SS. II, 42G— 430. Baehr S. 200—216. 0. Abel, Kaiser Karls Leben von
Einhard S. 1—18. Eug. Bacha bei Kurtli, Dissertations acad.. Liege 1888. Opera
ed. Teulet, Par. 1840, 1843, 8. 2 Bände. Jaft'6, Bibl. IV, 487—506; vgl. die zweite
Ausgabe der Vita Caroli M. cur. W. Wattenbach, 1876. Vita Caroli ed. Waitz,
1880. Ebert II, 92—104. Bursian, Gesch. d. Philol. S. 21. M. Manitius, Eiuharts
Werke und ihr Stil, NA. VII, 517—568. Nachtrag VIII, 193: XI, 64— 73. K. Hampe,
Zur Lebensgesch. Einhards, NA. XXI, .099-631. Fr. Kurze, Einhard, Berl. 1899.
Dem Kaiser Karl wurde das Glück zu teil, so lange die Herr-
schaft zu führen, dafs er noch selbst den Erfolg seiner Bestrebungen
und Einrichtungen erlebte. Haben wir bisher mit den Männern
uns beschäftigt, welche er als Gehilfen seiner Thätigkeit an sich
zog, seinen gleichaltrigen Zeitgenossen, so haben wir dagegen jetzt
in Einhard den ersten des jüngeren Geschlechtes zu betrachten, das
schon ganz unter dem Einflüsse von Karls Zeitalter erwachsen war,
und selbst den schönsten Beweis gab für den gesegneten Erfolg
dieses Strebens. Kein mittelalterlicher Schriftsteller ist den klassi-
schen Vorbildern, welchen sie nacheiferten, so nahe gekommen; er
erfreut sich deshalb eines guten Namens und findet selbst vor philo-
logischen Augen Gnade.
Und doch zeigt sich auch gerade darin wieder eine Gefahr der
damaligen Richtung ; so viel Anziehendes Einhard auch hat, es fehlt
ihm die frische Natürlichkeit anderer, er schreibt fast wie Sueton,
aber es war nicht das richtige Ziel des Mittelalters, zu schreiben
wie Sueton, so wenig wie am Beginne der neueren Zeit diejenigen
das Höchste erreicht haben, welche fast wie Cicero schrieben.
Man hätte in die Gefahr kommen können, nichts als ein mattes
wird. — Die von Harster (Novem vitae sanct. S. 1 — 14) herausgegeb.
Passio Petri et Pauli, die einem Papste Leo gewidmet ist, setzt Manitius
unter den III., s. NA. XIII, 636, vgl. V, 630.
Einhanls Leben. 199
Abbild der römischen Kaiserzeit darzustellen, wenn nicht doch da-
gegen das widerstrebende Element der Kirche immer geschützt
hätte, welches sich in dieser Form nicht fesseln lassen konnte, und
das unvertilgbare frische Leben der Völker, welches nicht ruhte, bis
es sich seine eigenen neuen Formen geschaffen hatte.
Für das Leben Einhards haben wir die wertvollste Bereicherung
unserer Kenntnis dem Prologe Walahfrids zu Kaiser Karls Leben
zu danken, dessen früher bezweifelte Echtheit durch die Auffindung
der Kopenhagener , einst Kirschgarter Handschrift gesichert ist ;
daraus ist er fehlervoll Arch. VIT, 372, korrekter von Jaffe heraus-
gegeben 0, und mit Benutzung desselben hat Jaffe in sorgfältigster
Weise Einhards Leben neu bearbeitet. Eine zweite Handschrift in
Freiburg i. Br. hat B. Simson entdeckt und die Varianten mit-
geteilt').
Einhard — denn so, nicht Eginhard, wird der Name von seinen
Zeitgenossen urkundlich geschrieben^) — ist um das Jahr 770 in
Ostfranken im Maingau von edlen Eltern*) geboren , und erhielt
seine früheste Erziehung im Kloster Fulda^), zu dem er auch immer
in freundschaftlicher Beziehung blieb: noch bewahren sechs von
ihm unter Abt Baugulf (779 — 802) geschriebene Urkunden , wenn
gleich nicht im Original erhalten . das Andenken an jene Zeit.
Darunter ist eine Schenkung der Ehegatten Einhart und Engilfrit,
höchst wahrscheinlich seiner Eltern; zwei vom 19. April 788 und
vom 12. September 791 dienen zur Zeitbestimmung'''). So sehr
zeichnete er sich durch seine Fähigkeiten und Fortschritte aus, dafs
Abt Baugulf ihn an den Hof des Königs schickte, denn dieser, das
wufste Baugulf, trachtete eifrigst danach, die fähigsten und gelehr-
testen Männer aus dem ganzen Reiche um sich zu versammeln. In
der Hofschule also vollendete er seine Ausbildung, und erwai-b sich
bald die Anerkennung, welcher beim ersten Anblick seine kleine
') Bibl. IV, 507—508, doch ist S. 508 n. b wohl mit Unrecht <Iebere
in prehere geändert. In der 4. Ausg. von Waitz p. XX.
2) Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrh.' N. F. VII, 314—319.
*) Er selbst schrieb Einhart, Zeitgenossen wechseln, und neben Bern-
hard erscheint Einhard für uns als die natürlichere Schreibart.
*) Wegen der Lesart minus statt munus nahm man früher das Gegen-
teil an, doch wird jene von Hampe verteidigt, NA. XXI, 603, vgl. Km-ze,
Einhard S. 5 A. 4.
5) Irrtümlich sah 0. Abel in den Worten AValahfrids siih pedagogio
sancti Bonifacii niartirift einen Anachronismus; nicht der lebende Bonifaz.
sondern der Schutzpatron ist gemeint.
«) S. Jaffe S. 488, der diese Urkunden aus Dronkes C. D. Fuld. zuerst
verwertet hat.
200 IjI- Karolinger. § 8. Einhard.
Gestalt hinderlich war. Homiincio nennt ihn deshalb Walahfrid,
nam statura despicabüis videbatur. Und Theodulf sagt 796 in dem
oben erwähnten Gedicht an Karl v. 155 ff. von ihm:
Nardulus liuc illuc discurrat perpete gressu:
Ut, formica, tuus pes redit itque frequens,
Cuius parva domus babitatur hospite magno,
Res magna et parvi pectoris antra colit.
Et nunc ille libros operosus ^), nunc ferat et res,
Spieulaque ad Scotti nunc paret apta necem.
Denn unter der Bissigkeit dieses Schottenmönchs (vgl. oben S. 171)
hatte er nicht minder als Alcvin und Theodulf selbst zu leiden.
Alcvin aber verfafste folgende scherzhafte Verse als Inschrift auf
Einhards Haus:
Parva quidem res est oculorum, cerne, pupilla,
Sed regit imperio vivacis corporis actus.
Sic regit ipse doinum totam sibi Nardulus istam :
Nardule, die lector pergens, tu parvule salve !
Und für seine Hausthür:
Janua parva quidem et parvus habitator in aede est.
Seine volle Anerkennung für Einhard aber spricht er in diesem
hübschen Epigramm aus (Poet. Car. I, 248) :
Non spernas nardum, lector, in corpore parvum,
Nam redolet nardus spicato gramine multum :
Mel ajiis egregium portat tibi corpore parvo.
Als schon in späteren Jahren 829 Walahfrid Kaiser Ludwigs
Hof schilderte, schrieb er von Einhard {de Einharto magno, Poet.
Car. n, 377):
Nee minor est magni reverentia patris habenda
Beseleel, fahre primum qui percipit omne
Artificum praecautus opus: sie denique summus
Ipse legens infirma Deus, sie fortia temnit. (I. Cor. 1, 27.)
Magnorum quis enim maiora receperat umquam.
Quam radiäre brevi nimium miramur homullo?
Dafs aber auch Einhard zu den Dichtern des Hofes gehörte,
erfahren wir erst aus jenem Gedicht des Naso, wo es zugleich
mit hoher Anerkennung seiner hervorragenden Stellung von ihm
heifst :
') Jaffes Konjektur operosas mit vorhergehendem Komma ist verfehlt.
Einhaid am Hofe. 201
Aonias avide solitus recitave Camenas
Nardus ovans summo praesenti pollet honore.
Durch seine Klugheit und Gelehrsamkeit, sowie durch seine
Rechtlichkeit und Treue erwarb sich Einhard das vollste Vertrauen
Karls, der fast keinem seiner Räte so rücksichtslos seine geheimsten
Gedanken mitteilte ; den jüngei-en Mann liebte er wie einen Sohn,
und Einhard erwiderte diese Zuneigung mit der hingehendsten
Verehrung'). Ganz besonders zeichnete sich Einhard auch durch
seine Kunstfertigkeit aus, durch seine Kunde der Baukunst, welche
er durch eifriges Studium des Vitruv und der alten Denkmäler
auszubilden suchte, und durch Geschicklichkeit in mancherlei Arbeit.
Er erhielt deshalb unter den Hofgelehrten den Beinamen Beseleel,
nach dem kunstreichen Werkmeister der Stiftshütte, und wurde
vom Kaiser zum Aufseher seiner grol'sartigen Bauten ernannt-).
Auch in anderen wichtigen Angelegenheiten bewies ihm der Kaiser
sein Vertrauen; er sandte ihn im Jahre 80(j an den Papst, um
dessen Zustimmung zu seiner Anordnung über die Reichsteilung
zu erlangen, und 813 war es Einhard, dessen Rat und Bitte Karl
bestimmt haben soll, seinen Sohn Ludwig zum Kaiser zu ernennen.
Da ist es denn nicht zu verwundern , dafs er auch bei diesem
sehr in Gunst stand; die grofsen Bauten hörten auf, aber nun wurde
dem kunstreichen und gelehrten Manne eine ganze Reihe der an-
sehnlichsten Abteien übertragen (St. Pierre au mont Blandin und
St. Bavo in Gent, St. Servais in Maastricht und S. Cloud bei Paris),
Allein mehr als diese zog ihn der abgelegene und einsame Fleck
Landes zu Michelstadt im Odenwald an, den er 815 für sich und
seine Gemahlin Imma vom Kaiser zum Geschenk erbat. Mehr und
mehr zog er sich hierhin zurück, und nachdem er sich im Jahre 827
^) Dafs er auch als Geheimschreiber thätig gewesen sei , was nicht
unwahrscheinlich ist, sucht E. Bacha nachzuweisen, vgl. Kurze, Einhard
S. 25.
-) Nach einer von Pertz in d. 3. Sep.-Ausg. d. V. C'aroli , von Jaffe,
Bibl. IV, 536 mitgeteilten Notiz war Meister Odo der Architekt des
Aachener Münsters; Einhard scheint die oberste Leitung aller Bauten
gehabt zu haben. Wenigstens heilst es in der Chronik von St. Wandrille
(c. 17) vom Abt Ansegis: „exactor operum regalium in Aquisgrani palatio
regio sub Einhardo abbate , viro undecunque doctissimo , a domno rege
constitutus est."' Und Hraban sagt in der Grabschrift:
Quem Carolus princeps propria nutrivit in aula,
Per quem et confecit multa satis opera.
Waitz fügt dazu die Stelle des Odilo in der Transl. S. Tiburtii (SS. XV,
391), wo E. ,palatü regalis domesticus" genannt wird. Verfassungsgesch.
III (2. Aufl.) S. 528 Anm. 1.
202 Ijf- Karolinger. § 8. Einhard.
den nach den BegriflFen der Zeit unschätzbaren Besitz der Gebeine
der heiligen Märtyrer Mai-cellinus und Petrus verschafft hatte ^),
gedachte er hier ein Kloster zu. gründen; doch veranlafste eine
Vision ihn, die Reliquien nach Mühlheim am Main zu führen , wo
er ihnen eine stattliche Kirche erbaute, und die Abtei stiftete,
welche den Namen des Ortes allmählich in Seligenstadt verwandelte.
Noch konnte Einhard sich nicht ganz den Staatsgeschäften ent-
ziehen, deren unruhiges und kriegerisches Getreibe allen denen,
welche sich zu litterarischer Beschäftigung hingezogen fühlten, un-
erträglich war'-). Im Jahre 817, in welchem wir ihn auch zu Gunsten
des Klosters Fulda thätig finden^), gab ihn Ludwig dem jungen
Kaiser Lothar als Ratgeber, und 830 sehen wir ihn eifrig bemüht,
den Ausbruch der Empörung zu verhindern , die Aussöhnung
zwischen Vater und Sohn zu bewirken, doch gehörte er unzweifel-
haft zu den Anhängern Lothars. Walahfrid rühmt ganz vorzüglich
die Klugheit, mit welcher Einhard weder vorzeitig den alten Kaiser
verlassen, noch auch sich ohne Nutzen ins Verderben gestürzt habe.
Als aber die inneren Zustände des Reichs immer unheilbarer wui'den,
auch niemand mehr auf seinen weisen Rat achtete, da zog er sich
ganz in seine Waldeinsamkeit zurück. Noch war ein harter Schlag
des Schicksals ihm vorbehalten, der Tod seiner innig geliebten Ge-
mahlin Imma. Sie starb im Jahre 836; der alte Kaiser hat ihn
damals in seiner Zurückgezogenheit aufgesucht, um ihm seine Teil-
nahme zu bezeugen, und Lupus, der sich gerade seiner Studien
wegen in Fulda aufhielt, wo er eben mit lebhafter Bewunderung
die Vifa Karoli gelesen hatte, schrieb ihm in herzlichem Mitgefühl
einen Trostbrief ■*). Nicht lange danach, am 14. März 840, starb
er selbst^) , eine schöne Grabschrift von Hrabans Hand zierte seine
^) Die Angabe der Ann. Fuld. ant. über die Einweihung der Kirche
zu Michelstadt im Jahre 821 steht, wie 0. Abel richtig bemerkte, in
schroffem Widerspruche zu Einhards bestimmter Mitteilung im Anfange
der Transl., dafs die Kirche zur Zeit der Aussendung Ratleiks noch nicht
geweiht war. Sie beruht aber auch nur auf einer höchst unsicheren
Lesung und Ergänzung des ganz verblafsten und verstümmelten Originals
von Pertz, und ist ohne Zweifel unrichtig.
^) In einer, wie es scheint, an Ludw. d. Fr. gerichteten theol. Ab-
handlung heilst es: „Einharde, si haec legas, non mireris, si forte in-
venias errantem." Epp. V, 616.
^j S. Tang) im NA. XXVII, 25—32.
■*) Lupi epp. 1 u. 4, Epp. VI, 7, 9 (wiederholt bei Ideler, Leben Karls
d. Gr.'ir, 138 ff.). P^inhard widmete ihm eine Schrift de adoranda cruce,
welche E. Dümmler, NA. XI, 231—238, Epp. V, 146—149 entdeckt hat;
vgl. Kurze, Einhard S. 83.
^) Das Jahr 840 hat Jaffe den Fulder Totenannalen (Dronke, Traditt.
I-änhards Briefe und Lel)en Karls. 203
Ruhestätte^). In der Abtswürde folgte ihm sein Schüler Ratleik,
einst sein Schreiber, jetzt Ludwigs des Deutschen Kanzler^).
Eine reiche Quelle für die Geschichte des letzten Jahrzehnts
von Ludwigs des Frommen Regierung, leider nicht für die frühere
Zeit, bieten uns die Briefe Einhards und anderer an ihn, oder die
auf irgend eine "Weise in seinen Besitz gekommen waren''), welche
in seinem Genter Kloster als Muster gesammelt wurden ; die Eigen-
namen wurden als überflüssig meistens beseitigt. Die Handschrift
kam mit den vor den Normannen flüchtenden Mönchen nach Laon,
wo sie in stark beschädigtem Zustande geblieben ist, bis Pertz sie
1827 dort entdeckte, worauf sie wenig später nach Paris gebracht
wurde. Nachdem zuerst Teulet die Handschrift wieder benutzt
hatte, liegen nun von Jaff'e und noch besser von Hampe zu be-
quemem Gebrauche kritisch bearbeitete Ausgaben vor^).
Einhards berühmtestes und vollendetstes Werk ist:
Das Leben Karls.
Ausgabe von Pertz MG. SS. II, 42(5—463. Besonderer Abchuck, 3. Ausgabe 1863, mit
einem Anhange v. Gedichten. Ueber später gefundene Handschriften NA. VI, 19').
Cod. Monac. 17134 aus Scheftlarn mit Interpolationen a. d. Annalen über Tassilo,
s. Graf Hundt in d. S. 171 angef. Abb. S. 191. Cod. Paris. 4937 ist mit dem Fonds
Barrois wieder erworben. Eine Hs. im Katalog von 1412 des Kl. Ameluugsborn,
Dürre im Progr. d. Gyran. zu Holzmiuden 1876 S. 22. Ideler, Leben u. Wandel
Karls des Grossen voii Eiuhard (Text mit Kommentar u. Beilagen), 2 Bde. 1839.
Ausg. von Jaffe, Bibl. IT, 487—581, u. bes. Abdruck, 1867; 1876 cur. W. Watten-
bach. Ed. Waitz, 1880; A. Holder 1881. Uebers. von 0. Abel, Geschichtschr. 16
(IX, 1) 1850, 1880, 3. Aufl. 1S93. Rest einer deutschen Uebers. aus d. 13. .Jahrh.
von F. Pfaff, Alemannia N. F. I. Verbesserungen von Fröhner, Krit. Analekten.
Philologus, Suppl.-Bd. V, S. 93. Fr. Schmidt, De Einhardo Suet. imitatore, Progr.
1880. Manitius, Anklänge an Yergil, NA. IX, 617, an Sulpicius Severus, Velleju.s
p. 168, jetzt SS. XIII, 174) entnommen, und da er darin billig vorkommen
mufs, dürfen wir den ohne jede nähere Bezeichnung gesetzten Namen
wohl auf ihn beziehen. Die Ann. S. Bavonis (MG. II, 187), welche 844
(Chron. S. Bavonii? bei De Smet, Corp. I, 483 auch d. 25. Juli) geben,
sind eine ganz unzuverlässige späte Kompilation. Den 14. März geben
die Nekrologien von Lorsch (Boebmer, Fontes III , 14(3 , wo Einhardi zu
verb. ist) und Fulda (SS. XIII, 166) und eine Aufzeichnung saec. IX im
Cod. Vat. Pal. 1448 bei Dümmler, Zeitschr. f. D. Altert. XXI, 76; den
21. März das Würzburger bei Eckhardt, Comm. II, 320, und Dümmler.
Forsch. VI. 116.
') Poet. Lat. II. 237.
2) S. über ihn Dümmler, Ostfr. II, 432.
^) Der Brief an den Kaiser über den Kometen von 837 (Bibl. IV, 459)
ist einzeln vollständiger erhalten, NA. I, 585; II, 450, Epp. V, 129: vgl.
Kurze, Einhard S. 84.
•") Bibl. IV, 437—486; Epp. V, 105—145, 641; vgl. Kurze, Einhard
S. 32 ff., 46 ff., 72 ff. Es fehlen ein Brief der Gemeinde von Sens an E.
(Epp. V, 286), s. Simson I, 302 Anm. 2, und ein nicht unwichtiger, doch
nicht von E. kommender Brief an Lothars Gemahlin Hermengard, Teulet
II, 146 (Du Chesne II, 710. Mab. Ann. 1. 28 n. 48); Epp. V, 343—345.
204 -fl- Karolinger. § 8. Einhard.
und Curtius ib. XII. 205, 206; au Justin XIII. 213. Nachträge zu Einliardä Stil,
Mitteil, des Inst. XVIII, 610-G15. E. Bernheim, Waitz-Aufsätze S. 73—96, über
das Verhältnis zu Sueton und zu den Ann. Einhardi, die er benutzt habe, vgl.
NA. XII, 427. G. Janke, Der Eiuflufs Suetons auf die histor. Richtigkeit Ein-
hards in der V. K., Berlin 1872. Hauck 11, 176—180.
, Einhard", sagt Ranke zur Kritik fränkisch- deutscher Reichs-
annalisten S. 416^), , hatte das unschätzbare Glück, in seinem grofsen
Zeitgenossen den würdigsten Gegenstand historischer Arbeit zu
finden ; indem er ihm, und zwar aus persönlicher Dankbarkeit für
die geistige Pflege, die er in seiner Jugend von ihm genossen, ein
Denkmal stiftete, machte er sich selbst für alle Jahrhunderte un-
vergefslich."
, Vielleicht in keinem neueren Werke tritt nun aber die Nach-
ahmung der Antike stärker hervor, als in Einhards Lebensbeschrei-
bung Karls des Grofsen. Sie ist nicht allein in einzelnen Ausdrücken
und der Phraseologie, sondern in der Anordnung des Stoffes, der
Reihenfolge der Kapitel eine Nachahmung Suetons. Wie auffallend,
dafs ein Schriftsteller, der eine der gröfsten und seltensten Gestalten
aller Jahrhunderte darzustellen hat, sich dennoch nach Worten um-
sieht, wie sie schon einmal von einem oder dem anderen Imperator
gebraucht worden sind. Einhard gefällt sich darin, die individuellsten
Eigenheiten der Persönlichkeit seines Helden mit den Redensarten
zu schildern, die Sueton von Augustus, oder Vespasian, oder Titus,
oder auch hie und da von Tiberius gebrauchte. Er hat gleichsam
die Mafse und Verhältnisse nach dem Muster der Antike eingerichtet,
wie in seinen Bauwerken : aber damit noch nicht zufrieden, wendet
er wie in diesen auch sogar antike Werkstücke an. Wenn wir
auch überzeugt sind, dafs hierbei die Wahrheit nicht verletzt wurde,
so konnte doch die ganze Originalität der Erscheinung auf diese
Art nicht wiedergegeben werden. Ueberhaupt suchen wir in der
Geschichte nicht allein Schönheit und Form , sondern die exacte
Wahrheit, deren Ausdruck die freieste Bewegung fordert und da-
durch eher erschwert wird , dafs man sich ein bestimmtes Muster
vor Augen stellt."
„Ohne Zweifel war die Absicht Einhards mehr auf eine ange-
nehm zusammenfassende Darstellung, als auf strenge Genauigkeit
in den Thatsachen gerichtet. Das kleine Buch ist voll von histori-
schen Fehlern."
, Nicht selten sind die Regierungsjahre falsch angegeben, z. B.
') Ges. Werke LI, LH, 96. S. 121 — 124 sind hier weitere Bemerkungen
hinzugefügt über die Ungenauigkeit im ersten Teil , während für die
zweite Hälfte wertvolle Nachrichten gegeben werden.
Einhards Leiten Karls des Grofsen. 205
bei Karlmann, der nur zwei Jahre regiert haben soll, während er
doch über drei Jahre als König neben Karl dem Grofsen lebte ;
über die Teilung des Reiches zwischen den beiden Brüdern wird
eben das Gegenteil von dem behauptet, was wirklich stattgefunden
hat : Schlachten , die ohne besondere Wirkung vorübergingen , wie
die an der Berre, werden als entscheidend bezeichnet; Namen der
Päpste wei'den verwechselt, die Gemahlinnen sowohl, wie die Kinder
Karls des Grofsen nicht richtig aufgeführt; es sind so viele Ver-
stöfse zu bemerken, dafs man oft an der Echtheit des Buches ge-
zweifelt hat, obwohl sie über allen Zweifel erhaben ist."
So weit Ranke, zu dessen scharfer Charakteristik ich nur wenig
hinzuzufügen habe. Gerade in diesem Wei'ke tritt die Eigentüm-
lichkeit der karolingischen Bildung am deutlichsten hervor ; unmög-
lich kann der fränkische Volkskönig in diesen suetonischen Aus-
drücken zur vollen Erscheinung kommen. Nur darf man auch
nicht vergessen , dafs Einhard eben den Volkskönig kaum noch
kannte, sondern hauptsächlich nur den alternden Kaiser, der selber
nach der Wiederbelebung des antiken Wesens trachtete, dessen
Streben in vieler Hinsicht auf die Herstellung des alten Imperatoren-
reiches gerichtet war, und der, wenn ihm auch die Einführung der
staatlichen Formen jener Zeit fern lag, doch durch seine grofse
persönliche Ueberlegenheit so ehrfurchtgebietend dastand, und so
sehr die Seele der ganzen Herrschaft war, dafs es nicht so ganz
unpassend Avar, ihn dem Augustus zu vergleichen und die Farben
des Bildes von dem Biographen der Imperatoren zu borgen. Auch
dankt er , und wir mit ihm , dem Sueton mehr als nur die Aus-
drücke, Keine Biographie des Mittelalters stellt uns ihren Helden
so vollständig und plastisch nach allen Selten seines Wesens dar.
Das ist die Frucht der Kategorien, welche Einhard bei seinem Vor-
bilde fand'). Indem er diesen gewissenhaft folgte, wurde er, wie
Jaflfe (S. 501) richtig bemerkt, veranlalst, viele Umstände zu er-
wähnen, welche er sonst wahrscheinlich übersehen haben würde.
Dafs Einhard sich bei diesem Werke nicht eine eigentliche ge-
schichtliche Darstellung zur Aufgabe gewählt hatte, bemerkt auch
Ranke ; er wollte ein Lebensbild entwerfen , eben nach der Weise
des Sueton. und diesen Zweck hat er vollständig erreicht. Er ver-
fafste dieses Werk unmittelbar nach des Kaisers Tode; schon 821
linden wir es im Reichenauer Bibliothekskatalog genannt"), um 830
') Vgl. über die Hs. des Sueton in Fulda und ihre Verbreitung Traube
im NA. XXVII, 266.
^) Neugart, Ep. Constant. I, 1, 540.
206 If- Karolinger. § 8. Einhard.
von einem Zeitgenossen erwähnt und benutzt. Noch stand das Bild
seines väterlichen Freundes in voller Frische vor seinem Geiste, und
die etwas kalte Eleganz der Form wird durchwärmt von der kind-
lichen Verehrung und Anhänglichkeit, von welcher der Verfasser
ganz erfüllt ist, und die sich überall ausspricht, ohne dafs doch
das Lebensbild in eine Lobrede ausartete. Vielmehr tritt die ruhige
Mäfsigung, welche Einhards Charakter eigen ist, auch hierin deut-
lich hervor, und seine reine Wahrheitsliebe ist unverkennbar, wenn
er auch die Schwächen seines Helden mit leichter Hand berührt.
Ein Werk, welches diesem an Vollendung der Form, wie an
ansprechendem Inhalte zu vergleichen wäre, hatten die germanischen
Nationen noch nicht hervorgebracht, und so ist es denn auch nicht
zu verwundern, dafs es rasch die gröfste Verbreitung fand und
jahrhundertelang zu den beliebtesten und gelesensten Büchern ge-
hörte; bald nach seiner Vollendung wird es von dem jungen Lupus,
der es in Fulda gelesen hatte, mit warmer Begeisterung gepriesen
(oben S. 202) ; Walahfrid teilte es in Kapitel und schrieb dazu
jenen so wertvollen Prolog, dem wir die wichtigsten Lebens-
nachrichten über Einhard verdanken. Noch jetzt sind mehr als
80 Handschriften davon uns bekannt, und seit den Biographen Lud-
wigs des Frommen sind die Chronisten nicht müde geworden, es
auszuschreiben.
Nachdem die Vita Karoli schon 1521 (oben S. 6) und dann sehr
häufig gedruckt war, hat Pertz 1829 mit übergrofser Fülle von
Varianten eine Ausgabe gegeben, deren Text nicht überall den Vor-
zug vor den älteren Ausgaben verdient'). JafTe hat in seiner neuen
Ausgabe 1867 eine früher übersehene Pariser Handschrift zu Grunde
gelegt, und endlich Walahfrids Prolog damit verbunden, welchen
Pertz mit der ihm eigenen Starrheit auch noch in der neuesten
Ausgabe unberücksichtigt gelassen hatte-). Doch hat auch diese
Grundlage sich nicht zu bewähren vermocht. Waitz hat die Ueber-
schätzung der nicht mustergültigen Pariser Hs. nachgewiesen, und
endlich mit Benutzung neuer Hilfsmittel und Unterscheidung ver-
schiedener Rezensionen, die vielleicht an Einhard selbst hinanreichen,
einen neuen besser gesicherten Text hergestellt.
') S. Jaffe in der Bibl. IV, 504.
-) Beigegeben ist dagegen hier eine schlecht gezeichnete Abbildung
des Commoduskopfes , mit welchem Karl siegelte , die Pertz irrig für
Karls Porträt hielt.
Der Mönch von St. Gallen. Die Karlssage. 207
Häufig finden sich in Handschriften das Leben Karls und die
Reichsannalen als erstes und zweites Buch miteinander verbunden;
als drittes tritt dann die Schrift des Mönches von St. Gallen^)
hinzu, in welchem man jetzt Xotker den Stammler erkannt bat,
der im Jahre 883 , veranlalst durch Kaiser Karl III. , den reichen
Schatz von Erzählungen und Sagen aufzeichnete, welche sich im
Munde des Volkes an Karl, an seinen Sohn, und den Enkel, Ludwig
den Deutschen, knüpften. Da ist nun nichts mehr von Einhards
klassischer Form zu finden, die Sprache ist etwas schwerfällig und
unbeholfen und der Inhalt keine Geschichte; nur selten und mit
grofser Vorsicht ist ein Vorfall, der hier erzählt wird, als wirkliche
Thatsache hinzunehmen.
Aber um keinen Preis möchten wir doch diese Sammlung ent-
behren. Sie zeigt uns das Bild des grofsen Kaisers, wie es im Volke
lebte und bis dahin sich gestaltet hatte , und mancher höchst cha-
rakteristische Zug hat sich nur hier erhalten^). Der gute, treu-
herzige Mönch, der uns so lebendig mitten unter das Volk und
seine Erzählungen führt, hat deshalb den gröfsten Anspruch auf
unseren Dank, und wir müssen sehr bedauern, dafs er sein Werk,
wie es scheint, nicht vollendet hat.
Der üebersetzer dieser Schrift hat sich bemüht, die Anfänge
karolingischer Sage weiter zu verfolgen, und die Spuren davon zu
sammeln ; ihm war dabei in der ersten Ausgabe eine merkwürdige
Stelle entgangen, die Angabe in dem Leben der Königin Mahthild,
daCs der Krieg zwischen Karl und Widukind durch einen Zweikampf
beider entschieden sei: nach langem Widerstände besiegt, habe Widu-
kind sich taufen lassen^).
1) Monachus SaugaUensh- ed. Pertz, MG. SS. II, 726 — 763. Neue Ausg.
von Jafle, Bibl. IV, 619 — 700 mit Benutzung der abweichenden Zwiefalter
(Stuttg.) u. Wiblinger (St. Flor.) Handschriften, welche jedoch, wie Gerold
Meyer von Knonau zu Ratperti Casus S. Galli S. 255 nachzuweisen suchte,
durch spätere Ueberarbeitung und Interpolation verändert sind, weshalb
der Text nicht nach ihnen hätte gestaltet werden sollen. Auch Zeumers
entgegengesetzter Ansicht wollte sich Wattenbach nicht anschliefsen.
Eine aus Tegernsee stammende unvollst. Hs. ist für die Pariser Bibl. er-
worben, Nouv. acq. lat. 310. Uebersetzung von W. Wattenbach, Berlin
1850, 1877, 1890 (Geschichtschr. 26, IX, 11). Zu dem Spielmannsreim
auf Udalrich I, 13 vgl. Steinmeyer, Zeitschr. f. D. Alt. XX, Anz. S. 147.
Müllenhoff u. Scherer, Denkm. I, 21 ; II, 59 ff. Ueber benutzte Schriften
Simson, Karl d. Gr. IT, 612—615. Vgl. unten § 15.
') Unter den Seligen erscheint Karl in der vielleicht aus Fleury
stammenden Visio Fotcharii , welche nach einem Auszuge bei Mabillon,
Acta SS. IV, 1, 667 Wattenbach aus der jetzt Petersburger Hs. heraus-
gegeben hat. Anz. des German. Mus. XXII, 73.
^) MG. SS. X, 576. Zu erwähnen ist noch die nach der Mitte Hes
208 II- Karolinger. § 8. Einhard.
Mit den Kreuzzügen artete die Karlssage aus und verlor allen
geschichtlichen Inhalt; besonders die Aachener Reliquien brachten
die Erzählung von Karls Kreuzfahrt zu allgemeiner Geltung, und
fortan treten die Lügen des falschen Turpin an die Stelle von Ein-
hards treuer Schilderung. Wie daneben im Munde der fahrenden
Sänger das Andenken Karls sich erhielt und umwandelte, darüber
genügt es auf das schöne Werk von Gaston Paris, Hisfoira X'oetique
de Charlemagne (Paris 1865) zu verweisen').
Eine Schrift Einhards bleibt uns noch zu erwähnen, sein Bericht
nämlich von der Uebertragung der »Gebeine der heiligen Märtyrer
Marcelliuus und Petrus von Rom nach Seligenstadt^). Im Jahr 827
geschah die Ueberbringung, und 830 verfalste Einhard die sehr an-
ziehend geschriebene Darstellung derselben. Wir sehen darin, wie
er sich mehr und mehr von dem weltlichen Leben abwandte und
der kirchlichen Richtung hingab , wundergläubig in hohem Grade
und ganz mit der Pflege seiner Pflanzung im Odenwalde beschäftigt;
ganz vorzüglich betrübte ihn , dafs bei der Krankheit seiner ge-
liebten Imma die Zuversicht auf die Wunderkraft der Reliquien
9. Jahrhunderts in Mainz aufgezeichnete Visio domni Caroli , gegen die
Ausbeutung der Kirchengüter durch seine Nachfolger gerichtet, bei Graff,
Althochdeutscher Sprachschatz III, 855. Bibl. IV, 701, übersetzt bei
Abel, Kaiser Karls Leben, 2. Aufl. S. 68 ; Gengier, Germ. Rechtsdenkmäler
(1875) S. 237. Vgl. Falk, NA. XI, 617. Ferner das von Pertz SS. III, 708
mitgeteilte Haager Fragment über Karls Expeditio Hispanica (wiederholt
bei G. Paris , Hist. poet. de Charlemagne , S. 465 , vgl. 50 und 89 , und
gröfstenteils in Hexameter zurückgeführt in den Münch. SB. 1871 S. 328
bis 342 von Hofmann , der es dem Sagenkreise von Wilh. v. Orense zu-
weist, neue Ausgabe bei Suchier, Les Narbonnais II, 167 — 192 mit franz.
Uebersetzung u. Faksimile der dem 11. Jahrh. angehörenden Hs., der es
für eine Schülerarbeit hält, vgl. v. Winterfeld im NA. XXII, 756 — 760,
Zeitschr, f. D. Altert. XLV, 133) und die Sagen des Chron. Novaliciense.
Auch die Vita S. Arnoldi, Acta SS. Jul. IV, 449—452, ist geschichtlich
unbrauchbar, enthält aber eine sagenhafte Geschichte von einem Leier-
spieler, der sich von Kaiser Karl den Wald bei Arnsweiler im Jülichschen
für die umliegenden Dörfer erbittet; vgl. Rettberg I, 548. Die aus Petrus
Damiani zum Mon. Sangall. S. 101 mitgeteilte Geschichte findet sich, auf
den Maurenkönig übertragen, bei Tui'pin wieder. Ein wirkliches Denk-
mal der Schlacht bei Roncevaux, deren Tag (15. Aug. 778) allein dadurch
bekannt wird , ist das Epitaphium Aijgiardi (Karls Truchsefs Eggihard),
von Dümmler mitgeteilt in Haupts Zeitschr. XVI, 279; vgl. S.436, und
Gaston Paris in der Zeitschr. Romania II, 146 — 148, der im Anschlüsse
daran im Turpin ein vielleicht echtes Epitaphium Rutlandi nachweisen
wollte. Beide jetzt Poet. Car. I, 109; doch ist letzteres aus Venantius
Fortunatus zusammengestoppelt und schwerlich alt.
') Vgl. auch Gast. Paris, L'anneau de Fastrade, Journal des savants
1896, S. 637—643. 718—730.
^) Translatio et Miracula SS. Marcellini et Petri ed. G. Waitz, SS. XV,
1, 288—264.
Einhards Schriften. 209
ihn so völlig getäuscht hatte. Diese hohe Verehrung der Reliquien
teilte er mit allen seinen Zeitgenossen, und eben wegen dieser Ver-
ehrung haben die zahlreichen Uebertragungen solcher Gebeine für
uns auch geschichtlichen Wert'). Auf ihnen beruhte grofsenteils
der Einflul's der Kirchen ; besonders verehrte Reliquien verschafften
ihnen unermefslichen Zulauf: der Ruf von geschehenen Wundern
verbreitete sich weithin, und ohne Zweifel wurde dadurch die Aus-
breitung des Christentums , z. B. in Sachsen , sehr wesentlich be-
fördert. Aus den genauen Beschreibungen der Reise, wie aus den
Erzählungen von den Wundern , ist zugleich vieles für die Sitten-
geschichte wie für die Topographie nicht unwichtige zu entnehmen,
wie das namentlich in Bezug auf die damalige Art zu reisen aus
Einhards Werk von W. Matthaei nachgewiesen ist^). Merkwürdig
ist auch die Unverschämtheit, womit man im 11. Jahrhundert im
Medarduskloster versucht hat, mit entsprechender Verfälschung von
Einhards Schrift sich die Leiber der heiligen Tiburtius, Marcellinus
und Petrus anzueignen^).
Dafs auch die in rhythmischer Form bearbeitete Passio der
Märtyrer Einhard zuzuschreiben sei, wie schon Teulet meinte, und
wie eine aus Fleury stammende Handschrift angibt, ist kaum zu
bezweifeln. Wenn auch seine ganze Richtung der antiken Weise
zugewandt war, so kann er doch für diesen ihm so am Herzen
liegenden Gegenstand die mehr populäre Form sehr wohl vorgezogen
haben"*). Nach Sigebert (SS. eccles. c, 84) verfafste Einhard auch
einen Auszug aus den Psalmen, von dem eine Handschrift in Bobbio
vorhanden war^).
Es bleibt uns nun noch die Besprechung der Annalen übrig,
wobei zu bemerken ist, dafs F. Kurze der Meinung huldigt, Einhard
habe für sein Genter Kloster die sogenannten Annales Sithienses, für
Fulda die Fuldenses verfafst, das erstere weist auch Bloch nicht
ganz von der Hand, das letztere wix'd durch die Ableitung aus den
Ann. Einhardi ausgeschlossen.
') Vgl. S. Beissel, Die A'erehrung der Heiligen und ihrer Reliquien
in Deutschi, bis zum Beginn des 13. Jahrb., Freiburg 1890.
^) Translatio SS. M. et P. in kulturgeschichtlicher Beziehung. Pro-
gramm aus Laubach 1884.
^) Translatio .SX Tihurtii, Marcellini et Petri ad S. Medardum ed.
Holder-Egger SS. XV, 391—395.
*) Neue Ausg. mit Einteilung in dreizeilige Strophen, von Dümmler,
Poet. Car. II, 125—135, vgl. auch Kurze, Einhard S. 61.
^) NA. XVI, 173.
Wattenbach, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 14
210 I^- Karolinger. § 9. Reichsannalen,
§ 9. Die Reichsannalen.
MG. SS. I, 124—218; besonderer Abdruck 1845. Annales regni Francorum 741—829,
qui dicuntur A. Lauriss. maj. et Einliardi, ed. Fr. Kurze, Hann. 1.89.5, dazu lieber
die frank. Reichsanual. u. ihre üeberarbeitung. I. Die bist. Ueberlieferung NA.
XIX, 295—329; 11. Quellen u. Verf. des ersten Teiles XX, 9-49; III. Die 2. Hälfte
und die üeberarbeitung XXI, 9—82, vgl. die Strassb. Dissert. von Wibel, Beitr.
zur Kritik der Ann. regni Franc, und der Ann. q. d. Einhardi, 1902, der die
Grundlagen von Kurzes Handschriftenkritik erschüttert. Frese, De Einhardi
Vita et Scriptis Specimen, Diss. Berol. 1845 (gegen die Autorschaft Einhards).
0. Abel, Einhards Jahrbuch., Berlin 1850, 1880 (Geschichtschreib. 17, IX, 2).
L. Ranke, Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten, Abhandlungen der
Berliner Akademie 1854 S. 415— 435; vermehrt Ges. Werke LI— LH. G. Waitz, Zu
den Lorscher u. Einhards Annalen, Gott. Nachrichten 1857 S. 46-52. B. Simson,
De statu questionis: siutne Einhardi necne sint quos ei ascribunt, Anuales
Imperii, Diss. Regiom. 1860. W. Giesebrecht, Die fränkischen Königsannalen u.
ihr Ursprung, im Münchener Hist. Jahrb. (1864) S. 186—238. G. Monod, Revue
crit. 1873 N. 42; fitudes crit. sur Ics sources de l'hist. Carolingienne, Paris 1898,
angez. von Bloch, Gott. Gel. Anz. 1901 S. 872—897. Fr. Ebrard, Reichsannalen
741—829 u. ihre Umarbeitung, Forsch. XIII, 425—472. E. Dünzelmann, Beiträge
zur Kritik der Karol. Annalen, NA. II, 475— Ü37. H. v. Sybel, HZ. XLII, 260-288
(Kl. Sehr. III, 1 ff.). Entgegnung Simsons, Forsch. XX, 205— 214. Replik von
Sybel, HZ. XLIII, 410. Duplik von Simson, Karl d. Gr. II, 604-611. Harnack,
Das karoling. u. das byz. Reich (1880), Excurs. Manitius, Die Ann. Sithienses,
Lauriss. min. u. Enharti Fuld. (Diss. Lips. 1881). Manitius, Einhards Werke u.
ihr Stil. NA. VII, 517—568. Is. Bernays, Zur Kritik Karol. Annalen, Strassb. 1883.
Dorr, NA. X, 241—305. Nachwort von Sybel S. 305-307. Dorr (Ann. Lanr. 796
bis 829 doch von E.) XI, 475—488. Sybel dagegen S. 489. Horst Kohl (Ueberblick)
in G.Richters Ann. d. deutschen Gesch. 2. Abteil. S. 697—714 (1887). B. Simson,
Karl d. Gr. I (1868) S. 1—5, 657-664. Progr. von Seraphim, Fellin 1887, s. NA.
Xm. 654. Bemerkungen von Manitius, Mitteil. d. Inst. X, 417 ff. (NA. XV, 211) :
ib. xm, 22,5—238. Faks. d. Wiener Hs. v. Ann. Einh. in E. Berners Gesch. des
pr. Staats I, 1890.
Die Bestrebungen der gelehrten Männer an Karls Hofe richteten
sich vorzugsweise teils auf das Studium der älteren Litteratur und
die formelle Ausbildung, teils auf theologische und philosophische
Probleme; mit geschichtlichen Forschungen beschäftigten sie sich
wenig. Dem Kaiser jedoch entging die Wichtigkeit derselben nicht,
er sorgte wenigstens dafür, das Andenken seiner eigenen Zeit zu
erhalten. Er verordnete, dafs die Gesetze und die Beschlüsse der
Reichstage seiner Zeit in mehreren Exemplaren an verschiedenen
Orten sorgfältig aufbewahrt werden sollten ; die Schreiben der Päpste
und der griechischen Kaiser an ihn, seinen Vater und Grofsvater
liefs er, im vollen Bewufstsein der überwiegenden Wichtigkeit dieser
Verhältnisse, in einem eigenen Buche zusammenfassen, dem Codex
Carolinus, dessen erster Teil uns noch erhalten, und eine der wich-
tigsten Geschichtsquellen istO- Aufserdem aber vergafs er auch
^) Sehr verdienstliche Ausgabe von Jaffe, Bibl. IV, 1 — 306, danach
von Gundlach, Epp. III, 469—657; die Briefe Leos III., Bibl. IV, 307
bis 334, von Hampe, Epp. V, 85 — 104. Phototypie einer Seite des Cod.
bei 0. V. Heinemann, Wolfenb. Hss. I, S. 214. Ueber Jaffes Ausgabe s.
Sickel in Sybels hist. Zeitschr. XIX, 182—190, über Gundlachs NA. XVII,
526—566 und dagegen XIX, 475; XXII, 321. S. auch Kehr, Ueber die
Chronologie der Briefe Pauls I., Nachr. der Gott. Ges. der Wiss. 1896
Heft 2.
Annales Laurissenses majores. 211
nicht die Fürsorge, welche, wie wir oben (S. 141) sahen, das karo-
lingische Haus schon in früherer Zeit der Aufzeichnung seiner
Haus- und Landesgeschichte gewidmet hatte. Wie Paulus Diaconus
in seiner Geschichte der Bischöfe von Metz den Ahnherrn der Arnul-
finger verherrlichte, ist schon erwähnt (S. 1S3). Dagegen finden
wir keine Spur davon, dafs etwa die Fredegarische Chronik weitere
Fortsetzungen erhalten hätte, sie scheint vielmehr damals fast ver-
gessen zu sein.
Es hatte aber inzwischen die anfangs so gar dürftige annalisti-
sche Aufzeichnung schon begonnen, sich zu einer Art von Reichs-
geschichte auszubilden ; es waren nach der § 3 entwickelten Ansicht
hauptsächlich die Bischöfe, vielleicht auch weltliche Grofse, welche
bei der Pflicht regelmäfsiger Teilnahme an den Reichstagen und
Heereszügen das Bedürfnis empfanden, die Reihenfolge der Begeben-
heiten übersehen zu können, und deshalb ihre Kleriker zu Aufzeich-
nungen veranlafsten, die nach und nach zusammenhängende Gestalt
gewannen und aus anderen Annalen auch in ihrem älteren Teile
ergänzt würden. Vorzüglich Chrodegang von Metz (742 — 766)
scheint, wie oben schon (S. 161) bemerkt worden ist, zu solcher
Thätigkeit angeregt zu haben. Unter den Annalen dieser Art zeich-
nen sich aber in ganz besonderer Weise die sogenannten Annales
Laurissenses majores^ aus, welche in gedrängter Kürze freilich,
aber doch mit vollständiger Üebersicht aller Begebenheiten die ganze
Regierung Karls begleiten. Schrieb man früher ihren Ursprung dem
Kloster Lorsch zu, wo die älteste Handschrift gefunden ist, so
können sie doch unmöglich dort oder überhaupt in der stillen Zu-
rückgezogenheit eines Klosters entstanden sein, L, Ranke ist es,
welcher zuerst mit sicherem Scharf blicke dieses Verhältnis erkannte
und jene Annalen zum Gegenstand einer eindringenden Untersuchung
machte, deren Ergebnisse seitdem nicht nur fast allgemeine Zustim-
mung gefunden, sondern auch in hohem Grade anregend auf die weitere
Forschung gewirkt haben. In der Abhandlung, welche einen wichtigen
Fortschritt für unsere Kenntnis der mittelalterlichen Geschichtschrei-
bung bezeichnet, sagt Ranke-) in Bezug auf diese Jahrbücher : ,Bei dem
alten Annalisten fällt nun zweierlei auf, einmal, was wir eben be-
^) Früher auch plebei und Loiseliani genannt. 741 — s29, ed.
Pertz, SS. T, 1.34—218. Hs. 7, von Pertz nicht benutzt, ist Paris. .5941 A
(NA. IV, 244); Hs, 8, früher dem Baron de Grassier gehörig, ist jetzt
Paris. 10911; nahe verwandt damit eine Petersburger, Lat. F. Otd. IV, 4.
NA. VII, 228.
^) Abhandlungen der Berliner Akademie aus dem Jahre 1854, S. 434
(Werke LI, 11.5),' Vgl. auch Kurze, Einhard S. 16.
212 II- Karolinger. § 9. Reichsannalen.
rührten, dafs er grofse Unglücksfalle verschweigt; auch von den
inneren Stürmen, den dann und wann auftauchenden Verschwörungen
gibt er keine oder nur ungenügende Nachricht, — sodann aber,
dafs er über das, was er berührt, ausnehmend gut unterrichtet ist.
Ein Mönch in seinem Kloster konnte unmöglich die Dinge so genau
erkunden, wie sie hier beschrieben sind ; wir haben Klosterannalen
dieses Landes aus derselben Zeit, allein wie sehr sind sie verschieden !
Sie berichten nur das ganz Allgemeine der auffallendsten That-
sachen. Hier aber haben wir einen Autor vor uns, der die Züge
der Heere, ihre Zusammensetzung und Führung, die einzelnen
Waflfenthaten kurz aber sicher angibt, und der auch von den Unter-
handlungen bis auf einen gewissen Grad zuverlässige Kenntnis hat. Nie-
mand konnte über die Unternehmungen gegen Benevent und Bayern
so gute Nachrichten mitteilen, der nicht dem Rat des Kaisers nahe-
stand. Diese beiden Eigenschaften zusammen, gute Kunde und grol'se
Zui-ückhaltung, scheinen fast auf eine offizielle Abfassung zu deuten,
die aber freilich von einem Geistlichen herrühren müfste : jede Phrase
bezeichnet einen solchen. Es würde ein in den Weltgeschäften er-
fahrener, und mit dieser Thätigkeit vielleicht speziell beauftragter
Geistlicher gewesen sein, der diese Notizen am Hofe selbst aufge-
setzt hätte ; in rohem Stil, wie ihn die Zeit, welche der Einrichtung
der Hofschule voranging, wohl erlaubte; ein Mann der alten Art
und Weise, die sich hier durch die Nachwirkung der Ereignisse
allein höher erhob als je zuvor."
Ranke hat in diesen Worten eine Ansicht, die er mündlich be-
reits weiter ausgeführt hatte, nur leicht angedeutet; die Ansicht,
dafs nicht nur diese, sondern auch ein Teil der späteren Reichs-
annalen amtlicher Natur waren , dafs auf Veranlassung des Hofes
die Zeitgeschichte offiziell verzeichnet wurde , und daraus die un-
gemein rasche und bedeutende Entwickelung der Annalistik sich
erklärt, welche später auch anderen zum Vorbild diente, die nur
aus eigenem Antrieb die Ereignisse, welche sie erlebten, darzustellen
versuchten.
Diese Thatsache selbst in ihrer Allgemeinheit, die Thatsache,
dafs nach dem Vorgange Childebrands und Nibelungs auch Karl
für eine zuverlässige Aufzeichnung der Begebenheiten Sorge trug,
dafs daraus die Jahrbücher entstanden, welche wie die Vorzüge, so
auch die Fehler und Schwächen aller offiziellen Geschichtschreibung
aufweisen, darf man als erwiesen und anerkannt betrachten, wenn
auch dieser Auffassung seitdem in H. v. Sybel ein Gegner er-
standen ist. Er findet zwar in den Jahrbüchern nichts, was nicht
Amtliche Geschiditschreibung. 213
ein Mönch des Klosters Lorsch mit Leichtigkeit habe in Erfahrung
bringen können. Es ist jedoch nicht zu glauben, dafs ein Mönch
so anhaltend und in so gleich miifsiger Weise durch viele Jahre hin-
durch der Erforschung und Darstellung der weltlichen Vorgänge
seine Aufmerksamkeit zugewandt haben sollte. Und mit Recht be-
merkt Bernays, dafs er ja für diese Annalen eine gleichzeitige Auf-
zeichnung vor 788 nicht annehme, und dafs für die vergangenen
Jahrzehnte besagter Mönch doch schwer die Kunde der Begeben-
heiten sich habe verschaffen können')- Am Hofe müssen die An-
nalen geschrieben sein; was aber den amtlichen Charakter betrifft,
so muCs vor allen Dingen betont werden , dafs wir durchaus den
unwillkürlich stets sich einschleichenden Gedanken an Zustände und
Verhältnisse unserer Zeit zu verbannen haben , wo jedes offizielle
Wort sorgsam geprüft und gesichtet wird. In solcher Weise amtlich
sind die Lorscher Annalen gewifs nicht gewesen, und in dieser Be-
ziehung kann man H. v. Sybel und Bernays^) vollkommen zustimmen.
Wenn wir aber doch wissen, dafs Pippins nächste Angehörige der-
gleichen Aufzeichnungen veranlafsten, und dal's eine Annalistik dieser
Art im Westfrankenreiche unzweifelhaft bestand, wenn wir lesen,
dafs Smaragd, der 843 gestorben ist, von der uralten und bis auf
seine Zeit bestehenden Sitte der Könige redet, die Begebenheiten ihrer
Zeit aufzeichnen zu lassen''), so kann man sich nicht vorstellen, dafs
Karl nicht ebenfalls dafür Sorge getragen habe, d. h. dafs er einen
solchen Auftrag erteilte, und dafs man nun ein Buch hatte, welches
in der Kanzlei verwahrt und gelegentlich vom Könige selbst ange-
sehen wurde. Ein ausdrückliches Zeugnis dafür ist allerdings nicht
vorhanden. Durch einen Brief Hinkmars wissen wir ja , dafs Karl
der Kahle die Annalen des Prudentius bei sich hatte , wie später
auch Friedrich I. die ihm übersandte Chronik des Otto von Frei-
sing benutzte. Es ist dabei durchaus nicht ausgeschlossen , dafs
nicht einmal jahrelang die Arbeit liegen blieb und der betreffende
^) Zur Kritik karol. Annalen S. 171. Waitz machte gegen den Lorscher
Ursprung auch geltend, dafs der dort schreibende Vf. der Laur. min. sie
nicht gekannt habe, aber das bestreitet wieder Puckert. Vgl. auch Kurze
im NA. XX, 42—47.
2) S. Itj9 ff.
3) Smaragdi Praef. V. S. Bened. Anian. (SS. XV, 1, 201): „Peranti-
quam siquidem fore consuetudinem hactenus regibus usitatam, quaequae
geruntur acciduntve annalibus tradi 2)osteris cognoscenda, nemo ut reor
ambigit doctus." Vgl. über diese Stelle Kaufmann in Sybels bist.
Zs. LIV, 56 — 58. üeber f]ckharts verfehlte Vermutung, dafs die Annalen
von den Kanzlern verfafst wären, während er den offiziösen Ursprung
richtig erkannte, s. Sickel Acta Karol. p. 83.
214 II. Karolinger. § 9. Reichsannalen.
Autor auch manchmal nachlässig und flüchtig arbeitete. Eine amt-
liche Nachi^rüfung seiner Arbeit wird nicht stattgefunden haben.
Hinkmar sagt ausdrücklich, dafs die Jahrbücher des Prudentius
schon in vieler Menschen Hände gekommen seien, und da eine Ein-
wirkung auf die öffentliche Meinung beabsichtigt war, wird an
Geheimhaltung nicht zu denken sein.
Sicher ist es nicht diese Quelle gewesen, welche der Verfasser
der Vita Eigoberti meinte , als er über Karl Martell schrieb : , De
hoc etenim, non rege sed tyranno, ita legitur ad locum in Annalibus
diversorum regum : Iste Karins omnibus audacior episcopatus regni
Francorum laicis hominibus et comitibus primum dedit, ita ut epi-
scopis nihil potestatis in rebus ecclesiarum permitteret')." Diese
Stelle ist früher nur nach dem Auszug in Flodoards Hist. Rem. II. 12
angeführt und deshalb gänzlich mil'sverstanden worden. Der Ver-
fasser stand der Zeit, über welche er schrieb, schon sehr fern, und
kann nicht sehr viel älter sein , als Flodoard selbst ; er wird ver-
mutlich eine jüngere Kompilation benutzt haben.
Anders verhält es sich mit der von Simson (S. 33) aus Hinkmar
de villa Novilliaco angeführten Stelle über den Beginn der Regierung
Karls und Karlraanns „sicut in annali regum scriptum habemus*"
(SS. XV, 2, 1167). Sie findet sich wörtlich in den Ann. Lauriss.
mit Ausnahme eines Satzes, der aus der Cont. Fred, mit Leichtig-
keit zu entnehmen war. Hinkmar kann also eine der Bearbeitungen
der Lauriss. vor sich gehabt haben , und ob er hier eine amtliche
Quelle hat bezeichnen wollen, ist ganz zweifelhaft. Abgesehen also
davon, ob und wie weit den Ann. Lauriss. ein amtlicher Charakter
beizulegen ist, bleibt die Frage, ob es noch aufserdem, wie Bernays
behauptet, Hofannalen, ein Werk von viel gröfserer Bedeutung und
Zuverlässigkeit, gegeben habe, eine ungelöste und vei-mutlich un-
lösbare. Dem Versuch aber, die in ihnen nicht enthaltenen Nach-
richten , welche hier oder da einmal auftauchen , für dergleichen
Hofannalen in Anspruch zu nehmen, ist eine ernsthafte Bedeutung
nicht beizumessen ; ein solches Werk , wenn es wirklich vorhanden
war, hätte deutlichere Spuren hinterlassen müssen.
Indem ich nun also mit Kurze an der Beziehung der Lauriss. oder
Königsannalen zum Hofe festhalte, ist jetzt der Frage über ihre Ab-
fassung näher zu treten. Schon L. Giesebrecht"), dann B. Simson haben
den Beweis geführt, dafs die Annales Laurissenses, wie sie uns jetzt
') Acta SS. Jan. I, 177.
2) Wendische Geschichten III, 283.
ür.siiruiig der Annales Laurissenses. 215
vorliegen , nicht gleichzeitig Jahr für Jahr entstanden sind , was
Pertz nur für den ersten Teil bis 768 zugab , und W. Giesebrecht
bat in der (S. 190) angeführten Abhandlung diesen Punkt als sicher-
gestellt angenommen , die Abfassung des ganzen zusammenhängen-
den ersten Teils um das Jahr 788 behauptet und dafür allgemeine
Zustimmung gefunden.
Seine weitere Vermutung aber, dafs der Sturz des bayrischen
Herzogs Tassilo zu dieser offiziösen Darstellung der Reichsgeschichte
den Anstol's, einem guten Teile derselben die Färbung gegeben,
schwebt völlig in der Luft, ebenso wie die vermeintliche Autor-
schaft Arns von Salzbu.rg, von dem wir nicht einmal wissen, ob er
je schriftstellerisch thätig war. Das Gleiche gilt von dem durch
Kurze auf den Schild erhobenen Riculf von Mainz ^). Mutmafsungen
dieser Art dürften sich doch nur auf Männer richten , denen wir
litterarische Leistungen überhaupt zutrauen können.
Mit Recht hebt M. Manitius"), der Abfassung im Jahre 795
behauptete, die Vertrautheit des Autors mit der Rechts- und Ur-
kundensprache, die vielen romanischen Wörter, die Benutzung von
Aktenstücken hervor, wodurch sich auch irrige Angaben über an-
gesagte, später aber verlegte Festfeiern erklären. Denken könnte
man daher z. B. an Angilram von Metz (769 — 791), welcher Paulus
Diaconus zur Bischofsgeschichte von Metz, den Diakon Donatus zur
Abfassung der Lebensbeschreibung des heiligen Trudo veranlafste
und jetzt Erzkaplan des Königs war^). Ihn könnte man sich in
ähnlicher Stellung zu dem gewifs nicht leichten Unternehmen vor-
stellen, wie einst Childebrand und Nibelung. Dafs ihm dabei die
Fortsetzungen Fredegars fehlten , ist freilich auffallend. Auch bei
diesen Annalen fällt das Hauptgewicht offenbar auf Karls eigene
Regierung. Ihm also glaube ich die Anregung zu diesem Werke,
welchem wir die eingehende Kunde von seiner Thätigkeit wesentlich
verdanken, nach Rankes Vorgang zuschreiben zu dürfen; ihm und
seinen Nachfolgern Angilbert, Hildibald und Hildvin (für 820 — 829)-')
möchte auch Monod einen mehr oder weniger unmittelbaren Ein-
1) S. Kurze, Einhard S. 17.
2) Mitt. d. Inst. X, 417 ff., vgl. Brefslau, NA. XV, 211. Auch Mitt.
XIII, 225—232.
*) Ueber ihn vgl. L. Oelsner in der Deutschen Allg. Biogr. I, 460.
Nimmt man die Abfassung erst 795 an, so ist natürlich diese ganz un-
sichere Vermutung hinfällig.
*} Vgl. seinen Aufsatz : Hilduin et les Aimales Einhardi (Melanges
Jul, Havet, Paris 1895, p. 57 ff.), sowie Sources p. 136—142, dem Kurze
in der Ausgabe beistimmt.
216 II- Karolinger. § 9. Reichsannalen.
flufs auf die Annalen zuerkennen, alles dies aber bleibt vollkommen
unsicher und unerweislich. Das ältere Material aber, was hier ver-
arbeitet ist, wird eben durch diese bequeme Zusammenfassung, die
späterhin auch sprachlich und stilistisch noch zeitgemäfs überaz'beitet
wurde, bald verdrängt und in Vergessenheit gebracht sein, beson-
ders wenn es nur in der königlichen Kanzlei vorhanden war, während
sich hin und wieder in Domstiftern und Klöstern zufällig auch viel
unbedeutendere Sachen erhielten.
Abweichend hiervon hat Dünzelmann vorzugsweise nach sprach-
lichen Gesichtspunkten die Annalen untersucht, er findet, dafs der
erste Abschnitt derselben von 741 — 791 reiche, der zweite von
792 — 796, wo auch von anderen ein Abschnitt angesetzt wird.
Doch behauptet wieder Bernays ohne triftigen Grund, dafs nur bei
789 und 801 ein Wechsel der Verfasser anzunehmen sei. In der
leider verlorenen Lorscher Handschrift schloTs sich min eine Fort-
setzung bis 793 an, die niir ein Bruchstück aus den Ann. Laures-
hamenses ist. In den übrigen Handschriften sind die nächsten Jahre
zum Teil auffallend kurz, übrigens aber in wenig veränderter Weise
und vermutlich von demselben Autor behandelt'), die Verschwörung
Pippins 792 ist in derselben höfischen Weise, die wir aus dem
ersten Teile kennen, ganz verschwiegen^). Manitius findet hier
noch dieselbe Ausdrucksweise, wie im früheren Teile, und auch
noch Spuren derselben kompilatorischen Thätigkeit, welche er für
den Anfang nachweist. Obgleich durch diese schwankenden Ergeb-
nisse verschiedener Forscher das Vertrauen auf die Entscheidung
nach stilistischen Momenten erschüttert werden mufste, so gewähren
sie doch vergleichsweise noch am meisten Sicherheit, und es scheint,
dafs wir mit Bloch den ersten Abschnitt der Annalen bis zum Ende
des Jahres 794 anzusetzen haben, wo das Vulgärlatein aufhört.
Nach der Ansicht von Pertz tritt mit dem Jahre 796 ein völlig
veränderter Stil, eine neue Art der Auffassung ein, und diese Fort-
setzung fliefst allmählich so vollständig zusammen mit Einhards
Werk, dafs seine Hand auch im Anfang nicht zu verkennen sei.
„Nachher", sagt auch Ranke, „mufste die Historiographie in litte-
rarisch geschicktere Hände kommen , wie die Einhards waren , der
') So Waitz und W. Giesebrecht, während Pertz schon 788 die Fort-
setzung Einhards beginnen läfst, Dünzelmann eine zweite Fortsetzung
792 — 796 annimmt. Gegen Giesebrecht bemerke ich, dal's 792 nicht von
einer Brücke über die Donau, sondern von beweglichen Pontons für den
Feldzug die Rede ist.
*) Vgl. Kurze im NA. XX, 47.
Einhards vermeintlicher Anteil. 217
die alten Annalen überarbeitete und neue abfafste, wie es scheint im
Palast zu Aachen in eben den Jahren , von denen er handelte."
Während der Arbeit selbst schritt er an Bildung und namentlich
an Gewandtheit in der Sprache und Darstellung weiter vor, und
fand zuletzt die alten rohen Jahrbücher und seine eigene Leistung
so ungenügend, dals er sie noch einmal überarbeitete. Nicht die
tief eindringende Kenntnis der früheren Geschichte war es, die ihn
auszeichnete, oder die ihn zu dieser Arbeit veranlafste; seine Auf-
gabe war vorzugsweise eine stilistische, und nicht selten hat er da-
durch auch beachtenswerte Züge des älteren Annalisten verwischt:
ja er hat an einigen Stellen eine unrichtige Auffassung der Ereig-
nisse hineingetragen, weil er die ihn ei'füllende Vorstellung von der
alles andere überragenden Hoheit des Kaisers unwillkürlich auch
schon auf die früheren Zeiten übertrug. Wichtig aber ist uns
dennoch auch seine Ueberarbeitung nicht nur wegen einzelner Zu-
sätze, und weil es für uns Wert hat, auch seine Auffassung kennen
zu lernen, sondern auch deshalb, weil er so wenig zu ändern fand;
die alten Lorscher Annalen, sagt Ranke, erhalten dadurch eine nicht
geringe Beglaubigung, dals Einhard, was die Sache anbelangt, nur
eine und die andere Einschaltung über ein paar einzelne merk-
würdige Begebenheiten beizubringen hatte.
Einhards eigene selbständige Ai'beit reicht nach Ranke bis zum
Jahre 829, bis zu der Zeit, wo er sich vom Hofe zurückzog, voll
Trauer über die zunehmende Verwirrung und Auflösung des Reiches.
Für solche Zeiten war weder er selbst noch seine Feder geeignet.
Mit ruhiger Würde hatte er, solange das Reich nach den kriege-
rischen Zeiten des 8. Jahrhunderts für immer befestigt schien, und
durch den gewaltigen Kaiser auch noch von seinem Grabe aus zu-
sammengehalten wurde, Jahr für Jahr die Ereignisse verzeichnet:
den helleren feiner gebildeten Zeiten verlieh sein reines, fehlerfreies
Latein den angemessenen Ausdruck, und kurz und gedrängt zwar,
aber doch vollständig in allem Wesentlichen liegt die Reichsgeschichte
in seinen Jahrbüchern vor uns, in edler Einfachheit, frei von aller
Leidenschaft und Parteilichkeit. Als es unmöglich wurde, inmitten
der heftig erbitterten Feinde in solcher Weise fortzufahren, da über-
liefs er anderen die Fortsetzung seines Werkes.
Ich habe diese Stelle aus der ersten Ausgabe unverändert ge-
lassen , weil sie die durch Pertz lange Zeit herrschend gewordene
Ansicht ausdrückt, und weil die Autorschaft Einhards, wenn auch
keineswegs gesichert und durch wiederholte Angriffe erschüttert,
doch nicht mit voller Sicherheit widerlegt ist, wie denn auch Ebrard
218 II- Karolinger. § 9. Reicbsannalen.
es nicht unwahrscheinlich findet, dafs Einhard die Fortsetzung von
797 — 829 verfafst habe und Dünzelmann ihm wenigstens die vor-
treflFliche Darstellung von 797 bis Mitte 801 zuschreiben möchte,
Kurze dagegen den mittleren Teil von 796 — 820. Neuestens haben
Monod, H, V. Sybel und Bernays in entschiedenster Weise die
Möglichkeit von Einhards Autorschaft geleugnet, während Manitius
und Dorr, auf sprachliche Untersuchung gestützt, sich wieder dafür
aussprechen. Dabei fällt vorzüglich die Frage ins Gewicht, ob der
nach dem Muster der Alten gebildete Stil und der im Verhältnis
zum 8. Jahrhundert so sehr viel reichere Wortschatz ausschliefslich
für Einhard Zeugnis ablegen, und als sein besonderes Werk zu be-
trachten sind, und Wattenbach wollte sich der üeberzeugung nicht
verschliel'sen , dafs durch jene Untersuchungen fast bis zu voller
Evidenz nachgewiesen sei, nur in diesen Annalen und im Leben
Karls finde sich dieser, aus einer grofsen Anzahl alter Autoren mit
unvergleichlicher Sorgfalt gesammelte Wortschatz, diese Mannig-
faltigkeit der Satzbildung. Das ablehnende Urteil Bernheims aber
wird seine volle Berechtigung behalten , und auch Bloch hält jene
Vermutung für eine unfruchtbare. Es ist hierbei niemals aufser
acht zu lassen, dafs Einhard nicht eigentlich Historiker, seine Auf-
merksamkeit in weit höherem Grade der Formvollendung, als der
geschichtlichen Bedeutung der Thatsachen zugewendet war, wie wir
es ähnlich auch bei Lambert beobachten können.
Dafs Einhard der Verfasser dieser Annalen sei, hatte zuerst
Du Chesne behauptet, gestützt auf die Translatio S. Sebastiani,
wo Einhard ausdrücklich als Verfasser eines Annalenwerks unter
dem Titel: Gesta Caesaruni KaroU Magni et fiJ'ii ipsius Hhido-
wici genannt und eine Stelle daraus angeführt wird , welche
sich in unseren Annalen beim Jahre 826 wieder findet'). Dieses
') SS. XV, 1, 379 : „Agenardus cognomento Sapiens, ea qui tempestate
babebatur insignis, huius reverentissimi caelicolae mentionem in Gestis
Caesarum Earoli Magni et filii ipsius Hludowici faciens, inter alia quae
annotino cursu dictabat , non inoperosum duxit mortalia acta inmortali
astipulatione roborare ita dicens" etc. — Diese bestimmte Angabe gerade
aus dem Medarduskloster darf man doch nicht zu gering anschlagen, sie
kann recht wohl auf wirklicher Tradition beruhen. Der Verfasser 0 d i 1 o
widmet sein Werk (Mab. Actt. IV, 1, 383—410, Auszüge von Holder-
Egger SS. XV, 377 — 891), welches freilich schwülstig und nicht allzu
zuverlässig, aber doch für die Zeit Ludwigs des Frommen nicht unwichtig
ist und auf der älteren Schrift des Probstes Rodoin beruht, dem Dekan
Ingramnus, der nach Flod. 932 Bischof von Laon wurde. Ein Brief
von ihm an Hucbald, worin er der Mir. S. Seb. gedenkt, bei Mart.
Coli. I, 266. Auch die Autorschaft des Prudentius und Hinkmar für die
spätex'en Annalen beruht auf je einem Zeugnis, womit ich nicht, wie
Ueberarbeitunij der Annales Laurissenses. 219
Zeugnis aus dem 10. Jahrhundert schien bedeutend genug, um
die dagegen geltend gemachten kleinen Widersprüche zwischen
den Annalen und Einhards Vita Kai'oli übersehen zu können, doch
hat schon Simson , dem sich auch Monod anschliefst , in seiner
Dissertation (S. 7) darauf hingewiesen, dals durch die Zusammen-
stellung der Vita mit den Annalen in derselben Handschrift sehr
leicht eine falsche Uebertragung des Namens von der einen auf
die andern stattfinden konnte, wodurch jenes Zeugnis alles Ge-
wicht verliert.
In der Mitte des Jahres 801 setzte Dünzelmann, und hierin hat
er fast allgemeine Zustimmung gefunden, einen Abschnitt an');
nur so weit waren die Annalen dem Poeta Saxo bekannt, und nur
so weit reicht auch die sachliche üeberarbeitung. Allein der
Dichter hatte nur zufällig eine verstümmelte Handschrift vor sich
und der üeberarbeiter endete nicht mit dem Jahre 801 , vielmehr
erstrecken sich die Spuren der von ihm vorgenommenen sprachlichen
Glättung mindestens noch bis 812 und die von Bloch aufgestellte
Annahme liegt deshalb nahe, dafs er sein Werk nach dem Tode
Karls des Grofsen begonnen habe, wie er es vor 817 abschlofs.
Jedenfalls werden wir aber aus stilistischen Gründen einen neuen
Verfasser mit dem Jahre 808 anzunehmen haben, welches einen
ganz unverkennbaren Abschnitt bildet.
Es konnte nicht anders sein, als dafs nachmals der Anfang der
alten Annalen dem feiner entwickelten Sprachsinne geradezu uner-
träglich erschien. Die Uebereinstimmung mit einzelnen Stellen in
Einhards Vita Karoli wird einfach durch Benutzung der Annalen
in dieser zu erklären sein'), wie dies zuletzt Bloch am bestimmtesten
nachgewiesen hat. Das umgekehrte Verhältnis nimmt mit Unrecht
Kurze an, indem er die üeberarbeitung erst um 820, also längere
Zeit nach Vollendung der Vita stattfinden läfst^). Bei dieser haben
sich einige Mil'sverständnisse eingeschlichen, es sind aber auch nicht
unbedeutende neue Thatsachen hinzugekommen und es ist wahr-
man mich mifsverstanden hat, sagen will, dafs sie zweifelhaft sei, son-
dern dafs auch hier nur ein ausdrückliches Zeugnis sich erhalten hat.
') Monod läfst hier überhaupt erst einen neuen Autor eintreten und
ist nicht abgeneigt, Angilbert darin, etwa bis 813, zu erkennen, da dessen
Name wiederholt genannt werde.
^) S. die Zusammenstellung bei B. Simson, De statu etc. i». 44 — 52.
Derselbe weist Forsch. XW, 136 Benutzung des Livius nach.
^) Bernheim (Vita Caroli S. 82-90 in den Histor. Aufs, für Waitz),
Deutsche Zeitschr. f. Geschichtswiss. . N. F. I, Mon. BI. S. 180 ff". 260;
Fr. Kurze, NA. XVII, 125, XXVI, 153—164 gegen Bernheim (Historische
Vierteljahrschr. 1898 S. 161—180).
220 If- Karolinger. § 9. Reichsannalen.
scheinlich, dafs hierfür auch schriftliches Material benutzt ist^,
wozu Puckert (S. 157 ff.) das gleich zu erwähnende verlorene Werk
bis 805 , Kurze die bis 796 reichende Quelle desselben rechnet.
Puckert (S. 167 ff.) hebt die seltsame Eigenheit des Verfassers
hervor, die Ereignisse in ganz unzulässiger Weise als übermäfsig
beschleunigt darzustellen, und ferner, dafs in höherem Mafse, als
es den Thatsachen entspricht, Karl als der stets allein Wissende
und Handelnde hervortritt. An Einhard ist für die üeberarbeitung
(mit Pertz) in keiner Weise zu denken, sondern an einen sächsi-
schen Verfasser am Kaiserhofe, doch ist der von Hüffer vermutete
Gerold , Ludwigs des Frommen Kaplan , der erst 876 starb , dafür
ohne Zweifel zu jung-).
Wir sehen also hier, wie man schon von der einfachen und
schmucklosen, nur auf den sachlichen Inhalt gerichteten Aufzeich-
nung der Zeitbegebenheiten fortschritt zu litterarischer Bearbeitung.
Natürlich mufste, da die Reichsannalen erst mit 741 begannen, der
Wunsch lebendig werden, auch für die vorhergehende Zeit, über
welche nur ein sehr ungenügendes und schwer geniefsbares Material
vorlag, ein Handbuch zu gewinnen, weiches den Zusammenhang
mit der Weltgeschichte herstellte. Gerade auch um das Jahr 761
ist ein solches verfafst^), und da es nur bis 741 reicht, liegt die
von Waitz ausgesprochene Vermutung nahe, dafs es zur Ergänzung
der Eeichsannalen bestimmt war. Doch finden wir es handschriftlich
nicht mit ihnen verbunden; es scheint keine grofse Verbreitung
gefunden zu haben, weil das schwierige Unternehmen doch nur sehr
unvollkommen gelang und die Sprache des Verfassers durch ihre
Unbehilf lichkeit und Fehlerhaftigkeit verrät, dafs er zwar der früheren
Barbarei entwachsen, aber von der höheren Bildung eines Einhard
noch weit entfernt war. Doch verdient er ohne Zweifel Beachtung
^) AV. Giesebrecht a. a. 0. S. 216. Die Benutzung des fortgesetzten
Fredegar 759, 760 vermag ich aber nicht zu erkennen. Vgl. auch Bernays
S. 151. — Manitius, Mitt. XIII, 232 — 238, unterwirft einige Stellen einer
für Einhard ungünstigen Kritik.
^) Vgl. Hüffer, Korveier Studien S. 5 — 18 (im Anschlufs an eine These
von Mart. Meyer), Kurze, Einhard S. 68 flg.
^) Chronicon universale bis 741, ed. Waitz, MG. SS. XIII, 1 — 19.
Auctt. antt. XIII, 336—340 ed. Mommsen. Vgl. B. Simson, Die über-
arbeitete und bis 741 fortgesetzte Chronik des Beda, Forsch. XIX, 97 bis
185. Waitz, Weltchronik bis 741, NA. V, 475—491. Vgl. Mommsen
im NA. XXII, 548—553, welcher auf Grund einer neuaufgefundenen Hs.
zeigt, dals das von Waitz für die Abfassung angenommene Jahr 800 bis
SQl auf eine spätere Abschrift, nicht auf das Original zurückgeführt
werden kann. Kurze (NA. XXV, 293) will daher die Chronik vor 761
ansetzen.
Kompilation bis 805. 221
und Anerkennung: es ist, wie Waitz bemerkt, die erste Weltchronik,
die seit Fredegar im fränkischen Reich geschrieben wurde. Dieses
Werk , dessen wir oben (S. 144) schon kurz gedachten , ist in
drei Handschriften erhalten*), welche stark voneinander abweichen,
und es scheint, dafs der Verfasser selbst sein Werk überarbeitet
und mit weiteren Zusätzen aus seinen Quellen vermehrt hat. Er
legte die kurze Chronik des Beda zu Grunde, in welche er Auszüge
aus Hieronymus, Orosius, Fredegar mit den Fortsetzungen und den
Gesta Francorum einschob, weiterhin benutzte er auch Isidor, den
Liber pontificalis, und die Annales Mosellani et Laureshamenses.
Die wenigen ihm eigentümlichen Stellen zeigen Verwandtschaft mit
den Annales Flaviniacenses, welche sieh in derselben Hs. befinden,
und da hierzu auch die Nachricht von der Zerstörung der Stadt
Autun durch die Sarazenen 725 gehört, so ist die Vermutung ge-
rechtfertigt, dafs der Verfasser im Sprengel von Autun, vielleicht
eben in Flavigny lebte.
Diese Chronik bildet in einer Hs. den Anfang der schon oben
(S. 146) erwähnten Annales Maximiniani, welche jedoch keine inner-
liche Verbindung mit ihr haben, und ist in ihrer älteren Form
grofsenteils aufgenommen in das Chronicon Moissiacense.
Eine andere , im Jahre 805 oder vielleicht 806 abgeschlossene
Kompilation ist uns nicht im Original erhalten, aber aus verschie-
denen Ableitungen nach und nach mit wachsender Sicherheit kennt-
lich geworden. In Beziehung dazu stehen verschiedene, erst in
neuerer Zeit zum Vorschein gekommene Bruchstücke von Bearbei-
tungen der Reichsannalen. Dazu gehören die Wiener Blätter von
784 und 785-), welche nebst einem aus Werden stammenden Frag-
ment in Düsseldorf von 759 — 762, von Pertz, der sie irrig für ur-
sprüngliche Aufzeichnungen hielt, SS. XX, 1 — 15 als Fragmenta
Wcrihinensiü gedruckt sind. Hiermit verwandt ist ein anderes in
Bern von Gerold Meyer von Ivnonau gefundenes Fragment von
783 — 785^). Diesen beiden Versionen mufs schon eine ältere zu
Grunde gelegen haben, und diese glaubt Giesebrecht (Forsch. XIII,
627 — 633) gefunden zu haben in einem Bruchstück von 769 — 772,
welches J. Bächtold im Anzeiger für Schweizerische Geschichte 1872
') Üeber diese s. Auett. antt. XIIL 237—239.
2) Cod. 334, zuerst in der zweiten Ausgabe dieses Buches S. 540
gedruckt.
3) Forsch. VIII, 631—633. Dagegen sind die 6 Blätter des Cod. Vat.
Christ. 263 (Arch. XII, 272) irrtümlich hierher gezogen, sie gehören zu
Ademar, s. NA. II, 330.
222 II- Karolinger. § 9. Reichsannalen.
S. 245—246 veröfiFentlicht hat. Es enthält die Kapitelzahlen 56—59,
woraus Giesebrecht auf ein gröfseres Werk schlofs, welches bis 714
rückgreifend, mit Benutzung des Fredegar im Jahre 802 ausgearbeitet,
auch in den Annales Mettenses benutzt wurde, und mit einer in
diesen erhaltenen eigentümlichen Fortsetzung von 803 — 805 ver-
sehen war. Wegen einiger Beziehungen auf Reichenau vermutete
Giesebrecht in Haito den Verfasser, aber gerade diese Stellen ge-
hören nur den Annales Mettenses an und sind aus Regino ent-
lehnt. Dagegen ist durch weitere Untersuchung festgestellt, dafs
dieses Werk, in seinen älteren Teilen auf den Fortsetzungen des
Fredegar beruhend, weiterhin (seit 806) aus den Reichsannalen ge-
schöpft, aber durch einige Zusätze und namentlich durch die Fort-
setzung sehr wertvoll ist. Puckert^), welcher sich sehr eingehend
damit beschäftigt hat, hebt namentlich (S. 165) die Nachrichten
über Grifo hervor, welche seiner Ansicht nach von hier in die An-
nales Einhardi übergegangen sind. Er sucht den Ursprung in
Saint-Denis nachzuweisen und nimmt eine üeberarbeitung in Metz
um 900 mit Zuziehung der Vita Karoli an, welche den Ann. Mett.
und auch dem Poeta Saxo zu Grunde liege. Kurze führte jene
Vermutung noch weiter aus , indem er den im Jahre 806 verstor-
benen Abt Fardulf von St. -Denis, einen Langobarden, zum Urheber
dieses Werkes machen wollte, allein Simson hat mit Recht diese
ganz unbegründete Annahme zurückgewiesen-). Benutzung dieses
Werkes ist aufser in den Mettenses nachgewiesen in den Ann. Lauriss.
minores (mit Unrecht), Lobienses, Guelferbytani , im Chron. Veda-
stinum und Moissiacense , Fontanellense und Waitz hat SS. XIII,
26 — 38, die erwähnten Fragmente nebst dem betreffenden Abschnitt
der Annales Mettenses herausgegeben^). Diese ganze Untersuchung
wird jedoch nach manchen Seiten hin berichtigt werden müssen,
^) Ueber die kleine Lorscher Frankenchronik, ihre verlorene Grund-
lage u. d. Ann. Einh. (Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 1884).
2) NA. XXI, 29—49, dagegen Simson ebd. XXV, 181—182.
**) Annalluin veterum fragmenta, partim ex Mettensibus desumpta, 769
bis 805. Früher waren von Pertz nur Stücke der Mett. als Zusätze zum
Text der Laur. maj. abgedruckt, irreführend, weil dort auch schon Regino
benutzt ist. Vgl. Heigel, Ueber die aus den alten Murbacher Ann. ab-
geleiteten Quellen, Forsch. V, 397—403. Waitz, Ueber das Verhältnis der
Ann. Mett. zu anderen Annalen, Forsch. XX, 385 — 394. Simson, Ueber
die verlorene Quelle der Ann. Mettenses, ib. S. 395—400, nebst der gleich
anzuführenden Abhandlung von Waitz. Bernays, S. 69 ff., der auch den
Poeta Saxo und natürlich die Hofannalen heranzieht, und weitere Fort-
setzung vermutet. Waitz nahm SS. XIII, 26, Anm. 6, Benutzung der
Lauriss. nur bis 788 an, erstreckt sie aber in der Abh. über die Lauriss.
min. S. 408, mindestens auf 789.
Annales Laurissenses minores. 223
seitdem, wie schon oben bemerkt, in dei- Durhamer Handschrift die
unmittelbare Quelle der Ann. Mett. aufgefunden und von B. von
Simson trefflich gewürdigt worden ist.
Neuestens bat nun Fr. Kurze'), an diese Ergebnisse anschliefsend,
hei'vorgehoben , da(s aus den uns bekannten Bruchstücken dieser
Kompilation sich doch nicht alle Nachrichten in den Ableitungen
belegen lassen , namentlich nicht in den Fulder Annalen , weshalb
man genötigt war, eine unwahrscheinliche Heranziehung verschie-
dener Quellen anzunehmen. Er kommt dadurch zu der Schlufs-
folgerung, dafs schon um 79(5 aus den Fortsetzungen des Fredegar,
den Reichsannalen und anderen Quellen , der Vita Bonifatii , dem
Papstbuch, ein ausführlicheres wertvolles Werk zusammengestellt sei,
welches in der angeblichen Kompilation von Saint-Denis nur aus-
zugsweise enthalten sei. Es ist nach Kurze kein anderes, als das
schon S. 163 erwähnte, in den Ann. Maximiniani kenntliche, welches
auch den Ann. Sithienses zu Grunde liegt. Als ein Stück dieses
verlorenen Werkes betrachtet er auch das Fragmentum Chesnii,
als eine Ableitung die Continuatio Romana der Langobarden-
geschichte des Paulus Diaconus. Indem wir nun den Scharfsinn
des Verfassers dieser Untersuchungen vollkommen anerkennen,
können wir ihm doch durchaus nicht folgen, wenn er (S. 128) in
diesem, seiner Ansicht nach sehr bedeutenden Geschichtswerk das
oben (S. 149) erwähnte verlorene Werk des Crantz erkennen will,
da Aventins Angabe über den Inhalt desselben durchaus nicht
dazu pafst.
Vermissen wir nun hier irgend eine gesicherte lokale Anknüpfung,
so werden wir dagegen bestimmt nach Lorsch gewiesen durch die
Annales Laurissenses minores, welche jedoch Waitz viel-
mehr als die kleine Lorscher Frankenchronik bezeichnet hat'), ein
') Ueber die Ann. Fuldenses, NA. XVIT, 117 ff.
^) Ueber die kleine Lorscher Frankenchronik, SB. d. Berl. Akad. 1882,
S. 399 — 415, mit Ausgabe des Textes bis 806. Monod, Les Sources p. 166
bis 174. In den Etudes Romanes dediees ä Gast. Paris (Paris 1891)
stellt Monod die bisherigen Ergebnisse der Forschung über die Ent-
stehungszeit und die Quellen der Ann. Lauriss. zusammen. Sie sind nach
ihm eine zwischen 806 und 814 in Lorsch hergestellte Kompilation zu
dem ausdrücklichen Zwecke, das karolingische Herrscherhaus zu verherr-
lichen. Bemays, der auch Benutzung der Lauriss. und Hofannalen nach-
zuweisen sucht, berichtigt S. 74, dals die Berner Hs. 83 für St. Remigius
(in Hautvillers nach Puckert) geschrieben ist, aber aus einer Vedaster Hs.
(mit der Abtsreihe SS. XIH, 382) entnommen. Eine ganz magere Re-
gentenfolge bis auf Karl u. Karlmann, und fortgeführt bis auf Ludwig
d. Fr. und Karl ÜL hat aus Sanktgaller u. a. Hss. Waitz als Chronicon
224 II- Karolinger. § 9. Reiclisannalen.
magerer, nach Eegentenjahren geordneter Abrifs der Geschichte des
Frankenreiches zur Verherrlichung des Herrscherhauses bestimmt,
an Beda"sich anlehnend und ganz aus der oben erwähnten Kom-
pilation bis 805 geschöpft, mit Ergänzungen aus den Ann. Laures-
hamenses und einigen Erweiterungen und Zusätzen ; nach Kurze
bis 789 aus der von ihm angenommenen Quelle. Nur das Jahr 806
gehört nach Waitz dem Verfasser, wenn er nicht doch vielleicht
auch dieses schon in der Kompilation fand. Die als Kegierungs-
jahre betrachteten, überaus ungenauen Zahlen hält Puckert für Ab-
schnitte, die vielleicht schon in der Vorlage gewesen, wodurch der
Vorwurf gi'ofser chronologischer Verwirrung beseitigt würde ^). Er
hebt ferner die aufserox'dentlich starke, gegen die Vorlage noch
sehr verstärkte kirchliche Färbung, die Betonung der geistlichen
Autorität und Leitung hervor, was der Strömung der Zeit ent-
spricht. — Von 807 an beginnt eine sehr dürftige Fortsetzung
bis 817 , während ein anderes nach Fulda gekommenes Exemplar
dort eine andere mit deutlich lokaler Färbung, ebenfalls bis 817,
erhielt").
Die lebhaft erwachende Thätigkeit in dieser Richtung bezeugen
ferner die Chi-onik der sechs Weltalter, welche bis 810 reicht, von
einem ungenannten Verfasser^), ein mageres chronologisches Gerippe,
ohne selbständigen Wert, die oben S. 163 erwähnten Ann. Maxi-
rainiani von 710 — 811, die Fulder bis 814 (S. 166) und die Flavinia-
censes von 816 (S. 162).
Bis 818 reicht das Chronicon Moissiacense"), eine grofse
hreve Älamannicum herausgegeben, SS. XIII, 260 u. 724 und Mommsen
in den Auctt. antt. XIII, 344—345.
') Sie fehlen ganz im Pal. 243 aus Lorsch, s. NA. X, 232.
2) MG. I, 121—123. Vgl. SS. III, 18 über die Münchener Handschrift,
NA. X, 232 über die Vatikanische Hs. Pal. 243 aus Lorsch. Abbildung
aus der Fulder Abschr. in Wien bei Sickel, Mou. graph. VIII, 9.
^) Chronica de sex aetatibus tntindi, bei Kollar, Anal. Vindob. p. 602.
Das Ende allein MG. SS. II, 256, vgl. Arch. VII, 272, das Verzeichn. der
lat. Meerman-Hss. von Val. Rose S. 292. Der cod. Casin. 3 (Florileg.
Casin. I, 65 — 69) schliefst schon mit 806, andere mit 809. Die unter
Ludwig d. Fr. verfafste, unter dem Namen des Claudius Taurin. bei Labbe,
Bibl. nova I, 309—315, Migne CIV, 917—926 (vgl. NA. VI, 303), ge-
druckte Chronik ist vollends nur ein chronologischer Versuch, sie reicht
in 2. Ausgabe bis 854 und wurde von Claudius dem Priester Ado ge-
widmet.
*) Bis auf Honorius ungedruckt; von da an MG. I, 280—313; vgl. II,
257, wo die Jahre 804—813 nach einer neugefundenen Hs. verbessert
sind. Pückerts oben erwähnte Abh. enthält viele beachtungswerte Be-
merkungen darüber. Benutzung der Frankfurter Synode von 794 und
anderer Quellen weist Simson nach, Forsch. XIX, 127 — 135, Berichtigungen
von WerminghoflF, NA. XXVI, 563—564.
X'erschiedene Chroniken. 225
unverarbeitete Kompilation, welche aus der vorher erwähnten Chro-
nik bis 741, der Kompilation bis 805, den Reichsannalen und an-
deren bekannten Werken geschöpft ist, deren Bekanntschaft, wie
Puckert bemerkt, Abt Benedikt von Aniane vermittelt haben kann, die
aber doch hin und wieder auch Eigentümliches aus jetzt verlorenen
Quellen hat; darunter hat Dorr') Aquitanische Annalen und ein
Chromeon Aquitanicitm ohne genaue Chronologie auszuscheiden und
zu sammeln versucht. Der Verfasser ist so unselbständig und
schreibt so gewissenhaft seine Vorlagen wörtlich ab, dal's ihm auch
der wertvolle letzte Teil der Chronik von 813 — 818 nicht zuzu-
trauen ist. Dieser schliefst sich vielmehr in der ganzen Weise der
Erzählung so genau den bis dahin benutzten Ann. Laureshamenses
(s. oben S. 162) an, dafs wir mit L. Giesebrecht annehmen müssen,
es habe dem Schreiber der Handschrift ein vollständigeres Exemplar
vorgelegen, dessen Schlufs uns nur hier erhalten ist. Die Herkunft
der Chronik ist südfranzösisch, es sind aber, wie G. Monod-) be-
merkt , von ihr zwei ganz verschiedene Bearbeitungen vorhanden,
von denen die eine aus Moissac stammt, ihr fehlen die Jahre
716 — 777. Die andere stammt aus Aniane und hat Zusätze, in
denen die Geschichte ganz willkürlich behandelt wird, z. B. 779
und 780 spanische Namen an die Stelle der sächsischen gesetzt
sind. Zu einer mit diesen verwandten Chronik gehört nach der
wichtigen Entdeckung von Puckert^) die sogenannte Notitia de
servitio monusteriorum , welche überall arglos benutzt ist, hier
aber als eine spätere Fälschung, vermutlich aus Aniane, nachge-
wiesen wird.
So stellt sich uns also eine lebhafte iitterarische Thätigkeit dar,
bei welcher zunächst die Sorge für die bis dahin in so hohem
Grade vernachlässigte Form der Darstellung in den Vordergrund
tritt , mit welcher sich aber nicht minder auch das Streben nach
Ergänzung der geschichtlichen Thatsachen verbindet. Am Ende
') De bellis Francorum cum Arabilms gestis (Diss. Regiom. 1861) p. 39
bis 48. Die von ihm hier zuerst nachgewiesene Kom])ilation von 805 ist
seitdem genauer bestimmt, s. oben S. 2'21. Herstellung des Chron. Aquit.
von Witiza bis 812, S. 43—48. Vgl. Waitz , NA. V, 483 , über die Zu-
sammensetzung des Berichts von 12ö aus 2 Quellen; 711, 737, 752 sind
jener Kompil. zu überweisen, Forsch. XX, 393. Nach B. Simson, Forsch.
XIV, 134, sind verwandte Nachrichten in Labbes Chron. S. Victoris, jetzt
als Ann. S. Victoris Massil. gedr. SS. XXllI, 1 — 7. Er vermutet Benutzung
des Chron. Moissiac. in diesem.
'') Revue critique 1873, IT, 262.
^) Berichte d. K. Sachs. Ges. d. Wiss. 1890, S. 45—74.
W a 1 1 e n b a c h , Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 15
220 n. Karolinger. § 10. Ludwigs tles Frommen Zeit.
des Jahrhunderts werden die Annalen bis SOI von dem sogenannten
Poeta Saxo sogar in Verse gebracht.
Die Fortführung der Annalen bis 829 ist vom höchsten Werte
und gewährte ein noch lange befolgtes klassisches Voi-bild der
gleichmäfsigen Darstellung der Zeitgeschichte. Hatte schon Einhard
den früheren Teil der Annalen für sein Leben Karls zu Rate ge-
zogen, so finden wir den folgenden Abschnitt von 814 an zu einer
Biographie Ludwigs verwandt, nicht unbedeutend verändert, aber
nicht verbessert, mit Einhards Werk gar nicht zu vergleichen').
§ 10. Ludwigs des Frommen Zeit.
Funck, Ludwig der Fromme, Frankfurt a. M. 1832. B. Simsou, Jahrbüclier d. Frän-
kischen Reiches unter Ludwig dem Frommen, 2 Bde. Leipzig 1874. 1876. Hauck
II, 604—667.
Ein Jahrhundert lang hatte das karolingische Haus daran ar-
beiten müssen, das zerfallende merowingische Reich wieder zur
Ordnung und Festigkeit zu bringen, bevor Karl daran denken konnte,
auch den Wissenschaften hier eine neue Heimat anzuweisen. Als
dann Ludwigs ungeschickte Hände den stolzen Bau im Laufe weniger
Jahre in seinen Grundfesten erschütterten, als von neuem Raub und
Gewaltsamkeit aller Art ungehindert geübt wurden, da wurde auch
diese zarte Blüte geknickt. Es half nichts, dafs Ludwig persönlich
litterarischen Bestrebungen geneigt war'^), — gab- er doch dem
Abte Hildvin den Auftrag, das Leben seines Schutzpatrons, des
heiligen Dionysius, nach griechischen und lateinischen Quellen und
Urkunden darzustellen^) — , dafs er die Klosterzucht herstellen half,
was auch den Schulen zugute kam ; wir wollen ihm nicht den
Ruhm schmälern, das schöne altsächsische Gedicht des Heliand ver-
anlafst zu haben, aber unter dem Waffenlärme konnte die Wissen-
schaft nicht gedeihen, und über ihre Mifsachtung wird schon bald
nach Karls Tode geklagt^). Schon 829 baten die zu Worms ver-
^) Der Einsiedler Codex einer Kompilation über Karls Leben ist
nach B. Simson, Forsch. XIV, 135 auf eine Benutzung des Regino zurück-
zuführen.
^) Aus den Kanzleiformeln der Urkunden verschwanden unter ihm die
herkömmlichen Barbarismen, oben S. 187.
^) Hildvins Passio Dionysii (in welcher c. 20 das Lob von Paris be-
merkenswert ist) s. nach Surius bei Migne CVI, 9 — 50 und die Briefe
Epp. V, 325—337, vgl. Ebert II, 348. Krusch (Forsch. XXVI, 190) weist
darauf hin, dafs Hildvin zuerst die Geschichte des Märtyrers von Paris
und des Areopagiten zusammengeworfen habe.
*) Walahfridi Praef. ad Einh. V. Caroli: „Nunc relabentibus in con-
traria studiis, lumen sapientiae quod minus diligitur, rarescit in plurimis.*
Hofschule. Annales Bertiniani. 227
sammelten Bischöfe dringend um die Errichtung von mindestens
drei öffentlichen Schulen, um dem Verfall Einhalt zu thun : die Aus-
führung wird bei der wachsenden Zerrüttung des Reiches unter-
blieben sein ' ). Den Widerstand gegen die grammatischen Studien
bekämpfte der Abt Smaragdus, der 819 das Kloster Castellio nach
St. Mihiel-sur-Meuse verlegte; in seiner Grammatik aber nahm er
die Beispiele aus kirchlichen Schriftstellern^).
Die Hofschule blieb jedoch bestehen, der Ire Clemens, ein sonst
unbekannter Thomas, den Walahfrid preist, vielleicht auch Aldrich
und andere Lehrer wirkten daran ^), und unter Karl dem Kahlen,
dem Sohne Judiths, die selbst eine Gönnerin der Wissenschaften
war und Walahfrid als Lehrer ihres Sohnes an den Hof berief, ge-
wann sie nochmals einen glänzenden Aufschwung. Auch die Reichs-
ann alen wurden nicht unterbrochen, sondern in gleichmäfsiger
Weise weiter fortgeführt. Es sind die nach ihrem Fundorte ge-
nannten Bertinianischen Annalen , deren Schreibart den amt-
lichen Charakter nicht verkennen läfst ; wir werden auf dieselben
noch später zurückzukommen haben. Alle die traurigen Vorfälle
der Zeit werden hier mit möglichster Schonung berührt ; der Herr
Kaiser erscheint stets in seinem Rechte, aber auch gQgen. die
Gegner , welche ja ebenfalls seinem Hause angehörten , wird an-
ständige Mäisigung beobachtet. Im Jahre 835 übernahm der Bischof
Prudentius von Troyes die Fortsetzung und führte sie bis
zum Jahre 861, wo der Erzbischof Hink mar die Arbeit aufnahm;
schon war nicht mehr der königliche Hof allein, sondern daneben
der erzbischöf liebe Hof zu Reims ein Mittelpunkt des Reiches.
Lupus an Einhard: „Nunc oneri sunt, qui aliquid discere affectant."
Ep. 1 , Epp. VI , 7. Die ganze Stelle ist lesenswert. Aehnliche Stellen
von Claudius Taurinensis (über ihn s. Ebert II, 222 — 224; Laville, Claude
de Turin. Essai sur le protestantisme du IX. siecle [These]. Toulouse,
Chauvin.) gibt Reuter, Gesch. d. Aufkl. I. 267. Vgl. oben S. 172.
') „Similiter etiam obnixe et suppliciter vestrae celsitudini suggeri-
mus , ut morem patemum sequentes , saltim in tribus congruentissimis
imperii vestri locis scolae publicae ex vestra auctoritate fiant , ut labor
patris vestri et vester per incuriam quod absit labefactando non depereat."
MG. Capit. reg. Francor. II, 37 c. 24. Der Vorschlag kam von der Pariser
Synode.
-) S. über ihn Haureau, Smaragdus (Singularites p. 100 — 128), NA.
IV, 250—253. Traube, Reg. Bened. S. 646. 717—718. Wiener Studien
XVI, 113—117. Ebert II, 108—112. Seine Gedichte sind gedruckt Poet.
Car. I, 605 — 619, bald ausgeschrieben von Angelomus ebd. IT, 675—677,
die Vorrede zu seiner Via regia Epp. IV, 533.
^) Simson, Ludwig d. Fr. II, 256 — 261, vgl. Dümmler, Hist. Zeitschr.
XXXVII, 184, Ostfr. III, 651—652 und über Thomas noch Sigebert. de
SS. eccles. c. 133 und NA. XXVI, 567.
228 n. Karolinger. § 10. Ludwigs des Frommen Zeit.
Der genaue Zusammenhang der karolingischen Reiche aber tritt in
diesen Jahrbüchern noch deutlich hervor, indem auch die italieni-
schen und die deutschen Begebenheiten sorgfältig berücksichtigt
werden.
Der vornehmen Kürze der Reichsannalen treten für die frühere
Zeit Ludwigs die Gedichte des Ermoldus Nigellus^j zur Seite;
schmeichlerische Lobgedichte, die zwar als solche kaum zu den
eigentlichen Geschichtsquellen gerechnet werden können, aber doch
allein von mancher Einzelheit uns Kunde geben , und durch ihre
Schilderungen vielerlei Aufschlufs gewähren über Zustände und
Personen der Zeit. Aquitane von Geburt, war Ermold ein Günst-
ling des Königs Pippin ; er geleitete ihn , obwohl Mönch , auf der
Heerfahrt des Jahres 824 gegen die Bretonen mit Schild und Speer:
doch scherzt er darüber selbst, und sein Herr lachte ihn aus. Der
Kaiser aber gab ihm Schuld, dafs er Pippin verführe, und ver-
bannte ihn deshalb nach Strafsburg, wo Bischof Bernald ihn unter
seine Aufsicht nahm. Hier nun schrieb er seine vier Bücher, in
Distichen, über die Thaten des Kaisers, mit Ludwigs aquitanischem
Königtume beginnend bis auf Heriolds Taufe 826, und es liegt in
der Natur der Dinge, dafs er ihm sowohl wie der Kaiserin Judith
um so ärger schmeichelte, je mehr er sich seiner Verbindung mit
ihren Gegnern bewufst sein mochte; er erreichte jedoch seinen
Zweck nicht, und sandte deshalb noch zwei Elegien an König Pippin,
deutlich Ovid nachahmend, hinter dem er doch in Sprache und
Versbau unendlich weit zurückbleibt"). Die eine von beiden macht
uns mit dem damaligen Elsafs näher bekannt. Seine Befreiung
aber mag er wohl dem Siege der Verschworenen im Jahre 830 ver-
dankt haben-').
1) Ausgabe von Pertz, MG. SS. II, 464—523. Migne CY, 551—640
nach Bouquet VI, 1 — 66. Dümmler, Poet. Lat. II, 1 — 92. Verbesserungen
von Traube, Karol. Dicht. S. 65. Uebersetzung von Pfund , Berlin 1856.
1889 (Geschichtschr. 18. IX, 3). Henkel, Ueber den bist. Wert der Ge-
dichte des Ermoldus Nigellus, Progr. der höheren Bürgerschule zu Eilen-
burg 1876. Ebert II, 170—178. Simson, Karl d. Gr. II, 258 ff. Teilw.
übers, von Th. Reinhart im Jahrb. f. Gesch. , Sprache u. Litter. Elsafs-
Lothr. IL 1886.
^) Anklänge an Virgil, das allgemeine Schulbuch, fehlen natürlich
auch nicht, zuerst gesammelt von Dorr, De bellis Francorum cum Ara-
bibus gestis, Dissert. Regim. 1861, p. 53—55, dann vollständiger bei
Dümmler, nebst anderen , besonders auch an Theodulf und Naso , vgl.
NA. XI, 80. 554.
*) Die früher vermutete Identität mit einem Abt Hermold 834 und
dem Abt Ermenald von Aniane kann als beseitigt gelten; vielleicht aber
war er der Hermold, der 838 als Pippins Kanzler erscheint.
Ei-moldus Nigellus. Theganus. 229
Kaum mindei* lobrednerisch für Ludwig, als die Verse Ermolds,
sind die beiden Lebensbeschreibungen, welche wir von ihm besitzen.
Die eine, welche nur bis 835 reicht, ist schon zu seinen Lebzeiten
verfafst, von T heg an oder Degan, einem vornehmen Franken und
Landbischofe der Trierer Kirche . auch Probste des Cassiusstifts in
Bonn, von welchem sonst wenig bekannt ist, aufser seinem freund-
schaftlichen Verkehre mit Walahfrid und einigen anderen, den ein
Paar noch erhaltener Briefe und Verse bezeugen. Er ist von ganz
besonderem Eifer gegen die aus unfreiem Stande erhobenen und dann
übermütig gewordenen Bischöfe erfüllt, von denen er jedoch nur
Ebo von Reims nennt; man vermutet deshalb, dafs er vielleicht in
dessen Sprengel ansässig war und persönlich von ihm zu leiden ge-
habt hat. Walahfrid rühmt (um 825) Thegans stattliche Erscheinung,
seine gigantische Statur, und seine Gelehrsamkeit. Jene Schrift nun
ist vielleicht durch Einhards Werk über Karl angeregt^), verfolgt
aber, wie es B. Simson wahrscheinlich macht, einen bestimmten
politischen Zweck, indem wohl nicht ohne Absicht neben scharfem
Tadel Lothai-s und seiner Anhänger die Verdienste Ludwigs des
Deutschen sehr hervorgehoben werden. In der Form sehr unvoll-
kommen, und grüfstenteils in magerer annalistischer Weise verfafst,
gewähi't sie uns doch einige gute Nachrichten ; der Aufgabe einer
wirklichen Biographie aber konnte der Verfasser schon deshalb nicht
genügen , weil er von Leidenschaftlichkeit gegen Ludwigs Gegner,
vorzüglich gegen Ebo von Reims, erfüllt war, und die wahren Ur-
sachen der Unruhen und inneren Kriege verschweigt"). Walahfrid
freilich, ein ebenso eifriger Anhänger Ludwigs, lobt, indem er die
') Nach Bernaj's (Zur Kritik karoling. Annal. S. 47—53) hätte T. auch
das Chron. ]\Ioissiac. benutzt.
2) Am Schlüsse folgen noch Nachrichten über die Jahre 836 u. 837, in
welchen die Uebertragunsj des h. Castor nach Koblenz (daraus entnommen,
doch mit richtigem Datum, Anal. Boll. 1, 119, vgl. NA. Xll, ÖOB) auffallend
hei-vortritt. Ausgabe von Pertz, MG. SS. FI, 585 — 604. Uebersetzung von
.Jasmund, 1850. 1889 (Geschichtschr. 19. IX, 4). Ebert 11,359-361. Eine
Erwähnung unter dem Namen T h e g a n b e r t in der Transl. Chrysanti et
Dariae a. 844; Urkk. von 842 u. 847 NA. XlII, 154. 157, wo er Theigen-
bert heifst. Obitus Thegani ep. im Necrol. S. Maximini zum 20. März.
Ein Brief Thegans Epp. V, 337. Ueber Walahfrids Vorrede in derselben
Kopenhagener Handschrift, welche auch dessen Vorrede zu Einhards Vita
erhalten hat, s. Archiv VII. 373; im St. Galler Catal. s. IX. erscheint das
Buch als „De bonitate Hludouuici imp. in quaternulis". Weidm. S. 400.
Vgl. B. Simson, Ueber Thegan, Forsch. X, 325—352. ]\Ianitius, NA. XI, 71.
Benutzt ist die Vita in der Domus Carolingicae Genealogia (SS. IT, 309,
vgl. Forsch. X, 338) , den Ann. Lobienses und Flodoardi Hist. Remensis.
Von besonderer Wichtigkeit für die Umwälzung des J. 830 ist auch der
Bericht der Ann. Mett., verbessert von Hampe, NA. XXII, 695.
230 if- Karolinger. § 10. Ludwigs des Frommen Zeit.
Mängel des Ausdrucks mit der seelsorgerischen Thätigkeit des Mannes
entschuldigt, gerade die Wahrhaftigkeit desselben : er teilte das Büch-
lein in Kapitel und versah diese mit üeberschriften , um sich und
andere an den Thaten des Kaisers Ludwig, heiligen Andenkens, um
so besser und häufiger erbauen zu können.
Mit geringerer Heftigkeit, doch mit nicht minderer Parteilich-
keit für Ludwig ist die zweite gröfsere Lebensbeschreibung des-
selben') geschrieben, welche ein unbekannter Geistlicher vom Hofe
bald nach dem Tode des Kaisers verfafst hat; man pflegt ihn den
Astronomen zu nennen, wegen einiger Bemerkungen, welche sich
auf diese Wissenschaft beziehen. Tiefere geschichtliche Einsicht
dürfen wir bei einem Anhänger Ludwigs überhaupt nicht suchen,
und auch der Stil dieses Biographen ist entstellt durch übertriebenes
Streben nach phrasenhaftem Schmucke. So hat er in dem mittleren
Teile seines Werkes von 814 — 829 fast nur die Reichsannalen aus-
gemalt und durch seine Schönrednerei entstellt^). Schätzbarer ist
der erste Abschnitt, wo Ludwigs Jugendzeit nach den Erzählungen
oder, wie Ebert vermutet, nach einer schriftlichen Aufzeichnung des
Mönches Adhemar geschildert ist, der mit dem Kaiser auferzogen
war. Im letzten Teile endlich gibt der Verfasser aus eigener Kunde
Nachricht von dem, was er erlebt, und wenn auch seine Darstellung
wenig zu loben, die Chronologie sehr verwirrt ist, so ist doch der
Inhalt von grofsem Werte für uns. Auf den Tod des Königs Bern-
hard von Italien (f 17. April 817), welcher hier, übereinstimmend
') MG. SS. II, 604—648. Uebers. mit Thegan. Ebert II, 361—364.
Ueber die Steinfelder Handschrift, jetzt Mus. Brit. 21109, Archiv VII, 365:
NA. XXII, 227; über die Petersburger NA. V, 221. Ueber stilistische An-
klänge Manitius, NA. XI, 70—73.
^) Zuletzt hat G. Meyer von Knonau in d. Abb. über Nithard ausführ-
lich nachgewiesen, S. 132 — 135, wie der Astr. c. 23—43, die Ann. Lauriss.
814—829 benutzend, sie entstellt; S. 129— 132. 135, wie er c. 59—62
Nithard c. 6 — 8 in ähnlicher Weise behandelt hat, dessen Benutzung mir
jedoch zweifelhaft ist; S. 129—132 ist die Verwirrung der Chronologie
c. 54 — 61 beleuchtet. Für den hohen Wert des ersten Teils ist daher
das Hauptverdienst Adhemar zuzuschreiben. Diesen hält Dorr, De bellis
Francorum cum Arabibus gestis (Diss. Regiom. 1861) p. 51, nach einer Ver-
mutung Giesebrechts für den wiederholt genannten Heerführer Hadhemar,
der im Alter Mönch geworden sei. Allein die verschiedene Schreibart in
demselben Buche, der Mangel jeder Hindeutung darauf und die Häufigkeit
des Namens in Aquitanien sprechen dagegen. B. Simson, Lud. d. Fr. II,
294 — 301 behandelt das Werk ausführlich und vermutet, dafs es unvoll-
ständig überliefert sei. Benutzte Verse von Virgil weist Manitius nach,
NA. IX, 618, andere Anklänge XI, 70 — 73. Dafs er die Verdienste Lud-
wigs als Klosterstifter in Aquitanien übertrieben habe, sucht Tykocinski
nachzuweisen: Quellenkrit. Beitr. zur Gesch. Ludw. d. Fr. (Leipz. Diss.
von 1898) S. 22—35.
Der Astronom. Benedikt von Aniane. Doda. 231
mit Andreas von Bergamo c. 8, der Kaiserin Irmingard (f 818) Schuld
gegeben wird , bezieht sich auch die Visio cuiusdam mulier is
p a u p e r c u 1 a e ').
Diesen Schriften reihen wir noch das Leben des Abtes Bene-
dikt an, des Stifters des Klosters Aniane (1821), der das Ver-
trauen des Kaisers in so hohem Grade besals; zuletzt Abt des für
ihn erbauten Klosters Inden oder Cornelimünster, wurde er zugleich
Obervorsteher aller Klöster im Frankenreich, und entfaltete eine
grofse Wirksamkeit für die Reform des Mönchswesens und Her-
stellung der Schulen. Sein Leben wurde ein Jahr nach seinem Tode
(821) von Ar do, genannt Smaragdus, seinem Nachfolger als Abt
von Aniane, in anschaulicher Weise liebevoll geschildert, mit beson-
ders genauer Kenntnis der früheren Zeit, wie er, damals Witiza
genannt, ein edler Gote, Sohn des Grafen von Maguelonne, ein
tapferer Kriegsmann, Mönch wurde und sich zuerst einer ganz über-
triebenen Askese hingab, bis das Leben ihn erzog, und nun seine
reformatoi'ische Thätigkeit weithin wirksam wurde, doch scheint die
ursprüngliche Fassung etwas überarbeitet worden zu sein. Auch
die Bekehrung des Grafen Wilhelm von Toulouse wird darin berichtet,
dessen Leben später, nicht vor dem 11. Jahrhundert und im Gegen-
satze zu älteren, nicht mehr vorhandenen Liedern, in denen er als
Guillaume d'Orange verherrlicht wurde, fabelhaft ausgeschmückt
ist^). Das Streben Anianes, Gellone in Abhängigkeit zu bringen,
hat zu späteren Fälschungen geführt.
Ein merkwürdiges Denkmal aus dieser Zeit ist der Uher iwtmi-
alis Bodarwe, die von Dhuoda, der Witwe des Grafen Bernhard von
Septimanien, im Jahre 841 für ihren Sohn Wilhelm (I.) verfassten
Ratschläge und Unterweisungen, woraus einst Mabillon und Baluze
Auszüge gegeben haben, welche jetzt mit Benutzung einiger neu-
gefundenen Fragmente von E. Bondurand neu herausgegeben sind^).
') Sie ist in den früheren Auflagen dieses Buches abgedruckt, zuletzt
in der sechsten S. 277 — 278 und danach bei Malfatti, Bernardo re d'Italia,
Firenze 1876 (Nuova Antologia).
2) Mab. IV, 1, 191. S. XV, 198—220 von Waitz, mit Exe. der Vita
WilleJnii monachi Gellonensi.'^. Ebert II, 346—348. Hauck II, 575—592.
Vgl. Puckert, Aniane und Gellone S. 104 — 120. Ueber Benedikt v. An.
vgl. Traube, Reg. S. Bened. S. 722 ff.; NA. XX VIT. 738. Ueber das Leben
des Adalhard und Wala s. unten § 18.
^) L'Education carolingienne. Le manuel de Dhuoda. Paris 1887.
Die darin enthaltenen Rhvthmen werden von Traube verbessert, Karol.
Dichtungen S. 137—149 und von Winterfeld, NA. XXV, 402—404. Vgl.
auch Ph. Aug. Becker, Dhuodas Handbuch. Zeitschr, für Roman. Philol.
XXI (1897), 73—101; XXIT, 392.
232 Tl. Karolinger. § 10. Ludwigs des Frommen Zeit.
Auf ihn wahrscheinlich bezieht sich eine Reihe von Trinkliedern,
■welche die Mönche von St. Julien in Brioude ihm als ihrem Wohl-
thäter gesungen haben').
In einer Zeit der erbittei'tsten Parteiungen konnte die Geschicht-
schreibung nicht den Charakter ruhiger, unparteilicher Schilderung
bewahren, den wir in den Reichsannalen wahrnehmen; jede Erzählung
nimmt eine bestimmte Farbe an nach dem Standpunkte des Ver-
fassers, und es treten nun auch die politischen Streitschi-iften hinzu,
in welchen die Gegner ihr Verfahren zu rechtfertigen, die Wider-
sacher anzuschuldigen sich bemühen. Dahin gehört namentlich das
beredte Manifest des Erzbischofs Agobard von Lyon, eines der be-
deutendsten theologisch-politischen Schriftsteller dieser Zeit, welches
das Auftreten der Söhne gegen ihren Vater rechtfertigen sollte^), und
von der anderen Seite die Klage des Herrn Kaiser Ludwig,
angeblich von ihm selbst verfafst, in Wahrheit doch wohl nur eine
Stilübung aus dem Kloster des h. Medardus^). Ferner eine in Lud-
wigs Auftrage im Jahre 834 verfafste und mit vielen Bibelstellen
begründete Mahnung Hrabans an die Söhne zum Gehorsam und
zur Unterwürfigkeit unter den Vater*).
Den Tod des Kaisers und die darauffolgende Zwietracht beklagte
in einer Elegie Florus, der als Vorkämpfer der kirchlichen Inter-
essen gegen die weltliche Gewalt bekannte Diakonus von Lyon^),
Agobards vertrauter Freund.
^) Herausgegeben von Dümmler, NA. X, 347 — 351, von Winterfeld
Poet. Car. IV, 350-353, vgl. NA. XXV, 404.
'^) Ajjologeticus pro ßliis Ludovici Pii imp. adv. patrem, Bouq. VI, 248
u. a. m. Eigentlich zwei verschiedene Schriften, s. B. Simson I, 398. II, 67,
und als solche SS. XV, 274—279 ed. Waitz (vgl. Epp. V, 151 n. 3) als:
Libri duo pro filüs et contra Judith uxorem Lud. Fii. Agobards Schriften
(ed. Baluze 1666 , Migne CIV) beleuchten vielfach die Zeitverhältnisse.
Briefe Epp. V, 150—239. S. über ihn Baehr S. 98. 383—388. C. v. Noorden,
Hinkmar S. 39. B. Simson 1 , 397—399. Reuter , Gesch. d. Aufklärung
I, 24—41. Ebert II, 209—222, und die Gedichte an ihn, Poet. Car. II,
118. 356. Traube, Karol. Dichtungen 150—155. J. F. Marcks, Die poli-
tisch-kirchliche Wirksamkeit A. Progr. d. Realprogymn. zu Viersen 1888.
Enge, De Agobardi cum Judaeis contentione, Lips. 1888. Er starb 840
Juni 6, Ann. Lugdun. MG. I, 110.
*) Sie findet sich in der Translatio S. Sebastiani (oben S. 218), ist
aber auch unter dem Titel Conquestio domni Chludovici imjieratoris et
augnsti piissimi de crudelitate et defectione et fidei ruptione niiUtum
suoriim et horrendo scelere filiorum suorum in sui deiectione et depositione
patrato abgesondert überliefert. Ausg. v. Holder-Egger SS. XV, 388. —
Dahin gehört auch die gegen Ebo gerichtete, von Flodoard (H. R. II,
c. 19) aufgenommene Visio Raduini, NA. XI, 262.
•*) Epp. V, 403 — 415, woran sich noch eine zweite allgemeiner gehal-
tene Schrift verwandten Inhaltes anschliefst, ebd. 416 — 420.
') Querela de divisione imiierii p)Ost mortem Ludovici Pii , bei Mab.
Nithards Leben und Geschichtswerk. 233
§ 11. Der Streit der Sühne. Nithard.
Nithardi Historiarum libri lY. od. Pertz, MG SS. II, tii9-t)72. Besonderer Abdruck
Hann. 1839: 2. Ausr. mit- neuer Benutzung der Pariser Handschrift, sonst ohne
Zusatz, 1870; von Holder mit wiederholter Benutzung derselben 1880. Ueber-
setzung von Jasmund, Berlin 1851. 1889 (Geschichtschr. 20. IX, 5; S. 67 1. fünften
statt 15). — Die Eidesformeln jetzt auch bei Müllenhoft' und Scherer S. 1«7
(3. Ausg. I, 231), vgl. S. 170 (II. 3(>5). Brakelmann in Hoepfners und Zachers
Zeitschr. f. il. Philol. III, 8.')— O.i. Arbois de Jubainville, Le Text tYanc. etc.
Bibl. de l'Ecole des Chartes XXXII, 321—340. Faks. bei G. Paris, Les plus anciens
Monuments de la langue Fran<.aise (1875) pl. 1. Chr. Piltz, De vita et fide Nit-
hardi, Diss. Hai. 1865. Gerold Meyer von Knonau, l'eber Nithards vier Bücher
Geschichten, Leipz. 1866, 4. 0. KuiitzemüUer , Nithard u. sein Geschichtswerk,
Diss. Jen. 1873. Ebert II, 370 374. Die Handschrift stammt aus Saint-Magloire
in Paris, Hist. Zeitschr. XXXI, 220. Delisle, Note sur le Catalogue gen^ral p. 37,
ursprünglich aus St. Medard de Soissons nach Giry, Mel. jul. Havet p. 722.
Manitius, Parallelstellen, NA. IX, 618. XI, 69—73.
Wir haben schon früher gesehen, wie am Anfange des Mittel-
alters diejenigen ^länner, welche sich durch litterarische Bildung
auszeichneten, wenn sie auch ihr Wissen noch nicht der Kirche ver-
dankten, doch zuletzt dieser sich zuwandten, und dasselbe wiederholt
sich auch in Karls Zeit. Die fränkischen Ritter verschmähten jede
gelehrte Bildung, und die Bemühungen Karls in dieser Beziehung
blieben ohne dauernde Wirkung. Die Kirche war gar bald wieder
alleinige Hüterin des Griffels und der Feder. Auch Einhard hatte
sich klösterlichem Leben zugewandt, wenn er auch nicht in den
geistlichen Stand getreten war, und kriegerische Waffen hatte er nie
geführt. Selbst Angilbert, wenn er jemals, wie man später erzählte,
ein Kriegsheld gewesen war, zog doch die Kutte an; sein Sohn
Nithard aber bietet uns das einzige Beispiel eines vornehmen und
tapferen Streiters, der wirklich das Schwert aus der Hand legte, um
auch mit der Feder die Sache seines Herrn zu verteidigen. Freilich
hat seine Rede nicht mehr den Wohlklang von Angilberts Muse;
man fühlt ihr die Zeit an, wo schon über den Verfall der Schulen
geklagt wird, sie ist rauh und hart, aber dafür entschädigt der
tüchtige Sinn des Mannes, seine Einsicht und Kenntnis der Dinge.
Dafs auch seine Schrift durchaus parteiisch ist, versteht sich von
einem Manne, der mitten in den heftigsten Kämpfen stand, von
selbst; es konnte nicht anders sein^).
Anal. I, 38^, ed. TI p. 413. Bouq. VIT, 301. Poet. Car. II, 559—564.
Vgl. über ihn Ebeit II, 268— '272. Dümmler, NA. IV, 296—301. 581. 630.
Poet. Car. II, 507—566. Einen Nachtrag (2 Gedichte) hat Patetta ge-
liefert in den Atti der Turiner Akad. (1891/92) XXVII, 123—129. Ueber
seine Kanonensammlung M. Conrat, Gesch. d. Quellen u. Litt. d. Rom.
Rechts (1889) I, 253; vgl. auch NA. XI, 436.
^) Kuntzemüller bekämpft diese Auffassung, allein es war gar nicht
anders möglich und ist, da seine Wahrheitsliebe allgemein anerkannt ist,
auch kein Vorwurf.
234 11- Karolinger. § 11. Streit der Söhne.
Nithard war ein eifriger Anhänger Karls des Kahlen und teilte
mit ihm alle Wechselfälle des Kriegs. Im Jahre 840 übernahm er
eine Gesandtschaft an Lothar, und als diese vergeblich blieb, zog er
mit Karl dem Heere Lothars entgegen ; da, als sie eben im Begriffe
waren, in Chalons-sur- Marne einzureiten, gab Karl ihm den Auftrag,
die Geschichte seiner Zeit zu schreiben, um sein Recht aller Welt
darzulegen. Doch war ihm zunächst noch Nithards Schwert wich-
tiger, als seine Feder; am 25. Juni 841 wurde die Entscheidungs-
schlacht bei Fontenoy geschlagen, wo auch Nithard, wie er selbst
erzählt, tapfer kämpfte. Dann griff er wieder zur Feder ; im ersten
Buch stellte er einleitend die Ereignisse dar, welche zu diesen
Kämpfen geführt hatten, die Reichsteilungen und die Verwirrung,
welche daraus entstanden war, zweckmäfsig und übersichtlich er-
zählend'). Mit Ludwigs Tode hebt im zweiten Buch die ausführliche
Darstellung an; das Unrecht Lothars und die Verwerf lichkeit seines
Benehmens gegen die Brüder sind der vorzügliche, auch in dem an
Karl gerichteten Vorwort ausdrücklich bezeichnete Gegenstand. Die
Schilderung des entscheidenden Kampfes, mit dem das Buch schliefst,
unterbricht Nithard durch die Bemerkung, dafs eben jetzt, während
er schreibe^), am 18. Oktober desselben Jahres, die Sonne sich ver-
finstere. Das dritte beginnt er voll Unmut: er habe gar nicht weiter
schreiben wollen, weil es ihn schmerze und ihm zuwider sei, von
seinem Volke Schmähliches zu berichten; doch damit nicht etwa
jemand sich erkühne, die Sachen anders zu berichten als sie sich
ereignet hätten, habe er sich entschlossen, noch ein drittes Buch
hinzuzufügen über dasjenige, woran er selber teilgenommen, die
Verhandlungen nämlich, die ihn fortwährend in Anspruch nahmen.
Mit ähnlichen Worten beginnt er auch das vierte Buch, das letzte,
welches leider nur bis zum Anfange des Jahres 843 reicht; dann
scheint er in sein Kloster zurückgekehrt zu sein, vermutlich eben
deshalb, weil es ihm als Laienabte verliehen war. Ich hatte früher
ganz bezweifelt, dafs er Abt gewesen sei, allein da die Grabschrift
wirklich von dem Zeitgenossen Micon zu sein scheint, so müssen wir
ihm glauben, dafs Nithard kurze Zeit {paucissimis diehus sagt
Hariulf ) Abt gewesen und als solcher im Kampf gefallen sei. Da
schon im Sept. 844 Ludwig Abt ist, so mufs er vor diesem ein-
') Gegen Pertz haben Pätz und G. Meyer v. Knonau Benutzung des
Nithard beim Astronomus nachzuweisen gesucht, die mir doch noch
zweifelhaft ist.
^) Wahrscheinlich im Lager Karls zu St. Cloud, s. Funck S. 274,
Dümmler, Ostfr. I, lü9.
Nithards Leben und Geschichtswerk. 235
geschoben werden, und es mag die Vermutung von Traube richtig
sein, dafs Richbod, nachdem er noch 842') die feierliche Erhebung
Angilberts besorgt hatte, ihm den Platz hat räumen müssen, was
in diesem Kloster mehrmals vorkam. Wir hören nichts weiter von
ihm, als dafs im elften Jahrhundert, als Angilberts Grab in St.
Riquier erüfinet wurde, man darin die Leiche Nithards fand, in Salz
gelegt, in dem hölzernen, mit Leder bedeckten Sarge, worin er einst
vom Schlachtfelde heimgetragen war, an seinem Haupte die Wunde,
welche ihm den Tod gegeben. Damals hat man ihn als Abt gemalt,
und der Klosterdichter Micon verfafste dazu ein Epitaph-). Als Todes-
tag Avird XVIII. Kai. Jun. angegeben, was richtiger durch Id. Mai.
bezeichnet wäre. Dürfte man statt dessen Jul. setzen, so kämen wir
auf den 14. Juni. Merkwürdigerweise aber ist nach Prudentius
der Abt Richbodo von St. Riquier am 14. Juni 844 am Agout gefallen,
und ist auch dieser ein Enkel Karls des Grofsen gewesen. Leider
fehlt es uns an jeder zuverlässigen Nachricht zur Aufklärung dieser
Verhältnisse; wenn Nithard mit ihm zugleich gefallen wäre, so
mufs man doch annehmen, dafs er sicherlich auch hätte erwähnt
werden müssen.
Ungern trennen wir uns von diesem Büchlein, dem Werke eines
wackeren Kriegshelden und einsichtigen Staatsmannes, welcher so
recht aus der Mitte der Begebenheiten mit Ernst und Wahrheitsliebe
berichtet, was er selbst durchlebt, woran er selbst den bedeutendsten
Anteil genommen hat. Unwillkürlich knüpft sich daran der Ge-
danke, wie ganz anders die Geschichtschreibung sich hätte entwickeln
können, wenn die Laien der folgenden Jahrhunderte es nicht ver-
schmäht hätten zu schreiben , wenn nicht die Feder ausschliefslich
der Geistlichkeit überlassen wäre, der wir zwar viel schöne und
treffliche Werke zu danken haben, die aber mit Notwendigkeit ihre
einseitig kirchliche Auffassung auf alle Verhältnisse übertrug. Wir
möchten ihre Werke nicht missen, aber gar gerne hätten wir daneben
auch die Stimmen einsichtiger Laien.
Doch ist Nithard nicht der einzige von den Kämpfern in der
Schlacht bei Fontenoy, dessen Worte uns vorliegen : auch von Lothars
Seite ist uns eine Schilderung der Schlacht erhalten in dem Klage-
liede jenes Angilbert, der, im ersten Treffen kämpfend, von vielen
allein übrig geblieben war. Voll tiefen Grames sind seine Worte,
nirgends tritt uns so lebendig der bittere Schmerz entgegen über
\) Arn 24. Okt. nach Meyer v. Knonau, Anm. 292. dem Traube (für
den 5. Nov.) widerspricht, Poet. Gar. III, 268.
'-) Jetzt Poet. Car. IIJ, 310 von Traube herausgegeben.
236 II' Karolinger. § 11. Streit der Söhne.
diese allzu hai-te Nacht, in welchei- die Tapfei'sten gefallen sind, die
Kundigsten des Krieges^). Die Form dieser Verse ist rhythmisch,
die Sprache diejenige, welche uns schon aus der merowingischen Zeit
bekannt ist, lateinisch, wie es ein Romane sprechen und schreiben
konnte, ohne es schulmäfsig erlernt zu haben. Daher haben wir
auch dergleichen Dichtungen nur aus Frankreich") und Italien^),
') „Ubi fortes ceciderunt, proelio doctissimi. " Anf. Aurora cum. Ge-
druckt in der Oktavausgabe des Nithard S. 55 f. u. sonst häufig. Cousse-
maker, Hist. de Tharmonie (1852) 86 u. Faks. pl. I, 3. Erste vollständige
Ausgabe (2 neue Strophen) bei Dümmler in den philol. Abh. zu Ehren
Th. Mommsens, 1877, besser Poet. Car. 11, 138. Die Verse fangen nach
der Keibe mit den Buchstaben des Alphabets an, reichen aber nur bis P.
Eine üebersetzung mit Erläuterungen bei Meyer von Knonau S. 139, und
nebst anderen im Anhange zu dessen Schrift: Die schweizerischen hist.
Volkslieder des 15. Jahrb. (Zürich 1870) S. 66. Ebert II, 318. Vgl. über
die histor. Lieder Seemüller, Stud. zu den Ursprüngen der altd. Historio-
graph. in Abhandl. zur German. Philol. für Heinzel S. 45 — 61.
-) Bei Dumeril, Poesies populaires Latines anterieures au douzieme
siede finden sich S. 251 ein Klagelied um den Tod des Abtes Hugo 844
Hug dulce nomen (auch bei Coussemaker 92 mit Faks. pl. II, 2, Poet. Car.
II, 189, vgl. Puckert, Aniane u. Gellone S. 272 A. 16, s. über ihn Sickel,
Acta Karol. 1 , 96) ; S. 258 eine Klage Gotschalks in seiner Verbannung
846 oder 847 Ut quid iube.'i (Couss. 49 u. pl. II, 3; Poet. Car. III, 731,
vgl. Bibl. de l'ec. des eh. IX, 143, a. 1899, Ebert II, 166); S. 255 Verse
auf die Zerstörung des Klosters Montglonne oder Saint-Florent-le-Vieil
durch die Bretonen 853, Vulces niodos (neue Ausgabe nach dem MS. von
Midlehül von Dom Pitra, Archives des Missions scientifiques IV, 182
a. 1856; Poet. Car. II, 147, vgl. W. Meyer, Fragm. Bur. S. 168—169);
S. 266 Sigloards Klagelied um Fulko von Reims 0 Fulco (900) (Poet.
Car. IV, 174 — 175). Anderer Art sind Theodulfs Oden auf Ludwigs des
Frommen Ankunft in Orleans und in Tours, Poet. Car. I, 529. 578.
') Rhythmische Beschreibung von Verona aus Pippins Zeit, von Rather
mitgebracht und nebst einem Stadtplane von Verona in eine (verschollene)
Handschrift des Klosters Lobbes eingetragen , Magna et praeclara , Poet.
Car. I, 119. Traube, Karol. Dicht. S. 122—129. Verse auf K. Pippins
Sieg über die Avaren 796 (Omnes gentes) in Pertz' Oktav-Ausgabe von
Einhards V. Caroli p. 35, Poet. Car. I, 116, vgl. Zeitschr. f. D. Altert.
XLIII, 148, W. Meyer, Fragm. Bur. S. 168. Paulinus' Klage über Her-
zog Erichs Tod (799 Mecum Timavi) v. c. p. 87, Dumeril S. 241, Cousse-
maker S. 87 und Faks. pl. I, 4. Sinner, Catal. Bern. I, 148 — 157 mit
Erläuterungen, Poet. Car. I, 131. Planctus Caroli (814, A soUs ortu)
vermutlich aus Bobbio , bei Einhard S. 41 , Dumeril S. 245 , Cousse-
maker S. 91 mit Faks. pL II, 1, Poet. Car. I, 435; darauf bezieht sich
Thietm. IX, 30 (VIII, 15), indem er den darin als Patron des Klosters
angeredeten Columban für den lebenden Abt zu halten scheint. Ganz
verschieden davon ist das viel jüngere oft gedruckte Kirchenlied Vrbs
Aquensif!, welches auch auf Zürich und Frankfurt angewandt ist. — Klage
um Aquileja, Ad flendos, Paulinus zugeschrieben, Poet. Car. I, 142 Spott-
verse auf dasselbe, Aquilegia gloriosa , ib. II, 150, verb. von Traube,
Karol. Dichtungen 134 — 135, zwischen 844 und 855 von einem Venetianer
zur Verteidigung der Gradenser Rechte verfafst, s. AV. Meyer, Abhandl.
der Gott. Ges., N. F. II, 6. Ueber Ludwigs II. Gefangenschaft (871,
Audite omneft) Dumeril S. 264. Poet. Car. III, 404; ib. p. 405 sein Epitaph
Rliytbniische Dichtunf^en. Audradus. 237
aus Deutschland nur Kunstpoesie gelehrter Geistlicher')- Daneben
sang das Volk seine deutschen Lieder, die wohl gelegentlich erwähnt
werden, die aber niemand autschrieb. Nur der Ludwigsieich,
gedichtet auf die Normannenschlacht bei Saucourt (881), bildet
davon eine Ausnahme^).
Ein höchst eigentümliches Erzeugnis jener traurigen Zeiten , in
denen durch die Zwietracht der Brüder alle Ordnung gestört war
und besonders die Kirchen fortwährender Beraubung und IMilshand-
lung ausgesetzt wurden, wo dann auch Karl der Kahle die anfangs
noch an ihn geknüpften Hoffnungen in zunehmender Weise täuschte,
sind die Schriften und vorzüglich die ßevelationen des Audradus
Modicus aus dem Martinskloster zu Tours, der 847 vom Erz-
bischof Wenilo zum Landbischof von Sens eingesetzt wurde, im
Nov. 849 aber mit seinen meisten Amtsbrüdern diese Stelle wieder
verlor. Im März 849 überreichte er seine gesammelten Schriften
in Rom dem Papste Leo IV., welcher sie im Archive von St. Peter
niederlegte; die angeblichen Visionen aber setzte er noch bis 853
fort. Diese nur fragmentarisch erhaltenen Schriften sind kürzlich
durch neugefundene Fragmente verständlicher geworden und von
L. Traube in scharfsinniger Weise erläutert; sie enthalten nicht
unbedeutende Beiträge zur Geschichte der Zeit^).
§ 12. Frechulfs Weltchronik und andere Chroniken.
Wir haben oben S; lü die ersten, noch recht unvollkommenen
Versuche betrachtet, die fast verlorene Verbindung mit der Ver-
gangenheit herzustellen. Die Ereignisse der Gegenwart nahmen
Ilic cuhat. Das Wächterlied aus Modena vor der Belagerung durch die
Ungarn 892 0 tu qui bei Dumeril S. 268; Poet. Car. III. 703—705; vgl.
NA. XXVII, 233—236. Job. Merkel NA. I, 572 hielt es für älter. — Das
von Baronius auf Lothar (855) bezogene Epitaphium Caesar tuntus eras
ist von Dümmler NA. I, 179 auf Heinrich III. bezogen, auf Lothar wieder
von De Rossi, Inscriptt. Christ. II, 1. 302, und von Traube, der den Vf.
für einen Nachahmer des Sedulius hält, mit Beziehung auf Poet. Car.
III, 158 u. 234.
*) Ueber diese rhythmische Poesie überhaupt s. Ebert II, 311 — 328.
'^) Müllenhoff und Scherer I, 24, vgl. II, 71 ed. III, übersetzt bei
Dümmler, Ostfr. III, 155. Denselben Ludwig feierte nach Mabillon in
lateinischen Versen Abt Angilbert von Corbie bei Uebersendung einer
Abschrift von Augustin de doctrina christiana, aber Traube hat dieselben
für Angilbert von St. Riquier u. Ludwig d. Fr. in Anspruch genommen,
0 Roma nobilis, S. 322 ff.
*) Audradi Modici Carmina ed. Traube, Poet. Car. III, 67—122. 739
bis 745. 748. Ders., 0 Roma nobilis p. 374—391, wo die Revel. gesam-
melt und erläutert sind. Bedeutende Fragmente hat Albricus gerettet.
238 I^- Karolinger. § 12. Frechulfs AVeltchroiiik.
zunächst alle Aufmerksamkeit in Anspruch und mit ihrer Aul-
zeichnung begann man ; doch regte sich auch bald das Bedürfnis
in den gröfseren Zusammenhang einzutreten und einen Ueberblick
über die Weltgeschichte zu gewinnen. Bei der raschen Ausbildung
formaler Gewandtheit konnten die in der Form noch halb barbari-
schen und innerlich unverarbeiteten Kompilationen sehr bald nicht
mehr genügen, und es ist begreiflich, dafs man sich dieser grol'sen
und schwierigen Aufgabe von neuem und mit besserem Erfolge zu-
wandte.
Ganz anderer Art nun, als jene Kompilationen, und das Werk
eines wirklich bedeutenden Mannes ist die Weltchronik des Bischofs
Frechulf von Lisieux. Unbekannter Herkunft nennt er Heli-
sachar, den vielvermögenden Kanzler Kaiser Ludwigs ^), seinen Lehrer,
und die Freundschaft, welche ihn mit Hraban verband, wird wohl
schon damals geschlossen sein, als dieser noch zu Alcvins Füfsen
safs^). Vermutlich aus dem Kreise der Hofgeistlichkeit wurde Frechulf
auf den Bischofstuhl erhoben; in Lisieux fand er eine in tiefe Un-
wissenheit versunkene Herde zu weiden, und einen solchen Bücher-
mangel, dafs nicht einmal die Bibel vorhanden war. Er wandte sich
deshalb an seinen Freund Hraban, seit 822 Abt von Fulda, mit der
Bitte um einen Kommentar zum Pentateuch, der die Erklärungen
der alten Kirchenlehrer mit Beifügung ihrer Namen enthalten sollte,
und Hraban erfüllte seine Bitte. Wohl bald nachher sandte der
Kaiser ihn 824 an den Papst Eugen IL wegen des damals lebhaft
geführten Streites über den Bilderdienst; bis 852 wird noch seine
Teilnahme an verschiedenen Synoden erwähnt^), 853 aber erscheint
sein Nachfolger Eirard.
Ohne Zweifel hat Frechulf seine Verbindungen und wohl auch
die Reise nach Rom benutzt, um dem Büchermangel abzuhelfen, so
dafs er bald im stände war, auf Helisachars Wunsch und Antrieb
mit einer für die damalige Zeit nicht unbedeutenden Gelehrsamkeit
und Kunst ein Werk über die alte Geschichte zu stände zu bringen,
in welchem die ausc^ehobenen Stellen der benutzten Autoren zu
^) Ueber diesen s. Sickel, Acta Karol. I, 86—88. Simson II, 234.
Ein Brief von ihm über Verbesserung des Antiphonars NA. XI, 564 — 568,
Epp. V, 307—309.
^) Dafs Prechulf ein Sachse und Mönch in Fulda gewesen sei, beruht
allein auf dem Trithemischen Meginfrid von Fulda, und ist, da dieser
erdichtet ist, wohl nur ein Schlufs aus dem Freundschaftsbunde mit
Hraban. Die Briefe beider, Epp. V, 391—400, enthalten aber nicht die
geringste Hindeutung daraut.
*) 852 erwähnt bei Quantin, Cartulaire de l'Yonne I, 64.
Frechulfs Weltchronik. 231>
einer ausführlichen Darstellung nicht ungeschickt verbunden sind.
Griechisch verstand er jedoch nicht, wie Huemer ') aus den griechi-
schen Stellen des von ihm benutzten Hieron. de viris illustr. nach-
weist. Zu diesem ersten Teile fügte er sodann noch einen zweiten,
welcher die Geschichte des römischen Reiches von Christi Geburt
bis zur Vertreibung der römischen und gotischen Obrigkeiten aus
Gallien und Italien und der Aufrichtung völlig selbständiger Reiche
diirch die Franken und Langobarden fortführt; die Geschichte der
christlichen Kirche fand ihren Abschluls durch Gregors des Grofsen
Pontifikat'-). Diese zweite Abteilung seines Werkes überreichte er
830 oder etwas früher^) der Kaiserin Judith, deren Gelehrsamkeit
auch von Hraban und Walahfrid gepriesen wird^), um davon für
den Unterricht des noch zarten Knaben Karl Gebrauch zu machen.
Ueberaus merkwürdig ist es, dal's Frechulf hierdurch die sonst so
ängstlich festgehaltene Fortdauer des römischen Reiches gänzlich
aufgab, dafs er es wagte, die neuen Reiche auf römischem Boden
als etwas wirklich Neues, ihre Stiftung als den Beginn einer neuen
Zeit zu betrachten"'). Nachfolger hat diese Abweichung von dem
1) Serta Harteliana (Wien 1896) S. 39—43.
^) Ausg. der Chronik Heidelberg (ap. Commelin) 1597 und in den
Bibl. patr. Die Vorreden Epp. V, 317 — 320. Probe einer Hs. aus Deutz
bei V. Heinemann, Katal. der Hss. zu Wolfenb. VI, 63.
') Nach Büdinger a. a. 0. S. 12 erst 838 , was ganz unwahrschein-
lich ist.
■*) Dümmler, Ostfr. I, 41. Akrostichische Verse Hrabans ihr zu Ehren
bei H. Hagen, Garmina Medii Aevi p. 126—128. Poet. Car. II, 165.
'') Vgl. Büdinger, Hist. Zeitschr. VII, 115; Denkschr. der bist. Kl. der
Wiener Akad. XL VI (1898), II. Abt. S. 10—17. Ebert II, 381—384. Ueber
die Benutzung des Jordanes, Auctt. antt. V, 1, p. XLVI. Die gründlichste
Untersuchung über Frechulfs Werk mit genauer Analyse desselben nach
den von ihm benutzten Quellen hat Emil Grünauer aus Winterthur ge-
geben in seiner Diss. de fontibus historiae Frechulphi ep. Lixoviensis,
1864. Frechulph und Freohulf ist die Schreibart der ältesten und besten
(St. Galler) Handschrift, aus welcher hier nebst Faks. die in den Ausgaben
fehlenden Kapitel mitgeteilt sind. Sein Todestag (Oktober 8. Frehholfi
ep.) im Würzb. Nekrol. ed. Dümmler, Forsch. VI, 117. Eine unvollständige
und dem Julius Florus zugeschriebene Hs. in Avranches 2428, s. Ravaisson,
Rapport sur les bibl. de l'Ouest (1841) p. 20; die Widmung an Judith
S. 361. Vgl. unten § 20 über die Translatio Ragnoberti. — Die von
Fr. Haase im Breslauer Ind. lectt. hiem. 1860 gedruckte Widmung einer
Abschrift des Vegetius an einen König (wiederholt Veget. ed. Lang
p. XXIII, Epp. V, 618 — 619) kann doch wohl nur von Frechulf sein,
nach den Worten: post lihros ab inicio »lunäi usque ad regna Fruncorum
in Gallia a parvitate mea congestos ex hagiographoriim sive gentilium
historiis , und das wird durch übereinstimmende Ausdrücke bestätigt.
Der König ist dann Karl der Kahle. Vgl. auch Dümmler, Ostfr. I, 404.
und in Haupts Zeitschr. XV, 452, wo 44.3 — 450 ein von Hraban für
Lothar, wahrscheinlich IL, im Jahre 855 verfafster Auszug aus Vegetius,
240 II- Karolinger. § 12. Frechulfs Weltchronik.
herrschenden Systeme nicht gefunden ; nur Notker, der Mönch von
St. Gallen (I, 1) ist kühn genug, die Bildsäule als zertrümmert, das
römische Reich als vergangen zu betrachten und Kaiser Karl als
den Herrscher eines neuen Weltreichs hinzustellen.
In dem herkömmlichen Geleise blieb auch Ad o, Erzbischof von
Vienne (859 — 874), der Verfasser des Martyi'ologiums (S. 67), welcher
sich gleichfalls an einer Weltchronik versuchte')- Er verband zu
diesem Zwecke mit der Chronik des Beda Auszüge der gewöhnlichen
Quellen, die er jedoch stilistisch zu einer zusammenhängenden Er-
zählung überarbeitete. Den Faden für die Verbindung des Ganzen
gab ihm die Folge der Kaiser ; an Konstantin und Irene knüpft sich
unmittelbar Karl der Grofse, dann Ludwig, Lothar, Ludwig II. : so
wird der Gedanke der Einheit des römischen Reiches durchaus fest-
gehalten. Die Erhebungen der Söhne gegen Ludwig den Frommen
erscheinen nur als unberechtigte Revolutionen; dann wird Karl der
Kahle als trefflicher und weiser Regent gepriesen, alle aber über-
strahlt die Hoheit des Papstes Nikolaus. Es ist die Geschichte vom
Standpunkte der Autorität und der vorgefafsten Meinungen, der
sie so lange beherrscht hat und eine unbefangene Auffassung der
Ereignisse unmöglich machte.
Auch eine Volksgeschichte der Franken liegt uns vor, wahr-
scheinlich aus dem Jahre 816, die einem übrigens unbekannten
Erchanbert, doch ohne genügende Sicherheit, zugeschrieben
wird^). Doch ist kein grofser schriftstellerischer Ruhm daran zu
verliei-en oder zu gewinnen; sie beruht ganz und gar auf den
Gesta Francorum, und der angehängte Schlufs ist über alle Mafsen
dürftig; nur die sagenhafte Erzählung über die Beseitigung des
mit einigen Notizen über fränkische Sitten, mitgeteilt ist (vgl. Epp. V, 515).
Den lebhaften praktischen Gebrauch des Vegetius bezeugt auch Sedulius
Scottus und noch Salimbene S. 197.
') Erste Ausg. cura M. Flacii, Basiliae 1568. Auszüge, und von 814
an vollständig MG. SS. II, 315—323; die beiden unbedeutenden Fort-
setzungen S. 324. 325. Eine weitere, ebenfalls unbedeutende Fortsetzung
aus dem 11. Jahrhundert S. 326. Die erste Fortsetzung ist grofsenteils
entnommen aus der kurzen Francorum regum hif^toria 840 — 869 , fort-
gesetzt bis 885 (gedr. MG. II, 324. 325) und aus den Ann. Floriacenses;
benutzt von Folcvin im Chartul. Sith. nach B. Simson , Ludw. d. Fr. I,
192 Anm. 8. Serien episcoporum Vienn. ed. Waitz , SS. XXIV, 811, wo
auch die früher ausgelassenen Stellen aus Ado über die ältesten Vienner
Bischöfe nachgetragen sind. — Ebert II, 384.
^) Erchanberti Breviarium regum Francorum ed. Pertz , MG. SS. II,
327; nur der letzte Teil ist abgedruckt nach Ussermann. Uebers. bei
dem Mönche von St. Gallen. Die Handschrift (MG. Legg. I, 267. III, 9)
ist jetzt in Stuttgart Cod. Jur. qu. 134, s. Haenel in den Berichten der
K. Sachs. Ges. d. Wiss. 1865.
Erchanbert. Gesta abb. Fontanellensium. 241
letzten Merowingers zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, weil sie
uns zeigt, wie früh sich eine, der Wirklichkeit nicht entsprechende,
stark kirchlich gefärbte Auffassung ausbildete.
Die Lokalgeschichten, welche später zu so bedeutender
Entwickelung gelangten, zeigen sich in dieser Zeit noch kaum in
schwachen Anfängen. Wir erwähnten schon des Paulus Diakonus
Geschichte der Bischöfe von Metz; aul'serdem ist nur noch die
zwischen 834 und 845 verfai'ste Geschichte der Aebte von St. Wan-
drille zu nennen'), bis zum Jahre 833, mit einer Fortsetzung bis
zum Jahre 850. Sie enthält manchei-lei merkwürdiges, z. B. über
Einhards Stellung als Aufseher der königlichen Bauten , und ist
besonders ausführlich über die Thätigkeit des Abtes Ansegis, jenes
bedeutenden Mannes, dessen Kapitulariensammlung so grosses An-
sehen gewann'-).
§ 13. Deutschland unter den Karolingern.
Reichsannalen.
Mit dem äufsersten Widerstreben hatten die deutschen Stämme
sich der Herrschaft der Franken unterworfen, welche von ihrer
niederrheinischen Heimat aus sowohl am Oberrhein wie am Main
festen Fufs fafsten und in grölseren Massen sich ansiedelten, während
einzelne Herren dieses herrschenden Stammes überall im ganzen Lande
zu finden waren. Mit ihnen kam die fremde, römische Kirche, und
die rein deutsche, ureigne Entwickelung wurde durch das üeber-
gewicht der fremden Bildung erdrückt. Doch ist es fraglich, ob
wir überhaupt berechtigt sind, hier von einer Entwickelung zu
sprechen; so lange wir von den Deutschen Nachricht haben, ist
*) Gesta abhatutn Fontauellensium, ed. Pertz (nach Dacherj') MG. SS.
II, 270—301, nebst einem Fragmentum Chronici Font. 841—859 S. 301
bis 304. Ebert IT, 377. Nach der lange vermil'sten Hs. im Hävre (welche
aber die Fortsetzung nicht enthält) neue Ausg. von S. Loewenfeld, Hann.
1886; vgl. denselben Forsch. XXVI, 193—215, und über die Mängel der
Ausgabe Hokler-Egger , NA. XVI, 602—606. Ueber das Verhalten zu
Fredegars Fortsetzern Breysig, Karl Martell, S. 114 und oben S. 222.
Im Münchener historischen Jahrbuch 1865 von P. Roth benutzt, um
seine Ansicht über die Säkularisation unter den Karolingern zu untei*-
stützen. Auch die der Vita S. Wandregisili (oben S. 118) angehängten
Miracula (Mab. II, 547. Acta SS. Jul. V, 281), von verschiedenen Ver-
fassern bis nach 895 fortgeführt, sind nicht unwichtig; Ausz. SS. XV. 1.
406—409.
^) In ihm vermutet neuerdings auch Werniinghoff den \"erfasser der
umfangreichen Satzungen für Kanoniker u. Nonnen, welche die Aachener
Synode von 816 erliefs, s. NA. XXVIT. 611.
Wat teubach, Gescliichtsquellen. I. 7. Aufl. 16
242 II- Karolinger. § 13. Deutschland unter den Karolingern.
eine solche, wo sie unberührt blieben, kaum wahrzunehmen, und
gerade das am spätesten unterworfene sächsische Heidentum ist
völlig starr und jeder Veränderung widerstrebend ; das waren Zu-
stände, die ungestört viele Jahrhunderte ohne merkliche Umwande-
lung fortbestehen konnten.
Gewaltsam wurden die Schwaben, Bayern, Sachsen dem Franken-
reiche einverleibt; aber nachdem bei ihnen die Kirche durch Boni-
fatius sicher gegründet und durch Karls feste Hand auch über
Sachsen ausgebreitet war, nahmen sie nun auch an dem Leben
innerhalb derselben, an der Entfaltung aller der durch Karl gelegten
und gepflegten Keime, den lebhaftesten selbstthätigen Anteil. Als
das grofse Reich zerfiel, hatte diese Pflanzung bereits so tiefe Wurzeln
bei ihnen geschlagen, dafs die Trennung keinen nachteiligen Einflufs
darauf äufserte; auch blieb ja die Einbeit der Kirche, welche die
einzelnen Glieder schützte gegen das Schicksal jener alten, in ihrer
Vereinzelung verkommenden Gemeinden der irischen Glaubensboten.
Ludwig dem Deutschen fehlte es nicht an Bildung'); er fand
Freude und Geschmack daran und scheint namentlich auch, wie sein
Vater, den Wunsch gehabt zu haben, den Deutschen das Christentum
durch Werke in der Volkssprache näher zu bringen. Ihm selber
glaubt man die Aufzeichnung des deutschen Gedichtes vom Jüngsten
Tage in einer ihm gewidmeten Handschrift zuschreiben zu dürfen-);
ihm übersandte auch Otfrid um 865 sein Evangelienbuch. Nicht
minder nahm aber auch Ludwig, wie sein Vater und seine Brüder,
lebhaften Anteil an den Fragen und Untersuchungen, welche die
gelehrten Theologen seiner Zeit beschäftigten, in so eingehender
Weise, wie es nur bei der gründlichen Schulbildung der Karolinger
möglich war. Der Erzbischof Adalram von Salzburg (821 — 836)
übersandte ihm die Abschrift einer Predigt des heiligen Augustin,
dieselbe, welcher die eben erwähnten deutschen Verse beigefügt sind;
ein Priester Regimar mehrere Schriften des heiligen Ambrosius^).
') S. Dümmler, Ostfr. II, 417 ff. Seine Grabschrift hei'ausgeg. von
Winterfeld, NA. XXIII, 177.
2) Müllenhoff u. Scherer, Denkmäler 3. Aufl. I, 7. II, 30 (Abbildung
bei Enneccerus , Die ältesten deutschen Sprachdenkmäler Taf. 11 — 16).
Wackernagel, Litteraturgesch. 2. Ausg. S. 71. S. auch Steinmeyer, Fest-
schrift der Gesellsch. f. Deutsch. Philol. 1902 S. 214. Vgl. über die ver-
mutlich auch ihm gewidmete Wiener Handschr. .552 von Karajan in den
SB. der Wiener Akad. XXVIII, 311 und über die Berliner Hs. theol.
fol. 58 Psalter. Gallican. Val. Rose, Verz. der latt. Hss. II, 1, 22. Das theo).
Gutachten NA. XI, 457, Epp. V, 633—635 ist nicht an ihn gerichtet,
sondern westfränk. Ursprungs.
") Cod. S. Galli 98. S. Dümmler, Ostfr. II, 418. Poet. Cur. 11, 480.
Gelehrte bei Ludwig dem Deutschen. 243
Besonders aber stand er in lebhaftem Verkehre mit Hraban, der
ihm mehrere seiner Werke teils aus eigenem Antriebe, teils auf
ausdrückliche Aufforderung des Königs überreicht hat ; im Prologe
zum Daniel erwähnt er peritissimos lectores an seinem Hofe'). Auch
zu der Unterredung mit seinem Bruder Karl im Jahre 865 führte
Ludwig den scharfsinnigen Bischof Altfrid von Hildesheim mit sich
und benutzte die Anwesenheit des gelehrten Hinkmar, um diesen
beiden Männern einige schwierige Stellen der heiligen Schrift zur
Erklärung vorzulegen. Dadurch veranlafst, verfafste Hinkmar seine
Auslegung des 17. Verses des 103. Psalmes, welche er dem Könige
übersandte-). Auch fehlte es am ostfränkischen Hofe wohl nicht
ganz an einer Hofschule für die vornehmen Jünglinge, welche nach
alter Sitte dort sich auszubilden suchten. Erzkanzler war von 829
bis 833 der gelehrte Abt Gozbald von Nieder-Altaich, welcher später
(842 — 855) das Bistum Würzburg erhielt. Ihn nennt Ermenrich
von Ellwangen seinen Lehrer, vorzüglich aber kann er nicht Worte
genug finden zum Preise des weisesten der Lehrer, des Erzkaplans
Grimald, der noch an Karls Hofe gebildet war (man sagte sogar,
dafs er noch Alcvins Unterricht genossen habe), dann in der Reichenau
höhere Ausbildung suchte, und von 833 — 870, wenngleich nicht
ohne Unterbrechung, der Kanzlei, bald auch der Kapelle Ludwigs
vorstand. Mit drei Abteien, Weissenburg, St. Gallen und Ellwangen ^),
bedacht, hielt er sich doch noch immer vorzüglich am Hofe auf, wo
die wichtigsten Geschäfte ihm anvertraut wurden. Er war ein Nefife
des Erzbischofs Hetti von Trier, und der Bruder von dessen Nach-
folger Thietgaud''). Zu den bedeutendsten Gelehrten der Zeit stand
er in freundschaftlichen Beziehungen; so übersandte Hraban ihm
sein ^laityrologium mit einer poetischen Widmung-'), und nie ver-
säumte Grimald über den Staatsgeschäften die Pflege der Wissen-
'I Kunstmann, Hrabanus Maurus, S. 212. Epp. V, 468.
-) Dümmler II, 418. Wenn dieser S. 434 die Existenz einer Hof-
schule für Laien schon unter Ludwig bestreitet, so ist zuzugeben, dal's
kein Zeugnis dafür vorhanden ist ; doch möchte ich glauben , dal's für
die dem König kommendierten Jünglinge einiger Unterricht nicht ge-
fehlt haben wird.
^) Fast zweifellos nach Bessert, Württemberg. Vierteljahrshefte 1889,
S. 142—144.
■•) In der Grabschrift seiner Tante Warentrudis, Aebtissin von Pfalzel,
Schwester Hetti's, heilst es von Thietgaud: ,Cuius germanus vir clarus
in Omnibus extat. Nomine Grimaldus. ore et honore potens." Poet. Car.
II, 661; SS. XIV, 106.
^) Dümmler. Poet. Car. II, 169; St. Gall. Denkmale (Mitt. der Ant.
Ges. XII, 6) S. 215; S. 248— 250 über Gozbald u. Grimald oder Grimold,
und über diesen Ostfr. I, 92. II, 434 — 438. üeber die ihm beigemessene
244 TI- Karolinger. § 13. Deutsehland unter den Karolingern.
Schaft. Veranlafst war Hraban zu jenem Werke durch Ratleik, einst
Einhards Schreiber, dann dessen Nachfolger als Abt von Seligen-
stadt und von 839 — 853 Kanzler an Grimalds Stelle'). Auch Witgar,
Abt von Ottobeuern, der von 858—860 Kanzler war, dann Bischof
von Augsburg wurde, zeichnete sich durch Liebe zu gelehrten Studien
aus: nicht minder auch Grimalds Nachfolger Liutbert, der Erzbischof»
von Mainz"), Otfrids Gönner.
Allein der Königshof war doch nicht mehr wie in Karls Zeit
der Mittelpunkt aller litterarischen Bestrebungen, welche sich nun
vielmehr an die Stätten anschlössen , wo die bedeutendsten Lehrer
der Zeit wirkten, und namentlich bei dem bald nachher eintretenden
Verfalle des Reiches kann man es nur als eine glückliche Entwicke-
lung betrachten, dafs diese Studien in voller Unabhängigkeit an den
verschiedensten Orten feste Wurzeln getrieben hatten. Naturgemäfs
verbreiteten sie sich im ganzen Reiche, erblühten bald hier bald da
zu reicher Entfaltung, und folgten so derselben Richtung der Ver-
einzelung und Absonderung, welche im deutschen Reiche sich überall
und immer von neuem geltend macht. Daher ergibt sich denn auch
die Betrachtung nach landschaftlichen Gruppen als die einzige für
die deutsche historische Litteratur anwendbare.
Aber wie überhaupt die Zeit der deutschen Karolinger sich aufs
genaueste den Zuständen des gesamten Frankenreiches anschliefst,
so finden wir auch unter Ludwig und seinen Söhnen noch eine Fort-
setzung der alten Reichsannalen. Denn wenn auch die Annalen
von Fulda ^) zuerst aus einem Kloster hervorgegangen sind und
diesen örtlichen Ursprung nicht verleugnen, so umfafst doch auch
Fortführung des Sacram. s. P. Suitbert Bäumer, Hist. Jahrb. d. Görresges.
XIV, 253 ff., Epp. V, 579.
') An ihn ist eine zweite Widmung gerichtet, Epp. V, 502, vgl.
Dümmler, Ostfr. II, 432. Auch Lupus von Ferrieres war mit ihm in
litterarischem A'erkehr, ep. 60 ed. Bai., Ejjp. VI, 61, und sein Epitaph
von Hraban (Poet. Car. II, 240) erwähnt, dafs er die Schreiber unterwies
und dafs er jung starb.
2) Dümmier, Ostfr. II, 438. Rethfeld, Urspr. d. Fuld. Ann. S. 36.
'') Annales Fuldenses ed. Pertz, MG. SS. I, 337—415. Neue Ausg.
von Fr. Kurze, Hann. 1891, vgl. dessen Abh. NA. XVII, 83—158. Ueber-
setzt von Rehdantz, Berl. 1852. 1889 (Geschichtschr. 23. IX, 8). Spuren
von Benutzung der Ann. Fuld. 769 — 814 im Cod. E der angelsächs.
Chronik nachgewiesen von R. Pauli, GGA. 1866, S. 1416. Zum Sprach-
gebrauch M. Manitius, NA. XI, 68. 73. Die Fulder Fortsetzung der Laur.
min. bis 817 ist oben S. 224 erwähnt, die Ann. Fuldenses antiqui S. 167.
Eine schon um 830 in Fulda entstandene Komijilation , welche im An-
schlufs an eine A'ermutung von Waitz H. Lorenz wegen der Ueberein-
stimmung der Ann. Hersfeld, mit Marianus Sc. annimmt, ist, wie G. Buch-
holtz, HZ. LXV, 141, bemerkt, unwahrscheinlich, weil sich in den Ann,
Ludwigs Hof. Annalen von Fulda. 245
ihr Gesichtskreis das ganze Reich, und die Klostei'geschichte erscheint
ganz als Nebensache. Die Verfasser müssen in naher Verbindung
mit dem Hofe gestanden, unter dem Einflüsse desselben geschrieben
haben, wenn sich auch kein Zeugnis dafür beibringen läfst; sie
zeigen sich aufserordentlich gut unterrichtet und beobachten auch
als offizielle Reichshistoriographen dieselben Rücksichten, welche
schon in den Fortsetzungen des Fredegar und in den Lorseher
Annalen wahrzunehmen sind. Uebrigens haben sie vortrefflich ge-
schrieben in jener schon an Karls Hofe festgestellten Weise; dieselbe,
in ruhiger Würde völlig objektiv gehaltene Darstellung, von Jahr
zu Jahr fortschreitend, mit der deutlichen Absicht, der Nachwelt
Kunde von den Ereignissen zu hinterlassen und zugleich ihr Urteil
zu bestimmen. Nicht jedes Jahr ist daran geschrieben worden, aber
doch geschah es ziemlich bald nach den Ereignissen, und deshalb
haben wir an ihnen eine unschätzbare Quelle ersten Ranges, bei
der wir nur die Absichtlichkeit der Darstellung nicht aufser acht
lassen dürfen. Die Form ist anspruchslos , doch mufs man bei
näherer Betrachtung die Kunst anerkennen, welche dazu gehörte,
in diesen wirren Zeiten alles im Auge zu behalten, sich durch Neben-
sachen nicht abwenden zu lassen, und mit knapper Beschränkung das
Wichtigste übersichtlich zusammenzustellen.
Ein allem Anscheine nach fuldischer Mönch war es, der zuerst
die Aufgabe übernahm, die 829 abgebrochenen Königsannalen für
Ludwigs Reich weiterzuführen. Er besafs jedoch dieselben , wie
es scheint, nicht vollständig, sondern wie in der Wiener Handschrift
612 (bist. prof. 989, cod. 6 bei Pertz) nur von 771 an; dazu die
Laurissenses minores von 714 an und die Sithienses 741 — 823.
Gewifs war es wünschenswert, hieraus ein übersichtliches Handbuch
zusammenzustellen, und zu diesem Zwecke empfahlen sich ihm vor-
züglich die Sithienses durch ihre knappe und nicht inkorrekte Form :
die für ihn notwendige Aufgabe, die alten Lorscher Annalen zugleich
zusammenzuziehen und ihrer rohen Gestalt zu entkleiden, war hier
bereits erfüllt; nur für den Anfang hatte er es noch nachzuholen.
Der übergrofsen Kürze und Dürftigkeit wurde durch Zusätze aus
der kleinen Lorscher Frankenchronik, von 771 an überwiegend und
bald ausschliefslich aus den Reichsannalen abgeholfen; diesen vertraut
er sich nun ganz an, ohne doch bis 823 die Führung der Sithienses
völlig zu verlassen. Als weitere Quellen weist Kurze sowohl die
Fuld, keine Spur davon findet, und deshalb eher mit Kurze eine Arbeit
des 10. Jahrhunderts anzunehmen.
246 II- Karolinger. § 13. Deutschland unter den Karolingern.
von ihm konstruierte Chronik bis 796, wie die von ihm nach Saint-
Denis benannte Kompilation bis 805 nach, der vielleicht schon eine
Fortsetzung sich anschlofs; auch den ersten Teil der Annales Ber-
tiniani zieht er, wohl schwerlich mit Recht, heran. Aus derTranslatio
SS. Marcellini et Petri (826 und 828) ist einiges zugesetzt'); vor-
züglich aber verfehlte er nicht, die Hausgeschichte seines Klosters
mit Hilfe der alten Annalen in die Reichsgeschichte zu verflechten.
Die wenig reichhaltige Fortsetzung bis 838 berührt jedoch nur die
allgemeinen Angelegenheiten, aber von einer Einwirkung des Hofes
ist noch nichts zu spüren, ein eigenes Urteil nur leise angedeutet.
Der Verfasser hatte wohl nur die Belehrung seiner Klosterbrüder
im Auge, und nachdem einmal die völlig ausgebildeten Annalen
vorlagen, mufste auch ohne einen äufseren Antrieb überall, wo man
eine Abschrift besafs, der Wunsch sich geltend machen, diese wert-
volle Quelle wichtiger Belehrung weiter zu führen. Für diese Zeit
und in einem Kloster von hervorragender Bedeutung war eine
solche Arbeit auch für Mönche nicht mehr zu schwierig.
Das Verhältnis zu den Annales Sithienses, wie es hier angenommen
ist, beruht auf dem von B. Simson gegebenen Nachweis, dafs den
Annales Sithienses gerade alles dasjenige fehlt, was die Annales
Fuldenses wörtlich den Laurissenses minores entnommen haben, da
doch unmöglich angenommen werden kann , dafs gerade alle diese
Zusätze bei einem Auszuge weggelassen wären; zugleich weist der
Zusatz zu der Notiz über die Rinderpest 810 auf einen Zeitgenossen
im letzten Teile ^).
Ich sehe mich leider hier wieder genötigt, wie schon in den
früheren Ausgaben, von dem sonst immer schwerwiegenden Urteil
von Waitz abzuweichen, obgleich sich derselbe Forsch. XVIII,
354 ff. speziell an mich gewandt hat, um mich von der entgegen-
gesetzten Sachlage zu überzeugen. Es war auch bei mir nicht etwa
eine aus Simsons Paralleldrucke hervorgegangene „Täuschung des
Auges"; ich hatte mir vielmehr selbst den Text der Fulder Annalen
*) B. Simson bemerkt (Ludw. d. Fr. 11, 300) mit Recht, dafs die vor-
handenen Anklänge an den sog. Astronomus nicht auf Benutzung des-
selben beruhen können, weil er jünger ist.
^) Vgl. Waitz im Archiv VT, 739. Simson, Ueber die Ann. Enhardi
Fuld. und Ann. Sithienses, Jenaer Habilitationsschr. 1863. Waitz, Gott.
Nachrichten I8fi4, N. 3. Simson, Forsch. IV, ,")75. Waitz, Forsch. VI, 653.
Nachr. 1873, S. 587—599. Simson, Ludw. d. Fr. I. 400—404. Waitz,
Forsch. XVIII, 354—361. Simson ib. S. 607—611. Bernays, Zur Kritik
karol. Ann. S. 109 ff. Simson. Karl d. Gr. I, 655. Holder-Egger, NA.
XIV, 206. Eine Anzahl abgerissener Sätze ist wörtlich wiederholt in
den Ann. Blandinienses.
Annales Fuldenses et Sithienses. 247
für diesen ganzen Abschnitt in seine Elemente /erlegt, und war
dadurch zu demselben Ergebnisse gekommen, welches Simson ge-
wonnen hat, und welches durch Is. Bernays von neuem mit grofser
Schärfe begründet ist. Die Ueberspringung so vieler sicher aus den
Lauriss. min, entnommener Stellen in den Sithienses scheine mir
unleugbar, und mit der Annahme, dafs diese aus den Fuldenses
excerpiert wären, unvereinbar. Die vorhandenen Schwierigkeiten
müssen deshalb auf andere Weise erklärt werden, wie es in mehreren
Fällen Bernays mit Erfolg versucht hat. Fr. Kurze, welcher sich
diesem Standpunkte durchaus angeschlossen hat, vermutet die Be-
nutzung einer besseren und vielleicht etwas reichhaltigeren Hand-
schrift, welche auch weiter fortgesetzt sein konnte, üebrigens ist
die ganze Frage sachlich ohne Bedeutung.
Die Annales Sithienses haben diesen Namen nur deshalb
erhalten, weil sie von Mone in einer Handschrift des Klosters Sithiu
oder Saint-Bertin entdeckt und dai-aus verötfentlicht sind^). Lokale
Beziehungen aber fehlen durchaus. Sie beginnen mit Königsnamen
von 548 — 726; von 741 — 823 liegen fortlaufende Reichsannalen vor,
von welchen schon Mone richtig bemerkte, dafs sie anfangs zum
Teil auf den Ann. Petav. beruhen, übrigens aber durchgehende Ver-
wandtschaft mit den Ann. Lauriss. und Einhardi zeigen. Der Text
schwankt zwischen beiden Texten. Das aber, und der Anklang an
verschiedene andere Quellen wird von Kurze zurückgeführt auf die
Benutzung der oft erwähnten Kompilation bis 796. Der Auszug
ist nicht ohne Geschick gemacht, aber sehr dürftig, so dafs der
Fulder Annalist, wie bereits erwähnt, aus anderen Quellen sich
reicheren Stoff verschaffte.
lieber die kühnen Hypothesen Dünzelmanns glaube ich jetzt
weggehen zu dürfen, da seine Ansicht von einer Teilung der Annales
Fuldenses in einen schon um 793 verfai'sten und einen späteren Teil
widerlegt wird durch die zweifellose Benutzung der Lauriss. min.
und den von Waitz geführten Beweis, dafs diese erst um 806 ver-
fafst sind.
üeber den Verfasser dieser Annalen nun werden wir belehrt durch
eine Randnote in dem um 909 geschriebenen Schlettstadter Kodex
zum Jahre 838: hucusquc KnJiardus, sowie in den Ann. Yburg. und
bei dem Mönch von Kirschgai'ten , wo er Einhardus heilst. Dafs
hiermit kein anderer gemeint ist, als der berühmte Einhard,
^) Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit (183G) V, 5— IL Neue
AvLSs. von Waitz. SS. XIII. 34—38.
248 H- Karolinger. § 13. Deutschland unter den Karolingern.
können wir als sicher betrachten ; ein Mönch Enhard ist weder in
den Fulder Totenannalen noch im Reichenauer Nekrolog zu finden.
Für seine Autorschaft hat sich nun in bestimmtester Weise Kurze
erklärt^), indem er sich besonders darauf stützt, dafs zum Jahre 836
in das Itinerar des Kaisers die Angabe eingeschoben ist, derselbe
sei ,ad sanctos Marcellinum et Petrum" gekommen. Darum müfsten
die Aunalen in Seligenstadt geschrieben sein. Allein ich denke, der
Ruf dieser Heiligen und ihrer Wunderthaten müfste damals weit
verbreitet und auch in Fulda wohlbekannt gewesen, der Besuch
des Kaisers auch da als sehr denkwürdig erschienen sein. Deshalb
erscheinen mir Pückerts (S. 158) Gegengründe gegen die Fulder
Ueberlieferung doch überwiegend, die Abfassung nur in Fulda selbst
anzunehmen. Und dafs derselbe Mann nun auch noch die Ann.
Sithienses für seine Genter Mönche verfafst haben sollte, damit
scheint mir ihm wirklich zu viel zugemutet zu werden. Dürfte
man in ihm den Verfasser der grofsen Reichsannalen sehen , so
könnte man vollends diese annalistische Vielgeschäftigkeit nicht
glaubhaft finden.
Von der Fortsetzung der Annalen war schon längst erkannt
worden, dafs sie nicht aus dem Kloster Fulda herstammen können,
obgleich der Verfasser der ersten Fortsetzung (838 — 863) Rudolf
uns als Mönch des Klostei-s bekannt ist; wir werden noch auf ihn
zurückkommen. Er ist aber so sehr in die Denkweise, die Gesichts-
punkte und Absichten des Hofes eingeweiht, so gleichmäfsig unter-
richtet über die wichtigeren Begebenheiten in allen Teilen des
Reiches, dafs ein näheres Verhältnis zum König nicht zu verkennen
ist; er stellt denselben stets in das günstigste Licht und zählt zum
Jahre 858 sich selbst zu den ,consiiiorum regis conscii". Aber
andererseits findet sich doch keine Spur eines Aufenthaltes am Hofe,
etwa der Zugehörigkeit zur Kanzlei, und wir finden ihn auch später
wieder im Kloster. Hatte nun schon Duchesne bemerkt, dafs einige
den Mainzer Ursprung dieser Annalen behaupten, und in der That
tritt die Beziehung zu Mainz oft sehr stark hervor, so hat doch erst
A. Rethfeld in seiner scharfsinnigen Abhandlung-) die richtige Lösung
gefunden. Nachdem eine Urkunde vom 27. Jan. 849 (Mühlb. 1350),
worin Rudolf vom König als sein Beichtvater, zugleich aber auch
als Vorsteher der Schule zu Fulda bezeichnet ist, schon längst als
') NA. XVII, 133—138; Einhard S. 63 ff.
■-) Ueber den Ursprung des 2., 3. und 4. Teiles der sog. fuldischen
Annalen v. 838—887, Hall. Diss. 1886. Vgl. dazu Fr. Kurze, NA. XVII,
138—146.
Annales Fuldenses. Rudolf und Meginhard. 249
unecht beseitigt "war, zeigen uns die Urkunden des Klosters, dafs
Rudolf in denselben zwar hiiufig vorkommt, aber nur bis 841.
Unzweifelhaft, dürfen wir wohl sagen, hat er in der Folgezeit sich
lange auswärts aufgehalten, und es ist höchst wahrscheinlich, dafs
Hraban 847 bei seiner Erhebung zum Erzbischof ihn nach Mainz
mit sich nahm. Aber für die Zwischenzeit fehlt jeder Anhalt. Kurze
hat jedoch auf den Bericht der Annalen von dem Aufenthalte König
Ludwigs 838 in Frankfurt hingewiesen, welcher schon auf eine ver-
trauliche Beziehung hindeutet: es scheint, dafs Rudolf selbst anwesend
war, und schon damals nach der löblichen Sitte der älteren Könige
den Auftrag erhielt, Reichsannalen zu schreiben. Durch seine gelehrte
Bildung, einen lateinischen Stil, der sich mit dem von ihm gelegent-
lich nachgeahmten Einhard') wohl vergleichen läfst, vind eine be-
sonnene und billige Denkweise war er dazu besondei'S geeignet;
möchten wir allei'dings gern sehr viel mehr von ihm erfahren , so
darf man nicht vergessen, dafs seine Aufgabe eine knappe und über-
sichtliche Darstellung, verbunden mit vorsichtiger Zurückhaltung,
erforderte. Setzte nun sein Aufenthalt am erzbischöflichen und
öftere Berührung mit dem königlichen Hofe ihn in den Stand,
vielerlei Nachrichten zu erfahren, so mag ihm doch oft auch die
Ruhe zur Ausarbeitung gefehlt haben, denn man brauchte seine
Feder auch für andere Aufgaben ; nicht jedes Jahr schrieb er seine
Fortsetzung, und Kurze hat wahrscheinlich gemacht, dafs er gerade,
wenn er sich einmal wieder in Fulda aufhielt, seine Notizen sorg-
fältig ausgearbeitet hat, so 853, wo er die seit 849 gelassene Lücke
ausfüllte. Zuletzt 860 zog er sich, wohl durch seine Kränklichkeit
veranlafst, ganz nach Fulda zurück.
Vermutlich von dem Fortsetzer rühren die Randnoten her, welche
Enhaid und Rudolf als Verfasser der früheren Teile nennen; ihn
selbst kennen wir nicht, aber es ist höchst wahrscheinlich, dafs es
Meginhard war, der auch Rudolfs anderes unvollendetes Werk
vollendete und mit einer gleichlautenden Randbemerkung versah.
Die Gegengründe von Pertz sind durch Rethfeld und Kurze wider-
legt. Er schrieb ganz in derselben Weise und in demselben Geiste,
wie sein Vorgänger, wenn auch mit geringerer Kunst des Ausdrucks,
gleichmäfsig die Reichsgeschichte nach allen Richtungen verfolgend,
auch nicht minder beflissen, die Könige in günstigem Lichte erscheinen
zu lassen. Einen merkwürdigen Gegensatz bildet daher eine, wie es
') S. Simsen im NA. XXV, 186 und vorher schon Manitius ebd.
Vir, 564.
250 11- Karolinger. § 13. Deutschland unter den Karolingern.
scheint, besondere Aufzeichnung, nicht das Fragment eines gröfseren
Werkes, über Ludwigs des Jüngeren Krieg gegen die Söhne Ludwigs
des Stammlers, welches Boehmer auf dem letzten Blatt einer aus
Augsburg stammenden Handschrift saec. IX in München fand').
Dafs Meginhard in Mainz seine Annalen geschrieben hat, ist voll-
kommen klar; 869 erscheint er zuletzt in den Urkunden von Fulda;
870 wurde der Erzbischof Liutbert Erzkaplan, und damals wird er
Meginhard den Auftrag gegeben haben, die Annalen, welche mit Ru-
dolfs Tode liegen geblieben waren, fortzusetzen. Er besorgte zu dem
Zwecke eine Abschrift von Rudolfs Werk, worin drei Stellen geändert,
die nach Rudolfs Tode 864 und 865 in Fulda gemachten Zusätze
freier überarbeitet sind, und verfafste nun den Bericht über die
Zwischenzeit, welcher dürftig und lückenhaft, auch nicht fehlerfrei
ausgefallen ist; dann aber schrieb er von Jahr zu Jahr und zeigt
sich vollkommen gut unterrichtet. Liutberts Persönlichkeit steht
durchaus im Vordergrunde, allein als 882 Ludwig der Jüngere
starb, behielt Karl IIL seinen fi'üheren Erzkaplan Liutward, und
Liutbert mufste zurücktreten ; das Original der noch immer als
königlich betrachteten Reichsannalen wird abgegeben sein. Nun
besorgte sich Meginhard, von dem wir wohl als erwiesen ansehen
können, dafs auch die weitere Fortsetzung von ihm ist, eine Ab-
schrift, in welcher fünf gröfsere Stellen geändert sind (Red. II bei
Kurze), und schrieb weiter, jetzt aber ohne alle höfische Rücksicht,
mit scharfem Tadel des Königs und seiner Räte, vorzüglich Liut-
wards. Im Jahre 887 wurde dieser gestürzt, aber auch Arnulf hatte
schon seinen Erzkaplan, den Erzbischof Theotmar von Salzburg, und
Liutbert wurde wieder in den Hintergrund gedrängt. Da ist die
Mainzer Annalistik erlahmt; Meginhard selbst starb 888 und im
folgenden Jahr auch Liutbert.
Aber auch Karl blieb bei dem alten Herkommen, und auch er
fand einen Historiographen, der sich kein tadelndes Wort über den
Kaiser entschlüpfen läf'st, und ihm schliefslich seine Belohnung im
Himmel anweist. Auch die Absetzung des Kaisers wird von ihm
noch mit loyalem Unwillen berichtet, Arnulf jedoch mit grofsem
C4eschicke geschont, und von dem Augenblicke seiner Erhebung an
tritt dieser in die gebührende Stellung des rechtmäfsigen Königs
ein. Der Verfasser, dem bei dem raschen Verfalle der Schulen bereits
alles Gefühl für grammatische Korrektheit abhanden gekommen ist.
') Cod. lat. Monac. 3851. Gedr. MG. SS. III, 159; Regino ed. Kurze
p. 180.
Die Fortsetzungen der Annalen von Fulda. 251
mul's dem Hofe nahe gestanden haben'), seine Heimat aber scheint
Bayern zu sein. lieber dieses Land sind seine Nachrichten aus-
führlich und genau, die Mährer trifft sein leidenschaftlichster Hafs.
Ungeachtet der rohen Sprache, der Mangelhaftigkeit der Darstellung,
wird doch von ihm, und den 897 eintretenden Fortsetzern, so lange
Arnulf lebt, die Würde der Reichshistoriographie ungemindert auf-
recht gehalten. Man versuchte sogar noch unter dem Kinde Ludwig
in alter Weise fortzufahren, allein bei der rasch überhand nehmenden
Zerrüttung verschwand auch diese Erbschaft aus dem Reiche des
grofsen Karl, und mit dem Jahre 901 erlischt die Fackel, welche
bis dahin unsei-em Wege so treulich leuchtete, Adam von Bremen
hatte eine bis 911 reichende Handschrift, führt jedoch aus dem
letzten Teile nichts mehr an'').
Dieser letzte Teil ist uns nur in einer aus dem Kloster Nieder-
altaich stammenden Handschrift erhalten, welche von 897 ab Auto-
graph zu sein scheint. Hier hat merkwürdigexnveise der ältei*e Teil
eine ganz besondere Beschaffenheit (Red. III), indem die ursprüngliche
Aufzeichnung Rudolfs, welche vielleicht nach Kurzes Vermutung bei
einem Besuch des Klosters Fulda im August 897 dem Hofe bekannt
geworden war, mit der zweiten Redaktion verbunden ist, so dafs
wir an einigen Stellen nur hiei'aus den alten Text erkennen können.
Da diese Handschrift Pertz noch unbekannt war, konnte mit Hilfe
derselben Fr. Kurze seine Ausgabe auf einer besser gesicherten
Grundlage ausarbeiten.
S U. Fulda, Hersfeld, Mainz.
Kunstmaun, Hrabanus Magnentius Maurus, Mainz 1841. Rettberg I, 370—374. 605
bis «33. Vgl. auch F. Falk, Die ehemalige Dombibliotliek zu Mainz 1897. Bibel-
studien, Bibelhss. u. Bibeldrucke in Mainz 1901. Beitr. zur Rekonstruktion der
alten Bibl. Fuldensis u. Bibl. Lauresham. 1902.
Die litterarische Thätigkeit der Mönche zu Fulda beschränkte
sich nicht auf die Reichsannalen ; sie ist umfangreich genug, um
einen eigenen Abschnitt in Anspruch zu nehmen, und die Bedeutung
des Klosters für die Anfänge gelehrter Bildung auf deutschem Boden
ist so grofs, dafs wir auch seiner Geschichte eine etwas umständ-
lichere Betrachtung widmen müssen.
') Ueber das im Jahre 891 fehlende Datum der Schlacht bei Löwen
s. A. Dopsch in den Mitteil, des Inst. XV, 367—372.
^) Einige sonst unbekannte Nachrichten für die Jahre 869 — 900 hat
neben Benutzung der Ann. Fuld. Gobelinus Person in seinem Cosmidro-
mius (ed. .Jansen p. 19 — 22).
252 II. Karolinger. § 14. Fulda, Hevsfeld, Mainz.
Die Gründung Fuldas wurde veranlafst durch Bonifaz, welcher
sich seine Ruhestätte dort erwählte, und wohl auch noch bei Leb-
zeiten sich dahin zurückgezogen hätte, wenn nicht schon früher die
Märtyrei-krone ihm zu teil geworden wäre. In schmuckloser, aber
ausführlicher Erzählung wird uns mit anmutiger Schlichtheit die
Geschichte der ersten Gründung berichtet in dem Leben des ersten
Abtes Sturmi, der, von Geburt ein Bayer, schon als Jüngling
Bonifaz übergeben, in Fritzlar von Wigbert unterwiesen war, und
nach dreijähriger Wirksamkeit als Pfarrer, von der Sehnsucht nach
dem klösterlichen Leben in der Einsamkeit ergriffen wurde. Bereit-
willig förderte Bonifaz sein Streben, und sandte ihn, nachdem in
Fulda die neue Stiftung begründet war, nach Italien, um an der
Quelle die rechte Einrichtung des Klosterlebens kennen zu lernen;
er hielt sich deshalb längere Zeit in Montecassino auf'), welches
als des Abendlandes Mutterkloster von fränkischen Pilgern häufig
aufgesucht wurde. Unter königlichen und päpstlichen Schutz ge-
stellt und bald auch durch den Leib des hochverehrten Apostels
der Deutschen geheiligt, gewann das Kloster Fulda rasch eine
kräftige Entwickelung und nahm zu an Glanz und Reichtum. Sturmi
verteidigte nach manchen Wechselfällen, die ihn eine Zeitlang in
die Verbannung nach Jumieges führten, doch zuletzt mit glücklichem
Erfolge, die Freiheit und Unabhängigkeit des Stiftes gegen den Erz-
bischof Lul. Am Ende seines Lebens, in den Jahren 778 — 779, war
er mit der Bekehrung der Sachsen beschäftigt, unter denen Karl
ihn zu gröfserer Wirksamkeit bestimmt hatte.
Sein Nachfolger Baugulf (779—802) schmückte Fulda mit
Bauwerken, und erst jetzt begann auch das wissenschaftliche Leben
in seinen Mauern sich zu entwickeln, obwohl es an einer Schule
von Anfang an nicht gefehlt hatte. Alcvin hat damals Fulda be-
sucht, und Karls berühmtes Rundschreiben über die Notwendigkeit
gelehrter Bildung für die Geistlichen ist uns gerade in der an
Baugulf gerichteten Ausfertigung erhalten ; er ist es auch, der Ein-
hards glückliche Anlagen früh erkannte und ihn deshalb an des
Königs Hof sandte. Die ältesten Fulder Anualen (oben S. 167)
beginnen mit angelsächsischen Namen und in ihren Handschriften
begegnen uns die Schriftzüge der Angelsachsen -) ; es kann nicht
ohne günstigen Einflufs geblieben sein, dafs diese höher gebildeten
Mönche gerne bei den Reliquien ihres gefeiertsten Landsmanns
') Ruodolfi V. Liobae c. 10. Libellus supplex § 10. Vgl. Wattenbach,
AUg. D. Biogr. XXXVn, 1—2.
-) Vgl. Traube, NA. XXVJI, 265 fg.
Die Aebte Stunni, Baugulf, Ratf,'ar. EijCfil. 253
weilten, und auch gelehrte Schotten fanden sich schon bald, des
alten Gegensatzes ihrer Kirche vergessend, an Winfrids Grabe ein,
wie Probus. der Freund des Lupus undWalahfrids. Baugulfs Nach-
folger Rat gar (802 — 817) sandte die fähigsten Mönche seines Stiftes
zu den berühmtesten Lehrern der Zeit, Hraban und Hatto nach Tours
zu Alcvin, Brun zu Einhard, Modestus nebst mehreren anderen zu
dem Schotten Clemens ')• Vielleicht schon dieser Zeit gehört der
Johannes Foldensis didasculus an, welcher in ungeschickten
Versen als grämlicher Alter gegen den Heiden Virgil eiferte und
dagegen des Arator christliches Gedicht pries'-').
Es zeigt sich uns hier der Gegensatz, in welche die der Geist-
lichkeit zu ausschliefslicher Pflege überwiesene Gelehrsamkeit zu dem
urspi-ünglichen Zweck des Klosterlebens trat, und nicht minder litt
die stille Beschaulichkeit desselben durch den fürstlichen Hofhalt,
den Fremdenverkehr, die Unruhe und den Lärm der Bauten. Ratgar
warf man ungemessene Baulust, Härte und Hoffart vor; heftige
innere Zerwürfnisse waren die Folge ^), und der Friede kehrte erst
wieder, als 817 Ratgar abgesetzt wurde. Es war das Jahr, in
welchem der Kaiser sich ernstlich der Reform der Klöster annahm
und auf der Aachener Versammlung die Kapitel verordnete, welche
lange Zeit fast gleiches Ansehen mit der Regel selber genossen. Zwei
westfränkische Mönche, Aaron und Adalfrid, führten diese Reform
auch in Fulda ein ; als sie sich hinlänglich befestigt hatte, erlaubte
der Kaiser eine neue Wahl, wobei vielleicht Einhard seine Hand mit
1) Catalogus abbatum in Böhmers Fontes III, 162; MG. SS. XIII, 272.
Clemens wird als Lehrer an Ludwig des Frommen Hofe erwähnt, er
widmete in recht guten Versen dem jungen Lothar ein grammatisches
Werk, Grammatici Lat. ed. Keil I p. XXI. Poet. Car. II, 670; cf. Dümm-
1er, Ostfr. II, 649. Haureau, Singularites p. 23. Keil, De grammaticis
quibusdam latinis inf. aet. (Erlanger Univ.-Progr. 1868). p. 9 — 17- Stein-
meyer, Abd. Glossen IV. 539.
2) MG. Poet. Car. I, 392. Trithemius nennt als Schüler Hrabans (Vita
I, cap. 3): „Joannes monachus Fuldensis, patria Francus orientalis. poeta
et musicus insignis; qui et plura scripsit et cantum ecciesiasticum primus
apud Germanos varia modulatione composuit." Angef. von Gerbert, De
cantu et musica sacra 1 , 282. Leider eine ganz unzuverlässige Quelle.
^) Libellus siqjplex MonacJiorum Fiildensinm, Carolo Mayno Imperatori
porrectuf! (vielleicht von Eigil verfafst). Broweri Antt. Fuld. p. 212.
Schannat, Cod. Probb. p. 84. Mab. IV, I, 260—262. Epp. IV, 548—551.
Vgl. über diese Vorgänge B. Simson, Ludw. d. Fr. 1, 871 — 374. Die
S. 373 Anm. 9 angef. Stelle des Libellus kann ich aber nur darauf be-
ziehen, dafs keine Akte weltlicher Gerichtsbarkeit und kein Marktver-
kehr auf dem Klosterplatz stattfinden sollen. Die Worte des Cod. Fuld.
Ann. Lauriss. min. a.s07: ^Aufugiunt pueri puerorum et pessime custos
Consiliis pravis" sind, wie Simson ])emerkt, vielleicht aus einem verlore-
nen Gedichte.
254 II- Karolinger. § 14. Fulda, Hersfeld. Mainz.
im Spiele hatte ^), und Eigil übernahm die Leitung des Stiftes.
Dieser war noch ein Schüler Sturmis; ein Bayer, wie er, und sein
Verwandter, war er schon als Kind nach Fulda gebracht und der
Klosterschule übergeben : über 20 Jahre hatte er unter Sturmis Zucht
gelebt, und in dankbarer Erinnerung schrieb er das Leben seines
Meisters^), auf Bitten der Angildruth, vielleicht einer Nonne von
Bischofsheim, dem ebenfalls von Bonifaz gestifteten grofsen Nonnen-
kloster. Die Sprache Eigils ist nicht frei von Germanismen, sie trägt
noch den Stempel der älteren, vor Alcvins Wirksamkeit liegenden
Zeit. Doch verletzt sie nicht mehr durch die groben Fehler der
merowingischen Zeit, und reichlich entschädigt für die Mängel des
Stils der einfach fromme Sinn des Mannes, seine ansprechende und
ungesuchte Erzählung dieser Begebenheiten, welche er teils noch
selbst erlebt, teils aus dem Munde der älteren Brüder und seines
Meisters erfahren hatte. Nach seiner Anordnung wurde diese Legende
jährlich an Sturmis Gedenktage (17. Dez.) während der Mahlzeit den
Mönchen vorgelesen.
Das Leben des zweiten Abtes Baugulf schrieb, durch Eigil
veranlafst, Bruun, mit dem Beinamen C and idus, wohl derselbe,
den Ratgar zu Einhard gesandt hatte, noch in seiner ersten, guten
Zeit, als er erst kürzlich in wunderbarer Einigkeit von den Brüdern
zum Abt erwählt war, wie Bruun berichtet. Leider ist dieses Leben
Baugulfs verloren^); erhalten aber ist uns das Leben Eigils''),
^) S. Tangl im NA. XXVII, .31—32. Seine vermeintliche Erwähnung
in einem Briefe Einhards (Epp. V, 138) wird jedoch von Hampe mit Recht
bekämpft, s. NA. XXI, 630.
2) Vita S. Sturmi ed. Pertz MG. SS. II, 365—377 (vgl. Epp. IV, 557),
mit nicht genügender Benutzung der beiden Hss. in Erlangen u. Würz-
burg s. E. Richter, Die ersten Anfänge der Bau- und Kunstthätigkeit des
Kl. Fulda (Fulda 1900) S. 21 ff. Zur Kritik vgl. Tangl in den Mitteil, des
Inst. XX, 224 ff. Bei Migne CV, 421—444 nach Mabillon. Uebersetzt
von W. Arndt mit dem Leben des heiligen Bonifatius; von K. Schwartz
mit beachtenswerten Erläuterungen in 2 Fulder Programmen , 1856 und
1858. Ebert II, 104—106.
^) Waitz bezweifelt, ob es überhaupt vollendet war. Vgl. 0. Cl. Th.
Richter, Wizo und Bruun, 2 Gelehrte im Zeitalter Karls d. Gr. und die
ihren gemeinsamen Namen Gandidus tragenden Schriften, Progr. d. Leipz.
städt. Realgymn. 1890.
*) Vita Eigilis, Broweri Sidera Germaniae. Schannat, Cod. Probb. 88
bis 114. Daraus Mab. IV, 1, 217—246; Migne CV, 381—422. Waitz (nur
die Prosa) SS. XV, 221—233, aber auch ohne handschriftliche Hilfs-
mittel. Eine Verweisung auf Gregors Dialoge trägt Puckert nach, Aniane
u. Gell. S. 184 A. 59, auf eine Homilie des Pseudochrysost. S. 194. Uebers.
von Grandaur 1888, Geschichtschr. 25 (IX, 10). Ebert II. 330. In der
Würzb. Bibliothek ist eine von einem Bruun geschriebene Regula S. Be-
nedict, For.^ch. VI, 119, vgl. Traube, Reg. S. Bened. S. 660—661.
Leben Sturmis und Eigils. 255
von demselben Verfasser auf Hrabans Veranlassung geschrieben, als
dieser noch Abt war, also vor 842. Der Verfasser war schon hoch-
betagt, 845 ist er gestorben. Er befand sich auf einer einsamen
Pfarre, und Hraban hatte ihn ermahnt, sich im Lesen zu üben und
etwas Nützliches zu schreiben. Die Lebensbeschreibung ist nicht
ohne Geschick verfafst, iind wenn auch nicht fehlerfrei, lässt sie
doch in der anspruchsvolleren Form den Schüler Einhards wohl
erkennen. Besonders gelungen ist die sehr lebensvolle Schilderung
der Bewegung, welche die Abtswahl im Kloster hervorruft; die
Ansichten und Aeufserungen der verschiedenen Wortführer werden
in der gewöhnlichen Umgangssprache wiedergegeben, und ein Kampf
der Meinungen und Wünsche, wie er sich ohne grofse Veränderungen
noch heutigen Tages bei solcher Gelegenheit beobachten läfst, stellt
sich uns mit grofser Lebendigkeit dar. Darauf versucht sich der
Verfasser in langen Reden, die man nun einmal ganz nach dem
Vorbilde des Altertums als notwendig betrachtete, wenn man schön
schi-eiben wollte, Reden des Kaisers und des Erzbischofs von Mainz,
in denen Bruun die Betrachtungen niedex-gelegt hat, zu welchen ihn
Ratgars Amtsführung und die dadurch hervorgerufenen Wirren ver-
anlafsten. Zu Grunde gelegt sind hier nach Eberts Ansicht wirkliche
Ansprachen des Kaisers. Der Verfasser sagt es im Vorwort, und
auch, dals er sie so, wie sie gehalten wurden, doch nicht wieder-
zugeben vermöge. Vollkommen zutreffend hat aber dagegen Waitz
bemerkt, dafs eine solche Rede voll gelehi'ter Zitate der Kaiser nicht
halten konnte, dafs ferner Bruun nicht zugegen und Jahrzehnte seit-
dem vergangen waren. Den Hauptinhalt dessen, was der Biograph
dann von Eigils eigener Thätigkeit berichtet, bilden wiederum dessen
Bauten, namentlich die noch jetzt stehende achteckige Rotunde, die
uns wieder an die Freundschaft mit Einhard erinnert; Bruun,
Einhards Schüler, nahm selbst an diesen Arbeiten teil: die Apsis
über dem Grabe des h. Bonifaz hatte seine Hand mit Gemälden
geschmückt.
Der prosaischen Biographie schliefst sich eine zweite in Hexa-
metern an, welche früher geschrieben zu sein scheint'): der Inhalt
ist fast ganz derselbe, und die Form gibt ein neues Zeugnis von
der im früheren Mittelalter so sehr verbreiteten Fertigkeit in dieser
Kunst, deren wir schon bei Karls Zeitgenossen häufig zu gedenken
hatten. In jeder Schule bildete die L^ebung im Versemachen einen
stehenden Teil des Unterrichts, und dadurch entstand die Vorliebe
1) Auch bei Dümmler, Poet. Car. II, 94—117.
25G I^- Karolinger. § 14. Fulda, Hersfelcl, Mainz.
für die poetische Einkleidung, die so oft dem inneren Gelialte nach-
teilig geworden ist.
Zugeeignet hat Candidus oder Bruun sein Werk dem Modestus,
oder mit deutschem Namen Reccheo, der die ünthaten des Ratgar,
des Einhorns, welches in die fromme Hesrde eingebrochen war, durch
beigefügte Zeichnungen noch anschaulicher machte; leider ist die
Handschrift verloren und wir kennen nur die Abbildungen in Bro-
werus sehr dankenswertem Buche')-
Am 15. Juni 822 starb Eigil; ihm folgte sein Freund Hraban,
geboren um 784 in Mainz, der bis dahin der Klosterschule vor-
gestanden hatte, einer der grofsten Gelehrten seiner Zeit^), dessen
Ruhm sich schon durch das ganze Frankenreich verbreitet hatte.
Man bewunderte namentlich auch seine Verse, obgleich sie gegen die-
jenigen mancher Zeitgenossen sehr zurückstehen, arm an Inhalt sind,
und voll von grammatischen und metrischen Fehlern, wie man sie
bei ihm nicht erwarten sollte, voll auch von Plagiaten, die er u. a.
auch an seinem Lehrer Alcvin verübt hat, aber nicht minder ent-
behren seine Prosaschriften der Selbständigkeit. Er war ein Schüler
Alcvins: Ratgar hatte ihn, wie oben erwähnt, nach Tours gesandt,
nachdem er im Jahre 801 zum Diaconus geweiht war^); doch ist
*) Daraus wiederholt bei Jul. v. Schlosser, Eine Fulder Miniat. Hs. d.
Hofbibl. Jahrb. d. kunsthist. Sammlungen d. A. H. Kaiserh. XITI. mit
Studien über die Fulder Kunstschule.
^) Kunstmann 1. 1. Wackernagels Litteraturgeschichte 2. Ausg. S. 66.
Bach, Hrabanus Maurus, der Schöpfer deutschen Schulwesens, Zimmer-
manns Zeitschr. f. Alt. II, 636. Türnau, Rabanus Maurus, München 1900
(vgl. Dümmler, DLZ. 1900 S. 285). Ebert II, 120—146. Hauck II. 1-52
bis 153, 620—641. Dümmler, Hrabanstudien. Berl. SB. 1898 S. 24—40.
Will, Regesten der Mainzer Erzbb. I, p. XIX — XXIV. Opera ed. Col-
vener. 1627. Migne CVII— CXII. Seine Gedichte, unter denen manche
von geschichtlicher Bedeutung, gab Chr. Brower 1617 als Anbang zum
Venantius Fortunatus : daraus schöpften die Späteren ; jetzt Poet. Car.
II, 154—258. Seine Briefe Epp. V, 379—516. Vgl. NA. IV. 286-294.
5-^1. Dümmler, Ostfr. I, 315—320. 404—410. Allgem. D. Biogr. XXVIL
66 — 74. Derselbe über eine verschollene Fuldaer Briefsammlung
des 9. Jahrhunderts, Forsch. V, 369—395 (Nachtr. XXIV, 421—429).
Epp. V, 517 — 533; eine Sammlung der von den Magdeb. Centuriatoren
erhaltenen Fragmente einer wichtigen Fuldischen Briefsammlung von
c. 818—870. S. auch oben S. 239 über Vegetius. — Ueber die von
Koeberlin bekannt gemachte Würzb. Hs. seines Komm, zum Matthaeus
s. L. Traube, NA. XVII, 458. Ueber seine Briefe an Hinkmar (Epp. V,
487—500) SchepIs, NA. XI, 130.
^) Dieses Datum der Ann. Laur. min. in der Fulder Handschrift stimmt
gut zu seiner Absendung durch Ratgar, denn dafs dieser schon 802 Abt
wurde, müssen wir doch wohl den Ann. Fuld. und ant. Fuld. glauben,
und also in den Urkunden bei Dronke S. 100. 101 vom 1. u. 5. Mai 803,
welche noch Baugulf nennen, einen Fehler annehmen; sie sind aus dem
Hrabanus Maurus. 257
es fraglich, ob diese kurze Zeit genügte, um ein warmes Freund-
schaftsband zwischen ihm und dem allverehrten Lehrer zu knüpfen,
vielmehr wahrscheinlicher, dafs er schon vorher unter Baugulf sich
bei ihm (im Jahre 796 flg.) aufgehalten habe. Alcvin nannte ihn
Maurus nach dem Lieblingsjünger des heiligen Benedikt, und nach
seiner Heimkehr schrieb er ihm einen Brief, in welchem er erwähnt,
dafs er einst (olim) eine Schrift unter seinem und seines Mitschülers
Samuel Namen verfafst habe'); sehr bald darauf (19. Mai 804) mufs
Alcvin gestorben sein. Mit Hatto, seinem Nachfolger als Abt, damals
seinem Mitschüler in Tours, noch erfüllt von Verehrung gegen
Alcvin, der auf dem Widmungsbilde für den heiligen Martin segnend
neben ihm steht, verfafste Hraban um 814 in seinem dreifsigsten
Jahr sein Werk zum Preise des heiligen Kreuzes, dessen versbild-
liche Spielereien im Mittelalter viel bewundert wurden. In Pi-acht-
handschriften schickte er es dem Papste, Erzbischof Otgar u. a., und
es haben sich deren mehrere erhalten^). Als Alcvin ihm zuletzt
schrieb, stand Hraban bereits der Klosterschule in Fulda vor, welche
nun eine Pflanzstätte gelehrter Bildung für ganz Deutschland wurde,
denn ungestört durch die Bedenklichkeiten seines alternden Lehrers
erklärt Hraban in seiner Schrift I)c insfitutione clericorum''^) auch
das Studium der heidnischen Autoren für unentbehrlich zum Ver-
ständnis der heiligen Schrift; bei Lupus und in den Annalen von
Fulda findet sich nach Vogel zuerst wieder nach langer Zeit Bekannt-
schaft mit den Schriften Sallusts, welche jetzt einen rasch wachsenden
Elsafs, wo man vielleicht den Wechsel noch nicht erfahren hatte. Ebert
glaubte annehmen zu müssen, dafs er schon vorher längere Zeit bei
Alcvin gewesen sei, womit Dümmler übereinstimmt, s. NA. XVIII, 67.
') Dafs dieser Brief an Hraban gerichtet sei, beruht freilich auf \'er-
rautung, s. Bibl. VI, 876. Epp. IV, 132. Sicher an ihn ist nur gerichtet
der Brief Bibl. VI, 801. Epp. IV, 223. Samuel wird der unter diesem
Namen vorkommende Erzbischof Beornrad von Sens sein. Hraban richtet
(Poet. Car. II, 188) mehrere Gedichte an einen Presb. Samuel, seinen
sodalis. Das mag der Abt von Lorsch, 841 Bischof von Worms sein,
der, wie Pf. Falk bemerkt, im Chron. Lauresh. „a puero ibidem edu-
catus" heilst , und ohne Grund für Fulda in Anspruch genommen ist.
Er starb nicht 859 , wie Schannat nach den Urkunden Mühlbaeher Reg.
Kar. 1373, 1374, 1378 annahm, aber die Urkk. sind unecht, s. Sickel,
Wiener SB. XXXVI, 396. Das Chron. Lauresh. hat 855, Ann. Fuld.
steht die Notiz am Rande bei 856 am Ende des Jahres, Ann. necrol.
cod. 2 (SS. XIII, 177) 856. Als Todestag wird der 6.* und 7. Februar
bezeichnet, s. Necr. Laurcsham., Fontes III, 145.
^} S. die oben angef. Abb. von J. v. Schlosser, mit schönen Abbil-
dungen. Er hält Hatto für den ausschmückenden Künstler, doch kaum
mit Recht, vgl. Epp. V, 381 n. 2.
^) Herausgeg. von Knöpf 1er, Monachii 1901.
Wattenbach, Geschichtsfiuellen. I. 7. Aufl. 17
258 II- Karolinger. § 14. Fulda, Hersfeld, Mainz.
Einflufs auf den Stil gewannen '). Auch durch die Ungunst der
Zeiten unter Eatgar wurde die Schule nur teilweise in ihrer segens-
reichen Wirksamkeit gehemmt. Fuldische Mönche finden wir bald
in den angesehensten Stellungen; so wurde Baturich (817 — 848)
Bischof von Regensburg und Erzkaplan, Hemmo (840 — 853) Bischof
von Halberstadt ; Hrabans Schüler war Otfrid, der Mönch von Weifsen-
burg, mit seinen Gefährten Werinbert und Hartmut aus St. Gallen").
Einhard sandte ihm den Vussinus, den er seinen Sohn nennt, doch
wahrscheinlich nur in kirchlichem Sinn; Aldrich, Abt von Ferrieres,
später (829 — 841) Erzbischof von Sens^), den Lupus, der später
als Abt von Ferrieres im Sprengel von Sens einen groFsen Namen
gewann, und von dem eine durch ihr klassisches Latein ausgezeich-
nete Briefsammlung'') voll reicher Belehrung sich erhalten hat; auf
seine Bitte schrieb Hraban ein CoUecfarmm in e2)istolas Pai(li(E-pT[>-^,
429 — 431). Auch Frechulf von Lisieux war mit Hraban befreundet,
doch vermutlich schon seit seiner Lehrzeit in Tours (oben S. 238).
Ermenrich von Ellwangen übersandte seinem Lehrer Eudolf, der
Hraban zur Seite stand, das von ihm verfafste Leben des heiligen
Solus. Vor allem aber glänzt unter Hrabans Schülern Walahfrid,
1) Fr. Vogel, Acta sem. Erlang. II, 416. Manitius, NA. VIT, 197, sucht
auch bei Einhard die Bekanntschaft nachzuweisen.
^) Von den beiden letzteren ist es freilich zweifelhaft, ob sie auch in
Fulda waren. Otfrid bezeichnet als seinen Lehrer, vielleicht in Fulda,
auch Salomon I. von Konstanz, s. Dümmler, Formelbuch Salomons III,
S. 138. Vgl. auch Meyer v. Knonau. Die Beziehungen O.'s zu St. Gallen,
Forsch. XIX, 187-191.
') Er war Lehrer der Hofschule unter Ludwig dem Frommen nach
seiner Vita, Mab. IV, 1, 568—575. Acta SS. Jun. I, 753—758. Vgl. oben
S. 227 und Sickel, Acta Kar. I, 84.
*) Servati Lupi opera ed. Baluzius, Par. 1664, Autv. 1710. Lettres
de Servat Loup. Texte, notes et introd. par Desdevises du Dezert, Paris
1888 (BibL de l'Ecole des hautes et. T. 77), Epp. VI, 1—114. Er ver-
fafste 836 auf den Wunsch des Abts Bun von Hersfeld die Vita Wigberti
(s. unten S. 264). Ferner 839 auf Bitten des Abts Waldo (wahrscheinlich
von Schwarzach im Strafsb. Sprengel, der 861 entsetzt wurde, 869 als Abt
von St. Maximin vorkommt) die Vita S. Maximhn. SS. Meroving. III,
71 — 82. Nach der Rückkehr aus Deutschland wurde er 837 durch die
Kaiserin Judith dem Kaiser vorgestellt, 841 erhielt er nach Odos Ab-
setzung die Abtei Ferrieres und ist nach 861 gestorben. Nach ep. 93
hat er K. Karl Imperato^'um genta hrevixsime comprfhensa überreicht, wo-
mit nur Aurelius Victor gemeint ist. Vgl. Dümmler, NA. IV, 314. Ebert
II, 203—209. Sprotte. Biographie des S. L. Regensb. 1880. E. Marck-
wald, Beitr. zu Servat. Lupus. Strafsb. Dissert. 1885, gedr. 1894. Levillain,
Etüde sur les lettres de Loup de Ferrieres, Bibl. de Tee. des eh. 1901
S. 445—509, 1902 S. 69—118. Ueber die verfehlte Vermutung Langens,
der ihm den Ps. Isidor zuschreibt, s. NA. VIII, 412. Ueber seine philo-
logischen Studien L. Traube. Münch. SB. 1891, S. 389 ff. Sein und
Hemmos Schüler war Heirich von Auxerre.
Hrabaii. Die Fiilder .Schule. 259
der Abt von Reichenau, der bald selbst das Haupt einer neuen Schule
wurde. Auch Bernhard, der unglückliche König von Italien, war
ihm zur Erziehung übersandt worden. Nicht zu den unbedeutendsten
Schülern Hrabans gehört endlich auch der Mann, der ihm und der
ganzen Reichsgeistlichkeit in der Folge so viel zu schaffen machte,
der Mönch Godschalk, der ungeachtet seines Standes den Mut hatte,
eine unabhängige Ueberzeugung auszusprechen und zu verfechten').
Wie glückliche Erfolge für das eigene Kloster Hrabans Wirksam-
keit hatte, haben wir schon an den Verfassern der Annalen gesehen.
Unter seinen eigenen Werken sind keine geschichtlichen, wenn man
nicht etwa das schon früher erwähnte Martyrologiwn so bezeichnen
will; wohl aber enthalten seine Vorreden, Widmungen^) und Gedichte
viele schätzbare Nachrichten über sein Kloster und über seine rait-
strebenden Zeitgenossen , und mehrere seiner Schriften stehen , wie
schon oben bemerkt, in Verbindung mit den Zerwürfnissen der
kaiserlichen Familie. Nach Eigil wurde er Abt des Stifts; da er
aber dem Kaiser Ludwig treu ergeben, Lothar befreundet war'^),
verliefs er 842 sein Kloster, wo statt seiner Hatto, genannt Bonosus,
einst sein Mitschüler in Tours, erwählt wurde, und widmete sich
nun ungestört seinen wissenschaftlichen Arbeiten, die ihm ohnehin
mehr zusagten. Mit den Fuldern blieb er in freundschaftlichem
Verkehr, und söhnte sich bald auch mit König Ludwig aus, der
ihn gegen seine Neigung nach Otgars Tode zum Erzbischofe von
') S. über ihn Dümmler, Ostfr. 1, 327—336. 40-5—409. NA. IV. 320.
Ebert II, 166—169. Seine Gedichte nebst einem Briefe an den Bischof
Lupus von Chälons mit sehr beachtenswerter Einleitung- herausgeg. von
Traube. Poet. Car. III, 707 — 738. Noch ein Brief mit Versen an einen
Bischof, Epp. VI, 180—183.
-) Ein Bericht von ihm über die am 1. Nov. 819 vollzogene Ein-
weihung der Fulder Kirche steht in Broweri Antiq. Fuld. p. 110 — 112.
Poet. Car. II, 205; vgl. NA. IV, 260. 290. Vgl. auch die Notae dedica-
tionum Fuldenses 812—1168 von Holder-Egger , SS. XV, 2, 1287. 1288.
In Hrabans Zeit fällt auch die am 1. Sept. 8-52 vollzogene Einweihung
der Salvatorkirche zu Frankfurt a. a. 0. S. 1284.
^) Ihm widmete er sein Werk über Jeremias; ein auf Anordnung des
Abts Majolus von Cluni geschriebenes Exemplar ist im Brit. Mus. Add.
22,820, Epp. V, 442 — 444. Faks. in Libris Catal. of the extraordinary
collection of manuscr. 1859 pl. XVI. A'erse an die Kaiserin Irmingard
vor dem Kommentar zu Judith und Esther und Begleitbrief des letzteren
e cod. Darmst. 749, Epp. V, 500 — 501. Lothar II. widmete er eine Be-
arbeitung der „Cena Cypriani" zur Uebuug für Schulzwecke, wo alle
Anspielungen auf den Kreis der heiligen Schrift beschränkt sind , ed.
H. Hagen 1884 in Hilgenfelds Zeitschr. f. wiss. Theol. XXVII. 164—187.
Epp. V, 506; vgl. Traube, Textgesch. der Reg. S. Ben. S. 701.. Auch
der Verf. der Visio Caroli (oben S. 207) beruft sich auf eine Mitteilung
Hrabans.
260 II- Karolinger. § 14. Fulda, Hersfeld, Mainz.
Mainz (847 — 856) erhob. Wie diese Beförderung den Reichsannalen
zugute gekommen ist, haben wir oben schon gesehen.
In hohem Grade teilte Hraban das eifrige Streben der deutschen
Geistlichkeit, den an solchen Schätzen noch armen Boden dieses
Landes mit Gebeinen der Heiligen zu bereichern; die italienischen
Reliquienkrämer hatten an ihm ihren besten Kunden. Seit alter
Zeit bewahrte Fulda den Leib der heiligen Lioba oder Leobgyth;
diesen liels Hraban nach dem Petersberge bringen, und veranlafste
schon vorher Rudolf, ihr Leben zu beschreiben^). Ihm standen
dazu die Aufzeichnungen des fünf Jahre vorher (831) verstorbenen
Priesters Mago zu Gebote, welche die Erzählungen von Schülerinnen
der Heiligen enthielten. Anderes hatte sich noch in mündlicher
Tradition erhalten. Leobgyth war eine Verwandte des Bonifaz, und
von ihm aus England berufen, um in dem Kloster Bischofsheim
(oben S. 154) einen Mittelpunkt geistlicher Belehrung für Nonnen zu
errichten; auch ihnen waren die lateinische Sprache und mancherlei
andere Wissenschaft unentbehrlich zum Verständnis der heiligen
Schriften und des Gottesdienstes. Rudolfs Nachrichten geben daher
eine erwünschte Ergänzung für die Kenntnis von der Wirksamkeit
des Bonifaz; später war Leobgyth auch mit der Königin Hildegard
befreundet. Diese Nachrichten sind nun verbunden mit einer Fülle
von Wundergeschichten; so wenig in Rudolfs An nalen der kirchliche
Standpunkt hervortritt, so sehr zeigt er sich hier von der die Zeit
beherrschenden Richtung erfüllt. In noch höherem Grade tritt das
hervor in seiner Schrift über die Wunder der unter Hraban nach
Fulda gebrachten Reliquien^), welche auch einige geschichtliche
Nachrichten enthält, übrigens aber eine Fülle jener sich immer
und überall in ermüdendster Eintönigkeit wiederholenden Wunder-
geschichten, welche nur durch die Namen der Personen und Ort-
schaften und gelegentliche Angaben über Sitten und Gebräuche der
Zeit einigen Wert erhalten. Die Zeit der berichteten Geschichten
fällt in die Jahre 835 — 838; geschrieben ist das Buch zwischen 842
1) Rudolfi Vita S. Leohae, ed. Waitz, SS. XV, 118—131. Sie starb
nach dem Necrol. Fuld. (SS. XIII, 167) am 23. September 780, nach der
Vita am 28. September und wird urkundlich noch 782 als lebend er-
wähnt. Im Auszug übersetzt von W. Arndt hinter der V. Bonifatii.
Zell, Lioba und die frommen angels. Frauen, Freib. 1860. Hahn, Bonifaz
und Lul, S. 131 fiF.
2) Schannat, Cod. Probb. p. 117—132 aus Browers Antiquitates Ful-
denses, der einzigen Originalausgabe, da die Handschrift verloren ist.
Unter dem falschen Titel V. Rabani auch bei Mab. IV, 2. 1. Acta SS.
Feb. I, 500. SS. XV, 328—341 , von Waitz, als Miracula Sanctorum in
Fuldenses' ecclesia.i translatorum, vgl. Hauck II, 751 A. 1.
Vita Liobae. Translatio Alexandri. 261
und 847 , als Hraban in seiner Zelle auf dem Petersberge lebte ;
vielleicht jedoch etwas später, da die Schilderung von Hrabans
litterarischer Thätigkeit daselbst im letzten Kapitel im Praeteritum
gehalten ist, und der letzte Schlufs fehlt.
Dieses Werk Rudolfs war es wohl, welches Wultbraht, den Enkel
Widukinds, der im Jahre 851 den Leib des heiligen Alexander
von Rom nach Wildeshausen brachte, zu dem Wunsche und der
Bitte veranlalste, dafs Rudolf auch diesen Gebeinen eine ähnliche
Schrift widmen möchte'). Aber erst, als er im Alter sich wieder
in sein Kloster zurückzog, kam er zur Ausführung. Die Art, wie
er diese Aufgabe erfafste, zeigt seinen geschichtlichen Sinn; erfüllt
davon, dafs hauptsächlich diese üebertragungen von Reliquien das
Christentum unter den Sachsen ausbreiteten und befestigten, ging
er zurück auf die alte Heidenzeit, um zu zeigen, von welchen Irr-
tümern das Volk durch die Einführung des Christentums befreit
sei. Er begann mit einem kurzen Abrisse der Stammsage, die W^idu-
kind von Corvey ausführlicher erhalten hat; dann aber entlehnt er
die näheren Angaben über Glauben und Sitten der Sachsen aus der
Germania des Tacitus"). Das ist ein guter Beweis für die gelehrten
Studien der Fuldischen Klosterschule; zugleich aber ist es auch
charakteristisch für Rudolf nicht allein, sondern für die mittelalter-
lichen Gelehrten überhaupt, dafs er in Fulda, wo doch noch kürz-
lich das Hildebrandslied aufgeschrieben war, über das sächsische
Heidentum nichts aus eigener Kunde und Beobachtung mitteilt,
sondern sich genau an die Worte des Tacitus hält.
Rudolf fügte noch eine kurze üebersicht der Bezwingung der
Sachsen durch Karl den Grofsen nach Einhard hinzu, wofür er
auch die Ann. Fuld. benutzte; dann rief ihn der Tod am 8. März
865 von dem wohlangelegten Werke. In den Annalen ist ihm ein
kurzer Nachruf gewidmet, wo er als Historiker und Dichter gefeiert
wird, und man vermutet, dafs auch der Maler Rudolf, dessen Werk
Hraban in einem Epigramme rühmt, kein anderer gewesen ist. Die
Fortsetzung des begonnenen Werkes übernahm sein Schüler Megin-
1) Translatio S. Alexandri ed. Pertz, SS. II, 673—681. üebersetft
von Richter, 1856, 2. Ausg. 1889 (Geschichtschr. 21. IX, 6). Vgl. dazu
R. Wilmans, Kaiserurkunden der Prov. Westf. I, 388 flF. Ohne Grund ver-
dächtigt von Wetzel: Die Tr. AI., Kiel 1881, aber mit einem wichtigen
Nachtrage zum Text; vgl. NA. VII, 228 und Waitz, GGA. 1881, Juni.
Simson im NA. XXV, 184 — 186. — Ein Brevier saec. XV, vielleicht aus
Wildesbausen, NA. XV, 208.
^) Die einzige sicher nachweisbare Benutzung derselben im Mittelalter,
nach Waitz, Forsch. X, 602. Vgl. E. Cornelius, Quomodo Tacitus in
hominum memoria versatus sit, Marb. 1888.
262 If- Karolinger. § 14. Fulda, Hersfeld, Mainz.
hard. Die Taufe Widukinds, mit der Rudolfs Erzählung abbricht,
gab diesem den Uebergang auf dessen Enkel Waltbraht, der, an
Lothars Hofe erzogen, sich mit vollem Eifer dem Christentume zu-
wandte, und um das Christentum in Sachsen besser zu befestigen,
auszog, um aus Rom Reliquien zu holen. Die Empfehlungsbriefe,
welche ihm Kaiser Lothar mitgab, hat Meginhard vollständig auf-
genommen, hält sich dann aber bei den Vorfällen der Reise nicht
lange auf, sondern geht bald zu seinem eigentlichen Gegenstande,
den Wundern, über. Eine zweite Schrift ähnlicher Art, über den
heiligen Ferrutius und dessen Uebertragung von Castel nach
Bleidenstadt, nördlich von Wiesbaden, durch den Erzbischof LuP),
ist eine Predigt und hat deshalb einen ganz überwiegend erbau-
lichen Charakter ; eine grofse Fülle von Phrasen verdeckt den Mangel
an geschichtlichem Inhalte, der nur aus den Inschriften von Bleiden-
stadt stammt.
Meginhard, der sich in der Widmung einer theologischen Ab-
handlung an den Erzbischof Günther von Koeln als Schulmeister
bezeichnet^), ist, wie wir schon oben sahen, ohne Zweifei auch der
Portsetzer der Reichsannalen gewesen. Nur aus diesen sehen wir,
dafs die litterarische Thätigkeit in diesem Kloster noch nicht ganz
erstarb. Blofs aus dem Anfange des folgenden Jahrhunderts haben
wir noch eine Geschichte der Aebte von Fulda ^), einen
sehr kurzen und gedrängten, aber recht hübsch geschriebenen Be-
richt, der jedoch nur mit Vorsicht zu benutzen ist, da er durchaus
panegyrischer Natur und keineswegs geschichtlich ganz zuverlässig
ist. Der Abt Huoggi (891 — 915) erlangte von Kaiser Arnulf die noch
jetzt erhaltene insulare Evangelienhandschrift, die man fälschlich dem
Bonifatius, statt mit mehr Recht einem seiner Genossen, zuschrieb'*).
Sonst aber ist von litterarischer Thätigkeit in diesem Kloster nichts
') Sermo de S. Ferrutio, bei Surius zum 28. Oktober. Acta SS. Oct.
XII, 538-542. Exe. ed. Holder-Egger, MG. SS. XV, 148—150. Das Lob
von Mainz ist darin bemerkenswert. Vgl. C. Will, Mon. Blidenstat.
Innsbr. 1874, 4. Dümmler, Poet. Car. I, 431. II. 225.
2) In Casparis Kirchenhist. Anekd. (1883), S. 251. Epp. VI, 163—165.
^) Acta vetusta Abbntum Fuldensium a. 744 — 916. Schannat, Cod.
Probb. 1—3. Böhmers Fontes III. XXVIII und 161—164 aus Dronke,
Traditt. Fuld. p. 162—164. MG. SS. XIII, 272 als Catalogus ahb. Ful-
densium. Das kurze Verzeichnis SS. III, 117 n. ist berichtigt XIII, 340.
— Acta abb. bis ins 15. Jahrhundert und auch annal. Aufzeichnungen
bei Brouwer sind nachgewiesen von Pflugk-Harttung. Forsch. XIX, 397
bis 442.
*) Schannat, Vind. lit. I, 226. Nürnberger, Aus der litt. Hinterlassen-
schaft des Bonifat. Neisse 1888, S. 16 ff.
Fulder Kompilation. Hersfeld. 263
auf uns gekommen. Es hat jedoch schon Waitz') erkannt, dafs den
Hersfelder Annalen bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts eine in
Fulda verfatste Kompilation zu Grunde liegt, welche aus den ältesten
Lorscher Annalen, der kleinen Frankenchronik (Lauriss. min.) und
einheimischen Aufzeichnungen zusammengesetzt war, und auch von
Marianus Scotus benutzt wurde. H. Lorenz hat das weiter ausgeführt
und glaubte das Endjahr zwischen 830 u. 840 ansetzen zu können^),
wogegen G. Buchholz ^) geltend machte, dafs dann der Mangel einer
Verwandtschaft mit dem älteren Teile der sogenannten Ann. Fuld.
nicht zu erklären sei. Fr. Kurze bemerkte, dafs die Uebereinstimmung
mit Marianus sich noch weiter erstrecke, und andererseits, dafs für
die erste Hälfte des zehnten Jahrhunderts dem Fortsetzer des Regino
eine Fulder Quelle vorgelegen habe; beide schienen zusammen zu
gehören^). So kommen wir auf eine Fulder Kompilation des aus-
gehenden neunten oder des zehnten Jahrhunderts mit annalistischer
Fortsetzung, Klosterannalen, in denen, wie es bei diesen Jahrbüchern
der Fall zu sein pflegt, einzelne geschichtliche Nachrichten mit Be-
gebenheiten aus der Hausgescbichte verbunden waren. Dafür wird
der erste Teil der Annales S. Bonifacil von 716 — 830 in Anspruch
genommen '■'). Eine ausführlichere Geschichte des Klosters (oder
eines Abtes?), die spurlos verschwunden ist, erwähnt und lobt
Lambert in der Vorrede zu seiner Hersfelder Geschichte, SS. V, 137
(ed. Holder-Egger p. 345).
Litterarische Thätigkeit finden wir auch in dem nahe gelegenen,
ebenfalls hessischen Kloster Hersfeld, welches um 770 von Lul
begründet wurde, als Fulda mit Erfolg seine Selbständigkeit gegen
ihn behauptete, und bald zu kräftiger Entwickelung gelangte®).
Auch von seiner Schule, seinen gelehrten Mönchen würde wohl
manches zu berichten sein, wenn nicht die Ueberlieferungen dieses
1) Archiv VI, 681.
^) Die Annalen von Hersfeld. S. 70.
3) HZ. LXV, Ul.
*) Die Hersfelder und die gröfseren Hildesh. Jahrbücher bis 984, S. 8.
NA. XXIV, 446.
^) MG. SS. III. 117; der zweite Teil 910—1024 ist fast ganz identisch
mit den Ann. Lobienses. Berichtigungen e cod. Lugd. Bat. von Dümmler,
Forsch. XVI, 169. — Ann. S. Bon. brevisshm 936—1011 ib. S. 118.
") Rettberg I, 602—605. Hafner, Die Reichsabtei Hersfeld, 1889.
Hauck IL 58. Ueber den Besitz s. das Bre\üarium Lulli archiepiscopi bei
Landau, Zeitschr. des Ver. f. Hess. Gesch. X (1865) S. 184 — 192, zuerst
bis 786 reichend, mit Nachträgen, vgl. Schröder in den Mitteil, des Inst.
XX, 861—376 und das Hersfelder Zehntenverzeichnis aus der Mitte des
9. Jahrhunderts herausg. und erläutert von E. Schröder. Mitteil, des Inst.
XVIII, 1—13, gegen Waitz, Heinrich I. S. 92 A. 1.
264 ^I- Karolinger. § 14. Fulda. Hersfeld, Mainz.
Klosters ein besonders ungünstiges Geschick betroffen hätte; die
Hersfelder Annalen, Lamberts Geschichte von Hersfeld, sind ver-
loren, und auch von Lamberts Jahrbüchern ist keine alte Handschrift
vorhanden; da mag noch anderes spurlos für uns verschwunden sein.
Der Abt Balthard (f 796) kann vielleicht derselbe sein, an welchen
zwei Briefe seiner Schwester Berthgyth in der Bonifazischen Samm-
lung sich erhalten haben'). Abt Bun bewog 836 den gelehrten
Lupus, ein Leben Wigberts zu schreiben^), den Bonifaz als Abt
von Fritzlar eingesetzt hatte; seine Gebeine waren nach Hersfeld
übertragen, und in den Wundergeschichten finden sich einige ge-
schichtliche Nachrichten. Eine Handschrift, welche leider verschollen
ist, enthielt auch eine poetische Bearbeitung dieser Vita in sehr
barbarischer Sprache, von einem Hersfelder Mönch, welcher sie Buns
Nachfolger Brunward (843 — 875) gewidmet hatte ^). Dieser Brunward
war befreundet mit Hraban, welcher an ihn, als er noch Landbischof
war, Verse richtete^. Die Annalen, welche von besonderer Wichtig-
keit für uns sind, gehören überwiegend der folgenden Periode an.
Beide Klöster, Fulda und Hersfeld, blieben in innigster Ver-
bindung mit dem Erzbistume Mainz; ihr Teil war die Pflege der
Wissenschaft, während die Metropole, schon damals eine glänzende
Handelstadt^), zu sehr in die politischen Händel verwickelt wurde,
um in litterarischer Beziehung eine hervorragende Stelle einzu-
nehmen, wenn wir von den Reichsannalen absehen. Auf Luis Nach-
folger Riculf (786—813), den der Mönch von St. Gallen als dumm
und hochmütig schildert, wohl übertreibend, da er unter dem Namen
Damoetas zu Karls Hofgelehrten gehörte^), folgte zuerst Luis Schüler
Haistulf (813 — 825), dem Hraban mehrere Werke zueignete'), dann
bis 847 Otgar, ein Verwandter Eiculfs und eifriger Parteimann.
Er ist es, welcher den Diaconus Benedikt zur Ergänzung der Kapitu-
lariensammlung des Ansegis veranlafst haben soll, und man hat ihn
deshalb für den Mitschuldigen der hierin enthaltenen Fälschungen
gehalten, eine Ansicht, welche von P. Hinschius als unbegründet
widerlegt ist, da Benedikts Werk erst nach Otgars Tode vollendet
') Bibl. III, 312. Epp. III. 428. 429.
2) Vita Wighcrtl, ed. Holder-Egger, MG. SS. XV, 36—43. Epp. VI, 107.
^) So berichtet der Jesuit Busaeus. erster Herausgeber der V. Wigberti,
8. Hinemari epp. ed. Busaeus, Mog. 1602. NA. IV, 314.
*) Poet. Car. II, 184; vgl. p. 111. Epp. V. 527. 528.
"•) S. Megenharti V. Ferrucii, SS. XV, 1. 149; Dümmler, Ostfr. I, 312.
«) Vgl. Dümmler, NA. IV, 150. Poet. Car. I, 431. 432 und II, 694.
Zum Geschichtschreiber will ihn Kurze machen, NA. XXV, 309, jedoch
ohne jeden Beweis.
') Epp. V, 385. 388. 391. 526.
Mainz. Translatio Severi. 265
worden und die ganze Notiz nur betrüglich erfunden ist')- Seine
Gelehrsamkeit wird gepriesen, und auch ihm widmete Hraban Bibel-
kommentare und Gedichte, wie er ihm auch eine Grabschrift setzte*).
Zu verdanken haben wir ihm wahrscheinlich den Abschluls der
Mainzer Briefsammlung, in welcher der Korrespondenz des Bonifatius
Briefe von Lul und Otgar sich anschliefsen^). Für seine Metropole
brachte Otgar von seiner Gesandtschaft an Lothar nach Pavia 83G
die Reliquien des heiligen Severus, Bischofs von Ravenna, nebst
Frau und Tochter heim; ein französischer Spekulant, der solch
kostbare Ware durch Lug und Trug sich diebischerweise zu ver-
schaflfen und dann teuer zu verkaufen pflegte, fand an Otgar einen
Kunden, denn um so heiligen Besitz zu gewinnen, galt auch den
frömmsten Männei'n Meineid und Diebstahl für zulässig''). Grofs
war die Freude in Mainz und in Erfurt, wohin zur Beförderung
des Christentums in Thüringen S. Severus abgelassen wurde, allein
man hatte noch keine Kunde von dem Leben des Heiligen, bis der
Priester Liudulf eine Pilgerfahrt nach Rom mit einem Besuche
in Ravenna verband, und die dort gewonnene Auskunft mitteilte;
hinzugefügt ist von ihm die geschichtlich nicht ganz unwichtige
Erzählung von der Erwerbung der Reliquien durch Otgar ■^). Er
schrieb unter Hrabans Nachfolger Karl (856 — 863), dem aquitani-
schen Prinzen, von dessen gelehrten Studien nichts bekannt ist.
Die Bedrängnis der Kirchen durch die Verteilung ihrer Güter
an Kriegsleute veranlafste einen Mainzer Geistlichen zur Aufzeichnung
') Vgl. Fr. Maafsen, Zwei Excurse zu den falschen Capitularien des
Benedictus levita. NA. XVIII, 294 — 302, über dessen diu-chtriebene Pfiffig-
keit. M. verwirft durchaus seine Zugehörigkeit zur Mainzer Kirche, eben
weil er sich so bezeichnet.
2) H. Hahn, Forsch. XV, 113.
3) S. über ihn die Brieffragmente Epp. V. -518—520, Hrabans Wid-
mungen ebd. 425—428. 462—465, das an ihn gerichtete Gedicht Poet.
Car. II, 182—184 und das Epitaph, ebd. 238. Dafs er aus Rom die
Reliquien des Sergius und Bachus erwarb — wir wissen nicht wann — ,
geht aus den metrischen Inschriften einer unbekannten Kirche hervor,
ebd. 219.
■*) Diese Aeufserung ist wiederholt gerügt worden, zuletzt Katholik
1875 S. 443, aber sie ist wahr; ich habe einige Beispiele in d. SB. der
Berl. Akad. vom 4. Dez. 1884 zusammengestellt. Vgl. Beifsel, Die Ver-
ehrung der Heiligen und ihre Reliquien, Freib. 1890; Hauck IV, 77.
^) Vita et Tratislatin S. Severi aitct. Liudulfo presbijtero, Acta SS. Feb.
I, 88—91. JafFe, Bibl. ITI, 507—517. MG. SS. XV, 289—293, ed.
L. V. Heinemann. B. v. Simsen macht darauf aufmerksam , dal's in c. 4
(SS. p. 293) die Worte Ubi dum-enarrari aus den Ann. Fuld. a. 826 (p. 24
ed. Kurze) entlehnt sind. Briefe Liutberts in Jaffes Bibl. III, 826. 333;
Epp. VI, 165.
266 II- Karolinger. 4? 14. Mainz.
der Visio CaroU aus Ingelheim (S. 207), welche er noch mündlich
von Hraban erfahren haben wollte. Nach Karl verwaltete Liutbert
26 Jahre lang das Erzbistum, ein wohlgesinnter und nicht ungelehrter
Herr, der sich auch der Reichsannalen wieder annahm, aber die
wii-ren Zeiten , die immer schrecklicheren Einfälle der Normannen,
drängten alle wissenschaftliche Beschäftigung in den Hintergrund :
im Kampfe gegen diese Unholde verlor 891 Liutberts Nachfolger
Sunderold oder Sunzo nach kurzer Amtsdauer das Leben, ein Fulder
Mönch, dem einst, da er noch einfacher Priester war, Meginhard die
Erzählung von der Uebertragung des heiligen Alexander gewidmet
hatte. An seiner Statt erhob Kaiser Arnulf Hatto, den Abt von
Reichenau, berühmt dui'ch seine Klugkeit und Thatkraft, auch wegen
seiner kirchlichen Gelehrsamkeit hoch gefeiert, aber die äusseren
Sorgen für Kirchenzucht und Reichsregierung nahmen ihn vollständig
in Anspruch; diesen Zwecken diente auch das Werk de synodaMhus
causis, welches Regino ihm zueignete \).
In dem damals zum Speiergau gehörigen Kloster Weissenburg,
dem Wohnsitze Otfrids, wurde unter dem Abte Grimald (s. oben
S. 243) nach einem Brande die Kirche neu aufgebaut. Wir be-
sitzen von dort dürftige Annalen für die Jahre 763 — 846 ohne
besondere Beziehung auf das Kloster, dagegen mit Hervorhebung
des Bischofs Drogo von Metz^).
§ 15. Schwaben.
Stalin I, 235—240. Baehr S. 118—122. Ild. v. Ars, Geschichte von St. Gallen. Weid-
mann, Geschichte der Bibliothek von St. Gallen, 1841. G. Scherrer, Verz. der
Handschriften d. Stiftsbibl. Halle, 1875. F. Keller, Bilder und Schriftzüge in
den irischen Manuskripten der Schweizer Bibliotheken, in den Mitteilungen der
Antiquarischen Gesellschaft in Zürich YIl , 3. 1851. Dümmler. Das Formelbuch
des Bischofs Salomo IH. von Konstanz, 1857. Derselbe, St. Gallische Denkmale
aus der Karolinger Zeit, Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft XII, ti.
1859. G. Meier, Gesch. der Schule von St. Gallen im Mittelalter, im Jahrb. f.
J) S. Über Liutbert und Sunzo Dümmler, Ostfr. III, 328—331; über
Hatte S. 352. 497. Vgl. auch desselben S. 256 angeführte Abhandlung
über die Fulder Briefsammlung , und die betr. Abschnitte in Wills
Regesten. Das Schreiben Hattos über die Wahl Ludwigs des Kindes an
P. Johann IX. vom Jahre 899 (Mansi, Coli. conc. XIII, 203), zuletzt von
Lindner (Die deutschen Königswahlen S. 215 — 219) gegen frühere Zweifel
in Schutz genommen, ist nach Brefslau dennoch als eine Stilübung des
12. Jahrhunderts zu verwerfen. Eine gleichzeitige Aufzeichnung über
eine Zusammenkunft Hattos mit dem llrzb. Heriveus v. Pieims im Jahre
902 gab WerminghofF heraus : NA. XXVII, 598.
2) MG. SS. I, 111 aus dem Cod. Weifsenburg. 81 in Wolfenbüttel.
Berichtigungen von Mone nebst kalendarischen Weifsenburger Nach-
richten aus derselben Hs. in der Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins XIII,
492. Abtsreihe SS. XIII, 319.
Kloster St. Gallen. 207
Schweizer Gesch. X. St. Gallische Geschichtsquellen , neu heniusf?egebeii von
G. Meyer von Knonau, 1S70— 1877. Rec. von Düinmler, HZ. XXXVIII, 327—343.
Uebers. von Ekk. Casus nelist Proben aus den übrif^en Teilen, von M. v. Knonau,
1878. Geschichtschr. 38 (X, 11). üeber Sanctgall. FormelsamnilunpMi Zeuiner,
NA. VIII, 505—553.
Wenden wir unsern Blick nach dem Süden Deutschlands, so
zieht vor allem St. Gallen unsere Aufmerk.samkeit auf sich, nebst
dem nahe gelegenen Reichen au. Hatten wir früher schon in dem
alten Leben des heiligen Gall wenigstens einen ersten Versuch litte-
rarischer Thätigkeit zu erwähnen, so finden wir nun auch hier einen
Schüler Alcvins, Grimald, als Abt (841—872); Sanktgaller Mönche,
wie Werinbert und Hartmut, Otfrids Mitschüler, besuchen, wie es
scheint, die berühmte Schule des Klosters Fulda, und Hrabans Schüler
Walahfrid wird Abt von Reichenau (842 — 849). Hierzu kommt noch
der Unterricht gelehrter Iren, welche auch die Kenntnis des Griechi-
schen hier heimisch machen, während der lebhafte Verkehr mit
Italien nicht minder anregend wirkt. Die Sanktgaller Schule war
vielleicht von allen die bedeutendste, und glücklicherweise besitzen
wir zugleich von ihr das lebendigste Bild in der reichhaltigen Kloster-
chroiiik^), welche von verschiedenen Verfassern bis 1330 fortgefühx-t
wurde. Die Schule war hier lange Zeit der Mittelpunkt des Kloster-
lebens, der Stolz und die Freude der Sanktgaller Mönche, und die
Lebensnachrichten von den namhafteren Lehrern nebst mannig-
fachen Schulgeschichten verschiedener Art nehmen einen sehr her-
vorragenden Raum in der Chronik ein. Doch die Aufzeichnung dieses
Teiles derselben gehört einer späteren Zeit an: Ekkehard (IV.) im
elften Jahrhundert nach mündlicher üeberlieferung, sie ist in allen
') Casus S. GaUi ed. Ild. v. Arx, MG. SS. II, 59—183 (bi.s zum Jahre
1233). Zwischen 833 und 890 ist ein Stück verloren, auf welches sieh
Ekkehard in seiner Forsetzung MG. II, 83 mit den Worten bezieht:
Kerlialclo (corr. Bernhardo) itaquc abbat e , ut. alias in alio lib7-o relatum
est, deposito (890). In d. neuen Ausg. c. 11 S. 37 fehlen die Worte in
alio libro. Nach G. Scherrer, Verz. S. 9 u. 166, hat Jod. Metzler (f 1639)
noch eine verlorene Quelle gehabt. — Ratperti Casus S. Calli nach obiger
Ausgabe bei Migne CXXVI, 1055—1080. Neue Ausg. von G. Meyer von
Knonau in den St. Galler Mitteilungen zur vaterl. Gesch. XIII, mit aus-
führl. Kommentar und Exkursen. Desgleichen Ekkeharti (IVj Casus S.
GalU ebenda XV. XVI. 1877. Mit den Vitis et miraculis Galli et Otmari
auch besonders ausgegeben als St. Gall. Geschichtsquellen. — Catal. abb.
S. Galli, Äugiensium, epp. Constantt. MG. II, 34—39; ersterer neu her-
auso-egeben und bearbeitet von G. Meyer von Knonau , Mitteil. XI , 125
bis 138; v. Holder-Egger, SS. XIII, 326—330; Aug. ib. p. 331; Const.
p. 324. — Mitteil. XI, 1—124 St. Galler Todtenbuch u. Verbrüderungen,
von E. Dümmler und H. Wartmann; S. 6 über das um 817 angelegte
Verbrüderungsbuch. Dieses ist jetzt von P. Piper herausgegeben , MG.
Libri Confraternitatuni, 1884, 4. Verz. der Konstanzer Domgeistlichkeit
s. XI. NA. XI, 408.
208 II- Karolinger. § 15. Schwaben.
Einzelheiten unzuverlässig, gibt aber doch ein kulturhistorisch un-
schätzbares, im Gesamteindruck auch sicher zutreffendes Bild. Der
erste Teil dagegen bis zum Jahre 883, von Ratpert verfafst, ist er-
füllt von den äufseren Schicksalen des Klosters, den langen Kämpfen
um seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit, welche, den Bischöfen
von Konstanz nur mit Mühe abgei'ungen, gegen verschiedene An-
fechtungen vei'teidigt wurde. Das Verhältnis zu den Bischöfen,
welche formell völlig im Rechte waren, hat Ratpert, der schon
ganz entstellten Klostertradition folgend, durchaus umgekehrt dar-
gestellt, wie erst Sickel, auf die Urkunden gestützt, nachgewiesen
hat'); seine Aufmerksamkeit aber war diesem Gegenstande so vor-
wiegend zugewandt, dafs er auch aus der späteren Zeit der Blüte
wenig über das innere Leben des Klosters berichtet.
Die ersten Zeiten des angestrengten and oft unglücklichen Kampfes
waren der litterarischen Entwicklung nicht günstig. Eine Zierde
des Klosters war jedoch schon damals Waldo, der zum Abt erhoben,
nach Ratperts Darstellung wegen der Bedrängung durch den Bischof
nach l'|2 Jahren (784) die Abtei Reichenau erhielt, welcher er
22 Jahre vorstand, endlich aber als Abt von Saint-Denis bis an
seinen Tod 813 an dem litterarischen Treiben des Hofes teilnahm -j.
Die neu gewonnene Freiheit unter dem selbständigen Abte
Gozbert (816 — 837) erwies sich für das Gedeihen des Klosters
sehr förderlich; 830 begann Gozbert den Bau der neuen Kirche, zu
welcher er den noch vorhandenen Grundrifs^) entwerfen liefs; der
Urheber desselben, welcher den Musterplan eines grofsen Benediktiner-
klosters darstellt, ist unbekannt, eine Widmung, gerichtet, wie es
scheint, an den jüngeren Gozbert, des Abtes gleichnamigen Neffen.
Dieser beschrieb um diese Zeit das Leben des ersten Sankt Galler
Abtes Othmar, welcher am 16. November 759 in der Verbannung
gestorben war, und fügte auch zuq^ Leben des heiligen Gallus,
') Th. Sickel , St. Gallen unter den ersten Karolingern , in den Mit-
teilungen zur vaterl. Gesch. IV. 1865. Dafs die Bischöfe doch auch über
ihre formelle Berechtigung hinaus sich, wie es fast immer geschah, Ueber-
griffe erlaubt haben mögen , hebt Monod zu Ratperts Gunsten hervor,
Revue crit. 1873, II, 409—413. Hauck II. 59.
^) Verse von König Ludwig und von dem Schotten Dungal an Baldo
hat Dümmler herausgegeben im Arch. d. W. Ak. XXII, 289, vgl. S. 283,
und (mit Frohen) auf ihn bezogen, folgt jedoch Poet. Car. I, 412. II, 643.
Foltz, Gesch. d. Salzb. Bibl. S. 13, welcher den Salzburger Lehrer i$aldo
unterscheidet; s. unten S. 292 unter Bayern.
^) F. Keller, Baurifs des Klosters St. Gallen vom Jahre 820, Zürich
1844. Von dem etwas späteren Bau Grimalds heifst es im cod. 397:
Aula palatinis perfecta est ista magistris, | Insula pietores transmiserat
Augia clara.
Leben des Othmar und Gallus. Abt Grimald. 269
welches der Reichenauer Wetti für Gozbert bearbeitet hatte (oben
S. 134), ein Buch über die Wunder desselben hinzu. Doch genügten
ihm selber diese Arbeiten nicht, und er bat den berühmten Abt
von Reichenau, Walahfrid, beide zu überarbeiten')- Uns liegt daher
das Leben Othmars nur in Walahfrids reiner Sprache vor; es enthält
einige schätzbare Nachrichten über die damaligen Verhältnisse von
Alamannien, doch tilgte leider Walahfrid die Namen der Gewährs-
männer als zu barbarisch. Begreiflich ist es, dafs man daneben auch
des heiligen Gallus Leben in seiner schlichten unsauberen Gestalt
nicht mehr ertragen konnte: wenn es bei der Mahlzeit oder am
Gedächtnistage des heiligen Mannes verlesen wurde, störten die Ger-
manismen und Sprachfehler die Andacht der Zuhörer. Walahfrid
mufste deshalb auch dieses Buch nebst den dazu gefügten Wunder-
geschichten in eine zeitgemäfse Form umgiefsen-); doch hat sich
auch Wettis Arbeit erhalten. Auch in Versen wollte Walahfrid den-
selben Gegenstand behandeln, ist aber nicht mehr dazu gekommen.
Dagegen hat es auf das ungestüme Andrängen des jüngeren Gozbert,
des Kahlkopfs, ein ungenannter Mönch unternommen und in der
That Walahfrids Werk im Jahre 850 in Hexameter umgesetzt, doch
stand sein Können bei weitem tiefer und entsprach nicht seinem
guten Willen^).
Nach dem Bürgerkriege verlieh Ludwig der Deutsche die Abtei
seinem Erzkaplane Grimald (841—872), der sich das Wohl der-
selben sehr angelegen sein liefs, so dafs jetzt die rechte Blütezeit
des Klosters und namentlich der Schule beginnt^). Da er selbst nicht
') Sie sind nur in dieser Form vorhanden, V. S. Othmari MG. II. 41
bis 47, und von G. Meyer von Knonau, Mitteil. XII, 94—113. Uebers.
von Pofcthast mit Vita S. Galli. Miracula S. Galli ib. 21—31 u. 62—93.
Ueber Othmar s. Hauck II, 60— fil.
2) Gedruckt bei Mabillon Act. II, 227-250. Neue Ausg. von R. Thuli,
St. Gall. Mitteil. XXIV (1890) S. 1—76, von Krusch, SS. Merov. I)", 280
bis 337. Daran knüpft sich eine Kritik in dem merkwürdigen Dialoge,
welcher Notker u. Hartmann in den Mund gelegt wird, bei Canis. Lect.
ant. V, 790, Weidmann, Gesch. d. Stiftsbibl. S. 483—493 (S. 486 1. ■■<troi)ha
statt soopha), in Bruchstücken erhalten und von Winterfeld siegreich für
Notker in Schutz genommen. Neue Jahrb. für klass. Philol. III, 360, NA.
XXVII, 744—7-51.
') Nur der Anfang MG. II, 31. Vollständig zuerst herausgegeben von
Dümmler, Poet. Car. II, 428—473, vgl. p. 266.
^) Vgl. oben S. 243. Gegen Scherers einseitige Hervorhebung des
Einflusses der Fulder Schule, s. Dümmler, Ostfr. III, 655. Libri quos Gr.
de suo dedicavit. bei Weidmann S. 396—400. Vgl. Stettiner, Die illustr.
Prudentiushss. , Berlin 1895 S. 94—96, 111—117. Ein Recept de libro
Grim. Zeitschr. f. D. Alt. XX. 214. Eine Sammlung von Rezepten in
der Hs. von Poitiers 184 (288) f. 70: Inc. opusculum Grimaldus baiulus
270 IJ- Karolmger. § 15. Schwaben.
Mönch war und in der Regel am Hofe lebte, vertraute er Hrabans
Schüler Hartmut die unmittelbare Verwaltung des Klosters an, und
nach Grimalds Tode stand dieser demselben bis 883 als Abt vor.
Beide sorgten eifrig für die Bereicherung der Bibliothek, und als
der erste bedeutende Lehrer wird unter ihnen Iso genannt*), ihm zur
Seite der Schotte Moengal, auch Marcel lus genannt"), welcher
in der inneren Schule die für das Mönchskleid bestimmten Knaben
unterwies, während jener in der äufseren Schule die Söhne des Adels
für ihren Beruf als Domherrn und Bischöfe vorbereitete.
Im Jahre 864 wurde Othmars Leib erhoben und in der neuen
Kirche des heiligen Gallus feierlich beigesetzt, bis 867 die ihm
bestimmte eigene Kirche vollendet war, welche auch Grimalds Ruhe-
stätte wurde, der 870 zuletzt als Kanzler erscheint, und den Rest
seiner Tage in St. Gallen zubrachte. Von jener Erhebung Othmars
mit den Wundern, die dabei natürlich nicht fehlten, berichtet uns
eine bald nachher verfafste Schrift Isos^). Später soll dieser jedoch
das Kloster verlassen und als Lehrer im Kloster Grandval eine
grofse Wirksamkeit und aufserordentlichen Ruf erlangt haben, bis
er am 14. Mai 871 starb.
Die volle geistliche Bildung der inneren Schule erhielten zwei
Schüler des Iso, welche Marcellus von ihm übernahm, und nicht
minder als in der Wissenschaft, auch in der Musik und anderen
Künsten unterwies, deren er als Irländer Meister war. Diese waren
der berühmte Erfinder der Sequenzen, Notker der Stammler^), später
(verb. -i -i) et comitis sacri palatii ad Karulum regem de dieta ciborum
et nutritura aneipitrum (Tr.).
^) Urkundlich in St. Gallen erwähnt von 852 — 868.
-) Von 848 — 865 urkundlich erwähnt. Er war vorher Abt von Bangor
in Ulster und starb 871 (nach Zimmer) NA. XVII. 211; vgl. desselben
Pelagius in Irland S. 222 und 449. — Sehr barbarische Verse von Dub-
duin zum Preise seiner Landsleute NA. X, 341.
^) Ysonis de miracitlis S. Othmari libri II, MG. SS. II, 47—54. Mitteil.
XII, 114 — 139 im Auszug. Ekkehards Erzählung von Isos Wirksamkeit
in Burgund bezweifelt Dümmler , Denkm. S. 260 . weil er 868 noch in
St. Gallen war. M. v. Knonau jedoch, der zum Ekkeh. S. 116 — 126 über
Iso handelt, hält seine Thätigkeit in Moutier-Grandval für gesichert durch
die Tradition, nur kann nicht Rudolf von Burgund ihn eingeladen haben,
sondern der Bischof von Basel. Vgl. Traube im NA. XVIII, 96, der ihn
erst um 876 sterben läfst, worauf ihm Heirich folgte.
*j S. über ihn Dümmler, Denkm. S. 244 ff. 258 ff. NA. IV. 546. Meyer
v. Kn. zu Ekk. S. 126 ff. und Der heil. Notker v. St. Gallen, Neujahrsbl.
1877. Ebert IV, 145—152. Er starb 912. Autograph von ihm bei
W. Arndt, Schrift. 15 b. Von Notkers Brief an Lantbert über die Be-
zeichnung des musikal. Vortrags durch Buchstaben ist eine mit tiron.
Noten gemischte Abschrift in Berlin verzeichnet bei Rose, Verzeichnis
der lat. Meermanhss. S. 30 (Berl. 1892).
Iso. Notker. Ratpeit. 271
Marcellus" Gehilfe, Verfasser des oben erwähnten Martyrologiums
und anderer Werke, die wir gleich zu erwähnen haben werden, und
der kunstreiche Tutilo'). Als dritten nennt Ekkehard auch Rat-
pert, einen Züricher, der aber vielmehr sein Zeitgenosse war, und
bis an das Ende des neunten Jahrhunderts der Klosterschule vor-
stand. Dieser hat, wie schon erwähnt, den ersten Teil der Kloster-
chronik verfafst. Die Einweihung der von der Aebtissin Bertha,
Ludwig des Deutschen Tochter, neu erbauten Fraumünsterkirche in
Zürich verlockte ihn zu einer Wallfahrt, die er in Versen ausführ-
lich beschrieb-); übrigens aber war er so eifrig in seinem Amte,
dafs er jede Entfernung vom Kloster dem Tode gleich achtete und
nicht mehr als zwei Schuhe im Jahre verbrauchte ; selbst die Messen
und Gebete versäumte er darüber, denn, sagte er, wir hören die
besten Messen, wenn wir andere lehren sie zu feiern. Unnachsichtig
handhabte er den Stock, der überhaupt in diesen Jahrhunderten
eine grofse Rolle in der Erziehung spielte^), und doch wufste er sich
durch seine Berufstreue und wahres Wohlwollen auch die Liebe
seiner Schüler zu gewinnen. Als er auf seinem Todbette lag, hatte
gerade das Fest des heiligen Gallus (Okt. 16) die Geistlichkeit Ala-
manniens im Kloster versammelt, und 40 seiner Schüler umgaben
das Sterbelager ihres Lehrers^).
^) Dessen berühmtes Diptychon abgebildet in: Das Kloster St. Gallen L
Herausgegeben vom historischen Verein in St. Gallen, 1863, und bei
Alwin Schultz, Tuotilo von St. Gallen in : R. Dohme. Kunst und Künstler
des Mittelalters und der Neuzeit I. 1877 ; doch vgl. dazu Rahn, Nachlese
zur Gesch. der bildenden Künste in der Schweiz , S. 787 — 790 , und M.
v. Knonau zu Ekkeh. S. 93 u. 129. Jul. v. Schlosser. Wien. SB. CXXIII,
180—185; Mantuani, Tuotilo und die Elfenbeinschnitzerei, Strafsb. 1900.
^) Erhalten ist nur ein Bruchstück, die Beschreibung der neuen Kirche
und der Uebertragung von Reliquien der hh. Felix et Regula vom Grofs-
münster nach Fraumünster, herausgegeben von G. v. Wyfs, Geschichte
der xVbtei Zürich (Mitteil. VIll), Beilagen S. 11. Poet. Car. IV, 335-336;
vgl. Dümmler, Denkm. S. 255. Ostfr. II, 427. G. Meyer von Knonau in
der Vorrede der Casus. Sein Lobgesang auf den heiligen Gallus in
Ekkehards lat. Uebersetzung bei MüUenhoff und Scberer I, 217. II, 78.
Vgl. Dümmler, NA. IV, 541. G. R. Zimmermann, Ratpert der erste
Zürchergelehrte (Basel 1878), ohne wissensch. Wert nach Dümmler im
Centralbl. Sp. 1314. Ebert III. 156—159.
^) S. die zuerst von A. Mai, Auctt. class. V, 425 (Poet. Car. I, 403)
herausgegebenen Regeln der Schulzucht:
Grandevi torquendi dulci carendo lyeo,
At pigri infantes saeva flagella ferent,
und das von Traube mitgeteilte Schülerlied NA. XXV, 622. 623 ; Zeitschr.
f. Deutsches Altert. XIV, 45.
*) Das Jahr des Todes ist wegen der vielen gleichnamigen Mönche
ganz ungewifs.
272 ^^- Karolinger. § 15. Schwaben.
Als Karl III. 833 das Kloster besuchte'), fand er in St. Gallen
einen älteren Mönch, dessen Gedächtnis noch in die Zeit des grofsen
Karl reichte und der die Geschichten zu erzählen wulste, welche er
einst von des tapferen Gerolds WaflFengefährten, von Adalbert und
dessen Sohne, dem Priester Werinbert, gehört hatte. Karl III., von
dem sonst wenig Löbliches zu berichten ist, hatte an diesen Ge-
schichten solche Freude, dafs er den guten Bruder veranlafste, sie
aufzuschreiben; emsig ging er an die Arbeit, scheint sie aber nicht
vollendet zu haben. In diesem Mönche hat man schon bald Notker
den Stammler erkannt^), aber Pertz widersprach dieser Annahme,
weil der Stil gar zu roh und grammatisch fehlerhaft ist, und weil
Notker (geboren um 840) damals noch nicht alt genug war, um
durch Zahnlosigkeit zum Stammler geworden zu sein. Es scheint
jedoch, dafs er durch einen Naturfehler gestammelt und überdies
an der Gicht gelitten hat, und die Vergleichung der Ausdrucks-
weise hat den vollkommen überzeugenden Nachweis gestattet, dafs
wirklich Notker der Verfasser dieses anmutigen Buches gewesen
ist, an welchem man schon früh und vielfach Gefallen gefunden
und das man daher trotz seiner mangelhaften Form mit Einhards
Meisterwerke verbunden hat (vgl. oben S. 206).
Ferner aber ist es wegen der auffallendsten TJebereinstimmungen
in Ausdruck und Auffassung als vollkommen sichergestellt anzu-
sehen, dafs Notker auch der Fortsetzer der oben S. 240 erwähnten
Chronik Erchanberts gewesen ist^). Er fügte nämlich eine kurze
Uebersicht über die Teilungen und die Regentenfolge im karolingi-
schen Reiche hinzu, bald nach der Kaiserkrönung Karls III. (881),
') Hierbin gehören wohl die Verse von Ratpert , Hartmann , Notker
Balbulus u. a. , die sich vielleicht zum Teil auf diese Gelegenheit be-
ziehen, neu herausgegeben von Dümmler, Denkm. S. 218 — 221, vgl. 255 ff.
von Winterfeld, Poet. Car. IV, 315-334. Das von Waldram verfafste
Rex henedicte S. 220 (Poet. Car. 328) , ist aber Weihn. 911 an Konrad
gerichtet, nach Heidemann S. 454, vgl. M. v. Knonau, Jahrbuch 1867
S. 129. Litanei aus König Konrads Zeit bei Dümmler, Denkm. S. 222,
vgl. 258, Poet. Car. IV, 348. Ein Lehrgedicht Notkers über die 7 freien
Künste nach Martianus Cap. NA. V, 627—029, Poet. Car. IV, 339—343.
Ihm gehört nach Winterfeld auch das Lügenmärchen an Poet. Car. II.
474, verbessert in den N. Jahrb. für das klass. Alt. und Pädagogik III,
347 ff. Andere Verse, von Schwalm herausgeg., NA. XXVII, 740 — 743.
^) S. jetzt Zeumer in den Waitz-Aufsätzen S. 97 — 118. Zu demselben
Ergebnis kam Graf Zeppelin: Wer ist der Mon. Sangallensis? Schriften
des Vereins f. Gesch. des Bodensees XIX, 33 ff., dagegen Kögel, Gesch.
der D. Litter. I, 2, 221 ungenügend.
^) MG. SS. II, 329. Uebers. bei dem Mönch von St. Gallen. Notkers
Autorschaft nachgewiesen von B. Simson, Zeitschr. f. die Gesch. d. Ober-
rheins, N. F. II, 59—68.
Biscliuf Saloiuü 111. vun Kuristuuz. 273
von dem er mit lebhafter Verehrung spricht, wie denn auch damals
noch kein Grund war, an seinen guten Erfolgen zu zweifeln.
Des Kaisei's Besuch erschien als ein Höhepunkt der Blüte des
Klosters, und nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermutet Meyer von
Knonau, dafs eben hierdurch Ratpert zur Abfassung der Gesta
veranlafst sei, welche mit diesem Besuche abschliefsen. Auch mit des
Kaisei's Günstling, Bischof Liutward von Vercelli, einem geborenen
Schwaben, standen die Mönche in gutem Vernehmen, und Notker
widmete ihm seine Sequenzen'), um deren willen man ihn wohl
einen der gröfsten Dichter des Mittelalters genannt hat.
Am Schlüsse dieser Periode steht Notkers berühmtester Schüler'^)
Salomo III., von 890 — 920 Bischof von Konstanz und zugleich Abt
von St. Gallen, zuvor Notar in der Kanzlei Karls III., ein Mann
von den glänzendsten Geistesgaben, der kluge und gelehrte Freund
Hattos von Mainz, der das schöne und blühende Kloster wie seinen
Augapfel liebte und hegte. Mehrere uns erhaltene Briefe und Ge-
dichte zeugen von Notkers Liebe zu ihm und zugleich von der
Sorge des treuen Lehrers um das Seelenheil seines Schülers in den
Gefahren der Welt, denen er am Königshofe ausgesetzt war. Eine
Mustersammlung von Urkundenformeln und Briefen^), in welcher
») Vgl. Meyer v. Knonau, Mitteil. XlII, 60. XV, 161. Winterfeld, NA.
XXV, 386.
-) Diese Ansicht Dümmlers bekämpft Dämmert, Forsch. VIII, 327 bis
366 und will vielmehr Roudker, den Ekkehard als Mentor Salomons be-
zeichnet, auch die Briefe zuschreiben. Meyer v. Knonau hat diese An-
sicht St. Gall. Geschichtsq. III, 21 als chronologisch unmöglich wider-
legt. Ebenso bekämpft er S. 4 auch Notker, aber die Gründe für
Notker sind ganz überwiegend; so auch Zeumer, NA. VIII, 513 — 517 und
Zeppelin. — Ueber Salomons Familie s. Graf Zeppelin , Thurgauische
Beitr. XXX, 42.
^) Früher Formulae Alsaticae genannt. Zum ersten Mal kritisch und
vollständig herausgegeben von Dümmler, Das Formelbuch des Bischofs
Salomo III., Leipzig 1857. Verbesserungen St. Gallische Denkm. S. 261.
Verse von Notker an Salomo S. 225. Ueber Salomo Formelbuch 103 ff.
Denkm. 262 ff. Winterfeld in den N. Jahrb. f. das klass. Altert. III, 358 ff.
Eine populäre Schilderung in : Das Kloster St. Gallen, vom historischen
Verein II, 1864, mit schöner Abbildung seines grofsen C in Sintrams
Evangelium longum. Das Formelbuch nach der Münchener Handschrift
ed. Rockinger, Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte VII,
und in De Rozieres Sammlung. Vgl. auch Heidemann, Salomon III. von
Constanz vor Antritt des Bisthums. Forsch. VII, 425 — 462. Dämmert ib.
VIII, 327—366. Vorzüglich aber jetzt Zeumer, Fonnulae Salomonis, NA.
VIII, 506—540, und seine Ausgabe MG. Form. p. 390— 437. Die dazu
gehörigen Gedichte Notkers Poet. Car. IV, 343 — 347 von Winterfeld.
Hierher gehört das mehrfach überlieferte Psalterium , welches Salomo
909 schreiben liefs, mit 3 lateinischen Versionen und dem griechischen
Text in lateinischen Buchstaben, mit einem einleitenden Gedicht; dieses
AVatte üb ach, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 18
274 II- Karolinger. § 15. Schwaben.
uns einige auch für die Geschichte der Zeit wichtige Schreiben auf-
bewahrt sind, während die Urkunden über mannigfache Verhältnisse
reichen Aufschlufs gewähren, schrieb Dümmler Salomo um das Jahr
896 zu, während nach Zeumers Ansicht Waldo mit seinem Bruder
Salomo sie 877 und 878 während ihres Aufenthalts bei Salomo II.
von Konstanz und Liutbert von Mainz zusammengebracht haben,
Notker nachträglich noch einige Briefe hinzugefügt hat. Schon war
man in Reichenau^) und an andern Orten mit ähnlichen Samm-
lungen vorangegangen, aber die Sanktgaller Sammlung läfst sie
durch ihren Inhalt wie durch ihre Form weit hinter sich. Aus der
späteren Zeit besitzen wir von Salomon zwei schöne poetische Episteln
an den Bischof Dado von Verdun, deren ansprechender, von wahrem
Gefühle getragener Inhalt die ziemlich inkorrekte Form übersehen
läfst. In der einen ^) beklagt der Bischof in elegischen Versen voll
tiefer Trauer den Tod seines letzten Bruders, des Bischofs Waldo von
Freising (906), an den mehrere der Briefe in der Formelsammlung
gerichtet sind; in der anderen^), schon früher geschriebenen, schildert
er mit den lebhaftesten Farben das Unglück des Vaterlandes, dessen
König ein Kind ist, dessen Gaue erfüllt sind von allgemeiner Zwie-
tracht, von innerem Kampfe in allen Ständen des Volkes, während
die Ungern ungehindert das Land verheerend durchziehen. Auch
St. Gallen wurde von ihnen 926 heimgesucht. Der ersten Elegie
fügte Salomo ein paar Trostschreiben des ihm vertrauten Mönches
Waldram bei, die aus Fortunatus und Boethius zusammengestop-
pelt sind.
Ekkehards lebendige Schilderung hat die Sanctgaller Schule
neu herausgeg. von Dümmler, Ostfr. (1. Ausgabe)^ II, 681, von Hamann:
Canticum Moysi ex psalterio quadruplici Salomonis III (Lips. 1874), p. 18.
Poet. Car. IV, 347—348. Berger, Hist. de la Vulgate S. 130—131. S. über
Salomon auch Tangl, NA. XXV, 353 ff.
1) Zeumer, Reichenauer Form., NA. VIII, 481—505. Daselbst S. 547 ff.
Nachweis, dafs Iso nur irrtümlich Formeln zugeschrieben sind. S. weiter
unten S. 277 Anm. 3.
2) Nach Canis. (II, 3, 245) berichtigt nach der Handschrift von Dümm-
ler, Denkm. S. 239, v. Winterfeld in den Poet. Car. IV, 307—314, mit
dem Trostgedichte Waldrams, und anderen Gedichten desselben. Vgl.
Scherrers Verz. 73 über den Cod. 197. NA. IV, 550-554.
3) Bei Dümmler, Denkm. S. 230—239. Poet. Car. IV, 296—306; vgl.
W. Giesebrecht, Geschichte der Kaiserzeit I, 174; Dümmler, Ostfr. HI,
527. Ueber die Salomo zugeschriebene Encyklopädie (Glossae Salomonis)
s. Stalin I, 404, Scherrers Verz. S. 321-323. Sie ist von älterem Ur-
sprung und die Benennung ungerechtfertigt, doch könnte S. vielleicht
diese Sammlung veranlafst haben. Als Ableitung eines älteren Glossars
nachgewiesen von G. Götz, Der über glossarum, Leipz. 1891 (Abb. der
philol.-hist. Kl. der K. Sachs. G. d. W. XIII).
Reichenau. Reginbert. Heito. 275
unsterblich gemacht; ohne ihn würden wir nicht so gar viel Zu-
sammenhängendes davon wissen , und ohne Zweifel herrschte in
manchem andern Kloster ein ganz ähnliches Treiben , von dem
nur niemand uns Nachrichten aufbewahrt hat. So wurde vor
allem Reichenau von St. Gallen verdunkelt. Abt Waldo (784
bis 806), ein vornehmer Herr, mit Griraald nahe verwandt und
vorher Abt von St. Gallen (oben S. 268), hatte schon den Mönch
Wadilcoz nach dem Martinskloster zu Tours geschickt, der von dort
Bücher für die Bibliothek übersandte, welche Waldo mit grofsem
Eifer zu bereichern bestrebt war'); unter ihm begann der fleifsige
Reginbert seine musterhafte Thiitigkeit für dieselbe, welche er
bis an seinen Tod 846 rastlos fortsetzte, teils durch eigene Arbeit,
teils durch Geschenke die Sammlung zu sehr ansehnlichem Umfange
vermehrend"). Ihm übersandten seine Schüler Grimald und Tatto
die Klosterregel nebst den Beschlüssen des Reichstages von 817,
der wohl ihre Aussendung veranlafst hatte ^). Auf seinen Antrieb
schrieb Walahfrid das bedeutende "Werk De rebus ecclesiasticis,
wie dieser es in den Worten ausspricht : Dura Bef/inherti iussio
aclegit cum.
Als Lehrer war neben ihm Heito thätig, ein Bruder jenes
Wadilcoz, Waldos Nachfolger als Abt und Bischof von Basel,
welches Bistum Waldo ebenfalls verwaltet hatte. Karl der Grofse
sandte ihn 811 nach Konstantinopel, und über diese Sendung ver-
*) Neugart, Ep. Coiist. I, 142 aus Oheims Chronik, und jetzt Gallus
Oheims Chronik von Reichenau ed. Barack (18ü6) S. 43, Oehem ed. Brandi
S. 41. Oheim mufs über die Bereicherung der Bibliothek und eingetretene
Mönche in dieser Zeit , von Waldo bis Rudhelm , eine jetzt verlorene
Quelle gehabt haben , die bis um 840 reichte und vielleicht von Regin-
bert herrührte (S. 8— 50 bei Brandi), s. 0. Breitenbach, NA. II, 201.
Waldo hat danach eine Zeitlang auch das Bistum Pavia verwaltet. In
der Yisio Wettini büfst er für die Sünde des Geizes. Das Diptychon
aus Erlebalds Zeit, NA. [V, 72, ist das von Piper herausgegebene Ver-
brüderungsbuch.
2) S. den 821 begonnenen Katalog bei Neugart I. 536—552, vgl. S. 152
und Mommsen, Die Chronik des Cass. Senator S. 573 — 585 über die von
ihm angelegte bist, mathematische Sammlung. Auch die Karlsruher Vita
Bonif. stammt daher, s. d. Inschrift MG. ll', 332, Jaffe, Bibl. III, 425.
Fragment des Liber sextus in Libris Auktionskatalog (1859) S. 246 mit
Faksimile. Die Verse, welche er in die Bücher eintrug, Poet. Car. II, 424,
vgl. NA. XIII, 665. XV, 229. Wibel, Beitr. zur Kritik der Ann. regni
Franc, Strafsb. 1902, S. 219—225.
3) Baluzii Capit. II, 1382. Epp. V, 302. Traube, Textgesch. der Reg.
Ö. Ben., 692, vgl. 031. 664—667. 723—724. Reginbert wird von ihnen
fios iiivenion forma speciosKS amoena genannt. Das Buch nebst einem
zweiten von denselben geschenkten im Kataloge S. 550. Das Martyrolo-
gium ed. A. Holder, Rom. Quartalschr. III, S. 204—261. Oben S. 67.
276 I'f- Karolinger. § 15. Schwaben.
fafste er eine ReisebesclireibungO, die leider verloren ist; 823 ent-
sagte er seinem Bistum und zog sich in sein altes Kloster zurück,
wo er 836 gestorben ist. An Heido, doch wohl diesen Heito, ist
•aus der Zeit nach seinem Verzichte eine nicht vollständig erhaltene
Vision über die Höllenstrafen des Abtes Fulrad gerichtet^), woi'in
auch ein Theodulf getadelt wird.
Die Abtei übergab er Erlebold (823 — 838), der bei einem
leider ungenannten Schotten grofse Gelehrsamkeit erworben, und
Heito auf seiner Reise begleitet hatte. Der Schule standen jetzt
Tatto (t 847) vor, den Walahfrid seinen Lehrer nennt, in dessen
Namen er Verse an Ebo von Reims und an Thegan richtete^), und
Wetti, ein naher Verwandter Grimalds und Waldos. Wie mangel-
haft jedoch noch seine grammatische und metrische Bildung gewesen
ist, haben wir jetzt erst mit Verwunderung erfahren, seit durch
das von Bücheier entdeckte Akrostichon (oben S. 134) festgestellt
ist, dafs er der Verfasser der Vita S. Galli und ihrer Widmung in
ganz barbarischen Hexametern ist, welche man für viel älter gehalten
hatte. Wetti hatte kurz vor seinem Tode am 3. November 824 eine
Vision, indem er, wie so viele andere vor und nach ihm, Himmel
und Hölle zu durchwandern glaubte, und was er in diesen Regionen
gesehen zu haben vermeinte, den gläubigen Brüdern berichtete.
Heito hatte diese Vision in Prosa^), Walahfrid in Versen bearbeitet^),
und der Eindruck derselben auf die Zeitgenossen war aufserordent-
lich grofs; hatte er doch sogar den grofsen Kaiser Karl im Fegefeuer
Schlimmes leiden gesehen, auch Waldo. Beide werden, nebst einigen
anderen, von Walahfrid nur durch Akrosticha bezeichnet. Unter
den Märtyrern dagegen erscheint darin Gerold, der Königin Hilde-
gard Bruder, welcher im Kampfe gegen heidnische Avaren gefallen
') Herrn. Contr. a. 811, vgl. über ihn Neugart I, 142—148, Rettberg
II, 93—96, und die Reichenauer Inschriften bei Mone, Quellens. III, 183.
Dümmler, NA. IV, 284. Poet. Car. II, 425. 0. Seebafs vermutet in ihm
den Verf. der Statuta Murbacensia, Zeitschr. f. Kirchengesch. XII, 322
(NA. XVI, 645). — Gleichzeitige Aufzeichnung darüber, dafs am 21. Dez.
823 das Bistum Basel Odalrich kommendiert wurde, in Mones Zeitschr.
f. Gesch. d. Oberrheins II, .384 ; MG. SS. XIII, 374 cum catal. epp. Basil.
2) Herausgeg. von Hampe. NA. XXII, 628—633. vielleicht durch die
Visio Wettini veranlafst.
3) Poet. Car. II, 350- Ein Brief von Tatto Bibl. III, 328, Epp. V, 338.
^) Heifonift Visio Wettini, abgedr. mit dem Prologe bei Dümmler, Poet.
Car. II, 267—275. Walahfrids Bearbeitung ist durch seine Zuthaten be-
sonders wichtig für die Geschichte des Klosters. Vgl. über die Anspie-
lungen auf Bedränger desselben, und über die Nachahmung des Prüden -
tius, Bock im Jahrb. d. Altertumsfr. im Rheinland L, (1871) S. 7.
•"') Canis. Ant. lect. VI, 505. Poet. Car. II, 301—834.
Wetti. Walahfrid Strabo. 277
war, ein geborner Alamanne, und des Klosters Hort und Beschirmer.
Eine vielleicht von Walahfrid verfafste Grabschrit't auf ihn') findet
sich in einer Handschrift neben dem Epitaph des Bernald, an den
die Reichenauer ebenfalls mit Stolz zurückdachten. Dieser Bernald
war nämlich ein geborner Sachse, aber in Reichenau erzogen: er
kam dann in die kaiserliche Kapelle, und erhielt um das Jahr 821
das Bistum Stralsburg. Zu den treuen Anhängern des alten Kaisers
gehörend, wurde er 825 als Gewaltbote nach Rätien, 832 nach Rom
gesandt, und starb am 17. April 840. Man rühmte ihn als einen
klugen und gelehrten Mann, der auch die deutsche Sprache zur Unter-
weisung des Volkes verwandte-).
Den gröfsten Glanz aber vei'breitete über Reichenau der Abt
Walahfrid, mit dem Beinamen Strabo oder Strabus, einer der
besten Lateiner seiner Zeit, ein viel bewunderter Gelehrter und
formgewandter Dichter^). Ueber sein Leben haben wir leider nur
wenig sichere Nachrichten , und so befreundet er auch mit den
Sanktgaller Gelehrten war — man kann ihn den Vater der St.
Gallischen Dichterschule nennen — wird er doch in der Kloster-
chronik gar nicht genannt; doch ist nach und nach durch neu-
gefundene Verse mehr Licht über ihn gewonnen. Er war ein
Schwabe von armer und geringer Herkunft, um 808 geboren ; früh
ins Kloster gekommen, dichtete er schon mit 15 Jahren eine Epistel
an Ebo von Reims im Namen seines Lehrers Tatto''), aber dieser
') Herausgegeben von Mommsen im Rhein. Museum 1854, IX, 299.
Poet. Car. I. 114.
2) Vgl. Dümmler, Ostfr. I, 322. Poet. Car. II, 420.
2) S. über ihn Dümmler, NA. IV, 270—286. 580 und die gesammelten
Gedichte Poet. Car. II, 259—423. Ebert II, 145—166. Hauck II, 654 ff.
V. Winterfeld, Die Dichterschule St. Gallens und der Reichenau in den
N. Jahrb. für das klass. Altert. III (1900) S. 342—346. Opera Migne
CXIII. CXIV. Eine Anleitung zur Metrik mit Beispielen, v. Huemer, NA.
X, 166 — 169. Der von ihm besungene Blaithmaic st. 827; es kamen
flüchtige Mönche von Hy nach Reichenau NA. XVII, 210. Ueber Nach-
ahmung des Prudentius s. P. v. Winterfeld, NA. XXII, 755. — Dümmler,
NA. VII, 402, Zeumer ib. VIII, 496 — 507, über die sehr rohen Reichenauer
Briefformeln (Formulae ed. Zeumer 364 — 377), aus Erlebolds u. Walahfrids
Zeit mit geschichtlich nicht unwichtigen Briefen, darunter einer auf den
Bürgerkrieg im Jahre 833 bezüglich. Vgl. dazu Dümmler, NA. XXI,
301 — 303. — Im Jahresbericht über die Erziehungsanstalt des Benedik-
tinerstifts Maria-Einsiedeln 1856/7 ist ein Versuch gemacht, die Jugend-
geschichte Walahfrids von ihm selbst schildern zu lassen, welcher zuweilen
irregeführt hat, als ob ein Original von ihm zu Grunde liege. Eine
angebl. ürk. von W. von 843 ist Fälschung d. 12. Jahrhunderts, s. Brandi,
Die Reichenauer Urkundenfälschungen, Heidelb. 1890 S. 55. 69.
*) Poet. Car. II, 350; eine andere auch in Tattos Namen, an den
Landbischof Degan, S. 351.
278 ^^- Karolinger. § 15. Schwaben.
war hart und strenge, und auch der Abt Erlebold war ihm nicht
gewogen. In Wetti verlor Walahfrid seinen väterlichen Freund und
Wohlthäter; nach dessen Tode (824) litt er sogar an Nahrung und
Kleidung Mangel und hatte häufig Schläge zu erdulden. Er klagte
seine Not an Grimald, dessen Wohlwollen er schon früher gewonnen
hatte, und dieser forderte ihn auf, die Vision Wettis, welche wahr-
scheinlich er selbst auf Wachstafeln aufgezeichnet hatte, dichterisch
zu beai'beiten. Dieselbe Auffordex'ung kam auch von dem Priester
Adalgis, wie wir wissen, seitdem K. Plath das Akrostichon der seiner
Antwort^) zugefügten Verse: Ädalgiso danda erkannt und die ganze
Sachlage scharfsinnig entwickelt hat^). Walahfrid bat ihn um bessere
Kleidung und um Pergament, da er das Werk heimlich ausführen
müsse; er bat ihn, selbst zu kommen, und Adalgis kam. Unter
hartem Drängen vollendete er (nicht vor 826) sein Werk^), in
welchem er reichliche Lobsprüche auf Heito, Erlebold und Tatto
anbrachte, und übersandte es an Grimald. Nach solcher Leistung
und mit solchen Fürsprechern wird er nun auch im Kloster, und
bei dem Abt, obgleich dieser kein Freund von Visionen war, mehr
Anerkennung gefunden haben. Grimald hat er auch das anmutige
Gedicht de cidtura hortorum gewidmet^), und in dem Gedichte de
imagine Tetrici (v. 228) feiert er ihn unter dem Namen Homer.
Später hat er in Fulda Hrabans Unterricht genossen, doch verliefs
er es bald wieder, vielleicht infolge seiner Freundschaft mit dem
von Hraban verfolgten Mönche Gotschalk.
Im Sommer 829 finden wir ihn auf Empfehlung des Erzkanzlers
Hildvin am Hofe zu Aachen; von Kaiser Ludwig, sagt er einmal,
sei er „paupere de fovea protractus "'''), mag sich das nun auf diese
Zeit seines Hoflebens oder auf die Verleihung der Abtei Reichenau
839 beziehen. In Aachen beschrieb er damals in einem merkwür-
digen, etwas dunkeln Gedichte die aus Ravenna hingeführte Reiter-
statue Theodorichs "), der hier im Anschlufs an Boethius als Tyrann
') Formulae ed. Zeumer p. 376 n. 25.
2) NA. XVII, 261—279.
3) Poet. Car. 11, 301—833.
*) Erste Ausg. 1509 von Vadianus, s. Arbenz, Die Vadianische Brief-
samml. III, 1.34. Vgl. dazu Fischer-Benzon, Altdeutsche Gartenflora, Kiel
u. Leipz. 1894. Ueber seine Quellen s. Manitius im NA. XXVI, 745 — 750.
5) Ad Loth. V. 31. Zeitschr. f. D. Alt. XIX, 463. Poet. II, 414, und
S. 259 weitere Belege für seine geringe Herkunft.
«) Versus de imagine Tetrici, Poet. Car. II, 370—378, dazu kritische
Bemerkungen Traubes, der Benutzung des Lucrez nachweist im NA. XVIII.
664. Früher von C. P. Bock in den Jahrbüchern des Vereins von Alter-
tumsfreunden im Rheinland V (1844), von Dümmler in d. Zeitschr. f. D.
^Valahfl•ids Leben und Schriften. 279
aufgefafst wird im Gegensatze zu Ludwig, feiert Hildvin, Grimald,
Einhard, widmet aber vor allem dem Kaiser, der Kaiserin Judith
und dem kleinen Karl überschwengliches Lob ; er wird als Kaplan
der Kaiserin und als Lehrer des kleinen Karl bezeichnet. Den
Ruadbern, welcher 834 dem Kaiser zuerst Nachricht von der in
Tortona gefangenen Judith unter grol'sen Gefahren brachte, feierte
er in einem längeren Gedicht')- Mit Thegan, dem Diacon Florus
und anderen der klassisch und kirchlich gebildeten Männer jener
Zeit war er befreundet, Prudentius rühmt er als seinen Lehrei",
bittet ihn aus der Ferne um Bücher und eigene Gedichte; zugleich
übersendet er ihm Gedichte „Modoini magni", den er auch in
andern an ihn selbst gerichteten Versen feiert^). Kaum hatte er
839 die Abtei Reichenau erhalten — bei seiner geringen Herkunft
eine ganz ungewöhnliche Auszeichnung — , so wurde er auch in
die politischen Wirren hineingezogen ; als eifriger Anhänger Lothars
und der Reichseinheit, deren Herstellung er noch von ihm hoffte,
flüchtete er nach Ludwigs Tod und der Ueberwältigung Alamanniens
durch Ludwig den Deutschen nach Speier, wo er ein Gedicht voll
Lobpreisung an Lothar richtete, in welchem er seinen Klagen und
seinen Hoffnungen Ausdruck gab^). Lothar hatte in früheren Zeiten
einmal persönlich den vermeintlichen Leib des heiligen Januarius
nach Reichenau gebracht, was rnerkwürdigerweise im Kloster ganz
vergessen wurde und nur durch eine sehr schöne Sapphische Ode
Walahfrids bekannt ist*).
Sehr bald, hat sich Walahfrid doch auch mit Ludwig dem
Deutschen ausgesöhnt, und vielleicht durch Grimalds Einflufs erhielt
er 842 die Abtei Reichenau von neuem: im Jahre 849 wurde ihm
Alt. XII, 461—470, vgl. XIX, 466. Sehr gewagte Hypothesen von H. Grimm,
Das Reiterstandbild des Th. zu Aachen und das Gedicht des W. darauf,
Berlin 1869. Dagegen die lehrreiche Abh. von Bock im angef. Jahrbuch,
L (1871) S. 1—52. Wieder abweichend Jul. v. Schlosser, Wiener SB.
CXXIII (1891) S. 164—175. Vgl. auch Schneege, Zeitschr. f. D. Geschichts-
wiss. XT, 28—30.
') Bouq. VI, 269; vgl. B. Simson Lud. d. Fr. II, 99, Dümmler, Hist.
Zeitschr. XXXVII, 134; Poet. II, 388. Judith, hier loda genannt, schmückte
für Ludwig ein Prachtgewand, welches Karl der Kahle der Rom. Pauls-
kirche schenkte, seine Gemahlin Irmintrud vollendete mit gepriesener
Kunstfertigkeit dieses und andere Gewänder, ähnlich Lothars Gemahlin
Ermengarde, s. die von Dümmler mitgeteilten Verse, Zeitschr. f. D. Alt.
XIX, 146—148. Poet. Car. III, 687.
2) Dümmler in d. Zeitschr. f. D. Alt. XXI, 82—86. Poet. II, 403. 355.
^) Dümmler in d. Zeitschr. f. D. Alt. XXI, 462—466. Poet. II, 413.
*) Dümmler im Anz. d. Germ. Mus. XXIII (1876) 177—180. Poet.
II, 415.
280 II' Karolinger. § 15. Schwaben.
eine Botschaft des Königs an dessen Bruder Karl anvertraut. Auf
dieser Reise starb er, kaum vierzigjährig, am 18. August durch
einen Unfall beim Ueberschreiten der Loire').
Die von Walahfrid überarbeiteten Lebensbeschreibungen des Gallus
und Othmar, sein Vorwort zu Einhards und zu Thegans Werken er-
wähnten wir schon (S. 206. 230) ; selbständige geschichtliche Werke
hat er so wenig wie Hraban verfafst , aber sein Buch über Ur-
sprung und Entwickelung der kirchlichen Einrichtungen enthält
viel Beachtenswertes über die Verfassung der Kirche in jenen
Zeiten, ähnlich dem Werke Hrabans, aber vollständiger und noch
lehrreicher, weil er durchgängig die kirchlichen Einrichtungen mit
den weltlichen vergleicht^). Sein Auszug aus Hrabans Kommentaren
zum Pentateuch fand das ganze Mittelalter hindurch die gröfste
Verbreitung^).
Eines der merkwürdigsten Zeugnisse für den ernstlichen Eifer,
mit welchem man in diesen Klöstern damals das Studium des
klassischen Altertums betrieb, bietet uns die durch Mabillon be-
kannt gewordene Handschrift von Einsiedeln, deren Urschrift
aus Reichenau zu stammen scheint. Wohl ein Schüler Walahfrids,
im vollen Besitz der klösterlichen Schulbildung und auch des Griechi-
schen kundig, hat mit einer Beschreibung des damaligen Rom und
des Zeremoniels der kirchlichen Feste auch antike Inschriften aus
Pavia und Rom mit gröfster Genauigkeit und Sorgfalt nach älteren
Vorlagen hier zusammengestellt'*).
Durch besondere Lernbegierde zeichnete sich auch Ermenrich
aus, ein Ellwanger Mönch, dessen Leben uns recht anschaulich die
Beweglichkeit der jungen mönchischen Studenten in jener Zeit vor
1) Epitaphium ed. Dümmler, Zeitschr. f. D. Alt. XIX, 113. Poet.
II, 423.
^) Das sprachlich interessante Kap. 7 in d. Zeitschr. f. D. Alt. XXV,
99. Neue Ausg. v. AI. Knoepfler, München, 1890, vgl. Dümmler, NA.
XVII, 224, besser herausg. von Krause, MG. Capitularia II, 471 — 516.
541. Vgl. Jundt, Walafrid Strabon (These), Gabors 1900. Eine Predigt
Walahfrids ,De subversione Hierusalem" gab Canisius heraus. Lect. ant.
VI 329 343.
' 3) S. die Vorreden Epp. V, 515. 516.
■*) Mab. Anal. p. 858. Hänel in Jahn und Seebodes Archiv, 5. Sup-
plementband, S. 115. Mommsen in den Berichten über die Verhandlungen
d. K. Sachs. G. d. W. Phil. Gl. 1850, IV, 287. Rhein. Museum 1854, IX,
296. Urlichs, Godex urbis Romae topographicus, Wirceb. 1871, S. 59 — 78.
H. Jordan, Topogr. d. Stadt Rom II behandelt den topographischen Teil.
De Rossi, Inscriptt. christt. II, 1. 1888. Den Einsiedler Godex behandelt
nach der topographischen Seite R. Lanciani in den Monumenti antichi
(Mailand, Hoepli 1891) I, 3, 437—552 s. NA. XVIII, 719.
Handschrift von Einsiedeln. Ermenrich von Ellwangen. 281
Augen führt'). Wie Walahfrid, ging auch er nach Fulda, wo er
Hrabans und Rudolfs Schüler wurde. Besondere Freundschaft ver-
band ihn mit Hrabans Neffen, dem Diacon und königlichen Kaplan
Gundram, welcher der fuldischen Zelle Solenhofen an der Altmühl
im Eichstädter Sprengel vorstand, und diesem, der den Stifter seiner
Kirche, Sualo, feierlich erhoben hatte, zuliebe, schrieb er das
inhaltlose Leben desselben und übersandte es Hraban zur Durch-
sicht"); Rudolf, den er als seinen Lehrer preist, sollte die Fehler
verbessern. Sualo, den Ermenrich willkürlich Solus nannte, gest.
3. Dezember 794, gehörte angeblich zu den Begleitern des heiligen
Bonifaz; Ermenrich standen aber nur mündliche Erzählungen
über ihn zu Gebote, und der geschichtliche Wert seiner Nach-
richten ist daher unbedeutend. Wo er, damals noch Diaconus,
dieses Werk geschrieben hat, wissen wir nicht; es ist sehr wahr-
scheinlich, dafs er auch zu den Hofkaplänen gehört hat, und von
dieser Zeit her den Erzkanzler Gozbald (829 — 833) als seinen Lehrer
bezeichnet, sowie er auch Grimald als seinen Herrn und Meister
verehrt^).
An Gozbald, jetzt (842—855) Bischof von Würzburg, sandte er,
schon als Priester, eine kleine Schrift, in Form eines Dialoges der
Consolatio des Boethius nachgebildet, dem Inhalte nach völlig sagen-
haft, über die Gründung seines Klosters Ellwangen, das Leben
des Stifters Hariolf, König Pippins Zeitgenossen, Bruders und
später Nachfolgers des Bischofs Erlolf von Langres, und die Wun-
der, welche man ihm zuschi'ieb^). Er gehörte nämlich zu Gozbalds
Familie.
Im Jahre 849 finden wir Ermenrich wieder im Kloster Reichenau
als Schüler Walahfrids; als dieser seine unglückliche Reise nach
Frankreich antrat, schickte ihn Grimald nach St. Gallen, um dort
seine Studien fortzusetzen. Hier verfafste er zum Danke für die
gute Aufnahme, die er in beiden Klöstern gefunden, und zum Preise
') Vgl. über ihn E. Dümmler, Ueber Ermenrich von Ellwangen und
seine Schriften, Forsch. XIII, 473—485. XIV, 403. 404. NA. IV, 32 L
Er schrieb den Stiftungsbrief Salomons für Wiesensteig nach Bossert,
Württ. Vierteljahrshefte 1889. S. 142.
2) Als Hraban noch Abt war, also vor s42. Enn. Sermo de Vita S.
Sualonis, ed. Holder-Egger SS. XV, 151—163. Im Anfang ist Sedulii
Carmen paschale benutzt, nach Manitius, Wiener SB. CXXI, 6.
*) Dümmler, St. Gall. Denkm. S. 248. Gundram nennt er eximii
minixterii conlevita.
*) Vita Hariolfi ed. Pertz, MG. SS. X, 11 — 15. Ermanrich u. Mahtolf,
die Träger des Dialogs, sind beide im St. G. Verbrüderungsbuch ed. Piper,
p. 44. col. 111. — Ausg. V. Giefel, Württ. Geschichtsqu. IT. 1888.
282 II- Karolinger. § 15. Schwaben.
Grimalds ein Sendschreiben an denselben, geschrieben zwischen 850
und 855, in welchem er seine ganze Gelehrsamkeit, die nicht un-
bedeutend, aber schlecht verarbeitet war, zur Schau trägt, von
Philosophie, Grammatik und vielen anderen Dingen handelt, in der
schwülstigen, gezierten Weise vieler Gelehrten der damaligen Zeit;
eine Schreibart, die auch das Leben des heiligen Solus entstellt und
am wenigsten in dem Leben Hariolfs hervortritt^). Er prahlt mit
Griechisch, das er aber offenbar nicht versteht, und eignet sich aus
Alcvin, Priscian und Ausonius falsche Gelehrsamkeit an, kennt aber
Homerus latinus und Lucretius nebst vielen anderen Schriften.
Verse von Theodulf und Naso verwendete er ohne Scheu. Es ent-
hält aber dieser Brief auch einige wichtige geschichtliche Daten und
eine Lobpreisung Gx'imalds und der gelehrten und kunstreichen Sankt-
galler Mönche, welche zur Ergänzung der dortigen Klosterchronik
dient. Am Schlufse geht er in Verse über, und feiert den heiligen
Gallus, wozu ihn auch Gozbert, der Kahlkopf, gedrängt hatte. Doch
ist dieser Teil, der des Humors nicht ganz entbehrt, mehr entworfen
und begonnen, als wirklich ausgeführt^).
In der Aufschrift dieses Briefes hat eine etwas spätere Hand
zu dem Namen Ermenrich das Wort Bischof gesetzt, und man hat
deshalb mit grofser Wahrscheinlichkeit geschlossen, dafs der Ver-
fasser identisch ist mit dem gleichnamigen Bischof von Passau, den
Ludwig der Deutsche 867 zu den Bulgaren sandte, und dessen Tod
am 26. Dezember 874 sich in alamannischen Jahrbüchern und im
Totenbuche von Reichenau verzeichnet findet^).
Ermenrichs Name ist auch gemifsbraucht in einer häfslichen
Betrügerei, dem Leben des heiligen Magnus, eines der an-
') Dieses erwähnt Ermenrich in dem Briefe (p. 567) mit folgenden
Worten: „Adiunxi autem et huic operi breve opusculum, quod de incoep-
tione nostri coenobii et fratrum ibidem Deo famulantium vita conscripsi
ipsaque dicta viro per omnia doctissimo Gozbaldo episcopo vel approbanda
seu refutanda comrüendavi." Diese Worte lassen kaum daran zweifeln, dafs
die Vita Hariolfi gemeint ist, obgleich von den Ellwanger Mönchen nur
wenig darin vorkommt; es spricht auch dafür die Stelle der Vita 1. c.
p. 11 : „quis primus huius loci cum Deo inceptor fuerit, quantique viri
Deo amabiles sub eo exstiterint". Dafs ein anderer Ermenrich aus
Reichenau zu derselben Zeit eine Geschichte dieses Klosters verfafst und
ebenfalls an Gozbald gesandt haben sollte, ist unglaublich.
^) Das Sendschreiben ist vollständig zuerst herausgegeben von Dümm-
1er im Hallischen Preisverteilungsprogramm von 1873, und bes. Abdruck,
besser Epp. V, 534 — 579. Es ist voll von grammatischen Fehlern, die
zum Teil vom Abschreiber herrühren mögen. Vgl. M. Haupt im Hermes
I, 403 und Dümmler in d. Forsch, a. a. 0. Winterfeld in den N. Jahrb.
für das klass. Altert. (1900) S. 346.
') Dümmler, Pilgrim von Passau S. 144.
Ermenrich. Magnus und Genesius. 283
geblichen Genossen von Columban und Gallus, von Theodorus, das
bei der Ueberti'agung der Gebeine in der Mitte des neunten Jahr-
hunderts in St. Magnus' Grab soll gefunden sein. Der Bischof Lanto
von Augsburg soll dann um 851 den Ell wanger Münch Ermenrich
veranlalst haben, das kaum noch lesbare Denkmal zu erneuen. Die
Art, wie sein Name hier erwähnt wird, macht es nicht wahrschein-
lich, dafs wirklich er selbst zu dieser Fälschung seine Hand geboten
habe. Wattenbach hielt die angebliche ältere Legende überhaupt für
leeres Vorgeben des Fälschers, welcher ein von den gröbsten chrono-
logischen Fehlern erfülltes Plagiat aus den Vitae Columbani und Galli
für das Werk eines Zeitgenossen ausgab'). Maginald und Theodor,
die aus diesen bekannten Schüler des heiligen Gallus, sind hier mit
Magnus, dem sagenhaften Stifter der Zelle Füssen, dessen Tod in
das Jahr 750 gesetzt wird, und mit dessen Gefährten Theodor, dem
vermeintlichen Gründer von Kempten, verschmolzen. Diese Ver-
wirrung kam in St. Gallen zu stände, als dort unter Salomo III.
eine Magnuskirche um 890 erbaut wurde, für welche man Reliquien
aus Füssen erworben hatte und nun auch einer Lebensgeschichte
bedurfte.
Auch Reichenau bezog wie Fulda seine Reliquien aus Italien,
doch scheint man damit wenig Glück gehabt zu haben. Die älteste
dieser Geschichten (Miracula S. Genesii) ist von Alfred Holder in
Karlsruhe in einem von Reginbert herrührenden Kodex entdeckt, und
von Wattenbach in der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins XXIV,
1 — 21, herausgegeben-). Sie berichtet von der Uebertragung der
heiligen Genesius und Eugenius aus Jerusalem durch den Grafen
Gebahard von Treviso, der 798 seine Boten aussandte, aber vor
deren Rückkunft starb. Der heimkehrende Diacon fand in Porto
seinen Bruder, der den Grafen Sci'ot von Florenz^) nach Rom
1) Canis. Lect. ant.V, 913—947. Goldast SS. rer. Suevic. I, 2, 189—203.
Acta SS. Boll. Sept. Tl., 735—759. Mabillons treffliche Kritik, Acta SS.
II, 484 ff. , ist bestätigt und ergänzt durch Rettberg IT, 147 — 151, wo
Plac. Brauns Versuch, den zweiten Teil zu retten, widerlegt ist. Für
denselben sind neuerdings eingetreten Fr. Pfeiffer, Freie Forschung S. 295
aus Germania I, und Friedrich KG. II, 854 — 366. Das letzte Stück mit
der Translationsgeschichte MG. SS. IV, 382. 425—427. Ueber eine jüngere
Bearbeitung Archiv XI, 270. Vgl. besonders Baumann, Gesch. d. Allgäus,
I, 93 — 98. Hauck II, 328. Den h. Magnus besangen damals die Sanct-
galler Dichter, Poet. Car. IV, 329—331.
^) Im Sanctgaller Cataloge saec. IX bei Weidmann S. 385 erwähnt als
Commemoratio de miraculis S. Genesii. Als Ex Miracidis S. Genesii ed.
Waitz, SS. XV, 1G9— 172.
^) Bei Herrgott, Geneal. III, 832, als Wohlthäter von Reichenau er-
wähnt, erscheint er im Verbrüderungsbuche S. 294, col. 466.
284 II- Karolinger. § 15. Schwaben.
begleitet hatte ; mit Einwilligung des Papstes Leo erhält Graf Scrot
den rechten Schenkel des Genesius, während der Rest nach dem bei
Treviso dafür schon bereiteten Kloster gebracht wird. Graf Scrot
aber bringt seinen Teil in seine Heimat am Bodensee, und stiftet
hier das Kloster Schienen, welches durch Ludwig das Kind an
Reichenau gekommen ist. Da Wunder nicht ausblieben, veranlafste
Abt Erlebold (822 — 838) einen ungenannten Mönch zur Aufzeichnung
dieser denkwürdigen Begebenheiten.
Während nun aber von diesen Reliquien weiterhin nicht mehr
die Rede ist, behauptete man später in Reichenau, dafs die ganzen
Leiber der heiligen Senesius und Theopompus, welche in unklarer
Weise an die Stelle von Genesius und Eugenius getreten sind, 830
durch Bischof Ratolf von Verona nach Radolfzell übertragen seien,
da doch ganz unbekümmert darum dieselben 911 von Treviso aus
dem inzwischen durch die Ungern zerstörten Kloster nach Nonantula
übertragen wurden. Ebenso wenig wollte man ihnen glauben, dafs
der heilige Valentin, von dem ihre alten Annalen noch allein reden,
der heilige Markus selber sei , welcher , wie sie behaupteten , in
demselben Jahr 830 aus Venedig zu ihnen gekommen sein sollte; und
ihre eigene Erzählung läfst den Betrug deutlich genug erkennen^).
Den heiligen Januarius sollte, wie wir oben S. 279 sahen, Kaiser
Lothar selbst gebracht haben; davon verlautet weiter nichts, dagegen
aber ein Bericht, nach welchem ihn und seine Genossen im Jahre 871
ein wackerer Reitersmann aus Schwaben auf einer Heerfahrt unter
Kaiser Ludwig II. aus einer verödeten Kirche geraubt und nach der
Reichenau geschafft habe. Man traute ihm aber dort vermutlich
selbst nicht, da in jüngeren Handschriften anstatt ihrer die heilige
Fortunata mit ihren Brüdern in derselben Erzählung erscheint.
Aber auch diese waren bereits 780 nach Neapel in das Nonnen-
kloster des heiligen Gaudiosus übertragen, wo sie fortfuhren, die
schönsten Wunder zu thun^). Unbestritten blieb den Reichenauern
nur ein Krug von der Hochzeit zu Cana, den ein griechischer Mönch
ihnen aufgeschwatzt hatte ^).
^) Miracula S. Marci bei Mone Quellens. I, 62 — 67; im Auszug MG.
SS. IV, 449-452. Vgl. auch Quellens. III, 135.
2) Mone, Quellens. I, 232 cf. Acta SS. Sept. VI, 787. Auf Fortunata
und das Jahr 874 angewandt auch in der ersten Ausgabe dieses Buches
S. 150 aus 2 Münchener Handschriften, da ich sie für ungedruckt hielt ;
vgl. Oehem ed. Brandi 8. XL XII. Acta SS. Oct. VI, 456. Beide MG.
SS. XV, 478, ed. Holder-Egger.
^) Auszüge aus der gänzlich fabelhaften Vita Simeonis Ächivi ed.
Waitz MG. SS. IV, 459. Annales Aug. breviss. 541—817 ib. III, 136
sind ohne Wert.
Reichenauer Reliquien. Findan. Meginrat. 285
Sehr deutlich tritt uns in diesen Geschichten die lebhafte Ver-
bindung mit Italien entgegen, welche in hohem Grade anregend wir-
ken mufste*); Reichenau lag gerade an einer der besuchtesten Pilger-
strafsen nach Rom, und auch Schottenmünche haben nicht gefehlt,
wenn sie auch in Reichenau nur ihre Handschriften als Andenken
hinterlassen haben-). Dagegen wurde gegen das Ende dieses Jahr-
hunderts das Leben eines Schottenmönches, des heiligen Findan
in Rh ein au, von einem Landsmanne nach persönlicher Kunde auf-
gezeichnet (gest. 15. Nov. 878), welches für das Treiben dieser frem-
den Pilger recht charakteristisch und durch einige Stellen in irischer
Sprache merkwürdig, übrigens aber geschichtlich wenig bedeutend
ist'). Gröfserer Ruhm ist dem heiligen ^Meginrat zu teil geworden,
dessen Leben , wie aus dem Alter der Handschriften hervorgeht,
schon im 10. Jahrhundert ein Reichenauer Mönch beschrieben hat*).
Er wurde nach dessen Bericht in Reichenau von Erlebold unter-
richtet, und da dieser als Abt auf Heito folgte, als Mönch ein-
gekleidet. Der Abt schickte ihn nach einer Reichenauer Zelle am
Züricher See, nach der Tradition Ober-Bollingen, richtiger Benken,
um da Schule zu halten. Er aber ging statt dessen als Eremit ins
Gebirge, wo Räuber ihn 861 erschlugen. Das noch jetzt blühende
Kloster Meinradszell oder Einaiedeln bewahrt sein Andenken.
Doch fehlte es auch in St. Gallen und Reichenau nicht ganz
an Annalen. Die in ihrem älteren Teil aus Murbach stammenden
Annales Alamannici (oben S. 164) enthalten 802 — 858 dürftige
Reichenauer Notizen ; 860 — 926 werden sie mit zunehmender Reich-
haltigkeit in St. Gallen fortgesetzt. Die aus denselben Annalen ent-
nommenen Annales Sangallenses breves 708—815^) ge-
') Vgl. darüber das schöne Werk des Prof. F. Adler, Baugeschicht-
liche Forschungen in Deutschland. I. Die Kloster- und Stiftskirchen auf
der Tnsel Reichenau, Berlin 1870 folio. Mai-mor, Kurze Geschichte der
kirchlichen Bauten und deren Kunstschätze auf der Insel Reichenau,
Konstanz 1873. Der Text ist selbst für einen praktischen Arzt zu schlecht.
^) Irische Hss. aus Reichenau .jetzt in Karlsruhe, SchafFhausen,
St. Paul in Kärnten, vgl. Zimmer, Glossae hibernicae; Silvestre, Pal.
univ. pl. 220, 221; Adamnanus ed. Reeves pl. 1: Arndt. Schrifttaf. ed.
Tangl, Taf. 42.
^) Vita Findani, Mone Quellensamml. LI, 56 — fil. ed. Holder-Egger,
SS. XV, 502—506. Vgl. Zeuss, Gramm. Celt. ed. II, p. 1003. Ebert III.
195 — 197. Die von ihm in Aussicht gestellten Wunder fehlen. Vgl.
E. Egli, Das sogen. Fintan-Martyrolog. , Anz. f. Schweizer. Gesch. XXII
(1891), 136—141.
*) Vita S. Meginrati ed. Holder-Egger, SS. XV, 444—448, vgl. Ring-
holz im Anzeiger für Schweiz. Gesch. 1897 S. 473 ft'.
'=) Edd. Ild. V. Ars et G. H. Pertz, MG. I, 63—66; ed. Henking, St.
Gall. Mitt. XIX, 220 — 223. Local, aber sehr dürftig sind die Annale^
286 IT. Karolinger. § 15. Schwaben.
währten den Anfang (bis 791) der Annales Augienses, welche
bis 939 in Reichenau fortgesetzt wurden. Sie waren auf den Rand
der Ostertafeln geschrieben, welche Reginbert in seine oben
S. 275 erwähnte historisch-mathematische Sammlung aufgenommen
hatte, die er von 820 bis gegen sein Todesjahr 846 zusammen-
gebracht hat. Diese jetzt verlorene Handschrift benutzte Hermann
der Lahme. Für Friedrich von Mainz abgeschrieben, wurde sie zu
937 mit einer Notiz über Friedrichs Weihe, 953, 954 mit Auf-
zeichnungen des Erzbischofs Wilhelm vermehrt; benutzt wurde diese
Handschrift vom Fortsetzer des Regino, von Marianus Scottus, und
nebst den eingehefteten Annales S. Albani vom Verfasser der Disi-
bodenberger Annalen'). Wir finden ferner die Annales Augienses
bis ^39 benutzt in den Annales Colonienses, jedoch so, dafs einzelne
Eintragungen vielmehr auf die Ann. Alamannici, Sangallenses und
Hermann deuten, wodurch die Vermutung entsteht, dafs eine reich-
haltigere Aufzeichnung allen zu Grunde liegt^).
Auch in der Bischofstadt Augsburg war ein gelehrter und
ausgezeichneter Bischof, Adalbero (887 — 910), der Erzieher Lud-
wigs des Kindes, ein vertrauter Freund der Sanktgaller Lehrer,
derselbe, welchem Regino, der seiner mit grofsem Lobe gedenkt,
seine Chronik widmete; wir haben eine Biographie von ihm, sie ist
aber erst im zwölften Jahrhundert von üdalschalk geschrieben und
gewährt uns keine Belehrung^).
Im Elsafs beschrieb ein ungenannter Mönch von Neuweiler
bei Zabern die Uebertragung des Bischofs Adelphus von Metz,
"den ihnen Erzbischof Drogo abgelassen hatte, mit Wundern, worin
viele Ortsnamen vorkommen^). Murbach besafs gegen die Mitte
des 9. Jahrhunderts schon eine besonders an Klassikern (darunter
hrevissimi Sangallenses 768—889 (MG. I, 69. 70, ed. Henking, p. 206—209 ;
Vf. nach S. 208 Albrieh) und 814-961 (ib. S. 210-212), während die
Fortsetzung der Ann. S. G. Baluzii (oben S. 141) 768 — 814 allgemeiner
Art ist. Kurze Aufzeichnungen an Ostertafeln 690—856 ed. Dümmler.
NA. V, 428.
') S. die berichtigte Ausgabe von Jaffe, Bibl. III, 700 — 706.
^) Ecclesiae Colon. Codd. p. 127. Mit dieser beschäftigt sich W. Erben,
NA. XVI, 613 flF.
^) S. unten IV § 9. Ueber Adalberos Besuch in St. Gallen 908 und
seine reichen Schenkungen s. das Verbrüderungsbuch S. 15. Jul. Hans,
Beiträge zur Geschichte des Augsburger Schulwesens in der Zeitschrift
des hist. Vereins f. Schwaben u. Neuburg II, 1 (1875) stellt die dürftigen
Nachrichten darüber zusammen.
*) Trunslatio et Miracida S. Adelj)hi ed. L. v. Heinemann, SS. XV,
293 — 296, mit einem Wunder von 1198 aus der Fehde zwischen Heinrichs VI.
Bruder Otto u. B, Conrad v. Strafsbur".
Schwäbische Annalen. Freising und Weihenstephan, 287
sogar Jjucrez) reichhaltige Bibliothek, die unter dem Abte Isker
(vor 876) noch ansehnlich vermehrt wurde. Ihr Katalog ist uns in
humanistischer Abschrift erhalten und jüngst von Bloch erläutert
worden ')• Reichenau vornehmlich war die Quelle, aus der Murbach
seine geistige Nahi-ung. schöpfte.
§ 16. Bayern und Franken.
Bayern, wo schon unter den Agiloifingern eine rege litterarische
Thätigkeit begonnen hatte, zeigt avich in diesem Abschnitte Spuren
derselben, und es wird an geschichtlichen Aufzeichnungen in den
zahlreichen und blühenden Klöstern des Landes nicht gefehlt haben,
obgleich im ganzen die Bedürfnisse des praktischen Lebens, der
Geschäftsthätigkeit und des Schulunterrichts, die Kräfte überwiegend
in Anspruch nahmen. Doch ist auch in den Verheerungen des Landes
durch die Ungern ohne Zweifel vieles zu Grunde gegangen.
In Freising zeugen die zahlreichen grammatischen Hand-
schriften aus dem neunten und zehnten Jahrhundert^) von eifrigen
Studien. Nach Aribo, dessen wir schon früher gedachten, machte
sich hier der Bischof Hitto (810 — 835) sehr verdient; er ver-
anlafste seinen Notar Cozroh das höchst schätzbare Traditions-
buch der Kirche anzulegen, welches von demselben unter seinem
Nachfolger Erchanbert (bis 853) fortgesetzt wurde ■'^). An seinem
Bischofsitze gründete Hitto das Kloster Weihenstephan, dem
er aus Rom 824 den heiligen Alexander zuführte; die von einem
angeblichen Genossen dieser Uebertragung in recht gutem Latein
und nicht ohne Kenntnis profaner Autoren verfafste Geschichte der-
selben hat Wattenbach zuerst herausgegeben^), doch stammt sie
erst aus dem 11. Jahrhundert. Wenig später hielt dort der Pfalz-
^) Strafsburger Festschrift zur Philologenversamml, S. 257 — 285. Das
Geistesleben im Elsafs zur Karolingerzeit in der Illustr. Elsäss. Rundschau
B. III Heft 4. Verzeichnis seiner Aebte im 8. bis 9. Jahrhundert aus dem
liber Vitae von Remiremont NA, XIX, 77.
2) B. Pez. Thes. I, Praef. p. XXVII. Steinmeyer, Ahd. Glossen IV,
523 flg.
^) Meichelbeck, Hist. Fris. I, 1, 115. 116. Eine neue Ausgabe von
Bitterauf in den Quellen und Erörterungen ist in Vorbereitung. Jos.
Zahn im Archiv der W. Ak. XXVII, 200 f., wo auch K. Roths Arbeiten
über Cozroh aufgezählt sind. MG. SS. XXIV, 314 seine Vorrede, p. 316
Notae de privilegiis. Aufserdem liefs Hitto viele theologische Schriften
für die Bibliothek abschreiben.
*) SB. der Berl. Akad. 1884, Dez. 4. MG. SS. XV, 286—288. Andere
schlechtere Hs. NA. XIII, -584, vgl. v, Winterfeld NA. XXVI, 751 flF.
288 II- Karolinger. § 16. Bayern und Franken.
graf Timo Gericht, wobei sein Hund den Frevel beging, aus dem
heiligen Quell zu trinken. Rascher Tod war die Strafe, und dieses
Wunder feiert ein Gedicht, welches merkwürdig ist durch die Be-
schreibung des Gerichtsverfahrens, der strengen Justiz, die dort
geübt ward, und durch sehr entschiedene Bekämpfung der Ordalien')-
Als man es im 11. Jahrhundert von der Rolle, aufweiche es geschrieben
war, in ein Buch übertrug, war leider der Anfang derselben schon
beschädigt und verloren. Auch Bischof Anno (854 — 875) liefs ein
Werk für die Bibliothek abschreiben 2); Waldo (884—906), ein
Bruder Salomons III. von Konstanz, zeichnete sich durch seine
wissenschaftliche Bildung aus, und scheint auch als Bischof in dieser
Richtung thätig gewesen zu sein^). In dem Kloster zu Tegernsee,
welches in der Zeit Pippins von den Brüdern Adalbert und Otkar
gegründet war zu Ehren des heiligen Quirinus, dessen Reliquien
sie von dem Papste Zacharias erbalten haben wollten, wurde im
Jahre 921 eine Passio des heiligen Quirinus aufgezeichnet*) und
dieser weitere Wundergeschichten hinzugefügt, von denen die letzte
von dem Abte Megilo handelt und sich auf den Bischof Arn von
Würzburg (855 — 893) als seinen Zeitgenossen bezieht. Diese an
sich wenig glaubwürdige Legende bildete die Grundlage für viele
weitere Fabeleien.
In Regensburg war Baturich (817—848) Bischof und Abt
zu St. Emmeram, zugleich Erzkaplan des Königs, ein geborner Bayer,
der in Fulda gebildet wurde, daher mit Hraban befreundet, und
der durch die Besorgung von Abschriften kirchlicher Werke seinen
wissenschaftlichen Eifer bewies'^). Schon unter Embricho (864 — 891)
^) Neue Ausgabe von Dümmler, Poet. Car. II, 120—124, wo V. 108
Limfa zu lesen ist.
2) Cod. lat. Mon, 6262, s. Catal. I, 3, 81.
^) S. Dümmler, Formelbuch Salomons III, S. 154. Müllenhoff und
Scherer S. 297. 451 (3. Ausg. II, 90. 335) und oben S. 275. Der Priester
Sigihard schrieb für ihn den Otfrid ab.
*) Abgedr. von Th. Mayer im Arch. für Kunde Oesterr. Geschichtsq.
III, 291—808, ed. Krusch, SS. Meroving. III, 8—20, vgl. Wattenbacb,
Ueber die Quirinalien des Metellus, SB. d. Berl. Akad. 1897 S. 785.
5) Dümmler, Ostfr. II, 438. Müllenhoff und Scherer S. 448. 460.
(II, 331. 344.) Faks. des Cod. lat. Monac. 14,468 a. 821, Palaeograph.
Soc. 122; von 14,437 a. 823 ib. 123; 14,288 schenkte ihm Hiring. Ueber
seine Beziehungen zu Hraban s. Epp. V, 517 flg., Poet. Car. II, 173. Eine
Benedictio Dei betitelte Schrift über den Gebrauch der Psalmen, mit einer
Vorrede an Baturich, Bibl. Patr. Lugd. XXVII, 575. Migne CXXIX.
1399. Epp. V, 359—360. K. Ludwig ertauschte später für seine Kapelle
von der Regensburger Kirche den Kleriker Gundpert wegen seiner litte-
rarischen Bildung, B. Pez, Thes. I. 3. 199. Die unbedeutenden Annalen
s. oben S. 166.
Regensburg, Würzburg. 289
begann hier An am od die Urkunden über Schenkungen an das
Kloster St. Emmeram zu sammeln, und eignete das vollendete Werk
dessen Nachfolger Aspert (891 — 893) zu, welcher Kaiser Arnulfs
Kanzler gewesen war^). Hier verwahrte man auch jene merkwür-
dige Aufzeichnung über die Gaue der Slaven im Norden der Donau,
wahrscheinlich kurz vor 873 verfal'st, bekannt als Geographus
B a w a r u s , welche aus einer Handschrift von St. Emmeram durch
Hormayr zuei'st bekannt gemacht ist").
In Nieder-Altaich und Würzburg wird Gozbald (842
bis 855), einst Erzkanzler Ludwigs des Deutschen und immer in
hoher Gunst bei ihm, ein gelehrter Mann, den Ermenrich von Ell-
wangen seinen Lehrer nennt, ohne Zweifel die Studien befördert
haben, wenn uns auch nichts darüber bekannt geworden ist. Einer
Handschrift von Nieder-Altaich verdanken wir jene geschichtlich
wichtige, wenn auch in der Form verwilderte Fortsetzung der Fulder
Annalen von 882 — 901, welche in Bayern, aber schwerlich in einem
Kloster, geschrieben ist^). Für seine Kirche in Isarhofen bei Nieder-
Altaich erbat Gozbald von Gregor IV, die Gebeine der Märtyrer
Agapitus und Felicissimus, und vielleicht ist es ihre Translation,
wovon sich ein Fragment erhalten hat, merkwürdig durch die Er-
^) Ueber ihn S. Dümmler , Ostfr. III , 482. Der Codex Traditionum
c^edv. bei B. Pez, Thes. I, ö, 191—286; Migne CXXIX, 900. Vgl. Bretholz,
Die Traditionsbücher von St. Emmeram, Mitteil. d. Inst. XII, 1 ff. (NA.
XVI, 648^. S. auch Karl Roth, Tauschverträge der Abtei Sanctemmeram
(Beitr. IV. 1865), wo S. 42—46 Caf. abb., S. 47—50 Caf. epp. Bafisponen-
fium; andere SS. XIII, 359. Ein Distichon mit Lob des Bischofs Tuto
(894—930) NA. I, 185. Ueber eine unter ihm geschriebene Hs. Stein-
meyer, Althd. Glossen IV, 551.
'^) Archiv für österreichische Geschichte 1827, S. 282. Boczek, Cod.
Dipl. Moraviae I, 67. Zeufs, Die Deutschen u. die Nachbarstänime S. 600.
Bielowskis Monumenta Poloniae I, 10. Die Hs. ist Cod. lat. Monac. 560
saec. XI. Faks. bei Schiemann. Rufsland etc. (Berl. 1886) zu S. 29, Er-
läuterungen dazu von Kralicek, Zeitschr. f. d. Gesch. Mährens u. Schlesiens
(1S99) II, 216—235. 340—360.
3) S. oben S. 250. 251. Ueber Gozbald Dümmler, Ostfr. II, 428.
Forsch. VI, 122. Handschriften, die er für seine Kirche schreiben liefs,
sind jetzt in Oxford, s. Zangemeister, AVien. SB. LXXXIV, .59. 61 ; Faks.
von Aug. de civ. Dei Pal. Soc. II, 67. 68, Traube, Reg. S. Ben. S. 661.
Eine andere in Würzb. s. Schepss in Briegers Zeitschr. f. Kirchengesch.
1886, S. 458, Anm. Seinem Vorgänger Humbert von Würzburg (832 bis
842) widmete Hraban den Kommentar zu den Büchern der Richter und
Ruth und beantwortete ihm Fragen aus der Kirchenzucht (Ejjp. V, 439
bis 442 . 445 — 448 , vgl. 523 — 526) ; auch er liefs eine Hs. abschreiben,
Steinmeyer, Ahd. Gl. IV, 592. Der Nachfolger Arn wird Gozbalds
Schüler genannt; s. über ihn Dümmler, Ostfr. II, 430, und denselben
Forsch. VI, 123 über die gelehrten, aber nicht der Geschichte zugewandten
Studien in Würzburg.
Wat t enb a ch, Greschichtsquellen. I. 7. Aufl. 19
290 II- Karolinger. § 16. Bayern.
wähnung der Aufschriften des P. Damasus „rotundis litteris" und
der von Karl dem Grofsen gestifteten Schola Francorum in Rom^)-
Zum Würzburger Sprengel gehört Lauffen am Neckar, wo man
S, Reginswind verehrte, Tochter des Markgrafen Ernst, welche
als siebenjähriges Mädchen 837 von ihrer Wärterin aus Rache im
Neckar ertränkt sein soll; ihre sagenhafte Geschichte ist aber erst
im zwölften Jahrhundert aufgezeichnet^).
In Eichstätt liefs B. Erchanbald (882—912) nicht nur
viele Bücher abschreiben, sondern er veranlafste auch den Priester
Wolfhard, das Leben der heiligen Wal bürg a^) zu verfassen, deren
Reliquien er 893 nach Monheim übertragen hatte, der Schwester
Willibalds — eine der zahlreichen Aufzeichnungen solcher Art, welche
diese Zeit mit ihrer immer wachsenden Heiligenverehrung hervor-
brachte, weniger durch geschichtlichen Sinn als durch das Bedürfnis
einer Legende veranlafst und mit Wundergeschichten ausgestattet.
In ausgedehntestem Mafse sorgte aber Wolfhard für die Befriedigung
dieses Bedürfnisses durch das ebenfalls auf Veranlassung des Bischofs
Erchanbald von ihm gesammelte, schon früher (S. 68) erwähnte grofse
Legendarium.
Die Passauer Kirche erwarb 903 durch Tausch die ansehnliche
Bibliothek des Landbischofs Madalwin "*). Vielleicht aufErmenrich
zurückzuführen ist das vorzüglich aus Hrabans Schriften geschöpfte
Lehrbuch, welches sich in einer Tegernseer Handschrift erhalten hat^).
Einem Abt Engilmar, den er als „venerabilis doctor et gram-
maticae rhetor" bezeichnete, widmete ein ungenannter Verfasser in
ziemlich mangelhaften Versen eine Versifikation der Vita S. Herasmi:
vielleicht könnte dieser später Bischof von Passau geworden sein,
wo wir von 874 — 899 einen Engelmar finden^).
Aus Salzburg endlich ist uns, aufser urkundlichen Aufzeich-
nungen und der Erzählung von der Uebertragung des heili-
1) NA. XIII, 2.3.5.
2) V. Eeginswindis Acta SS. Jul. IV, 90—96. MG. SS. XV, 359.
3) Acta SS. Feb. IIT, 523. Mab. III, 2, 787. Vgl. den Anon. Haser.
c. 3. 10, MG. SS. VII, 255. 256. Rettberg II, 359. Die 893 beginnenden
Mirakel sind geschichtlich nicht unwichtig. Ausg. von Holder-Egger,
MG. SS. XV, 535-555.
'') Mon. B. XXVIII, 2, 200—203. Vgl. Gottlieb, Ueber mittelalterl.
Biblioth. S. 60.
^) Einige Formeln mit der Ueberschrift Epistolae Alati ed. Rockinger,
Quellen zur baierischen Geschichte VII, 169—185, vgl. 21—29, und E. de
Roziere, Revue bist, de droit fran^ais et etranger, IV; Zeumer, Form.
S. 456 ff. Nach Passau weist die bischöfliche Kirche des heil. Stephan.
Vgl. Müll. u. Scherer, 3. Ausg. II, 355.
«) Dümmler, NA. V, 429; ed. Harster, Novem vitae p. 20—37.
Eichstätt, Passau, Salzburg. 291
gen Hermes') aus Rom vom Jahr 851, ein überaus wertvolles
Denkmal erhalten, eine Denkschrift, welche durch die Errichtung
eines selbständigen mährischen Erzbistums veranlafst, vermutlich 870
verfafst wurde'-), in demselben Jahr, in welchem die Verfolgung
gegen Methodius begann. Die Verdienste und Berechtigungen der
Salzburger Kirche sollten darin dargestellt werden, und wie billig
steht deshalb an der Spitze das Leben des heiligen Rupert (oben
S. 136), eine Ueberarbeitung der älteren Vita mit Benutzung der
brev. not. Salisb. und Einschiebung einer Reise nach Pannonien.
Die weitere Erzählung stützt sich durchweg auf Urkunden und
andere Aufzeichnungen der Kirche, es ist mehr eine rechtliche Aus-
führung, als ein eigentliches Geschichtswerk, und weil der Verfasser
sich streng auf das beschränkt, was für seinen Zweck von Wichtig-
keit war, anderes, wie namentlich die ganze Wirksamkeit des Bonifaz,
völlig mit Stillschweigen übergeht, genügt die Schrift unseren
Wünschen nicht ganz, aber was sie gibt ist unschätzbar, und bei
dem fast gänzlichen Mangel anderer Quellen über die Verhältnisse
dieser südöstlichen Lande, bei dem Verluste der Annalen, von denen
nur geringe Reste übrig geblieben sind, ist jedes Wort des Verfassers
von hohem Werte für uns^). Noch im Jahre 900, als das mährische
Reich durch die Magyaren schon in Trümmer ging, verfocht in
einem Schreiben an Papst Johann IX. die bayrische Geistlichkeit mit
dem Erzbischof Theotmar an der Spitze ihre Rechte auf die mähri-
sche Kirche'*).
') Translatio S. Hermetis , ed. Waitz, MG. SS. XV, 410. *Auch in
Bamberg glaubte man den heil. Hermes zu besitzen, V. Ott. 11, 14 bei
JaflFe. Bibl. V, 639.
^) Wattenbach liefs zuletzt dahingestellt, ob sie, wie er annahm, für
den König bestimmt war oder für den Papst, wie Dümmler, Ostfr. II, 379
(dem Hauck II, 701 A. 2 beistimmt) aufrecht hält, ungeachtet der gänz-
lichen Verschweigung aller päpstlichen Anordnungen. Sicher ist sie ihrer
Form nach nicht an den Papst gerichtet.
^) Ausgabe von Wattenbach, MG. SS. XI, 1 — 17, mit den Computa-
tiones saec. XII. de tempore S. Rudberti, auf welchen die fehlerhafte
sogenannte Tradition beruht (oben S. 136 A. 2). Ueber das Fehlen einer
älteren Tradition s. auch Meiller, Salzb. Regesten S. 439. Der erste, von
Wattenbach übersehene Herausgeb. war Flacius Illyricus, Catalogi testium
veritatis (1597) II, 121—129 aus der Wiener Handschrift hist. eccl. 73.
Wegen der weiteren Litteratur s. die 2. Aufl. von Dümmlers Ostfr. und
Hauck II, 695 — 704. Ueber die slavischen und deutschen Personennamen
in der Conversio handelt Jagic, Zur Entstehungsgesch. der kirchenslav.
Sprache, Denkschr. der Wiener Akad. XLVII, L 85—88. Nach Jar. Goll,
Mitteil, d. Inst. XI, 443 — 446, hätte er seine Angaben über Samo nur
aus Fredegar geschöpft, ohne lokale Tradition.
■*) Chronic, monasterii Reichersp. ed. Gewold app. p. 33 — 38, vgl.
Dümmler, Ostfr. III, 511—514.
292 II- Karolinger. § 16. Bayern.
Unter den Nachfolgern des ei'sten Erzbischofs Arn wird Adal-
ram (821—836) sehr gepriesen, und Liuphram (836 — 859) folgte
Arns Vorgang, indem er durch Abschriften die Bibliothek zu be-
reichern bemüht war^). Aus seiner Zeit stammt auch eine Samm-
lung, in welcher formelartig zugerichtete Briefe Alcvins, die meistens
an Arn gerichtet waren, mit allerlei Versen verbunden sind, für
den Zweck des Unterrichts bestimmt^). Am Anfange stehen Verse
von Dungal an einen „clarus magister" Baldo, von welchem man
in Salzburg auch eine Handschrift hatte mit der Inschrift: „Hunc
humilis librum fecit perscribere Baldo, Reddat in aeternum mitis cui
praemia Christus". Aehnliche Verse finden wir in den Unterschriften
der von Liuphram besorgten Bücher. Mit Dümmler hatte Watten-
bach diesen Baldo für den Abt Waldo von Saint-Denis gehalten, aber
später hat Dümmler sich mit Foltz'') für eine Unterscheidung beider
Personen ausgesprochen, wofür sich auch Traube erklärt^), und es
wird, wenn Baldo damals in Salzburg thätig war, vielmehr anzuneh-
men sein, dafs wir unter Dungal nicht den alten berühmten Lehrer
(oben S. 170. 268) verstehen dürfen. Auch König Ludwig dankte
ihm in Versen für übersandte Schriften, wünschte aber über die
zuletzt erhaltenen, die er nicht verstehen könne, Aufschlufs. Andere
Stücke jener Sammlung verherrlichen den alten Bischof Virgilius,
Arn, Adalram, Liuphram: Kalendergedichte nach Art Wandalberts
schildern und erklären die einzelnen Monate, eine besondere Klasse
stellt sich uns dar als Inschriften für einen Bischofshof, der ver-
mutlich damals (zwischen 855 und 859) in Salzburg gebaut wurde,
und erinnert dadurch an die unten (S. 318) zu erwähnenden Lütticher
Gedichte, wie denn auch hier (III, 11) der Dichter sich als einen
armen Fremdling bezeichnet; es liegt die Vermutung nahe, dafs
Genossen jener Lütticher Schottenkolonie auf ihrer Reise nach
Mailand in Salzburg einige Zeit sich aufgehalten haben. Die ein-
1) S. darüber Karl Foltz, Geschichte der Salzburger Bibliotheken.
Wien 1877 ; Chroust, Mon. palaeograph. Fase. VII.
2) Beiträge zur Geschichte des Erzb. Salzburg, Archiv der Wiener
Ak. XXII, 279—304. Die Verse in Poet. Gar. II, 644—646.
3) A. a. 0. S. 13; vgl. Dümmler, Poet. Gar. I, 412. Von dem Salz-
burger Baldo ist auch die aus Salzburg stammende Grazer Hs. 790 ge-
schrieben (s. oben S. 187), da sie nach Mitteilung Levisons auf der letzten
Seite (f. 238) die Inschrift hat :
Hunc humilis thomum Baldo craxare rogavit,
Cui rogo mercedem alt[i]thronus tribuat.
Eine ähnliche Inschrift hat die aus Tegernsee stammende Münchener Hs.
18524 b, s. B. Pez, Thesaur. I p. XV; Catal. codd. Latin. Monac. II, 3, 170.
M. Enneccerus, Die ältesten Sprachdenkm. Taf. 8.
•') 0 Roma nobilis S. 336.
Salzburg. Gregor von Utrecht. 293
zelnen Sut'tragane gaben, wie es scheint, verschiedenen Hallen ihren
Namen , deren Wände mit Darstellungen ihrer Bischofsitze ge-
schmückt sein mochten, und hier waren auch Verse über die Folge
dieser Bischöfe angebracht, welche aber bei Passau und Sehen nicht
vollständig ausgeführt sind').
§ 17. Sachsen. Münster, Bremen, Hamburg.
J. H. Gall6e, Altsächs. Spvaclulenkmäler, Leiden 1891 (Einleit. u. Tafeln). Val. Rose,
Verzeiclin. der lat. Hss. der kün. Bibl. zu Berlin II, l, B. 1901.
Als Sturmi zuerst in Hersfeld sein neues Kloster gründen wollte,
verwarf Bonifaz diesen Vorschlag wegen der Nähe der heidnischen
Sachsen. Karl aber zog auch dieses Volk in den Kreis der christ-
lichen Bildung, und wie gewaltsam immer die neue Pflanzung be-
gründet wurde, sie schlug doch bald starke Wurzeln, und die Söhne
der Bekehrten gaben sich bereits mit regem Eifer der neuen Lebens-
richtung hin. Lange schon hatten die Angelsachsen sich danach
gesehnt, hin und wieder auch versucht, ihren alten Stammesbrüdern
das Evangelium zu bringen ; jetzt drangen sie unter dem Schutze
Karls vor, und pflanzten den Baum der neuen Lehre, der in dem
frischen Erdreiche bald kräftig und segensvoll gedieh.
Einer der hervorragendsten unter ihnen war Liudger, von
Geburt zwar ein Friese, aber ein Schüler der angelsächsischen
Glaubensboten. Er selbst hat uns in dem Leben seines Lehrers,
Gregor von Utrecht^), die Werkstatt geschildert, wo ein grofser
Teil der Lehrer für das Sachsenvolk ausgebildet wurde; ergänzt
werden seine Nachrichten durch seine eigene Lebensbeschreibung
von Altfrid.
Liudgers Grolsvater Wursing, ein reicher und vornehmer Friese,
hatte sich, von Radbod vertrieben, zu den Franken geflüchtet und
die Taufe angenommen ; als dann Karl Martell nach der Besiegung
des Landes das Bistum Utrecht begründete, siedelte er auch Wursing
^) Versus de ordine comprovincialium episcoporum, Arch. d. W. A. XXII,
283—285. MG. SS. XIII, 341—343. Poet. Car. II, 637—648 mit anderen
Versen der Sammlung. Vielleicht rühren jene aus Karls d. Gr. Zeit her,
und wurden nur fortgesetzt; dann hätten wir Erneuerung älterer Dar-
stellungen anzunehmen. Ueber die damit verbundenen Kalendergedichte
s. Riegl in den Mitteil, des Instit. X, 37—40.
2) Erste kritische Ausgabe von Holder-Egger, SS. XV, 63—79. Uebers.
V. Grandaur, Geschichtschr. 14, nach V. WilHbrordi. — Vgl. Ebert TI, 106
bis 108. Hauck II, 344—348. — Die Liudger bei Rettberg I, 333 zuge-
schriebene V. Bonifacii ist Mifsverständnis der Stelle V. Liudg. II, 6
über die in der V. Gregorii enthaltenen Nachrichten von Bonifaz.
294 ^I- Karolinger. § 17. Sachsen.
mit den Seinen dox't an, und an ihnen fand Willibrord die kräftigste
Stütze. Nach Willibrords Tode nahm Bonifaz sich des verwaisten
Bistums an; dann ward es der Pflege Gregors übergeben, der lange
Zeit ein treuer Begleiter und Gehilfe seines Lehrers Bonifaz gewesen
war und nun als Abt dem Martinstifte vorstand. Die bischöflichen
Geschäfte versah neben ihm der Angelsachse Aluberht. Dieser war
wie so viele seiner Landsleute zur Mission gekommen, und kehrte
auf Gregors Wunsch mit Utrechter Geistlichen heim nach York, wo
er 767 vom Erzbischof Aethelberht ad Ealdsexos zum Bischof ge-
weiht wurde, mit ihm Liudger zum Diaconus. Durch diese Ver-
bindung sind, wie K. Pauli nachgewiesen hat, Nachrichten über Karls
des Grofsen Sachsenkriege, dann auch durch Alcvin andere nicht
unwichtige Angaben, in die nordenglischen Annalen gekommen').
Liudger hatte sich, wie mehrere \on Wuisings Nachkommen,
der Kirche gewidmet, er genofs schon damals Alcvins Unterweisung,
und kehrte später dieses Unterrichtes wegen noch einmal nach York
zurück, bis ihn nach drei Jahren und sechs Monaten ein Streit zwischen
den Friesen und Angeln nötigte, nach Utrecht heimzukehren, wo
Gregor zahlreiche Schüler aus allen deutschen Stämmen, nach Liud-
gers Angabe auch Sachsen, um sich versammelte. Unter Gregors
Neffen und Nachfolger Alberich war die Leitung dieser Schule in
solcher Weise verteilt, dafs abwechselnd Alberich selbst, Liudger,
Adalgar und Thiatbrat'), jeder ein Vierteljahr, derselben vorstanden.
Die übrige Zeit verwandten sie auf die Seelsorge und die weitere
Ausbildung des Volkes. Der Aufstand der Sachsen unter Widu-
kind 782 brachte auch in Friesland das Heidentum wieder zum
Siege, und Liudger begab sich damals nach Montecassino, dessen
') S. R. Pauli, Karl d. Grofse in northumbrischen Annalen, Forsch.
XIL 137—166. 441. Vgl, L. Theopold, Krit. Untersuchungen über die
Quellen zur angels. Gesch. d. 8. Jahrhunderts (Lemgo 1872) S. 102. R.
Pauli hat in d. Gott. Nachr. 1878, S. 1 — 15, neben den nordengl. Nach-
richten andere aus Winchester nachgewiesen; nach der Eroberung sind
auch die Sanctgalliseh-Kölner Annalen über die Normandie nach England
gekommen. Excerpta ex Ann. Anglosaxonicis von Pauli, SS. XIII, 92 ff.
Ch. Plummer gab heraus Two of the Saxon chronicles, I. II 1892. 1899,
vgl. Liebermann im Arch. für das Stud. der neueren Sprachen u. Litter.
CIV. — Gegen Hahns Hypothesen, Forsch. XX, 55.3—569, W. Diekamp,
ib. XXII, 425—432.
^) Dieser scheint der Besitzer des später nach Lorsch gekommenen
Wiener Livius gewesen zu sein, nach der Inschrift: „Iste codex est Theat-
berti episcopi de Dorostat". Nach Gitlbauer wäre er Vorsteher der Kirche
zu D. gewesen und nach dem damals noch schwankenden Gebrauche
Bischof genannt, weil er bischöfliche Rechte übte. Denselben hält G.
für den Nachfolger Alberichs , der Theodard genannt wird. Gitlbauer
de cod. Liv. (Vind. 1876) p. 2—21, vgl. Hauck II, 355 A. 5.
Das Bistum Utrecht. Liudger. Liafwin. 295
klösterliche Einrichtung er später auf seine Stiftung Werden Über-
trag. Karl der Grofse aber vertraute ihm die geistliche Leitung von
fünf friesischen Gauen an und verband damit im Anfange des
neunten Jahrhunderts das neu errichtete Bistum Mimigardeford in
Westfalen, für welches seit dem 11. Jahrhundert der Name Münster
an Stelle jenes heidnischen üblich wurde. Am 30. März 804 geweiht'),
wirkte er hier für die Befestigung der neuen Lehre bis zu seinem
Tode am 26. März 809.
Die von ihm verfafste Biographie Gregors ist in dem gewöhn-
lichen Legendenstile geschrieben, aber die hergebrachten Phrasen
sind hier von wirklicher Wärme erfüllt, von inniger Liebe zu seinem
Lehrer und einer kindlichen Demut, wo er seines eigenen Wirkens
gedenkt. Es finden sich darin einige schätzbare Nachrichten über
Bonifaz sowie über das Bistum Utrecht; geschichtlicher Sinn zeigt
sich jedoch wenig, es kommen arge Fehler vor, und auch die Sprache
ist schwerfällig und gesucht. Als Geschichtsquelle ist Liudgers
eigenes Leben von Altfrid^) weit vorzuziehen, obgleich auch dieses
von dem Verfasser, Liudgers Verwandtem und zweitem Nachfolger
(839 — 849), auf Bitten der Mönche von Werden zunächst zum Zwecke
der Erbauung geschrieben wurde. Die Darstellung ist einfach und
ansprechend, und die ganze Missionsthätigkeit tritt hier mit beson-
derer Anschaulichkeit uns entgegen. Noch in demselben Jahrhunderte
wurden in Werden zwei neue Bearbeitungen der Vita verfafst. Auch
von Altfrids Vorgänger Gerfrid hat man eine Biographie gehabt,
von welcher aber eine Erwähnung in der Bistumschronik die einzige
Spur ist^). Altfrids Nachfolger Liutbert, ein geborner Lothringer
(t 871), war vielleicht der Bischof Leutbert, welchem Sedulius
eine sapphische Ode gewidmet hat^).
Dem Kreise dieser Männer gehöi't auch Liafwin oder Lebuin
an, ein Angelsachse, der zu Gregor nach Utrecht kam und sich, nach-
^) Diekamp im Hist. Jahrbuch V, 257. Ueber Liudger vgl. Hauck II,
349 ff. 406—408.
-) V. IJudgeri aiict. Altfrido ed. Pertz, MG. II, 403—425 mit Zusätzen
und Mirakeln aus den späteren Biographieen. Vitae S. Liudgeri ed.
Diekamp, 4. Bd. der Geschichtsquellen d. Bist. Münster, 1881, mit Be-
nutzung des von Pertz nicht verglichenen Cod. Vossianus. Uebersetzung
bei Hüsing, Der h. Liudger, Münster 1878, S. 174—200, und Pingsmann,
Der h. Ludgerus, Freiburg 1879, S. 199—228; von Grandaur bei V. Willi-
brordi. Vgl. Ebert II, 888. — Catal. abb. SS. XIII, 288.
^) Diekamp, Vitae Liudgeri, p. XXI. Anm. 1. Zu unterscheiden ist
ein älterer Gerfrid, welcher eine Bibel schreiben liefs, deren Widmungs-
verse sich erhalten haben, Poet. Car. I, 285.
^1 Dümmler, Sedulii Scotti Carmina XL p. 28. Poet. Car. III, 219.
296 n- Karolinger. § 17. Sachsen.
dem er eine Zeit lang an der Yssel gewirkt hatte, nach Sachsen begab,
wo er auf dem Landtage zu Marklo unerschrocken das Christentum
verkündete. Seine Legende, welche besonders durch die Nachricht
über diese Landtage und die Verfassung der Sachsen merkwürdig
ist, wurde jedoch erst am Anfange des zehnten Jahrhunderts von
Hukbald von St. Amand verfafst, nicht in Münster, dessen wir
nach diesen so viel versprechenden Anfängen nicht wieder zu ge-
denken haben werden').
üeber die Stiftung des Klosters Werden an der Ruhr ist eine
eigentümliche Aufzeichnung vorhanden, welche trügerisch zwei Be-
gleitern Liudgers in den Mund gelegt, in den wesentlichen That-
sachen aber richtig und in ihrem ältesten Teile vielleicht schon um
die Mitte des 9. Jahrhunderts geschrieben ist, als nach Altfrids Tode
die Familie des Stifters vom Bistum abkam und die Unabhängigkeit
des Klosters bedroht war^).
Ein anderer Angelsachse war Will eh ad aus Northumberland,
der ebenfalls seine Missionsthätigkeit in Friesland begann und 780
von Karl dem Grofsen über den Gau Wihmodia gesetzt wurde. Auch
ihn vertrieb der Aufstand Widukinds 782, dem ein grofser Teil seiner
Schüler und Gehilfen zum Opfer fiel. Er selbst flüchtete nach Fries-
land und pilgerte nach Rom; dann lebte er eine Zeit lang in stiller
Zurückgezogenheit in Echternach; Karl aber rief ihn nach der Be-
siegung der Sachsen zu seiner früheren Thätigkeit zurück und erhob
ihn 787 zum Bischöfe von Bremen, wo er am 8. November 789
gestorben ist. Sein Leben ^) ist in einer kurzen und einfachen Dar-
') Ueber Lebuin s. Hauck 11, 348 — 349. Zu diesem Kreise gehört
auch die Legende über die Stiftung des Klosters Freckenhorst oder
VHa S. Thiadildis, ed. Jo. Gamans, Acta SS. Jan. II, 1156—1160 (Kind-
linger, Münst. Beitr. II, 9; deutsch in Dorows Denkm.), welche aber erst
im 15. Jahrhundert aufgezeichnet und von geringem Werte ist. Vgl.
Wilmans, Kaiserurkunden der Provinz Westfalen I, 416. W. Diekami),
Forsch. XXIV, 629—653.
^) Fundatio monasterii Werthinensis bei Ficker, Die Münsterisclien
Chroniken (1851) S. 352—355. Diekamp, Vitae Liudgeri, p. 286—294,
mit neuen Hilfsmitteln ; vgl. AI. Schulte, Mitteil. II, 637. Diekamp in
d. Zeitschr. f. Westf. Gesch. u. Alt. XLI, 148 — 164, u. Erläuterung einer
Urk. K. Arnulfs, Mitteil. d. Inst. V, 622. Ausg. v. Waitz MG. SS. XV,
164 — 168. — Eine von Liudgers Neffen Hildegrimus diaconus, 853 — 888
Bischof von Halberstadt, geschriebene Hs. NA. X, 336. Brief Hildegrims II.
an den Probst Reginbert von Werden aus dem J. 876/877, Erhard, Cod.
diplom. Westfaliae 1. Epp. VI, 194—195. Wilmans, Kaiserurk. I, 220.
Vgl. W. Effmann, Die karoling.-ottonischen Bauten zu Werden I, Strafs-
burg 1899.
2) F. Willehadi auct. Anskario ed. Pertz, MG. SS. II, 378—390. Ueber-
setzt von Laurent, 1856. 1888. Geschichtschr. 14 (VIII, 3). Hs. in einem
Werden. Willchad. Anskarius. 297
Stellung beschrieben, welche von seinem berühmteren Nachfolger
Anskarius, dem Apostel des Nordens, verfafst sein soll, wie
Adam von Bremen berichtet. Doch hat G. Dehio') darauf auf-
merksam gemacht, dafs die beiden Bücher (Vita und Miracula) nicht
von einem Verfasser sein können, und nur das zweite von Anskar
sein wird. Er hat ferner nachgewiesen, dafs die einzigen chrono-
logisch bestimmten Nachrichten 787 und 789 wörtlich ebenso im
Chron. Moissiacense stehen, einige Worte über Widukind aber nicht
nur da, sondern auch in den Ann. Laureshamenses. So ergibt sich
auch hieraus, dafs dem Chron. Moissiac. ein vollständigerer Text der
Ann. Lauresham. vorgelegen hat; die Herkunft der besonderen
sächsischen Nachrichten aber vermutet Dehio in einer Aufzeichnung,
welche auch in den von Adam angeführten liber donationum
Bremensis ecclesiae aufgenommen sein möchte, ein Buch,
welches nach V. Ansk. c. 41 von Anskar angelegt sein dürfte. Simson
dagegen, Forsch. XIX, 134, nimmt einfach die Lauresham. in voll-
ständigerer Form als Quelle.
Wir gedachten schon oben der grofsartigen Idee Kaiser Karls,
an den äufsersten Grenzen seines Reiches Metropolen zu errichten,
welche das Christentum weit über die Marken hinaus tragen und
den geistlichen Einflufs des Kaisertums dahin erstrecken sollten,
wo man seine Waffen nicht mehr fürchtete. Das Heidentum war
der christlichen Kirche unversöhnlicher Feind, es hing genau zu-
sammen mit der alten freien Gemeindeverfassung, und aus beiden
entsprangen die unablässigen Raubzüge, von denen die germanischen
Nationen jetzt abgelassen hatten, vor denen sie nun aber in ihren
gefährdeten Grenzen keine Ruhe fanden, bis die Ausbreitung des
Christentums dem alten Unwesen ein Ende machte.
Hamburg war dazu bestimmt, der kirchliche Mittelpunkt des
Nordens zu werden-). Ludwig achtete nicht sogleich auf den un-
ausgeführt gebliebenen Gedanken seines Vaters ; als aber der flüchtige
Dänenkönig Harald die Taufe verlangte und Anskarius oder
Ansgarius, der ihn als Lehrer der Seinen begleitete, bald auch
auf Schweden seine Wirksamkeit ausdehnte, da lebte der alte Plan
alten Sanctgaller Catalog, NA. X. 169. Ebert II, 340. Hauck II. 350
bis 352.
^) G. Dehio, Gesch. des Erzb. Hamburg-Bremen bis zum Ausgang der
Mission (Berl, 1877) Ib S. 51 — 53. Alcvin läfst 789 „dilectissimum meum
Uilhaed episcopum" grüfsen, ep. 13 JafFe. Epp. IV, 31.
-) Rimberts bestimmte Angaben über Karls Absicht zu bezweifeln,
sehe ich keinen Grund, wenn auch zuzugeben ist, dafs sie keine völlig
genügende Sicherheit gewähren.
298 II- Karolinger. § 17. Sachsen.
wieder auf und Anskar wurde 831 zum Erzbischofe von Hamburg
geweiht. Doch fehlte Karls starke Hand zum Schutze der neuen
Schöpfung, welche dem in Dänemark und Schweden neu ei'starkten
Heiden tume gegenüber keine erhebliche Wirksamkeit gewinnen konnte.
Die Reichsteilung entzog Anskar die Einkünfte der ihm angewiesenen
Zelle Turholt in Flandern, und 845 wurde Hamburg selbst von den
Dänen verwüstet^), eine Zerstörung, welche Kunik (mit Adam von
Bremen) schon in der zweiten Hälfte des Jahres 839 stattfinden
lassen will. Da vereinigte Ludwig der Deutsche 847 das ei-ledigte
Bistum Bremen mit dem Erzbistum und sicherte dadurch dessen
Bestand. Anskarius konnte nun mit ausreichenden Mitteln seine
Wirksamkeit fortsetzen und starb nach einem Leben voll rastloser
Thätigkeit am 3. Februar 865.
Einst hatte er in seiner Zelle Turholt in Flandern einen Knaben
bemerkt, der ihm besonders hoffnungsreich erschien; es war Rimbert,
den er zum Geistlichen erziehen liefs, und der dann bald als sein
treuester und liebster Jünger sein unzertrennlicher Gefährte, zu-
letzt sein Nachfolger, wurde. Dieser ist es, der mit einem andern
Schüler Anskars zusammen ") in Hamburg das Leben des Meisters
bald nach dem Tode desselben geschrieben hat^), voll warmer und
inniger Liebe, zugleich aber reicher an Inhalt, als die Mehrzahl der
übrigen Biographien ähnlicher Art. Anskars Leben gehört ohne
Frage zu den bedeutendsten Quellenschriften des Mittelalters; die
^) Fr. Karl Kraft, De Ansgario aquilonarium gentium apostolo (kl.
Schulschriften, Stuttg. 1843) vermutet, dafs das inzwischen wieder er-
baute castellum 845 zerstört worden sei, und bezieht die Worte „unde
digressi" bei Prudentius 845 auf die Sachsen.
2) Diese Angabe der V. Rimb. c. 9 bekämpft Koppmann, Die mittel-
alterlichen Geschichtsquellen in Bezug auf Hamburg (1868) S. 25. 86 — 38.
Doch scheint mir der Verfasser jener Vita noch eine bestimmte Ueber-
lieferung gehabt zu haben, und eine Ungleichheit im Stile braucht des-
halb nicht hervorzutreten.
3) V. Rimb. c. 9. Adam Br. I, 36. V. Änskarii, MG. II, 683—725,
herausgegeben von Dahlmaun, der in den Anmerkungen leider noch das
unechte Chron. Corbejense benutzt hat. Oktavausgabe v. Waitz 1884;
vgl. die Bemerkungen von Kunik. Forsch. XXIV, 191—197 (der das in
c. 30 erwähnte Apulia in dem heutigen Apule oder Opule im Nordwesten
des Kownoschen Gouvernements wiederfinden will). Ueber eine ehemals
dem Kloster Nordhorn gehörige Hs. der V, Änskarii s. Hist. Jahrb. XV,
373. Uebersetzt von Laurent, 1856. 1889. Geschichtschr. 22 (IX, 7).
Ueber die neueren Bearbeitungen s. H. A. Schumacher im Brem. Jahr-
buch II, 444—468, und jetzt ausführlich über diese und über A. über-
haupt G. Dehio a. a. 0. Ebert II, 341— .343. Anskars Pigmenta (Gebete
zu den Psalmen) hat Lappenberg herausgegeben. Zeitschr. f. Hamb.
Gesch. II, 1 £F. Vgl. Koppmann, AUg. D. Biogr. I, 480—483. Hauck
[I, 673—685. H. von Schubert, Ansgar, Kiel 1901.
Anskarius und Rimbert. 299
ganze reiche Wirksamkeit des glauben sstai-ken Erzbischofs, das volle
Bild seiner grofsartigen, kindlich demütigen und doch so verstän-
digen Persönlichkeit tritt uns lebensvoll darin entgegen, und über
die Zustände des Nordens verbreiten die einfachen und zuverlässigen
Aufzeichnungen Rimberts das erste Licht. Dafs auch Träume, Visionen,
Wunder einen grofsen Raum darin einnehmen, liegt in der Natur
der Verhältnisse; geschrieben wurde das Buch für die Mönche des
Klosters Corbie, aus dem Anskar hervorgegangen war, dessen Mönche
ihn begleitet hatten, und diesen lag mehr daran, ihren grofsen Kloster-
bruder als einen Heiligen geschildert zu sehen, als von den nordischen
Heiden genaue Nachrichten zu erhalten. Man darf es bei der Be-
urteilung dieser Litteratur nie vergessen, dafs, was wir am meisten
darin zu finden wünschen, gewöhnlich von den Verfassern wie von
den Lesern als Nebensache betrachtet wurde.
Hier aber brachte es die ganze Art der Thätigkeit Anskars mit
sich, dafs auch die äufseren Verhältnisse, in denen er sich bewegte,
geschildert werden mufsten, und uns zum Glücke hat Rimbert vieles
von dem, was er berichtet, selbst mit durchlebt und gesehen. Dai'um
reiht sich dieses Leben an Fülle dem früheren Severins, dem späteren
Ottos von Bamberg an. Unbedeutend dagegen ist des wackeren
Rimbert eigene Lebensbeschreibung 0, von unbekanntem Verfasser.
Geschrieben ist sie zu Lebzeiten seines Nachfolgers Adalgar, Erz-
bischofs von 888—909.
Eine fabelhafte Legende läfst die Gebeine der in der Normannen-
schlacht am 2. Februar 880 gefallenen Sachsen, die man als Märtyrer
zu verehren anfing, von dem Kloster Ebstorf in der Lüneburger
Heide nach Hamburg übertragen werden.' Zu dieser angeblichen
Translation (Leibn. SS. I) sind Supplemente gegeben im Catal. codd.
hagiogr. Brux. II, 122 — 124. Merkwürdig ist, dafs, als drei weitere
Köpfe gebracht werden, die andern „laudem quae vulgo herwis
dicitur" sangen.
§18. Fortsetzung. Corvej. Gandersheim.
In Fulda, wie in Friesland, in Münster und Bremen, waren es
Angelsachsen, welchen die Grundlagen der neuen Entwickelung
^) F. Rimberti ed. Pertz, MG-. II, 764—775. Ausg. von Waitz mit der
V. Anskarii. Uebersetzt von Laurent 1856. 1889 mit Anskars Leben.
Ebert III, 193—195. Brief von Ratramnus an Rimbert über die Hunds-
köpfe in Hilgenfelds Zeitschr. f. wiss. Theol. 1881. Ein zweiter bei Wil-
mans Kaiserurkk. I. 566, beide Epp. VI. 155—158.
300 II- Karolinger. § 18. Corvey. Gandersheim.
verdankt wurden; bei Anskar aber war ein solcher Einflufs nicht
nachzuweisen. Von Kindheit an im Kloster Corbie an der Somme
erzogen, übernahm er dort schon früh die Leitung der Kloster-
schule und wurde dann der erste Vorsteher der Schule in dem neu
gegründeten Tochterkloster Corvey in Sachsen.
Diese Stiftung war eine Frucht der nicht blofs äufserlich durch
Zwang und Eroberung, sondern auch innerlich vollzogenen Einigung
des fränkischen und des sächsischen Stammes. Schon König Pippins
Bruder Bernhard hatte eine sächsische Gemahlin und Bernhards
Söhne, Adalhard und Wala, nahmen sich eifrigst der Bekehrung
und Belehrung ihres Volkes an.
Adalhard hatte Karls Hof verlassen, als dieser die Tochter
des Königs Desiderius verstiefs, war in Corbie Mönch geworden,
und weil hier die Besuche seiner vornehmen Verwandten die klöster-
liche Ruhe störten, nach Montecassino entwichen. Aber Karl rief
ihn von da zurück; er wurde Abt von Corbie und mufste von
neuem an den Reichsgeschäften teilnehmen. Namentlich hat er
längere Zeit hindurch eine sehr bedeutende Stellung in Italien ein-
genommen. Wala aber war, als Karl starb, über Sachsen gesetzt.
Karl wünschte aus den Sachsen selbst Lehrer des Christentums
zu erziehen, und deshalb hatte er gefangene und als Geiseln über-
geben e Sachsenknaben in verschiedene Klöster verteilt; viele derselben
waren Adalhards Obhut in Corbie übergeben, und dieser gedachte in
Sachsen selbst ein Kloster zu gründen, aber seine Sendung nach
Italien verhinderte die Ausführung. Als Ludwig zur Regierung kam
und mit dem kleinlichsten Hasse die Staatsmänner seines Vaters
verfolgte, wurde Adalhard nach Noirmoutiers verbannt'), Wala aber
Mönch in Corbie. Dieser betrieb nun mit dem gröfsten Eifer die
Stiftung eines Klosters unter dem Volke, dem er durch seine Mutter
angehörte; schon 815 wurde zu Hethis im Solling') eine Zelle erbaut,
aber der Ort war ungünstig und das neue Kloster fing erst an zu
gedeihen, als Adalhard wieder Einflufs gewonnen hatte und Kaiser
^) Dort liefs er die Historia tripartita abschreiben: „Hie codex Hero
insula scriptus fuit iubente sancto patre Adalhardo dum exularet ibi".
Mab. de re dipl. tab. V. Jetzt ist die Hs. in Petersburg, NA. V, 248 ;
eine andere S. 252. Adalhards Statuten von Corbie herausg. von Levillain.
Moyen äge 2. ser., IV, .383. — Ein prächtiges, auf Befehl Rodrads von
Corbie 853 für B. Hilmerad von Amiens geschriebenes Sacramentar be-
schreibt Delisle, Sacram. p. 128. Poet. Car. II, 677. 678.
^) Dahin gehört das in Pfeiffers Germania XIII, 77 — 80 e cod. Vat.
gedr. Mönchsverzeichnis s. IX. nach Enck in der Zeitschr. f. vat. Gesch.
Bd. 37, S. 212—218, Münster 1879.
Adalhard und Wala. 301
Ludwig 822 die Stiftung und den Neubau auf dem Königshofe
Höxter gestattete '). Hier erblühte nun die neue Corbeja, wohin
auch Anskar damals als Lehrer ging, rasch und kräftig; nach Adal-
hards Tode (2. Januar 826) wurde Warin-) zum Abt erwählt. Auch
er hatte bereits das Schwert geführt und es erst im späteren Alter
mit der Mönchskutte vertauscht. Lu Jahre 830 empfing er in
seinem Kloster einen vornehmen Gast, Hildvin, den Abt von St. Denis,
der nach Corvey verbannt war. Die liebevolle Aufnahme, welche
dieser bei Warin fand, dankte er ihm später nach seiner Rückkehr
durch ein kostbares Geschenk, den Leib des heiligen Veit, der 836
nach Corvey gebracht und hinfort als der Hort und Schutz des
sächsischen Volkes betrachtet wurde.
Ueber diese Ereignisse berichtet uns ein ungenannter Mönch von
Corvey in der Erzählung von der Uebertragung des heiligen
Veit^), der er selbst beigewohnt hatte. Es kann wohl, obgleich
Jaffe es nicht gelten lassen wollte, nicht zweifelhaft sein, dafs dem
Berichte von der Uebertragung und den Wundern die Erzählung der
Stiftung des Klosters erst nachträglich vorangestellt ist, doch ver-
mutlich von demselben Verfasser oder mindestens einem Zeitgenossen.
In Corbie dagegen schrieb Radbert, mit dem Beinamen Paschasius,
einer der bedeutendsten unter den gelehrten Theologen dieser Zeif),
') So Simson, Ludw. d. Fr. II, 2f)6. Wilmans Kaiserurkunden I.
463 ff., scheint der Y. Adalhardi zu viel Glauben geschenkt zu haben,
und überschätzte Alter und Autorität der Fundatio Corbejcnsis, gedr. ib.
T, 507. Vgl. Kodenberg. Die Vita Walae, S. 97—104. Gegen beide
verwirft Holder-Egger in der neuen Ausg. SS. XY, 2, 1043 — 1045 die
Annahme einer älteren Gründungsgescliichte , er sieht in der 2. Form
nur eine Erweiterung der ersten. Diese, kurz vor 1158 geschrieben,
wurde zu den Zusätzen zu Thietmar benutzt, welche der Annalista Saxo
aufnahm. Vgl. NA. XIX. 252.
^) Ihm (Placidius) widmete Paschasius Radbertus zwei seiner Schriften,
Ebert II, 232. 235. Epp. VI, 132.
^) Historin Tramlationis S. Viti ed. Papebroch, Acta SS. Jun. II, 1029
bis 1037. Pertz MG. II. 576—585 wiederholte die ältere Ausgabe
Mabillons, welcher der Prolog fehlt; Handschriften fehlen. Neue kritische
Ausgabe von Jaffe, Bibl. I, 1 — 26. üebers. v. Grandaur 1888 nach V.
Eigilis. Vgl. Enck, De S. Adalhardo abb. (Diss. Monast. 1873) S. 60:
Translatio S. Viti quo tempore scripta quaeque ei fides tribuenda esse
videatur. Ebert II, 336-338; Hauck III, 297. Der Verfasser hat die V.
Adalhardi schon benutzt. Späten Ursprungs und kaum brauchbar ist
S. Justini translatio Roma Corbejam 891, wozu 949 sein Kopf von Magde-
burg kam, ed. Meibom SS. I, 769; cfr. Acta SS. Aug. I, 33.
*) Seine Briefe Epp. VI, 132—149. Dümmler, NA. IV, 301-305.
Ebert II, 230—244; ib. 244—247 über Ratram, Mönch von Corbie. Epitaph
des Abts Ratold (986) NA. V, 622. — V. Pascasii liadberti aus dem 12.
oder 13. Jahrhundert ed. Holder-Egger, SS. XV, 452—454.
302 II- Karolinger. § 18. Corvey. Gandersheim.
aus einer trüben Gegenwart heraus das Leben der grofsen Brüder
Adalhard und Wala, jedoch so übei-laden mit rednerischem Schmucke,
dafs die Thatsachen nur mühsam herauszufinden sind. Adalhards
LebenO ist bald nach seinem Tode, noch bei Lebzeiten des Wala
geschrieben; es ist eigentlich nur eine Totenklage, nach Traubes
Vermutung mit dem Rotulus an die verbrüderten Klöster versandt,
und nachträglich, als Wala nicht, wie er gewünscht, Abt von Corvey
geworden war, mit Zusätzen versehen. Die hinzugefügte Egloga,
ein Wechselgesaug der alten und der neuen Corbeja, ist ohne die
Vita unverständlich und gehört notwendig dazu. Schwülstiger und
schwer verständlich ist das sogen. Leben des Wala^) (f 836),
richtiger Epitaphium Arsenii, welches, vielleicht aus Nachahmung
des Cicero^) in Gesprächsform verfafst, aus Furcht vor Karl dem
Kahlen die Namen und Dinge durch Verschleierung in absichtliche
Dunkelheit hüllt; aufserdem war der Verfasser nichts weniger als
unbefangen und folgte zur Verherrlichung seines Helden und zur
Erbauung seiner Leser, wie billig, kirchlichen Gesichtspunkten,
politische lagen ihm ferner, aber er ist doch z. T. als Augenzeuge
auf das genaueste unterrichtet und sein Werk bleibt daher, richtig
verstanden, eine der wichtigsten Quellen, namentlich für die Jahre
830—834.
Natüi-lich begannen schon unter Adalhard Schenkungen dem
neuen Kloster zuzuströmen; diejenigen Traditionen, über welche
eigene Urkunden nicht ausgestellt waren, was damals noch selten
geschah, wurden bis 1037 unter Abt Druthmar auf eine Rolle ge-
schrieben und von dieser durch den Bruder Johannes abgeschrieben.
Es begegnete ihm aber dabei das Unglück, dafs er mit der Rück-
seite anfing, weshalb die ältesten Traditionen unter Adalhard erst
§ 225 beginnen^).
1) Acta SS. Jun. I, 96—111. Mab. IV, 1, 308—344. Excerpte MG. II,
524 — 532. Die Egloga mit anderen Versen Radberts ed. Traube, Poet.
Gar. III, 38—53. 746—747; vgl. dens. 0 Roma nob. S. 310—312. Vgl.
Hauck II, 172—174.
2) Mab. IV, 1, 455—522. Excerpte MG. II, 533—569. Radberts Epi-
taphimn Arsenii, herausg. von Dümmler, Abhandl. der Berl. Akad. von
1900 mit Schrifttafel (vgl. NA. XXVII, 291). Vgl. Himly, Wala et Louis
le Deboimaire, Paris 1849. C. Rodenberg, Die Vita Walae als bist. Quelle,
Gott. 1877. Anspielungen auf Zeitgeschichte auch in Radberts Bibel-
commentaren. — Gedichte des Engelmod von Corbie, Bischofs von
Soissons (862—864), ed. Traube, Poet. Gar. III, 54—66. 747.
3) Nach Traube, Poet. Gar. III, 42.
*) Nachgewiesen von H. Dürre, Ueber die angebliche Ordnungslosig-
keit und Lückenhaftigkeit der Traditiones Corbejenses, im Progr. d. Gymn.
in Holzminden, 1877, u. Zeitschr. f. Westf. Gesch. Bd. 36, II, 164—185.
Wala. De ovd. palatii. Translationen, 303
Verloren sind uns leider Adalhards Briefe, und nur in einem
Auszuge Hinkmars erhalten seine Schrift über die Hof Ordnung
Karls des Grofsen^), welche auch so noch zu den lehrreichsten
Denkmälern dieser Zeit gehört, deren Zuverlässigkeit aber durch
die Ueberarbeitung ungewifs geworden ist. Hinkmar war nän:lich
damals aus seiner einfluFsreichen Stellung verdrängt und sehr un-
zufrieden; er kämpfte vergeblich für die Unabhängigkeit der Bischofs-
wahlen und klagte über den ungeordneten Einflufs von Günstlingen.
Deshalb stellte er hier Karlmann, dem Sohne Ludwigs des Stammlers,
882 ein ideales Bild der guten alten Zeit vor Augen. Mit der Wahr-
heit nimmt Hinkmar es auch sonst nicht eben genau, und Vorsicht
ist daher dringend geboten. Im allgemeinen aber entspricht die
Darstellung den wirklichen Verhältnissen, wie sie uns, freilich un-
vollkommen genug, aus Karls Zeit bekannt sind.
Das Andenken Walas hat sich, wie R. Wilmans sehr scharf-
sinnig nachgewiesen hat, in dem Nonnenkloster Herford, einer
von dei-selben Familie ausgegangenen Stiftung, erhalten. Man nannte
ihn Walder oder Waltger und Wigand, ein Landpfarrer, viel-
leicht von Kirchdornberg, schrieb im 13. Jahrhundert seine Legende,
in welcher freilich von der wirklichen Geschichte nur noch schwache
Spuren geblieben sind')-
Das Leben der I d a , der Mutter Warins (welche Verwandtschaft
aber sehr zweifelhaft ist), ist erst auf Anlafs ihrer Erhebung 980
durch den Bischof Dodo von Münster unter Abt Liudolf von üffing,
einem Werdener Mönche, geschi'ieben und erscheint wenig glaub-
würdig^).
Einige Nachrichten über diese ersten geistlichen Stiftungen im
Sachsenlande sind uns ferner noch erhalten in den Berichten über
Eine grössere Lücke zwischen beiden Hälften erwies Mart. Meyer, Zur
alt. Gesch. Corveys S. 1—10. Ausgabe von Wigand 1843. Wertvolle
Erläuterungen gibt E. Schröder, Mitteil. d. Inst. XVIH (1897), 27—52.
^) Hincmari epistola de ordine palatii, gedr. u. a. in Walters Corp.
Jur. Germ. III, 761—772. Gengier, Germ. Rechtsdenkmäler, S. 692.
Migne CXXV. Ausg. v. Prou, Bibl. de l'Ecole des hautes etudes 58. 1884;
von Krause MG. Capitul. reg. Franc. II, 517—5.30 und einzeln 1894. Vgl.
Pernice, De Comitibus palatinis (1863) p. 47—50. C. v. Noorden, Hinkmar
S. 885. Waitz, Verfassungsgesch. III, 412.
2) Vita WaJtgeri, im Auszuge bei Heinrich von Herford. Neue, erste
krit. Ausg. bei R. Wilmans Kaiserurkk. I, 488—501 ; dazu S. 275—318
wichtige Untersuchungen über die merkwürdige Familie und ihre Stif-
tungen.
^) Erste zuverlässige Ausgabe von R. Wilmans a. a. 0. 469 — 488,
vgl. S. 539 flg. Ebert III, 463—465. Vgl. Hüsing, Genealogie der h. Ida,
Zeitschr. f. vaterl. Gesch. 38, Münster 1.880.
304 II- Karolinger. § 18. Corvey. Grandersheim.
die Erwerbung und Uebertragung der Reliquien, welche zu ihrem
Gedeihen nun einmal unerläfslich waren; so erhielt Herford 860
die heilige Pusinna^), Paderborn schon 836 aus Le Mans den
heiligen Liborius^); die Erzählungen davon sind aber erst gegen
das Ende des neunten Jahrhunderts verfafst, die letztere durch den
Bischof Biso, einen Zeitgenossen des Kaisers Arnulf, veranlafst,
während die uebertragung ein Werk des Bischofs Badurad war.
Ein gleiches Verhältnis beider Bischöfe begegnet uns darin, dafs zu
Badurads Zeit Mainulf, ein vornehmer Sachse, Kanonikus in
Paderborn geworden war und das Nonnenkloster Boeddeken
gestiftet hatte. Biso aber dessen Leib feierlich erheben liefs, ver-
mutlich auch eine Lebensbeschreibung veranlafste. Diese ist jedoch
verloren; wir besitzen nur eine Ueberarbeitung, welche von dem
Verfasser S i g e w a r d einem nicht näher bezeichneten Alb in us zu-
geeignet ist. Der Herausgeber C. Byeus vermutet in jenem den
Abt von Fulda (1039 — 1043) vor seiner Erhebung zur Prälatur,
wofür, wie Holder-Egger bemerkt, keinerlei Gründe vorhanden sind,
in Albin den berühmten Lehrer Albwin von Hersfeld, welcher 1043
Abt von Nienburg wurde. Die Sprache ist jener Zeit angemessen.
Reimprosa mit übertriebenem Streben nach Schönrednerei, durch
Brocken aus Horaz und Virgil geschmückt; es war nicht des Ver-
fassers Schuld, dafs ihm geschichtliche Thatsachen fast gar nicht
vorlagen, und die Wundergeschichten, welche er zu berichten hatte,
noch alberner waren als gewöhnlich ^).
Auch das Leben der heiligen Llutbirg"*), einer Klausnerin
zu Michaelstein unweit Blankenburg, die bis zu den Zeiten König
Ludwigs des Jüngeren (876 — 882) lebte und als Lehrerin der
weiblichen Jugend wirkte, gibt Kunde von dem Eifer, mit welchem
^) Translcäio S. Pimnnae, in berichtigtem Abdruck bei Wilmans a. a. 0.
541—546. Auszug SS. II, 681. Bei Henr. de Hervordia ed. Potthast p. 59
sind noch mehr Wunder.
2) Translatio S. Liborli, MG. SS. IV, 149—157. Uebers. von Grandaur
bei V, Eigilis. Vgl. Conr. Mertens, Der h. Liborius. Sein Leben, seine
Verehrung u. seine Reliquien. Paderborn 1873. Ebert III, 204 — 200.
Hüffer, Koi-veier Stud. 22 — 47. 51 — 55 sucht in nicht überzeugender
Weise Agius als Verfasser zu erweisen.
3) Vita S. Mainulfi ed. Corn. Byeus, Acta SS. Oct. III, 209—216.
Dann folgt die neue Bearbeitung, welche von Gobelinus Person (s. die
Ausg. des Cosmidrom. von Jansen S. XXXVII) verfafst ist, wie Holder-
Egger durch die Trierer Hs. sichert. Ausg. d. älteren Vita SS. XV,
411—417.
■») Bei A. Lang, De Sanctis 0. S. Benedicti. B. Pez Thes. II, 3, 146.
Eccard, Hist. genealog. princip. Saxoniae super, col. 525 — 548. MG. SS.
IV, 158—164 im Auszuge.
Mainulf. Liutbir^'. Corvey. 305
die Neubekebrten sich der Kirche zuwandten, und ist merkwürdig
durch die darin enthaltenen Angaben über die Nachkommen jenes
Hessi, des Fürsten der Ostfalen, welcher sich 775 Karl dem GroTsen
unterworfen hatte. Mancherlei Schwiei'igkeiten in dem Berichte
des Halberstädter Geistlichen , dem wir dies Leben verdanken,
namentlich der ^Yiderspruch zwischen der Eingeschlossenheit Liut-
bii'gs und ihrem anscheinend freien Verkehr mit der Aufsenwelt,
sowie Anspielungen auf erst später entstandene Gebäude, bewogen
Alb. Reinecke, zumal da die handschriftliche Ueberlieferung erst
dem 15. Jahrhundert angehört, diese Schrift der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts zuzuweisen '), dennoch bleibt gleichzeitige Ab-
fassung wahrscheinlicher.
In Corvey wurden zu Ostertafeln, die man zu Werden oder
Münster mit der dort gepflegten insularen Hand begonnen und mit
einigen Nachrichten bis 840 ausgestattet hatte, weitere zunächst
bis 879 hinzugefügt. Als Geschichtswerk kann man diese kurzen
Notizen nicht betrachten, und auch der materielle Inhalt ist für
die vorliegende Periode fast ohne Bedeutung^). Dagegen hat der
Abt Bovo I. (879 — 890), ein Neffe Warins, oder nach Wilmans
minder glaublicher Vermutung vielmehr Bovo II. (900 — 916), ein
Werk geschrieben , aus welchem Adam von Bi'emen (1 , 41) ein
wertvolles Bruchstück über die Normannenschlacht von 884 er-
halten hat^). Er führt es ein mit den Worten „de sui tem-
poris actis scribens non reticuit dicens", und danach möchte man
an ein W^erk über die Geschichte seiner Zeit denken, doch fällt
es auf, dafs nirgend sonst sich eine Spur davon findet, auch Adam
nur diese eine Anführung hat. Die Hauptsache ist das Verdienst
des Erzbischofs Rimbert, von welchem ein Brief über denselben
Vorfall in die Fulder Annalen aufgenommen war, aber leider
in unserer Handschrift ausgelassen ist. Adam bezeichnet den Vor'
gang als ein Wunder, und vielleicht waren Wundergeschichten der
^) Das Leben der heil. Liutbirg, Zeitschr. des Harzvereins XXX,
1—34, vgl. NA. XXIII, 582.
*) Annales Corbejense.f, MG. SS. III, 1 — 18; berichtigte Ausgabe von
Jaffe, Bibl. I, 28—65, wo 7 Notizen 809—840 als Ann. aiä Monaxterienses
mit Werthinenses ausgeschieden sind. Von anderer Hand sind Ann. Corb.
822 — 879 eingetragen, dann gleichzeitige Fortsetzungen 880 — 1117. Vgl.
oben S. 166. Zu warnen ist vor der Verwechselung mit dem unechten
Chron. Corbejense. Gröfseres Facs. mit den Veränderungen der Schrift
vom 7. bis 12. Jahrhundert in Wigands Arch. f. Gesch. Westf. V.
^) Abgesondert als Bovonis de sui temporis actis fragmentum, heraus-
gegeben von Jaffi-, Bibl. I, 27. vgl. Wilmans a. a. 0. S. 304, dagegen
Hauck III, 298 A. 4.
Wattenbach, Gesehichtsquellen. I. 7. Aufl. 20
306 iT- Karolinger. § 18. Corvey. Ganclersheim.
Inhalt des Werkes. Derselbe Bovo IL zeichnete sich durch seine
Kenntnis des Griechischen aus und erregte allgemeines Erstaunen,
als er dem Könige Konrad ein griechisches Schreiben auszulegen
vermochte, vermutlich 913, als der König das Kloster besuchte').
Wir besitzen aber noch eine Schrift von ihm, welche durch Gelehr-
samkeit und vortreffliche Latinität der besten karolingischen Schule
vollkommen würdig ist, und auch griechisch geschriebene Wörter
enthält, welche Kunde der Sprache zeigen, nämlich einen Kommentar
zu Boeth. de consol. phil. III metr. IX. Diesen schrieb er auf den
Wunsch des Bischofs Bovo, seines viel jüngeren Blutsverwandten,
der unter ihm in Corvey Mönch geworden^), und jetzt durch weite
Länderstrecken (longinqua nimis terrarum intercapedine) von ihm
getrennt war; er schrieb ihm trotz schwerer Sorgen, ,inter müserias
et aerumnas, quas inter civilia bella yt paganorum, ut prophetice
loquar, velociores aquilis incursiones sine cessatione patimur" ^).
Begreiflich ist es, dafs bei noch wachsender Bedrängnis auch hier
die Feder ruhen mufste, dafs von Bovos Ruhm und seinen Werken
nur eine dunkle Erinnerung blieb, und dafs eine neue Zeit erst
anbrach, als die Thaten der Ottonen neuen Anstofs zu schrift-
stellerischer Thätigkeit gaben.
Dasselbe war der Fall in einem andern Kloster, welches den
Ludolfingern noch näher stand als Corvey, in Gandersheim, wo
Graf Ludolf selbst um 850 eine ältere Stiftung erneuert hatte und
Prinzessinnen seines Hauses als Aebtissinnen walteten. Die erste,
bis zum Jahre 874, war Ludolfs Tochter Hathumod, deren Leben
von ihrem Bruder Agius beschrieben wurde, der nach einer Yer-
^) ,Qui Crraecas litteras coram Cuonrado rege legendo f actus est
clarus." Cod. Steinveld. ad Widuk. III, 2, vgl. über ihn Hauck III,
298. 299.
^) Nach dem sehr wertvollen, vom Beginne des Klosters bis 1146 fort-
geführten Verzeichnis der Aebte und der unter jedem aufgenommenen
Mönche, neu herausgegeben bei Jaffe, Bibl. I, 66—72, MG. SS. XIII,
274. Vgl. dazu Wilmans, Kaiserurkk. der Prov. Westf. I, 511. Eine
Ergänzung bildet das von Delisle herausgegebene Bruchstück des über
eonfraternitat. von St. Bertin aus dem Ende des 10. Jahrhunderts, Bibl.
de l'ec. des eh. LX , 215 — 227, welches das Verzeichnis der Corveyer
Mönche bis in die Zeit des Abtes Gerbern (965—983) enthält. Bovo
war wahrscheinlich Bischof von Chälons-sur-Marne, f 947, Bruder der
Königin Frideruna, Oheim des B. Berengar von Cambrai, s, MG. SS. VIT,
431, im Necr. Merseb. zu Dec. 20, Neue Mitt. XI, 250.
^) Herausgegeben von A. Mai, Class. Auct. III, 332—342, aus einer
vatik. Hs. Ueber eine andere in London ohne Widmung und Schlufs
s. Catal. of anc. Manusc. in the Brit. Mus., Part. II Lat. (London 1884)
S. 74 und Taf. 57. Der Abt ist nur durch B. bezeichnet, kann aber kaum
ein anderer sein.
Hathumod. Toeta Saxo. 307
mutung von Pertz wahrscheinlich Mönch in dem nahe gelegenen
Kloster Lammspring war, aber ebenso gut Corvey angehört haben
kann. In der Form ahmte er, wie Traube bemerkt'), das Vorbild
des Paschasius Radbertus nach, indem er zu der in Prosa geschriebenen
Biographie Elegieen hinzufügte, die eine tiefgefühlte rührende Toten-
klage enthalten-). Sowohl die reine und fehlerfreie Sprache, die
gewandte Ausdrucksweise, der fliefsende, wenn auch nicht ganz
korrekte Versbau, wie das zarte und sinnige Gemüt des Verfassers,
den die innigste Liebesgemeinschaft mit seiner Schwester verbunden
hatte, verleihen diesen Schriften einen ganz besonderen Reiz; die
mancherlei Nachrichten über die verschiedenen Mitglieder dieser
zahlreichen und ausgezeichneten Fürstenfamilie geben ihnen aufser-
dem noch einen grölseren Wert für den Geschichtsforscher.
Pertz hat die Vermutung ausgesprochen, dafs wohl derselbe
Agius jener sächsische Dichter sein möge, welcher Einhards
Jahrbücher metrisch bearbeitete. Dieselben Vorzüge des Ausdruckes
finden sich darin wieder, und die älteste vorhandene Handschrift
stammt aus dem Kloster Lammspring ^). Doch ist sie kein Original,
und jene Annahme nicht ohne Bedenken, obwohl G. Hüffer sie mit
neuen Gründen zu stützen versucht hat^). Deutlich aber bezeichnet
der ungenannte Dichter sich als einen Sachsen, den in den ersten
Jahren der Regierung König Arnulfs die Dankbarkeit gegen den
grofsen Sachsenbekehrer , welchem er nicht allein den Glauben,
sondern auch die litterarische Bildung allein verdankte, zu dem
Unternehmen getrieben habe, Karls Leben und Thaten in Versen zu
verherrlichen. Er hält sich dabei ganz genau an die Einhardischen
Annalen und an das ausdrücklich citierte Leben Karls von Einhard,
welchem das letzte, in Distichen verfafste Buch entnommen ist; nur
wenige Schilderungen aus eigener Kenntnis beleben die reizlose Para-
phrase. Von 801 an haben ihm jedoch, wie Bernhard Simson nach-
') 0 Roma nobilis, S. 310.
2) A(/ü Vita Hathtcmodae ed. Pertz, MG. SS. IV, 165—189. Ueber-
setzung von Rückert, Stuttg. 1845, von Grandaur bei Vita Eigilis. Be-
nutzung des Fortunat, NA. IV, 527 ; in der Prosa der V. Martini ib. XIV,
166. Die Stelle üijer den weibl. Schmuck im 2. Cap. ist aus Isai. 3,
18—23, vgl. Hüffer, Korveier Stud. S. 55—62. — Ausg. des Dial. von
Traube, Poet. Car. III, 369—388.
*) Die nachträglich gefundene Brüssler Handschrift (Archiv III, 379)
stammt nicht von der Lammspringer, obgleich sie dieselben Lücken hat.
Zur Zeit des Probates Gerhard u. der Aebt. Judith (1178— 1191j schrieb
hiev die Nonne Krmengarde einige Scliriften des h. Augustin ab, Cod.
Heimst. 204, s. 0. v. Heinemanns Wolfenb. C'atalog I, S. 185.
■*) Korveier Studien. Münster 1898 S. 21—47. 62—71.
308 ^^- Karolinger. § 19. Lotliringen.
gewiesen hat, jene Annalen nicht mehx- vorgelegen, sondern dürftigere,
den Hersfeldern verwandte, vermutlich Halberstädter Annalen, aus
welchen die falsche Angabe über den 803 zu Salz mit den Sachsen
abgeschlossenen Frieden sich erklärt^). Puckert (S. 172 — 180) nimmt
Benutzung des verlorenen Werkes (oben S. 222) in einer Metzer
Bearbeitung und Angehörigkeit des Verfassers zu St. Arnulf in
Metz an.
Aus andern Orten Sachsens ist von geschichtlichen Leistungen
in dieser Zeit noch nichts zu melden. In Halberstadt, in dessen
Sprengel auch Liutbirga lebte, wirkte von 840 — 853 Hemmo als
Bischof, ein Freund Hrabans, als gelehrter und fruchtbarer theo-
logischer Schriftsteller gefeiert, der unter anderm aus Rufins Kirchen-
geschichte einen Auszug in zehn Büchern verfalste; doch ist es
zweifelhaft, ob diese Schriften ihm mit Recht zugeschrieben werden^).
In Hildesheim wurde für Bischof Reginbert (834—835? Febr. 12.)
eine kanonistische Handschrift geschrieben^).
§ 19. Lothringen.
Richbodo, Erzbischof von Trier (795—804), zugleich Abt von
Lorsch, wo er sich durch seine Bauten verdient machte^), ist als
Schüler Alcvins bekannt, und wird als ein Mann von gründlicher
Gelehrsamkeit und Bildung gerühmt; Alcvin warf ihm vor, dafs
er die Aeneide besser kenne als die Evangelien. Ohne Zweifel
wird er sich der Schulen in seinem Sprengel angenommen haben ^).
Auch Bischof Amalarius (809—814), der später nur als Abt und
Priester erscheint, machte sich als Schriftsteller bekannt"), nament-
') Poefae Saxonis Annalex de Gestis Caroli magnl imperatoris , ed.
Pertz, MG. I, 225—379. Wieder abgedruckt bei Migne XCIX, 6x3—736.
Jaffe, Bibl. IV, 542—627. Poet. Car. IV, 1—71 von Winterfeld. Ebert
III, 125 — 129. Simsen, Der Poeta Saxo und der Friede zu Salz, Forsch.
I, 301 — 326. Pannenborg vermutet, dafs der Verfasser der Gesta Heinrici IV.
dieses Werk gekannt und nachgeahmt habe. Brieden, Geschichtl. Werth
des Poeta Saxo. Progr. des Laurentianums zu Arnsberg, 1878.
2j Hauck II, 597 Anm. 3 (in der 1. Ausg.). Traube. Poet. Car. III, 422
Anm. Der Lehrer Heirichs von Auxerre kann er nicht gewesen sein.
Vgl. Bloch NA. XXII, 122. Hraban widmete ihm sein Werk De universo,
Epp. V. 470.
^) Diese Hs. schenkte später Biso von Paderborn an B. Sigismund
von Halberstadt. W. Arndt, Schrifttafeln, t. 41. 42. Steinmeyer, Ahd.
Gl. IV, 484.
*) Necrol. Lauresham. Fontes III, 150. MG. SS. XXI, 352.
^) Kurze will ihn auch zum Geschichtschreiber und Verfasser der
Lorscher Annalen machen, NA. XXV, 311—313, aber ohne Beweis.
^) Seine Briefe Epp. V, 240—274. Aufser seinen Schriften kirch-
Trier und Prüm, 309
lieh durch seine weit verbreiteten vier Bücher über den katholischen
Kultus (De ecclesiastic. officiis), die er Ludwig dem Frommen
widmete. An Amalars Nachfolger Hetti (814 — 847) schickte Ein-
hard mit einem freundschaftlichen Briefe (ep. 10, Epp. V, 132)
einen Teil seiner kostbaren Relitiuien , vermutlich für die von
ihm gestiftete Kirche zu Vallendar. Von ihm hat sich eine An-
leitung zum kirchlichen Unterricht in Gesprächsform erhalten 0;
ihm zur Seite stand als Landbischof Thegan, der schon erwähnte
Biograph Ludwigs des Frommen. Sein Neffe und Nachfolger war
Thietgaud (847 — 863), Grimalds Bruder, aber sehr unvorteilhaft
bekannt durch seine Mitschuld an Lothars IL Scheidungsgeschichte.
Am Ende des Jahrhunderts, nach der entsetzlichen Verheerung durch
die Normannen 882, war Katbod Erzbischof (883 — 915), ein Ala-
manne, welcher 885 das Fest des Schutzheiligen in St. Gallen feierte
und sich in die Verbrüderung aufnehmen liels'). Er war es, der
den vertriebenen Abt von Prüm, Regln o^, zu gelehrten Arbeiten
veranlaCste.
Dieser Regln o war von Jugend auf im Kloster Prüm erzogen,
wo schon unter dem Abte Mark ward (829 — 853) litterarische
Thätigkeit bemerkbar wird. Verwandt mit Lupus, war nämlich
auch Markward in Ferri^res Mönch geworden, wo damals Aldrich,
später Erzbischof von Sens, Abt war, und nach Markwards Erhebung
zum Abte von Prüm folgte sein Klosterbruder Ado, der als Erz-
bischof von Vienne seine Neigung zur Geschichtschreibung bewährt
hat, der Einladung, eine Zeit lang in Prüm zu wirken. Markwai'd
selbst war Hüter und Lehrer Karls des Kahlen gewesen, als dieser
liehen Inhalts, über welche er mit Agobard und Florus in Streit geriet,
schrieb er nach der Gesandtsehaftsreise, die er 813 mit Abt Peter von
Nonantula nach Konstantinopel unternahm, die dunkeln und in der Ueber-
lieferung verderbten f^ersiis niarini, gedruckt in Alcvins Werken, ed.
Frohen II, .325; Jaffe, Bibl. IV, 426; Dümmler, Poet. Car. I, 426. Dafs
die beiden früher unterschiedenen Amalare eine Person seien, suchte D.
Germ. Morin zu erweisen in der Revue benedict. (von Maredsous) 1891
S. 433 flg.. 1892 S. 337 flg. vgl. NA. XVII, 456; XVIII, 699, dagegen
Mönchemeier, Amalar v. Metz, Münster, Schöningh 1893 u. Hauck II, 180
nicht überzeugend, vgl. auch R. Sahre, Der Liturgiker Amalar, Dresden
1S93, Osterprogr. der Kreuzschule.
') Herausgegeben von Dr. Noite im Jahresbericht d. Ges. f. nütz).
Forsch, in Trier f. 1872/73 (1874) S. 50—58 und abermals von A. E. Burn,
Zeitschr. f. Kirchengesch. XXIII (1902) S. 85— 97.
') Libri confraternitat. ed. Piper p. 136.
3) Baehr S. 184—186. 535—538. Dümmler in der Vorrede zur Ueber-
setzung der Chronik. H. Ermisch, Die Chronik des Regino bis 813.
Gott. 1872. Ebert IIT, 226—231. Vgl. unten S. 312.
310 JI- Karolinger. § 19. Lothringen.
833 nach dem Siege Lothars nach Prüm verwiesen war'); Lupus
(ep. 85) sendet ihm Grüfse von demselben und schickte ihm Knaben
zur Ausbildung. Schon bevor er Abt wurde, hatte Lupus 839 das
Leben des heiligen Maximin verfafst und seinem Freunde Waldo
gewidmet, demselben, welcher später Abt von St. Maximin wui'de
(oben S. 258).
In Prüm verfafste auf Markwards Veranlassung Wandalbert
(geb. 813) 839 die geschichtlich nicht ganz unwichtigen Wunder des
heiligen Goar, welche er zu der Ueberarbeitung der alten Legende
hinzufügte; den Schlufs bildet ein ausführlicher Bericht über die
Erwerbung der Cella S. Goaris durch Verleihung Pippins und Be-
stätigung Karls des Grol'sen^). Auch besitzen wir von Wandalbert
das schon oben (S. 67) erwähnte metrisch bearbeitete Martyrologium,
welches er auf Antrieb eines sonst nicht bekannten Otricus begann,
als er sich in Köln aufhielt, und nachdem es vollendet war, mit
einer Kommendation an Lothar versah, 5 lustra nachdem dieser
Kaiser geworden, also 848. Die künstlichen Versmafse der dazu
gehöx'igen Gedichte zeugen von seiner Gelehrsamkeit, und während die
Hauptmasse ihrer Natur nach fast reine Prosa ist, bieten uns nament-
lich die Beschreibungen der Monate anziehende Schilderungen länd-
licher Beschäftigung in leicht fliefsenden Versen^). Markward aber
übertrug im Jahre 844 die Gebeine der heiligen Chrysanthus und
Daria nach Münstereifel, welches damals zu Prüm gehörte; Theganbert
oder Thegan war es, der sie hier am 25. Oktober feierlich beisetzte,
und der Abt versäumte nicht, für die Aufzeichnung dieser Be-
gebenheit zu sorgen oder, wie Holder-Egger vermutet, sie selbst
aufzuzeichnen'*), unter Abt Eigil (853 — 860) brachte der Tod des
Kaisers Lothar in der Kutte eines Prümer Mönches dem Kloster
^) Vgl. darüber B. Simson, Ludwig d. Fr. II, 63, Anm. 2.
^) Die geschichtlich wertlose alte Vita S. Goarift bei Mab. II, 276—280,
bei Krusch, SS. Merov. IV, 402—423; dann folgt bei Mabillon die von
Wandalbei't überarbeitete mit den Wundern. Miracnla S. Goaris, ed.
Holder-Egger, SS. XV, 361 — 373, mit der Vorrede der Vita.
3) S. über ihn Dümmler, NA. IV, 30-5-312. Ebert II, 185—191; das
Martyrol. Poet. Car. II, .567—622. Die von Rettberg bezweifelten Verse
über die Kölner Märtj-rerinnen sind sicher echt. Uebersetzung der Verse
über die Monate von Paul Herzsohn in d. AVestd. Zeitschr. I, 277 — 290.
Vgl. über diese und über die röm. Hs. Wandalberts Christ, reg. 438, aus
der zwei Monatsbilder mitgeteilt werden, AI. Riegl in den Mitt. des Inst.
X, 35—87. 40-51.
*) Historia trcmslationis ChrisantJii et Dariae, Mab. IV, 1, 611 — 618.
Acta SS. Oct. XI, 490—495 ed. B. Bossue, Annalen f. d. Gesch. d. Nieder-
rheins XX, 96—217, Ausg. u. Abhdlg. von Flols. Auszug MG. SS. XV,
373. 374.
Prüm. Wauilalbert und Regino. 311
hohen Ruhm und reiches Gut'); Eigil selbst, ein gelehrter Mann, an
den Hraban eine Abhandlung gerichtet hat^), entsagte 800 seiner
Würde, vielleicht, wie Mabillon vermutete, weil er die Entscheidung
gegen Thietberga unterzeichnet hatte. Er folgte dann einer Ein-
ladung Karls des Kahlen und erhielt die Abtei Flavigny, wohin er
8(J4 von Alise-Sainte-Reine die heilige Kegina übertrug; die Geschichte
der Uebertragung samt den Wundern liefs er aufzeichnen, nachdem
er 865 Erzbiscbof von Sens geworden war^).
Auch Annalen sind um diese Zeit in Prüm geschrieben; anfangs
aus älteren Annalen ausgezogen, bringen sie lokale Nachrichten bis
860, bis zu welchem Jahre sie in Stablo ausgeschrieben sind, und
wurden dann in Prüm bis 922 fortgeführt; damals hat sie, wie es
scheint, der zum Bischöfe von Lüttich erhobene Abt Kicharius nach
Lüttich mitgenommen, wo sie weiter fortgesetzt wurden. Aus der
Chronik des Regino sehen wir, dafs es ein ausführlicheres Exemplar
dieser Annalen gegeben haben mufs, welches Regino benutzte^).
Allein im Jahre 882 und noch einmal 892 erlag auch dieses
herrliche Kloster den räuberischen Dänen; der Abt Farabert legte
nach der Zerstörung desselben sein Amt nieder, und zu seinem
Nachfolger wurde Regino gewählt. Aber die Parteikämpfe, welche
damals Lothringen zerrissen, liefsen auch ihm keine Ruhe; er mufste
899 seinen Gegnern weichen, und fand eine Zuflucht in Trier, wo
er im Kloster St. Maximin 915 bestattet ist^). Der Erzbischof über-
gab ihm das ebenfalls von den Normannen verwüstete Martinskloster,
welches unter seiner Leitung hergestellt sein soll"); vorzüglich aber
scheint er sich seiner Gelehrsamkeit bei der Verwaltung seines kirch-
lichen Amtes bedient zu haben. Oft, sagt Regino, habe er gesehen,
wie der Erzbischof sich erzürnt habe über den unmelodischen und
fehlerhaften Gesang in den Chören seiner Sprengel, zu welchen er
ihn also vermutlich auf Visitationsreisen begleitet hat. Und wie er
') Ueber ein von Lothar der Abtei geschenktes Evanyeliar aus Tours
s. NA. XXYII, 738.
2) Epp. V, 513.
3) Tramlatio S. Reginae bei Mab. IV, 2, 238 ; Acta SS. Sept. III, 40,
nebst einer Urk. Eigils über eine daran sich schliessende Stiftung zu
Corbiniacum. Auszug v. Holder-Egger SS. XV, 1, 449— 45L
•«) Annales Prumienses a. 122—1044 von Goldmann NA. XII, 403-407,
ed. 0. Holder-Egger, SS. XV, 2, 1289—1292. Es folgen noch Ann. Prüm,
hrerissinn a. 906-919. 1226—1238. Vgl. F. Kurze, NA. XV, 318.
*) Weil sein Grabstein da gefunden ist, hat man geglaubt, dafs er
in diesem Kloster Aufnahme gefunden habe, aber es lag damals nach
der Verwüstung durch die Normannen in Trümmern.
ß) Vita S. Magnerici, MG. SS. VIII, 208; vgl. Archiv III, 291. Regino
soll nach späteren Aufzeichnungen aus Altrip am Rhein gebürtig sein.
312 n. Karolinger. § 19. Lothringen.
diesem Mangel dui'ch seine Schrift De harmonica instituüone^) abzu-
helfen suchte, so verfafste er auf Ratbods Wunsch sein umfassendes
und lehrreiches Werk über die Kirchenzucht zu dem praktischen
Zwecke, bei Visitationen, welche wegen der argen Verwilderung der
Geistlichkeit wie der Laien dringend notwendig waren, alle erforder-
lichen Vorschriften des kanonischen Rechtes in mäfsigera Umfange
darzubieten -). Diese um 906 unternommene Schrift widmete er
Hatto von Mainz, dem damaligen Regenten des Reiches; an den
Erzieher des jungen Königs, den gelehrten Bischof Adalbero von
Augsburg, sandte er 908 seine Chronik von Christi Geburt bis zum
Jahre 906. Dieses Werk verdient unsere Beachtung als einer der
frühesten Versuche , die Weltgeschichte in einer ziemlich ausführ-
lichen Erzählung zusammenzufassen, eine Aiifgabe, an welche sich
damals nicht leicht jemand wagte und deren Schwierigkeiten aul'ser-
ordentlich grofs waren. Die Ausführung ist freilich auch sehr
mangelhaft geblieben und namentlich die Chronologie in der höch-
sten Verwirrung; auch versucht Regino gar nicht wie Frechulf eine
Verarbeitung seiner Quellen, sondern begnügt sich mit wörtlichem
Ausschreiben, was von nun an immer mehr üblich wurde. Beda, die
Thaten der Frankenkönige, und andere bekannte Schriften bilden
die Grundlage seines Werkes, welches anfangs nach den Regierungen
der Kaiser angeordnet ist; weiterhin geht er, der Natur seiner Vor-
lagen folgend, in die annalistische Form über und fährt auch selbst
in dieser Weise fort. Darin ist seine Chronik den auch von ihm
benutzten Reichsannalen ähnlich, aber sie unterscheidet sich sehr
wesentlich dadurch, dafs er nicht gleichzeitig mit den Begebenheiten
schrieb und deshalb auch gerade in der zeitlichen Anordnung der-
selben wenig zuverlässig ist^).
^) Gedruckt, doch ohne den tonarius bei Gerbert, SS. eccl. de musica
sacra I, 230—247. Neue Ausg. mit Facs. des tonarius bei Coussemaker,
Scriptores de Musica Medii Aevi Paris (1867) II, 1—73. Hs. s. X. in
Brüssel 2751. Die Schrift war für den Erzbischof, als gelehrten Musiker,
und für tüchtige Sänger bestimmt, nicht fürWalcaud: frustra enimlyra
asino ccuiitur (aus Hieron. ep. ad. Marceil. 27, 1). — Walcaud presb. im
Cal. S. Maximini zum 10. August, Archiv XI, 290. Vgl. W. Brambach,
Die Musiklitteratur des Mittelalters bis zur Blüte der Reichenauer Sänger-
schule (500 — 1050) 1883, wo die Abhängigkeit Reginos von Boethius und
anderen Schriftstellern nachgewiesen ist.
^) Reginonis libri duo de synodalihus causis et disciplinis eccUsiasticis,
ed. Wasserschieben, Lips. 1840. Gegen den Verdacht der Fälschung in
Betreff der Canones der Triburer Synode von 895 hat Em. Seckel R.
gerechtfertigt durch Entdeckung der von ihm benutzten Hs. s. NA. XVIII,
365—409.
^) Reginonis Chronicoii, ed. Pertz, MG. T, 536—612. Ausg. von Fr.
Kurze 1890, 8. Vgl. von dems. Ueberlieferung u. Quellen der Chronik
Die Chronik des Regino. 313
In dieser Beziehung hat bei ihm wie bei manchem anderen das
Vorbild der Annalen nachteilig gewirkt; denn für die Aufzeichnung
unbestimmt gewordener Ueberlieferungen ist die annalistiscbe Form
nicht nur hinderlich, sondern die scheinbare Bestimmtheit verleitet
auch dazu, den Angaben mehr Gewicht beizulegen, als ihnen zu-
kommt. Bis zum Jahre 814 hat Regino die sog. Lorscher Annalen
benutzt; von da an aber fehlten ihm aul'ser den oben erwähnten
kurzen Annalen seines Klosters schriftliche Hilfsmittel, was wohl
nur durch die Verheerungen der Normannen zu erklären ist, und
er mufste sich zur Ausfüllung der grofsen Lücke von Karls des
Grofsen Tode bis auf seine Zeit allein auf die so unsichere münd-
liche Tradition verlassen ; nur über die Händel, welche Lothars IL
ärgerliche eheliche Verhältnisse veranlassten, standen ihm Urkunden
zu Gebote^).
Auffallend und für die Stellung Lothringens charakteristisch ist
es dabei, wie wenig Regino von dem Ostfrankenreiche zu sagen
weifs, während er von den Westfranken viel und eingehend erzählt,
und namentlich die Bretagne besonders berücksichtigt, ein Umstand,
den Dümmler durch die dort gelegenen Besitzungen der Mönche
von Prüm erklärt. Ueber das, was er selbst mit erlebt hat, gibt
Regino sodann ausführliche und schätzbare Nachrichten. Dafs er
von den entfernteren Ereignissen nur unsichere Kunde erhalten hat,
wird man ihm nicht zum Vorwurfe machen; über Lothringen aber
war er genau und zuverlässig unterrichtet und würde gewifs noch
tiefer in die dortigen Verhältnisse blicken lassen, wenn ihn nicht
die Besorgnis vor dem Zorne der Machthaber verhindert hätte, die
ganze Wahrheit zu sagen. Als diesen Machthaber, welchen er fürchtete,
hat Harttung mit Wahrscheinlichkeit Karl den Einfältigen nach-
gewiesen, der nach einer Angabe des Trithemius seine Absetzung
veranlafste, weil er ein Anhänger von König Odos Bruder Robert
Reginos u. seines Fortsetzers, NA. XV, 293—330. Ueber die Hs. von
Durham NA. XXIV, 456. Eine Verbesserung zum J. 775 bringt B. von
Simson, Die Zusätze ex Ann. Mett. Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins
N. F. IX, 215 flg. üebersetzung von Dümmler, 1857. 1890. Geschicht-
schr. IX, 12, Bd. 27. Ueber Benutzung d. Justin s. Rühl, Verbreitung
des Justin im Mittelalter, S. 12—14. Von der Fortsetzung s. unten III, 7.
^) Die Aktenstücke hierüber und besonders über die nach Gunthars
Absetzung am 7. Jan. 870 vollzogene Wahl Williberts von Köln sind ver-
mehrt durch die von Flofs, Die Papstwahl unter den Ottonen (Leonis
papae VIII privileg. de investituris) ; Urkunden S. 24—102 herausgegeb.
Schreiben. Epp. VI, 241-25»;. — Dümmler, Ostfr. TU, S. 170 gab aus einer
Londoner Handschrift der Chronik des Regino die von Lappenberg ent-
deckte Grabschrift des Grafen Heinrich (+ 886); jetzt auch m d. Ausgabe
V. Kurze, S. 126, Poet. Car. IV. 137.
314 II- Karolinger. § 19. Lothringen.
war. Sein Nebenbuhler war Richar, der Bruder von Gerhard und
Matfrid, später Bischof von Lüttich; durch verleumderische An-
gaben über schlechte Verwaltung soll er ihn verdrängt haben, nach
Inhalt eines Briefes von Eegino, der den Magdeburger Centuriatoren
noch bekannt und wahrscheinlich in einem Exemplare der Chronik
abgeschrieben war. Zur Zeit aber, als Regino seine Chronik schrieb,
gehörte Lothringen zu Karls Reiche^). Seine Zurückhaltung hat
Regino jedoch nicht davor schützen können, dafs aus seinem Werke
zum Jahre 892 ein bedeutendes Stück, in welchem er von seinen
eigenen Schicksalen erzählte, ausgeschnitten und vernichtet wurde.
Seine Schreibart ist einfach und dem Gegenstande angemessen,
Justin war vielfach sein Muster für den Stil^), und wenn es ihm
auch keineswegs gelungen ist, die Weltgeschichte in wirklich histo-
rischer Weise zu bearbeiten, so zeigt er doch für die ihm näher
liegenden Zeiten und Verhältnisse einen freien Blick und gesundes
Urteil; die eigenen Erfahrungen und die freundschaftliche Beziehung"
zu einem hochstehenden Kirchenfürsten erhoben ihn über die gewöhn-
lichen Annalisten, und sein Werk steht am Ende der karolingischen
Zeit als eine bedeutende Erscheinung da, der sich wohl weitere Fort-
schritte angeschlossen haben würden, wenn nicht gerade jetzt die
äufsere Not für lange Zeit alle wissenschaftlichen Bestrebungen
erdrückt hätte.
Als die bei allen ihren Mängeln doch bei weitem beste um-
fassende Behandlung der Weltgeschichte ist Reginos Chronik bis
ins zwölfte Jahrhundert viel benutzt worden und hat grofse Ver-
breitung gefunden, wobei denn auch seine grofsen chronologischen
Irrtümer manchen irregeleitet haben.
Man kann wohl nicht bezweifeln, dafs Lothringen mit seinen
bedeutenden Kirchen und Klöstern noch manches andere Geschichts-
werk hervorgebracht hat, welches in den furchtbaren Verheerungen
des Landes durch Normannen und Ungarn zu Grunde gegangen
ist; die blühendsten Klöster verödeten und kamen in Laienhände,
so dafs eine Periode tiefer Dunkelheit eintrat, welche später der
kecken Erdichtung freien Spielraum darbot. Merkwürdig sind auch
in dieser Beziehung die Annalen von Xanten^), weil sie nirgends
^) Harttung, Forsch. XVIII, 362— 36S.
2) S. oben S. 312 A. 3 und M. Manitius, Regino u. Justin, NA XXV,
192 — 201, wo auch Benutzung des Paulus nachgewiesen wird.
^) Annale.^ Xantenses ed. Pertz, MG. II, 217 — 235. Verbesserungen
aus der Handschr. von Hampe NA. XXII, 634. Uebers. bei den Fulder
Annalen. Hans Steffen, Beiträge zur Kritik der X. Annalen, NA. XIV,
87 — 109. Der Anfang 640 bis 789 ist jüngeren Ursprungs, von einem
Regino. Annalen von Xanten und Köln. 315
erwähnt oder benutzt sind, und völlig spurlos verschollen sein
würden, wenn nicht Pertz sie 1827 in einer angebrannten Hand-
schrift der Cottonschen Bibliothek entdeckt hätte. So war auch
dieser vereinzelte Rest der höheren Ausbildung jener Periode dem
gänzlichen Untergange schon ganz nahe gewesen. Nach Xanten
sind diese Annalen benannt, weil die Zerstörung des Stiftes durch
die Normannen 863 ausführlich erzählt ist, aber sonst ist gar nicht
von Xanten die Rede, und auch hier findet sich die falsche Jahres-
zahl 864, wie überhaupt eine Verschiebung der Jahreszahlen, welche
annehmen läfst, dafs nur eine Kompilation uns vorliegt. Einem
Auszuge aus den Reichsannalen schliefst sich hier eine selbständige
Fortsetzung von 831 — 873 an, von verschiedenen Verfassern gleich-
zeitig aufgezeichnet, hin und wieder ziemlich ausführlich. Reichs-
geschichte zu geben war die Absicht, aber es fehlte die Verbindung
mit dem Hofe; Zusammenkünfte der Könige werden erwähnt, aber
die Beschlüsse bleiben dem Schreiber unbekannt ; zu gleichmäfsiger
Berichterstattung fehlen ihm die Hilfsmittel. Viel ist von Himmels-
erscheinuugen , üeberschwemmungen, Heuschrecken die Rede, vom
Elend der Zeiten sind die Verfasser sehr erfüllt. Der Kölner
Sprengel wird vorzüglich berücksichtigt, daneben der benachbarte
von Münster. Vielleicht hat einer der vertriebenen Xantener Chor-
herren, die nach Köln flüchteten, dort Aufzeichnungen vorgefunden
und fortgesetzt.
In Köln hat Karls des Grofsen Erzkaplan Hildebald'), der von
Theodulf unter dem Namen Aaron gefeiert wird, wissenschaftliche
Studien begründet. Er liefs die vom Papst an Karl geschickten
Manuskripte für seine Kirche abschreiben; viele davon sind noch vor-
handen und jetzt dem Kölner Domkapitel zurückgegeben^). Es sind
Mönche des Klosters Egmond, von wo die Hs. stammt, und nach Bonneil,
Anfänge S. 149, aus Sigebert genommen (aufser dem J. 752), mit Ein-
schaltungen aus Regino , Beda und Legenden. Bestätigend Oelsner,
Pippin S. 518. Doch vgl. B. Simson, NA. II, 628, wo Verwandtschaft
mit den Ann. Maximin. nachgewiesen ist; Waitz ib. V, 493. Ueber die
Ortsbezeichnung Gromieonim s. Meyer von Knonau über Nithard S. 143.
— Kirchweihnotizen aus Xanten 1081 — 1411 als Xotae S. l'idoris Xant.
MG. SS. XlII, 43—45.
') Die Angaben über sein Sterbejahr schwanken zwischen 818 u. 819,
Sept. 8. B. Simson, Ludw. d. Fr. S. 232 für 818.
2) Hartzheim, Catal. bibl. Colon. (Col. 1752); cf. Archiv VIlI, 617 ff.
Rettbei-g I, 540. ' Jaffe et Wattenbach. Ecclesiae Colon. Codices manu-
scripti, Berol. 1874; A. Decker, Die Hildeboldsche Manuskriptensamml.
des Kölner Domes mit einem neuen Katal. vom Jahre 833, in der Fest-
schrift der 43. Versamml. d. Philol. u. Schulmänner, dargeb. v. d. höh.
Lehranst. Kölns, Bonn 1895 S. 217 — 251; vgl. das Verz. der „libri praestiti
316 iJ- Karolinger. § 19. Lothringen.
auch kurze Annalen daraus gewonnen'). Die Erzbischöfe Hildvin
(842 — 849) und Gunthar (863 entsetzt) werden von Sedulius ge-
priesen, Gunthar machte selbst Verse, und bei ihm erhielt sein
Neffe Radbod, später Bischof von Utrecht, den ersten Unten-icht^).
Willibert (870 — 889) liefs für sich den Codex Carolinus abschreiben^),
und sorgte auch für die Aufbewahi'ung der Korrespondenz, welche
durch Gunthars Entsetzung und die folgenden Ereignisse veranlafst
war''). In Köln lebte auch jener Otricus, dem Wandalbert sein
Martyrologium widmete. Aber von litterarischen Erzeugnissen, wozu
jene kleinen Annalen kaum zu rechnen sind, ist nichts auf uns
gekommen, wenn nicht vielleicht die Xantener Annalen hierher
gehören.
Etwas mehr hat sich aus Lüttich erhalten, dessen später so
berühmte Schule in ihren ersten schwc^chen Anfängen schon jetzt
hervortritt. Noch war es ein unbedeutender Ort, als ihm der Leib
des um 672 erschlagenen Bischofs Theodard von Mastricht, welchen
sein Nachfolger Landebert oder Lambert dort bestatten liefs,
ein höheres Ansehen gab. An seinem Grabe wurde Lambert selbst
705 (?) erschlagen; er hatte Pippin und seiner Beischläferin Alpais
Vorwürfe gemacht, Pippin war erschüttert und dachte daran, seine
rechtmäfsige Gemahlin Plectrudis wieder zu sich zu nehmen, da
vollbrachte Dodo, der Bruder der Alpais, die Blutthat. Nachdem
eine Kiixhe dort erbaut und die Gebeine des Märtyrers feierlich
erhoben waren, mufste eine Legende geschrieben werden, aber noch
fehlte es an geeigneten Kräften. Der Autor, welcher die Ausführung
de armario S. Petri" saec. XI, ed. Dümmler e cod. Ampi. 64, Zeitschr.
f. D. Alt. XIX, 466.
') Davon gehören hierher Ana. S. Fetri Coloniensis 798. 810 — SlS,
nur einzelne Notizen e cod. 8.3, II, MG. SS. XVI, 730, Codd. p. 29. 30,
und bei Krusch, Studien zur christlich-mittelalterlichen Chronologie (Leipz.
1880) S. 197. Amt. Col. hrevis^imi 814—870, I, 97 aus Eckharts Comm.
de rebus Franciae orientalis. Grabscbrift des 862 verstorbenen Kölner
Landbischofs Hildebert bei Kraus, Inscr. christ. II, 261, vgl. Poet. Car.
III, 751.
■^) Dümmler, Ostfr. II, 10. Höchst wahrscheinlich ist er der Gunthar,
dem Meginhard ein Werk widmete, s. oben S. 262. Ein gleichzeitiges
Gedicht eines Iren in roher Form zum Preise Gunthars ed. Dümmler
im Anz. d. Germ. Mus. XVIII, 10; wiederholt von Traube. Poet. Car.
III 238
' ^) Jaffe, Bibl. IV, 2. Epp. III, 469. Auch im Wiener Cod. der
Bonifaz. Briefe ist eine auf Williberts AVeihe bezügliche Notiz, Ej^p.
III, 221.
*) S. oben S. 318 Anm. 1. Zu der bei Flofs, Urkk. S. 124, erwähnten
Verwüstung durch die Normannen 881 ist zu bemerken, dafs nomina die
Reliquien sind.
Lambert von Lüttich. Hubert. 317
nach dem Slalse seiner schwachen Kräfte in barbarischem Latein
unternahm, griff zur Vita Eligii und In-achte mit starker wörtlicher
Ausnutzung derselben sein Werk zu stände '). Der erbauliche Zweck
ist durchaus vorherrschend. Aber noch regierte Karl Martell, der
Sohn der Alpais, und aus Furchtsamkeit verschwieg er den wahren
Anlafs des Todes. Auch God esskalk, ein Lütticher Domherr,
welcher auf Befehl des Bischofs Agilfrid sein Werk um 770 über-
ai'beitete, folgt einfach seiner Vorlage und beschränkt sich auf
stilistische Verbesserung. Aber im Volke erhielt sich die Erinnerung
der That, und Ado in seinem Martyrologium hat sie kurz berichtet,
vielleicht kannte er schon eine Aufzeichnung, deren später Anselra
von Lüttich gedenkt, und deren Inhalt durch ihn überliefert, nun
auch in die späteren Bearbeitungen überging; auch schon der Ver-
fasser einer poetischen Version im Anfang des zehnten Jahrhunderts^)
deutet darauf hin. Lange Zeit ist der Hergang in entgegengesetzter
Weise aufgefafst worden; man glaubte hier ein recht deutliches
Beispiel davon zu haben, wie die Legenden mit der Zeit wachsen
und mit Absicht entstellt werden , bis God. Kurth in , wie mir
scheint, durchaus schlagender Weise, gestützt auf den aus einer
neugefundenen Handschrift ergänzten Text des Anselm^), den rich-
') Nachgewiesen von Kurth in der gleich zu erwähnenden Schrift.
S. 102 — 112; es ergibt sich daraus auch, dass die Translation und
Mirakel von dems. Vf. sind. Als diese älteste Vita Lamherti betrachtet
Kurth die bei Mabillon, Act. III, 1, 69 — 76, gedruckte, welche bisher
Godescalc zugeschrieben wurde. Vgl. Fr, Scheibelberger, Die älteste
Vita S. Lantperti, Oest. Vierteljahrsschr. f, Kath. Theol. (1871) X, 222
bis 224, über den älteren einfacheren Text eines Linzer Codex. NA. II,
256 über den Brüsseler Cod. 9368. Im Compte rendu de la Comm. roy,
d'hist, III, n. .3, 5 serie behandelt G. Kurth die früher schon gedruckte,
aber unbeachtet gebliebene, von B. Krusch (NA. XVIII, 601) wieder ab-
gedruckte Stelle aus der Schrift De virtutibus et miraculis macarii
Areopagitae Dionysii, welche unter der Herrschaft Karls des Kahlen
geschrieben ist; darin wird von einem Godobald aus Avroy (Arbrido) in
Hesbaye berichtet, welcher unter Graf Dodo (nach Kurth von Hesbaye) an
Lantberts Tod beteiligt war und als Büfser nach St, Denis kam, wo er
Mönch und endlich Abt wurde. Kurth setzt danach die Ermordung
frühestens in das J. 705. — Ein Plagiat aus der V. Lamberti und Vita
Trudonis mit Nachrichten über die Stiftung von Stablo und Malraedy ist
die älteste V. Remacli, wie Kurth nachgewiesen hat im Bulletin de la
Commission roy. d'histoire, 4. Serie, tome III, n. 3.
") Poet Car. V, 141 — 159 herausg. von Winterfeld s. unten.
^) in Anselms c. 8, MG. SS. VII, 195, mul's es am Schlüsse der aus
Regino (der aus Ado schöpfte) entlehnten Stelle : ,ab iniquissimo Dodone
et aliis viris de palatio missis improvise conclusus intra domum ecclesiae
in Leodio vico occiditur" heissen: Qua vero de causa regiam domum in-
crepaverit, sie habet adhuc alterius scripturae relatio nobis a prioribus
relicta u. s. w. Notice sur un manuscrit d'Hari^er et d'Anselme conserve
318 II- Karolinger. § 19. Lothringen.
tigen Sachverhalt nachgewiesen hat^). Dieselbe Verschweigung finden
wir auch in der Vita Theodardi, obgleich sie erst um die Mitte
des 8. Jahrhunderts geschrieben wurde-).
Lambert aber wurde nun der Schutzheilige von Lüttich, wohin
von Mastricht der Sitz des Bistums verlegt wurde. Auch das Leben
seines Nachfolgers, des 727 verstorbenen Bischofs Hugbert oder
Hubert, ist von einem Zeitgenossen beschrieben und noch in
seiner ursprünglichen, sehr barbarischen Form vorhanden^), nebst
dem Bericht über seine erste Translation 743, Wie darin die Vita
Arnulfi und Vita Lamberti ausgeplündert sind, haben Demarteau und
Krusch gezeigt.
Bischof Waltcaud (810—831) übertrug 825 den heiligen Hubert
nach dem neugestifteten Kloster Andagium, später Saint-Hubert
in den Ardennen, und nun bedurfte man einer Biographie, welche
den gesteigerten Anforderungen der karolingischen Zeit genügte.
Dazu gelang es ihm, den Bischof Jonas von Orleans zu bewegen,
der zugleich auch diese neue Translation beschrieb'*). In der Widmung
sagt Jonas zu ihm: cum nssit vohis pcdatina scolasticorum facnncUa.
Doch ist das vielleicht nur Phrase, oder bezieht sich, wie Dümmler,
Ostfr. III, 650 annimmt, auf die Hofschule. Lüttich war eine Station
für die nach Rom pilgernden Irländer, und es haben sich noch
Bittschreiben solcher Wanderer, namentlich eines Priesters Electus,
erhalten'^). Wenn aber in dem einen der Bittsteller, auf die Empfeh-
ä l'abbaye d'Averhode. Bull, de la Comm. roy 4. Serie, II, n. 7. Kurth,
vermutet eine Aufzeichnung in Stablo, wo Lambert früher, als er aus
Mastricht vertrieben war, eine Zuflucht gefunden hatte; keine Vita
Lamberti.
\) Etüde critique sur S. Lambert et son j^remier biographe. Mem.
couronne. Anvers 1876.
') Kurth, Etüde, p. 67 ff.
^) W. Arndt. Kleine Denkmäler aus der Merowingerzeit (1874) S. 52
bis 70. Ausg. von De Smedt, Acta SS. Nov. I; vgl. Krusch, HZ. LXV,
10.3—105.
■•) Translntio S. Huherü Mab. IV, 1, 295 (278 ed. Ven.). Vorrede zu
dem ganzen Werke Forsch. VI, 126, Ei3p. V, 348, und bei Arndt a. a. 0.
nebst Inhaltsverzeichnis u. Translatio, S. 70—82; Transl. MG. SS. XV,
234—237, von L. v. Heinemann; ed. de Smedt, Acta SS. Nov. I, 817. 818.
L'eber Jonas s. Ebert II, 225—230. Seine Vorreden Epp. V, 346—347.
349 — 353, seine Schi-iften de institutione laicali und de institutione regia
(834 für K. Pippin verfafst) sind sehr lehrreich für die Kenntnis der
damaligen Zustände; vgl. darüber B. Simson, Ludw. d. Fr. I, 381; K.
Amelung, Leben u. Schriften des Bisch. Jonas v. Orleans, Progr. d. Vitz-
thumschen Gymn. zu Dresden 1888 (NA. XIV, 219). Er verfafste auch
die Denkschrift der Aachener Synode von 836 an Pippin, s. Revue des
bibl. 1898. NA. XXVI, 14.
*) Dümmler, NA. XIII. 360—369 (vgl. Poet. Gar. III, 690); Epp. VI,
195—197, aus d. Zeit d. Bischofs Franco (f 901).
Die Lütticher Schule. Christian von Stablo. 319
lung des Kaisers, vermutlich Karls des Kahlen, sich berufend, mit
bitterer Klage über die allzu schmale Kost, den Brüdern der Kirche
gleichgestellt zu werden wünscht, so ist auf einen dauernden Auf-
enthalt und Verwendung der gelehrten Fremdlinge für den Unter-
richt zu schliefsen.
Schon Bischof Hart gar (840—854), der Erbauer eines neuen,
mit Gemälden schön geschmückten Bischofshofes, nahm in Lüttich
den Iren Sedulius und vier seiner Landsleute auf; wir werden sie
oder ihre Genossen in Mailand wiederfinden, und vielleicht machten
sie unterwegs Station in Salzburg (oben S. 292). Sedulius, der Ver-
fasser verschiedener theologischen Werke und eines Fürstenspiegels'),
war nicht ohne mancherlei Gelehrsamkeit und metrische Gewandt-
heit, des Griechischen kundig, aber doch inkorrekt, oft schwülstig
und dunkel, ein Freund willkürlich neugebildeter Worte. Seine
schmeichlerische Hofpoesie, der es zuweilen nicht an ergötzlichem
Humor fehlt, feiert Hartgar (auch auf seiner Reise nach Rom) und
seinen Nachfolger Franco (854—901), Günther von Köln, bei dem
er sich auch einige Zeit aufgehalten hat, Adventius von Metz, den
gelehrten Markgrafen Eberhard von Friaul, dem Hartgar eine Hand-
schrift des Vegetius zueignete, und andere Zeitgenossen; besonders
auch Kaiser Lothar und dessen Familie. Ohne Zweifel gebührt ihm
und seinen Genossen ein Anteil an der späteren Blüte der Lütticher
Schule, aber vielleicht auch an der gesuchten und verkünstelten
Schreibart, welche dort lange herrschend blieb").
Bischof Franco erhob in Eika (Aldeneyk bei MaaseykJ die
ersten Aebtissinnen Herlindis und Reinila, welche angeblich
von Willibrord und Bonifatius geweiht waren, deren Leben bald
darauf, noch vor der Verwüstung durch die Normannen, beschrieben
ist und für den Mangel an geschichtlichem Inhalt durch kultur-
^) Sedulii Über de rectorihus chri.'<iioniy, ed. A. Mai, Spicil. Rom. VIII.
1—69. Migne CHI, 291—330. Nach Dümmlers Vermutung für Lothar II.
bestimmt ; ältere Handschriften , welche die Entstehung nach Ludwigs
d. Fr. Tod bestätigen, NA. III, 188. Entlehnungen aus der Hist. Aug.
stammen nach Mommsen im Hermes XIII, 298 — 301, aus der von Sedu-
lius selbst angelegten Sammlung von Excerpten , welche sich in einer
Cusaner Hs. erhalten hat, s. Traube, 0 Roma nobilis S. 364 ff., Ein-
leitung Epp. VI, 206. — Vgl. Ebert II, 191—202. Dümmler, NA. IV,
815—320.
2) Nachdem die Gedichte des Sedulius von Dümmler, Grosse, Nolte,
Pirenne einzeln herausgegeben waren, sind sie jetzt vereinigt von Traube,
Poet. Car. III, 151 — 237, und über die sehr merkwürdige Persönlichkeit
des Sedulius handelt ders. in 0 Roma nobilis, S. 338 ff. Vgl. auch
Morin in der Revue benedict. X. 1893 Mai über die griechischen Studien
des S.
320 il- Karolinger. § 19. Lothringen.
historische Züge entschädigt^). Aus dem Kloster Lobbes besitzen
wir für diese Zeit nur ein Verzeichnis der Aebte und Mönche^).
Einen merkwürdigen Mann finden wir in der zweiten Hälfte des
neunten Jahrhunderts in der Brüderschaft der Klöster Stablo und
Malmedy, Christian, nach Sigebert aus Aquitanien stammend,
einen würdigen Vertreter karolingischer Bildung. Mit umfassender
Gelehrsamkeit, auch der griechischen Sprache nicht ganz unkundig,
hat er mit auffallend freier Denkweise und nüchterner Verständig-
keit einen Kommentar zum Matthaeus geschrieben, aus welchem
Dümmler allerlei für die Zeitgeschichte lehrreiche Aeufserungen
zusammengestellt hat^). Ausserdem besitzen wir eine bald nach 850
geschriebene Beschreibung der Wunderthaten des heiligen Remaclus,
zu welcher, nachdem das Kloster von der Zerstörung durch die Nor-
mannen 881 sich erholt hatte, weitere Zusätze gemacht sind^).
Das Bistum Utrecht wurde von den Normannen gleichfalls gar
arg heimgesucht und zeitweise ganz zerstört. Radbod, von mütter-
licher Seite ein Abkomme des alten Friesenfürsten Radbod, folgte
899 dem Bischof Odilbald, mufste aber vor den Dänen nach Deventer
entweichen. Ein Neffe des Erzbischofs Gunthar von Köln, war er
bis zu dessen Entsetzung 868 bei ihm, dann in der Hofschule Karls
des Kahlen gebildet als Schüler des Manno, und hat einige Homilien
zum Preise von Heiligen verfafst^), wie z. B. auf Amalberga und
Servatius*'), ferner Verse und Gedichte zu Ehren derselben, von
denen besonders Liutbert und Liafwin hervorzuheben sind'), doch
hatte er von jenem nur aus Beda, von diesem ganz oberflächliche
Kunde. Trithemius schreibt ihm auch Laudes S. Bonifacii zu, und
eine Gothaer Handschrift (fol. 64) nennt ihn als Verfasser der Legende
') Acta SS. Mart. III, 386— .392, und daraus Mab. III, 1, 654—663.
Ueber die Bestätigung der Nachrichten durch Denkmäler Friedrich,
Kirchengeschichte II, 346.
^) Aus dem Liber vitae von Remiremont, NA. XIX, 63 — 6-5.
^) Ueber Chr. von Stavelot u. seine Auslegung zum Matthaeus, Berl.
SB. 1890, S. 935—952. Ueber die Hs. in Cheltenham NA. XXII, 677
und in Paris ib. XXIII, 648. Epp. VI, 177—179.
*) Ex Miraculis S. Remacli Stabulemihus, ed. 0. Holder-Egger, SS. XV,
1, 431—443.
5) S. Moll, Kerkgeschiedenis I, 370. Ebert III. 184—188, u. v. Winter-
felds Ausgabe seiner Gedichte, Poet. Car. IV, 160—173. Migne CXXXII,
Ö47— 560.
") Sermo de vita Amelbergae, Mab. Acta III, 2, 241—243. Acta SS.
lul. III, 88—90: Sermo de S. Servatio Anal. Boll. I, 104—111.
'') Ueber Suidbert a. a. 0. 166—169, über Lebuin 169—172, beide
mit Glossen. Recht schön sind die Versus de hirundine, herausg. von
Dümmler, Zeitschr. f. D. Altert. XIX, 388 und besser Poet. Car. IV,
172—173.
Kadbod von Utrecht. Verdau und Metz. 321
des sog. Presbyter Ultraiectensis'), was entschieden falsch ist^). Er-
halten bat sich eine Aufzeichnung von ihm über die Schrecknisse
des Jahres 900^), und eine andere über die Belagerung der Stadt
Tours durch die Normannen im Jahre 903 und ihre Errettung durch
ein Wunder des heiligen Martin, des gemeinsamen Schutzheiligen^).
Zur Feier desselben Ereignisses verfafste er auch einen Cantus noctur-
nalis, der sich im Antiphonar der Marienkirche erhalten hat^). Sein
eigenes Leben ist zur Zeit seines Nachfolgers beschrieben worden,
und wenn auch nicht eben reichhaltig, doch nicht unwichtig*'). Er
starb 917.
Aufser der kurzen, vom Probst Liuthard verfafsten Erzählung
von der Ueber tragung des heiligen Justus bald nach 900
nach Malmedy') ist schliefslich nur noch die Bistumsgeschichte
von Verdun"") zu erwähnen, von Berthar, der erste Versuch
einer Lokalgeschichte, an denen später Lothringen so reich war,
nach der traurigen Zeit der feindlichen Verwüstungen, denn der
Verfasser schrieb erst nach dem Brande der Domkirche im Jahre
916 oder 917; sein Werk reicht aber nur bis in die Zeit des Kaisers
Arnulf und ist wegen des fast gänzlichen Mangels an älteren Quellen
sehr dürftig^). Veranlafst war er zu seinem Unternehmen durch
^) Jacobs u. ükert, Beiträge III, 262.
^) Da dieser Biograph noch eine alte Frau , die bei Bonifazens Tod
zugegen gewesen war , o-esproclien haben will , muls er viel älter sein,
s. Rettberg I, 332. Ausg. Acta SS. lun. I. 477—481. Ein Stückchen bei
Jaffe Bibl. III, 506.
3) MG. SS. LI. 218, Poet. Car. IV, 161—162 mit einigen Versen von
ihm, Heda Hist. Ultraj. p. 71. Er veranlafste 914 zur Bestätigung der
Privilegien durch K. Konrad die älteste Kopie der K. Privilegien, s. S.
Muller, Het oudste Cartularium van het Sticht Utrecht 1892.
'') Libellus cuiusd. ep. Traiect. Radbodi nomine de quod. S. Martini
miraculo bei Andre Sahnon, Supplem. aux Chroniques de Touraine p. 1
bis 13, MG. SS. XV, 2, 1239—1244. Vgl. Em. Mabille, des invasions
Normandes dans la Loire et les peregrinations du Corps de S. Martin.
Bibl. de Tee. des eh. VI, 5, 149—194.
■^) W. Moll, Kerkhist. Archief v. Kist u. Moll III. 213—221, Poet.
Car. IV, 163—165.
'') Nach Surius und Mabillon besser von Holder-Egger (mit der Transl.)
SS. XV, 1, 568—571, Anal. Boll. VI, 5—15, benutzt von Adam. Brem.
I, 40.
') Martene Coli. VI, 838; MG. SS. XV. 1, 566. Spät geschrieben
und fabelhaft ist die Translatio S. Quirini Malmundarium, angeblich 808,
mit einem erdichteten Briefe Hildebalds von Köln an Karl den Grofsen.
Mart. Thes. III, 16S5— 1690.
^) Bertharii Gesta episcoporum Virdunensium, ed. Waitz, MG. SS. IV,
36. Benutzung von Fortunats Gedichten NA. XII, 591. Nomina epp.
Virdnn. SS. XIII, 307.
®) Ueber die fabelhafte Vita S. Mengoldi, des im J. 892 ermordeten
Wattenbacli, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 21
322 n. Karolinger. § 20. Frankreich.
den Bischof Dado (880 — 923), den Freund Salomons III. von Kon-
stanz (oben S. 274), von dessen eigenen Aufzeichnungen über seine
und seiner Vorgänger Geschichte ein Fragment sich erhalten hat.
Aus Metz besitzen wir Briefe und ein Epitaphium des Bischofs
Adventius (S58 — 875), eines Schülers Drogos, den auch Sedulius
gepriesen hat ^), Zu seinen Nachfolgern gehörte der Alamanne
Ruotpert, von seinem Landsmanns Radbod am 22. April 883 ge-
weiht, ein Freund Notkers und also vermutlich aus der Schule
von St. Gallen. Er starb am 2. Januar 917 -).
Aus Toul sind uns mehrere Briefe des Bischofs Frothar (813
bis 848) erhalten^). An den Bischof Hildoard von Cambrai (um
800) i'ichtete Dungal der Ire einige Verse: er liefs Bedas Kommentar
zum Lucas abschreiben und ein Sacramentarium schreiben ').
Der Vertrag von Vex'dun besiegelte zwar die politische Teilung
des karolingischen Reiches, aber er zerstörte nicht die Gemeinsam-
keit der litterarischen Entwickelung. Diese beruhte, besonders in
Deutschland und Frankreich, jahrhundertelang ausschliefslich auf
der Geistlichkeit, die von dem Gefühl erfüllt war, eine grofse
Körperschaft zu bilden, deren Mitglieder in den verschiedenen Län-
dern sich, wie noch heute, einander näher verbunden fühlten als
mit den Laien ihres Volkes. Dieses Gefühl der Gemeinschaft tritt
auch in späterer Zeit häufig aufserordentlich stark hervor; ganz
besonders lebhaft aber war es, so lange die Karolinger herrschten
und die Erinnerung an die Einheit des Kaiserreiches noch die
Gemüter erfüllte. In der Litteratur sind es jedoch die kirchlichen
Grafen vom Maienfelde, der in Huy verehrt wurde, Acta SS. Febr. II,
191—196. MG. SS. XV, 556—563, s. Dümmler. De Arnulfe p. 201—204.
1) NA. IV, 526. Poet. Car. III. 225. Ueber Adventius s. Baehr S. 110;
aus einer Trierer (aus Metz stammenden) Briefsammlung, die sich auf
Lothars IL Eliehandel bezieht, sind bei Baronius nach Brower noch mehr
Briefe, jetzt von Dümmler herausgeg. Epp. VI, 207 — 240.
^) S. Notkers ihm gewidmete Hymnen auf den h. Stephan, Poet. Car,
IV, 337—389. In dem oben S. 269 angeL Dialoge heisst es S. 489:
jNobilissimo atque scolasticissimo Ruodperto nuper in Metensis ecclesiae
sede pontificatus honore sublimatus." Er kommt auch in den Reichen-
auer Verbrüderungen vor, ed. Piper p. 158.
') Du Chesne II, 712—728. Bouquet VI, 386—397. Epp, V, 275—298.
VgL Cb. Pfister in Annales de l'Est 1890, S. 261 if.; Hampe im NA. XXI,
747—760.
*) Poet. Car. III, 411. Bedae opp. ed. Giles X p. X. Catal. gen. des
mscrts. de France XVII, 112. Delisle Anc. Sacrament. p. 400.
Annales Bertiniani. Hofschule Karls des K. 323
Fragen, in denen die Gemeinsamkeit der Bildung wie der Interessen
sich vornehmlich zeigt; die überaus reiche und bedeutende theo-
logische Litteratur des neunten Jahrhunderts UUst sich gar nicht
getrennt behandeln. In der historischen dagegen verhält es sich
anders; diese wird naturgemäl's von der politischen Trennung weit
stärker berührt und sondert sich rascher in verschiedene Zweige.
Alles was die Lokalgeschichte betrifft, gewinnt nur noch in einzelnen
Fällen Bedeutung für das Nachbarland; die wichtigeren Werke all-
gemeiner Art aber dürfen nicht aufser acht gelassen werden, und bei
der engen Verbindung der karolingischen Teilreiche finden wir in
diesen immer auch die Nachbarländer, wenn nicht gleichmäfsig, so
doch mit wenig geringerer Sorgfalt berücksichtigt, als die Heimat.
Vor allem gilt das von der Reichshistoriographie der Annalen.
Wie die Fulder Annalen auch für Frankreich von Wichtigkeit sind,
so noch mehr die Be rtinian ischen ') für Deutschland.
Die alten Reichsann alen bilden für beide Reiche gleichmäfsig
den Ausgangspunkt; während man aber am ostfränkischen Hofe
diese Aufgabe erst nach einiger Zeit wieder aufnahm, trat im west-
lichen Franken keine Unterbrechung ein, und wir finden schon in
den Jahren 830—835 eine gleichzeitige Fortsetzung. Das Kloster
St. Bertin hat nur deshalb den Namen dazu hergegeben, weil diese
Annalen zuerst aus einer Handschrift desselben bekannt wurden;
sie tragen ein durchaus universelles Gepräge und haften an keinem
bestimmten Oi*te.
Die Hofschule bestand unter Ludwig dem Frommen, wie wir sahen,
ebenso wie unter seinem Vater. Nicht minder unter dem geistig sehr
angeregten Karl dem Kahlen, an dessen Hofe Johannes Scotus'-)
glänzte, einer der gröfsten Gelehrten dieses Zeitalters, bekannt durch
1) Annales Bertiniani ed. Pertz, MG. SS. I, 419—515. Neue Ausg.
V. G. Waitz, Hann. 1883, 8; vgl. dens.: Ueber die Ueberlieferung der
Ann. Bertiniani, Berl. SB. 1883, S. 113—121. Benutzt sind aufser den
Hss. das Chron. Vedastinum, Cont. Aimoini, der einige Zusätze von
zweifelhaftem Ursprung hat, Ann. Mettenses, über deren jetzt in Berlin
befindl. Hs. Wattenbach NA. XYI, 607—609 berichtet hat. Wenig Hülfe
bietet das fast ganz aus Ann. Bertin. u. Vedastini geschöpfte Chronicon
de gestis Normannorum in Francin, MG. I, 532 — 536, in ganz unbestimm-
ter Zeit in St. Omer verfafst. Uebers. der Ann. Bertin. von Jasmund
1857. 1890. Geschichtschr. Bd. 24 (IX, 9).
^) Reuter, Gesch. d. Aufklärung I, 54 — 64. Briefe von ihm Epp. V,
680. VI, 158 — 162; seine Gedichte Versus lohannis Sapientissimi in der
Ausgabe seiner Werke von Floss, Migne CXXXII, .593—610. 1221—1240
ex cod. Vat. Christ. 1587. von Traube, Poet. Car. III, 518—553. 757 mit
sehr beachtenswerter Einleitung. Die Spottverse auf Rom : Nobilibus
quondam bei Migne 1194, Traube 555.
324 II- Karolinger. § 20. Frankreich.
seinen Anteil an dem Prädestinationsstreite, wie durch seine üeber-
setzungen aus dem Griechischen, da er einer der seltenen Kenner
dieser Sprache war. In den Jahren 859 — 869 verfafste er zur Ver-
herrlichung Karls und seiner Gemahlin Irmintrud eine Reihe von
lobpreisenden Gedichten, darunter sogar mehrere griechische. Karl
widmete auch ein unbekannter Autor ein geographisches Werk,
welches, ganz aus Stellen alter Schriftsteller zusammengesetzt, Zeugnis
für die eifrig betriebenen Studien in jener Zeit ablegt^). Seine Sorge
für wissenschaftliche Bildung wird hoch gepriesen, und zu seiner
Zeit wird Manno aus Laon als Vorsteher der Hofschule genannt,
von dem gleichnamigen Probste von Saint-Oyan (später Saint-Claude)
im Jura zu unterscheiden, der diesem Stifte mehrere noch jetzt er-
haltene Handschriften dargebracht hat^). An den theologischen Lehr-
streitigkeiten nahm Karl den wärmsten und eifrigsten Anteil , wie
seine Beziehungen zu Jonas, Lupus, Radbert, Ratramnus, Hink-
mar u. a. beweisen, nicht minder liebte er die Gaben der Muse eines
Heirich, Milo, Hukbald u. a. — „rex atque theologus idem" heilst
er deshalb bei Joh. Scottus (Poet. Car. III, 545).
In der Schule Ludwigs ist auch der Spanier Galindo ausgebildet,
welcher den Namen Prudentius annahm^); ein vornehmer Jüng-
ling, welcher frühzeitig ins Frankenreich gebracht war. Aus dieser
Zeit, noch vor 817, haben sich an ihn gerichtete Verse eines un-
bekannten Dichters erhalten, leider nur teilweise verständlich^).
Theodulf, Clemens und Thomas werden darin erwähnt. Als die
Kaiserin Judith sich einst in Gefahr befand, hat er für sie auf
ihren Wunsch Floi'es psalmorum zusammengestellt^). Die Verse
Walahfrids ad Prudentium magistrum (oben S. 279) werden doch
M Anonymi de situ orbis libri duo, ed. M. Manitius, Stuttg. 1884.
Der Prolog NA. IV, 176; von Heirich benutzt s. Poet. Car. III, 438,
Solinus ed. Mommsen ed. alt. p. XXVIII.
^) „Voto bonae memoriae Mannonis liber ad sepulcrmn sancti Augendi
oblatus." S. Dümmler, Ostfr. III, 652. Probst war er schon 870. Mit
Manno beschäftigt sich Traube „Zur Ueberlieferung der Elegien des
Maximianus" im Rhein. Mus. für Philol. N. F. XLVIII, 284—289, wo der
Probst von Saint-Oyan völlig von dem Lehrer an der Hofscliule zwischen
864 und 893, geb. 843, Priester 876, unterschieden wird, üeber seinen
Kollegen Joseph s. unten S. 330. Merkwürdige Verse und Briefe aus
Karls d. K. Zeit, worin auch Manno erwähnt wird, NA. XIII, 343—3-57,
herausgeg. von Dümmler, jetzt Epp. VI, 180 — 187.
=*) Ebert II, 267, u. S. 365—368 über die Annalen. Dümmler, NA.
IV, 314.
*) Poet. Car. I. 579. Dafs der Verf. Prudens geheifsen, widerlegt
L. Traube, Karol. Dicht. S. 65, u. gibt Verbesserungen zum Texte.
'•') Poet. Car. II, 701. Der Prolog gedruckt bei A. Mai. Nova Coli.
IX, 369, Epp. V, 323-324.
Annales ßertiniani. 325
wohl sicher an denselben Galindo gerichtet sein, welcher zwischen 843
und 84G Bischof von Troyes geworden, am <5. April 801 gestorben
ist. Von ihm selbst haben wir Verse aus einem von ihm seiner Kirche
gewidmeten Evangelienbuch'), und kirchliche Schriften.
Dieser Prudentius wird von Hinkmar als der Fortsetzer der
Annalen genannt, auch 861 von ihm der Tod desselben mit scharfem
Tadel seiner in den letzten Jahren ketzerischen Haltung angemerkt.
J. Girgensohn-) hat sich bemüht zu erweisen, dafs der Inhalt der
Annalen genau zu dem stimmt, was wir von Prudentius wissen,
indem er 835 — 840 dem alten Kaiser treu ergeben ist, bis 853
Karls des Kahlen Handlungen möglichst zu beschönigen sucht, nach
der Synode von Quierzy aber, wo er die seiner früheren Lehre
widerstreitenden Artikel unterschreiben mufste, auch rücksichtslosen
Tadel nicht scheut. Der Brief Hinkmars, welcher allein uns die
Kunde von Prudentius' Autorschaft erhalten hat, zeigt zugleich, dafs
die Urschrift des Werkes, welches schon vielen bekannt geworden
war, sich in des Königs Händen befand, und bestätigt dadurch den
offiziellen Charakter desselben. Nur darf man nicht vergessen, wie
selbständig die Bischöfe Frankreichs ihrem Könige gegenüber
standen, und es ist deshalb nicht zu verwundern, dafs Prudentius
seine eigene Meinung mit einer Entschiedenheit ausspricht, welche
Rudolf von Fulda ganz fern liegt. Noch weit unabhängiger er-
scheint die Fortsetzung, welche der Erzbischof Hinkmar von
Reims bis zum Jahre 882, dem Jahre seines Todes, fortgeführt hat.
Sie bietet uns die Reichsgeschichte aus dem Standpunkte des Ver-
fassers, des'bedeutendsten Staatsmannes im Reiche Karls des Kahlen,
der unablässig bis an seinen Tod für das Wohl des Reiches und
die Selbständigkeit der westfränkischen Kirche auch gegen König
und Papst gearbeitet und gekämpft hat, nicht immer mit redlichen
Mitteln allein, obgleich freilich Schrörs (S. 307. 507—512) ihn von
dem Verdachte zu befreien sucht, dafs er zur Erreichung seiner
Zwecke auch Fälschungen und Erdichtungen nicht verschmäht habe ;
') Die von mir unbenutzt gebliebene Hs. befindet sich jetzt in Paris,
s. Delisle, Anc. Sacramentaires p. 297. — Briefe des Prudentius Epp. V,
f)31 — 633 an Wenilo v. Sens, Formulae ed. Zeumer p. .336 (Mabillon
Anal, vet p. 418) an Walahfrid, vgl. dazu die an ihn gerichteten Verse
p. 375.
2) Prudentius und die Bert. Annalen, Riga 1875. Vgl. d. Rec. von
F. Bahn in Lit. Centralbl. 1876 S. 848. Baehr S. 453—456. C. v. Noorden,
Hincmar S. 152. Sein Latein ist mangelhafter als man von Pr. er-
warten sollte. Aber auch Hinkmar hat auf die Form wenig Sorgfalt
verwandt.
326 ^^- Karolinger. § 20. Frankreich.
ein sicheres Beispiel kecker Fälschung hat Krusch ia der Vita Re-
migii nachgewiesen'): verfafst im Jahre 878, enthält sie in der
Translatio einige Nachrichten aus der karolingischen Zeit. Sicher
aber sind seine Annalen von solchen Flecken rein, wenngleich au
manchen Stellen nicht frei von Parteilichkeit, und als die hervor-
ragendste Geschichtsquelle dieser Zeit zu betrachten').
1) Auctt. antt. IV. 2 p.XXII, die Ausgabe SS. Merov. III, 239—341.
ausführlich Reimser Remigiusfälschungen NA. XX, 509 — 5B8.
^) Als Verfasser der Annalen nennt ihn Richer im Prolog seiner Ge-
schichte. Ueber deren Glaubwürdigkeit v. Noorden S. 153. E. Büchting,
Glaubwürdigkeit Hincmars v. R. im 3. Teil der Ann. Bert. Hall. Diss.
1887. — Hincmari Opuscula et epp. ed. Cordesius. Par. 1615, 4 (dem
mit einigen Schreiben H.s schon Flacius vorausgegangen war). Opera
ed. Sirmond 1645, f. Neuer Abdruck bei Migne Vol. CXXV. CXXVI.
Verz. bei Schrörs, S. 512 — 588. Zwei neu entdeckte Schriften hat Gund-
lach herausgegeben, Zeitschr. f. Kirchengesch. X, S. 92 — 145. 258—310,
das Gutachten gegen Rothad, Schrörs n. 134, und die erste Schrift gegen
Gottschalk (849 oder 850) an die „filii simplices" seiner Gemeinde.
Was von Hinkmars Versen sich erhalten hat, ist von L. Traube heraus-
gegeben Poet. Gar. III, 406 — 420. Die wichtige Schrift De villa Novilliaco
von Holder-Egger SS. XV, 2, 1167—1169, dazu Verbesserungen NA. XXIII.
196 — 198. Dafs H. die CoUectio de raptoribus im Capitul. von Quierzy
857 verfafst habe, weist Krause nach, NA. XVIII, 303—308, vgl. XX,
493. Vgl. C. v. Noorden, Hincraar Erzb. von Rheims 1863, rec. von
Wenck, Hist. Zeitschr. XI. 222, von Dümmler im Litt. Centralbl. 1864
Sp. 1197. Dümmler, Ostfr. III, 210—213. Heller, Allg. D. Biogr. XII,
438 — 456. Schrörs, H. v. R. Sein Leben u. seine Schriften, Freib. 1884,
rec. V. Dümmler im Centralbl. 1884, Sp. 1197. In diesen Werken sind
auch die übrigen geschichtlich wichtigen Schriften Hinkmars besprochen
und ausgebeutet. Seine für Karlmann geschriebene Darstellung der Re-
gierungsweise Karls des Grofsen ist oben S. 303 erwähnt. Vgl. Dirksen,
Hinterlassene Schriften II, 130 — 841: H. als Kenner der Quellen des
römischen Rechts, Conrat über eine Quelle der röm. rechtl. Texte bei
Hinkmar NA. XXIV, 349—357. Ueber die von H. gestifteten Prachthss.
und andere ältere aus Reims vgl. NA. XXVII, 273. Hinkmar befahl seinem
Klerus 852 § 8, den compotus, d. h. die Osterberechnung zu lernen
(Marlot. Hist. Rem. I, 418). Damit verbindet Bock bei Weifs, K. Alfred
S. 31, die Inschrift bei Varin, Archives admin. de Reims I, 334, wonach
der Probst Sicfarius von Saint-Remi, der kurz vor Hinkmar dem Kloster
vorstand und Gregors Moralien abschreiben liel's, eine Schule baute:
^Huic claustro pollent studio loca compotis apta'^ etc. Compotis als Gen.
nach Traube, 0 Roma p. 373. 847 war Sigloardus presb. caput scholae
S. Remensis ecclesiae, Marlot I, 390. Polyptyque de l'abb. de St. Remi
et Guerard p. 57. — Geschichtlich wichtig sind auch die Parteischriften :
Narratio clericorum Remensiuni, qualiter Ebbo Rem. archiep. deposifus,
niox restitufus ac iterum deiectus est, bei Duchesne II, 340. Bouquet VII,
277, und Apologeticon Ebhonis, NA. XXV, 361—378. — Die Translatio S.
Remigii, der 882 wegen der Normannen nach Epernai, von da nach Or-
bais, 883 von Fulco zurückgebracht wurde (Acta SS. Oct. I, 170) enthält
fast nichts , was nicht auch bei Flodoard steht. Die griech. Verse im
cod. Laudun. 444 sind an Hinkmar von Laon gerichtet nach L. Traube,
0 Roma nob. p. 363, Poet. Car. III, 696.
Annales Vedastini und Chronicon Vedast. 327
Von dem einflufsreichsten, nur vorübergehend beiseite gedrängten
Staatsmanne herrührend, unterscheiden Hinkniars Annalen sich noch
wesentlich von einfachen Privatarbeiten; mit seinem Tode versiegte
in Frankreich noch früher als in Deutschland diese Art der Geschicht-
schreibung, wie denn auch der Verfall des Reiches hier noch rascher
und unaufhaltsamer eintrat.
Allein in ganz ähnlicher Weise, wie wir in Deutschland neben
den Reichsannalen die Jahrbücher von Xanten finden, wie auch nach
dem üebergange der amtlichen Geschichtschreibung an die Bayern
die Jahrbücher von Fulda unabhängig aus freiem Antriebe weiter
fortgesetzt wurden, so stehen auch in Frankreich den Annalen
Hinkmars die Jahrbücher von St. Vaast') bei Arras zur Seite. Sie
reichen von 874 — 900; vielleicht ist aber was uns vorliegt, nur ein
Bruchstück. Auf das Kloster des heiligen Vedast weisen mehrere
Stellen hin, aber die Absicht des Verfassers war, die Geschichte des
westfränkischen Reiches zu schreiben ; die Darstellung ist ausführ-
lich und umfassend, und dabei frei von den Rücksichten, welche
in den Bertinianischen Annalen unverkennbar sind. Die Zwietracht
im Reiche und die Heimsuchungen durch die Normannen werden
mit lebhaften Farben geschildert. Wie in Deutschland die Xantener
Annalen, so blieben auch hier die Vedastiner fast unbekannt; in Reims
Wulste man nichts von ihnen, als Richer seine Geschichte schrieb,
lind wir haben ihre Erhaltung als einen besonderen Glücksfall zu
betrachten. Aufserdem beschäftigte man sich hier angelegentlichst
mit dem Schutzheiligen, dessen W^under um 850 der Küster und
Schulvorsteher Haimin beschrieb, ein gefeierter Gelehrter, welchem
sein Schüler Milo das metrische Leben des heiligen Amandus widmete.
Bei der wachsenden Kriegsgefahr wurde der heilige Vedast 852
feierlich erhoben und wieder wurde ein Buch über seine Wunder
geschrieben. Die Normannen jedoch fürchteten sich nicht vor ihm,
880 wurde er nach Beauvais geflüchtet, 893 heimgeführt, und auch
darüber von Ulmar eine Schrift verfafst; allerlei für die Zeit-
geschichte nicht unerhebliche Nachrichten hat daraus Holder-Egger
ausgehoben"-).
•) Annales Vedastini ed. Pertz, MG. SS. I, 516—531, und nach Auf-
findung der Brüsseler Handschrift in verbessertem Abdruck II, 196 — 290,
Faks. in Arndts Schriftt. 18. Vgl. Düramler, de Arnulfo rege p. 176.
Uebersetzt von Jasmund bei den Ann. Bert.
^) Monumenfa Vedastina minora, SS. XV, 896 — 405: I. Ex Miraculorum
1. I. auct. Haimino. II. Ex libro II. auct. Ulmaro aliisque (vgl. aber
S. 1315). III. Sermo de relatione S. Vedasti. IV. Ex Apparitione S.
328 II- Karolinger. § 20. Frankreich.
Die Annalen kannte man im eigenen Kloster wohl, und mufs
auch eine grofse Fülle von historischem Materiale gehabt haben,
denn gegen das Ende des elften Jahrhunderts ist hier eine grofse
weltgeschichtliche Kompilation bis 899 aus vielerlei Quellen ohne
viel Geschick zusammengearbeitet, welche sich in einer jetzt in
Douai befindlichen Handschrift erhalten hat, aus der sie erst kürzlich
bekannt geworden ist; jetzt hat den wesentlichen Inhalt mit Fort-
lassung des Anfangs und der wörtlich entlehnten Stellen Waitz;
(SS. XIII, 674—709) als Chronicon Vedastinum herausgegeben 0-
Aufser Hieronymus, Orosius, Beda, Isidor, Nennius, Jordanis,
Gregor von Tours ist Fredegar mit seinen Fortsetzungen benutzt,
und die Keichsannalen mit den Bertin. und Vedast. , welche fast
ganz aufgenommen sind, so dafs die Handschrift zur Verbesserung
des Textes benutzt werden kann. Von besonderer Wichtigkeit ist
die Benutzung der oben S. 221 erwähnten Kompilation bis 805, von
der Waitz vermutet, dafs sie noch höher hinaufgereicht habe, da
schon im siebenten und achten Jahrhundert gleiche Quelle mit den
Ann. Mett. wahrzunehmen ist; doch mufs für die Zeit Karl Martells
die Vorlage eine Lücke gehabt haben. Einige Stellen stimmen mit
der Bistumsgeschichte von Cambrai überein, Avas für die Zeit der
Abfassung entscheidend sein würde; doch nennt der Verfasser diese
Quelle Gesta Remensium, und ganz sicher ist die Benutzung nicht.
Er gibt aber manchmal seinen Quellen falsche Benennungen, weicht
auch im Wortlaut ab, und hat allerlei Nachrichten, deren Her-
kunft nicht festzustellen und deren Wert zweifelhaft ist. Guiman
von St. Vaast um 1170, Hermann von Tournai und Andreas von
Marchiennes haben das Werk benutzt; früher als ins elfte Jahr-
hundert kann es nach der Beschaffenheit der allem Anscheine nach
erhaltenen Originalhandschrift unmöglich gesetzt werden.
Gehört nun diese Bearbeitung schon späterer Zeit an, so stammen
dagegen die oben S. 120 erwähnten Gesta Dagoberti aus dem Ende
Vedasti auctore Huberto presbytero, Haimin gewidmet. Ueber Haiminus
vgl. Poet. Car. III, 557. 682.
^) S. 682, 32 1. campi sucla; der angeführte Vers ist Prudentii Psychom.
637. 688. Die Ausgabe von Dehaisnes, Les Annales de Saint-Bertin et
de Saint-Vaast, suivis de fragments d'une chronique inedite, 1871, war
verfehlt, s. Monod, Revue crit. 1872, I, S. 242—254; G. Waitz, GGA.
1873, S. 1—9; W. Arndt, HZ. XXXI, 167—171. Eine ältere Kompilation
bis zum 6. Jahr des Heraclius, welche hierin benutzt scheint, beschreibt
Mommsen NA. XVI, 430. — MG. SS. XIII, 710: Ex Guimanni libro de
possessionibus S. Vedasti; p. 750: Catal. epp. Atrebafensium; p. 382: Serles
nbbatum S. Vedasti, e cod. saec. IX. abweichend von der sonst über-
lieferten Folge.
Westfränkische Annalen. Abbo. 329
des neunten Jahrhunderts, und um 900 war nach B. Krusch auch
schon die Bearbeitung vollendet, welche aus Gregor von Tours
mit der unter Fredegars Namen bekannten Sammlung und deren
Fortsetzern eine einigermafsen lesbare Frankengeschichte herstellte
(S. 222).
Wir finden also auch in Frankreich eine nicht unbedeutende
Beschäftigung mit der Geschichte, und namentlich die annalistische
Form der gleichzeitigen Geschichtschreibung reich entwickelt, bis
sie durch den Verfall des Reiches erstickt wird. So u. a. frühzeitig
in dem Kloster der heiligen Columba zu Sens Annalen, die in
späteren Werken verwertet wurden'). Von Aufzeichnungen anderer
Art ist nur noch die poetische Behandlung der Belagerung der
Stadt Paris durch die Normannen vom November 885 — 886 und der
weiteren Kämpfe bis 896 zu erwähnen, verfafst von Abbo^), einem
'j Ann. S. Columbae Senonensis 708—1218 ed. Pertz MG. SS. I,
102 — 109, bis 840 in den Ann. Maximini ausgeschrieben, s. unten III § 7.
Nach einem vollständigeren P]xemplare bis 922 sind sie von Albricus
benutzt, s. SS. XXIII, 661. Verwandte Notizen aus einem Martyrologium
bei Delisle, Not. et extr. XXXI, 1, 68—70, Sacrament. p. 114. 164. Von
den unbedeutenderen kleinen Annalen , welche doch häutig einzelne
schätzbare Nachrichten enthalten, erwähne ich Ann. S. Quintini Vero-
mandenses ed. Bethmann SS. XVI, 507, von 793—994 meist gleichzeitig,
aber dürftig; Engolismenses ed. Pertz SS. XVI, 485, von 815—870 und
noch dürftiger fortgesetzt 886-930- 940—991 (daraus mit einigen Zu-
sätzen Chron. Aqnitanicum SS. II, 2-52, und Ann. Engoli^tmenses SS. IV, 5;
vgl. dazu Delisle in den Not. et extr., XXXV, 1, 300, Lemoiic. II, 251
von 838 — 1060, Faksimile von Lair, Etudes crit. I.); Lugdunen.^es I, 110
von 769—841 (Catal. archiepp. Lugd. s. IX. s. NA. VIII, 624); Masciacenses
SS. III, 169 von 732—824 und fortgesetzt 832—1013, von Massai im
Berry; Verse auf dieses Kloster unter dem Abt Odo (935-967) vei-falst,
bei Senebier, Catal. des Manuscrits de Geneve p 130, u. H. Hagen, Carm.
med. aevi, p. 112; Ann. S. Medardi a. 497 — 987 und Auszüge aus der
Fortsetzung bis 1249 ed. Waitz, SS. XXVI, 518—522; Ann. Floriacenses
II, 254 von 864—1060; Nivemense.^ a. 509—1188, SS. XIII. 88— 91; S.
Victoris Mas^iliense-^ (darin Barcinonenses) 538 — 1542, SS. XXIII, 1 — 7;
vgl. Arnold S. 61; Kritik d. Ausgabe, u. Ausgabe von Albanes, Melanges^
d'Arch. et d'hist. VI. de l'Ecole fmn?. de Rome. Zwischen 1330 u. 1338,
angeblich nach einer verlorenen Chronik über und aus Karls d. Kahlen
Zeit verfafst, in der That aber ganz fabelhaft, begründet auf ein zur
Bewirkung der Kanonisation spät verfafstes Leben ist : Le roman en vers
de tres excellant, puissant et noble homme Girard de Rossillon, jadis duc
de Bourgogne, publie par Mignard, ä Paris 1858; vgl. Revue bist. VIII,
216; Paul Meyer: La Legende de Girart de R. in d. Zeitschr. Romania,
1879. Uebers. mit Einl. von dems. 1884. A. Stimming: Ueber die
provenz. G. de R. 18S8.
2) Abbonis de hellh Parixiacae urhi^ libri 111 ed. Pertz, MG. SS. II,
776—805. Sep.-Abdr. 1871, besser v. Winterfeld Poet. Car. IV, 71—122.
Vgl. E. A. Freemans Essay: The early sieges of Paris. Das dritte Buch,
hinzugefügt, um der heiligen Dreizahl zu genügen, ist nur allegorisch
330 If- Karolinger. § 20. Frankreich.
Mönche von St. Germain-des-Pres, zur Verherrlichung seines Heiligen ;
schätzbar durch ihren Inhalt und belehrender als manches Geschichts-
werk, da der Dichter diese Ereignisse selbst mit durchlebt hatte, in
sehr gezierter und gesuchter, oft kaum verständlicher Sprache. Im
allgemeinen überwog in Frankreich noch mehr als in Deutschland
die Richtung auf theologische und philosophische Gelehrsamkeit; die
kirchlichen Fragen beschäftigten die Geister im höchsten Grade und
die wissenschaftliche Thätigkeit, welche Karl der Kahle bei aller
Schwäche seiner Regierung zwar lebhaft begünstigte^), kam der
Geschichte weniger zu gute. Denn die üeb er arbeitung oder auch
neue Aufzeichnung älterer Heiligenleben, welche auch hier vielfach
vorkommt, hatte mehr einen liturgischen oder doch erbaulichen
Zweck; die Form ist die Hauptsache dabei und von ernstlicher
geschichtlicher Forschung nicht die Rede.
In Chelles liefs die Aebtissin Hegilwich, die Mutter der Kaiserin
Judith, 833 den Leib der Königin Baltechildis erheben, worüber
gramm. Inhalts und besteht fast ganz aus seltenen, schwer verständlichen
Worten. Doch ist es mit Glossen für den Unterricht versehen und auch
abgesondert öfter abgeschrieben, gedr. in Mangearts Catal. de Valenc.
S. 656 — 659. Abbos Klosterbruder A i m o i n gibt in seinen zwei Büchern
de S. Germani miraculift ebenfalls Nachrichten über frühere Verheerungen
der Normannen; s. über seine Schriften Baehr S. 243; Ebert II, 352,
NA. IV, 543. Vgl. NA. XII, 447, über eine K. Odo gewidmete poet.
Bearbeitung. Die von Aimoin aufgenommene Translatio S. Germani
a. 845 Anal. Boll. II, 69-98, MG. SS. XV, 10—16. Trandafio S. Medenci
(Mab. III, 1, 14. Acta SS. Aug. VI, 524) in Paris 884 durch Bischof
Oauslin, Abt von St. Germain und St. Denis, enthält sonst keine Nach-
richten. Translatio S. Bertae (Mab. III, 1, 454. Acta SS. Jul. II, 54) von
Blangi bei Amiens 895 nach Erstein im Elsafs, um sie vor den Nor-
mannen zu retten, gedenkt einer Synode zu Tribur, wo die Aebtissin
Rotrudis von Erstein anwesend war. Auszug Ex Miraciilis et transl. S. B.
ed. L. de Heinemann, SS. XV, 564.
') Graf Vi vi an Laienabt von St. Martin und Marmoutiers, widmete
ihm 850 die herrliche Bibel Paris Lat. 1. mit den Versen bei Traube, Poet.
Lat. III, 243. Joseph, in Tours unter Erzbischof Amalrich (von vor
849— S55) , der früher Vorstand der Schule gewesen war, gebildet mit
Paul, 849 — 855 Erzbischof von Rouen, war 847 und 848 Kanzler Pippins IL
von Aquitanien, dann „incljrti regis Ludowici (des Stammlers) liberalium
litterarum praeceptor atque eiusdem sacri palatii cancellariorum mini-
sterio functus". Er schrieb auf Bitten jenes Paul Translatio S. Ragno-
herti, der 847 von Bayeux mit Frechulfs Rat nach St. Victor d. Lexov.
und dann in die neugebaute Kirche in Suiacum, vermutlich Notre-Dame-
d'Epines, gebracht wurde, wo Frechulf den Hauptaltar weihte; gedr. bei
d'Achery SpiciL XII, 600-621. II, 127—133 ed. IL Acta SS. Mai III,
620 — 624, Er erwähnt den Tod beider Erzbischöfe gleich nach Beginn
seiner Arbeit. Vermutlich schrieb er auch die betrüglich dem Lupus
untergeschobene Vita S. Rarpioherti, ein Plagiat der Vita S. Reverentii;
ed. Jules Lair, Bibl. de l'Ecole des Chartes V, 3, 89—124.
Translationen. Caimina Centulensia. 331
bald nach 856 berichtet wurde'). Etwas später finden sich hin und
wieder Nachrichten über die Unthaten der Normannen in den Samm-
lungen vonWundergeschichteu und den Berichten über die Irrfahrten
der vor den gottlosen Feinden geflüchteten Reliquien. So in den
Miracula S. Benedicti und S. Filiberti, welche letzteren nebst den
Uebertragungen Ermentarius zuerst als Mönch, dann als Abt von
Noirmoiitier aufgezeichnet hat, ferner in des Abts Od o von Glan-
feuil Geschichte der üebertragung des heiligen Maurus von Saint-
Maur-sur-Loire nach Saint-Maur-des-Fosses bei Paris-) 868, welche
wohl etwas, doch nicht viel mehr Glauben verdienen mag, als des-
selben Odo angeblich nach einem gleichzeitigen Werke des Faustus
erneuertes Leben des heiligen Maurus ■'), und mit besonderer Leb-
haftigkeit und Anschaulichkeit in den Wundergeschichten vom
heiligen Bertin US'*). Nicht minder in den Wundern des heiligen
Quintinus und dem Berichte über seine und seiner Genossen
Victorius und Cassianus Bestattung, worin verloi'ene Annalen be-
nutzt sind. In die kurze Regierung Karls III. über das westfrän-
kische Reich fallen rhythmische Gedichte auf die üebertragung
der Heiligen Cyprianus und Cornelius aus Senlis, wohin sie
vor den Heiden geflüchtet waren, nach Compiegne aus den Jahren
886—887 -').
Hierher gehören auch die schon oben S. 193 erwähnten Auf-
zeichnungen aus dem Kloster Saint-Riquier oder Centulum. Aus
diesem aber hat sich auch noch eine nicht unwichtige Sammlung
von Gedichten erhalten, mit welchen ja die Mönche des neunten
Jahrhunderts sich überaus gerne beschäftigten; sie beziehen sich
grofsenteils auf Aebte des Klosters, welche, ohne Ausnahme Laienäbte,
der kaiserlichen Familie angehörten, und dienen zur Berichtigung
der chronologischen Angabe Hariulfs. Die Hauptmasse rührt von
demDiaconus Micon her und umfafst die Jahre 825 — 853: er wirkte
1) Ex translatloni: S. Baltechildls, ed. Holder-Egger, SS. XY, 284.
-) Auszüge aus Ermentarius von Holder-Egger SS. XV, 1, 297 — 303.
1315. Ti'anslatio S. Mauri Mab. lY, 2, 165 — 183. Ex Odonis miracidis
S. ilauri sive restauratione nioti. Glannafoiiensis, SS. XV, 461 — 472. Vgl.
Ebert II, 351.
^) Schon von Papebroch aufgegeben, doch noch häufig benutzt; s. P.
Roth, Gesch. des Benefizialwesens, S. 438; Bonneil, Die Anfänge, S. 200.
Zeumer, NA. XI, 316, Traube Reg. S. Bened. S. 697.
^) Miracula S. Bertini bis 891, mit späteren Fortsetzungen, MG. SS.
XV, 507 — 534, von Holder-Hgger. Daselbst auch Ex miracidis S. Martialis,
S. 280 — 283. Mirac. S. Quintini und Sermo de tumulat. Quirini Acta
SS. Oct. XIII, 818. SS. XY, 265—273.
5) Herausgeg. von Winterfeld. Poet. Car. lY, 2.36—241.
332 IJ- Karolinger. § 20. Frankreich.
als Lehrer und hat auch eine Zusammenstellung von Versen älterer
Dichter zu prosodischen Zwecken auf überlieferter Grundlage verfal'st.
Verbunden sind damit Gedichte des Spittlers Fredigardus aus
den Jahren 861 — 871 und vermutlich auch seines Zeitgenossen, des
Kustos Odulfus, welchem Traube einen von Hariulf in seine
Chronik (III, 11. 12. 14) aufgenommenen Bericht über die von
ihm gesammelten Reliquien zuschreibt. Nachdem einige wenige
dieser Gedichte an verschiedenen Orten veröffentlicht waren und
Bethmann schon vor 60 Jahren die ganze Sammlung abgeschrieben
hatte, ist sie jetzt von L. Traube vollständig herausgegeben und
schai'fsinnig erläutert').
Zu den berühmtesten Gelehrten dieser Zeit gehörte Heirich
aus Auxerre, 841 geboren und seit 850 zum Diener des heiligen
Germanus geschoren; 859 wurde er zum Subdiaconus geweiht und
hat dann, nach der Sitte der lernbegierigen jungen Mönche jener
Zeit verschiedene Lehrer aufgesucht, namentlich auch Schotten -
mönche, nach Traubes wahrscheinlicher Vermutung in Laon, wo
eine irische Sippe ihren Mittelpunkt hatte. Eine alte Aufzeichnung^)
nennt ihn einen Schüler des Schotten Elias, Bischofs von Angoul6me
(t 860), und als seine Schüler wieder Remigius, der die Reimser
Schule herstellte, und Hukbald den Kahlkopf von St. Amand').
Er selbst nennt Lupus, den Abt von Ferrieres, und Haimo, ver-
mutlich in Auxerre, seine Lehrer, in den Versen, mit welchen er
dem Bischof Hildebold von Soissons die Collectaneen überreichte,
die er jenen verdankte, Auszüge aus Valerius Maximus und anderen
Schriftstellern'^). Sogar den unsauberen Petronius hat er studiert,
') Carmina Centuhnsia, Poet. Car. III, 265—368, 7.53 — 754. Zu Micon
und den übrigen Dichtern von S. Riquier gibt M. Manitius Citate und
Anklänge, Wochenschrift für klass. Philol. 1893 S. 629—634, Rhein. Mus.
L (1895) S. 315 — 320. Ueber eine Pariser Hs. des Micon s. Bonnet in der
Revue de Philol. Nouv. ser. t. XVIII, 159.
-) Bethmann, Archiv X, 333 ; ohne Kenntnis dieses Abdrucks wieder-
holt von Lucian Müller im Rhein. Mus. NF. XXII, 635, korrekter bei
Delisle, Not. et extr. XXXV, 1, 311. Quelle des Ademarus Caban. III, 5.
Der Codex stammt von einem Mönch S. Martialis Lemovicensis , wo
Ademar studiert hat, Arch. VIII, 575, Delisle a. a. 0. 803 — 309. Ueber
Elias vgl. Delisle, Anc. Sacram. p. 94.
^) Mab. Anal. p. 422. Kommentar zu Mart. Capeila, Bandini II, 538,
soll von Remigius sein. Vgl. über Heirichs Gelehrsamkeit auch Prantl,
Gesch. d. Logik II, 41 — 44, vorzüglich aber L. Traube in der Einleitung
zur Ausgabe seiner Gedichte, Poet. Car. III, 421—517. 755—757. Ueber
Heirich hat sehr eingehend L. Traube gehandelt NA. XVIII, 71 — 105.
„Computus Helperici" (s. die Briefe Epp. VI, 117 — 124). Ueber seine
Excerptensammlung nach Diktaten des Lupus, Haimo und vielleicht des
Iren Elias Traube, Rhein. Mus. für Philol. NF. XLVII, 558—568. Ueber
Heiiich von Auxerre. Acta episcoi). Cenomanens. 333
und Verse von ihm zum Preise des heiligen Germanus benutzt').
Denn dessen Legende in Verse zu bringen, das war die grofse Auf-
gabe, welche ihm der jugendliche und früh (865) verstorbene Abt
Lothar, Karls des Kahlen Sohn, gestellt hatte, als er eben der Schule
entwachsen war. In langer Arbeit hat er das Werk vollführt, und
dem Kaiser Karl (also zwischen 875 und 877) mit vielen Lobsprüchen
überreicht; hinzugefügt sind zwei Bücher in Prosa über die Wunder
des heiligen Germanus, welche auch geschichtlich brauchbar» Angaben
enthalten-). In ihnen stützt er sich gelegentlich auf das Zeugnis
des ihm befreundeten britischen Bischofs Marcus in Soissons^).
Später war er selbst ein gefeierter Lehrer; eine Vermutung von
Traube, der ihn für den Verfasser des in den Handschriften bald
einem Heiricus, bald einem Helpericus zugeschriebenen Computus
hielt und deshalb glaubte, Heiricus habe später auch in Granfelden
gelehrt, wird von ihrem Urheber zurückgezogen. Wahrscheinlich
hat man in Auxerre in Erinnerung an den berühmten Lehrer seinen
Namen an die Stelle des unbekannteren Helpericus gesetzt. Seine
ungewöhnliche Gelehrsamkeit hat Heirich auch durch seine in tiro-
nischen Noten geschriebenen Bemerkungen zu astronomisch-chrono-
logischen Schriften von Beda und anderen bewiesen, während die
kurzen Annalen von 826 — 875 in derselben Handschrift wenig Sinn
für geschichtliche Aufzeichnungen verraten''). Doch hat Heirich
sich auch an der Geschichte der Bischöfe von Auxerre beteiligt,
die er in Gemeinschaft mit den Domherren Rainogala und Alagus
verfafste, ein Werk, das als einer der frühesten Versuche der Art
Beachtung verdient, übrigens aber für die ältere Zeit unzuverlässig,
für die näher liegende dürftig ist^).
Eine zweite Bistumsgeschichte haben wir ausLeMans, wo 832
eine unvollständige Hs. der poet. V. Germani aus Hautmont s. Anal.
Boll. XV, 278.
') Petronius ed. Buecheler, p. XL
2) Labbe, Bibl. I, 531—569. Acta SS. Jul. VII, 221, die Wunder
S. 255—283. Daraus Duru, Bibl. bist, de rVonne II (1863) S. 1—248.
Ex Heirici Miraculis S. Germani, MG. SS, XIII, 401, die Vorrede Epp.
VI, 124—126. Vgl. Dümmler NA. IV, 529.
') S. über diesen Mommsen in den Auctt. antt. XIII, 120. 172—176.
*) Sickel, Lettre sur un Manuscrit de Melk, Bibl. de TEcole des
Charles, 5. Serie, Tome III, p. 35. MG. SS. XIII, 80.
°) Gesta episcoporiim Autisiodorensium fortgesetzt bis 1593, bei Labbe.
Bibl. I, 411 — 526, neue Ausgabe von Duru. Bibl. bist, de I'Yonne, I,
Auxerre 1850. Excerpte MG. SS. XIII, 393; Forts. XXVI, 584. Vgl. P.
Roth, Benefizialwesen S. 444—450. Für ihren Wert als gleichzeitige
Quelle im 10. Jahrhundert Wold. Lippert . König Rudolf von Frankr.
(Leipzig 1886) S. 123.
334 II- Karolinger. § 20. Frankreich.
bis 856 Aldricli Bischof war, von vornehmer Herkunft aus Sachsen,
wodurch es sich erklärt, dafs er seinen Vorgänger, den heiligen
Liborius, nach Paderborn abliefs. In der Hofschule und im Metzer
Klerus hatte er seine gelehrte Bildung erhalten, und sein Wirken
in Le Mans, zu dessen Bischöfe Ludwig der Fromme ihn erhoben
hatte, wird sehr gerühmt, sowohl in Prosa, wie in Versen, die ein
eifriger Verehrer mit fleifsiger Benutzung älterer Dichter leidlich
korrekt, wenn auch nicht fehlerfrei, ihm zu Ehren verfafste').
Beide schrieben bei seinen Lebzeiten und überschreiten nicht das
Jahr 841. Verbunden ist mit der Biographie die Geschichte seiner
Vorgänger; leider steht dieses Werk einzig in seiner Art da durch
die erstaunliche Fülle gefälschter Urkunden, welche es enthält.
Vorzüglich gilt es dem Besitz der Abtei Anisola oder Saint-Calais,
welcher mit diesen Mitteln erstrebt wurde; dann aber auch der
Sicherung Aldrichs, welcher eine Zeitlang entsetzt war, gegen
weitere Anfechtung. Aus diesen Verhältnissen ist nach einer be-
sonders von B. Simson verfochtenen , jedoch wenig überzeugenden
Ansicht die pseudo-isidorische Sammlung hervorgegangen, und Ald-
rich der Beteiligung an dieser grofsartigen Fälsch erei verdächtig 'O.
In Reims waren die beiden Schulen der Domherren und der
Landgeistlichkeit nach Flodoards Angabe (IV, 9) gänzlich verfallen,
als Hinkmars Nachfolger Fulko (882—900) zu ihrer Herstellung
zwei Schüler Heirichs von Auxerre berieft). Meister Remigius von
^) Zuerst von D. Piolin in der Geschichte des Bistums, II, 535 — 546,
herausgegeben, dann von Dümmler, Poet. Car. II, 623 — 636.
^) Acta episcoporum Cenomanensium; s. darüber P. Roth, Gesch. des
Benefizialwesens, S. 451—461; Sickel, Acta Karol. II, 286—290. Ausg.
der Gesta Aldrici, auszugsweise von Waitz. SS. XV, 304 — 327 ; vollst, von
Charles und Froger, Mamers 1890. B. Simsons letzte Aeufserung HZ.
LXVIII, 193—210. Dagegen J. Havet, Bibl. de Fee. des eh. LIV, 597 ff.,
LV, 5 ff. Les actes des eveques de Mans und in Oeuvres I, 271 — 416.
Die Gesta Aldrici (bis c. 44) sind eine um 840 geschriebene Selbstbiogr.,
die Actus pontif. Cenoman. eine zwischen 850 und 856 entstandene Arbeit
des Chorbischofs David.
^) Ademari Chron. III, 5. Remigius, als theol. Schriftsteller bekannt
(Hist. litt, de la France VI, 99 ff., vgl. Prantl, Gesch. der Logik II, 44;
Rendiconti della Accad. dei Lincei ser. 5 vol. XI, 175 — 198: Commentar
zu den Dist. Caton. SB. der Münchener Akad. 1900 S. 535), selbst auch
ein Schüler des Schotten Dunchad (s. Traube im NA. XVIII, 103—104),
ging nach Fulkos Tode nach Paris, wo Odo von Cluny sein Schüler
war (V. Odonis 1. I, § 19). Andere Schüler von ihm sind die in
der Vita loh. Gorz. erwähnten Hildebold (zu S. Mihiel) und Blidulf,
Archidiaconus der Metzer Kirche, auch Erzb. Seulf v. Reims, Flod. IV,
18. Vgl. Huemer. Ueber ein Glossenwerk zum Sedulius, Wiener SB.
XCVI, 505—551. Ein von Sigebert fc. 123) erwähnter Brief von ihm Epp.
V, 635—640, vgl. NA. XXVI, 565—567. Von R. scheinen die zwei Briefe
Hukbald von St. Amand. 335
Auxerre, der die jungen Kleriker in den freien Künsten unterwies,
während der Erzbischof selbst mit ihnen Theologie trieb, und Huk-
bald den Kahlkopf von St. Amand. Dieser war ein Mönch in jenem
merkwürdigen Kloster, welches, auf der Grenzscbeide beider Sprachen
im Hennegau gelegen, uns zugleich das deutsche Ludwigslied und
das älteste Denkmal französischer Dichtung aufbewahrt hat'). Ein
NeflFe und Schüler des Milo -) , der zu Karls des Kahlen Zeit als
Schriftsteller gefeiert war (f 871 oder 872), übersandte er diesem
um 876 seines Oheims Werk de sobrietate mit einer poetischen
Widmung-') und liefs bald sein ebenso künstliches wie geschmack-
loses Gedicht in laudem calvorum folgen"), in welchem jedes Wort
mit C anfängt, mit einer Zueignung an Erzbischof Hatte von Mainz.
Nachdem Fulko, früher Abt von St. Bertin, zum Erzbischofe von
Reims erhoben worden war, erbat dessen Nachfolger Rodulf ihn
vom Abte Gauscelin von St. Amand, um seine mangelhaften Schul-
kenntnisse zu ergänzen"'); bald nachher aber mufs er jenem Rufe nach
Reims gefolgt sein, wo er eine Zeitlang als Lehrer wirkte, bis
sein Gönner Fulko starb. Aus dem Kreise dieses Erzbischofs, der,
von dem Priester Sigloard beklagt, sein Leben frühzeitig durch
Mörderhand verlor, stammt vielleicht eine um 899 — 900 verfafste,
Kaiser Karl III. zugeschriebene Vision"), welche zur Empfehlung
der Nachfolge Ludwigs, des Sohnes Bosos, im Reiche dienen soll,
zu sein, in deren einem an Bisch. Dado v. Verdun von der Herkunft der
Ungern die Rede ist, Dachery Spicil. XII, 349, Martene Coli. I, 320.
A Magyar Honfoglalas, Pest 1900, S. 329—334.
^) Fragmenta Elnonensia, von HofFmann, Gent 1837. 4., Neue Aufl.
1845. Faks. bei G. Paris, Les plus ancients Monuments de la langue
Francjaise, 1875 und Enneccerus, Zur lat. und franz. Eulalia, Marb. 1897,
von dem Ludwiegsliede bei Enneccerus, Die ältesten D. Sprachdenkm.,
Taf. 40—43; Versbau u. gesangl. Vortr. Frankf. 1901.
=) S. über ihn Dümmler, NA. IV, 521—526. Ebert II, 277—285. Von
einer zwischen 845 und 855 verfassten V. S. Amandi wird noch eine Hs.
aus Hautmont nachgewiesen, Anal. Bolland. XV, 280. Ausg. von Traube.
Poet. Car. III, 561—610.
') Diese allein bei Martene, Tlies. I, 45. Vollständige Ausg. von
Desplanque, Etüde sur un poeme inedit de Milon, moine de St.-Amand.
Lille 1871, von Traube, Poet. Car. III, 610—675.
*) Ausg. von Isidore Desilve, Valenciennes 1875; von Winterfeld, Poet.
Car. IV, 265-271; Hs. aus Hautmont, Anal. Boll. XV, 280 mit Vorrede.
Vgl. Jul. Desilve, De schola Elnonensi (These) Lovanii 1890.
■"■) Zur Sicherung seines Unterhaltes wies der Abt ihm 889 ein Land-
gut an, welclies er später den Mönchen von St. Bertin überliel's, MG.
SS. XIII, 623.
^) Abgedr. aus Wilhelm von Malmesbury SS. X, 458, vgl. über Zweck
und Zeit ihrer Entstehung Levison im NA. XXVII, 399—408. 493-502.
vgl. Poupardin, Royaume de Provence p. 324 — 332.
336 II- Karolinger. § 20. Frankreich.
im Gegensatze zu Berengar. Nebenbei gibt sich darin das Macht-
bewufstsein der Reimser Kirche kund.
Nach St. Amand heimgekehrt, verfafste Hukbald aufser andern
erbaulichen Schriften 907 ein Leben der heiligen Rictrudis, der
ersten Aebtissin von Marchiennes '), welches er dem Bischöfe Stephan
von Lüttich übersandte und, wenn die Vermutung des Herausgebers
richtig wäre, auf Veranlassung desselben Bischofs, die metrische
Vita S. Lamberti^), worin zuerst die von den früheren Biographen
verschwiegene Ursaclie seiner Ermordung berührt wird, doch stammt
diese nach v. Winterfelds Urteil vielmehr von einem andern gleich-
zeitigen Verfasser her. Ausserdem verdanken wir Hukbald ein Leben
des angelsächsischen Glaubensboten Liafwin (Lebuin), welches be-
sonders durch die Erwähnung der altsächsischen Landesversammlung
merkwürdig, als Quelle aber wertlos ist^). Dieses in Anlehnung
an Altfrids Leben Liudgers mit grofser Belesenheit und sorgsamem
Fleifse ausgearbeitete Werk widmete er dem Bischöfe Balderich
von Utrecht und teilte es aufserdem dem Archidiaconus Peter von
Cambrai und dem Mönche Odilo von St. Medardus zur Prüfung
mit. Neunzigjährig soll er 930 gestorben sein. Um sein Kloster
machte er sich auch dadurch verdient , dal's er die Gebeine des
von seinem Vater, Karl dem Kahlen, geblendeten und um 876 ver-
storbenen Prinzen Karlmann von Echternach nach St. Amand brachte,
was in einem Epitaphium auf seine und Milos gemeinsame Grab-
stätte berichtet wird"*).
') Vita S. Rictrudis, Mab. II, 939-950. Acta SS. Mai III. 81—89,
s. Ann. Elnon. mai. SS. V, 12.
^) Vie de S. Lambert ecrite en vers par Hucbald de St. Amand, et
documents du X. siecle par J. Demarteau. Liege 1878. Poet. Carol. IV,
141 — 159 von Winterfeld mit angehängten Hymnen.
3) Hucbaldi V. S. Lebuini ed. Pertz MG. SS. V, 360—864 im Aus-
zuge aus Surius VI, 277 — 286, doch nach der Hs. berichtigt. Der
Rest ist aus den Lebensbeschreibungen von Willibroi'd, Bonifaz, Gregor
und Liudger erweitert, vgl. Winterfeld zum Radbod Poet. Car. IV,
171 V. 55. Uebersetzung des Auszugs von Arndt hinter der V. ßoni-
fatii. Vgl. über seine Quellen und besonders die Versammlung von
Marklo, W. Kentzler, Forsch. VI. 343—354 und Entgegnung von S. Abel
855—356. S. oben S. 296.
") Poet. Car. IV, 679. S. über Hukbald Hist. liter. de la France VI,
210 — 221. — Hans Müller, Hukbalds echte und unechte Schriften über
Musik (Leipz. 1884. 4), weist nach, dafs die Schrift De harmonica Institut.,
aber nicht die Musica enchiriadis von ihm ist. Dieselbe wird ihm eben-
falls abgesprochen von Morin, Revue benedict. 1891 t. VIII, vgl. auch
Winterfeld in der Zeitschr. f. Deutsches Altert. XLV, 146.
Studien am römischen Hofe. 337
§ 21. Italien.
W. Giesebrecht, De litterarum studiis upud Italos, 1815, 4. Kaisergesch. I, 313— 3öl.
821. Ozanam. Des öcoles eii Italio aux temiis barbares, Oeuvres compl. II. 3.53.
Beide übersetzt in der Bibliot. critica della lett. Ital. diretta di Franc. Tor-
raca 1. 2. 1866. Balzani, S. 87— 117.
In auffallendem Gegensätze gegen die beiden fränkischen Reiche
steht Italien. Hier war die Geistlichkeit unberührt von der Bonifazi-
schen Reform; ihr fehlte der wissenschaftliche Sinn, welcher, vornehm-
lich von den Angelsachsen ausgehend, die fränkische Kirche durch-
drungen hatte, und an den theologischen Fragen, die dort im neunten
Jahrhundert so eifrig erörtert wurden, nimmt sie keinen Anteil. Eben-
so wenig übt der königliche Hof, der mit dem Tode Kaiser Ludwigs II.
(t 875) für Italien auf längere Zeit erlosch, hier eine bedeutende
Einwirkung, und niemand machte auch nur den Versuch, die Reichs-
geschichte in zusammenhängender Darstellung für die Nachwelt auf-
zuzeichnen. Weit bedeutender tritt der römische Hof hervor, wo
die amtlichen Aufzeichnungen über dieThätigkeit der einzelnen Päpste,
deren wir schon früher gedachten, immer fortgesetzt*), und gerade
in diesem Jahrhundert ausführlicher und reicher wurden, so dafs sie
sich mit den Reichsannalen vergleichen lassen. In Bezug auf die
Darstellung und historische Kunst stehen sie aber weit dagegen
zurück; es scheint den Verfassern ein solches Bestreben ganz fern
') Statt der älteren Ausgaben von Bianchini, Romae 1718, 4 Voll.
und Vignolius^ Romae 1724, 3 Voll. 4. unvollendet (Murat. SS. III nach
Bianchini; vgl. Baehr S. 261—271), Ist jetzt Duchesne II zu benutzen
(oben S. 65) , der bis zur Vita Stephani V (885—891) reicht und die
späteren Bearbeitungen umfafst. Nach Sehürer, Hi-st. Jahrb. XI, 425 ff.
ist die V. Stephani IL von dem Primicerius Christophorus verfafst,
welehor den Papst als Notarius regionarius auf seiner Reise in Frank-
reich begleitet hat. Nach Kr. in der Rec. von Mock, de donatione Caroli
Magni (Centralbl. 1862 Sp. 76) ist die V. Hadriani I. (772—795) erst
20—30 Jahre nach dessen Tode abgefasst und scheint von demselben
Verf. wie die V. Leonis III. (795—816) ; nach F. 0. Krosta, de donationibus
a Pippino et Carolo Magno sedi apostolicae factis, Königsb. Dis.s. 1862
S. 46 erst nach 829. Vermutungen über Interpolation der V. Hadr.
(c. 41—43) s. NA. VII, 22>!. X, 201. XIII, 236. Scheffer-Boichorst hält die
Vita für gleichzeitig, aber die Grenzbestimmung ,.id est a Lunis-Beneven-
tanum" für Interpolation; zustimmeud Diekamp , Hist. Jahrb. VI, 637.
Stücke der verlorenen V. Eugenü II. (824—827) vielleicht in Pauli D.
Cont. Romana ed. Waitz 200—203, vgl. B. Simsen. Ludwig d. Fr. I, 230,
Waitz S. 200 über die in d. Cont. benutzten, aus Lauresh. und Lauriss.
gemischten Aunalen, ähnlich denen im cod. Christ. 213. Die von Wide
von Osnabrück im Cod. Udalr. (Bibl. V, 340. Libelli de lite I, 467) er-
wähnte Scriptura de queritnonia Eomanonim über Ludwigs II. Gewalt-
thaten 864 scheint verloren zu sein.
Wattenbach, Geschichtsqiielleu. I. 7. Autl. 22
338 n. Karolinger. § 21. Italien.
gelegen zu haben. Doch finden wir auch hier in der zweiten Hälfte
des neunten Jahrhunderts eine nicht unbedeutende wissenschaftliche
Thätigkeit, einen Kreis von gelehrten Geistlichen, wie er uns lange
nicht wieder begegnet. Der Bibliothekar Anastasius^) (f 879),
dem man früher die ganze Sammlung der Papstleben zuschrieb, ein
gelehrter Mann und schlauer Fuchs, der verschiedene Werke aus
dem Griechischen übersetzt hat, ist vielleicht der Verfasser des
Lebens Nikolaus' I., jenes gewaltigen Papstes, der den schwachen
Karolingern gegenüber die Weltherrschaft des römischen Stuhles
schon dem Ziele nahe führte. Auf den Wunsch des Diaconus
Johannes, der eine Kirchengeschichte schreiben wollte, stellte er
nach dem Vorgange des Cassiodor, den er jedoch nicht nennt, aus
griechischen Quellen nach 872 eine neue Historia frlparüta zu-
sammen^). Johannes verfafste auf Befehl Johanns VIII. mit Benutzung
der schon früher gemachten Auszüge aus dem Registrum die Vita
Gregorii Magni; die hinzugefügten Wunder enthalten einiges für
die Zeitgeschichte^). Die von ihm begonnenen Gesta S. Clementis
vollendete Bischof Gauderich von Velletri^).
Vorzüglich besafs man am römischen Hofe , wo man sich nie
durch ideale Bestrebungen von den praktischen Zwecken ablenken
liefs, eine aufserordentliche Sicherheit in der Behandlung der kirch-
lich-politischen Angelegenheiten , und der Geschäftstil der Kurie
gewann eine ungemeine Ausbildung und Festigkeit. Die Briefe der
Päpste geben davon Zeugnis, und die erhalteneu gröfseren Samm-
lungen aus den Zeiten "Nikolaus" I. und Johanns VIII.-), von denen
nach dem Nachweise Lapötres jene , ebenso wie die Hadrians IL,
Anastasius als Diktator gröfstenteils verfafst hat, sind in ihrer Art
^) Hergenröther, Photius II, 228 — 241; Arth. Lapotre, De Anastasio,
biblioth. sedis apost. Paris 1885, ist nicht im Buchhandel. Ueber ihn als
Uebersetzer griech. Legenden Usener, Jahrb. f. protestant. Theol. (1887)
XIII, 240-244.
^) Ueber sein Verhältnis zu Theophanes Car. De Boor, Theophanis
Chronographia II, 400. Ueber seine satirische Cena Cypriani s. Lapotre,
Mel. d'archeol. et d'hist. 1901 p. 305—395.
2) Mabillon Acta SS. I, 398-496. Gregorii opp. edd. Benedict. IV,
1, 19—188. Ueber Hss. s. NA. XXV 1, 323—330.
*) Mab. Mus. Ital. I, 2, 78. Acta SS. Mart. II, p. * 15. Vorrede und
Varianten im Floril. Bibl. Casin. IV, p. 373—390, e cod. Casin. 234.
S. den Brief des Anastasius an Gauderich über die Abfassung der Vita
herausgeg. von J. Friedrich, Münchener SB. 1892 S. 393— 442, wieder-
holt bei Goetz, Gesch. der Slavenap. Konstant, u. Method. , Gotha 1897,
vgl. NA. XVIII, 712. XXII, 582.
•^) Ueber das Registrum Johanns VIII. s. Lapotre, Le pape Jean VIII.
Etudes religieuses (a. 1891) LH, 252—287.
Studien am römischen Hofe. 339
wahrhaft bewunderungswürdig. Davon erhielt sich auch später bei
zunehmender Barbarei die Tradition , obgleich mit dem Ende des
9. Jahrhunderts die Einwirkung des päpstlichen Hofes auf die
Kirche diesseits der Alpen fast ganz verschwand, und wie hier die
Annalen, so verstummten auch in Rom die Papstleben mit dem
Jahre 891.
In der nächstfolgenden Zeit veranlafsten noch die Streitigkeiten
über die Besetzung des päpstlichen Stuhles und die Geschicke des
Papstes Formosus, vornehmlich über die Gültigkeit der von ihm
erteilten Weihen, die höchst merkwürdigen Streitschriften des Auxi-
lius und Vulgarius. Sie berühren eine der dunkelsten Seiten der
Papstgeschichte, die unheilbarsten Widersprüche infallibler Kirchen-
fürsten '). Auxilius war ein von Formosus geweihter fränkischer
Priester, der in Neapel lebte, wahrscheinlich als Münch in Monte-
cassino gestorben ist. Freimütig und mit tüchtiger gelehrter Bildung
ausgerüstet, verteidigte er um 908—912 Formosus und die von
ihm geweihten Priester in verschiedenen Schriften. Eugenius
Vulgarius hat in demselben Sinne geschrieben, später aber
Sergius III., der Theodora u. a. kriechend geschmeichelt, endlich in
der Invectiva in Eomam (wenn sie von ihm ist) unter Johann X.
(914 — 928) noch einmal für Formosus geeifert. Er war ein gelehrter
italienischer Grammatiker, der wahrscheinlich auch in Neapel lebte;
sein Latein und vorzüglich seine Verse sind unerträglich gesucht
und verkünstelt.
Nach diesen letzten Regungen versinkt nun hier , während die
Faktionen der römischen Grofsen über den Stuhl Petri streiten, alles
in Schweigen , und für lange Zeit geht keine Erscheinung der
Litteratur von Rom aus ^).
Nicht auf den Vorrang in wissenschaftlicher Ausbildung begrün-
') Volles Licht über diese schmählichen Vorgänge und die betreffende
Litteratur verbreitet die Schrift : Auxilius und Vulgarius. Quellen und
Forschungen zur Geschichte des Papsttums im Anfange des 10. Jahr-
hunderts, von E. Dümmler, Leipz. 1866, wo auch aus der Bamberger
Handschrift ungedruckte Schriften von beiden mitgeteilt sind, jetzt er-
gänzt von Winterfeld, Poet. C'ar. IV, 305 — 444. Die Invectiva in Romain
gab Dümmler zu den Gesta Berengarii S. 137 — 154, vgl. 66 — 72, in neuer
Ausgabe nach der einzigen Veroneser Handschrift. Ausbeutung der Tra-
gödien des Seneca weist dem Vulg. R. Peiper nach, Rhein. Mus. f. Philol.
N. F. XXXII, .")36 und in der Festschrift zum 250jährigen Jubiläum des
Magdalenengymn. zu Breslau 1893, De Senecae tragoediarum lectione
vulgata p. 14.
-) Die Fortdauer einer Rechtsschule in Rom behauptet Fitting, Zur
Geschichte der Rechtswissenschaft am Anfang des Mittelalters, Halle 1875;
Juristische Schriften des früheren Mittelalters, Halle 1876.
340 II- Karolinger. § 21. Italien.
dete man in Rom den Anspruch auf Beherrschung der Kirche; die
grammatischen Studien betrachtete man hier wegen ihres heidnischen
Urspi'ungs und der Beschäftigung mit den heidnischen Schriftstellern
stets mit Abneigung und völlig bewufst verachtete man die feinere
litterarische Bildung. Es gibt nichts Charakteristischeres dafür,
als die Worte des päpstlichen Legaten Leo, mit denen er bald nach
991 der gallischen Kirche entgegentrat. Diese hatte durch Gerbert
ausgesprochen, es sei in Rom niemand, der eine litterarische Bildung
empfangen habe, und folglich auch niemand, der nach den kanoni-
schen Vorschriften auch nur die Weihe zum Thürhüter erhalten dürfe.
Leo erklärt das kurzweg für Ketzerei ; auch Petrus habe sich um
das Vieh von Philosophen nicht bekümmeret und sei doch Pförtner
des Himmels geworden ^).
Die blühendsten Klöster Italiens erlagen alle gegen das Ende des
9. Jahrhunderts den Sarazenen oder verkamen durch die inneren
Kriege und die allgemeine Unsicherheit und Verwilderung; bis da-
hin finden wir auch in ihnen einige Pflege der Wissenschaft, welche
sich jedoch mit der litterarischen Bedeutung der transalpinischen
Klöster nicht vergleichen läfst. Von einem angeblich im Mutter-
kloster Montecassino zur Zeit des Fürsten Sico (814 — 833) verfafsten
Bericht über die Translation der heiligen Benedikt und Scholastica
nach Frankreich^) hat 0. Holder-Egger nachgewiesen, dafs er von
einem Cassinesen spätestens gegen Mitte des 12. Jahrhunderts her-
rührt ^).
In der Folgezeit wurden hier Nachrichten über die Geschichte
des Klosters und der Fürsten von Benevent aufgezeichnet *), welche
bis 872 und in den Regententafeln auch weiter reichen, gesammelt
vom Abt Johannes (914 — 934) und deshalb auch von Leo nach
V „Et quia vicarii Petri et eius discipuli nolunt habei-e magistrum
Platonem neque Virgilium neque Terentium neque ceteros pecudes phi-
losophorum, qui volando süperbe ut avis aerem et emergentes in pro-
fundum ut pisces mare , et ut pecora gradientes terram descripserunt :
dicitis eos nee hostiarios debere esse, quia tali carmine imbuti non sunt.
Pro qua re sciatis eos esse inentitos, qui talia dixerunt. Nam Petrus
non novit talia, et hostiarius ooeli effectus est." MG. SS. III, 687. Vgl.
Baxmann, Politik der Päpste II, 144. Aehnlich schreibt Alexanders VIII.
Sekr. Sergardi 1690 an Mabillon : „Pauci sunt, qui in hac aula operam
dent inutilibus, ut aiunt, studiis. Nostrorum ingeniorum occupatio forum
est clientumque defensio, quique ab infeliei pupillo plus auri corrodit,
litteratior habetur." Valery, Correspondance inedite de Mabillon et de
Montfaucon avec I'Italie (Paris 1847) II, 240.
2) Trandatio S. Benedicti, Anal. Bolland. I, 75—84.
3) NA. XII, 129—141.
*) Nach Traube, 0 Roma nob. S. 360 ini Jahre 867 verfafst.
Montecassino. Neapel. 341
ihm benannt. Die Nachriubten sind materiell für uns sehr wichtig,
aber die Form ist in hohem Grade roh und man<(elhaft'). Im Jahre
883 wurde, wie schon früher St. Vincenz am Volturno , so auch
Montecassino von den Sarazenen verwüstet, und die Cassinesen
flüchteten nach Capug,; hier schrieb Erchempert eine Geschichte
der langobardischen Fürsten von Benevent seit Arichis"), an das
Werk des Paulus Diaconus und dessen Cassineser Fortsetzung'') an-
knüpfend, bis zum Jahre 889. Die weitere Fortsetzung ist verloren.
In schlichter und zuverlässiger Erzählung berichtet er von den
Schicksalen dieser Laude , von den Kriegen , durch welche sie ver-
heert wurden , und den Verwüstungen der Sarazenen ; sein eigenes
Urteil über die Anstifter des Uebels hält er nicht zurück, sondern
spricht es häufig mit biblischen Worten aus. Die feinere karolin-
gische Bildung ist ihm fremd, aber seine Sprache ist doch reiner,
als wir sie sonst bei den Italienern dieser Zeit zu finden gewohnt
sind, und sein Werk zeichnet sich daher sehr voi'teilhaft aus. Der
Salernitaner Chronist, Johann von St. Vincenz, und Leo von Ostia
haben ihn gekannt und benvitzt.
In Neapel versuchten sich verschiedene Verfasser an einer
Bistumsgeschichte. Von einem wohlbelesenen Geistlichen, der trotz
der Unzialschrift in diesem Teile des Codex schon dem 9. Jahr-
hundert zugerechnet werden mufs, wurden die dürftigen Notizen des
alten Kataloges durch Auszüge aus den römischen Papstleben *),
Paulus Diaconus u. a. angeschwellt; bis 754 ist die Arbeit erhalten,
dann fehlt ein Blatt, und es schliefst sich von 762 beginnend die
Fortsetzung des Johannes Diaconus bis 872 an, welcher aus
Tradition und eigener Kenntnis schöpfte; seine Darstellung ist
lebhaft und wahrhaftig, nicht ohne Freimut. Von der weiteren
Fortsetzung des Subdiaconus Petrus ist nur ein kleines Bruch-
^) Nach früheren mangelhaften und zerstückten Ausgaben SS. III u.
sonst, als Chronica Sancti Benedictl Casinensis bei Waitz, SS. Rer. Langob.
et Ital. p. 467—488. Beschreibung der Hs. 353, jetzt 175, Bibl. Casin.
IV, 17 — 31, u. V. Bethmann, Arch. X, 389 ff., wo auch von den übrigen,
jetzt bei Waitz gesammelten Geschichtsquellen des langobardischen Italiens
aus dieser Zeit Nachricht gegeben ist.
2) Hystoriola Langobardorum Beneventum degentium ed. Pertz, MG. SS.
III, 240 — 264. Vgl. Bethmann S. 374. Als Erchempert i historia Lango-
bardorum Beneventanorum bei Waitz, S. 231 — 264, wo die Sprache nach
der ursprünglichen Lesart der überarbeiteten Handschrift fehlerhafter
erscheint. Er war vermutlich der Verf. des S. 67 erwähnten Martyrol.
u. eines computus von 904 (Arch. VIII, 768. NA. VI, 285).
^) SS. Langob. p. 198; sie ist meist den Gestis Pontificum entnommen
vmd von Leo Ost. und im Chron. Vulturn. benutzt.
^) Vgl. Lib. pontific. ed. Mommsen I p. CVI.
342 n. Karolinger, § 21. Italien.
stück erhalten, die einzige Handschrift auch vorher lückenhaft').
Von dem letzten Bischof Athanasius (850 — 872) ist auch eine aus-
führlichere Biographie -) vorhanden, mit welcher die in unbestimmter
Zeit geschehene Translation verbunden ist, etwa im 10. Jahrhundert
geschrieben; was in den Gesten und bei Erchempert zu lesen ist,
wird hier rhetorisch ausgeschmückt, zugleich aber doch einige neue
Umstände mitgeteilt. Jener Johannes Diaconus aber verfafste
auch eine Geschichte der üebertragung des heiligen Severin im
Jahre 902 von dem Castrum Lucullanum (oben S. 53), welches aus
Furcht vor den Sarazenen zerstört war, nach dem neuen Kloster in
Neapel^), eine Schrift, wertvoll durch ausführliche Nachrichten
über den furchtbaren Angriff des Emir Ibrahim, welcher Taormina
zerstöi'te, wobei Bischof Prokop den Märtyrertod erlitt; durch
Ibrahims plötzlichen Tod wurde von Neapel die drohende Gefahr
abgewandt. Nach demselben Kloster wurde auch aus dem von den
Sarazenen zerstörten Misenum im Jahre 910 der heilige Sossius
gebracht, wobei Johannes zugegen war, und er berichtet darüber
in seiner Schrift über das Leben des heiligen Januarius ■*).
Petrus SU b diaconus, von dessen Fortsetzung der Gesta nur
der Anfang noch vorhanden ist, war bei der üebertragung des
Sossius 910 zugegen, und erwähnt in den Wundern des heiligen
Agrippinus den Angriff der Sarazenen auf Neapel vom Jahre 960 '").
Auch verfafste er noch andere Wundergeschichten. Sehr merkwürdig
ist der wissenschaftliche Eifer des Herzogs Johannes (928 ff.), von
dem der Archipresbyter Leo im Vorworte zu seiner Vita Alexandri
Magni berichtet '^).
Auch in Ravenna verfafste gegen die Mitte des 9. Jahrhunderts
') Gesta ejjp. Nea/t. Waitz, SS. Langob. p. 398 — 439. Capasso, Monu-
menta ad Neapolitani ducatus historiam pertinentia, 1881.
^) Vita et Translatio Athanasii ep. Neap. Waitz, SS. Langob. p. 439
bis 452. Ed. Gu. Cuper, Acta SS. Jul. IV, 77-89.
^) Translatio S. Sevefini, Waitz jd. 452 — 459.
^) Nur diese Translatio S. Sosii abgedr. bei Waitz, p. 459 — 463. Im
Text heilst er Sossius. Vgl. über Job. Diac. Ebert III, 206—209. 225.
^) Ex Miraculis S. Ägrip2}ini, Waitz p. 463. Eine Anzahl anderer
dort und bei Capasso gesammelter kleinerer Stücke zur Geschichte von
ünteritalien übergehe ich hier, ohne sie einzeln aufzuführen. — Zu unter-
scheiden ist ein anderer Petrus subdiac. Neap., welcher für den Bischof
Petrus von Neapel (1094) u. dessen Nachf. Gregor (1116) Legenden aus
dem Griechischen übersetzte und bearbeitete, s. De Rossi zur Passio SS.
IV Coronatorum, die er auch überarbeitete. Ueber die Spottverse „Nobi-
libus quondam" s. oben S. 323 Anm. 2.
®) Arch. IX, 692. Die Vita selbst hat Landgraf herausgegeben, Er-
langen 1885. Vgl. 0. Hartwig, Die Uebersetzungslitteratur Unteritaliens
(1886) S. 6.
Agnellus. Farfa. Andreas von Bergamo. 343
Agnellus eine Bistumsgescliicbte '), in welcher schwülstiger Bom-
bast mit treuherzig einfältiger Erzählung abwechselt; die Sprache
ist voll von Solöcismen. Der Inhalt liegt der deutschen Geschichte
fern, doch sind über Kaiser Karl und seine Nachfolger, besonders
über die Schlacht bei Fontenoy, einige merkwürdige und wichtige
Stellen darin. Den römischen Päpsten gegenüber äufsert Agnellus
sich sehr freimütig, was vielleicht Anlafs gegeben hat, die Chronik
schon frühzeitig zu verstümmeln. Agnellus war um 805 aus vor-
nehmer und reicher Familie geboren, und erhielt schon mit 11 Jahren
eine Abtei; für die frühere Zeit benutzte er, aufser vielen In-
schriften , Gefäfsen und anderen Denkmälern , die er sorgfältig be-
schreibt, der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus und den
Konsularfasten auch die oben S. G3 erwähnte Chronik des Maximian,
welcher um 498 geboren, durch Justinian 546 Bischof von Ravenna
geworden war, und eine Chronik bis auf seine Zeit schrieb (f 556 557),
fortgesetzt bis 572.
Im mittleren Italien war im Anfange des 9. Jahrhunderts das
Kloster Farfa in blühendem Zustande, bis auch hier die Sarazenen
alles wüste legten. Von Franken gestiftet, hatte es auch immer
fränkische Aebte"). Die Geschichte der Gründung des Stiftes und
seiner Aebte bis zum Jahre 857 glaubte Bethmann gefunden zu
haben ^) , doch ist neuerdings von I. Giorgi nachgewiesen , dafs
diese einem Lektionarium entnommenen Stücke wohl aus derselben
herstammen , unmöglich aber das ursprüngliche Werk selbst sein
können, über dessen sprachliche Beschaffenheit wir deshalb nicht
unterrichtet sind.
Ganz aul'serordentlich barbarisch dagegen und an die Werke des
8. Jahrhunderts erinnernd ist die Langobardengeschichte des Priesters
Aridreas von Bergamo, welcher 877 einen Auszug aus der Ge-
') Neue Ausg. von Holder-Egger, SS. Langob. 265 — 301 , vgl. Auctt.
antt. IX, 256 ff. 273; Ferrai, Agnello Ravennate e 11 pontificale Ambro-
siano im Arch. stör. Lombardo ser. 3 vol. 3 a. 22 (Mil. 1895) S. 277—302.
Ueber die besondere Bedeutung von monasterium bei ihm s. F. Wickhoff,
Mitteil, des Inst. IX, 34 — 45. Aus Ravenna stammen auch die aus dem
Rotulus gewonnenen, zuerst von Ceriani veröffentlichten acht Briefe aus
K. Berengars Zeit, NA. IX, 513—539, vgl. XI, 599—608.
^) Ueber ein Homiliar des Alanus von Farfa aus dem 8. Jahrhundert
vgl. Yal. Rose, Verz. d. Meermanhss. S. 81 und A. Ratti, Rendiconti del
R. ist. Lombardo ser. II vol. XXXIII (1900). Verse des Spaniers Taio
liegen nach Traube dabei zu Grunde.
3) Coitfitructio Farfensis, ed. Bethmann, MG. SS. XI, 520—530. Vgl.
Giorgi im Archivio della Societä Romana di storia patria, II, 409 — 473.
Von dem Registrum Farfense ist in Rom (1879) eine Ausgabe von
I. Giorcri nnd U. Balzani erschienen.
344 n. Karolinger. § 21. Italien.
schichte des Paulus Diaconus machte und ihn bis auf seine Zeit
fortsetzte '). Nach der Mitte des 9. Jahrhunderts sind seine Nach-
richten durch Genauigkeit wertvoll ; das Ende ist leider unvoll-
ständig erhalten. Und dieses ist fast das einzige litterarische Erzeugnis
der Lombardei im 9. Jahrhundert, da Claudius von Turin und Dungal
von Bobio und Hildemar von Civate als Ausländer nicht zu rechnen
sind^). Schottenmönche, mit jenen, die in Lüttich hausten,
gleicher Art, und mit des Sedulius Gedichten vertraut, vielleicht
seine Jünger, fanden auch in Mailand Aufnahme und feierten ihre
Herren und Wohlthäter in sapphischen Oden und in Distichen von
ungewöhnlicher Korrektheit. Vorzüglich der Erzbischof T a d o (860
bis 868) wird von ihnen verherrlicht und ihm werden ihre Bitten
und Wünsche vorgetragen, dazu der Kaiser Lothar und Herzog
Leodfrid, ein Schwager Lothars. Diese einzige Spur ihres Daseins
ist erst kürzlich aufgetaucht, weiteres nicht bekannt*). Sehr ge-
rühmt wird in einem Epitaphium der Abt Petrus IL vom Ambrosius-
kloster^) (858 — 899), und dieser wird es wohl sein, zu dessen Zeilen
ein mit lateinischen Buchstaben geschriebener griechischer Psalter
zu stände gebracht wurde, als dessen Besitzer (oder Urheber?) sich
in höchst barbarischem Griechisch ein Mönch Symeon nennt''). Ein
anderer des Griechischen kundiger Ire, vielleicht ein Schüler des
Sedulius, beschäftigte sich mit der Kritik von Hieronymus' üeber-
setzung der Psalmen^).
^) Andreae presh. Bergomatis Chronicon, ed. Pertz, MG. SS. III, 231.
Bethmann, Arch. X, 367 ergänzt den Anfang. Neue vollständige Ausg. v.
Waitz, SS. Langob. 220—280.
") Ebensowenig kann man das sogenannte Chronicon Brixiense, oder
wenigstens was uns davon erhalten ist, zu den Geschichtswerken rechnen,
MG. SS. III, 288; SS. Langob. 501—503 als Catalogus Brixiensis, doch
enthält es wichtige und brauchbare Nachrichten. Verfafst zwischen 879
und 883 von einem Mönche des Klosters Leno, nur zu komputistischen
Zwecken, wurde es von G. Mercati nach der in Padua wieder aufgefun-
denen Hs. herausgegeben in der Rom. Quartalschr. IX, 337 — 849. — Die
Translatio S. Habundii Mart. von Foliguo nach Berceto (Mab. III, 1, 487
ed. Ven.) gedenkt einer Synode zu Pavia unter Lothar.
3) Carmina Medii Aevi ed. H. Hagen (Bern 1877) S. 1—10. Neue
Ausgabe von Traube, Poet. Car. III, 231—237. S. 7 (236 Tr.) Inschrift
eines von Tados Vorgänger Angelbert erneuten Kelches. — üeber Margi-
nalien mit Spuren der gelehrten Thätigkeit dieser Mönche in dem (jetzt
vollständig photographierten) Cod. Bern. 363 s. Gottlieb, Wiener Studien
IX, 151—159. Traube, 0 Roma nob. S. 348-353, Reg. S. Bened. S. 712.
^) Giulini, Mem. di Milano II, 76.
=) NA. VIII, 340. üeber die Hs. Berl. Hamilton 552 vgl. Corssen in
Bursians Jahresber. 101 (1900) S. 47.
^) Dom Germ. Morin beschreibt in der Revue benedict. vom 15. Mai
1893 S. 193—197 den Cod. lat. Monac. 343 saec. IX, der eine mit auf-
Oberitalien. Lobgedicht auf Berengar. 345
Durch seinen wissenschaftlichen Sinn zeichnete sich der später
als heilig verehrte Abt Eidrad des im 8. Jahrhundert im Thale von
Susa gegründeten Klosters Novalese aus, ein Zeitgenosse Lothars I.
(um 825 — 827) , der sich mit dem gelehrten Diaconus Florus von
Lyon (oben S. 232) in Verbindung setzte und ihn um ein berich-
tigtes Exemplar des Psalters des heiligen Hieronymus bat ') , doch
übei-liefs dieser ihm selbst die Ausführung. Einige Verse, die zum
Preise des Bischofs Azo von Ivrea um 876 verfafst und im
folgenden Jahrhundert einer Kopie in Goldschrift würdig erachtet
wurden , sind fast nur wegen der äulserst barbarischen Form be-
merkenswert '-).
Es würde jedoch ein grofser Irrtum sein, wenn man nach diesen
Proben arger Barbarei den allgemeinen Standpunkt der Bildung
in Italien beurteilen wollte. Gelehrte Studien wurden namentlich
in Verona gepflegt, wo ein Archidiaconus Pacificus (f 844)
dessen Gelehrsamkeit gepriesen wird, 218 Handschriften zusammen-
gebracht hatte ^). Von dort besitzen wir ein langes Gedicht zum
Preise des Bischofs Adalhard in sapphischem Versmafse, zwischen
877 und 878 von einem Schotten verfafst , dessen Korrektheit für
diese Zeit in Erstaunen setzt, wenn auch einzelne Fehler vorkommen^).
fallender Kenntnis des Griechischen verfafste Kritik der Uebersetzung des
Psalters enthält. Der dazu gehörige griecb. und latein. Text desselben
fehlt diesem Exemplare. Verschiedene Umstände weisen nach Mailand,
und Morin vermutet in Sedulius den Urheber, doch dürfte das bemerkens-
werte AVerk eher der dortigen Schottenkolonie zuzuweisen sein. Vgl. das
auch schon ■ früher gedruckte Schreiben Epp. VI, 201 — 205 nach dieser
und 2 anderen Hss.
^) S. die A'erse des Florus an den Abt Eidrad Poet. Car. II, 549
Monum. Novalic. ed. Cipolla II, 217 — 221 und in einer Hs. aus Com
postella mit falscher Ueberschrift, Bibl. de l'ec. des chart. 1901 S. 377 ff.
712 und den darauf bezüglichen Brief Epp. V, 340—343. Monum. Noval
II, 206 — 216, wozu noch eine Hs. aus Ivrea kommt (nach Morin, Bibl
de l'ec. des chart. 1901 p. 713). Ueber die Bedeutung der Psalterkritik
des Fl. vgl. C'orssen a. a. 0. S. 61. Ueber die verschiedenen Vitae Heldradi
s. Bethmann, SS. VII, 73 A. 5 und die kurze Vita in einer Hs. vom
Martyrol. Adonis aus Novalese bei K. Müller in der Zeitschr. f. Kirchen-
gesch. IV, 253 — 256 und bei Cipolla, Mon. Noval. 1, 375. Fragmente d.
rhythm. Vita b. Eldradi abb. Novalic. bei Bethmann, SS. VII, 128—130.
Cipolla I, 356 ff.
^) Dümmler, Gesta Berengarii S. 75 und 159. Poet. Car. IV, 403.
^) Epitaphium Pacifici , Poet. Car. II, 655, vgl. das Schreiben des
Priesters Hildemar an ihn, Epp. V, 355 — 358; Traube, 0 Roma nob.
S. 309. Derselbe setzte die antikisierenden Gedichte 0 Roma und O admi-
rabile Veneris nach Verona ins 10. Jahrhundert.
•*) Bei Baronius ed. Luc. XV, 480; korrekter bei Biancolini dei ves-
covi S. 35—37, bei Dümmler, Gesta Berengarii S. 134 — 136, bei Traube,
346 II- Karolinger. § 21. Italien.
Und im überraschendsten Gegensatze zu der Barbarei eines Andreas
von Bergamo tritt uns aus dem Anfange des 10. Jahrhunderts
(zwischen 916 und 922) ein Werk entgegen, welches in Rücksicht
der Form den meisten Dichtungen karolingischer Zeit ebenbürtig
zur Seite steht, nämlich das Lobgedicht auf den Kaiser Be-
rengar^), dessen ungenannter Verfasser die Sprache nicht ohne
Gewandtheit behandelt und regelrechte Hexameter ohne Anstofs zu
fertigen verstand. Andere freilich finden sich darunter, welche hol-
perig genug sind -), und gesuchte Ausdrücke, verkünstelte Konstruk-
tionen verdunkeln nicht selten den Sinn. Der Unterschied ist nicht
schwer zu bemerken, wenn plötzlich der melodische Wohllaut Vir-
gils oder die kunstvollen Verse des Statius sich vernehmen lassen.
Das sind fremde Federn, mit denen der Autor sich geschmückt hat;
Bilder und einzelne Schlachtenscenen machte er sich auf solche
Weise zu eigen.
Die Thaten und Schicksale Berengars, seine Kämpfe um die
Krone Italiens sind es, welche er schildert, und allem Anscheine
nach schrieb er bald nach der Kaiserkrönung seines Helden im
November oder Dezember 915. Er war also ein Zeitgenosse und
sein Werk ist in manchen Einzelheiten nicht ohne geschichtlichen
Wert. Doch ist er zu sehr Lobredner und zu ungenau, um als eigent-
liche Geschichtsquelle gelten zu können. Die Verhältnisse sind nicht
ohne Geschick, aber mit arger Entstellung, so gewandt, dafs Berengar
als der allein berechtigte, einheimische und legitime Herrscher er-
scheint, Wido als ein fremder Eindringling. Es ist merkwürdig,
dafs, während thatsächlich die Gewalt allein den Ausschlag gab, doch
nachträglich man ängstlich bemüht war, vor der Welt den Anschein
einer formellen Berechtigung zu gewinnen. Wir haben Aehnliches
schon in Bezug auf die Karolinger gesehen und werden es in noch
auffallenderer Weise bei den Magyaren v/iederfinden.
Poet. Car. III, 693—695, vgl. 61—05. Traube findet auch hier einen
irischen Verfasser.
^) Cai'men panegi/ricum Berengaril, ed. V^alesius, cum Adalberonis ep.
Laudun. carmine ad Rotbertum regem, Paris 1663. MG. SS. IV, 189 bis
210. Jetzt zuerst mit erschöpfender Benutzung der Handschrift in Venedig
mit der vollständigen Glosse, und allseitig erläutert in: Gesta Berengarii
Imperatoris. Beiträge zur Geschichte Italiens im Anf. des 10. Jahrhunderts
von E. Dümmler, Halle 1871. und bei v. Winterfeld, Poet. Car. IV, 354
bis 401 , vgl. NA. IV, 558. Benutzung der Ilias lat. des sogenannten
Pindarus Thebanus, weist Dümmler nach. Forsch. XIII, 415 — 417, s. Ebert
HI, 138—144.
*) Oft sind sie auch schon gereimt; vgl. über seine Metrik E. Bern-
heim, Forsch. XIV, 142,
Lobgedicht auf Berengar. Bildung in Italien. 347
In der Form der Darstellung schliefst sich der Panegyrist
durchaus den alten heidnischen Mustern an, so gut er es vermochte.
Er zeigt die genaueste Bekanntschaft mit Virgil, Statius, dem
lateinischen Homer und Juvenal, und hat unverkennbar eine gute
grammatische Schule durchgemacht. Auch stand er mit diesen
Kenntnissen und dieser Kunst keineswegs vereinzelt da : Niemand,
sagt er, sich selbst anredend, kümmert sich jetzt um deine Verse;
dergleichen wissen die Leute auf dem Lande wie in der Stadt zu
machen.
Ob der Verfasser ein Geistlicher oder ein Laie war , geht aus
seinem Werke nicht mit Sicherheit hervor; wahrscheinlich ist er
Schulmeister in Verona gewesen. Für die Schule ist auch dieses
Werk bestimmt, und ist deshalb wie das des Abbo mit einer er-
läuternden Glosse versehen, welche derselben Zeit, grofsenteils dem-
selben Verfasser, angehört'). Darin tritt eine ausgebreitete Ge-
lehrsamkeit, doch ohne Kenntnis der griechischen Sprache, deut-
licher als im Gedichte selbst hervor. Einige wertvolle geschichtliche
Erklärungen werden gegeben , vorzüglich aber grammatische , bei
denen Servius und Isidor stark benutzt sind. Bei der Erläuterung
der Mythen, welche in allen Kommentaren des früheren Mittelalters
eine Hauptrolle spielt , übergeht der Glossator vieles , weil das ja
allgemein bekannt sei.
Wir begegnen hier einer Bildung, die durchaus nicht von der
Kirche herrührt, sondern fortgepflanzt wird durch jene einzeln ste-
henden Grammatiker, deren Wirksamkeit in Italien niemals aufge-
hört hat. Es ist W. v. Giesebrechts Verdienst, zum ersten Male
nachgewiesen zu haben, dafs diese Schulen in Italien immer fort-
bestanden haben und unter den Laien einen Grad der Bildung ver-
breiteten , den man diesseits der Alpen nicht kannte. In Italien,
sagt Wipo im 11. Jahrhundert, geht die ganze Jugend ordentlich
zur Schule und nur in Deutschland hält man es für überflüssig
oder unanständig , einen Knaben unterrichten zu lassen , wenn er
nicht zum geistlichen Stande bestimmt ist. Der italienische Laie
las seinen Virgil und Horaz, aber er schrieb keine Bücher, während
die Geistlichkeit teils in Roheit versank, teils zu sehr in den
politischen Händeln befangen war, um an den wissenschaftlichen
') S. die Rezensionen von Scheffer-Boicliorst , Svbels Zeitschr. XXVI,
484, und Paimenborg, GGA. 1871, S. 1767— 17s3, Dümmlers Nachtr. zu
Anseimus Peripatet. S. 107. E. Bernbeim hat Forsch. XIV, 138—154 die
Glosse genau untersucht und besonders auf die alten Glossarien als Quellen
einer unfruchtbaren Gelehrsamkeit hingrewiesen.
348 II- Karolinger. § 21. Italien.
Bestrebungen der Zeit teilzunehmen. Dai'aus erklärt sich der
Mangel an litterarischer Fruchtbarkeit und die Dürftigkeit der vor-
handenen Litteratur, während andererseits bei jenem Panegyristen
und etwas später bei Liudprand plötzlich eine überraschende Fülle
klassischer Gelehrsamkeit und grofse Gewandtheit im Ausdrucke
hervortraten, namentlich im Versemachen, welches stets ein Haupt-
gegenstand der Schulbildung war. Denn einzelne vom geistlichen
Stande naschten auch von jener verbotenen Frucht; im allgemeinen
aber stand der Klerus im Gegensatze zu diesem Treiben , in dem
er nicht ganz mit Unrecht ein heidnisches Element ei'kannte.
Die Wissenschaft war hier nicht in den Dienst der Kirche ge-
nommen, sie behaujDtete einen unabhängigeren Standpunkt, war
aber fast ausschliefslich formaler Natur und darum wesentlich un-
produktiv.
Zum Schlüsse unseres Abschnittes sei noch einer rätselhaften
kleinen Schrift gedacht, welche von Flacius entdeckt und zu-
erst aus einer seitdem verschollenen Handschrift abgedruckt ^) unter
dem von Pertz ") ihr verliehenen Namen des Libellus de im-
peratoria potestate in urbe Koma bekannt ist. In merk-
würdiger Weise spricht sich darin das Verlangen nach der alten
kaiserlichen Gewalt aus , wie Karl der Grofse und seine nächsten
Nachfolger sie geübt hatten. Erzählt wird von der guten alten
Zeit, wo noch der Kaiser oder sein Stellvertreter in Rom die über-
mütigen Grofsen im Zaum hielt und jedem zu seinem Rechte ver-
half, wo man sogar gegen Verwandte des Papstes recht bekommen
konnte. Ueber die älteren Zeiten ist der Verfasser zwar schlecht
unterrichtet, aber die Verhältnisse unter den Karolingern schildert
er aus genauer Kenntnis mit eindringlicher Einfachheit bis zu dem
unglücklichen Augenblicke, wo, wie er es darstellt, durch Karls des
Kahlen Erhebung im Jahre 875 die kaiserliche Autorität in Rom
dahingegeben wurde. Während man den Wert dieser Nachrichten
früher meist gering anschlug und die Schrift selbst in die Mitte
des 10. Jahrhunderts herabrücken wollte ^), wofür doch kein zwin-
') Catalog. testiuni veritatis a. 1562 p. 89 — 93 als „Eutropii appendix".
2) MG. SS. III, 719—722 hinter Bened. de St. Andrea.
^) Vgl. Wilmans in Rankes Jahrb. des sächs. Hauses II , 2 , 235 ß.
Giesebrecht I, 344. 782. Benutzung bei Benedikt und in dem mit Un-
recht bezweifelten Privil. Ottos II. für Silvester (DD. II, 819) ist er-
wiesen von J. Jung, Forsch. XIV, 409 — 456, dessen Ansichten aber in
manchen Stücken von F. Hii'sch bekämpft werden, Forsch. XX, 127 bis
164. Derselbe rechtfertigt, H. Zeitschr. LVII, 258—261, seine Kritik
Libellus de imperatoria potestate. 349
gender Grund sprach, hat neuerdings Lapotre ') sie für das Werk
eines Langobarden aus Rieti erklärt, der im Jahre 897/898, un-
mittelbar vor der Synode von Ravenna, im Interesse der Kaiserin
Ageltrude und der spoletinischen Partei diesen Rückblick über die
römischen Dinsre verfalst habe.
gegen A. Gasquet: Jean VIII et la fin de l'empire Carolingien, 1886.
— Benutzung bei Ekkehard nachgewiesen von B. Simson, Forschungen
XXV, 374.
0 Etudes relig. phil. histor. LXI, 444—475.
III. Die Zeit der Ottonen.
Ton Heinrich I. bis zum Tode Heinrichs II., 919—1024.
§ 1. Allgemeines.
Contzen, Die Geschichtschreiber der säclis. Kaiserzeit. Regensburg 1837. Entstellt
durch Benutzung der falschen Corveyer Chronik, und durch die neuen Ausgaben
der Quellen unbrauchbar gemacht. — Stalin, Wirt. Gesch. I, 419—426. L. Giese-
brecht, Wendische Geschichten III, 294—307. Waitz, Ueber die Entwickelung der
deutschen Historiographie im Mittelalter, in Schmidts Zeitschr. für Geschichte
II, 97—103. — W. Giesebrecht, Geschichte der deutscheu Kaiserzeit I, 777—791.
II, 555—559. E. von Ottenthai, Regesteu des sächs. Hauses I, 1893. — Gull.
Maurenbrecher, De historicis decimi saeculi scriptoribus, qui res ab Ottone Magno
gestas memoriae tradiderunt, Bonnae 1861; vgl. Litt. Centralblatt 1862, Sp. 837.
K. Lamprecht, Deutsches Geistesleben unter den Ottonen in Quiddcs Zeitschr.
für Geschichtswissenschaft VIII (1892), 1—40. Kleinpaul, Das Typische in der
Personenschild, der Histor. des 10. Jahrh. , Leipzig. Dissert. 1897. Ueber die
Schulen in dieser Zeit: Hauck III, 281—287.
Mit dem Jahre 906 endigt Reginos Chronik, ein Jahr, bevor
Herzog Liutpold mit der Blüte des bayrischen Volksstammes von
den Ungern erschlagen wurde. Ein schwaches Kind safs auf dem
Throne und vermochte nicht das Reich zu schirmen. Es hatte den
Anschein, als ob die ganze von Karl dem Grofsen neu gepflanzte
Kultur bereits dahinsinken sollte. Ein Stift nach dem andern
wurde den Ungern zur Beute, und was übrig blieb, rissen die räube-
rischen Grofsen an sich, die in ihren gegenseitigen Fehden verheer-
ten, was dem äufseren Feinde noch entgangen war. Die Sitze der
Bildung und Gelehrsamkeit verstummten; auch wenn sie der gänz-
lichen Verödung entgingen , liefs doch die nagende Sorge um das
stets gefährdete Dasein keine wissenschaftliche Thätigkeit aufkommen.
Schlimmer noch als in Deutschland sah es in den Nachbar-
ländern aus; die Normannen, aus Sachsen zurückgeschlagen, hausten
in Frankreich und Lothringen ohne Widerstand zu finden, während
der Süden von sarazenischen Seeräubern verheert wurde. Die Bre-
tonen und Waskonen schüttelten das fränkische Joch ab, und die
Ungern streiften auf ihren schnellen Rossen bis an den Ozean. In
Italien begegneten spanische und afrikanische Sarazenen den Ungern
und die innere Zwietracht war in beiden Ländern noch ärger als
in Deutschland.
Berufung fremder Gelehrten. 351
Allein die Keime, welche einst Karl der Grofse gelegt hatte,
waren bereits so stark und kräftig geworden und hatten so tiefe
Wurzeln geschlagen, daf's sie auch diese Heimsuchung überdauerten.
Wie einst von Austrasien, so ging jetzt von Sachsen die Rettung
aus. Hier hatte man zuerst sich ermannt und unter den Ludolfingern
in festem Zusammenhalten die Kraft gefunden, der Feinde Herr zu
werden. Reginbern, aus Widukinds Stamm, der Bruder der Königin
Mahthild, schlug die Dänen so, dafs sie nicht wiederkamen. Die
Wenden, welche die Ostgrenze bedrängten, wurden zurückgeworfen.
Heinrich I. stellte, wie einst Karl Martell und Pippin, das Reich
her und wies die Ungern zurück ; was er begonnen , führte sein
Nachfolger so lange fort, bis er die inneren und äufseren Feinde be-
zwungen hatte. In dieser eisernen Zeit war noch für die Feder kein
Raum, aber nach dem Siege konnte Otto an die Herstellung der
geistigen Bildung denken. Da sehen wir überall die verödeten Klöster
aus der Asche erstehen, sie werden den Händen der Laienäbte ent-
rissen und ihrer Bestimnuing wiedergegeben. Bald regt sich in ihnen,
zunächst in denen , welche von den Stürmen dieser Zeit weniger
gelitten hatten, von neuem wissenschaftliche Thätigkeit.
Wie Karl, schätzte auch Otto die Wissenschaften, ohne selbst
eine gelehrte Bildung erhalten zu haben ; seine Erziehung war
kriegerisch gewesen, und erst spät, nach dem Tode der Königin
Edid (26. Januar 946), lernte er lateinische Bücher lesen und ver-
stehen'); i'eden konnte er die Sprache der Gelehrten nicht"). Auf
der Synode zu Ingelheim 948 wurden der Könige wegen die päpst-
lichen Schreiben in deutscher Sprache verlesen^), und auch in seinem
Alter liefs er sich einen lateinisch geschriebenen Brief von seinem
Sohne Otto II. übersetzen'').
Wie Karl, suchte auch Otto gelehrte Ausländer ins Land zu
ziehen. So bemühte er sich lange vergeblich, den Gunzo von
Novara, einen jener italienischen Grammatiker, nach Deutschland
zu bekommen. Dieser Gunzo war Diaconus in seiner Vaterstadt,
und schrieb hier, aufgefordert von Bischof Atto von Vei'celli (f c. 960),
eine Schrift über Ehehindernisse ^). Bei seiner persönlichen An-
1) Widuk. II, 36. Vgl. Dümmler, Otto I. S. .515. Ich glaube nicht,
dafs man bei litterat< discere und libros legere et uttelligere an andere als
lateinische Bücher denken darf.
2) Liudpr. Hist. Ott. 11.
3) Flodoard h. a. MG. SS. III, 396.
*) Casus S. Galli MG. SS. II, 139. Einen anderen übersetzt die
Kaiserin Adelheid, nam Utteratissima erat; ib. p. 146.
*) D'Achery, Spicil. I, 437.
352 III- Ottonen. § 1. Allgemeines.
Wesenheit in Italien gelang es Otto endlich, ihn zu gewinnen^).
An hundert Bücher behauptet Gunzo mitgebracht zu haben, darunter
Schriften von Plato und Aristoteles ; doch sicher nur in den lateini-
schen Bearbeitungen von Chalcidius und Boethius. Trotz seiner
Gelehrsamkeit geschah es ihm zuweilen, durch das Italienische ver-
leitet, dafs er die Casus verwechselte^), und deshalb wurde er in
St. Gallen mit einem Spottliede verhöhnt, denn er hatte statt eines
Ablativs einen Accusativ gesetzt. Dagegen rechtfertigte sich nun
Gunzo in einem sehr langen und sehr pedantischen Briefe an die
Mönche von Reichenau, in welchem er seine ganze gelehrte Schul-
weisheit zur Schau stellt.
Einen Landsmann von ihm Namens Stephan, der in Pavia
gebildet war, in Novara und Pavia gelehrt hatte, beriefen König
Otto und Bischof Poppo von Würzburg (941 — 961) aus Italien, und
der Ruf seiner Vorträge über Marcianns Capella zog den jungen
Wolfgang aus Reichenau nach AVürzburg^). Seine Bücher, welche
aber nicht zahlreich waren, vermachte er dem heiligen KilianO-
^) So erzählt Gunzo selbst in seiner Epistola ad Augienses fratres bei
Martene, Coli. I, 294. Der Codex aus St. Amand ist jetzt in Valenciennes,
Mangeart p. 302. Eine zweite Hs. in Maihingen, NA. IX, 286. Man
hatte ihn auch in Stablo, Gottlieb, Mittelalt. Bibliotheken S. 440 und in
Toul, vgl. Poet. Car. III, 69 adn. 3. Obgleich er Otto nur König nennt,
ziehen doch M. v. Knonau zu Ekk. S. 328 und Ottenthai, Reg. S. 176 das
Jahr 965 vor. Vgl. Gatterers Commentatio de Gunzone Italo , Norimb.
1756. Bursian, Gesch. d. Philol. S. 43. Ebert III, 370—372. Hauck III,
330. Dafs er der Ebersberger Propst Guntheri oder Gunzo gewesen sei,
„Gi-aecis ac Latinis litteris doctus, qui fuit conscolasticus Gerberti pape"
(Chron. Ebersperg. MG. SS. XX, 18), scheint der Zeit nach kaum möglieh,
da dieser nach Gr. Hundt von 1002 — 1013 Propst war.
-) -Falso putavit S. Galli monachus me remotum a scientia gramma-
ticae artis, licet aliquando retarder usu nostrae vulgaris linguae quae
latinitati vicina est." M. v. Knonau vermutet, dafs Ekkehard II. (pala-
tinus) sein Gegner war.
^) V. WoLfkangi c. 5.
■*) Nach den Versen bei Schannat, Vind. litt. I, 229 u. Oegg, Versuch
einer Korographie der Stadt Würzburg I, 542, die eine Art von Testa-
ment enthalten:
Novaria genitus . . . prae moenibus alta,
ütraque ut patuit, doctor in urbe fui.
Ast Popo antistes hanc me perduxit in urbeui.
Qua sophiae studiis dogmata crebra dedi.
^ Quos habui paucos decrevi tradere libros,
Martyr sancte Dei, en Kiliane tibi.
Caetera quae restat mihimet sat jjarva supellex,
Cedat fraternis usibus apta nimis.
Quisquis ades nostri, rogito, possessor ovilis,
^" Adde diem mortis, quem deus ij^se saj^it.
Actum anno dorn. ine. 970. 17 Kai. Aug.
Das fehlerhafte erste Distichon ist nach dem Epit. zu verbessern.
Italiener in Deutschland. Otto II. 353
Einige Auskunft über sein Leben und Wirken gewährt die Grab-
schrift, welche er für sich selbst verfafst hat'). Sie steht in einer
Handschrift des Domkapitels zu Novara, einer von Stephan ge-
schriebenen Canonensanimlung; denn er hat sich nach 970 wieder
in seine Heimat begeben, wo er 985 eine Schenkung des Bischofs
Aupald unterzeichnete. Die Grabschrift lautet :
Novariae natus, Papiae moeuibus altus,
Urbe velut potui, doctor utraque fui.
Me rex Otto potens Francorum duxit in urbem,
Qua legi multos mente vigente libros.
^ Hinc me digressum, proprium suscepit alumnum
Virgo Salus mundi, mater et alma dei.
Protinus amissam studui rei^arare sophiam,
Erudiens pueros instituensque viros.
His igitur cunctis Christo tribuente peractis,
'" Sum pulvis modicus, iussit ut ipse deus.
Quisquis hac graderis, Stephani memor esto iacentis,
Ac sibi posce poli regna beata dari.
Insuper adde diem quae contulit ultima finem.
Hanc si scruteris, hinc mage cautus eris.
Die politischen Verwickelungen führten auch den gelehrten Bischof
Rather von Verona und vor Berengar flüchtend Liudprand an
Ottos Hof, wo sie gute Aufnahme fanden, und auch Gerbert wurde
von Papst Johann XIII. im Jahre 971 zum Kaiser gesandt, verweilte
aber damals nur kurze Zeit am Hofe, weil er vorher noch in Reims
seine philosophische Ausbildung zu vollenden wünschte-).
Gern gesehen an Ottos Hofe war Ekkehard (II.) von St. Gallen,
den man deshalb im Kloster den Höfling (palatinus) nannte; er war
einer der Lehrer Ottos 11.^). Dieser hatte unter der Leitung Vol-
colds, und nach dessen Beförderung zum Bischöfe von Meifsen, des
Willigis^), einen vollständigen wissenschaftlichen Unterricht erhalten;
er liebte und beförderte die Wissenschaften und nahm lebhaften
^) Nebst einem Epitaph auf seinen Vater Leo, bei Giov. Andres,
Lettera al Sig. Abbate Morelli, Parma 1802, und bei Reift'erscheid, Wien.
SB. LXVIII, 623 mit Auslassung des ersten Hexameters: ,Pro dolor hoc
parvo claudit sua membra locello". Dagegen ist der Schlufs von Ste-
phans Epitaph fälschlich dazu gezogen. Faksimile im Spicil. Casin.
(189.3) S. 199.
^) Richer III, 44. 45. Vgl. Büdinger über Gerbert S. 44.
^) Casus S. Galli p. 126. Bei der Unzuverlässigkeit derselben u. den
chronol. Widersprüchen ist es unsicher, ob Ekk. nicht erst nach 973 an
den Hof kam; s. G. Meyer v. Knonau zu seiner Ausg. p. LXXI.
*) Thietm. IV, 6 (5). Vgl. Uhlirz, Otto IL u. HL, I, 2.
W a 1 1 e n b a c h , G-eschichtsquellen. I. 7. AufL 23
354 III- Ottonen. § 1. Allgemeines.
Anteil an den gelehrten Problemen, welche damals die Menschen
beschäftigten^). Hrotsvit feiert ihn als einen zweiten Salomo. Er
zog Gerb er t wieder an sich, tind noch ist uns ein Fragment der
Disputation erhalten, welche dieser 980 vor dem Kaiser zu ßavenna
hielt gegen den berühmten Magdeburger Lehrer 0 trieb, den Otto
ebenfalls an seinen Hof berufen hatte ^). Auch der Abt Ad so von
Montier-en-Der, einer der angesehensten Gelehrten Frankreichs, war
dabei zugegen nebst einer grofsen Menge von Scholastern oder
Grammatikern^). Auch von S. Wolfgang wird uns berichtet, dal's
er vor diesem Kaiser gegen einen Ketzer disputierte. Den Bischof
Gumpold von Mantua veranlafste er, das Leben des heiligen Wen-
zeslaus zu beschreiben.
Kurz vor dem Tode des alten Kaisers, im Jahre 972, besuchten
Vater und Sohn das Kloster St. Gallen. Der Vater fragte nach dem
alten Notker, dem gelehrten Maler und Arzte, mit dem Beinamen
Pfefferkorn; schwach und erblindet safs er auf einem Sessel. Auf
das Geheifs des Vaters führte der junge Kaiser ihn herbei und der
Alte leitete ihn nach zärtlicher Umarmung sorgsam ins Kloster imd
setzte ihn an seine Seite. Otto IL aber liefs sich nun hier die
Bibliothek öffnen und nahm, von den reichen Schätzen derselben
gelockt, eine Anzahl der besten Bücher mit sich fort; einige gab
er auf Ekkehards Bitte später zurück'*).
Otto in. endlich wurde von seiner Mutter Theophano, von dem
Calabresen Johannes und Bernward von Hildesheim auf das sorg-
fältigste erzogen^), und sein wissenschaftlicher Verkehr mit Gerbert
1) Richer III, 67.
2) Richer III, 55 ff. Vgl. Büdinger S. 52 ff. Uhlirz , Jahrb. unter
Otto II. S. 146—149.
') In Frankreich soll um diese Zeit Fulco bonus von Anjou (938 bis
958) vom König verlacht sein, als er in choro S. Martini mit den Cano-
nikern sang. Er schrieb darauf dem Könige: „Noveritis domine, quia rex
illiteratus est asinus coronatus". Gesta consulum Andegavensium c. 5;
vgl. Doctrina Abaelardi bei Wright und Halliwell, Reliquiae antt. I, 16,
und das Schachbuch, Zeitschr. f. D. Alt. XYII, 205.
■') Casus S. Galli, MG. SS. II, 147.
■") Giesebrecht, Kaiserzeit I, 670. 851. Lüntzel, Bernward S. 14. Vgl.
H. Düker, Der liber mathematicalis des heil. Bernward im Domschatze
zu Hildesheim, Hildesh. Progr. 1875. Dieses Buch, welches B. für den
Unterricht gebraucht haben soll, ist die Arithmetik des Boethius mit
Glossen. Bubnov, Gerberti opp. mathem., Berl. 1899 S. 148 ff. Vgl. die
Verse bei Giesebrecht I, 897, aus dem Bamberger in Tours hergestellten
B. , die sich auf Karl den K. beziehen; F. Leitschuh, Geschichte der
karoling. Malerei S. 84. üeber die von Joh. Calaber an Otto III. ge-
kommenen Bücher Val. Rose im Hermes VIII, 46; Giesebrecht I, 858;
Leitschuh, Führer durch die k. Bibl. zu Bamb. 2. Aufl. S. 39.
Otto II. III. Heinrich II. . 355
ist weltbekannt; wie es nur zu leicht geschah, wendeten ihn diese
ganz auf fremdländischen Grundlagen beruhenden Studien vom
vaterländischen Wesen ab und störten die harmonische Entwickelung
seines Geistes').
Heinrich IL war in seiner Kindheit zum geistlichen Stande
bestimmt und erhielt in Hildesheim, später unter Bischof Wolfgangs
Leitung in Regensburg, eine gelehrte Erziehung-); wissenschaftliche
Thätigkeit förderte er nicht unmittelbar"), aber seine Bestrebungen
für die Reform verwilderter Klöster kamen auch den Schulen zu
gute, wovon namentlich die Geschichte des Bischofs Godehard von
Hildesheim ein Beispiel gibt, und die Stiftung des neuen Bistums
zu Bamberg, welchem er es auch an Büchern nicht fehlen liefs,
eröffnete den gelehrten Studien eine neue Stätte'').
In der Totenklage um Constantius, den Scholasticus von
Luxeuil, schildert Gudinus den Kummer des Kaisers, dafs seines-
gleichen nicht mehr zu finden sei"). Dem Kloster Corvey schenkte
ein Kaiser Heinrich, der auch ein späterer sein kann, eine Hand-
schrift aus Unteritalien, Avelche das Autograph von Landolfs Historia
miscella (oben S. 180) und Vegetius enthielt').
') Ueber ein von Liuthar ihm dargebrachtes Evangeliar, und über die
Bilder von Otto III. und Theophano auf dem kostbaren Einbände des
goldgeschriebenen Evangeliars in Echternacb, jetzt in Gotha, s. Lamp-
recht, Der Bilderschmuck des Cod. Egberti und des Cod. Eptern. im
Jahrbuch des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinland LX (1881)
S. 56—112; Sauerland und Haseloff, Das Psalter Erzb. Egbert v. Trier,
Trier 1901.
■-) Hirsch, Heinrich II. I, 90—92. Giesebr., Kaiserzeit II, 78. 602.
'I Giesebr. II, 605.
••) Ausführlich handelt darüber Giesebrecht H, 52—65, vgl. 601, und
Hirsch, Heinrich IL, Band II. Ein vielleicht dazu gehöriger (?) Katalog
NA. V, 624. XXI, 194.
^) ,Heinricus in Romano residens palatio et arcana sapientum com-
probans ingenio. dolet nusquam inveniri similem Constantio." Mab. Anal,
p. 217. Dumeril (1843) S. 280; vgl. über Constantius die Unterschrift des
Cod. Bern. 87: „Ego Constantius peccator et indignus sacerdos S. Petri
Luxov. coenobii scripsi ad serviendum ei hos libros Boetii de geometria
diebus tantum XI infra Idus Jun. et VI. Kai. Jul. a. M. IUI. ab ine. Domini,
conversionis autem nostrae II. praecepto pii patris Milonis. Sit ergo utenti
gratia, scriptori venia, fraudatori anathema." Cantor, Mathem. Beiträge
(1863) S. 404, und korrekter bei Grandidier, Oeuvres bist. (1865) II, 236.
Hagen, Catal. Bern. p. 107. Die Handschrift hatte Bischof ^^'erinhar der
Strafsburger Kirche geschenkt.
«) Cod. Pal. 909, Arch. XII, 344. Nach Bethmann wäre die Inschrift
aus dem 11. Jahrhundert, nach H. Droysen im Hermes XII, 387 (Auctt.
antt. II, p. LXlI) aus dem Anfange des 12. und hätte dieselbe Hand den
Text mit Randglossen, wie cave princep^^, attende princeps, himitare prin-
ceps versehen, welche auf den Unterricht eines Fürsten deuten. Danach
wäre ein späterer Heinrich anzunehmen.
356 ^^T. Ottonen. § 1. Allgemeines.
Bei den Frauen fand man im früheren Mittelalter weit eher
als bei den Männern aus dem Laienstande die Anfänge einer ge-
lehrten Bildung, die schwierige Kunst des Lesens und Schreibens,
nebst einer Kenntnis der allgemeinen Schriftsprache, welche zum
Verständnis des Psalters ausreichte'). Leicht knüpfte sich mehr
daran, und auch der Einflufs, welchen Geistliche über weibliche
Oemüter so leicht erlangen, begünstigte ihre Beschäftigung mit dem
besonderen Erbteile dieses Standes, den Büchern. Die Frömmigkeit
der Königinnen Mahthild") und Edid ist bekannt; Heinrichs L
Tochter Gerbe rga veranlafste den Abt Adso zur Abfassung seiner
Schrift über den Antichrist^); Adelheid aber, die Burgunderin, und
Theophano, die Griechin, zeichneten sich durch eine in Deutsch-
land seltene litterarische Bildung aus, die sich auch in der sorg-
samen Erziehung ihrer Kinder erkennen läfst. Ganz besonders wird
uns die hohe Bildung der schönen Herzogin Hedwig von Schwaben
gerühmt, der Tochter von Ottos des Grofsen Bruder Heinrich von
Bayern. Wie man sich in St. Gallen erzählte, war sie als Kind zur
Braut eines griechischen Kaisers bestimmt und wurde durch Kämmer-
linge, welche dieser eigens deshalb gesandt hatte, im Griechischen
unterrichtet, zerrifs aber diese Verbindung, welche ihr milsfiel.
Diese Geschichte freilich ist so, wie sie erzählt wird, nicht möglich.
Später mit Herzog Burchard vermählt und früh (973) verwitwet,
waltete sie auf ihrer Feste Hohentwiel mit männlicher Festigkeit, ja
mit Härte, und ihre wechselnden Launen waren sehr arefürchtet.
') Vgl. Giesebr. II, 545. V. Bardonis mai. c. 1 (MG. SS. XI, -323). Der
Regensburger Marianus Scottus schrieb „uiulta manualia jjsalteria viduis
indigentibus ac clericis pauperibus eiusdem civitatis". Frau Ute in Lorsch
„las an ir salter alle ir tagezit'", Diu Klage v. 1840. „Saltere und alle
buche, di zu gotis dinste boren, die vrowen phlegen zu lesene," gehören
nach dem Sachsensi^iegel I, 24, 3 zur Gerade. Verständnis der Sprache
war jedoch mit dem Lesen nicht notwendig verbunden, so verstand Hilde-
gard vor ihrer Erleuchtung den Inhalt nicht: „solum psalterium legere
didicerat more nobilium puellarum a quadam inclusa in Monte sancti
Desibodi". Albrici Chron. ad a. 1141 (SS. XXIII, 884). Im 13. Jahr-
hundert wird einem Scholaren der Rat gegeben: ,,Si vero grammaticam
nequis scire plene, Defectu ingenii, defectu crumene, Horas et psalterium
discas valde bene, Scolas si necesse est puellarum tene." Peiper in der
Zeitschr. f. Deutsche Philologie V, 183.
^) „Domesticos omnes famulos et ancillas variis artibus, litteris quo-
que instituit; nam et ipsa litteras novit, quas post mortem regis lucide
satis didicit." Widuk. III, 74. Anskar scliickte der Liutbirg (oben S. 304)
junge Mädchen zur Unterweisung im Psalmsingen und Handarbeit. Vgl.
für die spätere Zeit Weinhold, Deutsche Frauen ^I, 116 ff.
^) Sackur, Sibyllin. Texte S. 104; Rhythm. Gedicht auf sie, Zeitschr.
f. D. Altert. XIV, 465—466, vgl. NA. XXV, 406.
Frauenbildung. 357
Ihre liebste Beschäftigung aber bestand darin, mit dem Sanktgaller
Mönche Ekkehard, den sie sich dazu vom Abte ausgebeten hatte,
die alten lateinischen Dichter zu lesen. Den jungen Burchard, der
später Abt wurde, lehrte sie selbst griechisch und beschenkte ihn
zum Abschiede mit einem Horaz'j,
Ihre Schwester Gerbirg, die Aebtissin von Gandersheim, war,
so sagt Hrotsvit, wie es der Nichte des Kaisers gebührte, von höherer
wissenschaftlicher Bildung und unterwies mich in den Autoren,
welche zuvor die gelehrtesten Meister mit ihr gelesen hatten").
Auch Heinrichs II. Gemahlin Kunigunde zeichnete sich durch
Kenntnis und Verständnis der kirchlichen nicht nur, sondern auch
der weltlichen Schriftsteller aus, und in der späteren Zeit betrachtete
man die feine Bildung der vornehmen Frauen als einen besonderen
Vorzug dieses Zeitalters^). Aber auch über seine Standesgenossen
klagte Graf Udalrich von Ebersberg (f 1029) in seinen alten Tagen :
in seiner Jugend, sagte er, habe jeder Edelmann sich schämen
müssen, wenn er die Rechtsbücher nicht zu lesen und anzuwenden
gelernt hätte^j.
Finden wir also das Ottonische Kaiserhaus wissenschaftlicher
Bildung geneigt und günstig, so überstrahlt doch alle, sowohl durch
seine eigene gründliche Gelehrsamkeit, wie durch seine fruchtreicbe
Thätigkeit für Kirche und Schule, der grofse Erzbischof Brun,
Ottos des Grofsen jüngster Bruder^).
') Casus S. Galli MG. SS. II, 122—126. Vgl. die Anmerkungen von
Meyer von Knonau S. 319 flf. u. Allg. Deutsche Biogr. X, 308.
-) „Gerbergae, cuius nunc subdor dominio abbatissae; quae aetate
minor, sed, ut imperialem decebat neptem, scientia provectior, aliquot
auctores, quos ipsa prior a sapientissimis didicit, me admodum pie eru-
divit." Praef. ad vitam b. Mariae, p. 2 ed. de Winterfeld.
'•") Im Chron. Gozec. I, 2 (MG. SS. X, 142) heifst es von der Agnes
von Weimar, Gemahlin des 1036 verstorbenen Pfalzgrafen Friedrich von
Sachsen : more antiquorum tam litteris quam diversarum artium disciplinis
apud Quidelingeburg pulchre fuit instructa. Ueber Kunigunde s. unten V
§ 15. Die Quedlinburger Schatzmeisterin Hazecha verfafste eine Schrift
zu Ehren des heiligen Christoph, welche sie Bischof Balderich von Speier
(970—987) übergab. S. unten § 6.
•*) Chron. Ebersp. MG. SS. XX , 14. Aehnlich heifst es in der Vita
S. Pauli Virodun. (aus dem 7. Jahrb.), in welcher Berthar angeführt wird,
Hugo Flavin. aber noch nicht: „liberalium studiis litterarum, sicut olim
moris erat nobilibus, traditur imbuendus". Mab. Act. 11, 268. Auch der
Vater Odos von C'luny war nach der Vita auct. Joh. mon. I, 5 (Mabillon,
Acta saec. V, 152) ein angesehener Rechtskundiger am Hofe des Grafen
Wilhelm von Poitiers.
■') S. über ihn und seine Wirksamkeit W. Giesebrecht, Geschichte der
Kaiserzeit I, 821—331, vgl. 819; 401—403. 431—436, vgl. 828. 833. Hauck,
III, 41 — 47. Vogel, Ratherius I, 156 ff. Jasmunds Vorwort zur Ueber-
358 m- Ottonen. § 1. Allgemeines.
Nachdem er in Utrecht unter der Aufsicht des Bischofs Balderich
(t 975) erwachsen war und hier die erste grammatische Bildung er-
halten hatte, wurde er noch in früher Jugend (940) zum Kanzler und
953, als er Erzbischof geworden, auch zum Erzkaplan ei-hoben ; bald
lag in seinen Händen fast die ganze Verwaltung des Reiches, deren
Fäden in der königlichen Kanzlei zusammenliefen, vor allem aber die
Leitung der kirchlichen Angelegenheiten. Mit Geschäften aller Art
überhäuft, hat er in den Aeufserlichkeiten der Urkunden, den Daten
namentlich, eine arge Unordnung einreifsen lassen'); dagegen fand
er doch noch Zeit für seine geliebten Bücher, die ihn überall hin
begleiteten, für den Verkehr mit den Meistern der Wissenschaft,
die, wie Ruotger sagt, von allen Enden der Welt sich hier zusammen-
fanden, ßatherius, Liudprand, der Spanier Eecemund, Bischof von
Elvira, wurden durch politische Ereignisse diesem Kreise zugeführt,
nahmen aber während ihres Aufenthaltes daselbst ebenfalls an den
wissenschaftlichen Bestrebungen teil. Die Anwesenheit gelehrter
Griechen benutzte Brun, um von ihnen, deren Sprache ihm schon
vertraut war, zu lernen; besonders aber verehrte er als seinen
Lehrer einen irischen Bischof Namens Israel, wahrscheinlich den-
selben, welcher, aus seiner Heimat vertrieben, in St. Maximin Mönch
wurde ^).
Ungeachtet seiner hohen Stellung verschmähte Brun es nicht,
auch selbst als Lehrer zu wirken; wieder gab es, wie zu Karls Zeiten,
eine Hofschule ^), wenn auch in anderer Weise, weil für die Grund-
lage des Lernens jetzt an vielen Orten besser gesorgt war. Aber
die Söhne vornehmer Familien, welche nach alter Weise an den Hof
gebracht wurden, werden schwerlich ganz ohne Unterricht gelassen
sein, und die königliche Kanzlei wurde zu einer Pflanzschule treff-
setzung des Ruotger. Ern. Meyer de Brunone I, Diss. Berol. 1867,
Dümmler, Otto 1. S. 396—399. Bursian, Gesch. d. Philol. S. 44. E. Krüger,
ßruns I. Erzb. v. Köln Einflufs auf Kirche und Schule in Lotbr. Leipz.
Diss. 1876. K. Martin, Beiträge zur Gesch. Bruns, Diss. Jen. 1878.
1) Sickel, Wiener SB. XCIII, 732.
2) Hontheim, Prodr. bist. Trev. II, 975. Dümmler in d. Neuen Mitteil.
XI, 252.
3) Mir scheint das aus Ruotgeri Y. Brun. c. 5 — 7 hervorzugehen. Frei-
lich darf man kaum an eine dauernde geregelte Organisation denken,
aber E. Meyer geht zu weit, wenn er sie ganz leugnet. Ihm stimmt
freilich auch Dümmler bei, Otto I. S. 545; aber wenn Ruotger sagt:
„Latialem eloquentiam non in se solum, ubi excelluit, set et in multis
aliis politam reddidit et inlustrem", so mufs doch Brun lat. Unterricht
gegeben haben. Die eigentliche Schule hatten die Hofkapläne schon
hinter sich, aber wenn wir Ruotger irgend glauben dürfen, war doch am
Hofe noch viel für sie zu lernen.
Bruno von Köln. 359
Hoher Bischöfe, deren Wichtigkeit für das Reich nicht hoch genug
anzuschlagen ist, denn mit diesen Bischöfen regierten die Kaiser
von nun an bis zu den Zeiten Heinrichs IV. ihr Reich, und fast
allein in ihnen bildete sich ein Element der Stetigkeit in der Reichs-
regierung aus, welches von dem Wechsel der Personen unabhängig war,
Brun selbst wurde im Jahre 953 Erzbischof von Köln, wo er
noch 12 Jahre wirkte, ohne doch darum der kaiserlichen Kanzlei
fi'emd zu werden, bis er am 11. Oktober 9ü5, kaum 40 Jahre alt,
starb. Die schwierigsten Aufgaben ruhten auf ihm, denn das
unruhige, unzuverlässige Lothringen war seiner Leitung anvertraut,
und seine Schwester, die Königin von Frankreich, baute fast allein
auf seine Hilfe. Aber während man nie an ihm die Thatkraft
seines grofsen Bruders vermifste , vergafs er doch über den welt-
lichen Sorgen niemals sein bischöfliches Amt. Die ganz zerrütteten
Kirchen Lothringens richtete er aus ihrer Versunkenheit auf; kirch-
liche und klösterliche Zucht wurden erneut, die Schulen mit gröfster
Sorgfalt gepflegt, und bald entfaltete sich hier wieder das rege
litterarische Treiben, welches von nun an Lothringen besonders
auszeichnet.
Nicht minder erblühten nun auch in den übrigen Reichslanden
unter so guter Pflege alle die Keime, welche die vorhergegangenen
Stürme noch überdauert hatten ; frisches Leben erfüllte die alten
Klöster, welche, wie Corvey, Gandersheim, St. Gallen, weniger gelitten
hatten, und neben ihnen erhoben sich zahlreiche neue Stätten litte-
rarischer Bildung').
Sehr bald aber liefsen sich auch schon Stimmen vernehmen, welche
die heidnische Gelehrsamkeit als sündlich verwarfen und gegen die
klassischen Studien eiferten. Hatte schon Hieronymus im Traume
für die Vorliebe büfsen müssen , womit er Plautus und Cicero ge-
lesen^), ein Geschichtchen, welches immer wieder benutzt wird und
noch bei der Bekämpfung der Humanisten eine Rolle spielt, so finden
') Wohl konnte deshalb Brun zum König sagen:
Deciderat studium veterum At tua dextra ubi sceptra tenet,
Et vigilancia paene patrum, Publica res sibi tuta placet.
Caecaque saecula barbaries Exacuit calamos studium
Saeva pvemebat et error iners. Fertque quod apparat ad solium.
Verse hinter einer Abschrift des Frontin, bei Haase. Ind. lectt. Vratisl.
hiem. 1860. p. 20. Leider bleibt es ungewifs, ob der Bruno tuus dieser
Bruno ist ; der Caesar ist nicht genannt. Diese Anrede setzt übrigens
nicht notwendig die Kaiserkrönung voraus.
-) Hieron. ad Eustochium, Opp. ed. Vall. I, 113. Vgl. im allg. Com-
paretti, Virgilio nel Medio Evo I. cap. 6. 2. Aufl. I, 99 ff".
360 III- Ottonen. § 1. Allgemeines.
wir in karolingischer Zeit den alt gewordenen Alcvin in gleichem
Sinne eifernd ; so auch jenen alten Schulmeister Johannes zu Fulda
(oben S. 253). Ermenrich sah, wenn er den Virgil unter sein Kopf-
kissen gelegt hatte, im Traume den Dichter als Teufel, in der Hand
ein Buch, hinterm Ohr die Feder, der ihn triumphierend verhöhnte ;
doch meinte er, dafs man, wie für den Ackerbau den Dünger, so
auch den Kot der heidnischen Poesie mit Nutzen verwerten könne').
Notker dagegen empfahl dem jungen Salomo den Prudentius: non
sunt tibi necessariae gentUimn fahulae^). Abt Odo von Cluny wurde
durch einen Traum von der Beschäftigung mit Virgil abgeschreckt^),
und ebenso verwarf, der Tendenz dieser Kongregation entsprechend,
Majolus die einst auch ihm lieb gewesenen Studien^), und ähnliches
wird vom Abt Hugo berichtet'').
Auch Hrotsvit schrieb ihre Dramen über Gegenstände aus der
heiligen Geschichte, um den Terenz aus den Händen der Christen
zu verdrängen'^')- Etwas später wurde der sterbende Schüler Gozo
von Dämonen in der Gestalt des Turnus und Aeneas beunruhigt')»
und als ein Mönch des Lütticher Lorenzklosters mit seinen Schülern
den Terentius las, bemühte sich S. Laurentius selber, um ihn zu
züchtigen^). Auch Dietrich von Amorbach warnt die Mönche vor
der Lesung heidnischer Schriftsteller wegen ihrer bestechenden
Sprache^).
Wer könnte auch in Abrede stellen, dafs in den römischen
Dichtern vieles zu lesen ist, was sich namentlich für Klosterschulen
') Dümmler, St. Gall. Denkm. S. 207. Ermenrici ep. Epp. V, 561—563.
^) Dümmler, Formelbuch S. 73.
^j Vita auet. Job. mon, I § 12. Mabillon, Acta V, 153, vgl. Sackur,
Cluniacenser II, 330.
■') „Legerat isdem vir Dom^ini libros olim antiquorum philosophoruui
Virgiliique mendacia, que nolebat nee ipse iam audive nee alios legere :
Sufficiunt, inquiens, divini poetae vobis, nee egetis luxuriosa Virgilii vos
pollui facundia", Vita S. Majoli I c. 14 (Mabillon, Acta V, 791) aus der
V. Alcvini c. 16, SS. XV, 193.
^) R. Lehmann über die Vitae Hugonis S. 48.
®) Die fleifsige Beschäftigung mit Terenz wird auch bezeugt durch
das wunderliche Gedicht, welches Riese in der Zeitschr. f. österr. Gym-
nasien 1867, S. 442 — 446, e cod. saec. X herausgegeben hat, und schon
1840 Magnin in d. Bibl. de l'Ecole des chartes I, 524—531 , am besten
Winterfeld in Hrotsvithae opp. p. XXXI— XXXV.
■) Vita Poppouis c. 32. MG. SS. XL 314.
*) Reineri Palmarium Virginale bei B. Pez, Thes. IV, 3, 85.
®) Abhandl. der Berliner Akad. 1894 S. 10: Non enim monachis vel
ministris sacri altaris ullo modo canonica auctoritate permittitur gen-
tilium libros vel discei-e vel docere , quia ipsa verborum alta vis facile
inserpit üb ras cordis.
Bekämpfung der profanen Studien. 361
nicht eignet. Besonders beliebt war Ovid, und nach einigen Citaten
könnte man sich versucht fühlen anzunehmen, dal's seine Ars amandi
das gelesenste Buch in den Klöstern war, wobei jedoch in Anschlag
zu bringen ist, dals viele einzelne Sentenzen gelehrt und gelernt
wurden, ohne dafs man wufste, woher sie stammten. Doch war auch
die ganz übermäfsige Beschäftigung mit der unübersehlichen Fülle
von M3'then, um jede Anspielung erklären zu können, für Mönche
wenig förderlich, und selbst Boethius und Cicero stimmten nicht
immer mit den Kirchenlehrern überein. Sogar den Erzbischof Bruno
sah der Hofkaplan Poppo in einer Vision wegen seiner eifrigen
Beschäftigung mit der Philosophie verklagt, aber S. Paulus trat
für ihn ein').
Dennoch fühlte man allgemein, dafs man die heidnische Litteratur
nicht entbehren könne, ohne in Barbarei zu verfallen ; schon Hraban
nahm sie sehr entschieden in Schutz ^) , und selbst Anselm von
Canterbury (ep. I, 55) hat einem Mönche geraten, den Virgil zu
lesen. War der geistliche Stand einmal der allein lehrende, so
mufste er auch diesen Gefahren sich aussetzen. Nur an einzelnen
Orten und bei einzelnen Männern drang jene asketische Richtung
durch ; in den Schulen behaupteten sich bis ins 13. Jahrhundert
Virgil und Horaz, Terenz, Ovid, Sallust und verlockten immer von
neuem die jugendlichen Gemüter durch den Zauber ihrer Anmut
von den trockneren Vätern der Kirche.
Die Gewandtheit im Ausdrucke, der leichte Flufs der lateinischen
Rede, im karolingischen Jahrhundert so allgemein verbreitet, waren
jedoch in der fünfzigjährigen Unterbrechung schriftstellerischer
Thätigkeit verloren gegangen ; mit grofser Anstrengung mufste man
wieder von neuem beginnen. Die mühsam erworbene gelehrte Bildung
ist fast überall kenntlich; man war stolz auf die neue Kunst und
trug sie gern zur Schau. Die schwerfälligen Phrasen sind erfüllt
von ungeschickt eingefügten Ausdrücken der alten Schriftsteller, man
prunkt gern mit Citaten und bringt die gelehrten Brocken auch da an,
wo sie am wenigsten passend sind, wie z. B. Liudprand die Ungern in
ihrem Kriegsrate mit pedantischer Affektation griechische Worte ein-
mischen lälst. Schulmäfsig gekünstelte Reden nach dem Voi'bilde
der Alten sind besonders beliebt, und nur zu häufig erschwert der
gesuchte Ausdruck das Verständnis des Inhaltes. Aber die frische
Lebenskraft, welche jetzt wiederum das von jugendlichem Auf-
1) Thietmari Chron. IT, 10.
^) De Institut, clericor. 1. III c. 18 p. 225 ed. Knöpf ler.
362 III. Ottonen. § 1. Allgemeines.
Schwünge erfüllte Geschlecht durchdrang, ist auch in dieser Ver-
mummung nicht zu verkennen ')•
Leicht genug scheinen der Nonne Hrotsvit ihre Hexameter ent-
strömt zu sein, aber die reiche Fülle lateinischer Gelegenheitsdichtung,
welche in der karolingischen Zeit überall uns begegnet, fehlt der
ottonischen. Wohl finden wir den Streit der Brüder Ottos I. und
Heinrichs, nach andern Heinrichs II. und Ottos IL, in einem halb
lateinischen, halb deutschen Gedichte behandelt^), und auch die
Schlacht auf dem Lechfelde verherrlicht^}, beide aber (in Bezug auf
das erste freilich jetzt bezweifelt) den Ereignissen schon so fern
stehend, dafs wir hinter ihnen uns eine Fülle deutscher Lieder zu
denken haben, von jenen Mimi gesungen, deren Widukind gedenkt*).
Wie nun unter den ersten Karolingern die kräftige Neugestaltung
des Reiches naturgemäfs dahin geführt hatte, die Begebenheiten
der Gegenwart aufzuzeichnen, weil man wieder Lust und Bedürfnis
empfand, sie festzuhalten, so geschah es auch nach langer Pause unter
den Ottonen. Auch jetzt suchte man zunächst die Zeitgeschichte
^) Vgl. über den Charakter der Litteratur dieser Zeit W. Giesebrecht,
Kaiserzeit I, 329.
^) Leicli von d. beiden Heinrichen, ed. Lachmann bei Koepke, Jalirbb.
Ottos L S. 97. W. Wackernagel, Lesebuch 4. Aufl. I, 110. Müllenhoff
u. Scherer 3. Ausg. I, 39, vgl. II. 99—106. Seelmaun im Niederd. Jahrb.
XII, 75 — 89, bezieht es auf den Augsb. Reichstag von 952; Bedenken
dagegen von Steinmeyer a. a. 0. S. 105. Ueber weitere Litteratur s. NA,
XXIV, 780; XXV, 254. 882.
^) Modus Ottinc, Magnus caesar, auch Otto II. und III. feiernd.
Lachm. im Rhein. Mus. III, 432. Coussemaker, Hist. de Tharm. 106 u.
pl. VIII, 1. Müll. u. Scherer 3. Ausg. S. 46. W, Meyer, Fragm. Burana
S. 174 ff.
*) Ueber die lat. Hof- u. Klosterpoesie vgl. Wackernagels LG. I, 88 bis
95. über Volkslieder S. 96—99. Ueber die modi des Cod. Cantabr. Bartsch,
Die lat. Sequenzen des MA. S. 145—165. v. Winterfeld, NA. XXV, 404
bis 406, weist für einige Gedichte der Cambridger Sammlung französ.
Ursprung nach , Schröder, Zeitschr. f. D. Altert. XLI Anz. 202 für eines
(XXTI) kölnischen. Auf Heriger von Mainz (913 — 926) Heriger iirhis,
nicht historisch, Jaffe in d. Zeitschr. f. D. Alt. XIV, 455. Müll. u. Scherer
3. Aufl. S. 53. — Kirchliche Lieder auf Heinrich IL, Lamentemiir und
Iudex summe, bei Jaffe a. a. 0. 458 — 461; Summe Caesar NA. IV, 399.
Anspielungen auf Heinrichs IL Zusammenkunft mit K. Robert von Frank-
reich im Ruodlieb, bei Grimm u. Schmeller, Lat. Gedichte des 10. u.
11. Jahrb., vgl. Giesebr. 11, 625. .Jahrbb. Heinrichs IL, 11, 225- 111,261.
Ausgabe von F. Seiler, Halle 1882, übers, von Heyne, vgl. R. Kögel,
Gesch. der D. Litteratur I, 2, 342 — 412. Ueber Ecbasis captivi s. unten
§ 6. Verse auf Heribert von Köln zur kirchlichen Feier, doch noch
saec. XI, Qui jit'incijiinm bei Jaffe S. 456. Alpert von Metz schreibt in
seinem Prologe an Burchard (MG. SS. IV, 701): ut solet fieri in canti-
lenis, quod, veteribus ex assiduitate fastiditis, novae frequentius in dies
repetitae delectabilius audiuntur.
Hof- und Klosterpoesie. Sachsen. 363
zu verewigen; die Weltgeschichte zu umfassen versuchte man noch
kaum. Aber überall begann man um die Mitte des Jahrhunderts,
die Zeitereignisse aufzuschreiben. Beziehungen zum kaiserlichen Hofe
wirkten auch hier anregend, aber nirgends erhob man sich doch zu
einem so klaren Ueberblicke der Verhältnisse, wie ihn die karolingi-
schen Reichsannalen zeigen; nur der Fortsetzer des Regino reiht
sich denselben an. Der Königshof übte wieder einen kräftigen Ein-
flul's, die Reichsgeschichte ist überall im Vordergrunde, aber weit
mehr als in karolingischer Zeit herrschen doch lokale Gesichtspunkte
vor, und es entwickeln sich selbständige Mittelpunkte gelehrter
Thätigkeit. Deshalb betrachten wir nach einander die einzelnen
Reichslande und beginnen mit demjenigen, von welchem die Herr-
schaft der Ottonen ausging, mit Sachsen.
§ 2. Sachsen. Corvey.
Das Kloster Corvey, von Anfang an in enger Verbindung mit
dem Hause der Ludolfinger und ihrer Gunst und ihres Schutzes
sich erfreuend, hatte von der Ungunst der Zeiten weniger gelitten
als andere Stifter. Doch verschwand auch hier nach Bovo II., mit
Ausnahme der dürftigen Annalen '), jede Spur litterarischer Thätig-
keit, bis der Glanz von Ottos des Grofsen Thaten ein Geschichtswerk
aus diesem Kloster hervorrief, wie noch keines in Sachsen ans Licht
getreten war, dessen Form aber zugleich einen bedeutenden Verfall
der grammatischen Schulbildung bekundet.
Widukind.
Widukindi Res gestae Saxonicae ed. Waitz, MG. SS. III, 408—407, mit Faks. d. 3 Hss.
Bes. Abdruck, neue Ausg. 1882. Uebersetzuug von Schottin, mit Einleitung von
Wattenbach 18.i2, 18S2, mit Nachtr. 1891. Geschichtschr. 33 (X, ü) Faks. d. Dresd.
Hs. in E. Berners Gesch. d. Pr. Staats I, 1890 (vgl. NA. XXII. 227). Waitz in
Schmidts Zeitschr. II, 100. L. Giesebrecht, Wend. Gesch. III, 29.5. W. Giesebrecht,
Gesell, d. Kaiserzeit I, 780. Maurenbrecher S. 32—43. W. v. Korvei (Ottonische
Studien I) v. R. Koepke, 1867. Ebert III. 428-434. Hauck III, 311—317. Watten-
bach, Widukind von Corvey u. die Erzbisch, von Mainz, Berl. SB. 1896 S. 339
bis 352. Vgl. Waitz, GGA. 1887 S. 1429—1438. Waitz, l'eber das Verhältnifs von
Hrotsuits (resta Oddonis zu Widukind, Forsch. IX, 335—342. Alfred Kirchhoff,
lieber den Ort der Ungarnschlacht. Forsch. XII. 573—592; Wyneken, ib. XXI,
239—250: Grandaur zur V. Udalrici. Vgl. auch .lul. Voigt. Die Pöhlder Chronik
und die in ihr enthaltenen Kaisersagen, Diss. Hai. 1879 (NA. V, 468). Zu I, 12
(Hirmin) Krause. N.\. XVI. 611; zu I, 16 0. v. Heinemann, Die Niederlage der
Sachsen durch die Normannen 880, Mitteil. d. Vereins für Hamb. Gesch. 1880,
S. 58— 65 (NA. VI, 203). Zu I, 36 (Lunkini) Virchow, Verhandl. d. Berl. Anthrop.
Ges. 1886, S. 422 ff. Zu I, 40 (Chnuba) R. v. Liliencron, Der Runenstein von
Gottorp, Kiel 1888 und Die vier Schleswiger Runensteine in d. Deutschen Rund-
^) Oben S. 305. Durch ihren Inhalt sind sie bei dem Mangel anderer
Nachrichten wichtigr-
364 III. Ottonen. § 2. Sachsen. Corvey.
schau vom Apr. 1893 S. 48—59. H. Möller, Zeitschr. f. D. Alt. Anz. XIX, 11— i)2.
Zu II. 1 (Krönung Ottos) Beissel über den Aachener Königstuhl, Ann. d. Aach.
Geschichtsvereins, 1888, S. 14 ff. Zu II, 10 (Schöppenkampf) B. Simson, Forsch.
XXV, 369—373. Planck, Münch. SB. 1886, S. l,öä— 180. Ueher den Ungerntribut
s. G. Caro, Mitteil, des Inst. XX, 276—282. 0. Rodenberg, Die Städtegründungen
Heinrichs I. ebnd. XVII, 161—167, wo an karolingische Einrichtungen ange-
knüpft wird.
Im Jahre 967, als Kaiser Otto auf der Höhe seiner Macht stand,
unternahm es Widukind, Mönch im Kloster Corvey, die Geschichte
seines Volkes zu schreiben, nachdem er vorher sich mit der Be-
arbeitung von Heiligenleben beschäftigt hatte'). Dadurch, so sagt er
selbst, habe er seinem Berufe genug gethan; jetzt erfülle er die
Pflicht gegen seinen Stamm und sein Volk, indem er die Thaten
ihrer Fürsten niederschreibe. In der Widmung an die Aebtissin von
Quedlinburg, des Kaisers frühreife Tochter Mahthild, bezeichnet er
genauer als seinen Gegenstand die Thaten Heinrichs und Ottos; die
Ueberschi-ift aber bezeichnet sein Werk als die Geschichte der
Sachsen. Denn Volk und Herrscher waren auf das innigste ver-
bunden, und in dem Ruhme des Kaisers fühlte das ganze Volk sich
gehoben, wie es denn auch seinen reichen Teil daran hatte. Gänzlich
fern lag es Widukind, nach der Weise der Chronisten an das römische
Reich anzuknüpfen, sondern völlig dem Verlaufe der geschichtlichen
Entwickelung entsprechend, nimmt er zum Ausgangspunkte seiner
Erzählung die Urgeschichte der Sachsen. Ihre alten Sagen zeichnet
er auf, und obgleich er es nicht lassen kann, sie durch übel an-
gewandte Schulgelehrsamkeit zu entstellen, so erkennt man doch in
jedem Worte die Freude des Mönches an seinen alten heidnischen
Vorfahren, an diesem kraftvollen Geschlechte, vor dem schon damals
die Franken sich fürchteten. Heiden freilich durften sie nicht bleiben,
und darum mu(sten sie nach tapferer Gegenwehr den Franken unter-
liegen, um durch die Taufe nun mit ihnen ein Volk zu werden.
Aber das Gefühl der Unterdrückung lastet dennoch auf ihnen, bis
nun S. Veit zu ihnen kommt und mit ihm das Glück, welches die
Westfranken jetzt verläfst"). Unter seinem Schutze gedeihen und
erstarken die Sachsen und werden unter ihrem grofsen Könige
Heinrich aller übrigen Völker und selbst der Franken Herr; kein
fremder Gebieter beschränkt hinfort ihre Freiheit.
Gegen Otto erheben sich noch einmal alle Stämme, schon
') Es sind alte Legenden, die er nur stilistisch umformen konnte. Er
mufs sich also darin mehr zugetraut haben, als wir ihm zugestehen
können. Leider sind sie nicht bekannt und wir wissen also nicht, ob
sein Stil darin nicht ein ganz anderer war.
-j Zu I c. 33 vgl. die merkwürdige Parallele bei Herodot I c. 68.
Widukind von Corvey. 365
schwindet die Hoffnung, da!'s das Reich ferner bei den Sachsen
bleibe, aber mit Gottes Hilfe überwindet Otto alle seine Wider-
sacher, er bündigt die Slaven, die Ungern, die Westfranken, bringt
auch Italien wieder ans Reich, und beherrscht nun, von Gott und
S. Veit beschützt, mit seinen Sachsen die Christenheit.
Durch diese durchgehende Einheit der Auffassung und durch
die naturfrische Lebendigkeit der Darstellung hat das ganze Werk
eine epische Färbung; was in der Ferne vorgeht, berührt Widukind
nur kurz und ist darüber auch wenig genau unterrichtet, so wie
er für die älteren Zeiten freilich auf Beda und die Geschichte der
Franken und Langobarden hinweist, auch Jordanis über den Ur-
sprung der Hunnen ausschreibt, Einhards Leben Karls benutzt, aber
von ernstlicher kritischer Forschung doch kaum eine Vorstellung
hat. Für näher liegende Zeiten wird es ihm nicht ganz an annalisti-
schen Aufzeichnungen gefehlt haben, an welche die noch erhaltenen
Corveyer Annalen anklingen. Die Translatio S. Viti kannte er, und
doch wohl auch Bovos Werk. Aber die mühsam und geistlos kom-
pilierende Arbeit anderer Chronisten liegt seiner Weise ganz fern.
Dem Epos steht er auch darin nahe, dafs er vorzüglich bei der
Schilderung der Schlachten und anderer Begebenheiten verweilt,
über ihre geschichtliche Verknüpfung aber rasch hinwegeilt. Die
Komposition des Werkes ist von R. Koepke genau untersucht und
dargelegt: recht deutlich stellt sich daraus die ganz einheitliche
ursprüngliche Aufzeichnung dar, welche durch das gewissenhafte
Bestreben, auch anderen Thatsachen ihre Stelle anzuweisen, zer-
stückt und oft unklar geworden ist. Am auffallendsten ist in
.«olcher Weise die Schildei-ung der Schlacht auf dem Lechfelde zer-
rissen. In dem Autograph des Leo von Ostia sehen wir ein solches
Verfahren noch deutlich vor uns, doch ist ohne Zweifel Koepke in
seinen Folgerungen und Behauptungen vielfach zu weit gegangen :
an einen fertig geschriebenen Entwurf des ganzen Werkes in dieser
Weise ist gewifs nicht zu denken. Eingehend kritisiert und zurück-
gewiesen ist Koepkes Annahme von .1. Raase').
Einen seltsamen Gegensatz zu dem ganz volkstümlichen Inhalte
bildet der gesuchte sallustische Ausdruck-), gemischt mit den Worten
und Wendungen der lateinischen Bibel. Mühsam zieht er dem
widerstrebenden Gedanken ein altrömisches Kleid an, das oft nur
^) Widukind von Korvei. Rost. Diss. 1880.
^) Dafs er auch Livius gekannt habe, weist Koepke S. 175 nach. Be-
nutzung des Tacitus u. a. sucht Manitius nachzuweisen, NA. XI, 45 — 90.
366 ni. Ottonen. § 2. Sachsen. Corvey.
schwer und unvollkommen erkennen läfst, was er eigentlich sagen
will. Die Nachahmung der antiken Redeweise beherrscht ihn so
sehr, dafs er sogar Heinrich wie Otto nach dem Siege über die
Ungern vom Heere als Imperator begrüfsen läfst, und Otto auch
von da an so nennt, die Kaiserkrönung in Rom aber ganz über-
geht, wie denn überhaupt der Papst in der eigentlichen Geschichts-
erzählung gar nicht genannt wird').
Betrachten wir Widukinds Buch als eigentliches Geschichtswerk,
so können wir nicht umhin, es für sehr mangelhaft zu erklären;
seine Auffassung der Dinge und namentlich seines grofsen Kaisers
ist keineswegs richtig; so wie der Kaiser selbst den Standpunkt
eines Sachsen fürsten verliefs, wurde er dadurch dem Gesichtskreise
Widukinds entrückt. Obgleich Mönch, übersieht dieser fast ganz die
so überaus wichtige kirchliche Wirksamkeit Ottos, und besonders
auffallend ist sein Schweigen über die Stiftung des neuen Erzbistums
in Magdeburg. Er stand dem kaiserlichen Hause nicht ganz ferne,
wie seine Widmung an Mahthild zeigt — ein zwölfjähriges Mädchen,
dem er fast ärger schmeichelt, als die Devotion gegen das Haus der
Ottonen entschuldigen kann — und es kamen ihm gute Nachrichten
zu, aber er blieb doch als Mönch in seinem Kloster und war daher
nicht im Stande, sich diejenige Uebersicht der Verhältnisse zu ver-
schaffen, welche damals wohl nur am kaiserlichen Hofe zu erlangen
war. Deshalb kann ich auch nicht der Auffassung Koepkes zustimmen,
welcher einen längeren Aufenthalt am Hofe annimmt und Erzbischof
Wilhelm einen bestimmenden Einflufs auf das Werk beimifst: wir
müfsten dann ganz andere Gesichtspunkte hervortreten sehen. Eine
^) Mam-enbrecher S. 40 bemerkt, dafs Widukind einem im Mittelalter
häufigen Sprachgebrauche folgend unter Imperator den Herrscher über
mehrere Völker versteht, weshalb er auch Theuderich so nennt, vgl. Ann.
Fuld. a. 869; Mon. Sangall. II. 11 und die Titel des angelsächsischen
Königs Eadgar, die Krönung Alfons' von Spanien 1135. Doch betrachtet
er Theuderich ganz nach der Analogie des karol. und säcbs. Kaisertums,
und das gänzliche Schweigen von der Kaiserkrönung ist darum nicht
minder auffallend. Absicht erkennt darin Hauck III, 316 A. 1. In Be-
zug auf sein Verhalten zum Wunderglauben seiner Zeit ist zu bemerken,
dafs probare bei ihm nicht billigen, sondern erproben bedeutet,
und er deshalb über S. Wenzels Wunder keine Mifsbilligung , sondern
nur einen kritischen Zweifel ausspricht. Vgl. hierzu K. Hegel , Latein.
Wörter u. deutsche Begriffe, NA. XVIII , 214 ff. Nur dagegen erklärt
sich Wattenbach , dafs die moenia bei Wid. I c. 35 Befestigungen be-
deuten sollen. Es sind Wobnungen wie III c. 46 „cum moeniis pariter
concremantur" (in den Dörfern). Ebenso Ann. Fuld. 869 (ed. Kurze p. 69)
u. bei Marcw. Fuld. (Fontes III, 167) : „in castello regio B. menia collo-
cavi et municiones firmas construxi".
Widukind von Corvey. 367
gewisse vorsichtige Zurückhaltung in Betreff des Mainzer Erzbischofs
ist sehr natürlich. Wohl hat er den Kaiser und seinen Hof gesehen,
wenn sie das heimatliche Sachsen aufsuchten, aber von dem, was
jenseits der sächsischen Grenze liegt, scheint ihm aus eigener An-
schauung kaum etwas bekannt zu sein. Selbst in Magdeburg mufs
er ganz fremd gewesen sein, da er sonst doch wohl notwendig für die
so wichtige Stiftung der wendischen Bistümer und die viel bestrittene
Errichtung des Erzbistums') einige Teilnahme gewonnen hätte.
Dafs Widukind Hrotsvits Gedicht gekannt, dafs er dazu eine
Art von Ergänzung hätte geben wollen, ist ein Phantasiegebilde
von Koepke, welches G. Waitz hinlänglich widerlegt hat").
Kommt nun auch in Widukinds Darstellung das seinem Ge-
sichtskreise entrückte Reich zu kurz, so verleiht ihm dagegen
gerade seine Einseitigkeit und die lebendige Wärme des Volks-
bewufstseins einen Reiz, der den objektiver gehaltenen Annalen
fehlt, und stofflich betrachtet sind seine Mitteilungen für uns von
dem unschätzbarsten Werte. In allem, was ihm nahe lag, zeigt er
sich durchaus zuverlässig, unbefangen und wahrheitsliebend bei der
Schilderung der handelnden Personen, und so sehr er auch für das
Ottonische Haus begeistert ist, liegt eine absichtliche Entstellung
der Thatsachen zu ihren Gunsten ihm jedoch gänzlich fern. Sogar
für jene kühnen Recken, die im unbändigen Trotze lieber alles er-
dulden, als der Herrschaft ihres Vetters sich fügen wollten, bezeugt
er eine offenbare Teilnahme, ja Vorliebe, wie auch beim A'olke solche
Naturen immer Anklang finden; zuletzt, wo er schon zum Schlüsse
eilt und selbst das Näherliegende oberflächlich behandelt, zieht ihn
doch noch Wichmanns Trotz und Untergang übermächtig an. Widu-
kind ist eben mit seinen Vorzügen wie mit seinen Mängeln ein
ganzer Sachse des 10. Jahrhunderts, und in ihm spiegelt sich die
Natur seines Stammes treu und wahr. Aufserhalb Sachsens wurde
sein Werk nicht viel gelesen ; seit dem 12. Jahrhundert wurde es
nicht mehr unmittelbar benutzt, sondern nur durch die Vermittlung
Frutolfs, der es fast ganz in seine grofse Weltchronik aufgenommen
hatte ^J.
') Das Schweigen darüber schreibt Gundlach , Heldenl. 1.31, dem
Einflüsse Wilhelms zu. Allein abgesehen davon, dafs dieser nicht nach-
zuweisen und die Verhältnisse ganz andere geworden waren , war Wid.
gar nicht so furchtsam, dafs er sich nicht auch eine bedauernde Aeufse-
rung erlaubt hätte.
-) Vgl. Hrotsvitha ed. Winterfeld S. 227.
^) Benutzung durch Dietrich von Niem zeigt Lindner, Forschungen
XXI, 90.
368 lil- Ottonen. § 2. Sachsen. Corvey.
Daraus erklärt es sich wohl, dafs uns nur drei Handschriften
davon erhalten sind. Dafs die eine von ihnen, die jetzige Dresdener (A),
das Werk in seiner ursprünglichen Gestalt^) enthält, hat man aus
ihrer Unvollständigkeit am Schlüsse nicht mit Recht gefolgert, weil
das, was in den andern noch nachfolgt, wie der merkwürdige Brief
des Kaisers aus Capua und die schöne Schilderung vom Tode der
Königin Mahthild und von des Kaisers Heimkehr und Tode sicher
nicht erst später hinzugefügt ist. Dafs darin einige Ausdrücke ge-
ändert sind, vielleicht auch die Stelle über des Erzbischofs Hatte
Nachstellungen gegen Heinrich (1 , 22) , in welcher die Dresdener
Handschrift von der Schuld des Erzbischofs schweigt, deutet auf eine
fremde Hand, denn es macht den Eindruck einer Abkürzung, und
es sind Worte dai'in, welche nur durch die Vergleichung mit Cod. 1
ihre Erklärung finden^). Die in Corvey gebliebene Handschrift
wurde abgeschrieben (Cod. 1, in Montecassino) und vielleicht von
Widukind selbst, wie auch Waitz annimmt, vermehrt um eine Notiz
über den Abt Bovo und eine ausführliche Erzählung der beliebten
Volkssage von dem Untergange des Grafen Adalbert von Babenberg
durch Hattos Verrat^). In dieser Gestalt findet sich das Werk in
der besten, der Steinfelder Handschrift (Cod. 2, jetzt im Brit. Museum
Add. 21109), und in der Frechtschen Ausgabe, und so lag es schon
Frutolf und dem Annalista Saxo vor.
Die sagenhafte Erzählung Widukinds von der Teilnahme der
Sachsen an dem Kampfe der Franken und Thüringer ist, auch hier
durch Frutolf vermittelt, im 12. Jahrhundert benutzt worden für
^) Vgl. über diese Handschrift NA. II, 450, und die zweite Ausgabe
von Waitz. Eine neue Ausgabe von Karl Kehr mit verbessertem Apparate
ist in Vorbereitung.
^) Namentlich: „Hatho videns suis artibus finem impositum". Dafs
die Darstellung der Dresdener Handschrift nicht in Widukinds Stile ge-
schrieben ist, und man deshalb mit Waitz die Hand eines Fremden
erkennen mufs, möchte auch ich behaupten. Für die Halsbandgesehichte
findet sich ein merkwürdiges Seitenstück in Walkenried, welches Leibniz,
Ann. Imp. II, 263 erzählt, und in Konrad Stolles Erfurter Chronik, her-
ausgegeben von Thiele S. 453 c. 349. Zu I, 12 vgl. noch Mich. Lindener
ed. Lichtenstein S. 130: „vermeinet auch, unser Herrgott hiels Herman".
") B. Simson bemerkt, dafs 2 an mehreren Steilen A näher steht,
was richtig ist. Dem Schreiber derselben kann das Original selbst vor-
gelegen haben. Auch Waitz bemerkte schon, dafs der Text in 2 besser
sei als in 1. In der Oratio S. Viti I, 34 steht 2 dem Original am
nächsten, 3 aber stimmt mit A und 1. B. Simson, NA. XII, 597. Vgl.
dens. NA. XV, 565—575. Wenn Giesebrecht I, 811— S12 Glossen im Text
erkennen will, so ist dagegen doch zu bemerken, dafs diese Stellen sich
auch in A finden und jedenfalls nur von Widukind selbst herrühren
köimen.
Herkunft der Schwaben. Orientalische Reiseberichte. 369
die seltsame Geschichte von der Herkunft der Schwaben,
in welcher an die Stelle der Sachsen die Schwaben gesetzt sind, die
wegen Hungersnot aus Schweden auswanderten. Diese von Goldast
1604 als Anoniimus de Sncvorum origine zuerst veröffentlichte Fabel,
welche aber Spuren wirklicher alter Sage enthält, ist von Müllenhoflf
nach der ziemlich gleichzeitigen Handschrift neu herausgegeben 0-
Zugleich hat er nachgewiesen, dafs sie nur im sächsischen Schwaben-
gaue an der Bode entstanden sein kann, aber in Schwaben auf-
gezeichnet ist.
Unerwarteterweise sind unsere Nachrichten über diese Zeiten,
ganz vorzüglich aber über die Zustände der Slavenländer, durch
einen sehr wertvollen Fund vermehrt worden, nämlich den in einem
arabischen Sammelwerke enthaltenen Reisebericht des Juden Ibra-
him ibn Ja'qüb, d. i. auf deutsch Abraham Jakobsen. Er hat,
wie er selbst erwähnt, Kaiser Otto gesprochen und Gesandte der
Bulgaren in Magdeburg getroffen -). In einem anderen späteren
arabischen Sammelwerke wollte man Auszüge aus dem Berichte
eines arabischen Reisenden entdeckt haben, der sich am Hofe
Ottos des Grofsen mit Ibrahim getroffen habe; doch scheint die
Uebereinstimmung mit dem Juden, die man so erklären will, eher
eine litterarische Entlehnung zu bedeuten ^).
§ 3. Fortsetzung. Gandersheim. Quedlinburg.
Während die schwerfällige, von Fehlern keineswegs freie Sprache
Widukinds von den gelehrten Studien in Corvey eben kein günstiges
Zeugnis ablegt , überrascht im Kloster Gandersheim die Nonne
Hrotsvit, wie sie selbst übersetzt: damor validus Gandeshemensis,
durch ihre klassische Bildung und ihre grofse Herrschaft über die
') Zeitscbr. f. D. Altert. XVII, 57—71 mit Nachtrag XIX, 130. Uebers.
bei der 2. Ausg. des Widukind S. 1.31-137.
*) Man hat das auf das .Jahr 973 bezogen, allein nach der Ansicht
Kuniks hat Ibrahim seinen Bericht schon 965 abgefal'st , was besser zu
der Thatsache stimmt, dafs 971 das Königtum der Bulgai-en sein Ende
fand. Eine sehr gründliche Untersuchung über diesen Bericht, sowie eine
neue Uebersetzung, durch welche Wattenbachs Bearbeitung nach De Goeje
(hinter der Uebersetzung des Widukind, 2. Ausg. S. 138 — 147) ersetzt ist,
hat Fr. Westberg verfafst, Mem. de l'Academie de St. -Petersbourg,
ser. VIII, 3 (189b).
') Ein arabischer Berichterstatter aus dem 10. Jahrhundert über
Fulda, Schleswig, Soest, Paderborn und andere Städte des Abendlandes.
Artikel aus Qazwinis Athär al-biläd. Aus dem Arab. übertragen, mit
Kommentar u. einer Einleitung versehen von Georg Jacob. Berlin, Mayer
u. Müller, 3. Aufl. 1896. Vgl. dagegen Westberg a. a. 0., besonders
S. 90 ff.
Wattenbach, Geschiclitsquelleu. I. 7. Aufl. 24
370 III- Ottonen. § 3. Gandersheim. Quedlinburg.
Form des Ausdruckes ; ihr bedeutendes Talent war durch eine sorg-
fältige Schulbildung unter der Leitung der Rikkardis entwickelt, und
sie hatte dann diese Studien unter der Nichte des Kaisers, Gerberga,
fortgesetzt. Sie bearbeitete verschiedene Gegenstände aus der älteren
Kirchengeschichte in metrischer Form, darunter auch nach dem
Berichte von Augenzeugen das ganz neue Martyrium des heiligen
Pelagius in Spanien, und verfafste darauf auch sechs Komödien über
verwandte Stoffe, weil es ihr anstöfsig war, dafs der leichtfertige
Terenz überall mit so grofsem Vergnügen gelesen wurde. Doch
diese Seite ihrer dichterischen Thätigkeit, in anderer Beziehung
weitaus die wichtigste, liegt unserer Aufgabe fern^).
In ähnlicher Weise wie Widukind wurde aber auch Hrotsvit
durch die glänzenden Thaten Ottos des Grofsen der Geschichte der
Gegenwart zugeführt ; ihre Aebtissin Gerbei'ga (959 — 1001), Hei-zog
Heinrichs von Bayern Tochter, forderte sie auf, ein Heldengedicht
zum Preise ihres Oheims zu verfassen-), welches dem Erzbischofe
Wilhelm von Mainz, dem Sohne des Kaisers, überreicht werden
sollte. Im Jahre 967 war es vollendet, und die Dichterin über-
sandte es mit einer poetischen Widmung dem alten Kaiser und dann
dem jüngeren, welcher ein Exemplar davon verlangt hatte. In
keinem Buche, so sagt sie, sei bisher derselbe Gegenstand behandelt,
keinem sei sie gefolgt. Nach einer wahrscheinlichen Annahme war
allerdings damals kein ähnliches Werk abgeschlossen, aber Hrotsvit
M Vgl. W. Creizenach. Gesch. d. neueren Dramas I (Halle 1893)
S. 17. Uebersetzung der Dramen von 0. Piltz. Leipzig, Reclam. —
K. Strecker. Hrotsvits Maria u. Pseudo-Matthäus, Dortmund 1902.
-) Hrotsviiliae Carmen de gestis Oddonis I hnperatoris ed. Pertz, MG.
SS. IV, 317 — 335. Die Werke der Hrotsvitlia, herausgegeben von Dr. K.
A. Barack (mit Verbesserungen aus der Pommersfelder Handschr.), Nürnb.
1858. Hrotsvithae opera ed. P. de Winterfeld, Berol. 1902. Uebersetzung
der beiden historischen Gedichte von Pfund, 1860 ; Geschichtschr. 2. Ausg.
1888, Bd. 32 (X, 5). W. Gundlach, Heldenlieder der deutschen Kaiserzeit
I (1894): Hrotsvitha's Ottolied mit vielen Beigaben und Exkursen, vgl.
dazu Kurze. Deutsche Litteraturzeit. 1894 S. 1335—1337. Vgl. W. Giese-
brecht, Gesch. d. Kaiserzeit I, 780 ff.; Maurenbrecher S. 57—62; R. Koepke,
Hrotsuit von Gandersheim (Ott. Studien II), 1869 mit Faks. der Hand-
schrift, München lat. 14485 (auf der Rückseite des letzten Blattes ist
nach C. Hoefler altglagolitische Schrift, was in St. Emmeram nicht auf-
fallen kann, vgl. Pfeiffers Germania XV, 194); Ebert III, 285-329; Hauck
III, 301 — 311.' — Aschbachs Angriffe gegen die Echtheit der Werke be-
dürfen nicht mehr der Erwähnung; Koepke hat endgiltig damit auf-
geräumt, wenn auch A. selbst in seiner Gesch. der AViener Universität
II, 242 ff'., Wien 1877. es nicht zugeben wollte. Die Inhaltsangabe der
Handschrift aus dem Katalog der Bibl. von St. Emm. von 1500. die wohl
schon vor der Verleihung an Celtis geschrieben war , bei Winterfeld
S. XIIT, Anm. 44.
Hrotsvit von Gandersheim. 371
wufste wohl von der Arbeit Widukinds'). Es sind die Mitglieder
der kaiserlichen Familie, welche ihr den Stoif gegeben haben, und
so ist es denn nicht zu verwundern, dals verschiedene Rücksichten
auf die Darstellung eingewirkt haben. Ueber die Vergangenheit
Heinrichs von Bayern konnte hier nur mit der äufsersten Vorsicht
gesprochen werden. Es war nur zu viel in der kaiserlichen Familie
vorgefallen, dessen man ungern gedachte. Mit der Wahrheit hat
sie es hier eben nicht genau genommen : sie oder ihre Bericht-
erstatter, deren abweichenden Angaben über schon fernliegende
Dinge sie in gutem Glauben trauen mochte. Daneben aber gab es
doch auch sonst des Stoffes noch reichlich genug, und hier hat Hrotsvit
nicht nur manches, wie namentlich die Flucht der Kaiserin Adelheid,
hübsch behandelt -,) , sondern sie hat auch geschichtlich wichtige
Thatsachen und Umstände aufbewahrt. Gerade die von Widukind
vernachlässigten Vorgänge in Italien und die uns leider nicht er-
haltene Kaiserkrünung hat sie ausführlich behandelt ^). Die Fa-
miliengeschichte ist ihr die Hauptsache, Schlachten zu schildern
weist sie als ihr nicht zukommend ab. Ausdrücklich hebt sie her-
vor, dafs sie nur wiedergebe, was man ihr berichtet habe. Wie in
ihren meisten Werken — doch ist der Gongolf sehr frei und sogar
mit einem gewissen Humore behandelt'*) — so hält sie sich auch hier
ganz genau an den ihr überlieferten Gegenstand und erlaubt sich
selten, ihn der poetischen Darstellung zuliebe umzugestalten. Die
metrische Form bleibt bei ihr nur ein äufserliches Gewand, und
wir können daher ihre Erzählung geradezu als Geschichtswerk be-
nutzen. Um so mehr ist es zu bedauern, dafs durch Blätterausfall
in der einzigen Handschi*ift etwa die Hälfte ihres Werkes verloren
ist, und zwar namentlich die so inhaltreichen Jahre 953 — 962 ; nur
ein kleines Bruchstück daraus ist vorhanden , und keiner der uns
bekannten mittelalterlichen Schriftsteller hat ihr Werk benutzt.
Lange Zeit hat Hrotsvit an der Dichtung, die ihr offenbar grofse
^) Vgl. über das Verhältnis zu Widukind die oben S. 363 angeführten
Aufsätze von Waitz. v. Winterfeld in seiner Ausgabe S. IX Anm. 29 und
NA. XXVIIf: Beziehungen zu Liudi^rands Antapodosis nimmt an B. Zint,
Ueber Roswitha's Carmen de gestis Oddonis. Königsb. Diss. 1875.
^) Aber wie Winterfeld zeigt (Ausgabe S. XII, Änm. 39), im Anschluss
an den Waltharius.
^) Nach Gundlach (Heldenl. I. 333) schlofs sie zwar mit der Weih-
nachtsfeier in Pavia 961, doch ist dies von Winterfeld widerlegt (Aus-
gabe S. X, Anm. 80 und NA. XXVIII, 511).
■•) Nach einer Beobachtung Streckers lehnt sich Hrotsvit gerade hier
und im Pelagius , wo sie keine schriftliche Quelle hat , um so enger an
den von ihr überall nachgeahmten Prudentius.
372 ITT. Ottonen. § 3. Gandersheim. Quedlinburg.
Mühe machte, gearbeitet; später behandelte sie in einem dichterisch
viel höher stehenden Werke auch die Anfänge ihres Klosters und
dessen Geschichte bis zum Jahre 919, bis zum Tode der Christina,
der letzten von den drei Töchtern Ludolfs, welche nacheinander
dem Stifte vorstanden^).
Die Gandersheimer Nonnen sind dem gewöhnlichen Geschicke
reicher und vornehmer Stifter verfallen ; von ihren Studien ist nach
diesen vielversprechenden Anfängen ferner nicht die Eede. Ueber
den Kii'chenstreit, welcher so viel Unruhe erregte, haben wir der
Hildesheimer Darstellung eine Gandersheimer nicht gegenüber zu
stellen. Von der Aebtissin Sophie (1002—1039), Ottos II. Tochter,
heifst es zwar noch :
Danken, word unde werk wände se all to gode,
Under der ebtissen or nichteln hode
Lernde se clostertuclit unde ok landrecht darto;
De scrift to lernde was se vlitich spade unde vro.
Dat b 0 k seeht, dat se so vele wisheit konde,
Dat se ok wolgelarden meistern wedderstunde.
Aber eben unter ihr scheint die Hoflfart dort eingezogen zu sein.
Das „Buch" war wohl sicher von keiner Nonne verfafst. Es be-
handelte die Stiftung des Klosters und dessen Geschichte bis zu
der Kirchweibe von 1007 und der Schenkung von Dernburg, nebst
der aufs engste damit verflochtenen , ja an die Pflege des Klosters
geknüpften Erhebung des Hauses der Ludolfinger. Im Jahre 993
war das Kloster abgebrannt; nach Beilegung des langen Streites mit
dem Erzbischof Willegis wurde der Neubau 1007 durch den Bischof
Bernward von Hildesheim eingeweiht, und ohne Zweifel durch diese
Vorgänge wurde die Schrift veranlafst. Von Hrotsvit scheint der
Verfasser nichts mehr gewufst zu haben. Dagegen benutzte er
Widukind, vorzüglich für die Geschichte des Königs Heinrich, und
verband damit eine schon sagenhaft entstellte Ueberlieferung vom
Ungarnkrieg. Die Aebtissinnen Gerbirg und Sophie werden sehr
verherrlicht, aber was von ihnen und ihrem Verhältnis zum Kaiser-
hause berichtet wird, trägt schon ein so sagenhaftes Gepräge, dafs
eine geraume Zeit dazwischen liegen mufs. Erhalten ist uns dieses
^) De primordiis coenohii Gandeshemensis , MG. SS. IV, 306 — 317;
bei V. Winterfeld S. 229 — 246. Die in Koburg vermutete Kopie (Arch.
VIII, 266) hat Wattenbach dort vergeblich gesucht, dagegen ein altes
Verzeichnis des Gandersheimer Kirchenschatzes gefunden und im Anz.
d. Germ. Mus. XX, 845—347 mitgeteilt. Auch weitere Nachfragen blieben
vergeblich.
Eberhard von Gandersheim. Leben der Königin Mathilde. 373
lateinische Buch nicht, wohl aber die deutsche Bearbeitung des
„papen Everhart" von 1216 in wortreicher Reimerei').
Merkwürdig ist vorzüglich, dafs uns hier, wie es nach der sorg-
fältigen Untersuchung von Paul Hasse scheint, der erste Anfang
jener sagenhaften Ausschmückung der Geschichte entgegentritt, deren
wir noch mehrfach zu gedenken haben werden : noch andere Spuren
leiten dabei gerade nach Gandersheim, und die Darstellung des
Sieges über die Ungern in der von Heinrich von Herford benutzten
Sachsenchronik ist mit dem Berichte bei Eberhard verwandt").
Zur Zeit der Ottonen scheinen auch andere Frauenklöster Sachsens
in gelehrter Bildung nicht zurückgeblieben zu sein , wenn auch
gerade keine Hrotsvit ihnen einen so hohen Ruhm vor der Welt
verlieh wie Gandersheim. Der Hazecha von Quedlinburg gedachten
wir schon oben (S. 357). Nicht leicht traten die Nonnen als
Schriftstellerinnen auf, aber auch die Bildung der Priester, welche,
wie Agius, dem Stifte nahe standen oder auch dem Kloster selbst
angehörten, erlaubt einen vorteilhaften Schlufs auf den Zustand der
Klosterschule.
Herford hatten wir schon früher (S. 304) zu erwähnen wegen
der Uebertragung der heiligen Pusinna. Hier ward Hathumod er-
zogen, und es wird von Agius gerühmt. Hier wurde auch die Königin
Mathild unter der Aufsicht ihrer gleichnamigen Grol'smutter, der
Aebtissin des Klosters, erzogen und unterrichtet. Als Witwe stiftete
die Königin das Kloster Nordhausen, und hier wurde im nächsten
Jahrzehnt nach ihrem Tode (28. Februar 968) ihr Leben beschrieben,
entweder von einer Nonne des Stiftes oder von einem Priester, der
ihr nahe gestanden hatte und von der Aebtissin Ricburg die übrigen
Nachrichten erfuhr. An den Kaiser Otto II. ist es gerichtet und
natürlich ganz panegyrischer Art. Auch die Form ist ungeschickt,
aber in dieser Zeit war es ein noch nicht häufiges Verdienst, über-
haupt schreiben zu können. Der Inhalt genügt freilich unseren
Wünschen bei weitem nicht, obgleich einige schätzbare Nachrichten
geboten werden. Die gewöhnlichen Schilderungen klösterlicher Fröm-
migkeit nehmen den gröfsten Raum ein, und wie Einhard die Worte
Suetons benutzt hat, um den Kaiser Karl zu schildern, so finden
wir hier ganze Stellen aus Sulpicius Severus und aus dem Leben der
') Eberhards Reimchronik von Gandersheim, neue Austj. v. L. Weiland,
MG. Deutsche Chroniken TT, 385—429. Vgl. P. Hasse, Die Reimchronik
des Eberhard von Gandersheim, Diss. (jött. 1872.
-) Nicht daraus abzuleiten, s. Waitz, Jahrbb. unter Heinrich I., 3. Ausg.
S. 259; Bernheim, NA. XX, 77 ff.
374 III- Ottonen. § 3. Gandeisbeim. Quedlinburg.
Radegunde angewandt; ja, Herzog Heinrich wird mit denselben
Worten herausgestrichen, wie Pamphilus in Terenz' Andria\). Das
Formelhafte dieser Lobpreisungen tritt so noch mehr als sonst her-
vor, und an einer Stelle ist sogar die Geschichte selbst dadurch sehr
wesentlich berührt worden, indem Otto I. eine gewaltsame Thron-
besteigung zum Vorwurfe gemacht wird. Diese Behauptung, welche
früher einigen Anstofs erregt hatte, wird jetzt niemanden mehr
irren, da Jaflfe, der jene fremden Federn zuerst entdeckte, hier eine
Stelle des Sulpicius Severus nachgewiesen hat, welche den Kaiser
Maximus angeht. Seitdem hat H. Heerwagen auch noch die Plün-
derung der Vita S. Geretrudis ans Licht gebracht und die ganze
Art des überall vorliegenden wörtlichen Plagiierens gegen Koepkes
Ansicht von einer freien Benutzung des Widukind geltend gemacht.
Er hat zugleich auf die zahlreichen Fragmente von Hexametern hin-
gewiesen, welche bedeutende Vertrautheit mit alten Dichtern zeigen,
während dagegen der von Locher angeregte Gedanke an eine ur-
sprünglich metrische Bearbeitung durch die musivische Zusammen-
setzung aus jenen Plagiaten unmöglich wird^).
Ueberliefert ist die Vita Mathildis nur als ein Bestandteil der
Pöhlder Chronik ^), deren Autograph in einer Oxforder Handschrift
erhalten ist. Nicht aus dieser, sondern ihrer jungen Göttinger Ab-
schrift veranstaltete E. Koepke die erste und bisher einzige Aus-
gabe •*). Früher kannte man nur eine spätere Ueberarbeitung der
Vita, deren Verfasser, ebenfalls dem Kloster Nordhausen nahe-
stehend, das Werk stilistisch umformte und manches veränderte,
namentlich Heinrich von Bayern, Mahthilds Lieblingssohn, ungebühr-
M Jaffe, Forsch. IX, 343—845; vgl. unten Anm._4.
^) Heerwagen, Einige Bemerkungen zu den beiden Lebensbeschrei-
bungen der Königin Mathilde, Forschungen VIII, 367—884. Sehr be-
achtenswert für die schablonenmäfsige Natur der Legenden überhaupt,
und zur Warnung, dafs man auf die stereotypen Wendungen derselben
kein Gewicht zu legen hat.
^) Vgl. Bd. II S. 435 (6. Aufl.). Die wichtigsten Varianten der Ox-
forder Hs. hat zu Koepkes Ausgabe nachgetragen H. Herre, Deutsche
Zeitschr. f. Geschichtsw. XI, 53 — 54.
■*) Vita reginae Mahthildis nntiquior ed. Koepke, MG. SS. X, 573 — 582.
Uebersetzung von Jaffe 1858, wo die Plagiate aus Sulpic. Sev. und Vita
Radeg. zuerst nachgewiesen sind; 2. Aufl. 1891, Geschichtschr. Bd. 81
(X, 4); vgl. Gundlach, Heldenlieder I, 157—167. Verbesserungen des
Textes von Heerwagen, Forsch. VIII, 382 ; aus der Göttinger Handschrift
von Jaffe, Forsch. IX, 344. Vgl. G. Waitz in den Gott. Nachr. 1852, N. 13.
Gieseb recht, Geschichte der Kaiserzeit I. 783—784. 839. Ebert III, 451
bis 454. R. Koepke, Forsch. VI, 147—171, verficht seine Ansicht, dafs
der Verf. unter Otto III. schrieb. Vgl. auch Wilinans, Kaiserurkk. S. 439 ff.
über das Stift Enger.
Leben der Königin Mathilde. Quedlinburg. 375
lieh hervorhob, dem Enkel desselben, Heinrich II., zuliebe, welcher
ihm diese Arbeit aufgetragen hatte'). Dafs hierzu Gumbolds Wenzel-
legende benutzt war, hat Koepke gegen Loeher, der nur eine ge-
meinsame Quelle annahm , festgestellt. Die genaueste und sehr
lehrreiche Analyse der ganzen Vita hat aber Heerwagen gegeben.
Die Bildung ist inzwischen schon bedeutend klerikaler gevrorden.
Nicht mehr Hexameter-Schlüsse stehen am Ende der Sätze, sondern
es herrscht eine geregelte Reimprosa. Der Ausdruck ist geglättet,
und die wörtlichen Entlehnungen sind mehr verwaschen, dafür aber
andere dazugekommen, und wieder ist es derselbe gelehrte Apparat,
vermehrt jedoch durch Sedulius (ep. ad Macedonium), mit welchem
auch der Ueberarbeiter wirtschaftet. Recht lebhaft tx'itt uns hier
entgegen, wie frei für kirchliche Zwecke und zur verzierenden Aus-
schmückung die üeberlieferung behandelt und wie bereitwillig der
Schmeichelei für das regierende Haus die Wahrheit geopfert wird.
Den Anspruch auf geschichtliche Glaubwürdigkeit hat diese jüngere
Vita vollständig eingebüfst.
Bedeutender als Herford und Nordhausen tritt Quedlinburg
hervor, ebenfalls eine Stiftung der Königin Mahthild ; die erste Aeb-
tissin (966—999) war ihre Enkelin gleichen Namens, die Tochter
Ottos des Grofsen , welcher Widukind seine Geschichte widmete.
Hier wurde die Pfalzgräfin Agnes erzogen , und auch der Bischof
Thietmar von Merseburg hat hier seine ersten Jugendjahre verlebt,
wie denn häufig in damaliger Zeit zum geistlichen Stande bestimmte
Knaben die Anfänge des Unterrichts in Frauenklöstern erhielten ^).
Wir haben schon wiederholt (S. 357. 373) die gelehrte Nonne
Hazecha erwähnt, von welcher es fast den Anschein hat, als ob sie
der Studien wegen sich in Speier aufgehalten habe.
Die bedeutende Stellung, welche die Aebtissin von Quedlinburg
im Reiche einnahm , besonders als Otto IH. ihr während seines
Römerzuges die Verwaltung der Geschäfte übertrug, konnte nicht
yerfehlen, hier das Bedürfnis nach geschichtlichen Aufzeichnungen
hervorzurufen, so wie an Nachrichten hier kein Mangel sein konnte.
Verschiedene Jahrbücher hatte man zu diesem Zwecke zur Ver-
1) Vita Mahthildis rer/inae ed. Pertz, MG. SS. IV, 283—302. Daraus
Migne CXXXV, 889 — 920. Varianten der älteren und besseren Düssel-
dorfer Handschrift gibt B. Simson im Arcb. f. Gesch. d. Niederrheins
VII, 159 — 163. R. Koepke, Forsch. VI, 170, setzt die Abfassung in das
erste Jahr Heinrichs il. Ranke, AVeltgesch. VIII, S. 628—634, legt den
Angaben der jüngeren Vita über Heinrichs Anspruch auf die Krone
gröfsere Bedeutung bei, als ihnen m. E. Widukind gegenüber zukommt.
2) A^gl. Specht, Gesch. d. Unterrichtsw. in Deutschland S. 282 f.
376 Hl- Ottonen. § 3. Gandersheini. Quedlinburg.
fügung; als bequemste Grundlage aber erwählte man die Hers-
felder Annalen. Diese sind uns in ihrer ursprünglichen Gestalt
nicht erhalten, aber, während lokale Nachrichten die Herkunft fest-
stellen , durch wörtliche üebereinstimmung als gemeinsame Quelle
zu erkennen bei dem Hersfelder Mönch Lampei't , in den Annalen
von Hildesheim, Quedlinburg und Weifsenburg, welche deshalb von
Pertz bis 984 nebeneinander abgedruckt sind ^). Als fünftes Exemplar
kommen die sog. Annalen von Ottobeuern hinzu, welche hessischer
Herkunft sind ; als sechstes die Altaicher. In den Annalen von
Fulda (S. Bonifacii), Lobbes, Ellwangen, Münster im Gregorienthai
und bei Marianus Scotus beschränkt sich die üebereinstimmung auf
den fast wertlosen älteren Teil und wird nur auf Benutzung der-
selben Fulder Quelle beruhen , deren wir oben (S. 263) gedachten.
Wie man nun in Hersfeld auf Grundlage dieser Compilation das
so weit verbreitete Annalenwerk allmählich aufgebaut hat, das ist
eine schwierige Frage, welche den Scharfsinn mehrerer Forscher be-
schäftigt hat"). Vielleicht darf man mit Dieterich folgenden Ver-
lauf annehmen. Um 970 wurden unter Abt Gozbert, von dem
Lampert in seiner Geschichte von Hersfeld rühmt, dafs er das
Stift mit vielen Büchern bereichert habe, ältere Hersfelder Auf-
zeichnungen mit der Fulder Compilation verbunden und fortgesetzt.
Diese jüngeren Hersfelder Annalen führte man mit einer gröiseren
Unterbrechung bis 1040 weiter. Eine um das Jahr 997 aus dem
Originale genommene Abschrift wurde die Vorlage der Annalen
von Hildesheim und Quedlinburg. Eine andere Abschrift, aus dem
Jahre 973 , wurde selbständig bis 982 fortgeführt und diente als
Vorlage für die Weifsenburger '). Aus dieser Abschrift wurde aber
') MG. SS. III, 22-66.
2) Waitz im Archiv VI, 663—688. H. Lorenz, Die Annalen v. Hers-
feld, Leipz. Diss. 1885 (S. 83—103 Herstellung der Annalen von 708—973 ;
S. 104—105 von 974—984). F. Kurze, Die Hersfelder und die gröfseren
Hildesheimer Jahrbücher, Programm des Gymnasiums zu Stralsund 1892.
Holder-Egger, Lamperti opp. p. XXXVI ff. J. R. Dieterich, Streitfragen
d. Schrift- u. Quellenkunde, Marburg 1900, S. 1 — 112.
^) In Weifsenburg schliefst sich eine selbständige lokale Fortsetzung
985—1075. 1087. 1147 an, MG. SS. III, 70—72. Neue Ausgabe der An-
nales Weissenburgenses in Lamperti opp. ed. Holder-Egger S. 9 — 57; vgl.
dort S. LXVI ff. Bücherverzeichnis unter Abt Folmar (f 1043) aus cod.
Weifs. 30 bei Knittel, Ulphilae Fragmenta p. 243—245; der ausgeliehenen
p. 246 aus cod. 35 ; dieses berichtigt bei Kelle, Otfrid, II, p. XVI. Becker,
Catalogi S. 87 u. 133. Recht unbeholfene Schulverse aus Weifsenburg
saec. X hat Dümmler herausgegeben, Zeitschr. f. D. Alt. XIX, 115 — 118.
Gedichte einer gleichzeitigen Weissenburger Hs. werden von Scliwalm
und V. Winterfeld mit Wahrscheinlichkeit Notker dem Stammler beige-
legt, NA. XXVII, 740 ff.
Annalen von Hersfeld und Quedlinburg. 377
auch um 1040 das Original selbst ergänzt und in dieser Gestalt
von den Altaicher Annalen benutzt. Umgekehrt wurde dieselbe
Abschrift gleichzeitig aus dem Originale um den Abschnitt von 982
bis 1040 vermehrt und so die Quelle Lamperts und der Annalen
von Ottobeuern.
Aulser diesen Annalen sind in Hersfeld auch im Anfange der
Regierung Ottos I. Wunder des heiligen Wigbert aufge-
zeichnet woi'den , welche für Heinrichs I. Zeit einige Bedeutung
haben ').
Die Hersfelder Annalen selbst wurden in Quedlinburg als Grund-
lage einer Compilation benutzt, welche durch andere Materialien aus
den Einhardschen , den Corveyer und Reichenauer Annalen, durch
Notizen aus Gandersheim und von 781 an aus einer verlorenen
Halberstädter Chronik vermehrt und bereichert wurden ^). Den
Eingang bildete hier , wie bei Lampert ein magerer Auszug der
Weltgeschichte, welche am Anfange der Hersfelder Annalen stand,
wobei aber Bedas schon in den Annalen benutzte Weltchronik auch
noch selbständig verwex'tet scheint. Und zwar lag, wie Edw. Schröder
nachgewiesen hat, dem Compilator eine in England glossierte Hand-
schrift Bedas vor; aus ihr sind die wichtigen Zeugnisse zur Helden-
sage in die Annalen herübergekommen. Nur der bekannte Satz
Thicleric de Berne, de quo cantabant rustici olirn (MG. SS. ITI, 31)
ist eine Zuthat des Verfassers, der damit nicht den Heldengesang als
erloschen erklären wollte, sondern vielleicht wehmütig der ent-
schwundenen Tage gedachte, in denen er selbst Teil daran ge-
nommen^). .Die annalistische Form beginnt erst 708. So wurde
also, als Heinrich H. schon König war und Ottos KL Schwester
Adelheid dem Stifte vorstand , eine Compilation verfertigt , welche
unter dem Namen Quedlinburger Annalen noch zum Teile
erhalten ist ^).
•) Ex miraculis ^■. WirßerhU ed. G. Waitz, MG. SS. IV, 224—228.
Ebert III, 472. Berichtigung in Bezug auf den Abt Megingoz, der schon
935 sein Amt niedergelegt hat, bei H. Lorenz S. 55.
2) Vgl. Lorenz S. 26—32.
^) Uebers. dieser Stücke in der 2. Ausg. des Widuldnd, Geschichtschr.
Bd. 33 (X, 6) S. 127—180. Vgl. L. Hoffmann, Zur Geschichte des -alten
Thüringerreiches. Jahresber. d. Rathenower Bürgerschule 1872. H. Lorenz,
Germania XXXI (1886), 137—150. Schröder. Zeitschr. für D. Altert.
XLI, 24—32. Brefslau. NA. XXV, 32.
*) Annales Quedlinhurgense-s-, MG. SS. HI, 22 — 90. Es gibt nur eine
Hs, aus dem 16. Jahrh. mit Lücken von 875 — 909 und von 962 — 983.
Uebersetzt (von 984 an) von Ed. Winkelmann, 1862; 2. Aufl. 1891, Ge-
schichtschr. Bd. 36 (X, 9). Vgl. Lappenberg im Arch. VI, 635 — 653. Waitz
378 '^I- Ottonen. § 3. Gandersheim. Quedlinburg.
Der Verfasser wird einer der zahlreichen Geistlichen gewesen
sein, welche den Gottesdienst versahen oder als Kapläne der Aeb-
tissin zur Seite standen. Ihm lagen, als er seine Arbeit unternahm,
die Thaten der Frankenkönige und Einhards Leben Karls vor ; auch
Widukinds Werk kann ihm kaum unbekannt gewesen sein. Allein
er machte keinen Versuch, nach der Weise dieser Vorgänger die
Geschichte der Vorzeit darzustellen, sondern schlofs sich einfach der
bequemen Form der Hersfelder Annalen an. Diese excerpierte er
in sehr roher Weise und vermehrte sie wiederum mit zahlreichen
Zusätzen, aber es kam ihm doch nicht in den Sinn, auch eine inner-
liche Verknüpfung zu erstreben.
Gewifs fehlte es in Quedlinburg nicht an Hilfsmitteln, um
Besseres zu leisten, aber vielleicht eben deshalb und weil der Ver-
fasser gar nicht daran dachte, die ausführlicheren Werke über die
Vorzeit durch das seinige zu ersetzen, begnügte er sich mit dem
dürftigsten annalistischen Gerippe, welches ihm diente, um nach
Bedürfnis hier und da Bemerkungen und Zusätze einzutragen. Mit
Heiürichs I. Zeit werden die selbständigen Eintragungen häufiger^),
durchweg panegyrisch für die Ludolfinger ; nach einer Lücke von
961 — 983 , die sich aus den Magdebux'ger Jahrbüchern zum Teile
ergänzen läfst, finden wir den Verfasser schon 993 als Augenzeugen
redend, und von da an beginnt nun eine sehr ausführliche Ge-
schichtserzählung, die von Jahr zu Jahre fortschreitet, und wenn
nicht immer gleichzeitig, so doch nicht sehr fern von den Ereig-
nissen aufgezeichnet ist. Von 100-i an tritt bei ihm eine lebhafte
Abneigung gegen Heinrich IL hervor, welche sich vorzüglich an
seine rücksichtslose Klosterreform anknüpft; noch bis in den Anfang
von 1016 scheint dieselbe völlig gleichzeitige Hand kenntlich zu
sein. Der weitere Fortsetzer aber ist ein eifriger Bewunderer des
Kaisers; die nächsten Jahre sind viel kürzer und nicht fehlerfrei,
wohl nachträglich ergänzt von demselben, welcher 1020 mit breitem
pomphaften Redeflusse fortfährt ^).
ebd. S. 686—688. W. v. Giesebreclit , Geschichte der Kaiserzeit I, 785.
II, 555. Sprachliche Anklänge NA. Xll. 592.
^) Nach H. Detmer (Otto II. bis zum Tode seines Vaters, Leipz. Diss.
1878,* Excurs) beginnen aus Quedlinburg selbst stammende Notizen nicht
vor 913, und können nicht vor 967 (Kaiserkrönung Ottos IL) geschrieben
sein. Vgl. Jahresberichte d. Geschichtswissenschaft I, 138.
^) Ich folge hier jetzt der gegen H. Pabst (Exkurs zu Hirschs Hein-
rich IL, II, 443 — 449) gerichteten Ausführung von Usinger, Forsch. IX,
346—360. Der Text von 1014 und 1015 ist S. 351 in Ordnung gebracht
mit Hilfe der Ann. Magdeb., und mit Hinweis auf Zeifsberg, Die Kriege
Heinrichs IL mit Bol. von Polen, Wiener SB. LVII, 397.
Anualen von Quedlinburif. Halberstadt. 379
Vieles erinnert in diesen Jahrbüchern an die alten Reichsanna-
len, allein es fehlt doch die gleichmäfsige Einheit, es fehlt auch
der umfassende Ueberblick über das ganze Reich. Wenn man auch
die Beziehung der fürstlichen Aebtissin zum Kaiserhofe wahrnimmt
an der zuverlässigen Kunde von entfernten Ereignissen , so über-
wiegt doch die Teilnahme für die nähere Umgebung, namentlich
die Kämpfe mit den Slaven, und die unbedeutendsten lokalen Vor-
fälle treten ohne Unterscheidung zwischen die grofsen geschichtlichen
Begebenheiten. Zugleich artet die Sprache häufig in unerträgliche
Schwülstigkeit aus, wodurch vollends alles EbenmaCs verloren geht.
Doch müssen wir diese Jahrbücher zu den bedeutenderen Erschei-
nungen der Historiographie zählen , und sachlich sind sie vom
höchsten Werte : ihr plötzliches Abbrechen mit dem Jahre 1025
läfst eine recht empfindliche Lücke zurück. Ob sie viel weiter ge-
reicht haben, ist zweifelhaft ; uns ist nur eine Abschrift aus später
Zeit erhalten, und der gänzliche Verlust, der hier so leicht erfolgen
konnte, legt den Gedanken nahe, wie manche andere Aufzeichnung
der Art spurlos verschwunden sein mag. Namentlich läfst sich das
mit Sicherheit von Halberstadt annehmen, wo gewifs auch Ge-
schichtliches geschrieben wurde. Von dem Bischöfe Hemmo (vgl.
oben S. 308) gab es eine Biographie, von der leider nur ein kleines
Fragment erhalten ist^). Der Verfasser, Rochus, war jedoch Mönch
im Kloster Ilsenburg, welches erst 998 gegi'ündet ist , und schx'ieb
also mindestens anderthalb Jahrhunderte nach dem Tode des Bischofs
(t 853). Auf den wegen seiner Frömmigkeit sehr verehrten Bischof
Bernhard (924—968) folgte Hildeward (908—994), welcher in
St. Gallen höhere wissenschaftliche Ausbildung erhalten hatte. Wir
besitzen von ihm einen Brief an den Bischof Adalbero II. von Metz
(984 — 1005)-), worin er ihm, eingedenk der mit seinem Vorfahr
Dietrich geschlossenen Verbrüderung, ein Buch überläfst, zugleich
aber bittet um ein Teilchen von dem Blute des heiligen Stephan
und um Reliquien der heiligen Glodesinde quatenus xnetas divina,
quae aliis in G-olUa Hunonim devastatione pereuntibus vestrom
Jwrum interventu civitatem 2)fotexit, nos etiam eorunäem precihiis
a praevalidis Sclavorum, quibus undique premimiir, infestationibus
omnibusque perictilis liberare dignetur. Beide Kirchen verehrten
den heiligen Stephan als ihren Schutzpatron.
^) Archiv XI, 285. Schon Leibniz hatte es Papebroch mitgeteilt, vgl.
Lucä, Der Chronist Fr. Lucae S. 294.
2) Labbe, Nova Bibl. MSS. I, 682.
380 IIT- Ottonen. § 3. Gandersheim. Quedlinburg.
Unter diesem Bischöfe nun ist nach Scheffer-Boichorsts und Wei-
lands Forschungen eine Bistumschronik geschrieben, welche schon
Thietmar benutzt haben wird, der vielfach nach Jahren der Halber-
städter Bischöfe rechnet; auch in den Quedlinburger Annalen soll
sie schon verwertet sein. Diese Chronik wurde bis 1140 fortgesetzt,
bis 1113 vom Annalista Saxo benutzt. Andere Fortsetzungen folgten;
erweitert durch Benutzung von Thietmar, Frutolf u. a., wurde sie
1209 in den Auszug gebracht, welcher allein uns erhalten ist*).
Ein Fragment aus dem Anfange der ursprünglichen Chronik über
die Gründung des Bistums glaubt Holder-Egger in einer Trierer
Handschrift gefunden zu haben ^).
Hildewards Nachfolger Arnold oder Arnulf (996 — 1023)
weihte die angeblich von Heinrich IL aus Liebe zu dem Einsiedler
Wanlef erbaute Stephanskirche zu Wanlefsrode, welche später als
Probstei an das nahe Ilsenburg kam ^). Von ihm besitzen wir einen
ausführlichen, vortrefiFlich geschriebenen Brief, durch welchen er im
Jahre 1007 den Bischof Heinrich von Würzburg zu bestimmen
suchte, sich die Stiftung von Bamberg gefallen zu lassen *).
Zu nennen ist von sächsischen Klöstern noch Werden an der
Ruhr, wo Uffing, geboren zu Workum im Westergo , aufser
einigen Versen zum Preise des heiligen Liudger '") und seines
Klosters auch das schon (oben S. 303) erwähnte Leben der heiligen
Ida zwischen den Jahren 980 und 983 verfafste.
Ein prachtvolles Evangelienbuch, welches Bischof Milo von
Minden (969 — 996) schreiben liefs, bewahrt jetzt die Berliner Biblio-
thek "). Dies ist derselbe Milo, der dem Abte Immo von Gorze die
Passio S. Gorgonii übersandte. In einem Begleitschreiben bezeichnet
^) Gesta episcoporum Halberstadensmm ed. Weiland MG. SS. XXIII, 73
bis 123, vgl p. VII u. GGA. 1877 S. 786. Scheffer-Boiehorst, Forsch. XI.
498 — 506 wies auf diese alten Halb. Nachrichten hin, die er für Annalen
hielt. Vgl. oben S. 308 über vermutete Spuren Halb. Annalen beim
Poeta Saxo.
^) NA. XVII, 169; herausgeg. SS. XXX, 20, vgl. ebd. 17. Versuch
einer Wiederherstellung des Anfanges der Halberstädter Bistumschronik
von G, Hüffer, Korveier Studien S. 88 ff.
') Vgl, die merkwürdige ürk. des Erneuerers der Kirche, B. Rein-
hard von Halberstadt, vom 9. Mai 1110 bei Delius, Untersuchungen über
die Gesch. d. Harzburg (1826), ürkk. S. 1—5, Text S. 280—287. Dieselbe
jetzt bei Jacobs, Urkundenbuch v. Ilsenburg (Geschichtsquellen der Prov.
Sachsen VI) S. 11.
•*) Ussermann, Ep. Bamb. Ib S. 8; JafFe, Bibl. V, 472—479. Vgl, Giese-
brecht II, 59; Hauck III, 418 A. 4.
^) Geschichtsq. des Bist. Münster IV, 223; über Uffing vgl. B. Bunte
im Jahrb. der Ges. f. bild. Kunst u. s. w. zu Emden X, il8.
«) Val. Rose, Verzeichn. der latein, Hss. II, 1, 39—40.
Halberstaclt. Werden. Minden. Hildeshemi. 381
er das Werk als eben in seiner Bibliothek nach längerem Suchen
gefunden. Doch wissen wir aus einem Briefe des Bischofs Adelbert
(von Prag?) an Milo, dal's vielmehr Adelbert der Finder und Be-
arbeiter war. Milo scheute sich nicht einmal, die an ihn selbst ge-
richteten Widmungsworte des Adelbert zu der Zueignung an Immo
umzubiegen \).
§ 4. Hildesheim.
Hildesheim, in der karolingischen Periode noch nicht durch
litterarische Leistungen bekannt, gewann erst in der zweiten Hälfte
des 10. Jahrhunderts einen glänzenden Namen unter den Pflanz-
stätten höherer Bildung, den es dann lange behauptete. Als erstes
Denkmal ist uns die Geschichte der Uebertragung des heiligen
Epiphanius erhalten'-). Der Eifer für die Erwerbung von Reli-
quien, der schon im 9. Jahrhunderte so manche kleinere geschicht-
liche Aufzeichnung veranlafst hatte, gewann in der folgenden Periode
neuen Anstofs durch die Römerzüge der Ottonen , und der an
solchen Schätzen reiche italische Boden wurde mit allen Mitteln aus-
gebeutet.
Otwin, einst Mönch in Reichenau, der zweite Abt des Mau-
riciusstiftes zu Magdeburg, der 954 den Hildesheimer Bischofsstuhl
bestiegen hatte, begleitete den Kaiser auf seiner zweiten Heerfahrt
nach Italien und benutzte 962^) seinen Aufenthalt zu Pavia, um
sich durch Einbruch und Kirchenraub den Leib des heiligen Epi-
phanius zu verschaifen , den er als herrlichste Beute nach Sachsen
brachte.
Allein nicht nur an Reliquien , sondern auch an Büchern war
Italien noch immer das reichste Land, und auch diesem Schatze
stellte Otwin eifrig nach ; auch davon brachte er einen grofsen Vor-
rat mit nach dem bis dahin bücherarmen'') Hildesheim, und dadurch
legte er den Grund zu der kräftigen Entwickelung der dortigen
Schulen ■'). Die erste Frucht dieser neuen Thätigkeit , welche uns
') Poncelet in den Anal. BoUand. XVIII, 1—21, wo auch der Brief-
wechsel abgedruckt ist. Milan i--^ rarias litteras ineditas der Mindener
Bibliothek erwähnt Bunemann im Jahre 1719. vsrl. Repert. f. Kunstwiss.
XVI. 199.
2) Translaiio S. Epiphanii ed. Pertz, MG. SS. IV, 248—251. Vgl.
Ebert III, 473.
^) Vgl. Dümmler, Otto I. S. 343, wo er sich mit Leibniz und Brower
gegen Pertz, der 9G4 vorzog, für 962 erklärt.
*) Ueber eine karolinsische Hs. aus Hildesheim oben S, 308 Anm. 3.
Vgl. Arndt. Schrifttafeln,^2. Aufl. t. 44, 45; 3. Aufl. t. 49.
^) „Librorum nihilominus tarn divinae lectionis quam philosophicae
382 III- Ottonen. § 4. Hildesheira.
bekannt geworden ist, verherrlicht eben jene Uebertragung ; es ist
eine im schlichten kirchlichen Stil der Zeit geschriebene Erzählung,
die jedoch erst nach Otwins Tode (1. Dezember 984) verfafst ist,
vielleicht, wie Beelte vermutet, von Thangmar.
Dieser stand damals der Schule vor ; später wurde er Dom-
dechant und nahm zugleich als Bibliothekar und Notar eine bedeu-
tende Stellung ein ; ein grofser Teil der bischöflichen Geschäfte
ging durch seine Hand , und namentlich in den Jahren von 1000
bis 1002 führten ihn wichtige Aufträge wiederholt an den päpst-
lichen und kaiserlichen Hof. Seiner besonderen Leitung wurde der
junge Bern ward anvertraut, ein sächsischer Knabe von vornehm-
ster Herkunft, der schon in früher Kindheit der Hildesheimer Kirche
übergeben war. Nicht allein in den Wissenschaften, sondern auch
in den Künsten , der Schreibkunst , Malerei , Bildhauerei und Bau-
kunst wurde der junge Bernward unterrichtet, und auch hierin
zeichnete er sich bald in hohem Grade aus. Denn wie wir das
besonders in St. Gallen sahen , die Geistlichkeit pflegte und be-
wahrte in Deutschland damals in ihrer Mitte alles, was überhaupt
von höherer Ausbildung irgend vorhanden war; noch mufste sie
fast alles, dessen sie bedurfte, um den hohen Anforderungen ihrer
Stellung zu genügen, selber leisten.
Später hielt Bernward sich einige Zeit bei dem Erzbischofe
Willegis auf, bei seinem Gi'ofsvater dem Pfalzgrafen von Sachsen,
und bei seinem Oheime dem Bischöfe Volkmar von Utrecht; dann
begab er sich 987 an den kaiserlichen Hof, und hier vertraute ihm
Theophano die Erziehung des königlichen Kindes Ottos III. an.
Am 7. Dezember 992 starb in Como der Bischof Gerdag von
Hildesheim, und Bernward wurde zu seinem Nachfolger erwählt.
Dreifsig Jahre lang hat er dieses Amt verwaltet, und nicht leicht
hat ein Bischof ein besseres Andenken hinterlassen. Unter den treff-
lichen Bischöfen , an welchen diese Zeit so reich ist , war er einer
der hervorragendsten. In ihrer Hand waren zum grofsen Teil die
Reichsgeschäfte ; Bernward hatte schon als Hof kaplan an der Re-
gierung Anteil gehabt, und als Bischof nahmen ihn die wichtigsten
Angelegenheiten vielfach in Anspruch. Dabei aber sorgte er für
seinen Sprengel mit unermüdlichem Eifer. Noch war Sachsen
nicht gesichert gegen die Einfälle der Wenden und der Normannen,
welche gerade damals mit verstärkter Wut sich erneuten, und erst
fictionis tantam convexit copiam, ut qui illorum penuria inerti ante tor-
pebant otio, frequenti nunc studii caleant negotio." Transl. c. 2.
Translatio S. Epiphanii. Bemward. 383
Bernward verschaffte seinem Gebiete durch Befestigungen und zweck-
mäfsige Einrichtungen ausreichenden Schutz, wie er auch durch
vielfache kaiserliche Begnadigungen die Ausbildung des Stiftes zu
einem wirklichen Fürstentume begründete. Ueberhaupt liefs er
keine Eigenschaft eines tüchtigen weltlichen Regenten an sich ver-
missen und war zugleich ernstlich bemüht, Hildesheim immer mehr
zu einer Stätte geistiger Bildung zu machen. Er bereicherte die
Bibliothek des Stiftes mit zahlreichen Büchern , so dafs man mit
Bezug auf die Schrift und die Miniaturen einiger noch vorhandener
Exemplare von einer eigenen Hildesheimer Schule gesprochen hat').
Talentvolle Knaben liefs er in Wissenschaft und Kunst unter-
weisen ; die begabtesten führte er mit sich an den königlichen Hof,
um sie von der vielfachen hier gebotenen Gelegenheit zu höherer
Ausbildung Nutzen ziehen zu lassen. Mit herrlichen Kunstwerken
hat er seine Bischofsstadt geziert ■) und ein bleibendes Denkmal er-
richtete er sich durch die Stiftung des Michaelisklosters ^), dessen
erster Abt Goderamnus, Propst von St. Pantaleon in Köln, ein
Mann von wissenschaftlicher Bildung war •*).
Tief betrauert starb Bernward am 20. November 1022 , und
seinem alten Lehi'er Thangmar, der ihn um einige Jahre überlebte,
fiel noch die Aufgabe zu, ein Bild seines Lebens zu entwerfen. Doch
ist es möglich , wie Dieterich nachzuweisen sucht , dafs Thangmar
schon bei Lebzeiten Bernwards, um 1015, eine erbauliche Biographie
seines Helden und, 1007 im Kampfe um Gandersheim, eine Streit-
schrift herausgegeben hatte, und dafs er, um das Jahr 1023, nur
') Vgl. oben S. 354 Anm. 5. Beissel , Des hl. Bernward Evangelien-
buch. 3. Ausg., Hildesh. 1894. Swarzenski. Die Regensburger Buchmalerei,
Leipz. 1901, S. 84 ff. Hauck III, 927 f. Dieterieb, Streitfragen z. Schrift-
u. Quellenkunde S. 12 — 28. Ueber den Brand der Bibliothek im Jahre
1013 vgl. Forsch. XVI. 184.
'^) Vgl. A. Schultz in Dohmes Kunst und Künstler des Mittelalters T
(1877), 85—48. Beifsel, Der hl. B. als Künstler, Hildesh. 1895. — Der
Vitruv in Leiden Voss. lat. F. 88 saec. X, der vielleicht dem Michaelskloster
gehörte, bietet eine alte Zeichnung des von Bemward der Trajanssäule
nachgebildeten Monumentes, vgl. V. Rose in d. 2. Ausg. des Vitruv S. VII,
— Im Anschlufs an Berthier : La Porte de Sainte-Sabine de Rome (Frib.
Helv. Ind. lectt. 1892), sucht A. Bertram nachzuweisen, dafs der Auf-
enthalt in Rom 1001 bei dem Kaiser auf dem Aventine ihn auch zu der
Schöpfung der Bronzethüren des Hild. Doms angeres^t habe : Die Thüren
von St. Sabina in Rom das Vorbild der Bernward-Thüren, Hild. 1892.
3) Vgl. Brefslau in den DD. III, 304—305.
^) In Köln zeichnete er der dort zurückgelassenen Vitruvhandschrift,
saec. IX, jetzt im Brit. Mus. Harl. 2767, seinen Namen ein, vgl. Catal.
of ancient Manuscripts, IT, lat. (1884) S. 72 u. das Faks. pl. 55. Thang-
mar hinterliefs dem Michaelskloster 55 Bücher.
384 ^11- Ottoneu. § 4. Hildesheim.
diele früheren "Werke in einer Schlul'sredaktion zusammenfafste.
Einen grofsen Teil dessen , was er berichtet , hatte er selbst mit
durchlebt und an allen Geschäften thätigen Anteil genommen ;
Bernward aber war, wie Thangmar selbst sagt, von solchem Ver-
trauen zu ihm erfüllt, wie ein Kind zu seinem Vater, und aus seinem
ganzen Leben habe auch nicht der geringste Umstand ihm verborgen
bleiben können.
Thangmar s Leben des Bernward '), ist eine der wichtig-
sten Quellen für einen bedeutenden Zeitraum. Reiche Fülle des
Stoffes tritt hier an die Stelle jener immer wiederkehrenden Phrasen,
welche sonst so häufig die Armut des Schreibenden verdecken ; die
Sprache ist schlicht und einfach. Die warme Liebe zu dem Ver-
storbenen, die das ganze Werk wohlthuend erfüllt, hat es freilich
auch verschuldet, dafs die Zuverlässigkeit der Darstellung bisweilen
angezweifelt werden kann. In Bezug auf Heinrichs TL Wahl, der
Bernward entgegen war, ist Thangmar nicht aufrichtig, und sein
Ausehen bei Otto IIL ist überschätzt. Einen grofsen Raum nimmt
hier, wie im Leben Godehards, der Streit der Hildesheimer mit den
Mainzer Erzbischöfen wegen des Diöcesanrechtes über Gandersheim
in Anspruch. Leider fehlt es uns darüber ganz an einer Darstellung
von der anderen Seite , aber eine gewisse Einseitigkeit und nicht
gar zu offenherzige Wahrhaftigkeit werden wir dem Hildesheimer
zu gute halten müssen.
Ein Exemplar der Hersfelder Annalen ist, vielleicht durch Bern-
wards Bemühungen, nach Hildesheira gekommen. Die Hildesheimer
Annalen^) aber, in denen diese Hersfelder benutzt sind (vgl. oben
') Thangmari Vita Bernwardi ed. Pertz, MG. SS. IV', 754—782; die
viel späteren Miracula ebd. p. 782—786. Acta SS. Oct. XI, 996—1024
von Jos. van Hecke, ohne neue Hilfsmittel, mit ausführlichem Commen-
tarius praevius. Uebersetzt von Hüffer 1858. 2. Aufl. 1892 (XI, 2) ; vgl.
Gundlach, Heldenlieder I S. 192 ff. Vgl. W. Giesebrecht, Geschichte d.
Kaiserzeit I, 786. H. A. Lüntzel, Der heilige -Beruward, Hildesh. 1856.
Ch. Beelte, Thangmar, sein Leben und Beurteilung seiner Vita Bern-
wardi, Progr. d. Gymn. Joseph, in Hild. 1881. H. Böhmer, Willigis von
Mainz, Leipz. 1895. S. 191 ff. J. Dieterich, Ueber Thangmars V. Bern-
wardi ep. im NA. XXV, 425 — 451; ders.. Streitfragen S. 76 ff. u. ö. Ein-
hards V. Karoli benutzt nach Manitius, NA. XIII, 208. Ueber eine in V.
Bernw. u. Godeh. benutzte Urk. Heinrich II. (DD. III, 293—296) Bayer,
Forsch. XVI, 178 — 193. Auf Bernward bezieht sich die lächerliche, erst
dem 14. oder 15. Jahrhundert angehörige Fabel über die Gründung des
Nonnenklosters Heiningen, von Holder-Egger herausgegeben als Fundatio
nionast. Heininyeiisis, SS. XV, 2, 1054.
^) Hier sei eiu.stweilen die nötige Litteratur verzeichnet : Amiales
Hildesheimenses ed. Pertz, MG. SS, III, 18 — 116. Neue Ausgabe von
G. Waitz, 1878. Uebersetzt von Ed. Winkelmann 1862, von Wattenbach
Adalbert von Magdeburg. Otrich. 385
S. 376) , gehören erst der Zeit nach Bernward an und sind im
2. Bande der Geschichtsquellen zu behandeln.
Hildesheim wurde das Glück zu teil, dals auf Bernward der
nicht minder ausgezeichnete Bischof Godehard folgte, und es be-
hauptete auch in der folgenden Periode eine hervorragende Stellung.
§ 5. Magdeburg. Merseburg.
An der Ostgrenze Sachsens hatte Otto, auch hierin Karls Bei-
spiele folgend, Magdeburg ausersehen zum geistigen Mittelpunkte
für die wendischen Länder. In das Moritzkloster, welches die Grund-
lage dazu bildete, berief er im Jahre 937 Mönche aus St. Maximin
bei Trier ')» einem Kloster , das freilich auch verweltlicht und ver-
wildert, aber schon 934 zur klösterlichen Ordnung zurückgeführt
war. Auch der erste Erzbischof Adalbert (968 — 981) war ein
Mönch von St. Maximin und Abt von Weifsenburg; in beiden
Klöstern zeigt sich Sinn für Geschichtschreibung, und von Adalbert,
unter dem die Magdeburger Schule einen hohen Aufschwung nahm,
und der höchst wahrscheinlich selbst Verfasser eines ausgezeichneten
Geschichtswei'kes ist, möchte man annehmen, er werde auch dafür
gesorgt haben, dafs die merkwürdigen Ereignisse, deren Mittelpunkt
Magdeburg war, nicht in Vergessenheit gerieten, doch ist davon
keine Spur vorhanden. Ohtric oder Otrich , der Vorsteher der
Domschule ^), galt bei seinen Verehrern für den gröfsten Gelehi'ten
seiner Zeit; ein Schüler von ihm war jener Thiadelm, der in den
Jahren 960 und 961 der Bremer Domschule vorstand. Otrich wett-
eiferte mit Gei-bert und disputierte mit ihm (980) vor dem Kaiser
Otto II. (vgl. oben S. 354). Denn in Magdeburg hatte er sich mit
dem Frzbischofe nicht vertragen können; sein Ehi'geiz, wie es scheint,
trieb ihn an des Kaisers Hof, wo aufser dem Ruhme der Gelehrsam-
keit auch Bistümer zu erhaschen waren : nach Adalberts Tode traf
1893 überarbeitet (Geschichtschr. .53. XII, ö). Vgl. Waitz im Archiv VI,
66otf.; Brefslau, NA. II, 541—566; XXVI, 241; XXVII, 293; J. R. Diete-
rich, Streitfragen d. Schrift- u. l^uellenkunde S. 1 — 112.
1) Hauck III, 110.
^) Ueber Otrich s. Büdinger, lieber Gerbert S. 54—60; Oesterreich.
Geschichte I, 819. Hauck III, 147; 328 fif. Grosfeld, Disquisitioues histo-
ricae de statu rerum ecclesiasticarura in marcis Winedis irup. Ottone II,
im Programme des Gymnasiums zu Recklinghausen 1856 — 1857 , S. 10,
macht es wahrscheinlich, dafs Otrich 979 an den Hof kam. Für 978
Uhlirz. Gesch. des Erzbist. Magdeburg (1887) S. 83; ders., Jahrb. Ottos IL,
S. 146. — Ueber Thiadelm Adam. Brem. II c. 10.
Wa 1 1 eub a ch, Geschichtsqiielleu. I. 7. Aufl. 25
386 lii- Ottonen. § 5. Magdeburg. Merseburg.
ihn auch wirklich die Wahl, aber Gisiler von Merseburg wufste
ihn zu verdrängen , und kurz darauf starb er in Benevent am
7. Oktober 981. In Magdeburg hatten bei seinem Abgange die
vielen durch ihn dahin gezogenen Fremden die Stadt verlassen,
doch scheint die Schule unter Ekkehard dem Roten ') und Geddo
immer noch eine achtungswerte Wirksamkeit geübt zu haben.
Von W. Giesebrecht ist vermutet worden"), dafs bald nach dem
Tode Gisilers (1004) , dessen Ehrgeiz die kirchlichen Schöpfungen
Ottos in betrübender Weise zerrüttet hatte ^) , in Magdeburg ein
Geschichtswerk entstanden sei, welches, nach Urkunden und eigener
Kenntnis gearbeitet , über die Gründung und die nächstfolgenden
Schicksale des Stifts Auskunft gab ; dafs dieses schon Thietmar vor-
gelegen habe, und in den Magdeburger Annalen und im Annalista
Saxo sowie im Magdeburger Chronicon teilweise zu erkennen sei.
Darauf hat jedoch F. van Hout behauptet und sehr wahrscheinlich
gemacht, dafs der erste, bis zu Geros Tode 1023 reichende, Teil
des Chronicon Magdeburgense unter dessen Nachfolger Hunfrid im
Zusammenhange und mit Benutzung der Chronik Thietmars ver-
fafst sei, wie wir denn auch diesen Teil allein in den Magde-
burger Annalen wiederfinden ^), Wurde nun dadurch die Möglich-
keit des Vorhandenseins einer älteren Gründungsgeschichte nicht
ausgeschlossen , so verloren doch andererseits Giesebrechts Beweise
für sie teilweise ihre Kraft. Man begann sich der vorsichtigen
^) Vgl. Holstein. Gesch. d. Domgymn. in Magdeburg (Magdeb. 1875)
S. 73. Uhlirz , Gesch. d. Erzbist. Magd. S. 80 ff. vermutet in Ekkehard
einen Konzipienten kais. Privilegien für Magdeburg. Im Magdeburger
Totenbuche wird er „philosophus" genannt. Ganz unmöglich ist die Ver-
mutung G. Freytags (Bilder aus der Deutschen Vergangenb. I, 405 Anm.),
der ihn mit dem Sanctgaller Ekkeliard IL verschmelzen möchte.
-) W. Giesebrecht in den Rankeschen Jahrbüchern II, 1, 157 — 162,
vgl. Kaisergesch. I, 785. L. Giesebrecht, Wendische Geschichten III, 304.
^) Vgl. Fraustadt, Die Auflösung des Bisthums Merseburg u. dessen
Wiederherstellung 1004, Webers Archiv f. Sachs. Gesch. N. F. IV fl878),
S. 133—168.
*) Ferd. van Hout, De Chronico Magdeburgensi , Diss. Bonn. 1867.
In einigen Punkten, besonders über das Verhältnis zu den Magd. Ann.,
abweichend C. Günther, Die Chronik d. Magdeburger Erzbischöfe, erster
Teil: bis 1142, Diss. Gott. 1871; Zweiter Teil: 1142—1371, Progr. der
Albinus-Schule in Lauenburg a. d. Elbe 1877 (S. 5). Schum, Vorr. zu den
Gesta archiepp. Magd. SS. XIV, 363. Das Epitaphium Ottonis I. ist
entnommen aus der V. Maliumeti des Embricho, nach 0. Hertel, Magd.
Gesch. -Bl. 1889 S. 869 ff., war aber thatsächlich vorhanden, s. Sello ebd.
1891 S. 130 ff. — Die eingemischten Hexameter können ihrer metrischen
Beschaffenheit nach frühestens aus dem Ende des 11. Jahrhunderts sein;
sie eignen sich daher nicht als Argument für die von Günther selbst
wieder aufgegebene Voraussetzung einer metrischen Fundatio.
Magdeburger Bistumsgeschichte. Leben Adalberts. 387
Aeufserung Lappenbergs zu erinnern, dals über die Thietmar vor-
liegenden Magdeburger Aufzeichnungen ein sicheres Urteil sich nicht
gewinnen lasse, weil in den uns zugänglichen Quellen überall schon
Thietniars Chronik wieder benutzt sei.
Trotzdem behauptete Fr. Kurze ') wiederum die Abfassung einer
ältesten Bistumschronik bis 1004 und hielt den Erzbischof Tagino
selbst für den Urheber, gestützt auf die Worte bei Thietmar V,
26 (44), dafs Tagino vom Papste persönlich hätte geweiht werden
sollen, ut scripfura eins testatiir. Es ist schwer zu glauben, dals
Thietmar, wenn ihm wirklich eine von Tagino verfafste Geschichte
als wichtige und vielbenutzte Quelle vorlag, das nicht irgendwo
erwähnt haben sollte, und jene scriptura kann man nur auf ein
Privileg oder eine Verbriefung deuten, da eben nur bei diesem
einzigen Umstände eine solche Berufung vorkommt'). Aber auch
den anderen Gründen Kurzes und Giesebreehts hat P. Simson jetzt
den Boden entzogen^), und man mufs jene ältere Gründungsge-
schichte gänzlich fallen lassen. Nur das wird nicht in Abrede zu
stellen sein , dafs Thietmar historische Nachrichten verarbeiten
konnte, die er in Magdeburg oder Nienburg vorfand^).
Einer von Otrichs Schülern war Ad albert, der schwärmerisch
fromme Freund Ottos III., der vergeblich als Bischof von Prag seine
Landsleute, die Böhmen, zu lenken versuchte und zuletzt 997 in
Preufsen den ersehnten Tod als Märtyrer fand. Sein Leib wurde
durch Herzog Boleslaw nach Gnesen gebracht, wo man nicht säumte,
das wunderbare Ereignis aufzuzeichnen; ganz kurz wird hier der
frühere Lebenslauf des Märtyrers berichtet, dann etwas ausführlicher
die Umstände seines Todes und die Erwerbung der Reliquien mit
den beginnenden Wundern. Kein Wort von des Kaisers Pilgerfahrt
nach Gnesen, der Stiftung des Erzbisturas, so dafs die Abfassung
dieser Legende wohl noch vor das Jahr 1000 zu setzen ist. Schmuck-
los geschrieben und ungenügend für die Verehrer des Heiligen,
welche mehr von seiner Person erfahren wollten, verfiel sie bald
der Vergessenheit, nachdem in Italien die ausführliche Biographie
^) Die älteste Magdeb. Bistumschronik, Mitteil. d. Inst. Ergänzungs-
band III. 397—450.
^) Vgl. K. Uhlirz gegen Kurze und über die Regensburger Abkunft
Taginos in den Mitteil, des Inst. XV (18941, S. 121—128.
^) Zu d. ältesten Magdeburger Geschichtsquellen, NA. XIX, 341 — 368.
"*) Wir besitzen das Bruchstück eines Verzeichnisses der Reliquien,
die Otto I. aus Italien nach Magdeburg sandte. Vgl. Dümmler, Otto I.
S. 857, und Hampe. NA. XXV, 672—680. Es bringt zugleich Nachrichten
über den zweiten Zug Ottos I. nach Italien.
388 III- Ottonen. § 5. Magdeburg. Merseburg.
geschi'ieben war, deren wir später noch zu gedenken haben. Den
Verfasser hält Giesebrecht für einen slavischen Mönch des Klosters
Meseritz, ich möchte Gnesen vorziehen; Zeifsberg ist geneigt mit
W. V. Kotrzyiiski und Lohmeyer, denen sich auch Kaindl an-
schliefst 0- anzunehmen, dals nur der Auszug eines deutschen Geist-
lichen aus der gröfseren Arbeit eines Polen vorliege, welche auch
der sogenannte Martinus Gallus benutzt haben könnte. Die Hand-
schrift, welche nach Giesebrechts Vermutung 1005 durch Heinrich II.
aus Meseritz nach Tegernsee gekommen sein könnte, ist in München
zuerst 1857 von Bielowski, dann unabhängig davon von G. Voigt
entdeckt und zuerst von W. v. Giesebrecht herausgegeben worden'-).
Durch jenes in Rom von Johannes Canaparius verfafste Leben
Adalberts (vgl. unten § 15) wurde aber auch einer seiner ehemaligen
Genossen auf der Schule zu Magdeburg angeregt, aus eigener Er-
innerung und nach den Mitteilungen von Adalberts Freunden und
Gefährten Radla und Gaudentius die ihm vorliegenden Lebens-
nachrichten zu ergänzen, und so eine neue Bearbeitung zu Stande
zu bringen, in welcher das Ende des Märtyrers schon von der ein-
fachen Wahrheit sich weiter zu entfernen scheint. Der Verfasser
derselben war Brun, aus dem Hause der Edeln von Querfurt,
welcher von derselben weltveracbtenden Frömmigkeit und derselben
Sehnsucht nach dem Märtyrertode beseelt war. Er benutzte aufser
der Biographie des Johannes Canaparius eine Aufzeichnung des
Prager Domprobstes Willico , die Johannes Canaparius seinerseits
verwertet hat.
Bruns auch von späteren Schriftstellern öfter benutztes Leben
Adalberts^) ist in einer blumenreichen und salbungsvollen, etwas
') Mitteil, des Inst. XX, 659—661.
^) Eine bisher unbekannte Lebensbeschreibung des heiligen Adalbert
(Passio S. Adalherti), in den Neuen Preul's. Provinzialblättern, 3. Folge,
Bd. V (Königsb. 1860), S. 71—74. Wiederholt in SS. Rer.Pruss.I, 235-2.S7;
vgl. II, 412. Aus demselben Cod. lat. Mon. 18897 in den Mon. Poloniae
bist. ed. Bielowski I, 1.51 — 156 mit Faksimile, und in den Fontes Rerum
Bob. (Pragae 1873) I, 231—234. Herausgeg. von Kolberg in der Zeitschr.
f. die Gesch. Ermlands VlI, 502—514, vgl. XII, 267—322. Ed. Waitz,
SS. XV, 2, 705—708. üebersetzt von Wattenbach, Geschichtschr. X, 7
(Bd. 34) 1891. Vgl. Zeifsberg, Poln. Geschichtschr. S. 19— 22. Giesebr.
I, 789. Das erste Wunder der Passio wird, wie Bielowski nachgewiesen
hat, in der Chronik von Moyenmoutier SS. IV, 92, doch nicht ganz über-
einstimmend, erwähnt.
^) Die verkürzte Ausgabe: Vita S. Adcdbertl auct. Brunone ed. Pertz,
MG. SS. IV, 577. 596—612. Die ältere und längere: ed. Bielowski in
Mon. Pol. I, 184—222 mit Benutzung einer Handschrift aus Ochsenhausen
in Königswarth, und in Fontes Per. Boh. I, 266—304. Vgl Giesebr. I,
Leben Adalberts. Bnm von Querfurt. 38U
dunkeln Sprache verfafst, aber charakteristisch für diese aufs äufserste
getriebene Asketik und in seinem Inhalte lehrreich ; Brun verfalste
es in Merseburg im Ausgange des Jahres 1004, als er im Begriffe
war, dem Beispiele seines Freundes zu folgen; eine zweite etwas ver-
kürzte Ausgabe veranstaltete er 1008 in Polen. Zum Erzbischofe
der Heiden geweiht, ging er nämlich zuerst gegen Ende des Jahres
1007 von Ungern aus durch RuFsland zu den Petschenegen, und
nachdem er diese seiner Meinung nach bekehrt hatte, zu Boleslaw
von Polen. Von hier aus schrieb er kurz vor der zweiten Redak-
tion der Lebensbeschreibung auch einen sehr merkwürdigen und
lehrreichen Brief an König Heinrich 11.^). Auch verfafste er hier
im selben Jahre eine ausführliche Schrift über die fünf Einsiedler,
welche am 11. November 1003 in Polen, vermutlich bei Meseritz
(nach K(,'trzynski in Kazjmierz bei Posen) von Räubern erschlagen
waren. Die inhalti'eiche Schrift, welche in das Leben Ottos III.
und seiner schwärmerischen Freunde Einblick gewährt , ist von
R. Kade entdeckt und zuerst herausgegeben worden^).
Vom Hofe Boleslaws aus begab sich Brun zu den Preufsen und drang
bis zu deren östlichen Grenzen vor. wo er den Tod fand, den er suchte,
am 14. Februar 1009. Ein kurzer, aber lügenhafter Bericht über seine
789. Perlbach , Zu den ältesten Lebensbeschreib. des heiligen Adalbert
im NA. XXYII , 37 — 70 . widerlegt die Zweifel gegen die Urheberschaft
Bruns, ebenso Kaindl in den Mitteil, des Inst. XX, 648 — 658, beide gegen
Ketrzynski. — Miracida S. Adalberti aus dem l-S. Jahrhundert, SS. IV,
61-3 — 616, und nach einer Danziger Handschrift verbessert von Toppen,
SS. Rer. Pruss. II, 412 — 420, wo c. 4 perterriti statt pertriti zu lesen ist
und perstiterant statt des unsinnigen preficierant. Ferner in Fontes Boh.
I, 305 — 312 mit dens. Fehlern, und herausgeg. v. Ketrzynski in Mon. Pol.
IV, 226 — 238. — Sequenz : Annua recolamus s. Adalberti gaudia aus einer
von Heinrich II. für Bamberg in der Reichenau bestellten Hs. in Analecta
hymnica von Blume u. Dreves XXXIV, 144. Hymnus Ländern dignam
NA. X. 180—18.5.
^) Zuerst von Hilferding nach der Hamburger Kopie der Casseler Hs.
in einer russischen Zeitschr. herausgegeben, mit Emendationen von Jaffe
bei Miklosich u. Fiedler, Slav. Bibl. II, 307; von demselben nach dem
Cassellanus berichtigt in W. Giesebrechts fünfter Ausgabe II, 702 — 705;
von Bielowski, Mon. Pol. I, 223—238 mit Faksimile. — Vgl. über Brun
W. Giesebrecht. Deutsche Reden S. 29—54 ; Zeifsberg, Wiener SB. LVII,
346 ff.; ders. in d. Zeitschr. f. öst. Gymn. 1867 S. 331 ff. über die von
Brun erwähnte heilige Lanze, und 1868 S. 89 ff., wo S. 96 — 98 bemerkt
wird, dal's der Bericht über Misecos Verheerungen in den Ann. Magd. 1030
(SS, XVT, 169) eine direkte Antwort auf den Brief Bruns enthält.
'-) Vorläufige Nachricht in R. Kades Leipz. Diss. De Brunonis Quer-
furt. Vita quinque frcdrum Poloniae nuper reperta, 1883. Ausg.: ed. Kade,
MG. SS. XV, 2, 709—738; ed. W. Ketrzynski, Mon. Pol. VI, 1893. Die
Hs. ist aus dem Besitze Kades in die Berliner Biblothek übergegangen
als Theol. Oet. n. 162.
390 III- Ottonen. § 5. Magdeburg. Merseburg.
Predigt, seine Wunder und sein Ende, der nichts als ein Bettelbrief
ist, wie dergleichen auch sonst vorkommen, angeblich von seinem
Begleiter Wipert, hat sich erhalten ') ; eine andere Schrift über ihn,
die als wahrhaft gerühmt wird, kennen wir nur aus der späteren
Magdeburger Chronik, wo sie benutzt ist. Vielleicht hat auch schon
Thietmar von Merseburg sie vor sich gehabt^), der letzte Schrift-
steller Sachsens, den wir in dieser Periode zu betrachten haben,
und der erste, bei dem eine Art gelehrter Forschung vorkommt.
Denn bei allen den Schriftstellern, die uns bis jetzt beschäftigt
haben, ist die Aufzeichnung der Zeitgeschichte die Hauptsache, sie
schrieben, was sie erlebt oder gehört hatten. Die Zusammenstoppe-
lung der älteren Teile der Anualen, Widukinds Berufung auf Bücher
am Anfang seiner Geschichte, lassen sich als gelehrte Ai'beit kaum
in Anschlag bringen. Diesen ganz unvollkommenen Anfängen gegen-
über zeigt uns die Chronik Thietmars schon einen bedeutenden
Fortschritt.
Thietmar von Merseburg.
Ausgabe seiner Chronik von Wagener, 1807. 4. mit guten Anmerkungen. Erste kri-
tisch zuverlässige von Lappeuberg, MG. SS. 111,723—871. Mit weit genauerer
Benutzung der Hs. von Fr. Kurze, Haun. 1889. 8: die Einteilung in Bücher und
Kapitel ist hier verändert. — Uebersetzuug von Ursinus, Dresden 1790, mit nütz-
lichen Anmerkungen u. Benutzung des Cod. Dresdeusis von Laurent , mit Vor-
wort von Lappenberg 1848; 2. Ausgabe von Strebitzki 1879; dieselbe mit Be-
richtigungen von Wattenbach 1892, Geschichtschr. XI, 1, Bd. 39; vgl. Guudlach,
Heldenlieder I, 114—156. — Zum Leben Thietmars: Lappenberg, Archiv IX, 438.
Strebitzki, Forsch. XIV, 347—357. Watteubach, AUg. Deutsche Biogr. XXXVIII,
26. Genealogie: Brefslau , NA. XXVI, 418 u. 2. Epitaph: Burkhardt, Anz. für
Kunde d. deutscheu Vorzeit 1883 S. 80—83. — Ueber die Chronik: L. Giesebrecht,
Wendische Geschichten III, 305. W, Giesebrecht, Geschichte der Kaiserzeit I,
785. IL 558. Strebitzki , Thietmarus quibus fontibus usus sit, Königsb. Diss.
1870. Ders., Zur Kritik Thietmars, Forsch. XIV, 347—366. F. Kurze , Abfas-
sungszeit u. Entstehungsweise der Chronik Thietmars, NA. XIV, 59—86. Nach-
lese, XVI, 459-472. Ders., Bisch. Thietmar v. Merseb. und seine Chronik, Halle
1890, Neujahrsbl. P. Simson, Zu den ältesten Magdeburger Geschichtsquellen,
NA. XIX, 341—368. Hauck, Kirchengesch. III, 942 f. — Zur Gesch. d. Dresdener
Hs.: Schmidt, N. Arch. für sächs. Gesch. 1895, XVI, 129—131. — Zu einzelnen
Stellen d. Chronik (Zählung nach Lappenberg): fVI, 13) Brefslau, Jahrb. f. Lothr.
Gesch. VI, 283 ff.; vgl. NA. XXI, 319. (VII, 5—8) Zeifsberg, Mitteil. d. Inst. III,
109—115. (VII, 20) Waitz, Forsch. XIÜ, 492—494. (VU, 20) Bloch, NA. XXII, 39.
— Ueber ein Mefsbuch und Kalender mit Eintragungen von Thietmars Hand,
Hesse, Archiv IV, 276, und Ausgabe von Hesse m Höfers Zeitschr. f. Archiv-
kunde I, 111; Dümmler, N. Mitteil. XI, 223—264.
Thietmar, ein Sohn des Grafen Sigefrid von Walbeck, am
25. Juli 975 geboren , getauft vom Bischof Hilliward von Halber-
stadt, stammte aus einem der vornehmsten Geschlechter Sachsens;
er war mit den bedeutendsten Fürstenhäusern, selbst mit den Ottonen
') MG. SS. IV, 579; Mon, Pol. I, 229. E. Kunik machte mich darauf
aufmerksam, dafs der angebliche Name des Preufsenkönigs Nethimer viel-
mehr slavisch ist.
^) L. Giesebrecht, Wendische Geschichten III, 303,
Thietmar von Merseburg. 391
verwandt, und die wichtigsten Ereignisse im Reiche hatten deshalb
eine persönliche Beziehung zu ihm, so dafs er frühzeitig von allen
Kunde erhielt und mit den Verhältnissen des Reiches vertraut wurde.
Von Enmilde, einer Nichte der Königin Mahthild, erhielt er als
Knabe den ersten Unterricht in dem kaiserlichen Stifte Quedlinburg;
vom zwölften Jahre an vollendete er seine Schulbildung im Kloster
Bergen und in Magdeburg selbst. An Belesen heit in kirchlichen und
profanen Schriftstellern fehlte es ihm nicht, einen guten lateinischen
Stil zu schreiben hat er aber nicht gelernt. Im Jahre 1002 wurde
er Probst des Klosters Walbeck an der Aller'), einer Stiftung seines
Grofsvaters, und endlich 1009 Bischof von Merseburg; ein Amt,
welches er löblich, aber nur zehn Jahre verwaltete, denn er starb
schon am 1. Dezember 1018 in seinem 43. Lebensjahre. Vom König
Heinrich II. war er schon 1004 in Allstedt bei seiner Priesterweihe
beschenkt ; von da an verkehrte er viel am Hofe und empfing auch
als Bischof den König bei sich in Merseburg.
Das Bistum Merseburg hatte, obscbon erst von Otto I. gegründet,
doch schon mannigfaltige und merkwürdige Schicksale erlebt; zum
Gedächtnis der Ungernschlacht auf dem Lechfelde dem heiligen
Laurentius zu Ehren gestiftet"), wurde es schon durch den zweiten
Bischof Gisiler völlig zerstört, um diesem den Weg zum Erzbistume
Magdebui'g zu bahnen, und ungeachtet vielfacher Anstrengungen
konnte die Herstellung doch erst nach Gisilers Tode (1004) er-
langt werden.
Diese Ereignisse, so lange sie noch in frischer Erinnerung hafteten,
für die Nachkommen durch schriftliche Ueberlieferung festzuhalten,
war eine dringende Pflicht, die Thietmar zu erfüllen übernahm. Die
Geschichte des Ottonischen Hauses, die verschiedenen Wechselfälle
stets fortgesetzten Kampfes mit den Wenden gehörten mit Notwendig-
keit zu einer Geschichte Merseburgs. Thietmar aber beschränkte sich
auch darauf nicht, sondern wie das im ^littelalter so häufig geschah,
und, da so wenig geschrieben wurde und ein Buch schon ein Schatz
^) Ein prachtvolles, aber in den Bildern unvollendetes Evangeliar aus
Walbeck saec. XI mit eingeschriebenen Statuten u. Urkunden, aus Libris,
dann Batemans Besitze in die Bibliotheca Lindesiana nach Haigh Hall,
von dort nach Manchester in John Rylands Library übergegangen, in
Libris erstem Auktionskataloge vom Jahre 1859 n. .858, Faks. pl. 35.
Ein schönes Evangeliar saec. X , das zur Beeidigung diente , in Magde-
burg in d. Bibl. d. Domgymn. 275, s. d. Progr. 1880, S. 99—101.
") Nach Uhlirz, Gesch. d. Erzb. Magdeb. S. 164 und DD. Ott. II. 90, hat
Thietmar diese Urkunde gefälscht (Kehr. Urkundenb. des Bist. Merseb.
S. 11), um dem Bistum einen strittigen Wald zu erhalten, was nach da-
maliger Autfassung als löblich gelten mochte.
392 III- Ottonen. § 5. Magdeburg. Merseburg.
war, leicht erklärlich ist: da er überhaupt einmal ein Buch schrieb,
so legte er in diesem auch alles nieder, was ihm denkwürdig schien,
alle seine Erlebnisse, die kleinsten wie die gröfsten, und was er zu
Hause und am Hofe sah und hörte, oder was er in anderen Büchern
fand. Noch hat sich seine eigene Handschrift, wenn auch nicht un-
versehrt, erhalten; sie liegt jetzt in der Königlichen Bibliothek zu
Dresden und zeigt uns am deutlichsten, wie er arbeitete, wie er
immer neue Zusätze und Nachträge machte. Bald trug er am
Rande nach, was ihm später bekannt wurde, bald erzählt er rück-
blickend , was eigentlich an eine frühere Stelle gehört. Manchmal
ist dadurch der Zusammenhang gestört, es sind Widersprüche ent-
standen und die Form ist überall mangelhaft : die letzte Hand fehlt,
und auch durch wiederholte Ueberarbeitung hätte der Verfasser aus
diesem lose aneinander gereihten Stoffe kein einheitliches Geschichts-
werk machen können. Aber die ihm vorliegenden Nachrichten des
Widukind, der Quedlinburger Annalen , der Halberstädter Chronik,
allerlei Notizen aus Nekrologien ^) , sowie eine kurze Passio des
heiligen Adalbert ") sind doch immer mit verständiger Auswahl in-
einander gearbeitet, und mit seiner aus mündlicher üeberlieferung,
aus Urkunden und späterhin aus eigener Erinnerung geschöpften
Kenntnis verbunden. Wenn man die rohen Exzerpte der Annalisten
von Hersfeld und Quedlinburg dagegen hält, so kann man einen
bedeutenden Fortschritt nicht verkennen, und es hat noch lange ge-
dauert, bis man im Stande war, etwas Besseres zu leisten.
Als Geschichtsquelle betrachtet hat aber Thietmars Werk gerade
einen besonderen Wert dadurch, dafs das Gefüge seiner Bestandteile
so leicht zu erkennen ist, wodurch die Kritik wesentlich erleichtert
wird ; doch bedarf man der Vorsicht, da er nicht selten aus Flüch-
tigkeit Versehen begangen hat. Andererseits kommt es uns nicht
minder zu gute , dafs er auch geringfügige Umstände nicht ver-
schmähte und deshalb ein lebendigeres Bild der damaligen Zustände
gewährt, in dem wir dergleichen kleinere Züge nur ungern vermissen
würden.
Wie er nun eigentlich gearbeitet hat, das hat erst Fr. Kurze
festzustellen versucht durch die genaueste Untersuchung der teils
von Thietmar, teils von acht verschiedenen Schreibern geschriebenen
und überall von ihm überarbeiteten und vermehrten Dresdener
') Ueber die Magdeburger Gründungsgeschichte vgl. oben S. 386 ;
über die Halberstädter Chronik zuletzt Dieterich, Streitfragen S. -55.
-) Vgl. Perlbach im NA. XXVII, 68. Ruotgers Leben des Erzb. Brun
und S. Ulrichs Leben kannte er, ohne sie eigentlich zu benutzen.
Thietmar von Merseburg. 393
Originalhandschrift. Hatte schon Bethman behauptet, dafs Thietmar
nicht vor 1012 sein Werk begonnen habe, so glaubt Kurze nach-
weisen zu kimnen, dafs er mit VI, 41—46 (VII, 1 — 15 K.) ange-
fangen vind in demselben Jahre 1012 vielleicht auch schon I, 1 — 10
(18 K.) geschi-ieben habe. Im Jahre 1013 habe er das zweite und
dritte Buch, 1014 IV, 1—8 (9), 10, 11 (14-17), 16 (23—25), 22—24
(31—37), 26—34 (39—54), das fünfte Buch und vom siebenten
1—4 (Vin, 1—3), im Jahre 1015 das sechste Buch und VII, 5 — 13
(VIII, 4—20) verfasst. Er schrieb gleichzeitig, was er erlebte, liels
aber Raum für Nachträge und Zusätze, mit welchen im vierten
Buche eine ganze Lage ausgefüllt ist; diese entfernen sich häufig
ganz von der chronologischen Folge und haben dadurch namentlich
im vierten Buche die Ordnung sehr gestört.
Zu solchen Nachträgen gab ihm vorzüglich die Bekanntschaft
mit den Quedlinburger Annalen Anlafs, welche er vor 1016 nicht
gekannt hat, weshalb auch VII, 1—13 (VIII, 1—20) keine Spur
davon zu finden ist. Mit Benutzung derselben schrieb er 1016 die
Zusätze zum zweiten und dritten Buch, fei'ner VI, 46 — 61 (VII,
16-41) und VII, 13—25 (VIII, 20—35); im Jahr 1017 den Rest
des vierten Buches bis auf die erst 1018 geschriebenen Kapitel
47—51 (70-75) und VII, 25—50 (VIII, 36—69), auch I, 15—17
(26 — 28); im Jahre 1018 endlich was von der Fortsetzung noch
übrig war, wobei natürlich die Annalen nicht mehr zu gebrauchen
waren.
Diese Aufstellungen Kurzes, welche das grofse Verdienst haben,
dafs sie sich auf Beobachtungen aufbauen, die an der Handschrift
selbst gemacht sind, müssen doch, wie die Beobachtungen selbst,
noch einmal genauer überprüft werden ^). Etwas rätselhaft sind
Zusätze einer Hand, welche Lappenberg Thietmar selbst zuschrieb,
während Kurze sie erst in die Zeit Heinrichs V. setzt, üeberall wo
diese Zusätze sich finden, ist zugleich am Rande etwas ausgekratzt;
doch sind sie zum grofsen Teile von hohem Werte und können
nur auf gleichzeitigen Angaben beruhen.
Für die ersten drei Bücher standen Thietmar nur wenig Quellen
zu Gebote, die wir nicht auch noch besäfsen ; aber von dem Anfange
der Regierung Ottos III. an werden seine eigenen Mitteilungen
immer reichlicher. Er schrieb die Geschichte dieser letzten Jahre
gleichzeitig mit den Ereignissen selbst; sein Werk nimmt da fast
^) Gundlach, Heldenlieder der Deutschen Kaiserzeit I, 153 — 156, hat
beachtenswerte Einwendunscen erhoben.
394 III- Ottonen. § 5. Magdeburg. Merseburg.
den Charakter eines Tagebuclies an und verbindet deshalb die Zu-
verlässigkeit der besseren Annalen mit gröfserer Fülle und Reich-
haltigkeit.
Dafs es ihm, dem Bischöfe, der viel am Hofe verkehrte und zum
Rate des Kaisers gehörte, dem nahen Verwandten der bedeutendsten
Fürsten, nicht an Mitteln fehlte, sich über die wichtigsten Vorfälle
und den ganzen Gang der Begebenheiten genau zu unterrichten,
erwähnten wir schon; auch entfernte Begebenheiten bei anderen
Völkern und an den fremden Höfen konnten daher zu seiner Kennt-
nis gelangen. Ebensowenig ist aber auch ein Grund vorhanden,
seine Wahrheitsliebe zu bezweifeln. Sich selbst schont er durchaus
nicht; mit der rührendsten Bescheidenheit deckt er seine eigenen
Fehler und Schwächen auf, und durchgehends bewährt er sich als
einen redlichen Mann von biederer Gesinnung und bestem Willen.
Dafür können wir ihm denn wohl die Unbehilflichkeit der Dar-
stellung, die grofse Leichtgläubigkeit, den oft gesuchten Ausdruck
und das gelegentliche Prunken mit seiner mühsam erworbenen Ge-
lehrsamkeit verzeihen.
Wegen seines vorherrschend provinziellen Charakters ist Thietmars
Werk zwar von sächsischen Schriftstellern viel benutzt worden, hat
aber weitere Verbreitung nicht gefunden. Vorzüglich fleifsig wurde
es vom Annalista Saxo ausgebeutet, mit Zusätzen über das Kloster
Corvey, wie sie sich wieder finden in der zweiten ganz jungen
Handschrift des Thietmar, die jetzt in Brüssel liegt. Daraus ergibt
sich, dafs eine Abschrift des Thietmarschen Werkes schon im 12. Jahr-
hunderte in Corvey verfertigt sein mufs, und zwar, wie R. Wilmans
nachgewiesen hat'), gegen das Jahr 1160.
Wie viel des für uns wertvollsten Materials aber alle diese Chro-
niken unbeachtet beiseite gelassen haben, davon gibt uns das von
Jaffe entdeckte Aufgebot des Jahres 981 zur Heerfahrt nach
Italien eine Probe ^).
') Kaiserurkunden der Provinz Westfalen I, 109—112, zu MG. SS.
III, 840 u. 860.
^) Ausgaben: von Jaffe, Bibl. V, 471; Weiland, Constit. imp. I, 632;
Ublirz, Jahrb. Ottos II. S. 247. Vgl. Max Lehmann, Forsch. IX. 435—444;
Giesebr. I, 842; G. Matthaei, Klosterpolitik Heinrichs IL (Diss. Gott. 1877)
S. 91—95; Uhlirz a. a. 0. S. 248-253. Ueber die in der einzigen Hs.
des Aufgebotes (Bamberg B. III, 11) stehende, auch sonst oft überlieferte
Palastbeschreibung vgl. Huelsen, Mitteil. d. Archäolog. Instituts XVII
(1902) S. 255—268.
Mainzer Erzbischöfe und Lehrer. 395
§ 6. Mainz. Hessen und Franken.
In Mainz bat die Litteratur nie recht gedeihen wollen, doch
zeigt das Schreiben eines Priesters G er hard an den Erzbischof
Friedrich (937 — 954), der politisch so übel beleumdet ist, über
die Bekehrung der Judenschaft und einige andere kirchliche Fragen '),
dafs die theologische Wissenschaft wenigstens dort keineswegs aus-
gestorben war. Ganz ohne Einflufs auf die Geschichtschreibung
blieb Friedrichs Nachfolger Wilhelm, der eifrige Gegner der
Magdeburger Pläne, nicht, wie wir schon sahen (oben S. 286), doch
hat er selbst sich nur durch einen eigenhändigen Zusatz zu den
Reichenauer Annalen ^) verewigt über seine Erhebung zum Erz-
bischofe im Jahre 954 und den gleichzeitig zwischen dem Könige
und seinem Sohne Ludolf geschlossenen Frieden. Willegis, aus
der Kanzlei der Ottonen hervorgegangen (975 — 1011), und seine
Nachfolger standen hinter ihren Zeitgenossen nicht zurück, und der
Sanktgaller Ekkehard (II. palatinus) wirkte in Mainz, wo er
Probst und 990 bei St. Alban begraben wurde''). Von Erchanbald
(1011— 1U20), vorher Abt von Fulda (9116—1011), hatte man Pre-
digten^). Ihm folgte von 1020 — 1031 der königliche Kaplan Aribo,
ein kraftvoller Mann aus dem Hause der Pfalzgrafen von Bayern
und nicht ungelehrt, über den später zu handeln sein wird. Um
diese Zeit wirkte in Mainz als Scholaster abermals ein St. Galler,
Ekkehard IV., Fortsetzer der Klostergeschichte, der für Aribo
den W^altharius überarbeitete.
Keiner dieser Erzbischöfe hat einen Biographen gefunden ; als
man nach anderthalb Jahrhunderten in dem von Willegis gestifteten
Stepbanskloster seine Heiligsprechung betrieb, hatte man über ihn
keine Nachrichten, welche nicht auch wir noch besitzen. So schmerz-
lich wir nun auch eine genauere Kenntnis dieses ausgezeichneten
Mannes vermissen, so erkennen wir doch den tiefen Eindruck,
welchen seine Persönlichkeit und Wirksamkeit gemacht hatten, — er
war ein glänzender Prediger und ein Gönner der Kunst — in der
Lobpreisung, welche einer seiner Schüler an den Abt Richard von
1) JafFe, Bibl. III, 338—344, vgl. Hauck III, 38 ff.
^) Jaffe, Bibl. III, 706. Vgl. unten § 9 üljer die Annal. Augienses.
3) Grabschrift bei Dümmler, Zeitschr. f. D. Altert. XIV, 48.
^) Sen>w>tef> Erchanbaldi epifcopi in Augsburg s, Steichele, Archiv f.
d. Gesch. von Augsburg I, 14. Als Abt lieh Erchanbald dem Bischöfe
Heinrich V. Würzburg (995 — 1018) ein sehr schönes Sakramentar, welches
von diesem an B. Leo v. Vercelli gegeben wurde und jetzt in Vercelli
ist; vgl. A. Ebner, Iter Italicum, Freiburg 1896. S. 282.
39(3 III. Ottouen. § 6. Mainz. Hessen und Franken.
Fulda (1018—1039) gerichtet hat'). Kaum eine geschichtliche That-
sache ist daraus zu entnehmen, ausgenommen die eifrige Pflege,
welche Willegis der Schule widmete ; viele Bischöfe und Pröbste
waren derselben entsprossen. Eine sehr merkwürdige Urkunde^)
gibt uns Nachricht von der Sorgfalt, mit welcher Willegis gleich
in seinem ersten Amtsjahre die Schule zu Aschaffenburg ordnete,
welche zur Ausbildung der Mainzer Domherren bestimmt war.
Herward, Kaiser Ottos II. Notar, war daselbst Lehrer, und Alemar
sein Secundarius. Dem Vorsteher der Schule ward gestattet, zwei
oder drei Jahre mit Stipendien ad Studium zu reisen. Der Lorscher
Mönch Trotmar (Druhtmax'), nachmals Abt von Corvey (1014 bis
1046), überreichte dem Erzbischofe und seinem Abte Bubbo 1007,
was er zu Ehren des heiligen Nazarius geschrieben hatte, mit schwer-
fällig gelehrten Briefen^). Augustins Gottesstaat liefs Willegis nicht
nur abschreiben, sondern verbesserte auch selbst die Abschrift mit
seinen Schülern^).
Auch an der St. Viktorskirche, wo Willibald einst das Leben
des heiligen Bonifatius geschrieben hatte, errichtete Willegis auf
Betrieb des Stadtkämmerers und Probstes Burchhard ein Chorherren-
stift, und hier verzeichnete, wie es scheint, ein Angehöriger dieses
^) Elogium h. Wülegisi oder Ubellus de Willlgiai consuetudinihus , ab-
gedr. V. Falk im Mainzer Katholik 1869 I, 224—230, nach einem alten
Drucke von 1675; darnach von Waitz, SS. XV, 2, 742 — 745. Bemer-
kungen dazu von C. Will im Kath. 1873 II, 715 — 734; Mainzer Regesten
I S. XLII; H. Böhmer, Willigis von Mainz, Leipz. 1895, S. 178 ff. lieber
das Officium Willigisi wird erst in der staufischen Zeit zu handeln sein,
in der es entstand.
^) Gudenus I, 352 — 357, auf welche 0. Zimmermann in seiner Leipz.
Diss.: Bruno I. Erzb. v. Cöln u. die in den Schulen seiner Zeit gepflegte
Wissenschaft, S. 28, aufmerksam gemacht hat. Will, Regesten 1, 119.
Hauck III, 327. Böhmer a. a. 0. S. 144—148.
*) Jaffe, Bibl. III, 353—358. Er sandte ihm einen sermunculum, den
er in laudem martirum verfafst. In dem Necrol. Lauresh. heifst es da-
her von ihm: XV. Kai. Mart. Drutmari abbatis; hie, istinc prelatus Nove
Corbeie, congregacioni composuit sermonem et cantum in honore sancti
Nazarii. Eine, nach Winterfeld vielleicht noch Ottonische, Sequenz auf
S. Nazarius aus einer Lorscher Hs. in den Analecta hymnica von Blume
u. Dreves XXXIV, 240.
*) Die Hs. jetzt in Gotha, mbr. I, 58. Vgl. Jacobs u. Ukert, Beitr.
II, 82; Böhmer S. 148; J. Falk, Die ehemalige Dombibliothek zu Mainz,
Leipz. 1897, S. 8 (wo er ^alumnis" in den Widmungsversen des Willegis
doch wohl nicht richtig als „Domherren" statt „Schüler" deutet) und
S. 108 ff. Nach Mainz und in die Zeit des Willegis gehört auch die
oben S. 178 A. 1 erwähnte Gothaer Hs. der Volksrechte, die nur durch
ihre Vorlage mit Fulda zusammenhängt; vgl. Falk S. 110 und Giemen,
Die Portraitdarstellungen Karls d. Gr., Aachen 1890, S. 80. Im allge-
meinen vcrl. über die Mainzer Bibliothek die Litteratur oben S. 251.
Willegis von Mainz. Lorsch. Worms. 397
Stiftes in ziemlich ungefüger Weise die Mainzer Tradition über den
heiligen Mann'). Wir verdanken ihm die schätzbare Nachricht über
Willibald, und sein Werk ist von Otloh benutzt vforden'^j.
Aus Lorsch haben wir aufser dem Schriftchen Trotmars ganz
unbedeutende Annalen, die für die Jahre 03(j — 97« gleichzeitig
sind^), und ein Verzeichnis der Mönche unter Abt Gerbodo
(951 — 972^). Die Schrift eines Priesters Adalher über Wunder
des heiligen Nazarius hat sich nicht erhalten''). Ein Schreiben des
Diaconus Theotroch an den Priester Ootbert über die Mefsfeier
in Fulda ist vielleicht nach Lorsch gerichtet"). Aus dem in karo-
lingischer Zeit so ausgezeichneten Fulda hat sich nichts erhalten
aui'ser den bis 1065 reichenden Totenannalen. In Hersfeld dagegen
wurden Wunder des heiligen Wigbert aufgezeichnet (vgl. oben
S. 377). In demselben Kloster wurden auch Jahrbücher geführt,
die uns in ihrer ursprünglichen Gestalt, wie wir sahen (oben S. 376),
nicht mehr erhalten sind , und nur durch wörtliche üebereinstim-
mung mehrerer Annalenwerke als deren gemeinsame Quelle sich
nachweisen lassen. Von den weiteren Schicksalen dieser Jahrbücher,
der Grundlage Lamperts, war bereits oben die Rede.
Für Worms wurde nach längerer Erledigung von Otto IIL im
Jahre 1000 Burchard'), ein ausgezeichneter Zögling der Schule zu
*) Anoni/mus Moguntinus ed. G. Henschen, Acta SS. lun. I, 473—477,
wiederholt MG. SS. II, 353 — 357; neue Aus«?, nach der Ha. bei Jaffe,
Bibl. III, 471—482 als Passio S. Bouifatü. Vgl, G. Wölbing, Die mittel-
alterl. Lebensbensbeschreibungen d. Bonifatius, Leipz. 1892; Nürnberger,
De S. Bonifatii vitis. Breslau 1892.
2) Nach Holder Egger, NA. IX. 293 A. 2.
^) Herausgeg. von Bethmann, MG. SS. XVII, 33 als AnnaUs S. Nazarii,
dieselben bei L. Delisle, Anc. Sacram. p. 240. Vgl. A. Ebner, Iter Ita-
licum, S. 247 u. ö.
■') Herausgeg. von Reifferscheid aus einer Lorsclier Hs. (Rom Pal.
lat. 169), Wiener SB. LVI, 443 (= Bibliotheca patr. italica I, 192). Eine
Notatio stipendiarum unter dem Abte Bobbo (1005 — 1018), abgedr. von
Dümmler, NA. XXII, 289. Sehr reichhaltige Bibliothekskataloge aus dem
10. — 11. Jahrhunderte der Hs. Rom Palat. lat. 1877 entnommen von
A. Mai, Spicil. Rom. \, 161-200 (vgl. S. XI-XIl, XIV— XVIII) und
Wilmanns. Rhein. Museum XXIII, 385—408; bei Becker, Catal. biblio-
thecar. S. 82—125 ; vgl. F. Falk, Beiträge z. Rekonstruktion d. Bibliotheca
fuklensis u. Bibliotheca lauresbamensis, Leipzig 1902.
^) In dem Necrol. von Lorsch (Schannat, Vindemiae I, 80) steht unter
V id. Apr.: Adalheri presbiteri; hie, dum scolis nostris prefuit, libeUum
de miraculis sauet i Nazarii composuit. Einige bedeutungslose Wunder
aus einer Frankfurter Hs. bei Falk, Gesch. von Lorsch S. 123 — 124.
«) NA. IV. 409—412 aus der Lorscher Hs. Rom Palat. lat. 1341.
') H. Grosch, Burchard 1. B. zu Worms, Leipz. Diss. , Jena 1890;
Hauck, Kircheng. III. 435—440; H. Boos. Gesch. d. rheinischen Städte-
kultur I, 253—309.
398 JII- Ottonen. § G. Mainz. Hessen und Franken.
Lobbes, zum Bischöfe berufen, nachdem er früher im Dienste des Erz-
bischofs Willegis gestanden; er starb 1025. Als einer der gelehrtesten
Canonisten seiner Zeit verfafste er namentlich mit Hilfe des Abtes
Olbei't von Gembloux eine grofse, auf die Vei'hältnisse der Gegen-
wart berechnete Canonensammlung\), während er andererseits durch
sein Hofrecht das erste Beispiel territorialer Gesetzgebung gab")
und sein gänzlich verfallenes Bistum zu neuer Blüte erhob. Freilich
wird von dem gelehrten Papste Gregor V. (996 — 999) gerühmt^),
dafs er in Worms gebildet sei, ebenso wie von Heribert von Cöln'*),
doch fand Burchard nach seines Biographen übertreibender Schilde-
rung die Stadt noch in Ruinen nach ihrer Verwüstung durch die
Ungern, und das Eingreifen der Herzoge hinderte jeden Fortschritt
zu besseren Zuständen. Durch die Darstellung dieser Verhältnisse
und der Art, wie es Burchard gelang, den üebelständen abzuhelfen,
ist dessen Biographie'), die allerdings die Verdienste seines Vor-
gängers Hildibald unbillig in den Schatten stellt*'), sehr lehrreich,
so wie andererseits Burchards angesehene und einflufsreiche Stellung
bei Otto III. und Heinrich II. ihr auch für die Reichsgeschichte
Bedeutung verleiht. Sie ist von einem Zeitgenossen verfafst — Boos
vermutet den Schulmeister und Kustos Ebbo') — und gehört zu
den besseren Werken dieser Art; doch hat Manitius nachgewiesen,
^) Abdruck bei Migne CXL, 537 ff. Vgl. Alb. Hauck, Ueber den über
decretor. Burchards v. W. , Berichte der kön. sächs. Ges. d. Wiss. 1894
S. 65 ff. , wo er ihn gegen den Vorwurf tendenziöser Fälschung recht-
fertigt. M. Conrat (Cohn), Gesch. der Quellen d. Rom. Rechts im MA. I,
261. Die älteste Handschr. scheint der Vatic. lat. 1355 zu sein, s. Arch.
XII, 226.
^) Letzte Ausgabe von Weiland, MG. Legg. sect. IV, Constitut. imp.
I, 639-644.
^J Lingua Teutonicus, Wangia doctus in urbe, Epit. bei Duchesne,
Lib. pontific. II. 262. Die Form Wangia auch in einem Hymnus saec. XII
(Geschichtsbl. der mittelrhein. Bist. S. 23), in der Apologie für d. Würzb.
Schule V. 17 (vgl. unten S. 400 A. 4), in d. Gest. Trev. SS. VIII, 113, u. ö.
*} Vita Heriberti c. 3, MG. SS. IV, 741. Vgl. Kehr, Die Urkunden
Ottos III. (1890) S. 43.
^) Vita Burchard, Wormaf. ed. Waitz, MG. SS. IV, 829—846, nach
der ältesten Ausg. von 1548. Neue Ausg. von H. Boos, Quellen der
Wormser Gesch. (1893) III, 97—127. Vgl. W. Giesebrecht, Geschichte
der Kaiserzeit I, 787.
'^) Vgl. über diesen und angeblich auf ihn zurückgehende Urkunden-
fälschungen Lechner, Die älteren Königsurkunden für das Bist. Worms und
die Begründung der bischöfl. Fürstenmacht, in den Mitteil, des Instit.
XXII, 361—419, 529—574; Uhlirz, Jahrb. Ottos IL, S. 217—225.
') Boos, Quellen II S. XXVII. Derselbe hat richtig erkannt (Quellen
I, 353), dafs der in dem Lorscher Briefcodex vorkommende Ebbo eben
dieser ist, nicht, wie Ewald ganz irrig annahm, der spätere Bischof von
Worms (NA. IH, 326).
Burohaid von Worms. Walther von Speier. 399
dafs in übermäfsiger Weise darin Alpert ausgebeutet und sogar
dessen Lobpreisung Ansfrids auf Burchard angewandt ist'), so dafs
nicht viel Eigenes übrig bleibt. Gerade in seinem Schreiben an
Alpert, der ihm sein Buch über den Wechsel der Zeiten übersandt
hatte, klagt Burchard über die mangelnde Neigung zum Studium
in der Wormser Schule'-). Noch am Anfange des folgenden Jahr-
hunderts feierte der Kleriker Hermann in einem Cartulare der
Wormser Kirche Burchard durch eine kurze, aber inhaltreiche
Charakteristik voll warmer Dankbarkeit'^).
Nach Spei er, wo schon Bischof Godefrid (9')0 — 961) seiner
Kirche ein Werk des Beda geschenkt hatte ^), verpflanzte Bischof
Balderich (970—987), gebürtig aus Säckingen, die Studien der
Sanktgaller Schule, aus Avelcher er stammte. Sein Wohlgefallen
und seine Aufmerksamkeit erregte der Knabe Walt her, den er
zu aller heidnischen und christlichen Wissenschaft anleitete. Cum
primwn regno successit tertius Otto, also 983, übergab er ihm,
der nun Subdiaconus war, eine Schrift zu Ehren des heiligen Christo-
phorus, welche die Nonne Hazecha, Schatzmeisterin von Quedlinburg,
ihm zur Korrektur überreicht hatte. Aber entweder wurde sie
wirklich verloren, wie Walther an Hazecha schrieb, oder er fand
sie zu schlecht: genug, Walther verfafste ein eigenes Werk über
den heiligen Christoph in Prosa und in Versen , ganz in dem ge-
spreizten , mit Gelehrsamkeit überladenen Stile der Zeit ; in zwei
Monaten behauptet er beides vollendet zu haben. Voran schickte
er ein Buch mit dem Titel Scholasticus, worin er seinen eigenen
Bildungsgang schildert, dunkel und oft schwer verständlich, aber
doch wertvoll für die Kenntnis der damaligen Schulstudien, in
welchen eine ansehnliche Zahl klassischer Autoren im Vordergrunde
steht. Walther schickte später nach des Bischofs Tode sein Werk'^)
auch ad collegas urbis Sedinarum, d. h. doch wohl nach Salzburg,
') NA. XIII, 197-202.
-) MGr. SS. IV, 701 . angef. von Giesebreeht II , 605 : nostris pueris
praesentibus super hoc dolui. scilicet quod his temporibus sunt nulli vel
vix paucissimi, qui ad studendum inveniantur idonei vel quibus voluntas
sufficiat studendi. Er citiert weiterhin unter dem Namen Severinus den
Boethius in Porphyrium (dial. 1, Mii^ne LXIV, 1).
3) MG. SS. IV, 829.
■*) Brit. Mus. Addit. 23931 , wo der erste von drei Widmungsversen
lautet: Me Godefrid sanctae presul dedit ecce Mariae. Diese Widmungs-
verse kehren in der Hs. Wien 806 (aus der Wormser Dioec.) wieder,
können aber dort nur abgeschrieben sein. Vgl. Steinmej-er, Ahd. Gl.
IV, 494.
^) Waltherus S/jirensis de pas^ione S. Christof >Jiori, bei B. Pez , Thes.
II, 3, 27-122. Prantl, Gesch. der Logik II, .52, hat auf dieses Werk
400 ^^^- Ottonen. § 6. Mainz. Hessen und Franken.
an Liutfred, Benzo*) und Friedrich. Damals scheint er demnach
die Speierer Schule geleitet zu haben ; von 1004 — 1027 ist er selbst
wahrscheinlich Bischof von Speier gewesen') und wäre dann auch
derselbe, der den Burchard von Worms bei seineu Arbeiten unter-
stützt hat.
In besonderer Ausführlichkeit tritt uns hier eine Richtung der
Studien entgegen , welche wir noch an vielen Orten , wie z. B. in
Lüttich , zu berühren haben werden ; für die Geschichtschreibung
aber blieb Speier völlig unfruchtbar.
Von der Wirksamkeit Stephans von Novara in W ü r z b u r g
war schon (oben S. 352) die Eede. Vom Bischöfe Heinrich (995 bis
1018) stammen die schönen Einbände Würzburger Handschriften
mit Schnitzereien in Elfenbein und der Aufschrift: Devota mente
Heinrico praecipiente ^). Aus der Zeit nach der Begründung des
Chorherrenstiftes Petri, Pauli et Stephani im Jahre 1018 besitzen
wir ein Gedicht zum Preise der Wüi'zburger Schule, welches gegen
einen mifsgünstigen Wormser gerichtet ist'*). Neben Würzburg
freilich erhob sich als Stätte der Wissenschaft in wachsendem und
verdunkelndem Glänze das von Heinrich II. so stark bevorzugte
aufmerksam gemacht; Remling in seiner Gesch. der Bischöfe von Speier
I, 252 erwähnt es unter Bischof Walther. Mabillon (Anal. vet. p. 11)
sah die Hs. in St. Emmeram; jetzt liegt sie in München als lat. 14798.
Vgl. W. Harster, Walther von Speier, ein Dichter des 10. Jahrli., Speier
1877 (Beigabe zum Jahresber. der k. Studienanstalt), wo nachgewiesen ist,
dafs aus einer vielfach mifsverständlichen Bearbeitung des griechischen
Textes sich die spätere Form der Legende entwickelt hat; doch hat
Schönbach, Zeitschr. f. D. Altert. XXIV, Anz. S. 155 — 172, Einwendungen
dagegen erhoben. Ausgabe von Harster als Beigabe zum Jahresber. 1878.
Anz. von Pannenborg, GGA. 1879 Nr. 20; von Nolte, Zeitschr. f. öst.
Gymn. 1879. XXX, 617 — 629 ; von Bursian, Jahresber. der class. Alter-
thumswiss. 1878 S. 104 (I v. 144 lies Graiugenas). Vgl. Ebert III, 333
bis 339 ; Hauck III, 824—326 ; Konr. Richter, Der deutsche S. Christoph,
in Henning u. Hoffory, Acta Germanica I (1896) , 1 — 34, und über diese
Schrift Schönbach, Zeitschr. f. D. Altert. XLI, Anz. S. 159—163.
^) Den Salzburger Benzo glaubte Schepfs in einer Erzählung Diet-
richs von Amorbach in dessen Kommentare zu den kathol. Briefen zu
erkennen, NA. XIX, 221; doch ist dies unmöglich, weil Dietrich von
einem Salzburger Erzbischofe dieses Namens spricht, bei dem man ge-
nötigt ist an Piligrim (907 — 923) zu denken, für den die Koseform Panzo
vorkommt, vgl. Dümmler, Ahhandl. d. Berl. Ak. 1894 S. 6.
^) Ueber Walther von Speier s. Brefslau, Jahrb. Konrads II. I, 465
bis 466. Seine Grabschrift: Zeitschr. f. D. Altert. XIV, 46.
') Schepfs, Die ältesten Evangelienhandschriften der Univ.-Biblioth.
(Würzburg 1887) S. 3 u. 30; Westwood. Ivories (London 1876) S. 475.
*) Apoloyia pro schola Wirtzburgensi ed. Pez, Thes. VI, 1, 189 — 199.
Vgl. Zeitschr. f. D. Philol. XV, 423—430. Der Bischof wird darin ge-
priesen V. 24 „Ipse poetarum fulget decus omnigenarum" und v. 26
„Praeter scripturae Studium nihil e.st sibi curae".
Würzburg. Bamberg. 401
Bamberg') (s. oben S. 355). In 54 schwerfälligen und schwülstigen
Hexametern pries Abt Gerhard von Seeon zwischen 1012 und
1014 die neue Stiftung-), und mit nicht minder gesuchten und
pedantischen Anreden in Prosa und in Versen begleitete der Bam-
berger Diaconus B e b o Abschriften von Büchern, welche der Kaiser
Heinrich hatte machen lassen ^) : er rühmt darin Heinrichs Be-
mühungen, den Landfrieden herzustellen, und seine Schilderung von
Benedikts VIII. Besuche in Bamberg 1020 ist von Adalbert in seiner
Biographie Heini-ichs 11. benutzt worden.
§ 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
Wir haben in Sachsen die neue Entwickelung litterarischer
Thätigkeit unter der unmittelbaren Einwirkung des Ottonischen
Hauses betrachtet, und auch in Lothringen ist es ein Ludolfinger,
der Kirche und Schule zu neuem Leben weckt, unter dessen Pflege
überall frische Keime hervorspringen, die bald zu reicher Fülle
sich entfalten.
Noch mehr als Sachsen war Lothringen durch innere Zwietracht
zerrüttet und durch äufsere Feinde verwüstet. Die alten Stätten
der Kultur, die reichen Bischofsitze und Klöster lagen grofsenteils
in Asche, und von den Einkünften der Stiftsgüter zehrten die
Vasallen, denen sie als Preis ihrer Treue oder Untreue zugefallen
waren; kaum bewahrten ein Paar verwilderter und unwissender
Geistlicher den kirchlichen Charakter von Klöstern, die man früher
weithin mit Ehrfurcht und Bewunderung genannt hatte.
Durch Heinrich und Otto wurde das fast verlorene Land den
Westfranken wieder entrissen und mit dem Ostreiche neu ver-
einigt; aber den Innern Frieden herzu.stellen , Ordnung zu schaffen
und die beginnende Reform der verwahrlosten kirchlichen Zustände
zu pflegen und zu befestigen, das war die schwere Aufgabe, welche
dem Bruder Ottos des Grofsen, dem Erzbischofe Bruno von Köln''),
zufiel und von diesem auf das glänzendste gelöst wurde.
') Vgl. über die Bibliothek von Kloster Michelsberg Brefslau NA.
XXI, 141 — 196; dort auch über die des Domes.
2) Hirsch, Heim-ich II. 1, 554 (vgl. II, 101). Jaflfe, Bibl. V, 482. Vöge,
Deutsche Malerschule, Trier 1891, S. 125.
^) Gedr. v. Gutenäcker im 25. Berichte d. bist. Vereins zu Bamberg
S. 138; Hirsch a. a. 0. I, 545-554 und H, 109—112; Jaffe, Bibl. V,
484 — 497. Ergänzt von Giesebrecht II, 580 und im Kataloge der Bam-
berger Hss. I, 1 S. 466.
^) Ueber die beiden metrischen Grabschriften auf Bruno vgl. Dümmler,
Otto I. S. 396 A. 2. Die von Ruotger (vit. Brun. c. 49) aufgenommene
W a 1 1 e u b a c h , Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 26
402 III. Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
Wir haben schon oben (S. 357 — 359) der Wirksamkeit dieses aus-
gezeichneten Mannes gedacht und können um so weniger auf eine
ausführliche Schilderung eingehen, da er selbst nicht als Schrift-
steller aufgetreten ist'). Sein Leben hat uns einer seiner Schüler
beschrieben, Ruotger-), der Bruno sehr nahe gestanden hatte
und die ihm von dessen Nachfolger Folkmar (965 — 969) übertragene
Aufgabe nicht ohne Geschick gelöst hat^. Sein Werk gehört zu den
besseren Biographien des Mittelalters, ist reich an Inhalt, wenn
auch für unsere Wünsche viel zu kurz und gedrängt, und fafst das
Wesentlichste von Brunos Leben und Wirken mit richtiger Auffassung
und wahrheitsgetreu zusammen. Die Sprache ist nicht eben gewandt,
steht auch in einer Hs. in Cheltenham , vgl. Cipolla , Richerche suU'
antica biblioteca d. Novalesa, Turin 1894, S. 68 (= Memorie Acc. Tor.
ser. II tom. XLIV p. 200) und in einer Hs. aus St. Bertin, jetzt in
Boulogne. In dieser sind damit verbunden andere , mit griechischen
Worten prunkende Epitaphien aus Brunos Schule, vielleicht von Ruotger;
eines wahrscheinlich auf die Aebtissin Hathuwig von Essen (f 18. Juli
947) , eines auf den Kölner Bürger Wolfrad ; vgl. NA. X, 346. Ferner
steht hier auch die zweite Grabschrift auf Bruno, herausg. v. Dümmler,
Otto I. S. 594. lieber Brunos Grab s. Kleinermanns , Die Heiligen auf
dem erzbischöfl. Stuhle von Köln I, 169 — 174. — Das gleichfalls von
Ruotger überlieferte Testament des Bruno schrieb Froumund v. Tegernsee
in Köln ab, vgl. Schepfs, HsL Studien zu Boethius, Würzburg 1881, S.8;
über eine andere alte Lorscher Abschrift vgl. NA. VIII, 191.
') Die von Peiffer aufgewärmte Nachricht von Kommentaren zum
Pentateuch und zu den Evangelien , die er verfafst haben soll , ist un-
glaublich. Man kann Ruotger und der Kölner Kirche den Schimpf nicht
anthun, anzunehmen, dafs sie das gänzlich vergessen haben sollten. Da-
gegen auch Cardauns, Städtechroniken XII p. LV.
2) Ruotgeri Vita Brunonis ed. Pertz, MG. SS. IV, 252—275 und auch
besonders abgedruckt. Varianten bei B. Simson im Archiv f. Gesch. d.
Niederrh. VII, 167—172. Uebersetzung von Jasmund, 1851 ; 2. Aufl. 1890
in Geschichtschr. Bd. 30 (X. 3^; vgl. Gundlach, Heldenlieder I. 171—183.
Vgl. Giesebr. I, 781 ; Textkritik ebd. S. 830 u. bei Dümmler, Otto I. S. 372.
Ebert III, 447 — 450. Janssen in den Annalen des Niederrh. bist. Vereins
I, 85. Joh. Ph. Peiffer, Hist. krit. Beitr. z. Gesch. Bruns L, Köln 1870.
Strebitzki , Quellenkrit. Untersuchungen zur Gesch. Erzb. Br. im Progr.
d. kath. Gymn. v. Neustadt in Westpreufsen, 1875. Dierauer in Büdingers
Untersuchungen z. mittl. Gesch. II, 1 — 50. Maurenbrecher, De historicis
X. saec. scriptorib, S. 24 — 27, dessen Tadel die ganze Gattung der
kirchlichen Biographie trifft. Seiner künstlichen Deutung der Stellen
über die Motive der Empörer kann ich nicht beistimmen ; vgl. Rommels
Aufsatz in den Forsch. IV, 121 — 158, Maurenbrechers Entgegnung ib.
587—598 und Dümmler, Otto I. S. 212. F. Jung, Progr._ des Gymn.
Friderician. zu Schwerin 1901, handelt über die Glaubwürdigkeit R.s.
') Die Biographie mufs zwischen 968 und 969 entstanden sein, da
sie Folkmar (f 969) gewidmet ist und die Königin Mahthilde (f 968)
als ,diva mater" erwähnt (c. 42). Zugleich folgt hieraus, dal's Watten-
bach und Dümmler (Otto I. S. 466 A. 4) gegen Hauck (III, 31. 987)
Recht hatten, 967 als Todesjahr Folkmars abzulehnen.
Bruno von Köln. 403
sondern schwülstig und von den üblichen Ausdrücken der kirchlichen
Redeweise erfüllt, aber frei von Fehlern ; man erkennt die gute Schule
darin, voa welcher auch die noch zahlreich erhaltenen Handschriften
der Kölner Dombibliothek aus dieser und der nächstfolgenden Zeit
Zeugnis geben. Dem Frudentius entlehnte er einen Vers zur Cha-
rakteristik Ottos 1., und auch Citate aus Virgil und Terenz, aus
Pei'sius, Juvenal, Cicero und Sallust fehlen nicht'), wie dies jetzt
A. Mittag-) aufs genaueste dargelegt hat, indem er auch die Ab-
hängigkeit von Augustinischen Ideen nachweist. Ein jüngeres Leben
Brunos aus dem 12, Jahrhundert ist nur fragmentarisch erhalten
und sehr fabelhaft^).
Für diese eifrigen Studien zeugen auch die lihrl 2)restiti de
armario S. Pefri (oben S. 315 A. 2); unter den Entleihern sind
B. Adelbold (von Utrecht 1010—1026) und Abt Elias (von Grofs-
Sankt-Martin 1004—1042); sehr viele Bücher aber, darunter 2 Bibeln,
3 Virgile, 2 Lucane, 3 Prisciane, hat gerade ein Unbekannter, gewifs
ein Scholasticus, dessen Name ausgekratzt ist. Eine reich geschmückte
und mit Versen ausgestattete Evangelienhandschrift liels durch den
Schreiber Anno ein custos basilicae Petri mit Namen Gerhous an-
fertigen, den man wohl mit Recht für identisch gehalten hat mit
dem Erzbischofe Gero (969—976), dem Bruder des Markgrafen
Thietmar *). Diesem Erzbischofe ist die oben (S. 47) erwähnte
Ursulalegende gewidmet.
^) Düminler, Forsch. XII, 445. Simson, Arch. f. d. Gesch. d. Niederrh,
VII, 172. Manitius, NA. XII, 369. 370.
-) Die Arbeitsweise Ruotgers in der V. Brunonis. Osterpr. d. Askan.
Gymnas. Berl. 1896.
3) Vita Brunonis altera, MG. SS. IV, 275—279. Vgl. Vogel, Ratherius II,
14—18. Peiflfer S. 13. Varianten bei Simson S. 163—165. Wie Cardauns,
Städtechron. XII, p. LVI bemerkt, mufs diese Vita doch schon im
12. Jahrhunderte entstanden sein, da sie in den Ann. Col. max. benutzt
ist (ed. Waitz jj. 28. 29) ; ihr Inhalt wird übrigens dort schon z. T. als
unglaubwürdig abgelehnt: quia in antiquioribus cronicis non invenimus,
pretereundum esse censemus, wofür eine Kölner Hs. saec. XIII beschöni-
gend setzt: quia in gestis de ipso specialiter conscriptis continentur, hie
non duximus ponenda.
*) K. Lamprecht im NA. IX, 620—623, vgl. Westd. Zeitschr. VII (1888)
S. 78 — 79; Sauerland und Haseloff, Der Psalter Erzb. Egberts v. Trier,
Trier 1901, S. 119 ff. u. ö.; ebd. Tafel 62. Haseloff weist nach, dafs
für die Widmungshilder der Hs. die entsprechenden Miniaturen in des
Hrabanus Werke de laudibus s. crucis Vorlage waren. Arbeitete . wie
Haseloff glaubt, Anno in der Reichenau, so lernen wir den Namen eines
damaligen Kölner Schreibers aus dem oben erwähnten Ausleiheverzeich-
nisse kennen : habet . . . Adelboldus episcopus librum super psalterium
optime scriptum ad manum Wanizonis de S. Gereone scriptoris (Zeitschr.
f. D. Altert. XIX. 467).
404 III. Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
Zu Brunos Gehilfen bei seinen reformatorischen Bestrebungen
gehörte Christian, der erste Abt des von ihm gestifteten
Pantaleonsklosters^), der ihn bis 1001 überlebte. Der ei'ste eil-
fertig errichtete Bau stürzte zusammen, man grub zu Erzbischof
Folkmars Zeit (965 — 969) ein tieferes Fundament und fand dabei
Gebeine, die einem heiligen Maurinus zugeschrieben wurden. Nie-
mand wufste etwas von ihm, auch Stephan nicht, der auf Abt
Christians Gebot, als Erzbischof Gero schon tot war, eine Lobschrift
auf den neuen Heiligen verfalste; aber die von ihm zugefügte Ge-
schichte der Auffindung mit den unvermeidlichen Wundern enthält
einige geschichtliche Umstände^). Ferner erhielt das Kloster aus
Rom durch die Kaiserin Theophano einen heiligen Albin, von dem
man gar nichts wufste, auf den man aber die fabelhafte Legende
des heiligen Albanus übertrug; diese Schrift ist aber ei'st aus dem
11. Jahrhundei-te^). Erzbischof Everger (985 — 999) widmete der
Domkirche ein mit besonderer Pracht geschriebenes Lectionar"*). Als
er am 10. Juni 999 gestorben war, wurden Boten nach Italien an
Otto III. geschickt, um sich den Kanzler Heribert auszubitten ; von
diesen starb der Diaconus Rudolf in Rom, und es wurde ihm zu
Ehren ein Epitaph gedichtet'').
üebrigens aber haben Brunos Bemühungen in Köln selbst am
wenigsten Frucht gebracht; aufser den unbedeutenden kleinen
Kölner Annalen*^) ist keine litterarische Erscheinung weiter an-
zuführen, denn auch die kleine Chronik des Schottenklosters Grofs-
Sankt-Martin ist eine moderne Fälschung'), und die Grün-
dungsgeschichte von Gladbach und das Leben des Erzbischofs
^) Ruotgeri Vita Brun. c. 28. Stephanus in der Widmung der Trans-
latio S. Maurini (SS. XV, 683): „Compertum quantum praestitistis sae-
culo, cari invicem et noti, et in verbis prudentiae saepe admirati".
2) Inventio et Translatio S. Maurini, Mab. V, 336—341. Acta SS. Jun.
II, 279—283. Ausz. MG. SS. XV, 2, 683—686. Noch unbedeutender und
später geschrieben sind die Transl. S. ErergisU von Tongern nach der
Caecilienkirche und Patrocli von Troyes nach Soest, MG. SS. IV, 279
bis 281; Varianten zu beiden bei Simson 1. c. p. 173. In diesen Kreis
gehört auch die oben S. 193 erwähnte ganz fabelhafte Vita Beinoldi. —
Die Miracula S. Panfaleonia , Jul. VI, 421 — 426, sind späten Ursprungs
und unbedeutend; über eine Leidener Hs. NA. XXIII, 584.
3) Translatio S. Albini ed. L. v. Heinemann, MG. SS. XV, 2, 686—688.
■*) Eccl. Colon. Codd. p. 60.
^) Aus einer Pariser Hs. herausgeg. v. Dümmler, NA. II, 601.
^) Ann. Colonienses 776—1028 e cod. CII, MG. I, 97—99 mit unzu-
länglichen Berichtigungen SS. XVI, 731 ; neue Ausg. im Verz. d. Köhier
Handschriften S. 127 — 131. Ann. Colon, breves 814.898-964. überliefert
im Vat. Urb. 290 aus Brauweiler, MG. SS. XVI, 730; vgl. Archiv XII, 262.
') Vul. Oppermann, Westd. Zeitschr. XIX, 271.
St. PantaleoD. Kölner Annalen. 405
Heribert (990— U'21), eines Züglings der Schule von Gorze, die
ihrem Inhalte nach hieher gehören, sind doch erst in der folgenden
Periode verfafst worden. Mehrere an diesen Erzbischof gerichtete
Schriften haben wenigstens ihren Ursprung nicht in Köln ').
Jene Kölner Annalen aber , die bis 939 auf gemeinsamer
C4rundlafie mit den alamannischen , Eeichenauer und St. Galler
Annalen beruhen , von da an heimischen Ursprungs sind , haben
merkwürdigerweise einen weitreichenden Einflufs gehabt, indem der
erste, von einer Hand aus einer älteren Handschrift überschriebene
Teil von 77G — 957 in die Annalen von Dijon, mit diesen dann in
die von Rouen, Caen, und anderen Orten der Normandie, und weiter
in die angelsächsische Chronik und in die Annalen von Lund über-
gegangen ist, sowie andererseits in die Krakauer Kapitelsannalen").
In Köln war wenig Boden für wissenschaftliche, wenigstens für
geschichtliche Thätigkeit. Dagegen regte sich in Trier, nachdem
wieder bessere Zeiten gekommen waren, der alte Geist aufs neue.
Sogar mitten unter den Stürmen, welche das unglückliche Land
verheerten, hatte man im Kloster St. Maximin, wie in Corvey,
') Albuinus heremita (vielleicht aus Gorze, Hist. lit. d. 1. France VI,
553) widmete ihm (und wohl früher auch dem Pariser Canonicus Arnold,
vgl. V. Rose, Verz. der lat. Meerman-Hss. S. 108 f. u. Catalogue general
des mss. des bibl. publ. des dep. VII, 108) eine Kompilation moralischen
und theologischen Inhalts, die in Hss. sehr häufig begegnet, von der aber
nur die Einleitung (bei Martene et Durand, Coli. ampl. I, 360) und ein
sehr oft einzeln überliefertes Kapitel de Antichristo (in den Supplementen
zu Augustin u. Zeitschr. f. D. Alt. X, 265) gedruckt ist. In diesen beiden
Stücken schreibt Albuin die Epistola Adsonis de AtiticJiristo aus. Vgl.
W. Meyer, Münchener SB. 1882, S. 3 f. ; Schum, Catal. bibl. Amplon.
p. 558; Haureau , Notices et Extraits VI, 87; Sackur, Sibyllin. Texte
S. 99 f. — Eine Hs. von Lamberts Vita Heriberfci saec. XII aus Deutz,
jetzt Brit. Mus. Add. 2678s (NA. IV, 373), enthält am Schlüsse den von
Martene et Durand , Coli. ampl. 1 , 357, herausgegebenen Brief mit der
üeberschrift : „nobilissimae sedis archiepiscopo nobiliori H. A. inquilinus
civis urbis Spirae" , worin der Speierer Geistliche sich über die leicht-
fertige Weise beklagt, in welcher auch gebildete Priester in der Kirche
die Sündenvergebung verkündigen, „tanta facilitate quanta forsitan de
2:>ecunia propria obolos tres nollent cuiquam relaxare". Dieser Brief
ist wahrscheinlich an Heribert gerichtet. Verse an Heribert aus einer
Trierer Hs., gekünstelt und ohne Inhalt, NA. XVI, 178; diese und andere
bei Kleinermanns, Die Heiligen auf dem erzb. Stuhle von Köln II, 76
bis 84.
-) Theopold, Kritische Untersuchungen über die Quellen zur angel-
sächsischen Geschichte (1872) S. 83 — 87. Die betreffenden Stücke aus
Annalen der Normandie nebst Auszügen aus den Fortsetzungen bis ins
14. Jahrhundert gibt Holder-Egger : E.r Annalibus Normannicis, MG. SS.
XXVI, 488—517. Ueber die Krakauer Ann. vgl. Perlbach, NA. XXIV,
270—273.
406 III- Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
es nicht ganz unterlassen, einige geschichtliche Nachrichten aufzu-
zeichnen').
Im Jahre 882 verwüsteten die Normannen das Stift, und auch
hier blieben nur einige Weltgeistliche ohne klösterliche Zucht; im
Jahre 933 stürzte die Kirche ein. Aber schon 934 wurde die
Klosterzucht hergestellt, und unter dem Abte Hugo oder Ogo^)
gedieh das klösterliche Leben so gut, dafs schon 937 König Otto die
Mönche für seine neue Stiftung in Magdeburg von hier entnahm
(oben S. 385). Anno, der erste Abt von St. Moritz, wurde 950 zum
Bischöfe von Worms befördert, der zweite, Otwin, 954 zum Bischöfe
von Hildesheim, während Abt Hugo selbst 945 Bischof von Lüttich
wurde. Etwas später (972) wurde Sandrad, der erste Abt von
Gladbach, aus St. Maximin entnommen, 975 Ramwoid, 978 Hart-
wich, die Hersteller klösterlicher Zucht in St. Emmeram und Tegern-
see^). Unter dem Abte Wiker (957 — 966) verfafste Sigehard, ein
Mönch von St. Maximin, eine Schrift über die Wunder seines Heiligen,
welche über den "Verfall und die Herstellung der. lothringischen
Klöster nicht unwichtige Nachrichten enthält''). Um 965 wurde
daselbst eine wichtige Sammlung für kanonisches Recht zusammen-
gestellt^).
1) Annales S. Maximini, von 708—987, MG. SS. IV, 5—7. Sie sind
bis 840 von einer Hand, und bis dahin, wie B. Simsou bemerkt, aus den
Ann. S. Columbae Senon. abgeschrieben. Ueber die Hs. NA. XXVII, 738.
'^) Die Namen der 70 Mönche unter Ogo „qui monasterium reparavit",
MG. SS. XIII, .301. Vgl. üümmler, Otto I. S. 65. Nachrichten über Kirch-
weihen in St. Maximin (Weihe der Krypte 952 unter Willer, einer Kapelle
am 2. März 1018 unter Winrich) hatte Wiithem aus verschiedenen Hss.
gesammelt; Ausg. von Sauerland SS. XV, 2, 1269 — 1272, mit Benutzung
der einen inzwischen wieder aufgefundenen Hs. , aus welcher der betr.
Teil dieser Notae S. Maximini Trevir. einzeln herausgegeben ist in der
Bibl. de FEcole des chartes XLV (1884), S. 578, in den SS. XV, 2, 967
und im Trierer Archiv III, 74.
') Notizen über Hartwich in einem schönen alten Evangeliar aus
Tegernsee, NA. VIII, 877. SS. XV, 2, 1067. Vgl. Brefslau im NA. XXV,
665 A. 2.
■•) Miracula S. Maxi mini , Acta SS. Mai. VII, 25—33. Excerpta ed.
Waitz, MG. SS. IV, 228—234. Vgl. Ebert III, 472 u. Schepfs, Zeitschr. f.
D. Philol. XV, 423. Zum Teile aus Sigehard geschöpft die Tituli eines un-
genannten Scholasticus, ed. Kraus im Rheinl. Jahrb. L, 205 — 210. Zwischen
968 u. 965 wurde in St. Maximin das Diptychon mit Namen der Ott.
Familie geschrieben, Faks. in Papebr. Propyl. Antiq. Acta SS. Apr. II;
Ausg. mit Faks. von Fr. X. Kraus, Westdeutsche Zeitschr. IV, 188—156.
^) M. Sdralek, Wolfenb. Fragmente, Münster 1891, S. 86—100. —
Die Bibliothek von S. Maximin mufs schon damals sehr reich gewesen
sein; der älteste Katalog gehört erst dem 12. Jahrhunderte an. Vgl.
Keuffer, Jahresber. d. Gesellsch. f. nützliche Forsch, zu Trier 1899, S. 48
bis 94; Gottlieb, Ueber mittelalterl. Bibliotheken S. 344—348; Traube
NA. XXVII, 787—739; Omont, Notices et extraits XXXVIII, 341—396.
St. Maximiu. Prüm. Trier. 407
Auch Prüm erholte sich wieder, scheint aber in Regino (oben
S. 311) seinen einzigen Historiker hervorgebracht zu haben; auch lag
es gar fern von der Strafse, doch sammelte es in dem goldenen
Buche, dessen erster Teil nach 920 abgeschlossen wurde, sorgfältig
seine Urkunden')- Ein Verzeichnis der Mönche aus der Zeit zwischen
948 und 971 hat sich darin erhalten'-). In den letzten Jahrzehnten
dieses Jahrhunderts, unter den Aebten Hilderich (t993) und Stephan
(t 1001), wurde hier auf Kosten und Bitten des Mönches Wicking
ein sehr schönes Antiphonar geschrieben^). Von weiterer histori-
scher Litteratur ist aus Prüm nichts zu melden.
Vom Erzbischofe Rotger von Trier (917 — 930) ist eine Samm-
lung kanonischer Vorschriften für die Priester seines Sprengeis
zusammengestellt, wovon leider der Schlufs fehlt ■*). Irrig ist ihm
auch die eben (S. 406) erwähnte Maximiner Materialiensammlung
ähnlicher Art zugeschrieben worden^).
Der Erzbischof Rodbert (930 — 956), ein Bruder der Königin
Mahthild''), war ein gelehrter Mann, der die Wissenschaft liebte;
ein Brief Rathers an ihn zeigt uns, dafs er diesem einige Probleme
vorgelegt hatte'), und Flodoavd widmete ihm sein grofses Gedicht
über die Heiligen und römischen Päpste®). Unter seinen Nach-
') Thausing und Foltz, Das goldene Buch v. Prüm, Mitt. d. Inst. I,
93—104.
2) Lamprecht, Deutsches Wirthschaftsleben III, 319—321.
') Wickingi fidelis monachi impensis atque precatu: Paris Suppl.
Lat. 641, jetzt Lat. 9448, ausgelegt Arm. XIX n. 198. Zwei Miniaturen
bei Jules Labarte, Hist. des arts industriels, Album II, pl. XC. Ge-
naue Beschreibung der Handschrift und Angabe der übrigen Litte-
ratur bei E. Bi-aun, Geschichte d. Trierer Buchmalerei, WestcT. Zeitschr.
Ergänzungsheft IX S. 87. Die Behauptung, dals der Schreiber ein Prümer
Mönch Namens Notker (oder Nother) war, scheint sich nur auf einen
Eintrag des 18. Jahrhunderts zu stützen. — In dem oben (S. 311 A. 1)
erwähnten Evangeliar stehen Notizen über Prümer Konsekrationen, aber
erst aus den Jahren 1098 und 1229; vgl. Delisle, Jounial d. Savants 1902
S. 474 f. — Auch das Prümer Lektionar der Bibl. Lindesiana (jetzt in
Manchester) ist erst von Abt Ruotbert (1056 — 1063) gewidmet worden;
Trierer Archiv I, 3—17.
■») Arch. VII, 813, ungedruckt. Vgl. Sdralek S. 87 f.
°) 0. V. Heinemann, Cat. d. Wolfenb. Hss. I, 356 nach Wasserschieben ;
berichtigt von L. Weiland, Zeitschr. f. Kirchenrecht XX, 99 — 101 ; vgl.
Sdralek S. 88.
6) Vgl. Waitz, Heinrich I. (3. Aufl.) S. 108 u. 138.
') Migne CXXXVI. 649—651. Vgl. Vogel. Rather I, 98. Die Worte,
mit denen Rather seine Abwendung vom Altertume begründet, sind dem
Prologe des Persius nachgebildet.
®) Angeblich ist der Erzb. Ruotger genannt (f 930), wofür wegen des
chronologischen Widerspruchs in Hist. litt, de la France VI, 320 Rodbert
gesetzt ist. Vgl. Dümmler, Otto I. S. 543 und unten bei Flodoard. — Lieber
408 ni. Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
folgern 0 liat sich vorzüglich Ekbert oder Egbert (977—993),
ein Sohn des Grafen Dieti'ich von Holland, ein dauei'ndes Andenken
geschaffen und nachhaltig gewirkt. Sehr merkwürdige von ihm
gestiftete Weihgeschenke in Emailarbeit 'verwahren die Domschätze
in Trier und Limburg'). In der Trierer Stadtbibliothek ist ein
Fragment einer reichverzierten Abschrift von Gregors I. Registrum,
die er wohl zu Trier hat anfertigen lassen, mit Versen zu Ottos IL
Preise^). Ihm ist der berühmte, wahrscheinlich in Reichenau von
dem Mönche Ruodprecht hergestellte Psalter von Cividale gewid-
met""). Reichenau brachte ihm auch das prachtvolle Evangelistarium
dar, welches sich jetzt in der Trierer Stadtbibliothek befindet"^);
er machte Trier zu einem mitwirkenden Mittelpunkte der Kunst-
thätigkeit. Ekberts Bedeutung zeigt sich auch darin , dafs die
ältesten Bischofskataloge bis auf ihn reichen®). Nach langer Zeit
des schweren Drucks und angestrengter Kämpfe regte sich wieder
selbstbewufste strebsame Thätigkeit. Mit Gerbert war Ekbert in
Verbindung und überlegte , ob er zu dem Kreise hervorragender
Männer, welchen Otto IL in Italien um sich sammelte, auch aus
Trier Scholastiker schicken sollte').
eine Kirchweihe Rodberts in Udern, einer Besitzung des Kl. Mettlach, (932)
und eine Ekberts in Luxemburg (987) vgl. MG. SS. XV, 2, 1282.
^) Erst Sigebert. V. Deod. c. 2 nennt Heinrich (956—964) u. Ekbert
Schüler des Erzb. Brun, was nach Dümmler, Otto I. S. 399, grundlos ist.
-) Ausgabe der Weihinschriften u. Litteraturangaben bei F. X. Kraus,
Christliche Inschr. d. Rheinlande II n. 353 und n. 457. Vgl. St. Beissel,
Egbert v. Trier u. die byzant. Frage, Stimmen aus Maria-Laach 1884,
II S. 260 ff.; F. X. Kraus. Gesch. d. christl. Kunst II, 43 f.; Haseloff i. d.
gleich anzuführenden Werke S. 113 u. 145; Braun, Geschichte d. Trierer
Buchmalerei (s. oben S. 407 Anm. 3).
') E. Braun, Gesch. d. Trierer Buchmalerei S. 78 ff. Das zu den Versen
(NA. II , 437) gehörige Blatt mit der Darstellung Ottos II. und der
ihm huldigenden Nationen wurde von Haseloff in Chantilly aufgefunden ;
vgl. Sauerland und Haseloff, Der Psalter Erzbischof Egberts von Trier,
Trier 1901 (Festschr. d. Gesellsch. f. nützl. Forschungen zu Trier) S. 71 ff.
und Taf. 49.
^) Vgl. Sauerland u. Haseloff a. a. 0. und dazu Vöge im Repert. f.
Kunstw. XXIV, 469—478.
^) K. Lamprecht, Der Bilderschmuck des Cod. Egberti und des Cod.
Epternac. im Rheinl. Jahrb. LX (1881) S. 56— 112. F. X. Kraus, Die
Miniaturen des Cod. Egberti in d. Stadtbibl. zu Trier, Freiburg 1884.
St. Beissel, Die Bilder der Hs. d. K. Otto in xA^achen, Aachen 1886, S. 9
bis 18; S. 17 gegen Lamprechts Datierung. Haseloff a. a. 0. S. 61 ff.
Ueber das dem Codex Egberti verwandte Evangelistar der Abtei Poussay
(Paris lat. 10514) Haseloff S. 81 ff.
«) Kraus im .Jahrb. d. Altertumsfr. im Rheinland XXXVIII, 27 ff.
XLIV, 163-167. Vgl. Boehmer, Fontt. IV p. LIII. MG. SS. XIII, 296.
') Hontheim, Hist. Trev. I, 323 aus Gerberts Briefen; scholasticos deutet
Kkbert von Trier, 409
Sehr begreiflich ist es nun , daCs man gerade hier vorzüglich
dem Altertume sich zuwandte. Die alte Gröfse Triers, welche aus
den gewaltigen Bauwerken der Römerzeit vernehmlich redete, und
die vielfachen Ueberlieferungen aus der früheren Zeit eines blühen-
den kirchlichen Lebens forderten zur Erforschung der Vergangenheit
auf, für welche es aber, nachdem in der normannischen Verwüstung
vieles zu Grunde gegangen war, an zuverlässigen Hilfsmitteln
mangelte. Man bemühte sich, Biographien der alten Trierer Heiligen
zu schreiben, und überliels sich aus Mangel an echten Nachrichten
einer regellosen Phantasie, die zu immer unsinnigeren Fabeleien
fühi'te. So entstand in dieser Zeit jene märchenhafte Urgeschichte
Triers, welche besonders aus der späteren Bistumsgeschichte bekannt
ist^). Nicht viel besser begründet ist auch das Leben des Diaconus
Ad albert, eines Gefährten des heiligen Willibrord, dem das Kloster
Egmond gewidmet ist; Erzbischof Ekbert, der Sohn des Stifters -j,
liefs um 985 durch den Mönch Ruopert von Mettlach an der Saar
diese Arbeit ausführen^); von Adalbert wufste er sehr wenig, dieser
war aber, wie Holder-Egger vermutet^), der erste Abt von Echter-
nach. Die in den Wundergeschichten gegebenen Nachrichten über
die Klosterstiftung hat gleichfalls Holder-Egger erläutert und als zu-
vei'lässig befunden.
Im Matthiaskloster verfafste im Anfange des 11. Jahrhunderts
der Mönch Dietrich eine Schrift über die Auffindung und die
Wunder des heiligen Celsus, welche er seinem Abte Richard widmete.
Sie enthält einige geschichtliche Nachrichten über den Erzbischof
Egbert, den Hersteller des Klosters, unter dem jene Gebeine erhoben
wurden'^). Aus dem Martinskloster, der Stiftung des heiligen
Magnericus, besitzen wir aus der Zeit Kaiser Heinrichs IL eine
lehrreiche Aufzeichnung über die Herstellung desselben durch Erz-
bischof Dietrich (964 — 977) und Papst Benedikt VII., sowie über
er als Schüler, was Wattenbach zweifelhaft ist, doch bedeutet es dies
z. B. in den Fulder Totenannalen. Vgl. HaselofF S. 145 ff.
^) Vgl. die \'orrede zu den Gesta Trevirorum von Waitz.
^) üeber die Egmonder Büchei'verzeichnisse, in denen auch die Gaben
Ekberts vorkommen, vgl. Gottlieli, Ueber mittelalterl. Bibliotheken S. 261
und 461.
^) Vita et Miracula S. Adalberti Egmondani Acta SS. Jun. V, 97 — 109 ;
Mab. III. 1, 631 — 646 mit Weglassung der Vita; Auszug von Holder-
Egger, MG. SS. XV, 2, 699—704, vgl. S. 1319 und NA. XIII, 29—32.
Nach der Weihe der neuen Kirche 1143 wurden viele Wunder hinzuge-
fügt; vgl. darüber und über die ßenutzunff dieser älteren in einer
jüngeren Vita Adalberti NA. XXVI, 269 n. 41.
*) Vgl. dagegen Hauck I, 423.
'=) Ex tramlutione S. Celsi ed. Waitz, MG. SS. VIII, 204—208.
410 III. Ottouen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
die Unthaten des Probates Adelbero von St. Paulin , der unter
Liudolf und Megingaud (1008 — 1015) durch ungerechte Vergabungen
den Besitz des Klosters wesentlich schmälerte 0.
Daneben aber wurde von einem Mönche des Klosters St. Maxim in
auch eine Geschichte der Gegenwart verfatst, in der Form ausführ-
licher Jahrbücher, welche wir wohl unbedenklich als die beste
Reicbsgeschichte dieser Zeit bezeichnen können, ohne damit den
eigentümlichen Vorzügen Widukinds zu nahe zu treten. Es ist die
Fortsetzung der Chronik des Regino, verfafst um das
Jahr 964 und bis 967 fortgeführt von einem ungenannten Mönche
von St. Maximin , der sich nicht allein durch seine Schreibart als
einen der besten Darsteller seiner Zeit zu erkennen gibt, sondern
der auch aufserdem eine ungewöbnliche Stellung haben mufste, um
einen so klaren Einblick in den Gang der Dinge zu erhalten und
so zuverlässige Nachrichten sammeln zu können. Dem Erzbischofe
Wilhelm von Mainz mufs der Verfasser nahe gestanden haben, be-
sonders aber dem Mönche Adalbert von St. Maximin, der 961 als
Bischof nach Rufsland geschickt wurde, 966 die Abtei Weifsenburg
im Elsafs erhielt und endlich 968 auf den neuen erzbischöflichen
Stuhl von Magdeburg erhoben wurde, einem Manne also, der kein
gewöhnliches Mönchsleben führte^). Da nun gerade mit diesem Jahre
die Fortsetzung abbricht, so bat W. v. Giesebrecht^), besonders wegen
des Berichtes über Adalberts Geschick in den Jahren 961 und 962,
welchen kaum ein anderer so abfassen konnte, die allgemein ge-
billigte Ansicht*) ausgesprochen, dafs Adalbert selbst als dieser Fort-
^) Herausgeg. von F. X. Kraus in den Jahrb. der Rheinl. XLIV, 167
bis 170, dann von Waitz, SS. XV, 2, 739 — 741 als De calamitate abbaiiae
S. Martini Treverensis ; nicht von Eberwin . aber in den Gesta Ti-ever.
benutzt.
^) Sickel im 1. Ergänzungsband der Mitteil. d. Inst. S. 361 hält ihn
für den Notar Liutolf A, der 953 — 958 und wieder seit 962 in der k.
Kanzlei gearbeitet hat, und diesen wieder der Schrift nach für identisch
mit einem Adalbertus, der 950 in Köln eine Urk. des Erzb. Wicfrid re-
kognosziert (Faks. Kaiserurkunden in Abbildungen, 7. Lief. N. 30). Er
mufs sich dann aus der Kanzlei ins Kloster zurückgezogen haben, wo
wir 959 und 960 als ürkundenschreiber einen Adalbert finden, dessen Stil
mit dem des Notars Liutolf A die gröfste Verwandtschaft aufweist; vgl.
Brefslau, Zum Continuator Reginonis, NA. XXV, 664 — 671. Gegen Sickels
Annahme Uhlirz, Otto IL S. 157 Anm. 20.
^) Geschichte der Kaiserzeit I, 778.
*) Vgl. Dümmler, Otto I. S. 321; H. Isenbart, Ueber den Verf. und
die Glaubwürdigkeit der continuatio Reginonis, Diss. Kiel 1889 (und dazu
Kurze, NA. XVI, 209); Dissertation von Werra (unten S. 411 Anm. 3);
Ausgabe von Kurze S. IX f.; Gundlach , Heldenlieder I, 200; Brefslau,
NA. XXV, 664; Sdralek, Wolfenbüttler Fragmente S. 95 ff.; dagegen nur
Ebert III, 400—401.
Der Fortsetzer des Regino. 411
Setzer der Chronik des Regino zu betrachten sei. Die Ereignisse
in Italien sind ihm ebenso gegenwärtig, wie die lothringischen; er
teilt, wie die Verfasser der alten Reichsannalen, die Gesichtspunkte
des Hofes und ist durchaus nicht in provinzieller Einseitigkeit be-
fangen , was bei einem Mönche wie Widukind , der in seiner Zelle
blieb, kaum anders möglich war.
Adalbert also kam 962 von seiner gefahrvollen und gänzlich
erfolglosen Sendung nach RuI'sland zurück; er fand jetzt beim Erz-
bischofe Wilhelm eine sehr liebevolle Aufnahme „wie ein Bruder
vom Bruder". Wattenbach hat daran die sehr zweifelhafte Ver-
mutung geknüpft'), dafs er wohl wirklich Wilhelms Bruder oder
Halbbruder gewesen sein möge, ein Sohn jener vornehmen Wendin,
welche Wilhelms Mutter war. Denn Männer geringer Herkunft
erhielten damals nicht leicht ein Bistum, weil die stolzen Vasallen
sich ihnen nicht unterordneten, und wir wissen sonst gar nichts
über Adalberts Abkunft. Der Erzbischof befahl ihm, die Ankunft
des Kaisers im Palaste abzuwarten, und er wird sich dort wohl,
trotz seiner Erhebung zum Abte von Weifsenburg, viel aufgehalten
haben; zuletzt begleitete er, wie Uhlirz wahrscheinlich gemacht hat^),
im Spätherbste 967 den jungen Kaiser Otto II. nach Italien, wo er
zum ersten Erzbischofe von Magdeburg erhoben wurde. Dadurch
wird die weitere Fortführung des Werkes verhindert sein.
Es liegt nun ferner die Vermutung nahe, dafs der Erzbischof
Wilhelm es war, welcher, dem Beispiele seiner Vorgänger folgend,
den Anlafs zu diesen Aufzeichnungen gab. Vor der Heimkehr aus
Rufsland können wir den Anfang nicht ansetzen, weil nirgends vor-
her die Aufzeichnung als gleichzeitig erscheint, vielmehr die Kennt-
nis späterer Vorgänge vorausgesetzt wird ; ja, wie Werra ^) bemerkt,
setzt sogar noch, was zu 964 über den Grafen Udo geschrieben ist,
dessen Unternehmen im Jahre 966 voraus. Es bedui'fte also zur
Anknüpfung an die Chronik des Regino schriftlicher Hilfsmittel,
und als solches diente vorzüglich ein uns nicht mehr erhaltenes
Exemplar der Reichenauer Annalen , reichhaltiger als das uns be-
kannte und kenntlich durch die Benutzung desselben Exemplars in
Hermanns Chronik'*). Sonst ist aul'ser St. Maximiner Klosternach-
') Einleitung zur Uebereetzung (1890) S. VII. Vgl. Brefslau, NA. XXV,
671 und Uhlirz, Otto IL S. 156 Anm. 19 , dem Brefslaus Einwand ent-
gangen ist.
*) Gesch. d. Erzbistums Magdeburg S. 56; Otto II. S. 156.
^) Jos. Werra, Ueber den Continuator Reginonis. Diss. Lips. 1883.
*) So nach W. Erben, NA. XVI, 613—622, der mit Recht die Be-
nutzung der Ann. Laubac. und Sangali. abweist. Besonders beachtens-
412 111- Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
richten u. a. von Fr. Kurze die Benutzung jener oben S. 263 er-
wähnten Fulder Annalen nachgewiesen ') , die bis 939 gereicht zu
haben scheinen und an deren Stelle er jetzt Mainzer Annalen setzen
möchte. Die Erzählung wird nun immer ausführlicher und gestaltet
sich zu einer wirklichen, wenn auch sehr knapp gehaltenen Reichs-
geschichte , ganz in der Weise der alten Reichsannalen. Der Ver-
fasser konnte aus eigener Erfahrung schöpfen ; Mitteilungen kundiger
Zeitgenossen und Berichte, besonders über die Vorgänge in Italien
an den Kaiserhof, werden ihm nicht gefehlt haben, und eben des-
halb berührt er sich hierin mit dem Bischöfe Liudprand von Cre-
mona, der aus den gleichen üeberlieferungen schöpfte-). Für den
Zeitraum von 960 bis 967 ist keine andere Quelle damit zu ver-
gleichen ^).
Unter den Suffraganen von Trier ist besonders Metz ausge-
zeichnet durch wissenschaftliche Thätigksit unter einer Reihe treff-
licher Bischöfe, welche den Glanz von Chrodegangs Zeiten erneuten.
Nachdem der von König Heinrich 927 eingesetzte Schwabe Benno
wert ist die Bemerkung zum Jahre 938, wo mit Hermann „Arnulf statt
„Eberhard" gesetzt, und Eberhard von Bayern ganz aus der Geschichte
gestrichen wird . vgl. jedoch v. Ottenthai. Reg. des sächs. Hauses S. 45.
Ueber andere Mifsverständnisse Adalberts vgl. Parisot , Royaume de
Lorraine, Paris 1899, S. 594. Kurze im NA. XXIV, 445—451.
^) Dieterich, Geschichtsquellen d. Klosters Reichenau S. 193 ff. , sieht
in Adalbert auch den Verfasser der zweiten Redaktion der Compilatio
Fuldensis.
^) E. V. Ottenthai hat sich in den Mitteil, des Inst. Ergänzungsbd. IV,
32 — 76, viele Mühe gegeben, nachzuweisen, dafs die Nachrichten über die
Einwirkung des Kaisers Otto auf den päpstlichen Stuhl bei dem Cont.
Regln., Liudprand, Benedict von St. Andrea und im Liber pontific. so
viel Uebereinstimmung zeigen, dafs eine gemeinsame Quelle angenommen
werden müsse. Als solche vermutet er ein ausführliches Rundschreiben
der Synode vom Juni 964. Aber auch schon Ranke (Weltgesch. VIII,
651 — 655) wies die Aehnlichkeit von Liudprands Hist. Ottonis mit der
Darstellung des Cont. Regln, nach, neben erheblichen Verschiedenheiten,
und erschlofs als Grundlage eine offizielle Relation (S. 650), abgefafst
von Liudprand zu einem Rundschreiben für die deutschen Bischöfe.
Ebenfalls auf ein Rundschreiben des Kaisers als gemeinsame Grundlage
jener vier Quellen verwies Kortüm in einer Rostocker Dissert. von 1899,
Das Verwandtschaftsverhältnis der vier Hauptquellen für den Römerzug
Ottos I. Am meisten überzeugend hat jedoch K. Sackur dargelegt
(Strafsburger Festschrift zur Philologenvers. 1901 S. 249 — 256), dafs die
gleichzeitige Anwesenheit Adalberts und Liudprands am Kaiserhofe und
ihr mündlicher Verkehr jene Aehnlichkeit genügend erkläre.
^) Continuator Reginonis ed. Pertz, MG. SS. I, 614—629 und eine Er-
gänzung zum Jahre 967 SS. VI, 620. Neue Ausg. von Fr. Kurze 1890;
vgl. NA. XV, 324—3.30 und XXIV, 451—455, wo Berichtigungen zur
handschriftl. Ueberlieferung. Uebersetzung von Büdinger 1857; 2. Ausg.
1890. Geschichtschr. 28 (X, 1).
Mete. Das Kloster Gorze. 413
im folgenden -lahre von seinen Feinden geblendet war, gelang es
Adalbero I. (929—962), nach seiner anfänglichen Beteiligung an
der Verschwörung von 939 eine gesicherte Wirksamkeit zu gewin-
nen'). Von hier besonders ging durch eigenen inneren Antrieb die
Klosterreform aus, hier zuerst fafste sie festen Boden und ver-
breitete sich dann auch weiter zu entfernteren Klöstern : diese Er-
neuerung von unten auf und von innen heraus , welche allein für
die Wirksamkeit des Erzbischofs Bruno eine dauernde Grundlage
gewähren konnte. Die Bischöfe Adalbero und Dietrich beförderten
die neue Richtung und die Thätigkeit der Männer, die sie haupt-
sächlich vertraten , auf alle Weise , und bald sehen wir die loth-
ringischen Klöster aus tiefem Verfalle sich zu einer neuen und
dauernden Blüte erheben.
Der Mittelpunkt dieser Bestrebungen war lange Zeit das Kloster
Gorze in der Nähe von Metz, wo der Abt Eginold (933—959)2)
mit gi'ofser Anstrengung und Aufopferung die Zucht hergestellt
hatte, und nach ihm sein Freund und Genosse Johannes als Abt
(960—974)^) eine sehr einflvifsreiche Stellung einnahm, und die neue
strenge Zucht nach allen Seiten verbreitete''). Schon 941 hatte
Bischof Adalbero mit König Ottos Hilfe aus dem Arnulfskloster
zu Metz die zuchtlosen Kanoniker vertrieben, und unter dem neuen
Abt Arbert, einem Mönche von Gorze, die Benedictinerregel ein-
geführt. Dann war es der Abt Johannes von St. Arnulf, welcher
lange Zeit der Freund des Abtes Johannes von Gorze und der Ge-
nosse seiner Wirksamkeit war; und dieser unternahm es nach dem
Tode desselben , sein Leben zu beschreiben , und begann die Aus-
führung dieser Aufgabe mit besonderer Liebe und gutem Erfolge,
wenn auch nicht mit stilistischer Glätte. Die Wiedergeburt des
Klosterwesens in Lothringen liegt uns darin in sehr ausführlicher
Schilderung vor; weiterhin gewinnt dieses Werk noch eine ganz
eigentümliche geschichtliche Wichtigkeit dadurch, dafs Johannes es
war, welcher im Jahre 953 sich bereit finden liefs, für den König
Otto als Gesandter zum Kalifen Abderrahman IIL nach Cördova
sich zu begeben. Auch diese Reise ist hier sehr ausführlich be-
schrieben, leider aber bricht unser Text mitten in dieser ebenso
') Vgl. Wichmann. Adalbero B. v. Metz, Jahrb. f. lotbring. Gesch.
III, 104.
2) „Obitus Ainokli abbatis,'' von dem Herausgeber verkannt, findet
sich auch unter dem 19. Aug. im Necrol. S. Galli (MG. Necrol. I, 479).
3) Nach Dümmler. Otto I. S. 280, starb er am 7. März 974.
■*) Ueber die Klosterreform vgl. Dümmler, Otto I. S. 303 — 306 ; Sackur,
Cluniac. I, 141 ft'.
414 ni. Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
merkwürdigen wie anziehenden Darstellung ab; das übrige ist ver-
loren, vielleicht auch die zu ausführlich angelegte Arbeit nie ganz
fertiggestellt worden. Schon einmal, im Jahre 978, als ein bedeuten-
der Teil vollendet war, hatte der Verfasser sie unterbrochen, und es
bedurfte des Zuspruches der Bischöfe Dietrich von Metz und Folkmar
von Utrecht, um ihn zur Fortsetzung zu bewegen; ob er sie aber
wii'klich zu Ende geführt hat, ist zweifelhaft und kaum wahrschein-
lich, zumal da er vor 984 gestorben ist^).
Pertz hat dem Abte Johannes von Gorze verschiedene Werke
zugeschrieben, die Miracula S. Gorgonii, Vita und Miracula S. Glo-
desindis, endlich auch Vita Chrodegangi; allein die genaue Unter-
suchung von Walther Schultze^) hat ein ganz anderes Verhältnis
wahrscheinlich gemacht. Zunächst ist nachgewiesen, dafs einzelne
Erzählungen der Mirac. S, Gorgonii mit der Vita Johannis Gorziensis,
andere mit der Vita Chrodegangi so weit übereinstimmen, dafs eine
gemeinsame Quelle anzunehmen ist ; doch scheinen dies nur klöster-
liche Ueberlieferungen gewesen zu sein, während man an schriftliche
Aufzeichnungen nicht denken darf. Die uns erhaltenen Miracula
S. Gorgonii^), die Wunderthaten des Schutzheiligen, der schon
von Chrodegang im Jahre 765 nach Gorze gebracht war, sind um
das Jahr 965^) von einem Gorzer Mönche verfafst, der als Augen-
zeuge von dem Aufstande des Herzogs Konrad berichtet, zu einer
Zeit, da der Abt Johannes in Spanien war. Dagegen sind die Vita
S. Glodesindis und die Miracula S. Glodesindis '') um 9b3
mit grofser Vorliebe für Adalbero von einem Abte Johannes ver-
fafst, der in der Historia S. Arnulfi als der von St. Arnulf be-
zeichnet ist, und es liegt kein Grund vor, an dieser Nachricht zu
zweifeln. In der Vita Johannis Gorziensis hat er diese seine
') Vita Johannis Gorziensis, ed. Pertz, MG. SS. IV, 335—377. Die
Sendung nach Cördova (Vit. Joh. Gorz. 115 — 136) übersetzt von Gund-
lach , Heldenlieder 1 , 550 — 572. Vgl. W. Giesebrecht , Geschichte der
Kaiserzeit I, 506 ff. 784. 842; Mathieu, De Joh. abb. Gorz. vita, Nancy
1879. Dafs die Vita unvollendet blieb, sagt der Verf. der Hist. S. Arnulfi
aus dem 13. Jahrhunderte, für dessen Glaubwürdigkeit Walther Schultze
eintritt, Forschungen z. Gesch. d. Klosterreform (Diss. Hai. 1883) S. 40
und NA. IX, 507. Ein Gedicht auf Paulus und Seneca aus St. Arnulf
in den Bresl. philolog. Abhandl. II. 3, 63 — 64.
2) War Joh. von Gorze hist. Schriftsteller? NA. IX, 495—512. Vgl.
Sackur, Cluniac. II, 359—361.
3) Miracula S. Gorgo7iii MG. SS. IV, 235. 238—247.
*) Die Richtigkeit dieser Datierung schützt Sackur, Cluniac. II, 359
Anm. 2.
^) Miracula S. Glodesindis bei Mab. IV, 1, 436; Auszüge MG. SS. IV,
236—238; XXIV, 506 Anm. Vita S. Glodesindis Migne CXXXVII, 211—218.
Johannes von Gorze. Johannes von St. Arnulf. Kaddroe. 415
frühere Schrift benutzt und die Erzählung etwas erweitert; ebenso,
wie es scheint, die Miracula S. Gorgonii. In beiden finden sich
mancherlei historische Nachrichten, namentlich über die Kloster-
refonn im Sprengel von Metz.
Was schliefslich die Vita Chrodegangi') betrifft, welche
uns nur unvollständig erhalten ist, so könnte sie allenfalls von
Johannes von Gorze herrühren ; sie ist aber mit einem grofsen
Phrasenschwiille ausgestattet und nach allen Regeln der Rhetorik
gearbeitet, was nicht zu der mangelhaften Schulbildung des Abtes
Johannes pai'st, und Sackur will sie lieber dem 9. als dem 10. Jahr-
hunderte zuschreiben. Sie ist übrigens nur aus denselben Quellen
geschöpft, die auch uns zu Gebote stehen, und reiht sich daher
den zahlreichen Umschreibungen alter Heiligenleben an, welche
durch die höheren Anforderungen der gebildeteren Nachfolger hei--
vorgerufen wurden.
Eine kräftige Stütze hatte das Kloster Gorze an seinem Schirm-
vogte Sendebald, Grafen von Toul, dem nach seinem Tode eine
ausführliche dankerfüllte Grabschrift in ungewöhnlich guten Hexa-
metern gewidmet wurde-).
Zu dem Kreise dieser Reformatoren gehört auch der Schottenabt
Kaddroe, der zuerst in Waulsort im Sprengel von Lüttich einem
Landsmanne als Abt folgte, von da aber durch Adalbero an das
Kloster der heiligen Felix und Clemens nach Metz berufen wurde.
Sein Leben ist auf Veranlassung des Abtes Immo^) bald nach seinem
Tode beschrieben worden^). Ihn und seinen Nachfolger Fingen
(t 1004) und die Bischöfe, welche die Klöster und die Klosterzucht
herstellten, Adalbero I. und Adalbero IL, preist ein Gedicht in
') Vita Chrodegangi ed. Pertz, MG. SS. X, 552—572. Pertz, Ueber
die Vita Chrodegans^i in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1852,
S. 507 ff. Ebert III, 469. Sackur, Cluniac. II, 359 A. 1 ; ein Anzeichen
für höheres Alter auch bei Traube, Textgescbichte d. Regula S. ßenedicti
S. 728. Epitaphium Chrodeganyi Poet. Car. I, 108.
^) Herausgeg. von Dümmler , Zeitschr. f. ü. Alt. XVIII , 306 ; von
Val. Rose, Lat. Meerman-Hss. zu Berlin S. 241. Die Hs. (Berlin, Phill.
1877), eine der bekannten Martinsammlungen, in der diese Verse nach-
getragen sind, stammt aus Tours und wurde laut einer spätei-en Inschrift
(bei Rose S. 288) von B. Dietrich an S. Vincenz in Metz geschenkt.
') Immo ist entweder der Abt von Gorze (Sackur, Cluniac. II, 361)
oder der von Waulsort (L. v. Heinemann, SS. XV. 2, 689).
'') Vita Kaddroae ahb. ed. G. Henschen, Acta SS. Mart. I, 474. Mab.
V, 489. Auszüge MG. SS. IV, 483 und XV, 2, 6«9. Ueber die Glaub-
würdigkeit der Vita vgl. Sackur. Deutsche Zeitschr. f. Geschichtsw. II
(1889) S. 342 Anm. 1 u. Cluniac. II, 361 f. Kaddroes Todesjahr ist unsicher,
978 nach Sackur, Cluniac. I, 185 Anm. 1. und Scheffer-Boichorst , Zur
Gesch. des 12. u. 13. Jahrh. S. 357.
416 III. Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
noch recht roher und mangelhafter Form, welches vorzüglich dem
Ruhme des heiligen Clemens gewidmet ist').
Wir erwähnten schon, dafs der Bischof Dietrich I. von Metz
(965 — 984), ein Schwestersohn der Königin Mahthild, der aus der
Schule des Erzbischofs Bruno stammte-), nicht minder als Adalbero
bemüht war, seinen Sprengel in jeder Beziehung zu verherrlichen;
er beförderte eifrigst die Klosterreform, und seinen Aufenthalt mit
dem Kaiser in Italien 970 benutzte er, um, mit unersättlicher Gier
und in den Mitteln nicht wählerisch, zahlreiche Heiligenleiber für
Lothringen zu erwerben. Zugleich nahm er auch in der politischen
Geschichte der Zeit eine sehr bedeutende Stellung ein ; sein Ruf war
auswärts nicht der beste, Habsucht wurde ihm vorgeworfen; und
seine Untreue gegen Theophano, sein Abfall von Otto III. befleckten
seine letzten Jahre und gaben Gerbert, wenn er der Verfasser ist,
Anlafs, sein Verhältnis zu Karl von Lotbringen in einem für beide
Teile gleich anzüglichen Briefwechsel zu behandeln^).
Seinen Aufenthalt in Italien scheint Bischof Dietrich aber auch
zu einer anderen Erwerbung benutzt zu haben, nämlich zur Erwer-
bung der hinterlassenen Werke des Bischofs Liudprand von Cremona.
Dieser soll, nach einer freilich ganz unsicheren Nachricht, an der
Gesandtschaft teilgenommen haben , welche 971 die Kaiserbraut
Theophano empfing, und auf dieser Reise gestorben sein. Dietrich,
der griechischen Sprache nicht unkundig, war zum Empfange der
Prinzessin 972 entsandt. Nun enthält aber, wie Fr. Koehler nach-
gewiesen haV), eine Metzer Handschrift des 10. Jahrhunderts aus
St. Ai-nulf Excerpte griechischer Stellen aus Liudprands Schriften
mit der Uebersetzung, und es ist wahrscheinlich, dafs in Metz auch
die Abschrift angefertigt ist , welche bisher irrig als Autograph
Liudprands betrachtet wurde '^).
') Bis jetzt ist nur das Ende gedruckt, von Diimmler. ISA. V, 433
bis 437; Verbesserungen NA. XI, 643.
^) Vgl. über ihn Diimmler, Otto I. S. 374; Reufs, B. Theoderich von
Metz , Eilenburg 1382. Die Grabschrift Dietrichs aus einer Metzer Hs.
(jetzt Berlin Phill. 1711), in der er als Verwandter des Kaisers Otto ge-
feiert wird (cuius consiliis iura dedit populis) im Catalog. Claromontan.
p. 173 und bei Rose, Lat. Meerman-Hss. S. 226. Andere Verse auf ihn
in der Metzer Hs. 215 (Catal. des bibl. des dep. V, 95) mit dem Schlüsse:
me referente seiet Francorum regia cortis.
^) Olleris, Oeuvres de Gerbert, p. 19 ff. und p. 25—32 d. Ausg. von
Havet, welcher aber nicht an die Autorschaft Gerberts glaubt. Diese
Briefe finden sich auch im Cod. ep. Lauresham., vgl. NA. III, 328. 340.
*) Neues Archiv VllI, 78.
•') Rose (Lat. Meerman-Hss. S. 77) nimmt an, dafs der schöne Codex
der Predigten des Egino (B. v. Verona, f 802) und des Ratherius (jetzt
Dietrich uiul Adalbero II. von Metz. 417
Die Stiftung des Vincenzklosters auf einer Moselinsel vor der
Stadt trug Dietrich auch eine Hiographie ein'), welche aber nicht
von einem Zeitgenossen, sondern erst ein Jahrhundert später von
Sigebei't von Gerabloux verfalst ist. Aufgenommen ist darin ein
gleichzeitiger Bericht über die von ihm erworbenen Reliquien,
welcher sich auch abgesondert erhalten hat"). Auch das Kloster
Epinal an der Mosel im Touler Sprengel geht auf ihn zurück').
Glücklicher war sein nicht minder ausgezeichneter Nachfolger
Adalbero II. (984 — 1005), der diese Wirksamkeit in entsprechen-
der Weise fortsetzte: er fand einen ganz vortrefflichen Biographen
an Constantin, dem Abte des von ihm wiederhergestellten
Scliottenklosters St. Sj-mphorian zu Metz''). Ein poetisches Epi-
taphium, worin der Bischof gar sehr gepriesen wird, verfafste Con-
rad im Kloster Saint-Avold (Sancti Naboris) und überreichte
es mit anderen Versen seinem Abte Ratram : beides steht in einem
Codex des Prudentius (Paris lat. 8088), den er schön eingebunden
und mit Randglossen versehen hatte, wofür er dieses Buch in einem
dritten Gedichte sich bedanken läist: so schön sei nicht einmal
der Lucan geziert, den Constantin binden liefs. Diesen Conrad,
von dem es nicht sicher ist, dafs er Mönch war, hält L. Delisle
für den Metzer Az'chidiaconus des Namens, welcher auf dem Wege
nach Italien die eifrigen Studien der Klosterfrauen in Zürich kennen
gelernt hatte und zugleich ihren Kummer, dafs der erste Band von
Gregors Moralien ihnen fehle; heimgekehrt übersandte er ihn mit
einem artigen Briefe'^). Doch ist diese Gleichsetzung nicht wahr-
Berlin Phill. 1676) gleichfalls von Dietrich aus Italien mitgebracht
worden sei.
^) Mta Deodericl Mettensis auctore Sigeherto Gemblacensi ed. Pertz,
MG. SS. IV, 461—484. Der p. 477 angeführte ,quidam de neutericis"
ist Heirieh v. Auxerre. Verbesserungen von Heerwagen, Forsch. VIII,
382. Erklärung einzelner Stellen von Dümmler, Otto I. S. 46(i. 483. 491.
^) L. d'Achery, Spicileg. V, 139 — 146. Von Dietrich an St. Vincenz
geschenkte Hss. sind Metz 48, Berlin Phill. 1622 (Rose a. a. 0. S. 30) u.
Phill. 1877 (vgl. oben S. 415 Anm. 2).
') Eine Hs. der Vita S. Goerici Mett. ep. ("y 642 oder 643, Acta SS.
Sept. VI, 48—54) aus Metz, jetzt in Berlin Phill. 1874 (Rose, Lat. Meer-
man-Hss. S. 252) enthält eine Nachricht über die Gründung des Klosters
Epinal.
■•) Vita Adalberonis II. Mettensis episcopi auctore Constantino abbate
ed. Pertz, MG. SS. IV, 658—672; geschrieben um das Jahr 1015. Ueber
Adalbero-; Todesjahr 1005 (14. Dez.) Brefslau im Jahrb. für Lothring.
Gesch. VI (1894), 283—286; Hauck 111, 402 A. 5. Eine bittere Klage
gegen Dietrich II., den Nachfolger des Nobilis Ursus (= Adalbero) bei Val.
Rose, Lat. Meerman-Hss. S. 9.
°) Das Epitaph, die Widmung an Ratram und die Verba libri bei
Wattenbacli, Geschichtsquellen. I. 7. Autl. 27
418 III- Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
scheinlicb, da jener Conrad allem Anscheine nach vielmehr identisch
ist mit Cuono, Klosterlehrer in St. Avold, von dem sich auch andere
Verse auf einen von einem Uhu getöteten Pfau erhalten haben 0-
Solche Schullehrer wurden aber nicht Archidiaconen.
Um dieselbe Zeit schrieb auch ein Mönch im Kloster Horn-
bach im Sprengel von Metz ein Buch über das Leben des heiligen
Pirmin-), der im 8. Jahrhunderte das Kloster gestiftet hatte, und
widmete sein Werk dem Erzbischofe Ludolf von Trier (994; — 1008).
Es ist nur eine stilistische Bearbeitung der älteren, schon oben
S. 154 erwähnten Vita ohne geschichtlichen Wert, vielleicht, wie
schon Mone vermutete, von dem Abte Garemann von Hornbach
(f 1008) verfafst^). Dagegen enthalten die von Mone zuerst bekannt
gemachten Wunder^) (bis 1012) einige geschichtliche Nachrichten,
namentlich über Heinrichs IL Zug nach Lothringen im Jahre 1009;
sie sind von einem Hornbacher Mönche hinzugefügt. Hier wurde
auch zur Zeit Ottos H. vom Schreiber Eburnant ein prächtiges
Sakramentar für den Abt Adalbert hergestellt, mit Widmungsbildera
und Vei*sen°).
So entwickelte sich in Metz jener den Lothringern besonders
eigene Sinn für Lokalgeschichte, der sich in Biographien, Kloster-
chroniken und Schriften zur Verherrlichung der Ortsheiligen in grofser
Fülle kundgegeben hat, aber erst im folgenden Zeitalter zu voller
Entfaltung kommt.
Schliefslich ist noch ein Mönch jenes schon erwähnten Klosters
des heiligen Symphorian zu nennen, der aber nur einen Teil seines
Lebens im Metzer Sprengel verbrachte, Alp er t nämlich, der, an das
Werk des Paulus Diaconus anknüpfend, eine Geschichte der
Pertz, MCt. SS. IV, 672; die Verba libri auch bei Delisle, Cabinet des
xnanuscrits: II. 401. Der Brief bei G. v. Wyfs, Gesch. der Abtei Zürich,
Beilagen S. 37, N. 37.
') Breslauer Philolog. Abhandl. II , 3 S. 73—74. In derselben Hs.
akro-, meso- und telestichische Gedichte eines Hatto miser an einen Abt
Hardolfus.
2) Vita S.Pirminii, Mab. III, 2, 140—153: Acta SS. Nov. II, 35—47;
nur der Prolog MG. SS. XV, 20. Vgl. Mone, Quellens. I, 36—38 ; Stalin
I, 168; Rettberg II, 52. Ueber die geschichtl. Verhältnisse vgl. K. Brandi,
Die Reichenauer Urkundenfälschungen (1890) S. 102 flP.
2) De Smedt erklärt sich wieder mit Mabillon für Wannann, späteren
B. von Konstanz (1026—1034), als Verfasser; Acta SS. Nov. II, 5.
*) MiracuJa S. Firminii Hornbaceni<ia , Mone, Quellens. I, 45—50;
Holder-Egger, MG. SS. XV, 31—35; de Smedt, Acta SS. Nov. II, 50-54.
*) Herausgeg. von Dümmler, NA. X, 344. Vgl. Delisle, Sacram.
p. 190; Sauerland und HaselofF, Ps-alter Kgberts v. Trier S. 123 f. Ueber
diesen Abt Adalbert, den Wiederhersteller des Klosters Zell, vgl. Falk
im NA. XXIII, 557—561.
Hornbach. Alpeit von Metz, rtrecht. 419
Bischöfe von Metz') verfafste, von der leider nur zwei Bruch-
stücke erhalten sind. Er widmete sie dem Abte Constantin. Später
aber kam er in den Utrechter Sprengel, und zwar nach Molls Ver-
mutung-) in das um diese Zeit von Bischof Ansfrid (995 — 1010)
gegründete Kloster bei Amersfoort. Es gibt nämlich eine aus Alperts
Werk abgeschriebene Vifa AnsfridP), die einem monachus Ultraiec-
tinus S.Pauli zugeschrieben wird; nach St. Paul aber wurde 1050
Amersfoort verlegt. Sehr möglich ist es, dal's die Aussendung einer
Mönchskolonie Alperts Umsiedelung veranlafste. An der neuen
Stätte schrieb er um 1022 sein Buch über den Wechsel der
Zeiten '), worin er in bunter Mannigfaltigkeit von allerlei Vorfällen
aus diesen Gegenden mit grofser Lebendigkeit erzählt: ein Vorrat
geschichtlichen Stoffes ohne bestimmte Ordnung, der um so will-
kommener ist, da wir sonst nur wenig Kunde von diesem entlege-
neren Teile des Reiches besitzen. Seinen Stil hat er besonders nach
Caesar gebildet. Er übersandte das Werk dem Bischöfe Burchard
von Worms, bei dem sein Bruder Immo Diaconus war. An den-
selben Immo schickte auch der bald zu erwähnende Gustos Tielensis
sein Werk. Immo scheint dann an den Kaiserhof gekommen zu sein
und wurde um 1036 Bischof von Arezzo ; in der Lorscher Brief-
sammlung sind Briefe von ihm und an ihn erhalten^).
In Utrecht, dem von den Normannen durch Jahrzehnte schwer
heimgesuchten, folgte auf Radbod (f 917) Bai der ich, der Her-
steller des Bistums*^); ihm wurde der Königsobn Bruno zur Er-
') Alperfi de episcopi.s- Metteiisibus Ubelhis ed. Pertz, MG. SS. IV, 696
bis 700. Abgedruckt, übersetzt und erklärt von Andr. Dederich, Mün.ster
1859. Ueber Benutzung von Caesars Bell. Gall. und anderen Vorbildern
in seinen Werken Manitius, NA. XIll, 203—208.
-) Kerkgeschiedenis II. 2, 843.
•=) Acta SS. Mai. I, 428.
*) Älpet-ti de diversiiate temponiw libri II ed. Pertz, MG. SS. IV, 700
bis 723. Mit Uebersetzung u. Comment. herausgeg. von Dederich, vgl.
oben Anm. 1. Giesebrecht II, 557. Zu seinen Quellen gehört das von
Dümmler in Briegers Zeitschr. f. Kirchengesch. I (1877) , 446—450 ab-
gedr. Stück: Jüdische Proselyten im Mittelalter (I, c. 7. II, c. 22 — 24);
vgl. Aronius, Regesten d. Geschichte d. Juden im fränk. Reiche n. 147.
5) Vgl. P. Ewald, NA. III, 824. Brefslau, Konrad II. Bd. II S. 581
bis 530. Als Bischof von Arezzo wird er erwähnt in der merkwürdigen
Kapitelschronik, NA. V, 449.
^) Seinen Brief von 934 an den Erzb. v. Köln (bei Wilhelm Heda S. 75)
nimmt Moll I, 271 gegen Zweifel in Schutz. Bei dems. S. 530 u. MG.
SS. XV, 571a die Grabschrift seiner Eltern. Unechte Urk. von ihm
mit Aufzählung seiner Verdienste um die Herstellung des Stifts bei
S. Muller, Het oudste Cartular. van het Sticht Utrecht S. 222, vgl.
S. LI f. Von Waitz, Heinrich I. (8. Aufl.) S. 94 ist die Urkunde zu
günstig beurteilt.
420 ni. Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
Ziehung anvertraut. Er erneute die verwüsteten Kirchen und erhob
viele Leiber der Heiligen, holte auch 964 aus Veuves an der Loire
Reliquien^); seine Grabschrift in der Martinskirche rühmte von ihm:
Traiectina feris urbs Denis versa latebat,
Baldricus priscuin reddidit ipse decus,
Auspicio cuius iam Pontius, Agna, Benignus
Conservant urbem, fulget et ecclesia^).
Es läfst sich erwarten, dafs er in seiner langen Amtsführung
(bis 976) wissenschaftliche Thätigkeit begünstigt haben werde, wie
ihm auch Hukbald sein Leben des heiligen Lebuiu und Hukbalds
Schüler Judio Distichen über das Werk seines Lehrers widmeten^);
Wolbodo stand der Schule vor, bis er 1018 Bischof von Lüttich
wurde, aber Erzeugnisse von Utrechter Gelehrten aus dieser Zeit
haben sich, abgesehen von dem schon (objn S. 321) erwähnten Leben
Radbods, nicht erhalten. Von Bischof Adalbold werden wir bald
zu reden haben.
Auch aus Verdun verlautet aus dieser Periode nichts, mit
Ausnahme der Bistumsgeschichte von Berthar, deren wir schon
(oben S. 321) gedachten, weil sie nur bis auf die Zeit des Kaisers
Arnulf reicht. Der Bischof Wikfrid (959 — 984), ein geborener Bayer,
war zu Köln in Brunos Schule gebildet, Heimo (991 — 1024) unter
Notker von Lüttich. Aus St. Vannes wurde bald nach 962 der
heilige Firminus, ein alter Bischof von Verdun, nach Plavigny über-
tragen und erfüllte die auf ihn gesetzten Erwartungen, indem er
von zahlreichen Wallfahreim aufgesucht wurde und der Ruf seiner
Wunderthaten sich verbreitete. Aus den umfangreichen Aufzeich-
nungen von drei Verfassern im 10. und 11. Jahrhunderte, von denen
der erste Mönch von St. Vannes war, hat Holder-Egger Auszüge
mitgeteilt^).
^) Tranf>latio SS. Beniqni et Agnetis, Acta SS. Jan. II, 357 — 360. Aus-
zug MG. SS. XV, 1, 571c.
') Kraus im Jahrbuch d. Altertumsfr. im Rheinland L, 201, der v. 2
irrig „illi" statt des überlieferten „illa" schrieb, wofür Wattenbach „ipse"
vermutet. Auch hat Kraus fälschlich ..Agna" in „Agnes" geändert. Es folgt
noch: „Obiit a. 977 cum vixisset (leg. rexisset) 59." Aehnlich aus dem
alten Katal. in Bijdragen en Mededeelingen XI. 490, wo auch S. 489 das
eben erwähnte Epitaph seines Vaters Ricfrid. Doch ist die Grabschrift
Balderichs schwerlich alt.
^) Ueber die Widmung Hukbalds in einer Werdener. jetzt Berliner
Hs. vgl. Val. Rose, Verzeichnis der lat. Hss. zu Berlin II, 850; Judios
Verse gab aus derselben Hs. heraus P. v. Winterfeld, Poet. Gar. IV,
274—275.
*) Ex TransJatlone et Miracitlis S. Firmini FlaviniaceiisibuSj SS. XV,
Utrecht. Verdun. Toul. 421
In dem Kloster S. Mihiel an der Maas lehrte am Anfange dieser
Pei'iode der Gi-ammatiker Hildebold, ein Schüler des hochgefeierten
Remigius. Johannes von Gorze wurde seiner Zucht anvertraut,
äufserte sich aber ziemlich ungünstig über die Kenntnisse seines
Lehrers (Vita c. 10).
Auch Toul besal's an Gerhard (963 — 994), einem Schüler
Brunos, einen jener ausgezeichneten Bischöfe, welche die Zeit der
Ottonen zieren ; er wurde später als Heiliger verehrt, und der Abt
Wider ich von St. Evre beschrieb sein Leben, jedoch erst lange
nach seinem Tode unter der Regierung Heinrichs III. Mit der
Klosterreform hatte schon sein Vorgänger Gauzlin (922 — 963) be-
gonnen; angeregt durch die vom Abt Odo von Cluny zu Stande
gebrachte Reform des Klosters Fleury hatte er 936 das Kloster
St. Evre (S. Apri) hergestellt und eine Schule darin errichtet, zu
deren Leitung er den noch jugendlichen Mönch Adso') berief, welcher
in Luxeuil seine Bildung erhalten und sich bereits durch seine Ge-
lehrsamkeit einen Namen gemacht hatte. Nicht ohne heftige Kämpfe
konnte eine solche Reform durchgeführt werden , und in St. Evre
wurden dieselben in einem höchst eigentümlichen Gedichte dar-
gestellt, der Ecbasls cajMvi, in einer der Tierfabel entlehnten Ein-
kleidung''). Bald aber konnten die Mönche von St. Evre schon dem
heruntergekommenen Kloster Montierender (monasterium Der-
vense) im benachbarten Sprengel von Chälons-sur-Marne aufhelfen.
Dieses war schon einmal nach gänzlichem Verfalle unter Ludwig dem
Frommen 827 durch den Abt Hauto von Stablo hergestellt, aber nach
wiederholter Verwüstung durch Ungern und Normannen wieder völlig
verwildert. Jetzt sandte Gauzlin Mönche von St. Evre unter dem
Abte Alberich hin, und dieser nahm auch Adso mit sich, welcher
ihm 967 oder 968 als Abt folgte. Befreundet und im regen Verkehre
mit Adalbero von Reims und Gerbert, mit Abbo von Fleury und
2, 803 — 811. Vollständig bei Calmet, Hist. de Lorraine III (nouv. edit.
a. 1748) p. CCCXXXVII bis CCCLXXII.
') Ueber Adso im allgemeinen Sackur, Cluniac. I, 176 ff. und II, 362.
^) Ecbasis captivi, Ausgabe von Jak. Griium, Lat. Gedichte des 10. u.
11. Jahrhunderts, Göttingen 1838; neue Ausgabe von E. Voigt, Strafs-
burg 1875 (Quellen u. Forschung, z. Sprach- u. Kulturgesch. d. germ.
Völker VIII). Vgl. A'oigt i. Jahresber. d. Berl. Friedrichs-Gymn. 1874;
Zamcke (gegen Entstehung in St. Evre). Berichte der sächs. Gesellsch. d.
Wissensch. 1890, S. 109 — 126; Peiper, Anzeiger f. deutsches Altertum II
(1876), S. 87-114; Traube, Zeitschr. f. deutsch. Altert. XXXII (1888),
S. 389. Piper in Kürschners D. National-Litteratur I, 289. Kelle, Gesch.
d. deutschen Litteratur I, Berlin 1892, S. 209—213. Ueber Benutzung
Fortunats darin Manitius, NA. XII, 592.
422 ITI. Ottonen. § 7. Lothringen. Köln. Trier. Metz.
anderen hervorragenden Männern der Zeit, war er für Herstellung
kirchlicher Zucht mit Erfolg thätig, bis er endlich 992 auf einer
Pilgerfahrt nach Jerusalem seinen Tod fand'). Schon früh (vor 954)
hat er auf den Wunsch der Königin Gerberga eine Schrift über den
Antichrist verfalst"), und wahrscheinlich auch auf Bitten des Abtes
Odo von Moutier-la-Celle das Leben und die Wunder des Bischofs
Frodobert von Troyes, des Begründers dieses Klosters^). Auf
Bischof Gerhards Wunsch beschrieb er das Leben des heiligen Man-
suetus, dessen Kloster Gerhard hergestellt hatte. Wert haben nur
die hinzugefügten Wunder durch einige geschichtliche Nachrichten.
Dasselbe gilt von dem Leben und den Wundern des heiligen Basolus,
welche Gerbert und Adso, Abt von St. Basle, von ihm erbeten hatten,
und von einem ähnlichen Werke über den heiligen Aper, dessen Autor-
schaft Waitz ihm abspricht, das aber um dieselbe Zeit, nach der
Translation von 978 geschrieben ist. Ein Buch über die Wunder
des heiligen Waidebert, Eustasius' Nachfolger, würde seine Anhäng-
lichkeit an Luxeuil bezeugen, wenn er wirklich der Verfasser wäre,
doch ist dies sehr fraglich. Zuletzt nahm er noch den heiligen
Bercharius vor, den Stifter seines Klosters, aber er hinterliefs diese
Aufgabe unvollendet; die Beschreibung der Wunder wurde auf Ver-
anlassung des vom Papste Leo IX. geweihten Abtes Bruno durch einen
ungenannten Mönch hinzugefügt und mit einigen schätzbaren Nach-
richten über Adso versehen*). Für die Klosterschule von St. Evre
') Hi sunt lihri domni abh. Adsonis , quos in arca eins repperinnis,
postquam ipse Hierosolimam petiit: unter dieser Ueberschrift erhielt sich
ein Verzeichnis seiner Bibliothek aus dem Jahre 992, her. von Omont, Bibl.
de l'jfjcole des eh. XLII S. 157—160. Vgl. Havet, Lettres de Gerbert p. (i.
^) Epistola Adsonis ad Gerbergain regiiuim de ortu et tempore Anti-
christi, herausg. von Sackur, Sibyllin. Texte u. Forsch. S. 104 — 113; vgl.
W.Meyer, Ludus de Antichristo, Münchener SB. 1882, I, 3 ff.; Haureau,
Notices et extraits de quelques manuscrits latins I, 371. Ueber die Fort-
wirkung dieser Schrift vgl. oben S. 405 Anm. 1 und Riezler, Hist. Zeitschr.
XXXII, 67 ff.
3) Vita S. Frodoherti, Acta SS. lan. I, 506—513; Mab. II, 626—639
{= Migne CXXXVII, 599—620; es folgen hier Abdrücke der anderen
hagiographischen Schriften Adsos). Vgl. Sackur, Cluniac. II, 363.
*) Miracula S. Bercharii, Mab. II, 844—861, ein Stück daraus MG.
SS. IV, 487. Miracula S. Mansueti bei Calmet, Hist. de Lorraine I. Pr.
p. 86—106; Acta SS. Sept. I, 637; Exe. MG. SS. IV, 509—514. Miracida
S. Basoli, Mab. IV, 2, 137—142; vgl. MG. SS. IV, 517. Miracula S. Apri
bei Calmet 1. c. p. 107—126; Acta SS. Sept. V, 70; Exe. MG_. SS. IV, 515
bis 520 (für die Abfassungszeit beweist die von Sackur, Cluniac. II S. 365
A. 3 angeführte Stelle nichts, weil der Verf nicht vom Ende des 10. Jahr-
hunderts, sondern vom Ende der Welt spricht). Miracula S. Waideberti,
Mab. III, 2, 452—460; Acta SS. Mai. I, 277-282; MG. SS. XV, 2, 1170
bis 1176.
Adso. Aynard. 423
verfafste 969 Aynard, ihr Lehrer, ein Glosarium ordine elemen-
torum agregaium mit Citaten aus Nonius Marcellus, Servius, Horaz
u. A.'). Einige Bücher aus seinem Besitze, Virgil, Persius, Arator,
Boethius, erbte St. Evre').
Im Anfange des 11. Jahrhunderts wird die Schule des Bistums
als blühend und ausgezeichnet gerühmt; Brun, des elsässischen Grafen
Hugo Sohn, später als Papst Leo IX. genannt, und Adalbero IIL,
Bischof von Metz, erhielten hier ihre Erziehung. Wir erkennen
darin wieder die Einwirkung der beginnenden Blütezeit Lüttichs,
wo Bischof Hermann oder Hezelo von Toul (lOlS— 1026) unter
Notker gebildet war.
§ 8. Lüttich.
In Lüttich hatte, wie wir sahen (oben S. 319), die gelehrte Thätig-
keit sich lange erhalten; die Verwüstung durch die Normannen 881
wird aber auch hier die Musen zum Schweigen gebracht haben. Am
Anfange dieser Periode finden wir dort einen Bischof, der sich als
Schriftsteller versucht hat und durch gelehi-te Bildung ausgezeichnet
war, Stephan (901 — 920), der in der französischen Hofschule unter
Probst Manno ein Mitschüler Radbods, dann Domherr zu Metz ge-
wesen war^). Er selbst hat das Leben des heiligen Lambert neu
bearbeitet*) und samt Liedern zu Ehren desselben Heiligen dem
Erzbischofe Hermann von Köln (890 — 923) gewidmet, und wohl
schon vorher eine metrische Bearbeitung desselben Stoffes veran-
lafst'). Einen Über de divinis of'ficiis übersandte er Bischof Ruot-
bert von Metz''). Hukbald, der gelehrte Mönch von St. Amand,
1) Archiv VII, 1014. Catal. des depart. V, 187. Götz, Berl. philol.
Wochenschr. 1889 Nr. 42 S. 1.S31 und Corpus Glossarior. lat. V. XXXIV
und 615—62.5.
^) Hi sunt libri inventi in armario S. Apri temporibu.t abh. Widonis,
sehr fehlerhaft bei Becker, Catalogi bibl. antiqui S. 149 n. 68 nach
Docens Abdruck aus der Münchener Hs., vgl. Poet. Carol. III, 69 adn. 3
u. 757. Der Katalog stammt nicht, wie Sackur sagt, aus der Zeit des
A. Wide, der 1048 starb, sondern ist seinem Inhalte nach zwischen 1051
u. 1083 zur Zeit eines späteren Wido abgefafst.
^) Vgl. über ihn Hist. lit. d. 1. France VI, 168 — 172 und Dümmler,
NA. IV, 554 f.
■*) Vita S. Lamberti auctore Stephano episcopo Leodiensi , Acta SS.
Sept. V, 581 — 588; wichtige Nachweise und Vermutungen über die von
ihm benutzten metrischen Biographien des Cassian, Quintin und Lam-
bert (vgl. nächste Anm.) von Winterfeld , Poet. Car. IV, 232 — 233 und
bei den Ausgaben der betr. Biographien im selben Bande. Ueber die
bisher nicht veröffentlichten Lieder vgl. Dümmler, NA. IV. 555.
5) Vgl. Poet. Car. IV, 157, v. 543 ff. und oben S. 336-
«) Mabillon sah die Handschrift in Bobbio. Mus. Ital. I, 216.
424 Il^I- Ottonen. ^ S. Lüttich.
übersandte ibm 907 zur Prüfung das Leben der heiligen Rictrudis
(vgl. oben S. 336). Nach Vogels Vermutung war Stephan der
Lehrer des Ratherius, jenes unstäten Mönches des Klosters Lobbes,
der ebenso sehr durch seine wechselnden Schicksale, wie durch seine
umfassende Gelehrsamkeit, aber auch durch seine seltsam gesuchte
und absichtlich dunkle tmd verworrene Schreibart merkwürdig ist.
Sein Ehrgeiz, sein unverträglicher Charakter, sein beifsender Witz,
mit dem er unbarmherzig die Fehler seiner Zeitgenossen geil'selte,
während er in seinen Bekenntnissen ebenso schonungslos seine eige-
nen Sünden beichtete, liefsen ihm nirgends Ruhe und machten es
ihm unmöglich, als Bischof von Verona und von Lüttich den Wider-
stand seiner vornehmeren und mächtigeren Gegner auszuhalten.
Seine Schriften, so lehrreich sie sind, können doch nicht als Ge-
schichtswerke betrachtet werden, und auch das Leben des heiligen
ürsmar ist nur eine stilistische Ueberarbeiiung der älteren Legende^).
Die grammatischen, philosophischen und theologischen Studien waren
lange in Lüttich allein vorherrschend, und erst spät begann man
auch hier sich ernstlich mit der Geschichte zu beschäftigen, wenn
man es auch nicht ganz unterlassen hatte, kurze Notizen am Rande
von Ostercyklen einzutragen.
So wie Rather immer von neuem in die politischen Wirren hinein-
gezogen wurde, so liefsen auch in Lüttich die lothringischen Partei-
kämpfe lange keine ruhige Entwickelung friedlicher Studien auf-
kommen. Von 945 bis 947 nahm ein gelehrter Abt von St. Maximin,
^) Ueber Ptather (f 974) vgl. Vogel , Eatherius von Verona und das
zehnte Jahrhundert, Jena 1854, 2 Bände; Ebert III, 373 — 383; Hauck
III, 285—297; Bezokl, Zeitschr. f. Kulturgesch. I (1894) S. 158 ff. Opera
edd. Petrus et Hieronymus fratres Ballerini presbyteri Veronenses, Ve-
ronae 1765, fol. ; neuer Abdruck bei Migne CXXXVI; die von Pertz, MG.
SS. III, 451 u. 558 gegebenen Stellen sind aus der Translatio S. Metronis ;
die vermifste Laubacher Hs. der Praeloquien mit Rathers und Folcwins
Grabschriften jetzt in Valenciennes 884 (025). Nachtrag zu den Werken:
ein merkwürdiges Fragment einer an Balderich gerichteten Schrift Rathers
über seine Verdrängung NA. IV, 177 — 180; eine ähnliche fragmentarische
Klageschrift Rathers in dem oben (S. 416 Anm. 5) erwähnten Codex des
Egino mit Predigten Rathers, bei Rose, Latein. Meerman-Hss. S. 80; ein
drittes Fragment in einer Berliner Hs. , nach einer Vermutung Roses,
ebd. S. 31 u. 80; Privileg Rathers für S. Peter in Verona v. Jahre 964,
Spicilegio Vaticano I (1890) S. 9 — 10. Eine neue Ausgabe ist wegen des
schlechten Textes der Ballerini dringend notwendig. Ueber Rathers aus-
gebreitete Belesenheit in den Alten Hauck III, 286; über Kenntnis des
CatuU Hauijt opusc. I, 2; vgl. oben S. 407 Anm. 7. Ueber den Stadtplan
von Verona in einer Laubacher von Rather mitgebrachten Hs. vgl. oben
S. 286 Anm. 3 und Cipolla, Mem. dell' accad. d. Lincei, Ser. 5 vol. VIII
(1901).
Rathev. Bischof Notker. 425
Hugo, den Bischofstubl ein, von 953 bis 055 Rathev; aber dieser
konnte nicht zu irgend einer festen Wirksamkeit gelangen, und unter
Balderich, der ihn verdrängte, fand die Wissenschaft keine Stätte.
Dann aber wurde auch hier ein Schüler und begeisterter Verehrer
Brunos Bischof: Ebrachar (959 — 971), ein vornehmer Sachse,
bis dahin Dekan zu Bonn. Ihn nennt als seinen Lehrer ein sächsi-
scher Priester B. — von seinem Namen kennen wir nur den Anfangs-
buchstaben — , der sich nach Ebrachars Tode nach Canterbury zum
Erzbischof Dunstan begab und nach dessen Tode (988) der erste
Biograph dieses hervorragenden IMannes wurde'). B. sagt, Ebrachar
habe nicht ihm allein, sondern mit ihm vielen anderen zur Wissen-
schaft verholfen, und in der Vita Balderici wii'd Ebrachar geradezu
als der Begründer der Lütticher Schule gepriesen^).
Auf Ebrachar folgte 972—1008 Notker, bis dahin Probst im
Kloster St. Gallen, ein Mann, der in jeder Beziehung höchst aus-
gezeichnet war^) und in Lüttich jenen hohen Glanz der Schulen
begründete, dessen Ruf sich bald durch die ganze Christenheit ver-
breitete. Bald strömten lernbegierige Jünglinge von allen Seiten her
an der Maas zusammen, während ebenso bedeutende Lehrer von
hier ausgingen und den Wirkungskreis der Lütticher Schule immer
weiter ausbreiteten ; sogar in Paris bei St. Genovefa lehrte der
Lütticher Hubald mit aufserordentlichem Beifalle. Aufser diesem,
den Notkers Nachfolger Balderich IL auch auf einige Zeit nach
Prag sandte, nennt Anselni^) als Notkers Schüler Günther von
Salzburg (1024 — 1025)''), Ruthard und Erluin von Cambrai (979 bis
995 und 995 bis 1012), Heimo von Verdun (991-1024), Hezelo
von Toul (1018-1026), Adalbold von Utrecht (1010—1026). Eine
Vita Notkeri aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, in welcher auch
Hexameter, Reste eines gleichzeitigen Lobgedichts , vorkamen , ist
leider nur teilweise durch Aegidius von Orval erhalten''').
^) Nach den scharfsinnigen Untersuchungen von W. Stubbs, Memorials
of St. Dunstan, Lond. 1874; vgl. R. Pauli, Hist. Zeitschr. XXXV, 199;
Gott. Nachr. 1879, S. 322— .324.
2) Vgl. über ihn Dümmler, Otto J. S. 302 Anm. 1; 374 Anm. 1; 397
Anm. 2 ; 545 Anm. 2.
*) Dafs er während der Minderjährigkeit Ottos III. Italien als Regent
verwaltet habe, bestreitet Kehr, HZ. LXVI, 427 Anm. 2.
*) MG. SS. YII, 205, c. 29.
^) Günther ist ein Sohn des Markgr. Ekkehard , kön. Kanzler seit
1009, vgl. NA. XXIT, 147.
6) Vgl. L. Weiland, HZ. XLVI, 496; G. Kurth, Une biogr. de feveque
Notger au XII. siecle. Bullet, de la Comm. roy. d'hist. de Belgique,
4. ser., t. XVII (1891) n. 4. Als den Verf. dieser Vita Notkeri vermutet
426 IIT- Ottonen. § 8. Lüttich.
Im Jahre 960 war im Kloster Laub ach oder Lobbes, das
bis dahin dem Bischöfe von Lüttich untergeben war und durch
die Kämpfe der Parteien und die rechtlosen Zustände viel gelitten
hatte, das regelmäfsige Klostei'leben unter einem eigenen Abte
wieder hergestellt worden, und bald darauf begann man auch hier,
wie an so vielen anderen Orten, Annalen zusammenzustellen, viel-
leicht aber auch nur eine in Lüttich entstandene und fortgesetzte
Kompilation mit einheimischen Notizen zu vermehren^). An Beda
und andere alte Chronisten reihen sich Auszüge aus der S. 221
erwähnten Chronik bis 805, verbunden mit Stellen aus den Lauriss.
mai. und Laureshamenses ; dann ist Thegan benutzt und von 840
an selbständig fortgearbeitet, doch von 874 — 900 sind die Ann.
Vedastini vollständig aufgenommen. Diese ziemlich dürftigen An-
nalen wurden nicht über das Jahr 982 fortgesetzt; sie dienten
aber in Verbindung mit anderen Aufzeichnungen in Lüttich im
Jahre 1000 zur Abfassung von Annalen, die von nun an fortgeführt
wurden. Sie sind verloren, aber wie Waitz nachgewiesen hat"),
bis 1086 in den Annales S. Jacobi und Fossenses, bis 1056 auch
in den Annales Laubienses kenntlich. Auf diese werden wir später
zurückkomm en .
Bedeutender als jene Annalen von Lobbes ist die Kloster-
geschichte des Abtes Folcwin^, die bis zum Jahre 980 reicht.
Ebrachar hatte ihn 965 zum Abte erhoben, und 25 Jahre lang
verwaltete er sein Amt in grofsem Ansehen bei den trefflichen
Männern, welche um diese Zeit die verschiedenen Bischofsitze zierten.
Dafs er nicht, wie 31abillon und Guerard meinten, von dem Folcwin
von St. Bertin zu unterscheiden sei, hat Holder-Egger voll-
kommen überzeugend nachgewiesen''). Wir wissen daher, dafs er
ü. Berliere den bekannten Liitticher Canonicus Alger, der in Cluny
Mönch wurde, Revue benedict. VIII (1891), 309—312.
') Annales Lohienses , her. von AVaitz , MG. SS. XIII, 224—235. Die
Sammlung von J. Alexandre, Chronica Lobbiensia etc., Lüttich 1878,
enthält nur die Texte und Vorreden der älteren unvollständigen nach
Würdtwein (Nova Subsidia dipl. XIII, 151—214) gemachten Ausgaben
der Mon. Germaniae, SS. II, 192—195 u. 209—211, die jetzt durch Waitzs
Zurückgehen auf die Bamberger Hs. des 10. Jahrhunderts antiquiert sind,
üeber die Quellenverhältnisse in dem älteren Teile der Annales Lobienses
Tgl. Kurze, NA. XXII, 41 £F.; v. Simson, NA. XIV, 410 f. u. XXV, 179.
2) Gott. Nachrichten 1870 S. 302—309.
^) Folcuini Gesta ahhatum Lobiensium ed. Pertz, MG. SS. IV, 52 — 74.
Ueber die Hs. des dort p. 54 mitgeteilten Epitaphs vgl. oben S. 424
Anm. 1.
") Vgl. NA. VI, 415—427. Ebert III, 402—405, stimmt ihm bei;
einen Zweifel regt Puckert an, Aniane u. Gellone S. 273 Anm. 20.
Folcwin von St. Bertin und Lobbes. 427
aus Lothringen gebürtig, vornehmer Abkunft, selbst den Karo-
lingern verwandt war, stolz auf den Bischof Folcwin von Therouanne
(817 — 855), dessen feierliche Erhebung sein Vater und Oheim be-
werkstelligt hatten, und dessen Leben er beschrieb ') und dem Abte
Walter von St. Bertin (c. 970— 98-i) widmete, als er bereits Abt
von Lobbes war. Damals, als er die darin stark benutzte Vita
Brunonis schon kannte, hat er den Entwurf ausgearbeitet, welchen
er viel früher in St. Bertin gemacht hatte, wo er 948 als Knabe
eingekleidet wurde. In St. Bertin hatte er auch bereits 961 die
Urkunden des Stiftes gesammelt und mit Lebensnachrichten der
Aebte versehen, auch nicht unwichtige geschichtliche Nachrichten
allgemeinerer Art eingeflochten -) , sehr mangelhaft in der Form
und sogar mit groben grammatischen Fehlern. Die Quellen, welche
darin benutzt sind, hat Holder-Egger genau untersucht^) ; am Avich-
tigsten darunter sind die Spuren verlorener Annalen von St. Bertin,
welche auch in den Ann. Blandinienses zu erkennen sind. In
ähnlicher Weise, aber gi-ammatisch jetzt besser ausgebildet, machte
er sich als Abt auch an die Geschichte von Lobbes und legte ihr
die Urkunden seines Klosters nebst den ihm zugänglichen Werken
Einhards, Flodoards, Ruotgers und anderer zu Grunde. Ist ihm
nun auch die Verarbeitung dieses Stoffes wenig gelungen , so ist
doch schon das Streben nach einer urkundlichen Geschichtschi'ei-
bung bemerkenswert, und für die spätere Zeit, wo er die eigenen
Erlebnisse zu schildern hat, empfiehlt er sich durch Wahrheits-
liebe und Einfachheit, wenn auch die Kürze der Erzählung unbe-
friedigt läfst. Die Wundermären der Patrone von Lobbes, L'i'smar
und Ermin, welche in der Klostergeschichte enthalten sind, hat
^) Vita S. Folquini episcopi Jlorinensis (Tarvatineniiis) auct. FoJquino
abbate Laubieusi, bei Mab. Act. IV. 1. 624 — 629; bei Holder-Egger, MG.
SS. XV, 423—430, vgl. NA. VI, 422.
2) Folcicini Gesta abbat um S. BeHini Sithiensium , herausgegeben
von Holder-Egger, MG. SS. XIII, 600—673. Hier sind die Urkunden
weggelassen. Das ganze Werk mitsamt den Urkunden, aber auch
mit späteren Zusätzen und in der Ueberarbeitung des Alardus Tassart
(7 1532) war vorher herausgegeben von Guerard , Cartulaire de l'ab-
baye de Saint-Bertin. Paris 1841; dazu: F. Morand, Appendice au car-
tulaire etc., Paris 1861 (beide Werke aus der CoUection des documents
inedits).
^) NA. VI, 428 — 438. Ueber Folcwins Fortsetzer im nächsten Bande.
Verse einer Brüsseler Hs. saec. X aus St. Bertin zu einer Krönungsfeier
hat Dümmler herausgegeben. NA. X. 341. Ueber ein besonders schönes,
unter Abt Odbert von St. Bertin (989 — lOOS) von Heriveus geschriebenes
Psalterium vgl. Palaeogr. Soc. 97: Woltmann. Gesch. d. Malerei I, 270:
Goldschmidt, Albani-Psalter. Berlin 1895, S. 4 u. 17.
428 III- Ottonen. § 8. Lütticli.
Folcwin mit einer eigenen Einleitung') auch abgesondert heraus-
gegeben-).
Folcwins Nachfolger in Lobbes war Heriger (990 — 1007), ein
vertrauter Freund des Bischofs Notker, den er im Jahre 989
nach Italien begleitete und für den er mit seiner Feder thätig war,
während Notkers Name den Schriften gröfsere Autorität verlieh^).
So namentlich 980 dem von dem Bavokloster zu Gent erbetenen
Werke über den heiligen Landoald, auf welches wir zurückkommen,
und ähnlich auch der wohl schon früher verfafsten älteren Geschichte
des Lütticher Bistums''). Er gelangte damit aber nicht weiter als
bis zum Jahre 607 , so dafs das Buch als Geschichtsquelle kaum
in Betracht kommt; litterarisch kann man es leider nur als ein
ganz verfehltes Werk betrachten wegen der unverständigen An-
wendung der Gelehrsamkeit, Avelche dem Verfasser allerdings in
reichem Mafse zu Gebote stand. Aber kaum kann man einen übleren
Gebrauch davon machen , als wenn man lange Reden aus Stellen
der Klassiker zusammensetzt'') und diese dann alten Heiligen der
merowingischen Zeiten in den Mund legt.
Bedeutend und Lobbes überragend tritt Kloster Gembloux
erst im nächsten Zeitabschnitte hervor. Doch mufs es eines über-
raschenden Fundes wegen schon jetzt genannt werden. Es war die
Stiftung des Wiebert, eines Mannes von sehr angesehener Familie,
der die Ritterwaffen mit dem Mönchskleide vertauschte und auf
') Ex nriraculis SS. Ursmari et Er mim , von Holder-Egger heraus-
gegeben, MG. SS. XV, 2, 832.
^) Die verbreitete Ansicht, dafs Folcwin auch den Katalog der Biblio-
thek von Lobbes verfafst habe, hat Gottlieb zuerst zurückgewiesen, Lieber
mittelaltei-l. Bibliotheken S. 280—283. Er gehört vielmehr ins Jahr 1049
und wurde jetzt vollständig herausgegeben von H. Omont, Revue des
biblioth. I (1891) S. 4 — 14. Nachrichten über das Schicksal der Hss. von
Lobbes gesammelt von Berliere, Annales du cercle archeolog. de Mons
XXIII (1892) S. 172—176.
") Vgl. über ihn Ebert III, 405 — 409 ; über eine ihm bisher fälschlich
beigelegte Schrift JJc corpore et smigiiine Domini vgl. Hauck III, 320
Anm. 3 und über eine Schrift gleichen Titels, die ihm wahrscheinlich
zuzusprechen ist, die aber fast nichts Eigenes enthält, Dümmler im
NA. XXVI, 755—759 und XXVII, 325. Seine Eegulae de numeror. abaci
rationibus hat Bubnov herausgeg., Gerberti opp. mathemat. p. 205 — 225.
*) Gesta episcoporum Leodiensium ed. Köpke, MG. SS. VII, 134 — 194.
Die daraus auch abgesondert herausgegebene Vita Remacli kommt als
Notkers Werk mit Widmung an Abt Werinfrid von Stablo vor, ist aber
nach Köjike S. 140 von Heriger.
^) Vgl. Köpke vor der Ausgabe p. 144 ; Waitz noch einmal gegen die
Behauptung, dal's Heriger Tacitus Germania kannte. Forsch. X (1870)
S. 602. Das erlesene Citat aus TibuU in c. 55 (p. 189, 18) steht auch im
Freisinger Florileg.
Heriger von Lobbes. Gembloux. 429
seinem Erbgute das Kloster gründete, welches er dem Erluin
übergab. Er selbst zog sich zu mönchischem Leben in das Kloster
Gorze zurück, war aber auch kühn genug, den Ungern auf ihrem
Raubzuge durch Lothringen 954 das Evangelium zu predigen, und
soll sogar einige von ihnen bekehrt haben. Verschiedene Anfech-
tungen bewogen ihn , wohl schon im Jahre 94G, eine Bestätigung
seiner Gründung von Otto L auszuwirken'). Doch hörten darum die
Angriffe der Verwandten und ihre Plünderungen in Gembloux jetzt
und besonders nach seinem Tode (23. Mai 9G2) nicht auf. Die
Klageschriften, die man deswegen im Kloster nach allen Seiten er-
gehen liefs, verhallten wirkungslos. Sigebert fand ihre Kladden
später in der Bibliothek zu Gembloux und meinte, man hätte damit
ein ganzes Buch füllen können"'), doch gab er selbst nichts davon
bekannt. Den Abt Erluin traf inzwischen eignes schweres Geschick.
Als er von seinem Gönner, dem Grafen Raginar dem Langhalse,
dem Kloster Lobbes als Abt aufgedrängt wurde , verübten dort
einige Mönche vornehmen Standes, die sich vor der Einführung der
Klosterregel fürchteten (vgl. oben S. 426), am 20. Oktober 957 eine
Grausamkeit an ihm, die Sigebert mit folgenden Worten beschreibt^):
dormitoriuni nocfu aggrediuntur, ipsiim cxtrahimt et protractum
extra amhitum claustri inhumane tractant, oculis prirant, parteni
etiam linguae amputant. Nun hat Hampe"*) in dem Deckel einer
Brüsseler, vordem in Gembloux liegenden Handschrift die Bruch-
stücke zweier Briefe gefunden , die aus Gembloux gerichtet sind,
der eine an einen Kaiser (Otto I. oder II.), der andere vielleicht an
einen dem Verfasser befreundeten Grofsen am Hofe. Nach dem In-
halte kann es nicht zweifelhaft sein, dal's man in dem ersten dieser
allzukurzen Stücke den Ueberrest einer der von Sigebert erwähnten
reclamationes zu erblicken hat. Hampe hat aber auch gezeigt, dals
sie nur von Erluin herrühren können ; denn der Verfasser bittet
den Kaiser und seinen Hof, den Klagelaut der verstümmelten Zunge
nicht zu überhören (neqae lahia truncatae linguae despiciant), und
damit kann nur auf das Verbrechen des Jahres 957 angespielt
werden. Erluin war darnach wie ein Märtyrer nach Kloster Gem-
bloux zurückgekehrt und starb dort 987. Er fand schon bald
') \g\. im allgemeinen Sackur, Cluniacenser II, 170 — 172.
2) MG. SS. VIII, 533 c. 20.
3) Ebenda p. 532 c. 15.
") Vgl. NA. XXIII, 384— S89. Im letzten Satze auf S. 387 mufs wohl
gelesen werden: quis namque mnquam referre potest omnia mala, quae
facta sunt et quae lingua tolerare valeat narrave nulla; S. 388 1. Z. de-
lerarent (d. h. delirarent) statt ^delerent".
430 in. Ottonen. § 8. Lüttich.
nachher einen Biographen an Richarius, einem Mönche von
Gembloux, der seine recht fliefsenden Verse an Bischof Notker
richtete, also zwischen 987 und 1008 geschrieben haben muls. Sige-
bert hat 18 Distichen daraus in seine Klostergeschichte von Gem-
bloux übernommen und ihn auch sonst benutzt; des ganzen Werkes
konnte schon er nicht mehr habhaft werden^).
Mancherlei geschichtlicher Stoif findet sich noch in den Legenden
und AVundergeschichten dieser Gegenden ; vorzüglich lernen wir daraus
die Grafen von Flandern als eifrige Heiligenverehrer kennen. So
wurde der Leib des heiligen Win noch vor den Normannen von
Wormhoudt nach St. Bertin geflüchtet und 900 durch Balduin den
Kahlen (879 — 918) nach dem von ihm gestifteten Kloster Bergues-
St.-Winoc oder Win n oxbergen gebracht, wo ein älteres Leben
des Heiligen gegen die Mitte des 11. Jahrhunderts überarbeitet und
die Stiftungsgeschichte hinzugefügt wurde-). Auch für diese be-
nutzte er eine ältere Vorlage , Aufzeichnungen über Wunder des
heiligen Winnoch, die sich am Schlüsse einer Handschrift der älteren
Biographie erhalten haben, aber noch nicht gedruckt sind^).
Höchst eigentümlich haben sich die Nachrichten aus den beiden
Gent er Klöstern Saint-Bavon und Blandigny, auf einem
Hügel aufserhalb der Stadt, dadurch gestaltet, dafs jedes von ihnen
höheres Alter in Anspruch nahm und ein durch Jahrhunderte hin-
durch mit immer wachsender Erbitterung geführter Krieg sich
daraus entspann. Ihre Waffen waren echte und falsche Reliquien
und Legenden, Urkundenfälschungen und Verfälschung der hand-
schriftlichen Ueberlieferung, wie das 0. Holder-Egger in ebenso
ergötzlicher wie belehrender Weise dargestellt hat^). Beide Klöster
waren vom Grafen Arnulf L im Jahre 941 nach tiefem Verfalle her-
gestellt und durch den Abt Gerhard von Brogne mit Mönchen neu
besetzt^). Das veranlafste in Blandigny schon bald nachher eine
Schrift über die ältere Geschichte des Klosters bis auf den berühmten
Abt Einhard"), worin schon gefälschte Urkunden benutzt sind und
^) Vgl. Sigebert. gest. abb. Gemblac. c. 1 u. 3, MG. SS. VIII, 523 ff.
2) Vita S. Winnoci, Mab. III, 1, 302—314. Auszug MG. SS. XV, 2,
775 — 778. Eine Fortsetzung dazu, die Mönch Drogo nach 1078 hinzu-
fügte, ist später zu erwähnen.
3) Vgl. B. Krusch, der sie auffand, NA. XVIII, 566—569.
■*) Historische Aufsätze, dem Andenken an Waitz gewidmet, S. 622 — 665.
Daselbst S. 633, Anm. 3, wird die Translutio S. Amalherciae im Jahre 870
(Acta SS. Jul. III, 103) für ein spätes, unglaubwürdiges Machwerk erklärt.
^) Ueber Graf Arnulf vgl. Sackur, Cluniac. I, S. 127 ff.
^) Fundatio moxasierii Blnndiniensis ed. 0. Holder-Egger, MG. SS.
XV, 2, 621 — 624; vgl. p. 1317. Ich beschränke mich auf Anführung
Der Streit der Klöster zu Gent. 431
die Gründung durch den heiligen Amandus OlO mit keckem Plagiate
aus der Vita Wandregisili beschrieben wird. Im Jahre 944 brachte
Graf Arnulf hierher aus Boulogne, wohin sie aus St. Wandrille ge-
flüchtet worden waren, die heiligen Wandregisil, Ansbert und Wulf-
ram; Wulframs Besitz stritten aber die ]\Iönche von St. Wandrille
den Blandiniensern ab. Darüber gab es eine Schrift, von der wir nur
durch eine Predigt Kunde haben, die nicht vor dem 12. Jahrhunderte
verfafst zu sein scheint und noch von Feindseligkeit gegen die
Bavonianer erfüllt ist')- Aul'ser vielen anderen Reliquien erhielt
Blandigny auch um 945 aus Haerlebeke, der Heimat der Grafen
von Flandern, den heiligen Bertulf von Renty bei Saint-Omer, wo
er in merowingischer Zeit ein Kloster gegründet hatte. Sein Leib
wurde 1073 durch den Abt Folcax'd feierlich erhoben, und nun nach
einer älteren, jetzt verlorenen Vita das wenige berichtet, was man
von ihm wufste, mehr über die Translationen und über die Grafen
von Flandern, nicht ohne Fabeln^). Und dazu wollen wir gleich
noch fügen, dafs, da beide Klöster sich den ersten Abt Florbert zu-
eigneten und beide sein Grab und seinen Grabstein zeigten, deswegen
im Jahre 1079 von Blandigny gegen die Mönche von Saint-Bavon
eine Streitschrift gerichtet wurde ^).
In Saint-Bavon hatte man 940 den heiligen Bavo aus Laon
zurückerhalten und 946 feierlich bestattet. Gegen das Ende des
10. Jahrhunderts schrieb ein Mönch, schon im Gegensatze gegen
das vom Grafen Arnulf bevorzugte Kloster Blandigny, und gegen
die Zweifler, welche seinem Kloster sogar den Besitz des heiligen
Bavo bestritten, in drei Büchern eine Geschichte des Klosters nach
schriftlichen Quellen, wozu er vorzüglich auch die Annalen von St.
Bertin und St. Vaast benutzte, die er CJironica post Beäam nannte;
er scheint auch Aufzeichnungen aus seinem Kloster herangezogen
zu haben'*). Vielleicht von demselben Verfasser ist auch das Carmen
dieser Ausgaben von Holder-Egger. Die von ihm vermifste Hs. Van de
Püttes ist im Archive zu Brüssel nachgewiesen von H. Pirenne, Note sur
un ms. de l'abb. de Saint-Pierre de Gand, Brux. 1895 (Bullet, de la
Commiss. roy. d'hist. 5. ser. V, 2 p. 107 — 153), woselbst S. 135 Einhards
Schenkung abgedruckt ist. Ueber ein angebliches Privileg Papst Nico-
laus I. für Blandigny NA. VII, 177 u. Schepfs, Hsl. Studien zu Boethius,
Würzburger Progr. 1881, S. 6.
^) Ex Sermotie de adrentu SS. Wandregisili, Ansherti et Vulfranni ed.
Holder-Egger, SS. XV, 2, 624—631.
2) Ex Vita Bertulfi Benticensis, ib. p. 681—641.
*) Lantberti Über de loco sepulturae Florberti abb., ib. p. 641 — 644;
aber nach S. 1.817 ist der Autorname Lantbert irrig. S. 644 folgt ein
Catalogus abbatum JBlandiiiiensium saec. XII.
•*) Ex miraculis et translationibus S, Bavonis, SS. XV, 2, 589 — 597;
432 III. Ottonen. § 8. Lüttich.
de S. Bacone'^). Der Konkurrenz der Blandinienser besser begegnen
zu können, holten sie 980 aus dem kürzlich erworbenen Winters-
hoven den heiligen Landoald mit seinen ebenso unbekannten
Genossen, legten dem Bischöfe Notker von Lüttich den Bericht über
die Translation und die unvermeidlichen Wunder vor, und zugleich
was der Ortspfarrer Sarabert von diesen Heiligen zu berichten
wufste. Der gelehrte Heriger erfuhr zu seinem Erstaunen von
dem ihm bis dabin unbekannten Bischöfe Landoald von Lüttich,
buchte aber alles getreulich, und zwar der gröfseren Autorität wegen
unter dem Namen seines Bischofs. So gewannen diese frechen Lügen
geschichtlichen Anstrich und haben viel Verwirrung angerichtet^).
Die Gegner behaupteten zwar, es seien malorum defunctorum ossa,
aber die Bavonianer veranstalteten 982 eine neue feierliche Er-
hebung, und es gelang ihnen, die Anerkennung des Erzbischofs von
Keims dafür zu gewinnen^). Der Abt Odwin oder Otwin (982 bis
998), der hier seine Energie bewiesen hatte, erlangte auch aus
Rom durch Vermittelung der frommen Engländerin Teta Reliquien
des heiligen Pancratius, welche 985 nach Gent kamen ''). Bald
darauf stellte er nachdrücklich den Abt Adalwin von Blandigny
zur Rede, weil er fortfahre, gegen die getroffene Uebereinkunft sein
Kloster als in Castro Gandavo gelegen zu bezeichnen^). Ein neuer
Triumph war dann 1007 die Uebertragung der heiligen Livin und
Brictius aus Holthem nach Gent, worauf 1010 unter Erlembold
der heilige Bavo noch einmal feierlich erhoben wurde ; der Verfasser
der Beschreibung'') scheint derselbe zu sein, welcher auch im Jahre
1014 über den heiligen Macharius berichtet hat^, einen griechi-
schen Mönch, der 1011 in St. Bavon Aufnahme fand und nach
vielen Kasteiungen schon 1012 starb. Man wufste weiter nichts
von ihm , verehrte ihn aber als heilig und berichtete von Wun-
dern , die er gethan. Doch half das alles nur wenig, und als der
dazu S. 598 ein kurzer Auszug von Wundern, die gegen Ende des 11. Jahr-
hunderts beschrieben sind. Wie der erste Verf. berichtet, sagten über den
Ursprung von Gent einige, dafs Agrii)pa es gegründet, „alii Hermenricum
regem in eo arcem iniperii sibi tradunt instituisse" ; ähnlich auch im
gleich anzuführenden Carmen. Vgl. im allgemeinen Krusch in den SS.
Merov. IV, 530 sqq.
^) NA. X, 371 von Holder-Egger herausgegeben.
^) Translatio S. Landoaldi sociornmque eitis, SS. XV, 2, 599 — 607.
} Adventus et Elevatio S. Landoaldi sociorumque eius, ib. p. 607 — 611.
•*) Vgl. den Brief des Abtes Andreas von St. Paneraz in Rom an
Odwin. NA. VIII, 376.
^) Der Brief Odwins ist gedruckt im NA. X, 374.
") Translatio S. Bavonis prima, SS. XV, 2, 597.
') Vita S. Macharii prior, ib. p. 615 — 616.
Fortsetzung des Genter Streites. Leben und Verse des Livin. 433
Abt Othelbold um 1020 der Gräfin Othgive, Gemahlin Balduins
des Bärtigen von Flandern, auf ihren Wunsch über die Reliquien
des Klosters schrieb'), hatte er zugleich bitter zu klagen über den
Verlust des einstigen Reichtums und die bedrängte Lage, seitdem
Graf Arnulf zahlreiche Besitzungen des Klosters an seine Dienst-
mannen vergabt hatte. Es bedurfte stärkerer Heilmittel. Zunächst
fand sich Stepelin, ein aus St. Trond entlaufener Mönch, bereit,
im Jahre 104!) nicht nur einen angeblich alten Grabstein für den
Abt Florbert anzufertigen, sondern auch, nach Holdei'-Eggers Ver-
mutung, jene Verse zu machen, in welchen der heilige Livin selbst
an Florbert ein Epitaph des heiligen Bavo schickt^). Weiter folgte
1058 eine neue Ei-hebung des heiligen Bavo, 1067 auch eine zweite
des heiligen Macharius, und mit kühnerem Unterfangen wurde nun,
während man früher aufrichtig bekannt hatte, über sein V^orleben
nichts zu wissen, die vollste Schale abgeschmackter Verherrlichung
über ihn ergossen^); zur Schilderung seiner Tugenden diente, was
im Leben des Erzbischofs Bruno von Köln für diesen Zweck brauch-
bar erschien. Nach der Annahme von Holder-Egger war es der-
selbe Verfasser, welcher schon um 1050 mit nicht minder frecher
Lüge das Leben des bis dahin ganz unbekannten Livin beschrieb
(oben S. 147). Besonders wichtig aber ist der Nachweis, dafs dieser
Livin in Wii-klichkeit kein anderer ist, als der wohlbekannte, in
Deventer bestattete Liafwin oder Lebuin; sein Genosse Brictius
scheint nur der Nachbarschaft im Kalender seinen Namen zu ver-
danken : Livin wurde in St. Bavo am 12. November verehrt , der
13. aber ist seit alter Zeit Brictius, dem Bischöfe von Tours, dem
Nachfolger des heiligen Martin, geweiht. Nach solcher Verherr-
lichung aber war es nun Zeit, auch diese Heiligen feierlich zu er-
heben, was 1083 geschah; aber erst um 1200 wurde über diese
Vorgänge eine Schrift verfafst^).
1) Der Brief Othelbolds ist gedruckt im NA. VIII, 370-.S74.
^) Vgl. oben S. 147. Da man fortfährt, die Verse für echt und alt
zu halten (z. B. Gröbers Grundrifs der roman. Philologie II, 1, 117), so
sei noch einmal darauf hingewiesen, dafs die 41 Distichen ohne Elision
uud Hiat verlaufen, wofür zwar ältere Beispiele voiiiegen (vgl. L. Müller,
De re metrica, ed. II p. 837 sq.), was aber vor allem trefflich für die Zeit
vom 10. Jahrhundert an und für die Genter Gegend pafst; vgl. über die
Gesta ApoUoiiii, welche in einem Blandinianus überliefert sind und auch
in St. Amand, Lobbes und vielleicht Saint- Omer vorhanden waren,
Traube, NA. X, ,382.
3) Ex Vita S. Macharii altera, MG. SS. XV, 2, 616—621. Einzelnes
darin, wie die Nachrichten von der Pest des Jahres 1012, ist historisch
brauchbar.
*) Ex translatione SS. Livini et Brictii, ib. p. 611 — 614. — Das "\'er-
"Watteubacli, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 28
434 III- Ottonen. § 8. Lüttich.
Diese ganze Litteratur würde nicht so viel Aufmerksamkeit ver-
dienen, wenn sie nicht teils für die Zeit bezeichnend wäre, teils
durch die Chronisten des 14. Jahrhunderts, Johann von Thielrode
und die Genter Annalen, viele hieraus geschöpfte Fabeln in die
Geschichte eingedrungen wären , welche noch nicht vollständig be-
seitigt sind.
Eine besonders hervorragende Stellung als Reformator vieler
Klöster nahm der oben erwähnte Abt Gerhard ein, der Stifter
des Klosters Brogne im Lütticher Sprengel zwischen Maas und
Sambre. Er gehörte zur Sippschaft des Hagano (Austrasioruni
ducis), jenes bekannten Günstlings Karls des Einfältigen; seine
Mutter Plictrudis war eine Schwester des Bischofs Stephan von
Lüttich. Im Lommatschgau, wo er heimisch war, setzte er auf
seinem Erbgute Brogne (St. Gerard) zuerst Kanoniker ein ; als aber
Graf Berengar von Xamur, dessen violvermögender Rat er war,
ihn zum Grafen Robert nach Paris sandte, machte ein Besuch im
Kloster St. Denis solchen Eindruck auf ihn, daCs er seine Ent-
lassung erbat und zur grofsen Verwunderung der Mönche von
St. Denis bei ihnen Unterricht nahm und 919 Mönch wurde. Es
war ihnen ganz erstaunlich, dafs ein bärtiger Mann noch die Buch-
staben lernen wollte, wie ein fünfjähriger Knabe') — eine Stelle,
die uns einmal recht deutlich zeigt, wie unberührt von aller litte-
rarischen Bildung die Laien waren, und wie irrig die weitverbreitete
Meinung ist, dass die scholae exteriores für sie bestimmt gewesen
seien. Im Jahre 927 zum Priester geweiht, kehrte Gerhard zurück
und übergab nun die Kirche zu Brogne zwölf Mönchen aus St. Denis.
Die Leitung des Klosters war seinem still beschaulichen Sinne zu-
wider, er lebte abgesondert als Klausner, aber Herzog Giselbert und
Bischof Fulbert von Cambrai liefsen ihm keine Ruhe. In St. Ghislain
lebten nämlich damals Kleriker von gar schlechtem Wandel, welche
sich mit ihrem Heiligen singend und bettelnd herumtrieben, bis end-
lich dieser, des Treibens müde, zuliefs, dafs sein Leib gestohlen
wurde. Da wurde das Kloster Gerhard zur Reform übergeben; er
fand das Heiligtum in Maubeuge, der Herzog gab die Güter zurück,
und trotz des Widerstandes der losen Brüder stellte Gerhard dieses
zeiehnis der Abbates S. Bavonig, MG, SS. XXV, 'uO, ist nur ein Auszug
aus den Ann. Gand. und daher wertlos, \^\. Waitz- Aufsätze S. 661.
') Vgl. Vita Gerardi c. 9, MG. SS. XV, 2, 659: Jratribus admodum
admirantibus , quod vir iamdudum barbatus applicari vellet ulterius
studiis litterarum puerilibus litteratim prima percurrit elementa
ceu quinquennis puerulus." Ueber die chronologischen Bedenken in diesen
Angaben vgl. Sackur, Cluniac. I, .867.
Gerhard von Brogne. 435
und andere Klöster her')- Auch Arnulf von Flandern, angeblich
durch Gerhard von einem Steinleiden wunderbar geheilt"), entäufserte
sich seiner Abteien Blandigny (941) ■') und St. Bertin (944), wo die
regelmäfsige Zucht hergestellt wurde, und übergab Gerhard alle
Klöster seines Gebietes; er soll deren 18 geleitet haben, darunter
auch Saint-Remi. Durch einen Krieg über die gefälirdete Lage seines
eigenen Klosters belehrt, kaufte Gerhard Brogne los von der Ab-
hängigkeit von St. Denis und übergab es dem Bischöfe Farabert von
Lüttich (947—953); er starb in hohen Ehren am 3. Oktober 959.
Sein Leben ist nicht lange nach seinem Tode ausführlich beschrieben,
aber wir besitzen nur eine Ueberarbeitung aus dem Anfange des
11. Jahrhunderts, für den Abt Gonter geschrieben, geschmacklos mit
Versen gemischt. Dafs Raginar von Hennegau noch in der Ver-
bannung lebe, dafs Lietald, Gerhards Nachfolger als Vorstand des
Klosters zu Mouzon (f 997), die "Wahrheit der Erzählung bestätigen
könne, schrieb der Bearbeiter der älteren Vita gedankenlos nach,
so wenig es auch zu seiner Zeit noch pafste'*). Andere Stellen, an
M Es wurde 981 hergestelll , verbrannte 938. Nachrichten über die
Geschichte des Klosters in der zu Gerhards Zeit aufgezeichneten Inventio
S. Gideni, ed. Holder-Egger SS. XV, 2, 576—579, mit von Augenzeugen
aufgezeichneten Wundern. Danach stand Gerhard schon vorher mehreren
anderen Klöstern vor. Die Inventio berichtet auch über die Auffindung
des Heiligen in Maubeuge anders als die oben benutzte Vita Gerardi;
\'gl. Sackur, Cluniac. I, 126 Anm. 2.
^) Diese merkwürdige Geschichte in der Vita Gerardi, c. 19 (MG. SS.
XV, 2, 669) und danach bei Joh. Longus c. 24 (SS. XXV, 774) und von
Tassart zu Folcwin c. 107 (SS. XIII, 628) nachgetragen.
^) Vgl. oben S. 430. Ein Mönch Adelard von Blandigny schrieb einen
Brief an Erzb. Elphegus von Canterbury (1006—1012) über Dunstan, der
in seiner Verbannung bei Graf Arnulf Schutz gefunden hatte, W. Stubbs,
Memorials of Saint Dunstan, p. 53 (Hist. Zeitschr. XXXV, 200). — Die
Hhtoria Relutiomf^ S. Walurici, ed. Holder-Egger, SS. XV, 2, 698—696,
im 11. Jahrhunderte geschrieben, berichtet, wie der Leib des h. Walaricus
952 durch Arnulf von Flandern nach St. Bertin gebracht war und 981
durch Hugo Capet nach St. Valery-sur-Somme zurückkam. Zugleich kam
auch S. Richarius von da nach seinem Kloster zurück; vgl. oben S. 193
Anm. 1.
*) Vita Gerardi ahbatis Bronietisis ed. L. v. Heinemann, SS. XV, 2,
654—678. In Kapitel 14 sind Stellen aus Liudprands Antapodosis auf-
genommen. Aus Italien soll er ^lapides porphyretici" für den Hauptaltar
mitgebracht haben, vgl. ebd. cap. 21. Die Geschichte seiner Reise nach
Rom ist aber wegen der Nennung eines Papstes Stephan, der damals
nicht regiert hat, und der Benutzung einer zweifellos unechten Bulle
dieses Papstes (Jaffe n. 3580) ungemein bedenklich. Vgl. im allgemeinen
Walther Schnitze, Gerhard v. Brogne u. die Klosterreform in Nieder-
lothringen u. Flandern, Forsch. XXV, 221 — 271; L. v. Heinemann, Die
älteren Diplome f. d. Kl. Brogne u. die Abfassungszeit der Vita Gerardi,
NA. XV, 593—596; Sackur, Die Cluniac. I, S. 121 ff. 365 ff.; Berliere,
Revue bened. 1892 S. 157—172; Sackur, NA. XVIII, 350. — Unbedeutende
434 III. Ottonen. § 8. Lütticli.
Diese ganze Litteratur würde nicht so viel Aufmerksamkeit ver-
dienen, wenn sie nicht teils für die Zeit bezeichnend wäre, teils
durch die Chronisten des 14. Jahrhunderts, Johann von Thielrode
und die Genter Annalen, viele hieraus geschöpfte Fabeln in die
Geschichte eingedrungen wären , welche noch nicht vollständig be-
seitigt sind.
Eine besonders hervorragende Stellung als Reformator vieler
Klöster nahm der oben erwähnte Abt Gerhard ein, der Stifter
des Klosters Brogne im Lütticher Sprengel zwischen Maas und
Sambre. Er gehörte zur Sippschaft des Hagano (Aiistrasiorum
ducis), jenes bekannten Günstlings Karls des Einfältigen; seine
Mutter Plictrudis war eine Schwester des Bischofs Stephan von
Lüttich. Im Lommatsehgau, wo er heimisch war, setzte er auf
seinem Erbgute Brogne (St. Gerard) zuerst Kanoniker ein ; als aber
Graf Berengar von Namur, dessen vielvermögender Rat er vrar,
ihn zum Grafen Robert nach Paris sandte, machte ein Besuch im
Kloster St. Denis solchen Eindruck auf ihn, dafs er seine Ent-
lassung erbat und zur gi'ofsen Verwunderung der Mönche von
St. Denis bei ihnen Unterricht nahm und 919 Mönch wurde. Es
war ihnen ganz erstaunlich, dafs ein bärtiger Mann noch die Buch-
staben lernen wollte, wie ein fünfjähriger Knabe ^) — eine Stelle,
die uns einmal recht deutlich zeigt, wie unberührt von aller litte-
rarischen Bildung die Laien waren, und wie irrig die weitverbreitete
Meinung ist, dass die scliolae exteriores für sie bestimmt gewesen
seien. Im Jahre 927 zum Priester geweiht, kehrte Gerhard zui*ück
und übergab nun die Kirche zu Brogne zwölf Mönchen aus St. Denis.
Die Leitung des Klosters war seinem still beschaulichen Sinne zu-
wider, er lebte abgesondert als Klausner, aber Herzog Giselbert und
Bischof Fulbert von Cambrai liefsen ihm keine Ruhe. In St. Ghislain
lebten nämlich damals Kleriker von gar schlechtem Wandel, welche
sich mit ihrem Heiligen singend und bettelnd herumtrieben, bis end-
lich dieser, des Treibens müde, zuliefs, dafs sein Leib gestohlen
wurde. Da wurde das Kloster Gerhard zur Reform übergeben; er
fand das Heiligtum in Maubeuge, der Herzog gab die Güter zurück,
und trotz des Widerstandes der losen Brüder stellte Gerhard dieses
zeicbnis der Abbates S. Bavonis, MG. SS. XXV, 570, ist nur ein Auszug
aus den Ann. Gand. und daher wertlos, vgl. Waitz-Aufsätze S. 661.
^j Vgl. Vita Gerardi c. 9, MG. SS. XV, 2, 659: „fratribus admodum
admirantibus , quod vir iamdudum barbatus applicari vellet ulterius
studiis litterarum puerilibus litteratim prima percurrit elementa
ceu quinquennis puerulus." Ueber die chronologischen Bedenken in diesen
Angaben vgl. Sackur, Cluniac. I, .367.
Gerhard von Brogne. 435
und andere Klöster her'). Auch Arnulf von Flandern, angeblich
durch Gerhard von einem Steinleiden wunderbar geheilt"), entäufserte
sich seiner Abteien Blandigny (9-il)-') und St. Bertin (944), v^-o die
regelmäfsige Zucht hergestellt wurde, und übergab Gerhard alle
Klöster seines Gebietes; er soll deren IS geleitet haben, darunter
auch Saint-Remi. Durch einen Krieg über die gefährdete Lage seines
eigenen Klosters belehrt, kaufte Gerhard Brogne los von der Ab-
hängigkeit von St. Denis und übergab es dem Bischöfe Farabert von
Lüttich (947—953); er starb in hohen Ehren am 3. Oktober 959.
Sein Leben ist nicht lange nach seinem Tode ausführlich beschrieben,
aber wir besitzen nur eine Ueberarbeitung aus dem Anfange des
11. Jahrhunderts, für den Abt Gonter geschrieben, geschmacklos mit
Versen gemischt, Dafs Raginar von Hennegau noch in der Ver-
bannung lebe, dafs Lietald, Gerhards Nachfolger als Vorstand des
Klosters zu Mouzon (f 997), die Wahrheit der Erzählung bestätigen
könne, schrieb der Bearbeiter der älteren Vita gedankenlos nach,
so wenig es auch zu seiner Zeit noch pafste''). Andere Stellen, an
') Es wurde 981 hergestelli , verbrannte 938. Nachrichten über die
Geschichte des Klosters in der zu Gerhards Zeit aufgezeichneten Inventio
S. Gideni, ed. Holder -Egger SS. XV, 2, 576—579, mit von Augenzeugen
aufgezeichneten Wundern. Danach stand Gerhard schon vorher mehreren
anderen Klöstern vor. Die Inventio berichtet auch über die Auffindung
des Heiligen in Maubeuge anders als die oben benutzte Vita Gerardi;
vgl. Sackur, Cluniac. I, 126 Anm. 2.
^) Diese merkwürdige Geschichte in der Vita Gerardi, c. 19 (MG. SS.
XV, 2, 669) und danach bei Joh. Longus c. 24 (SS. XXV, 774) und von
Tassart zu Folcwin c. 107 (SS. XIII, 628) nachgetragen.
^) Vgl. oben S. 430. Ein Mönch Adelard von Blandigny schrieb einen
Brief an Erzb. Elphegus von Canterbury (1006—1012) über Dunstan, der
in seiner Verbannung bei Graf Arnulf Schutz gefunden hatte, W. Stubbs,
Memorials öf Saint Dunstan, p. 53 (Hist. Zeitschr. XXXV, 200). — Die
Historia Relatioms S. Walarici, ed. Holder-Egger, SS. XV, 2, 693—696,
im 11 Jahrhunderte geschrieben, berichtet, wie der Leib des h. Walaricus
952 durch Arnulf von Flandern nach St. Bertin gebracht war und 981
durch Hugo Capet nach St. Valery-sur-Somme zurückkam. Zugleich kam
auch S. Richarius von da nach seinem Kloster zurück; vgl. oben S. 193
Anm. 1.
■*) Vita Gerardi abbatis Broniensis ed. L. v. Heinemann, SS. XV, 2,
654—673. In Kapitel 14 sind Stellen aus Liudprands Antapodosis auf-
genommen. Aus Italien soll er ^lapides porphyretici" für den Hauptaltar
mitgebracht haben, vgl. ebd. cap. 21. Die Geschichte seiner Reise nach
Rom ist aber wegen der Nennung eines Papstes Stephan , der damals
nicht regiert hat , und der Benutzung einer zweifellos unechten Bulle
dieses Papstes (Jafte n. 3580) ungemein bedenklich. Vgl. im allgemeinen
Walther Schnitze, Gerhard v. Brogne u. die Klosterreform in Nieder-
lothringen u. Flandern, Forsch. XXV. 221—271; L. v. Heinemann, Die
älteren Diplome f. d. Kl. Brogne u. die Abfassungszeit der Vita Gerardi,
NA. XV, 593—596; Sackur, Die Cluniac. I, S. 121 ff. 365 ff.; Berliere.
Revue bened. 1892 S. 157—172; Sackur, NA. XVIII, 350. — Unbedeutende
438 III. Ottonen. § 8. Lüttich.
Zu Tiel an der Waal verwandelte Adalbold ein verfallenes
Kloster an der Kirche der heiligen Walburga in ein Chorherren-
stift, und der Kustos dieses Stifts widmete ihm eine Schilderung
der dort vorgekommenen Wunder, welche geschichtliche Beachtung
verdient. Adalbold preist er als Erbauer der neuen Martinskirche
und als thätig auch in castris imperialibus. Eine Abschrift, der ein
neues Wunder beigefügt ist, schickt er an den oben S. 419 erwähnten
Wormser Diakonen Immo^).
Alpert erwähnt, dafs Bischof Adalbold über die Thaten Hein-
richs IL bis zur Einnahme von Metz (1012) ein so vortreffliches
Werk verfafst habe, dafs er selbst von diesen Dingen nicht reden
wolle ^). Dieses Werk Adalbolds ist als ganzes leider verloren. Er-
halten hat sich aber der Anfang eines Lebens Kaiser Hein-
richs IL, welches nur bis 1004 reicht und Adalbold wohl mit
Recht zugeschrieben wird^). Es ist gänzlich auf Thietmars Chronik
begründet und nur mit rhetorischem Schmucke überladen, ein Ver-
fahren, welches der Utrechter Schule entspricht und bei Adalbolds
gelehrter Bildung nicht befremden darf, während dessen eigene Er-
fahrung sich erst im weiteren Verlaufe hätte herausstellen können.
Doch fehlt es auch schon in dem, was erhalten ist, nicht an einigen
Zusätzen, besonders über italische Verhältnisse. Ich sehe deshalb
weder einen genügenden Grund, das Werk mit Moll Adalbold ab-
zusprechen , noch glaube ich annehmen zu müssen , dafs es immer
nur so weit gereicht habe , als wir es besitzen , wenn auch der
sächsische Annalist, bei dem allein eine Spur davon sich findet, nach
mehr als einem Jahrhunderte auch schon nicht mehr als dieses
Fragment gehabt haben mag. Dafs auch bedeutende Werke geringe
Verbreitung fanden und frühzeitig verstümmelt wurden, ist leider
keine vereinzelte Erscheinung.
Später übernahm man in dem von Heinrich gestifteten Bistume
^) Miracula S. Waldburgae Tielensia ed. Holder-Egger, MG. SS. XV, 2,
764—766; vollst, von G. Henschen, Acta SS. Feb. Hl, 546-548.
2) De div. temporum I, 5, MG. SS. IV, 704: „quia domnus Adel-
boldus Traiectensis episcopus haec omnia pleniter in uno volumine lucu-
lento sermone coinprehendit, a nobis pars, quae aliquando nostris scriptis
necessario occurrit, praeteremida visa est, ne historia tantis et tarn
venustis documentis edita a nobis tamquam ab insipientis latratu ob-
fuscaretur". Giesebrecht II, 560 und Hirsch, Heinrich II. Bd. I S. 297
nehmen „comprehendit" als Praesens und „edita" als auf die Zeit blickend,
wo Adalbolds AVerk vollendet sein wird; mir scheint es jedoch kaum
möglich, anzunehmen, dafs Alpert nicht von einem ihm schon vorliegen-
den Buche reden sollte.
^) Vita Heinrici II. imperatoris auct. Adalboldo ed. G. Waitz, MG. SS.
IV, 679-695. Hs. in Halle, NA. VIII, 382.
Leben Kaiser Heinrichs II. Balderich II. von Utrecht. 439
Bamberg die Bewahrung seines Andenkens und machte hier aus
dem tüchtigen und umsichtigen Kaiser, dem wackern Kriegsmanne,
der nur selten aus den Waffen kam, einen gewöhnlichen Legenden-
heiligen ; es bildete sich hier ein völlig entstelltes Bild aus, welches
auf die richtige Erkenntnis und Darstellung der Geschichte einen
sehr nachteiligen Einflufs geübt hat'). Denn was die geistlichen
Schriftsteller des Mittelalters gelobt hatten, fanden die neueren
Historiker zu tadeln ; die thatsüchliche Grundlage aber wurde
nirgends genügend untersucht, bis in neuerer Zeit W. v, Giesebrecbt
und S. Hirsch mit umfassender und eindringlicher Benutzung der
echten gleichzeitigen Quellen eine besser begründete Schilderung
jenes Kaisers in die Geschichte einführten.
Notkers Nachfolger in Lüttich, Balderich IL (1008—1018),
früher Vitztum der Regensburger Kirche, wird als ein trefflicher
Mann gerühmt; er stiftete das Kloster S. Jakob und fand hier auch
einen Biographen, der jedoch erst um die Mitte des Jahrhunderts
schrieb und den Bischof nicht mehr persönlich gekannt hat").
§ 9. Alaman nien.
Stäliu I, 605 ff. W. Meyer, Fragmeuta Buraua S. ITl ff. Ygl. aucli die Litteratur
oben zu II § 15.
Die Schulen von St. Gallen und Reich enau bewahrten auch
in dieser Zeit ihren alten Ruhm und erhoben sich zu hoher Blüte.
Es wurde manches hier geschrieben; aber wie Schwaben damals der
Reichsgeschichte ferner stand, wie den Alamannen der sächsische
Kaiserhof weit fremder war als der karolingische, so nahm auch
das ganze Leben einen provinziellen Charakter an, und während
wir in Sachsen und in Lothringen Geschichtswerke von allgemeinerem
Gesichtspunkte entstehen sahen, beschränkt sich hier die Litteratur
auf Schriften von engerem Gesichtskreise. Annalen freilich sind auch
hier geschrieben und darin wird auch, wie überall, von Kaiser und
Reich berichtet; ihre Notizen sind als gleichzeitige Aufzeichnungen
wichtig, aber sie zeigen kein Streben nach zusammenhängender Dar-
stellung, wie die gröfseren sächsischen Jahrbücher und der Fortsetzer
des Regino. So wurden in St. Gallen die alten Alaman nischen
^) Vgl. darüber im 2. Bande. — Eine von Giesebrecbt entdeckte, von
Jaffe herausgeg. Nachricht über Dedicatio ecdesiae S. Petri Babenbei-gensis
(1012) MG. SS. XVII, 635; Bibl. V, 479.
-) Vita Balderici ep. Leodiensis auct. monacho S. lacobi Leodiensis,
ed. Pertz, MG. SS. IV, 724—738.
440 HI- Ottonen. § 9. Alamannien.
Annalen bis 926 fortgesetzt^); um die Mitte des Jahrhunderts ent-
standen dann die gröfseren Annalen von St. Gallen, bis 955
von einer Hand geschrieben und von verschiedenen Schreibern bis
1044 fortgeführt'-), die Sanktgaller Gelehrsamkeit durch Anwendung
von Stellen alter Schriftsteller bekundend^). Bis 918 sind sie ein
Auszug der Alamannici mit einigen Zusätzen, von 919 an selbständig
und von erheblichem Werte. Gleichzeitig wurde in derselben Hand-
schrift, welche verschiedene Mönchsregeln u. a. enthält, auch das
Nekrologium angelegt*). Von den Ueben-esten und Spuren der
annalistischen Thätigkeit in Kelchen au haben wir schon (oben
S. 285 f. und 411 Anm. 4) berichtet. Dabei war die Rede (S. 286)
von dem Exemplare der Reichenauer Annalen , das für den Erz-
bischof Friedrich von Mainz bald nach 939 abgeschrieben wurde
und durch die von Ottos des Grofsen Sohne Wilhelm eigen-
händig am Schlüsse zugesetzten Nachrichten merkwürdig ist''). Es
hat aber auch noch eine weitere Fortsetzung Alamannischer Annalen
gegeben, deren Spuren Giesebrecht bis 985 in den Altahenses
findet^) und die vielleicht auch in den Kölner Annalen noch kennt-
lich ist.
Auch die nach dem Fundoi'te sogenannten Wein gart n er An-
nalen sind bis 918 nichts als ein Auszug der Alamannici; sie sind
bis 936 fortgeführt"). In Einsiedeln aber wurden um das Jahr
^) Annales Alamannici, neue Ausg. nach dem Originale in Zürich in
den Mitteil. z. vaterl. Gesch. XIX , 224—265, von C. Henking. Nach der
ausführl. Erörterung S. 347—358 ist das Stück 800—876 von einer Hand
geschrieben und Reichenauer Ursprungs ; 877 — 881 ist in St. Gallen oder
Reichenau, 882 — 926 in St. Gallen geschrieben.
2) Annales S. Galli maiores, früher Hepidanni genannt, ed. Pertz,
MG. SS. I, 73—85; Henking a. a. 0. S. 265—323, vgl. S. 358 ff. Die
Jahre 965 und 966 sind von Ekkehard IV. geschrieben und also ohne
Autorität; vgl. Henking S. 292 und Meyer von Knonau zu den Casus
S. Galli S. 338. Ueber die Reichsannalen, welche dem Stücke von 1025
bis 1040 zu Grunde liegen, werden wir in der folgenden Periode zu
reden haben.
^) Strehlke, De Heinrici III. bellis Ungaricis p. 35.
*) St. Galler Totenbuch u. Verbrüderungen {Historiae de frafribus
conscriptis a. 885 — 982), herausgegeben von Dümmler u. Wartmann in
den St. Galler Mitteilungen XI, 1—124. Das Totenbuch wiederholt in
MG. Necrol. I. 462—487; die Historiae als Confraternitatnm syngraphae
in MG. Libri Confrat. ed. Piper p. 136—143.
^) Vgl. noch J. R. Dieterich, Geschichtsquellen d. Klosters Reichenau,
Giefsen 1897, und F. Kurze, NA. XXIV, 427 ff.
«) MG. SS. XX, 776.
') Annales Weingartenses , MG. SS. I, 65—67. Vgl. Henking m den
Mitteil. z. vaterl. Gesch. XIX, 345, und die eben angeführten Schriften
von Dieterich u. Kurze.
St. Gallen. Reichenau. 441
OGG Annalen zusammengestellt und bis 1057, in einer anderen
Handschrift bis 1268 gleichzeitig fortgeführt').
Bei weitem das bedeutendste Werk für die Geschichte dieser
Zeit ist die Fortsetzung der Klosterchronik von St. Gallen, deren
wir schon (oben S. 267 f.) gedachten, und die uns das anschaulichste
und lebendigste Bild gewährt von einem schön und reich ent-
wickelten Klosterleben, dessen Mittelpunkt die Schule ist. Hart-
mann, der gelehrte Nachfolger (922 — 924) des Abtbischofs Salomon,
hatte über die Geschichte seiner Zeit ein Buch hinterlassen, welches
uns leider verloren ist^). Ein Jahrhundert lang scheint darauf diese
Aufgabe lanberührt geblieben zu sein, bis Ekkehard (IV.) die
Arbeit unternahm, ein Schüler Notkers des Deutschen, des bedeutend-
sten Sanktgaller Lehrers 0, an dessen Sterbebette er am 29. Juni 1022
stand; dann ging er, wohl von Aribo berufen, nach Mainz, wo er
die Schule leitete. Auch Trier kannte er aus eigener Anschauung").
Nach Aribos Tode (6. April 1031) scheint er heimgekehrt zu sein,
und unter den Glossen, mit welchen er viele Handschriften des
') A?in. S. Meginradi, Amiales Heremi u. Annales Eitisidlenses ed. Pertz,
MG. SS. III, 137—149. Hinsichtlich der Annales Heremi wirft Brefslau
im NA. III. .578 die Frage auf, ob sie nicht nur ein Auszug der Schwä-
bischen Reicbsannalen seien; vgl. Dieterich a. a. 0. S. 224 ff. G. v. Wyfs,
Ueber die Antiquitates monasterii Einsidlensis u. d. Liber Heremi des
Aegidius Tschudi (Jahrb. f. Schweiz. Gesch. X, 1885, 253 ff.), behandelt
sehr eingehend diese Hss. und erweist ihren Charakter als Arbeiten von
Tschudi. Ihr geschichtlicher Wert besteht in der Benutzung einer beim
Klosterbrande 1577 verlorenen Annalenhs. u. des alten Liber vitae im
ersten Teile des Liber Heremi, eines Namens, der eigentlich nur dem von
Tschudi benutzten Liber vitae zukommt. Daraus werden als Beilagen
abgedr. S. 87 — llU kurze Annalen 863 — 996 als Annales S. Meginradi IL,
S. 88—110 Ex libro Vitae Einsidl. a. 883—1298, Verz. d. Wohlthäter mit
Angabe ihrer Schenkungen, Nekrolog ohne Tage, u. noch einige Notizen
aus dem 14. Jahrhunderte. Reliquien u. Altäre von Einsiedeln: Anzeiger
f. Schweizer. Gesch. 1898 S. 11 ff.
^) Ekkehardi Gas. S. Galli c. 47 (Ausgabe von Meyer von Knonau
S. 165 ff.): „de quo quoniam pi-oprium eins sui temporis libellum habe-
mus, plura scribere supersedemus''. Vgl. über ihn Dümmler, St. Gall.
Denkmale S. 256 und NA. IV, 556; Ebert III, 159 ff. Seine Gedichte
hat jetzt P. V. Winterfeld innerhalb der Sylloga codicis Sangallensis
CCCLXXXI herausg., Poet. Gar. IV, 315—349; vgl. oben S. 272 Anm. 1.
') Vgl. über ihn Baechtold, Gesch. d. D. Litteratur i. d. Schweiz S. 58
bis 80; Kelle, Gesch. d. D. Litteratur I S. 232—263 u. SB. d. bayr. Ak.
1896 S. 349— 356; Kögel, Gesch. d. D. Litteratur I, 2, 598—626. Ausg.
der lat. und deutschen Werke : Die Schriften Notkers u. seiner Schule,
her. V. Piper, 3 Bde., Freiburg 1882—1883; mit Nachträgen in der Zs.
f. D. Philologie XXII, 277—286 und Kürschners D. National-Litteratur
Bd. 162 S. 311—318.
**) Dümmler, NA. XI, 405, wo er weitere Glossen von ihm zu Adonis
Martyrologium mitteilt.
442 ITT. Ottonen. § 9. Alamannien.
Klosters versah, findet sich noch der Tod des Papstes Viktor
(28. Juli 1057) erwähnt, den nach seiner Meinung ein Abt ver-
giftet hatte. Für seinen Lehrer Notker hat Ekkehard eine grofse
Menge metrischer Hebungen (dictamina) verfertigt, die, verkünstelt
und geschmacklos, wie sie meistens sind, doch von diesem als der
Aufbewahrung wert erachtet Avurden ; andere, die zum Teile an
seinen Bruder Immo, Abt von Münster im Gregorienthai, gerichtet
sind, fügte er später aus eigenem Antriebe hinzu. Die in der Hand-
schrift der Stiftsbibliothek 393 im Originale erhaltene Sammlung
unter dem Titel Liber henedictionum stellte er zusammen auf An-
regung des Stabloer Mönchs Johannes, Neffen des Abtes Poppo, der
in St. Maximin und Limburg Abt wurde und am 11. Juli 103G ge-
storben ist'). Auf den Wunsch des Abtes Purchard IL (1001—1022),
der ein eifriger Beförderer der lateinischen Dichtkunst war^), machte
er Verse zu den Bildern aus dem Leben des heiligen Gallus, welche
Abt Immo (975 — 984) im Kloster hatte malen lassen. Ebenso
dichtete er in Mainz auf Aribos Wunsch Unterschriften zu den Ge-
mälden des Doms^) und überarbeitete den Wcdfharius des älteren
Ekkehard (L, f 973), den dieser für seinen Lehrer Gerald in Verse
gebracht, Gerald dem Bischöfe Erchenbald von Strafsburg gewidmet
hatte^).
') Vgl. vorzüglich E. Dümmler, Ekkehart lY. in Zeitschr. f. D. Altert.
XIV, 1 — 73, und G. Meyer von Knonau in der Einleitung zu seiner Aus-
gabe der Casus S. Galli. Ausgaben aus dem Liher henedictionum: Rythnii
de S. Othmaro, mit Glossen, worin Ekkehard dieselben St. Galler Lehrer
feiert wie in der Chronik', MG. SS. II, 55 — 58 mit Verbesserungen von
Dümmler 1. c. p. 13; neue Ausg. vor den Gas. S. Galli ed. M. v. Knonau
p. LXXXV — LXXXIX. ; Benedictiones ad mensas ed. F. Keller, Mitteil. d.
Antiqu. Ges. in Zürich III, 97 — 121; Versus ad piduras domiis domini
Moguntinae ed. J. Kieffer (vgl. unten Anm. 3); J. Egli, Neue Dichtungen
aus dem lib. bened. Ekkeharts IV., St. Gallen 1898: Vorläufer einer
neuen umfassenden Ausgabe.
^) An diesen Abt ist, als er sich am Hofe befand, ein mex-kwürdiges
Schreiben über einen Kirchendiebstahl und dessen Entdeckung von seinen
Mönchen gerichtet, gedr. in Wartmanns Urkundenbuch III, 34 und von
Baechtold, Zeitschr. f. D. Altert. XXXI, 190.
^) Gedruckt am besten von Jos. Kieffer im Progr. des Grofsh. Gymn.
in Mainz 1881; vgl. NA. VII, 419.
*) Ekkehardi I. Waltharius ed. Rud. Peiper, Berol. 1873. Waltharius
nach der handschriftl. Ueberlieferung berichtigt, mit deutscher Ueber-
tragung und Erläuterungen von J. v. Scheffel u. A. Holder, Stuttg. 1874.
Waltharii poesis ed. Althof I, Leipz. 1899. Uebersetzt von P. v. Winter-
feld (Ekkehards I. Gedicht von Walther u. Hildegund), Innsbruck 1897;
von Althof (Waltharilied), mit Erläuterungen, Leipz. 1902. Zur Kritik
und Erläuterung : W. Meyer aus Speyer, Philolog. Bemerkungen, Münch.
SB. 1873 S. 361; derselbe, Zeitschr. f. D. Altert. XLHC 113—146;
P. V. Winterfeld, NA. XXII, 554—570; derselbe in der Zeitschr. f. D.
Ekkehard IV. Casus S. Galli. 443
In St. Gallen war inzwischen eine ijjrofse Veränderung eingetreten.
Von Stablo kam als Abt Norbert (1034 — 1''72), um die strengere
französische Zucht des Abtes Poppe einzuführen, unter lebhaftem
Widerstreben der alten Mönche. Ekkehard war, trotz seiner Freund-
schaft mit Johannes, ebenso heftig gegen diese Neuerer erbittert,
wie jener Priester Egbert (oben S. 436) , und die Störung der Ver-
hältnisse, die Vei-nichtung der alten Harmonie und wohl auch der
alten mehr profanen Studien , die von nun an in St. Gallen ver-
schwinden, mögen ihn vorzüglich veranlafst haben, die Kloster-
chronik fortzusetzen und das Andenken der guten alten Zeit zu
retten \). Mit der anziehendsten Ausführlichkeit erzählt er von dieser,
mit einer reichen Fülle von einzelnen Zügen, die uns ganz in das
Innerste des Klosters einführen; er schildert die Schicksale des-
selben, die Thätigkeit der verschiedenen Lehrer und ihr Leben mit-
einander; aber freilich hatte er dafür keine andere Quelle als das
Gedächtnis an eine schon sehr fern liegende Vergangenheit, an Er-
zählungen, die er in seiner Kindheit gehört hatte. Es ist daher
nicht zu verwundern, dal's sich ihm in den Einzelheiten vielfache
Irrtümer und Verwirrungen nachweisen lassen ; die kulturgeschicht-
liche Bedeutung der Schilderung wird aber dadurch wenig gemindert,
Ton und Färbung des Bildes werden wir als wahrhaft anerkennen
können, wenn auch die Umrisse einzelner Gestalten täuschen, die
gate alte Zeit zu sehr verherrlicht ist. Leider hat Ekkehard sein
Werk nur bis zum Jahre 971 geführt, und weit über ein Jahr-
hundert verging nach ihm, bevor man wieder an die weitere Fort-
setzung dachte.
Schätzbar durch Nachrichten über den verheerenden Einfall
der Ungern im Jahre 926 ist die sonst nicht bedeutende Lebens-
beschreibung der Klausnerin Wiborada, von dem Sanktgaller
Mönche Hartmann erst gegen das Ende des Jahi'hunderts verfal'st^).
Das Kloster Reichenau erhält eine besondere Bedeutung
dadurch, dafs es an der HauptstraCse nach Italien lag. Bischöfe
von Verona haben hier Kirchen gestiftet; griechische und italie-
Altert. XLV Anz. 9— 30; Sirecker, Zeitschr. f. D. Altert. XLII, 339—365;
ders. im Dortmunder Gymn.-Programm 1899; ders. , Neue Jahrb. f. d.
klass. Altert. TU, 573—594. 629—645; Manitius, Mitt. d. Inst. XXIV, 111.
Ferner: Baechtold. Gesch. d. D. Litt. i. d. Schweiz, S. 43 — 58; Kelle, Gesch.
d. D. Litt. I, 218—226; Kögel. Gesch. d. D. Litt. I, 2, 275—342.
1) Vgl. oben S. 267 f. u. 274.
^) Vita S. Wiboradae auct. Hartmauno mon. Sangallensi ed. Waitz,
MG. SS. IV. 446. 452—457. Vgl. Stalin l, 424 u. Meyer v. Knonau zu
Ekkehards Gas. S. Galli S. 203.
444 III- Ottonen. § 9- Alamannien.
nische Pilger und Reisende werden erwähnt, und auch Irländer
und Isländer lassen sich hier nachweisen. Durch Nachrichten
dieser Art verdienen die Wunder des heiligen Markus Be-
achtung, dessen Reliquien 830 von Venedig nach Reichenau gebracht
sein sollten. Die vielfach lautgewordenen Zweifel an der Echtheit
der Reliquien veranlafsten natürlich eine um so viel gröl'sere Zahl
von Wundern, und auch die Abfassung eines apologetischen Berichtes
darüber, welcher noch unter Heinrich I. oder gleich nach seinem
Tode geschrieben ist^). Eine andere Reliquie, die als eine besondere
Kostbarkeit betrachtet wurde, war ein Kreuz mit dem Blute
Christi, das durch einen Araber Hassan an Kax'l gebracht sein
sollte und 925 nach Reichenau geschenkt wurde. Neben vielem
Fabelhaften, das aber für die Sagengeschichte nicht unwichtig ist,
enthält die darüber verfafste Schrift doch auch einige geschicht-
liche Nachrichten-). Aehnlicher Art sind auch die im Anfange des
1 I.Jahrhunderts in Zurzach beschriebenen Wu n der der heiligen
Verena^). Den Abt Liutharius, sonst Liuthard genannt, feiern
einige Verse wegen runder Fenster, durch welche er Licht in ein
dunkles Gemach gebracht hatte^). Ihm schreibt Stephan BeifseP) das
reich geschmückte Evangeliar zu, welches im Dome zu Aachen liegt,
mit der Widmung:
Hoc, Auguste, libro tibi cor deus induat, Otto,
quem de Liuthario te suseepisse memento.
Aber wenn diese Handschrift wohl auch in Reichenau entstanden
ist und in den Anfang der glänzenden Reihe schöner Prachtbände
gehört*'), die beweisen, dafs in Ottonischer Zeit Reichenau etwa eine
^) Vgl. oben S. 284. Diese Miracula S. Marci sind nach Hauck III,
284 A. 3 um 934 verfal'st. Reichenauer Sequenz aus dieser Zeit De S,
Marco bei Blume und Dreves, Analecta hymn. XXXIV, 225 n. 274.
^) Ex translatione Sanguinis Doinitii, gedr. im Auszuge von Waitz,
MG. SS. IV, 445. 446*— 449; vollständig bei Mone, Quellens. I, 671—676;
übers, von Oehem (Brandi, Quellen u. Forsch, z. Gesch. d. Abtei Reichenau
Bd. II) S. 66 — 72. Vgl. dazu Aronius in der Zeitschr. f. Gesch. d. Juden
in Deutschland II, 76—81, und NA. XXVI, 269 n. 42.
3) Miracula S. Verenae ed. Waitz, MG. SS. IV, 457—460; Varianten
von Baumann, Anz. f. Schweiz. Gesch. N. F. II (1877) S. 288. Vgl. Stalin
I. 423. Die verschiedenen Vitae der Verena sind nur Erweiterungen aus
Notkers Martyrologium. Eine in fliefsenden Hexametern aus Tegernsee
bei Harster, Vitae Sanctorum p. 15 — 19.
^) Dümmler, NA. V, 433, vgl. X, 610 und Beifsel an der gleich an-
zuführenden Stelle.
^) Die Bilder der Hs. des Kaisers Otto im Münster zu Aachen, 1886.
S. 60.
®) Vgl. oben S. 403 Anm. 4 über Reichenauer Hss. , die nach Köln,
S. 408 Anm. 4 u. 5 über solche, die nach Trier geliefert wurden.
Reichenau. Witigowo. 445
Stelle einnahm wie Tours in der Karolingischen, so kann doch un-
möglich Abt Liuthard , den BeiCsel freilich sein Kloster bis 949
leiten lälst, der aber vielmehr von 92G — 934 Abt war, der Urheber
oder Geber eines für Kaiser Otto bestimmten Werkes sein').
Von mehr geschichtlichem Inhalte ist ein nur lückenhaft er-
haltenes Gedicht — es fehlen in der uns erhaltenen Niederschrift
des Verfassers an zwei Stellen je zwei Blätter mit etwa 100 Ver-
sen — zu Ehren des Abtes Witigowo (985 — 997), von Purchard
im Jahre 994 nicht ohne Geschmack und Kunstfertigkeit verfal'st.
Er läfst darin die Augia selbst auftreten, trostlos über die häufige
Abwesenheit des Abtes, der bald am kaiserlichen Hofe weilt, bald
die Stiftsgüter mit Kirchen schmückt; ausführlich beiüchtet sie von
seinen Verdiensten, namentlich dem Xeubaue des Klosters. Ein
Nachtrag vom Jahre 996 berührt die Teilnahme des Abtes an
Ottos III. Kömerzuge-). Er brachte Reliquien und Privilegien mit;
dann aber scheint es ihm nicht anders ergangen zu sein als dem
Abte Ratgar von Fulda : er wurde abgesetzt"). Nicht unwahrschein-
lich ist es, dals dui-ch die Bauten die Zucht gelockert und dadurch
die folgende Katastrophe herbeigeführt wurde.
Im Jahre 1006 nötigte nämlich Heinrich II. den Mönchen wider
ihren Willen den Abt Immo auf, welcher schon den Klöstern Gorze
und Prüm vorstand, und die strenge lothringische Zucht mit grofser
Härte den Mönchen aufzudrängen versuchte, was viele von diesen
zur Flucht vei'anlafste und dem Kloster grofsen Schaden that. Davon
hat der Mönch Rudpert in Prosa und in Versen berichtet*), sein
') Vgl. Vöge, Deutsche Malerschule S. 77.
^) Purchardi carmen de Gestio Witigowonii< ed. Pertz , MG. SS. IV,
621 — 632, der die Lücken nicht bemerkt hatte; Berichtigungen aus Gallus
Oehem versuchte 0. Breitenbach, NA. II, 176 — 178, doch benutzte Oehem
die auch uns erhaltene unvollständige Hs. und hat keinen selbständigen
Wert. Erst Brandi in der Ausg. Oehems (S. 25. 33. 73 — 75) hat dies
aufgeklärt und die Lücken der Hs. angegeben. Das zur Handschrift ge-
hörige Bild bei Mone III, Tafel 1; vgl. Sauerland u. Haseloif, Psalter
Egberts S. 169. Vgl. über das Gedicht Ebert III, 339—342; über die in
ihm geschilderte grofsartige Reichenauer Kunstthätigkeit und die erhal-
tenen z. T. mit Witigowo in Beziehung stehenden Denkmäler: Wand-
gemälde der St. Georgskirche zu Oberzell auf der Pieichenau, Elfenbein-
plastik, Metallarbeit , Buchmalerei (worüber oben S. 444 Anm. 6) , vgl.
Neuwirth, Wiener SB. CVI, 65 ff.; F. X. Kraus, Gesch. d. christl. Kunst
II, 54 ff.; Haseloff a. a. 0. S. 169 ff.
ä) Herim. Aug. Chron. ad a. 997, MG. SS. V, 118: .Witigowone
abbate privato Alawicus promotus". Pertz vermutet sogar „vita pri-
vate".
*) Herim. Aug. Chron. ad a. 1006, ebenda. Ueber Immo von Gorze
vgl. oben S. 381 Anm. 1 u. S. 415 Anm. 3.
446 III- Ottonen. § 9. Alamannien.
Werk ist aber verloren. Nach zwei Jahren erlöste der König
Reichenau von seinem Zuchtmeister und machte den in Fleury aus-
gebildeten Mönch Bern aus dem Kloster Prüm zum Abte, welcher
den früheren blühenden Zustand wieder herstellte^).
Die beiden grofsen Klöster scheinen alles au sich gezogen zu
haben, was an litterarischer Thätigkeit noch vorhanden war ; K o n-
stanz, so sehr es durch bedeutende Bischöfe ausgezeichnet war,
tidtt litterarisch gar nicht hervor, denn Salomo III., dessen Gedichte
ebenso wie die auf ihn bezüglichen Briefe oben (S. 273 f.) erwähnt
wurden, gehöi't ganz dem Kloster St. Gallen an, welchem er seine
Bildung verdankte und in dem sein Andenken immer fortlebte. Von
dem Bischöfe Conrad (934 — 976) gibt es freilich eine Biographie^);
sie ist aber erst 150 Jahre nach seinem Tode geschrieben und von
geringem Werte. Das Leben des Bischofs Gebehard IL (980 bis
995) ist ebenfalls erst viel später, im L2. Jahrhunderte, in seiner
Stiftung Petershausen verfafst; es enthält einige merkwürdige Nach-
richten über den Bau des Klosters^).
Wir haben schon gesehen, wie St. Gallen auch in die Ferne
wirkte durch seinen Probst Notker, der 972 Bischof von Lüttich
wurde. Zwei Ekkeharde gingen ferner nach Mainz. Mit Weifsen-
burg war vielfacher Verkehr und auch mit Strafsburg, besonders
unter dem Bischöfe Erchenbald (965 — 991). Dieser, der durch
den zweiten und dritten Otto mannigfach begünstigt wurde, war
wissenschaftlich gebildet, machte selbst Verse und nahm sich eifrigst
der Bibliothek an, für welche er Abschriften machen liefs. Wimphe-
ling hat noch Aufzeichnungen aus seiner Zeit gehabt, welche später
verloren sind"*). Er ist es auch ohne Zweifel gewesen, dem der Wol-
P Vgl. im 2. Bande IV, § 5 (6. Aufl. S. 42).
-) Vita Cuonradi Constantiensis episcopi auctore Oudascalcho ed. Pertz,
MG. SS. IV, 429— 43G. Seine Verbrüderung mit St. Gallen bei Dümmler
u. Wartmann S. 17; Piper, MG. Libri Confrat. p. 138. Vgl. über ihn die
Zusätze Hermanns zum Martyrolog. Notkeri, Forsch. XXV, 211.
^) Vita Gebehardi episcopi Constantiensis ed. Wattenbach, MG. SS. X,
582—594. Vgl. G. Meyer v. Knonau, Allgem. D. Biogr. VIII, 453. Auf
ihn bezieht sich die von Holder-Egger, SS. XV, 2, 1023 abgedruckte
Dedicatio capellae Litbacensis (Lipi^ach im Amte Ueberlingen). Sequenzen
auf ihn bei Kebrein n. 584 und (aus Petershausen) n. 585.
*) Catalogus episcoporum Argentinensiura, 1. Ausg. Strafsburg 1508
(2. durch Moscherosch ebd. 1651): fol. XXII (S. 32 der 2. Ausg.) ein Ge-
bet (auch bei Migne CXXXVII, 583); fol. XXIII (S. 38—34) ein Verzeichnis
von 17 Bischöfen, bei deren Weihe er mitwirkte, nebst Angabe des Orts,
wo sie geweiht (abgedr. MG. SS. XIII, 328) ; fol. XXIV (S. 35) Verse aus
Handschriften und von ihm geschenkte Bücher, die damals noch vor-
handen waren; fol. XXV (S. 37) eine kurze gleichzeitige Notiz über die
Sarazenenschlacht von 982, abgedr. MG. SS. XIII, 43 Anm. 6. Der Schlufs
Konstanz. Strafsburg. 447
tharius überreicht wurde 0» Zur Zeit des Abtes Burchard (958 — 971)
berief er, wie Ekkehard erzcäblt, den Sanktgaller Mönch Victor, einen
fähigen und gelehrten, aber unruhigen Mann von vornehmer Abkunft
nach Stralsburg, wo er mit Erfolg als Lehrer wirkte'). Nach dem
Tode des Bischofs zog der in früherer Zeit geblendete Victor sich
als Eremit in die Einsamkeit zurück. Erchenbald aber hat auch
selbst einige Verse über seine Vorfahren im Bistume verfalst^).
Andererseits wirkte auch Frankreich auf Strafsburg ein; Constan-
tius, der berühmte Scholaster von Luxeuil, hat hier gelehrt"*). Das
von dem Iren Deicolus gestiftete Kloster Lutra (Lure, Lüders)
wurde aus gänzlichem Verfalle mit Ottos I. Hilfe durch Baltram
hergestellt, dem sein Neflfe Werdolf folgte. Dieser veranlafste nach
Ottos Tode die Aufzeichnung der Vita S. Deicoli'O, in w^elcher, weil
Lutra an Waldrada gekommen war, sich sagenhafte Nachi-ichten
über Lothar IL finden.
Aus der Klosterschule von St. Gallen , wo ein grofser Teil der
jungen vornehmen , zu hohen Kirchenäratern bestimmten Geistlich-
keit erzogen wurde, ging auch der ausgezeichnetste Bischof hervor,
den Alamannien in der Ottoniscben Zeit besessen hat, üdalrich
aus dem Hause der Grafen von Dillingen'''), der von 924 — 973 dem
lautet nicht „devincente"', sondern „deo vincente", vgl. Bibliotbeque A. Fir-
min-Didot, Catalogue des livres rares et precieux, Paris, Juin 1882, p. 11
bis 13 in d. Beschreibung der aus Stralsburg stauimenden Handschrift.
Vgl. über Erchenbald : Hauck III , 325 und über seine Bücher Stettiner,
Prudentiushss. S. 97—102. Schon B. Werinhar v. Stralsburg (1001—1028)
vermehrte eifrig die Bibliothek, vgl. VVimpheling fol. XX\II (S. 39—40),
Stettiner S. 97, oben S. 355 Anm. 5.
^) Oben S. 442. Ueber seine Bezeichnung als „summus pontifex*
vgl. Hirsch-BrelVlau , Heinrich IL Bd. III S. 230 Anm. 4. Ebenso wird
z. B. auch der Bischof von Worms genannt in dem Briefe bei A. Mai,
Spicil. Va, 147 und Erchanbert v. Eichstätt von Wolfhard bei Pez, Thes.
VI, 1. 91. Ueber ganz abweichende Vermutungen von Grellet-Balguerie
vgl. NA. XVI, 456 und Krit. Jahresbericht d. Roman. Philologie 1 (1890)
S. 95.
-) „Urbem suam doctrinis eius floridam fecit." MG. SS. II, 116; vgl.
Meyer v. Knonau z. Ekk. S. 273 — 275.
^) Böhmers Fontes III p. XII und 1 — 4. Grandidier, Nouv. oeuvres
ined. I, 330 ff. Vgl. Rettberg I, 214. II, 60. Friedrich, Drei uned. Kon-
zilien S. 54. Meyer v. Knonau a. a. 0.
■*) In der schon oben S. 355 angeführten Totenklage um Konstantins
heilst es, dafs Kaiser Heinrich und König Rotbert, Frankreich, Deutsch-
land und Langobardien um ihn trauern. Strafsburg und Lyon werden
besonders genannt.
*) Vita S. Deicoli, Acta SS. lan. II, 199—210; Mabillon II, 102—116.
Ein Auszug ed. Waitz, MG. SS. XV, 2, 674—682. Vgl. Dümmler, Otto
der Gr. S. 309 und Ostfr. II, 245.
«) Ueber diese vgl. Steichele, Das Bisthum Augsb. ITI (1872) S. 31—55.
448 III- Ottonen. § 9. Alamannien.
Sprengel von Augsburg vorstand und ein segensreiches Andenken
hinterlassen hat\). Ohne Zweifel würde er hier eine reiche Ent-
faltung geistiger Thätigkeit hervorgerufen haben, wenn nicht die
schweren Zeiten, welche Ludolfs Aufstand und der Ungernkrieg
über Stadt und Sprengel brachten, seine Wirksamkeit gehemmt
hätten. Die Folgen dieser Ereignisse sind gewifs noch lange fühlbar
gewesen; doch finden wir zu Bischof Liutolds Zeit (989 — 996) in
den Briefen des Wigo von Feuchtwangen ^) den blühenden Zustand
der Augsburger Schule gerühmt. Zugleich zeigen uns diese zu-
fällig erhaltenen Briefe ein lebhaftes litterarisches Streben in dem
Kloster Feuchtwangen, im nördlichsten Winkel des Augsburger
Bistums. Wir dürfen daraus wohl den Schlufs ziehen, dafs noch
an manchen Orten eifrig gelehrt und gelernt wurde, ohne dafs
uns eine Nachricht aufbewahrt ist, und dafs auch vieles geschrie-
ben worden ist, was später unbeachtet zu Grunde ging, lieber
S. Ulrichs segensreiche Wirksamkeit aber ist uns glücklicherweise
ein reichhaltiger und vortrefflicher Bericht zugekommen, dessen
Verfasser, der Priester Gerhard, ein jüngerer Zeitgenosse des
Bischofs, zugleich durch seine gute Darstellung den gesegneten
Erfolg von Udalrichs Bestrebungen bezeugt. Die aufserordentlich
angesehene Stellung dieses Bischofs, sein Einflufs bei Hofe, die
mannhafte Verteidigung seiner Stadt und seines Sprengeis gegen
die Aufrührer und gegen die Ungern geben seiner Biographie
besondere Wichtigkeit und stellen sie dem Leben des Erzbischofs
Bi'uno zur Seite; doch ist die Sprache sehr gesucht und oft ganz
fehlerhaft, griechische und deutsche Worte werden eingemischt.
Auch die Zeit seines Nachfolgers Heinrich (973 — 982) zog Ger-
hard in seine Darstellung^). Liutold oder Ludolf bewirkte 993
^) Handschriften, darunter reich verzierte, mit dem Namen eines
Üdalricus peccator haben mit ihm nichts zu tun, vgl. Wattenbach, NA.
X, 410 'Und Swarzenski, Regensburger Buchmalerei S. 117 Anm.
^) Wigonis Decani Phyuhtwangensis monasterü Epistolae, ed. B. Pez,
Thes. VI, 1, 110 — 120; wiederholt nebst einem neuen Briefe nach der Hs.
München lat. 19412 (aus Tegernsee) von Steichele a. a. 0. S. 341—349
mit Nachrichten über das Klostei', welches sich nicht halten konnte und
Kollegiatstift wurde. Vgl. Bessert in den Württ. Vierteljahrsheften JV
(1881), 67 ff., 231 ff., 387 ff.; Seiler, Zeitschr. f. D. Philol. XIV, 385 ff.:
Schepfs, ebd. S. 419 ff.; Hauck III, 328; hier unten S. 453 Anm. 1.
^) Gerhardi Vita S. Oudalrici episcopi, ed. Waitz, MG. SS. IV, 377 bis
428. Migne CXXXV aus Mabillon. Üebers. von Grandaur, Geschichtschr.
31 (X, 4. 2) 1891 mit Exkurs über die Schlacht auf dem Lechfelde ;
vgl. Gundiach, Heldenlieder I, 183—192. Vgl. Stalin I, 424. Gieseln-echt,
Geschichte d. Kaiserzeit 1 , 784. Ruiand in Steicheles Archiv für die
Geschichte des Bistums Augsburg I, 7. K. Raffler, Ueber den heiligen
Vitii Udalrici. Regensburg. 449
die Canonisation S. Ulrichs, das erste BeisjDiel eines solchen Aktes,
und von da an wurde das Leben desselben immer von neuem,
später auch in deutscher Sprache überarbeitet; schon Bischof Ge b-
hard (996—999), früher Abt von Ellwangen, dem die Zeitgenossen
hohes Lob zollen, machte den Anfang damit'), aber geschichtlichen
Wert hat nur das ursprüngliche Werk. Lehrreich sind diese Be-
arbeitungen nur, insofern man recht deutlich sehen kann, wie das
geschichtliche Element sich immer mehr verflüchtigt und dafür der
rhetorische Schmuck, die herkömmlichen Phrasen überhand nehmen,
bis nur noch eine gewöhnliche mit Wundern überladene Legende
übrig bleibt^).
§ 10. Bayern.
Ein Geschichtswerk aus Bayern ist uns aus diesem Zeiträume
nicht aufbewahrt, wohl aber mögen Aufzeichnungen vorhanden
gewesen sein, welche für uns verloren sind, wie die Salzburger
Annalen von 835 an, und Regensburger Annalen, von
denen Spuren sich in späteren Werken nachweisen lassen '). Doch
hatte auch gerade dieses Land besonders schwer durch die Ver-
heerungen der Ungern gelitten; manches blühende Kloster war zer-
stört, andere durch Herzog Arnulfs Säkularisationen kaum minder
hart getroffen, und erst allmählich begann eine neue Entwickelung
und wissenschaftliche Thätigkeit.
In Regensburg starb am 23. September 972 der Bischof
Michael, der in seinem Epitaphium*) sehr gepriesen wird. Als
sein Nachfolger wirkte bis 994 der treffliche Bischof Wolf gang,
Ulrich. Augsburg 1866. Jul. Koch, Gesch. u. Cult des heiligen Ulrich,
Hall. Diss. 1875. Ebert III, 459—463. Hauck III, 47—52. Gegen die
Glaubwürdigkeit von Gerhards Bericht über die Schlacht auf dem Lech-
felde Brückner, Studien z. Gesch. der sächsischen Kaiser, S. 17 — 21. —
Ueber Ulrich handelt aufser Gerhard auch Ekkehard in einem fabelreichen
Exkurse, MG. SS. II, 107—109; bei M. v. Knonau mit Komm. S. 210
bis 224. Vgl. ferner über Ulrich den Zusatz zum Martyrolog. Notkeri,
Forsch. XXV, 209—211. — Augsburger Bischofsverz. MG. SS. XIII, 333,
und mit den Aebten von St. Ulrich u. Afra S. 278, ein anderes SS.
XV, 2. 1308.
1) Nur der Prolog abgedr. MG. SS. IV 381.
2) Eine sehr fabelhafte Version NA. VII, 139.
') Vgl. oben S. 166. Annales S. Emmerami hrevissimi 792. 817. 930
bis 1062 und Annale-':! S. Emmerami saeculi XI (1036 — 1046) ed. Jaffe,
MG. SS. XVII, 571 sind sehr unbedeutend.
■*) Aus einer Erameramer Hs. bei Dümmler, Otto I. 8. 594. Einti-äge,
die sich auf ihn beziehen, in einer Oberaltaicher, vordem Regensburger
Hs. bei Steinmeyer, Ahd. Gl. IV, 531.
Wattenbach, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl. 29
450 l'I- Ottonen. § 10. Bayern.
ein Schwabe von Gebiirt, der zuerst in Reichenau die Schule besucht
hatte , wo er mit Heinrich , des Bischofs Poppo von Würzburg
Bruder, Freundschaft schlofs und ihn nach Würzburg begleitete,
um die Vorträge des italienischen Grammatikers Stephan zu hören.
Als 956 Heinrich Erzbischof von Trier wurde, mufste Wolfgang
ihm auch dahin folgen, und teils als Lehrer, teils als Dekan für
die Herstellung der Zucht thätig sein. Allein nach Heinrichs frühem
Tode 964 liefs er sich durch nichts, auch nicht durch die Bemü-
hungen des Kölner Erzbischofs Bruno, ihn zu gewinnen , abhalten,
seinem Herzenswunsche zu folgen und im Kloster Einsiedeln Mönch
zu werden. Dann trieb es ihn, den Ungei'n das Evangelium zu pre-
digen ; hierbei aber trat ihm Bischof Piligrim von Passau entgegen
und bewirkte seine Erhebung zum Bischöfe von Regensburg, wo er
nun zu thätigem Wirken in der Welt gezwungen war und sich
auch auf diesem Felde ausgezeichnet bewährte. Er hat einen Bio-
graphen gefunden, aber nicht in Bayern, sondern in Franken, und
auch diese Schrift ist uns leider verloren; nur in der späteren Be-
arbeitung von Otloh sind Fragmente davon erhalten *). Wolfgang
war der Erzieher Kaiser Heinrichs IL ^), und auch Poppo, Markgraf
Liutpolds Sohn , der 1016 Erzbischof von Trier wurde , war in
Regensburg erzogen ^). Auch Tagino , 1004 — 1012 Erzbischof von
Magdeburg, war vorher Vitztum der Regensburger Kirche, ein
Zögling Wolfgangs und von ihm zu seinem Nachfolger bestimmt,
aber damals vom Kaiser nicht bestätigt''). Balderich, nach ihm
Vitztum, wurde 1008 Bischof von Lüttich.
Vorzüglich machte Wolfgang sich verdient durch die Herstellung
1) Othloni Vita S. Wolfkangi episcopi, MG. SS. IV, 521— .542. Acta
SS. Nov. II, 1, 565 ff. mit Benutzung der Cheltenhamer Hs., über welche
vgl. NA. XXII, 646. 688. Vgl. über Wolfgang im allgemeinen Hirsch,
Heinrich II. Bd. I S. 112 f.; Mehler, Der h. Wolf gang, Regensburg 1894.
Ein unter ihm (993?) hergestelltes Sakramentar mit reichem ornamen-
talen Schmucke kam in den Besitz des B. Otbert v. Verona (992 — 1004),
jetzt in der dortigen Capitolare cod. LXXXVII (82) , vgl. Swarzenski,
Regensburger Buchmalerei S. 38 — 41.
^) Thietmar in den Versen vor dem 5. Buche.
^) Gesta Trevirorum, MG. SS. VIII, 175. Notiz über eine 1017 von
Erzb. Poppo in Trier vollzogene Altarweihe in S. Maria ad martyres MG.
SS. XV, 2, 1125. Ecclesiae Trevir. tiomine scripti ad Popponem archiep.
versus (Beginn: Sponsits sponso) in der Cambridger Liederhs., Zeitschr.
f. D. Altert. XIV, 464 und Kürschners D. Nationallitteratur CLXII, 224.
Der ihm beigelegte Brief an Benedict IX. und dessen Antwort sind
Fiktion; vgl. Brefslau, Konr. IT. Bd. II S. 514-518, und Lesser, Erzb.
Poppo, Leipz. 1888.
") Thietmar V, 25 (42) ; Vita Wolf k. c. 36. Vgl. Hirsch, I. c. I, 172.
275; Uhlirz, Mitteil, des Inst. XV, 121—128.
Regensburg. St. Emmeram. Nonnenklöster. 451
des altberühmten Stiftes zu St. Emmeram, welches bisher ganz
unter der Herrschaft der Bischöfe gewesen war ; jetzt zuerst erhielt
es durch ihn einen eigenen Abt an R a m w o 1 d , den er aus St. Maximin
berief, und der mit Eifer die klösterliche Zucht herstellte'). Ram-
wold brachte Reliquien mit"), besorgte für seine Mönche eine Ab-
schrift oder Bearbeitung der Homiliensamralung des Paulus Dia-
conus ^), und legte ein Güterverzeichnis an , wovon sich nur die
Vorrede mit frommen Ermahnungen erhalten hat ■*). Doch hatte
auch schon 961 Otto I. in einer Urkunde die Frömmigkeit und die
Studien der Mönche rühmen können '"). Ramwold erlangte ferner,
nachdem er eine neue Kirche erbaut hatte, vom Abte Winidhar von
Ellwangen (978 — 987) Reliquien der heiligen Gemini"). Er war es
auch, der durch Aripo und Adalpert den herrlichen 870 für Karl
den Kahlen geschriebenen Evangelienkodex ausbessern liefs'): durcb
König Arnulf war diese Handschrift aus St. Denis nach St. Emme-
ram gekommen und hat später zu der romanhaften Translatio S.
Dionysii den Anlafs gegeben. In der Emmeramer Bibliothek hat
sich ein merkwürdiges Bruchstück über den Herzog Arnulf erhalten,
merkwürdig sowohl als vereinzelte Spur verlorener geschichtlicher
Aufzeichnungen, als auch durch den heftigen Widerwillen gegen den
Sachsenkönig, welcher sich darin ausspricht , und die Verherrlichung
des tapferen Herzogs, auf den in späterer Zeit die Geistlichkeit so
') Consiietudines S. Emwerammi, aus Einsiedeln stammend nach 0. Ring-
holz, Stud. u. Mitteil. a. d. Bened.- u. Cist.-Orden 1886 (NA. XII, 450),
sind jünger, vgl. Hauck III, 377 — 378.
2) MG. SS. XV, 2, 1094.
3) Zeumer, NA. X. 389; der Prolog S. 390.
-») Hokler-Egger, NA. XIII, 502—564. vgl. Hauck III. 378.
^) Dümmler, Jahrbücher unter Otto I. S. 320; MG. DD. I, 301.
ß) NA. VII, 620; vgl. VIII. .369.
") Ueber die Hs. "(jetzt München lat. 14000) vgl. Sanftl , Diss. in
aureum codicem, Regensburg 1786; Riebl, Zur bayr. Kunstgesch. I (1885),
13 und Vöge, D. Malerschule S. 8 (über die im Missale Heinrichs IL —
München lat. 4456 — vorliegende Nachahmung ); Chroust. Monum. pa-
laeogr. II, 2 — 6; besonders Swarzenski, Regensburger Buchmalerei S. 29
bis 37 u. ö. Das Blatt mit dem Bilde Ramwolds aus dieser Hs. bei
Swarzenski, Tafel I. 1 und L. v. Kobell. Kunstvolle Miniaturen, Tafel IV.
— Ueber zwei Kataloge der Hss. von St. Emmeram aus der Zeit Ramwolds
(der erste ist gedruckt MG. SS. XVII , 567, zum zweiten vom Jahre 993
gibt Berichtigungen Swarzenski S. 25) vgl. Gottlieb, Ueber mittelalterl.
Bibliotheken S. 67. — Die Hs. des Ambrosius Bamberg B. II, 9 (vgl.
Katalog I, 1, 347 f.) hat in Geheimschrift die Anrufung ,Sancte Ambrosi,
pro Ramvoldo intercede". die wohl auf den Emmeramer geht. — Bild aus
Ramwolds Traditionsbuch (vgl. oben 8.289 Anm. 1) bei Chroust II, 7.
Chroust gibt überhaupt in den ersten vier Lieferungen seiner Monum.
palaeogr. eine Reihe von Tafeln zur Gesch. der Regensb. Schreibschule.
452 ni. Ottonen. § 10. Bayern.
übel zu sprechen wai\ Das Fragment ist in Regensburg geschrieben
und zwar noch zu Lebzeiten des Herzogs (921 — 937) oder doch sehr
bald nach seinem Tode'). Auch in den Regensburger Nonnen-
klöstern, die Wolfgang teils begründete, teils wieder herstellte,
herrschte Sinn für den Besitz und vielleicht auch für die eigen-
händige Anfertigung schöner Bücher^).
In St. Emmeram war Gozpert Mönch geworden, nachdem er
in der Augsburger Kirche von früher Jugend an seine Ausbildung
erhalten hatte; 982 wurde er nach Hartwichs Tode (vgl. oben S. 406)
Abt von Tegernsee^) und veranlafste hier zu eifriger Beschäfti-
gung mit dem klassischen Altertume. Statius, Persius, Horaz, Ciceros
Briefe, Boethius wurden gelesen und abgeschrieben "*) ; natürlich auch
Priscian, aus dem man hier wie überall die lateinische Grammatik
lernte^). Boethius' Schrift vom Tröste der Philosophie schrieb Frou-
mund in Köln ab und sandte sie nach Tegernsee®), Glossen zum
Priscian in Feuchtwangen und im Pantaleonskloster '). Dieser
Froumund war Scholaster in Tegernsee und sammelte in einer
noch erhaltenen Handschrift eigene und fremde Briefe und Gedichte;
daraus allein ist uns dieses eifrige Studium in Tegernsee und die
') Fragmentum de Arnulfo duce Bavariae ed. Jaffe, MG. SS. XVII,
570, cf. 568. Vgl. Giesebrecht I, 807. Die entgegengesetzte Auffassung
Arnulfs bei Herrn, von Altaich in Böhmers Fontes III , 563 ; MG. SS.
XVII, 370.
^) Ueber das Regelbuch von Niedermünster (Bamberg Ed. II, 11) mit
den Bildern Heinrichs des Zänkers u. der ersten Aebtissin Uta u. Aversen
über die Reform des Klosters vgl. Hirsch, Heinrieh II. Bd. I S. 122 f.
und Swarzenski S. 46 — 55; über das von derselben Uta gewidmete Evan-
geliar (München lat. 13601) Swarzenski S. 88 — 122. Ueber andere Hss.
der Regensburger Frauenklöster derselbe S. 88 Anm. ; über eine Hs. des
Homerus latinus aus Obermünster vofl. Stiglmayr in den Prager Studien
a. d. Gebiete d. klass. Altertumsw. Heft III.
3) Gozpert f 21. Jan. 1001, vgl. Hauck III, 380 u. 448.
"*) Wie in den erhaltenen Tegernseer Hss. begegnen in dem Tegernseer
Briefwechsel (Pez VI, 1, 176) ferner „Invectivae Ciceronis in Sallustium".
Auch Rather und Gerbert kennen diese Schrift. Ueber Historia tripertita
unten S. 455 Anm. 1.
•'') Gozperts Briefwechsel in der oben S. 448 Anm. 2 erwähnten Tegern-
seer Hs.; Druck von Pez (vgl. oben) und Migne CXXXIX, 365 ff. (hier
nur Gozperts Briefe; die an ihn gerichteten in anderen Bänden unter
den Namen der Absender). Brief Gozperts aa Herzog Heinr. v. Bayern
(999), Oberbayer. Arch. L, Erghft. 277 (vgl. Zeitschr. f. D. Philol. XIV,
388). Wegen der Litteratur vgl. unten S. 453 Anm. 1.
*) Die Handschrift ist jetzt in Maihingen, und zeigt auch Beziehung
zum Kl. Blandigny bei Gent, vgl. Schepfs, Handschriftl. Studien zu
Boeth. de cons. im Progr. d. k. Studienanst. zu Würzburg 1881 , S. 6 ;
NA. VII, 177; NA. IX, 173—194; Steinmeyer, Ahd. Gl. IV, 500.
') Hs. jetzt Wien 114, vgl. Steinmeyer, Ahd. Gl. IV, 628.
Tegernsee. Wessobrunn. Salzburg. 453
lebhafte Verbindung mit den gleich strebsamen Mönchen und Klerikern
in St. Emmeram, Feuchtwangen (vgl. oben S. 448), Augsburg, Würz-
burg bekannt geworden'). Der gezierte und mit Gelehrsamkeit prun-
kende Stil der Zeit, auf den die italienischen Grammatiker eingewirkt
haben mögen, findet sich auch hier in vollem Mafse. Als feinge-
bildeter Bibliothekar in St. Emmeram erscheint hier Reginbald '^).
Schon früher, noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts lehrte,
vielleicht in Wessobrunn^), ein sehr gelehrter Mönch, Meister
Benedikt, die Grammatik; ihm übergab S. Ulrich seinen Neffen
Adalbero zur Erziehung.
In Salzburg unterrichtete ein hocbgefeierter Mönch aus St.
Gallen, Chunibert; ihn hatte sich Herzog Berthold (938—947
oder 948) vom Abte Kralo (942—948) erbeten ; doch meldet davon
nur der Sanktgaller Ekkehard, welcher irrig den Herzog Heinrich
nennt. Als Abt von Nieder- Altaich, und zwar zu Herzog Bertholds
Zeit, kennt ihn aber auch Hermann von Altaich^). Etwas später,
unter Erzbischof Friedrich (954—990), versammelte in Salzburg ein
gewisser Liudfrit zahlreiche Schüler-^); Erzbischof Günther (ord.
1024 Jan. 26., f 1025 Nov. 1) hatte seine gelehrte Ausbildung
1) Codex epistolaris Fronmundi (München lat. 19412 aus Tegernsee)
von 983 bis in Heinrichs II. Zeit, bis p. 168 von Froumunds Hand. Ein-
zelnes herausg. von Mabillon, Meichelbeck, Steichele, Seiler; das meiste
von Pez, Thes. VI, 1 und im Nachdrucke von Migne CXLI, 1283 ff.
(einiges in anderen Bänden, vgl. oben S. 448 Anm. 2 u. S. 452 Anm. 5).
Es fehlt eine umfassende Publikation. Genaue Inhaltsangabe mit Ver-
öffentlichung einzelner Stücke sowie der Gedichte, von Seiler, Zeitschr. f.
D. Philol. Xn^ (1882) S. 385—442 (hier auch die Apologia pro schola
Herbipolensi, vgl, oben S. 398 Anm. 3). mit Nachträgen von Schepfs, ebd.
XV (1888) S. 419—433. Quellen für Froumund sind ferner die von ihm
geschriebenen Codices: Maihingen I, 2 (vgl. oben S. 452 Anm. 6), Wien
114 (oben S. 452 Anm. 7), Boethius de arithm. München lat. 18764, Remi-
gius in Sedulium München lat. 19456 mit der Inschrift: „Ego Froumundus
coepi hunc libellum scribere, sed pueri nostri quos docui meo iuvamine
perscripserunt" (vgl. Huemer, Wiener SB. XCVI. 509). Ueber Froumund
im allgemeinen vgl. Hirsch, Heinrich Tl. Bd. I S. 126; Bd. II S. 225—230.
Kenipf, Froumund v. Tegernsee, Progr. d. Ludwigsgymn., München 1900.
Nicht von Froumund ist der ihm von Schmeller zugeschriebene „Ruod-
Heb", von dem sich Fragmente in Tegernsee erhalten haben. Er kann
aber dort bald nach 1023 verfafst sein. Ueber die Ausgaben u. s. w. vgL
oben S. 362 Anm. 4 und Kelle, Gesch. d. D. Litt. I S. 277—283.
^) Schepfs in d. angef. Programme S. 12.
^) Nach der Vermutung Leuttners, Hist. Wessofont. I, 63.
*) Casus S. Galli ed. Meyer v. Knonau S. 833 mit dessen Anmerkung.
Giesebrecht, Ann. Altab. S. 11. Abweichend Hirsch I, 130.
5) Wolfheri Vita Godeh. ant. c. 6, MG. SS. XI, 172; vgl. oben S. 490.
An einer später geänderten Stelle (ebd. Anm. 6) spricht Wolf her von
einem „eelebre studium" in Passau, aber wohl nur durch eine Verwechse-
lung; vgl. Hirsch I, 182.
454 m« Ottonen. § 10. Bayern.
unter Bischof Notker von Lüttich erhalten*). Im Jahre 987 ward
auch in Salzburg das altehrwürdige Stift zu St. Peter durch Erz-
bischof Friedrich vom Dome getrennt, und als selbständiges Kloster^)
erhielt es einen Abt Tito, der bis dahin Dompropst gewesen war. Sein
Name findet sich im Nekrologium von St. Emmeram als der dortigen
Kongregation angehörig ; vielleicht machte er da sein Noviziat ^).
Die Verse des Abtes Gerhard von Seeon wurden schon (oben
S. 401) erwähnt. In Benediktbeuern erhielt im Anfange des
11, Jahrhunderts der Propst Adalbero wegen seiner eifrigen Studien
den Beinamen des Bücherfasses "*). In Freising liefs Bischof
Abraham (957 — 993) fleil'sig Bücher abschreiben^), auch in weiter
Ferne, Sein Kaplan, später Erzkaplan, Gotschalk besorgte ihm Ab-
schriften in Metz und in Toul*'), dann folgte er ihm bis 6. Mai 1005
selbst als Bischof^), und nun war es der Schulmeister und Priester
Antrieb, welcher mit seinen Schülern für Gotschalk thätig war^).
Aus Tegernsee wandte man sich an Gotschalk, um ein Exemplar
*) Guntharii luvavensis archiep. sermo in purificatione , München
lat. 18090 aus Tegernsee (Catal. II, 3, 131).
^) Restauratin Monasterii S. Petri Salisburgensis , eine gleichzeitige
Nachricht über die Herstellung des Klosters St. Peter durch Erzb. Fried-
rich, von Holder-Egger herausgeg. SS. XV, 2, 1055—1057. Katalog der
Hss. von St. Peter erst aus späterer Zeit; dagegen erhalten ein Verzeich-
nis mit folgender Ueberschrift: Ista sunt nomina librorum, qui post ohitum
Pertharii domino Fridarico archiep. praesentabanfur et ille iussit servarc;
vgl. Gottlieb , Ueber mittelalterl. Bibliotheken S. 70. — Traditionsbuch
von St. Peter, um 1014 geschrieben, herausg. von W. Hauthaler, Salz-
burger ÜB. I (1898), vgl. Chroust, Mon. palaeogr. VIII, 2; die erzbischöf-
lichen Traditionsbücher aus der Zeit Odalberts, Friedrichs und Hartwichs
in der gleichen Ausgabe, vgl. Chroust VII, 9—10; VIII, 1.
3) Hirsch. Heinrich IL Bd. I S. 129.
4) Vas librorum, MG. SS. IX, 219.
^) Er soll ein Slave gewesen sein; die ihm zugeschriebenen Freisinger
Slovenica (München lat. 6426) sind aber älter, nach Miklosich, Die christl.
Terminologie der slav. Sprachen, Wien 1875, vgl. Hauck II (2. Aufl.), 468.
®) Unter Abraham wurden folgende Hss. von Gotschalk und seinen
Schülern abgeschrieben: in Metz die Freisinger Hss., jetzt München
lat. 6266, 6285, 6311, 6313, in Toul (vgl. Aretins Beiträge VII, 533)
München lat. 6294. Vgl. über München lat. 6421 unten S. 455 Anm. 3;
über München lat. 6426 vgl. oben Anm. 5 und Graf Hundt (unten S, 455
Anm, 3) S. 49. Von damaligen Freisinger Hss. weisen auch andere, wie
München lat. 6388 (Liudprand, vgl. oben S. 416), auf Metz zurück, und
damals kam der Plautus, jetzt Heidelberg 1613, gewifs aus Frankreich
nach Freising (vgl. Traube, NA. XXVI, 296).
') Ueber dies Datum vgl. Brefslau im NA. XX, 161.
^) Von Antricus oder unter seiner Leitung geschrieben die Frisingenses
München lat. 6256, 6303, 6372, 6403. Vgl, über ihre Inschrift Watten-
bach, Schriftwesen (3. Aufl.) S. 441 ; über Antricus selbst Uhlirz in den
Mitteil, des Inst. XV, 121. Die in der 1. Aufl. dieser Geschichtsquellen
nach Günthner, Gesch. d, litter, Anstalten I, 190, hier angeführte ,Bene-
Salzburg. Freising. Nieder-Altaich. Passau. 455
der Historia tripertita zur Abschrift zu erhalten'). Au Abraham
ist das Schreiben eines Freisinger Schulmeisters Rihkarius gerichtet,
der sich gegen den Vorwurf ketzerischer Lehren verteidigt^). Ge-
schichtliche Aufzeichnungen fehlen aber leider gänzlich ; nur ein
Martyrologium mit nekrologischen Notizen hat sich aus Abrahams
Zeit erhalten^).
Jener Chunibert aus St. Gallen ist, wie erwähnt, auch in Nie-
der-Altaich Abt gewesen, aber bald wieder fortgegangen ; später
hausten hier nach dem Verfalle der klösterlichen Zucht Kanoniker.
Unter ihnen war ein alter Priester, Namens Udalgis, der sich als
Lehrer grofsen Ruhm erwarb. Vornehme Jünglinge wurden ihm
gern anvertraut, um sich hier in freierer Weise ohne die strengere
Ordensregel in den Wissenschaften auszubilden, und mehrere Bischöfe
sind aus seiner Schule hervorgegangen ^). Der berühmteste unter
seinen Schülern aber ist Godehard (geb. 961), der in Salzburg
seine Studien fortsetzte, die gesunkene Klosterzucht in mehreren
Klöstern wieder herstellte und auch Altaich zu neuer Blüte erhob,
nachdem dort im Jahre 990 wieder ein Schwabe, Erchembert, nach
Benedikts Regel zum Abt erwählt war.
Aus der Altaicher Schule kam auch Piligrim, ein Neffe des
Erzbischofs Friedrich, aus vornehmer Familie, welcher 971 in
Pas sau auf Adalbert folgte und dort am 22. Mai 991 gestorben ist.
Für Passau eröffneten sich nach der Ueberwältigung der heidnischen
üngei-n grofse Aussichten ; schon Adalbert hatte sich einen Bischof
von Lorch genannt, wovon man in der Vita Severini las^), Laurentius
trat als Schutzpatron dem heiligen Stephan zur Seite, und dem
viel jüngeren Salzburg gegenüber glaubte Piligrim, der sich eben-
falls Bischof von Lorch nannte, die Errichtung, oder wie er es
darstellte, die Wiederaufrichtung, eines Erzbistums Lorch erreichen
dictio in scriptorio" stammt aus dem Gallikanischen Sakramentare, vgl.
Traube, Textgeseb. d. Regula S. Benedict! S. 670.
^) Meichelbeck, Hist. Friaing. Ib p. 472; ein Brief in der gleichen An-
gelegenheit aus Tegernsee an Domnus H. bei Pez, Thes. VI, 1 S. 127 n. 13.
Bei Meichelbeck p. 471 — 473 Briefe an Gotschalk. Mit dem Erzkaplane
Zacharias tauschte er Bücher, ib. p. 477.
2) Von Dümmler herausgeg. NA. XXVII, 503—508.
^) München lat. 6421. Vgl. Dümmler, Forschungen XV, 162 — 166;
Berichtigungen von Graf Hundt, Abh. der bayer. Akad. III. Gl. XIV, 2
S. 47; Leehner, Kirchenfeste in Bayern, Freiburg 1891. S. 7—74.
*) Wolfheri Vita Godeh. ant. c. 2, MG. SS. XI, 171. In der zweiten
Vita Prol. p. 197 wird aber Rumold als Godehards erster Lehrer genannt.
^) Die Vita S. Severini wurde erst im 10. Jahrh. wieder bekannt;
903 kam ein Exemplar nach Passau. Von der vierten Klasse ihrer Hss.
sagt Mommsen (p. XXVII): non reperitur nisi in partibus Danuvianis.
456 m. Ottonen. § 10. Bayern. § 11. Frankreich. Reims.
zu können. Auch Fälschungen scheute er zu diesem Zwecke nicht,
doch blieben seine Bestrebungen erfolglos^). Piligrims Name aber
blieb gefeiert in Passau und ist sogar in die Kibelungensage ge-
kommen, über welche er zuerst eine lateinische Aufzeichnung durch
seinen „Schreiber" Konrad machen liefs^).
In Eichstätt liefs Bischof Star ch and (933—966), ein Freund
Ulrichs von Augsburg, viele Bücher abschreiben und verfafste selbst
Gebete; sein Nachfolger Reginold (bis 989) wird wegen seiner
Beredsamkeit Chrysostomus genannt; er soll Griechisch und Hebräisch
verstanden haben, besonders aber war er ein grofser Musiker und
verfertigte zur Uebertragung des heiligen Willibald ein gar schönes
Gedicht; auch Wunnibald und Blasius hat er besungen^).
Bei einer so lebhaften litterarischen Thätigkeit kann es auch an
geschichtlichen Aufzeichnungen in Bayern nicht ganz gefehlt haben;
viel ist jedoch nicht voi-handen gewesen, da wir sonst doch bei den
späteren Schriftstellern Spuren davon antreffen müfsten, und gröfsere
Geschichtswerke scheinen hier nicht entstanden zu sein. Jene gram-
matisch-philosophische Bildung, welche vielfach hochgeschätzt und
eifrig erstrebt wurde, befördert durch Italiener wie Gunzo und
Stephan, führte zur Geschichtschreibung nur, insofern sie zu dem
erforderlichen Bildungsgrade verhalf; eine unmittelbare Beziehung
zur Geschichte hatte sie nicht und leitete eher ab von der Beschäf-
tigung mit der eigenen einheimischen Vorzeit, wie wir denn auch
gesehen haben, dafs die Hauptstätten dieser gelehrten Studien, wie
Reichenau , St. Gallen , Lüttich , keineswegs auch die fruchtbarsten
für Geschichtswerke waren.
§ 11. Frankreich. Reims.
Vgl. oben S. 33-1. PecheuarJ, De schola Remeusi decimo saeculo, Reims 1875.
An gelehrter Thätigkeit hat es in dieser Periode in Frankreich
nicht gefehlt; ti'otz aller Verheerungen und Unglücksfälle erhielt
sich ein bedeutender Grad von Bildung, der sich durch eine grofse
Anzahl von Lehrern, Scholastern fortpflanzte. Diese waren in Frank-
') Vgl. oben S. 56. Uhlirz, Otto II. S. 94— 100. Kruscli, NA. XXVIII, 571.
^) Für die Glaubwürdigkeit der Nachricht traten zuletzt ein : Kögel,
Gesch. d. D. Litteratur I, 2 S. 341 ; John, Lat. Nibelungenlied, Frogr. d.
Wertheimer Gymn. 1899; Burg in der Zeitschr. f. D. Altert. XLV, 131
bis 132. Otto V. Lonsdorf, B. v. Passau (f 1265) besafs in seiner Biblio-
thek .Attilam versifice", vgl. Huemer, Wiener Studien VII (1885) S. 335.
^j Anon. Haser. cc. 4, 11, 12, MG. SS. VII, 255. 257. Nach Eichstätt
gehören auch die Epitaphien einer Emmeramer Hs., NA. V, 432.
Eichstätt. Floiloard von Reims. 457
reich wie in Deutschland wohl alle von geistlichem Stande; es
scheint jedoch, dals sie dort nicht so allgemein wie hier bestimmten
Stiftern angehörten, sondern mehr nach italienischer Weise in un-
abhängiger Stellung Schüler um sich sammelten. Ihre ganze Richtung
ging vorherrschend auf Grammatik, Dialektik und Rhetorik, und
trug daher ebenso wenig Frucht für die Geschichte , wie die ver-
wandten Bestrebungen in deutschen Klöstern.
Reims war in diesem Jahrhunderte der Mittelpunkt der fran-
zösischen Politik und namentlich für die lothringischen Händel von
der gröfsten Bedeutung. Hier konnte man unmöglich ohne ge-
schichtliche Aufzeichnungen auskommen; hier bedurfte man anderer
Werke als rhetorisch ausgeschmückter Legenden, und Hinkmar hatte
dafür das beste Beispiel gegeben. Er fand einen Nachfolger an
Flodoard (894 — 966), der als Archivar der Kirche sowohl, wie
durch seine sehr angesehene Stellung ganz besonders zu dieser Auf-
gabe befähigt war'). Begonnen hatte auch er in derselben Weise
wie so viele seiner Zeitgenossen. Unter Papst Leo VII. (936 — 939)
besuchte er Rom, wo er vom Papste sehr gut aufgenommen wurde.
Als Denkmal seiner Frömmigkeit, seiner umfassenden Gelehrsamkeit
und seiner Dankbarkeit verfafste er in leidlichen Hexametern ^), von
Prudentius beeinflufst, ein gewaltiges Werk, dessen erste zwei Teile
die Thaten Chi-isti und der ersten Heiligen in Palästina und Antio-
chien feiern , während der dritte in 14 Büchern die Geschichte der
römischen Päpste in Verse bringt, verbunden mit zahlreichen Legen-
den der Heiligen. Noch bei Lebzeiten seines Gönners Leo VII. hat
er die Arbeit vollendet, welche er dem Erzbischofe Rotbert von Trier
widmete^); ihr letzter Teil ist nicht ohne geschichtlichen Wert'*).
') Vgl. über Flodoard Eist. lit. de la France VI, 319—329. Eberfc
III, 409—414. Lauer, Le regne de Louis IV d'Outre-Mer, Paris 1900,
p. V — VIII. Sammlung seiner Werke mit franz. Uebersetzung durch die
Akademie von Eeims. ?> Bde. Reims 1854 — 1855; vollständiger (vgl. unten
Anm. 4) von Migne CXXXV, 1—886.
^) Wo er andere Metra verwendet, geschieht es immer nur, um wider-
spenstige Namen in den Vers bringen zu können.
^) Nach Browers Zeugnis wäre sie freilich Rotger gewidmet, vgl. oben
S. 407. Es mag ursprünglich , wie in der Widmung der Reimser Ge-
schichte, nur der Anfangsbuchstabe gestanden haben. Die Trierer Hs.,
auf die sich Brower beruft, scheint verloren.
■•) Dieser ist gedruckt bei Mab. III, 2, 569-608 u. bei Muratori III, 2
wiederholt. Andere Stücke bei Mab. II, 30. 127. 1095—1100. Vollständig
jetzt bei Migne CXXXV, 491—886; Lauer (p. VII) irrt mit der Angabe,
dafs die Hs. Paris Arsenal 932 (Cat. II, 174 ff.) noch ungedruckte Gedichte
enthalte. Vgl. über Entlehnungen aus den Epitaphien der Päpste Scheffer-
Boichorst in den Mitteil. des Inst. VIII, 428—430 und IX, 177 A. 3; Du-
chesne, Liber pontific. II, 11. Ueber das ganze Werk Ebert III, 854 — 357.
458 m^' Ottonen. § 11. Frankreich. Reims.
Derselbe Erzbischof von Trier forderte ihn zur Zeit des Kon-
zils von Ingelheim dringend auf, die Geschichte der Reimser
Kirche') zu schreiben, und mit dieser Arbeit sehen wir ihn noch
952 beschäftigt. Schon in der grofsen Dichtung hatte Flodoard
auch urkundliche Nachrichten der Reimser Kirche benutzt und ihre
Beziehungen zum päpstlichen Stuhle sorgfältig hervorgehoben. Das
sind die Anfänge der Studien, aus welchen seine bis 948^) geführte
Geschichte der Reimser Kirche hervorging, ein Werk, in welchem
die Rücksicht auf die Form ganz zurücktritt gegen die Vollständig-
keit und Zuverlässigkeit des Inhalts; denn es ist ein urkundliches
in so hohem Grade, dafs es für die Zeit der Erzbischöfe Hinkmar
und Fulko grofsenteils geradezu aus Regesten der wichtigsten Ur-
kunden, besonders päpstlicher Schreiben, besteht^). Auch für die
frühere Zeit lag ihm noch einiges urkundliche Material vor; vorzüg-
lich war er hier jedoch auf Hinkmars Vita Remigii und einige andere
Legenden angewiesen ; Wundergeschichten erzählt er gerne und mit
grofser Gläubigkeit. Die Verarbeitung des Stoffes mufs man als
mangelhaft bezeichnen; oft wird sie ganz vermisst, aber der mate-
rielle Wert des Werkes ist dadurch um so gröfser für uns. Ein-
schaltungen im Reimser Interesse, an denen jedoch Flodoard un-
schuldig ist, und Benutzung gefälschter Aktenstücke hat Krusch
nachgewiesen ^).
Der Teil der Reimser Geschichte, welcher die Zeit des Verfassers
behandelt, findet sich grofsenteils wiederholt in seinem zweiten
Hauptwerke, den Annalen, welche von 919 — 966 reichen ^). Doch
') Flodoardi Historia Remensis ecclesiae, mit Anhang bis auf Adalbero,
herausg. v. Sirmond, Paris 1611; von Colvener, Douai 1617; Bibl. Patrum
Lugd. XVII, 500; bei Bouquet auf Bd. V-VIII verteilt; edd. Heller et
Waitz, MG. SS. XIII, 405—599 (ohne den Anhang) u. dazu Kritik von
Longnon im Repert. des travaux historiques I, 292 — 300. Vgl. oben S. 457
Anm. 1. Die II, 19 aufgenommene Visio Raduini (oben S. 232 Anm. 8)
kommt abgesondert vor und ist NA. XI, 262 gedruckt. Der Ausgabe von
Pithou (1588) sind Visiones Flothildae von QiO angehängt, jetzt bei Lauer
p. 815—319. — Series archiepp. Rem. (nur Namen), SS. XIII, 381. 750.
Annales Remenses 830—999, nicht gleichzeitig, ib. 81; Ann. S. Dionysii
Remenses 845—1190, p. 82—84 ; Ann. S. Nicasii Rem. 1197—1309, p. 84—87.
^) Die Ingelheimer S^Tiode dieses Jahres in den MG. Constitut. imp.
I, 8—16.
2) Vgl. Schrörs, Hinkmar S. 512 ff.
4j j^^ ^^ ^59 5g^
s) Flodoardi Amiales ed. Pertz, MG. SS. III, 363—408. Vgl. Giesebr.
I, 779. Einen Stammbaum der Hss., zu denen drei von Pertz nicht be-
nutzte hinzugekommen sind, sucht Couderc zu geben, Mel. Jul. Havet
(1895) p. 719—731; vgl. Lauer, Mel. d'archeol. et d'hist. XVIII (1898),
S. 507.
Flodoards Reimser Geschichte und seine Annalen. 459
hatte er diese, wie G. Monod nachgewiesen hat'), schon früher mit
den Ereignissen gleichzeitig begonnen und darin Rücksichten zu
nehmen gehabt, welche für die Historia Remensis nicht mehr not-
wendig waren; er unterbrach sie, um die Historia zu schreiben,
und nur der Bericht über 948 scheint dann umgekehrt wieder aus
der Historia in die Annalen herübergenommen zu sein. Sonderbar
ist, daCs Flodoard mit dem Jahre ÜIÜ beginnt, da Hinkmars Jahr-
bücher doch schon 882 schliefsen. Man hat sich gefragt, ob er ein
uns unbekanntes Werk vorfand, das den Zwischenraum überbrückte,
oder ob der Anfang seines eigenen Werkes verloren ist. Nun hat
Lauer ^) auf die üeberreste einer griechischen Zählung hingewiesen,
die in der Ueberlieferung der Annalen bei vielen Jahren am Rande
stehen , von den Früheren aber nicht recht beachtet wurden. Da
z. B. das Jahr 926 dabei die Nummer 33, das Jahr 966 die Num-
mer 73 erhält, so geht diese Zählung oöenbar von 894 aus, und ob-
gleich dadurch noch nicht alle Schwierigkeiten weggeräumt werden,
können wir wohl nichts anderes annehmen, als dafs Flodoard ur-
sprünglich mit diesem Jahre eingesetzt habe und der Beginn seiner
Annalen (894 — 918) untergegangen sei. Richer hat diesen Abschnitt
wohl noch vor sich gehabt. In dem uns erhaltenen Zeiträume
(919 — 966) berichtet Flodoard mit der gröfsten Treue Jahr für Jahr
die Ereignisse, wie er sie erfuhr, grofse und kleine, ohne auf ihren
inneren Zusammenhang einzugehen , in derselben objektiven Weise,
die wir schon bei anderen ähnlichen Werken bezeichneten, in einfacher
ungesuchter Sprache. Was ihn aber auszeichnet, ist die Fülle seiner
Nachrichten, nicht über Frankreich allein, sondern auch über Loth-
ringen und das ostfränkische Reich, mit dem er manche Berührung
hatte, und ferner seine fleckenlose Wahrheitsliebe und Zuverlässig-
keit. Er war in höherem Alter in das Kloster St. Basle eingetreten,
wo 952 wieder Mönche anstatt der Kanoniker eingeführt wurden,
und legte 963 die Prälatur, wie er sagt, siebzigjährig nieder. Drei
^) Revue critique 1873, II, 263.
2) Vgl. Biblioth. de l'Ec des eh. LYIII, 241 ff. (= Le regne de
Louis IV d'Outre-Mer p. 257—266) und Mel. d'archeol. 1. c. p. 491—523,
wo er sich gegen Couderc (Biblioth. de l'Ec. des eh. LVIII, 615 ff.) ver-
teidigt. Lauer nimmt als Ausgangspunkt der Zählung und Beginn der
Annalen das Jahr 893 an; doch beziehen s^ch die griechischen Zahlen
immer auf den folgenden Abschnitt. So steht ö7' am Pmde des Abschnittes,
der über 965 handelt . dagegen^fehlt ein Zeichen am Ende des 966 be-
handelnden Abschnittes: d. h. o7' war die Ueberschrift zum Jahre 966.
Dafs die griechischen Zahlen nur in diesem Sinne als KapiteLnummem
stehen können und nicht zur Bezeichnung irgend eines Synchronismus,
erweist alle mittelalterliche Analogfie.
460 III- Ottonen. § 11. Frankreich. Reims.
Jahre später ist er gestorben, und fast bis an den Tag seines Todes
hat er das Werk fortgesetzt. Nach 991 ist noch ein Zusatz über
die Jahre von 976 — 978 nachgetragen worden ^) ; sonst aber ver-
ging lange Zeit, bevor sich ein Nachfolger fand. In den politischen
Wirren, von welchen auch die Metropole, lange Zeit ein Zankapfel
der Parteien, viel zu leiden hatte, gingen Zucht und Lehre fast zu
Grunde, bis der Beginn einer besseren Zeit in dem nahen Lothrin-
gen auch hierher seine Einwirkung erstreckte. Zwei Metzer Dom-
herren, welche nacheinander auf den erzbischöflichen Stuhl erhoben
wurden, Odelrich, 961 — 969, und besonders Adalbero von 969 — 989,
ein Zögling der Klosterschule zu Gorze ^) , stellten die Ordnung
wieder her, und bald zog der neu erwachte Glanz der Reimser
Schule Scharen lernbegieriger Jünglinge zu der alten Kathedrale.
Bald nach Flodoards Tode, um das Jahr 967, hatte ein junger
Mönch, Gerbert, das Kloster Aurillac in der Auvergne verlassen,
um in der spanischen Mark Lehrer aufzusuchen, welche namentlich
seiner Liebe zu mathematischen Studien genügten. Im Jahre 970
folgte er dem Grafen von Bai'celona und dem Bischöfe Hatto von
"Vieh, seinem Lehrer, nach Eom und wurde hier bereits als ein
ausgezeichnet begabter Jüngling vom Papste dem Kaiser Otto zu-
gesandt. Noch fehlte es ihm aber an philosophischer Ausbildung,
und deshalb begleitete er den Reimser Archidiakonus Garamnus ^),
einen berühmten Lehrer der Logik, nach Reims, wo er einige Zeit
seine Studien fortsetzte, bald aber selbst als Lehrer einen aufser-
ordentlichen Ruf gewann ^). Ganz Gallien, sagt Richer, erglänzte
von ihm durchleuchtet, wie von einem strahlenden Lichte. Nach-
dem er sich später einige Zeit bei Otto IL aufgehalten und von
ihm wahrscheinlich 982 die Abtei Bobbio erhalten hatte, die er nicht
behaupten konnte , kehrte er zurück '") , und nahm während der
Minderjährigkeit Ottos III. in Reims eine sehr bedeutende politische
Stellung ein. Diese Periode ist es besonders, über welche uns seine
Briefsammlung die wichtigsten Aufschlüsse gibt, obgleich viele
') Vgl. Uhlirz, Jahrb. unter Otto IL S. 74 Anm. 7.
2) Gesta epp. Camerac. I, 102; MG. SS. VII, 443.
^) Der Name ist Hypothese, Eicher hat nur den Anfangsbuchstaben.
*) Er war auch Lehrer des Königs Robert nach der Satire des Bischofs
Adalbero von Laon. herausg. von Hückel, Biblioth. de la fac. des lettr.
de Paris XI 11, 146, v. 167, wo er Neptanabus genannt ist, was auf Ger-
bert gedeutet wird; vgl. Schultefs, Sagen über Silvester S. 33 Anm. 3
und Buhnov, Gerberti opp. mathem. p. 381. Hückel bezieht den Vers
auf Odilo.
*) Vor Ottos IL Tode, nach D. J. Witte, Lothringen in der zweiten
Hälfte des 10. Jahrhunderts (Diss. Gott. 1869) S. 43.
Gerberts Schriften. 4GI
der darin enthaltenen Anspielungen uns jetzt unverständlich sind,
und durch die absichtliche Dunkelheit der Schreibart die Benutzung
sehr erschwert wird '). Als er später (901) Erzbischof von Reims
wurde, als Nachfolger des abgesetzten Arnulf, zeichnete er selbst die
') Gerberts Werke: gesammelt von OUeris. Paris 1867. — Gerberts
Briefe: beste Ausgabe von Jul. Havet, Paris 1889 (Besprechung v. Stein-
dorff, Götting. Gel. Anz. 1890, S. 325— 3;3()); unter Ottos ill. Namen ge-
schriebene Briefe Gerberts in MG. DD. Otto 111. n. 196, 212, 216, 228;
Briefe Ottos III. an Gerbert, ebd. n. 241, 260; Gerberts Briefe mathe-
matischen Inhalts vgl. unten unter seinen mathemat. Schriften. Unter-
suchungen über die Briefe u. ihre Hss. : von Bubnov, Petersburg 1888
(russisch, vgl. Kehr, HZ. LXXI, 87 — 90 u. Wardrop, Hist. review VIII,
321-326); Th. v. Sickel, Mitt. d. Inst. XII (1891), 234—242 u. 41.3—431;
J. Harttung, Zur Vorgesch. d. ersten Kreuzzuges, Forsch. XVII, 390 — 393
(hält ep. 28 für untergeschoben), dagegen H. v. Sybel, Gesch. d. er.sten
Kreuzzuges (1881) S. 458; Lux, Einflufs P. Silvesters auf die Politik
Ottos III., Breslau 1898 (S. 72-82 über die Chronologie der Briefe);
Schlockwerder, Unters, zur Chronologie d. Briefe Gerberts, Diss. Hai. 1893;
J. Lair, Etudes critiques I (Paris 1899) S. 89—475 nebst 2 Bildern der
Haupths. Leiden Voss. lat. Q. 54 aus St. Mesmin de Micy (vgl. Traube,
Hieronymi fragmenta p. XIV). — Ueber Acta concilii Remensis ad S.
Basolum und die anderen von Gerbert aufgezeichneten Synodenverhand-
lungen vgl. unten S. 462. — Zur Diplomatik Gerberts: Ewald, NA. IX.
323 — 357. — Ueber die in den Briefen u. Bullen von ihm angewandte
Tachygraphie vgl. (aufser Ewald, Bubnov u. Lair) Havet, Oeuvres II, 469
bis 503; Cipolla, Mel. Havet S. 87 — 96; weitere Litteratur im Arch, f.
Stenogr. LIV (1902), 324 u. Studi e testi VII (19u2), 37. — Mathemat.
Schriften Gerberts: Gerberti opera mathematica ed. Bubnov, Berlin 1899
(mit vielen wichtigen Beigaben); die Litteratur bei Cantor, Vorl. über
Gesch. der Mathem. I (2. Aufl.), 797 — 824, der aber fälschlieh an der
Echtheit der Geometrie des Gerbert und des Boethius festhält; Tannery
in den Notices et extraits XXXVI, 1, 500 — 506. — Ueber Gerbcrts an
Otto III. gerichtete Schrift De rationali et ratione iiti Prantl, Gesch. d.
Logik II (2. Aufl.), 53—58. Questio Gerberti papae philosoph. Inhalts in
Paris lat. 10444, vgl. NA. II, 625. — Sernio de informatione episcoporum
nicht von Gerbert, vgl. J. Harttung, NA. 1, 587 — 593. — Gerberts Verse
aus den Brief hss. (= epp. 75, 76, 77, 78, 90; für 75 u. 78 Sonderüber-
lieferung in einer Reimser Hs. Arch. VIII, 393), auf ein Bild des Boethius
im Palaste Ottos III. (vgl. Boeth. ed. Peiper p. XXXX) und das Epitaph
auf Adalbero E. v. Reims (vgl. Steiiimeyer, Ähd. Glossen IV. 596) , ge-
sammelt von Olleris p. 293 — 295 ; die Verse auf das Bild d. Boeth. auch
bei Bubnov, Opp. math. p. 150; Verse an Otto in einem Bamberger
Isidorus de nat. rer. (Katalog I, 2, 408) vielleicht von Gerbert; dagegen
die Verse in der Bamberger (z. T. auch in einer Casseler) Hs. der Arithm.
des Boeth. (jetzt bei Bubnov p. 147 — 150) sind nicht an Otto IIb, sondern
an Karl d. Kahlen gerichtet (vgl. oben S. 354 Anm. 5). — Im allgemeinen
über Gerbert vgl. Reuter, Gesch. d. Aufklärung I. 78 — 84; Schultel's, Papst
Silvester II. als Lehrer u. Staatsmann, Hamburg 1891 (wo S. 11 die ältere
Litteratur angeführt wird); Allen, Hist. rev. VII (1892), 625 tf.; Picavet.
Gerbert un pape philoso]ihe, Paris 1897. — Ueber Sagen, die sich an
Gerbert knüpfen: A. Graf, Miti, leggende e superstizioni del medio evo
II (Turin 1893). 3 — 75; Schultel's, Die Sagen über Silvester IL, Hamburg
1893. Graf druckt auch die wichtio-sten Fundstellen über Gerberts Masrie
462 ni. Ottonen. § 11. Frankreich. Reims.
Verhandlungen der S3"noden zu St. Basle, Mouzon und Coucj auf,
welche durch diese Verhältnisse veranlal'st wurden \), und die aul'ser-
ordentliehe Klarheit, Schärfe und Gediegenheit der Darstellung, so-
wie die Meisterschaft im Ausdrucke lassen uns sehr bedauern, dafs
er uns aufserdem keine Werke geschichtlichen Inhaltes hinterlassen
hat. Besonders merkwürdig sind die Akten der Synode von St. Basle
durch die heftige und rücksichtslose Opposition gegen den römischen
Stuhl; sie riefen eine nicht minder heftige und charakteristische
Entgegnung von Seiten des römischen Abtes Leo hervor-).
Hat aber Gerbert nicht selbst Geschichte geschrieben , so ver-
anlafste er doch , dafs nach langer Unterbrechung in Reims diese
Thätigkeit wieder aufgenommen wurde. Er beauftragte damit einen
seiner Schüler^), den Rieh er, einen Mönch von Saint-Remi*), der
sich mit nicht gewöhnlichem Eifer dem Studium der alten Lateiner
und der Philosophie, der Medizin'') und der Mathematik hingab.
aus Beno, Sigebert, Ordericus Vitalis, Wilhelm v. Malmesbmy, Walther
Map und die Verse (ine. Ortus Bemensis) aus der Hs. Heidelberg Sal. 257
saec. XII — XIII wieder ab.
1) MG. SS. III, 658—693; Olieris p. 17.3—256.
-) MG. SS. III, 686—690; Olieris p. 287—243. Vgl. oben S. 840. Die
Beschlüsse der Svuode von Pavia 997, MG. SS. III, 694, Jaffe Bibl. III,
351 (Jaffe Reg. 3876), in einer Bamberger Hs. aus Reims, Bamb. Katalog
I, 1, 371. In der Hs. Rom Reg. lat. 1288 (Arch. XII, 815) folgen auf
einen Bericht über Arnulfs Absetzung u. Gerberts Nachfolge sehr bittere
Verse (ine. Tres contra Dominum), in denen man „Gilbertus" als «Gir-
bertus" verstand, in zwei anderen Hss. aber steht „Wigbertus", und Wibert
scheint besser zu passen, vgl. die Ausgabe MG. Lib. de lite III, 703.
^) Ueber Schüler und Freunde Gerberts sei hier folgendes angemerkt.
Ein von Aynardus in Reims (vgl. Gerbert ep. 7) geschriebener Cicero de
oratore mit Widmung an Gerbert, jetzt in Erlangen, vgl. Bubnov, Ger-
berti opp. math. S. 290. Ein Brief B. Arnulfs v. Orleans (972—1008)
über eine Stelle im Hiob, herausg. v. Lauer, Mel. d'arch. et d'hist. XVIII,
493—495; vgl. Sackur, Cluniac. I, 287. Ueber Adalbold v. Utrecht vgl.
oben S. 436 Anm. 5; über Adso S. 421 f.
*) Hier war 945 die Regel durch Erzbischof Hugo unter Mitwirkung
des Abts Erchambold von Fleury hergestellt und Hinkmar (f 967) als
erster selbständiger Abt eingesetzt. Gerhard von Brogne (oben S. 435)
wird dabei von Flodoard auffallenderweise gar nicht erwähnt. Berner
führte schon 948 von St. Remi Mönche nach Homblieres ijn Vermandois,
da die dortigen Nonnen zu liederlich waren und es trotz aller Mühe
blieben, vgl. Inventio, Tranftlatio et Miracula S. Hunegundis a. 946 auct.
Bernero, Mab. \, 214 — 221. Andere kamen 952 nach St. Basle und
durch Erzbischof Adalbero 971 unter Lietald nach Mouzon, 972 nach
St. Thiern-; vgl. Sackur, Cluniac. I. 186 ff.
'") Er ging zu diesem Zwecke nach Chartres (Richer IV, 50), wo seit
früher Zeit, wie vor allem die Hss. der medizinischen Autoren beweisen
(jetzt in Chartres. Paris, Bern), diese Wissenschaft eifrig gepflegt wurde.
Ueber die von ihm erwähnte „Concordia Yppocratis, Galieni et Surani"
vgl. Val. Rose im Verzeichn. der lat. Meermanhss. (Berl. 1892) S. 364.
Gerbert. Richers Geschichte. 463
Von seinen Vorgängern wich Richer ab, indem er die schlichte
anncalistische Form verliel's; ihm schwebte das höhere Ziel einer
künstlerisch durchgebildeten und das innere Wesen der Dinge er-
fassenden Geschichtschreibung vor. Nachdem er die Widmung an
Gerbert und den Anfang seines Werkes (bis II, 78) geschrieben,
scheint eine Unterbrechung eingetreten zu sein, worauf er, bevor
noch 997 König Robert sich von Gerbert abwandte, diesen Anfang
noch einmal überarbeitete und bis zum Jahre 095 fortführte; einige
kurze Notizen über die folgenden Jahre auf dem letzten Blatte
seiner Handschrift, in welchen die veränderte Stimmung gegen den
König sich offen zeigt, deuten die Absicht einer weiteren Fort-
setzung an, zu welcher er aber, vielleicht durch Gerberts Absetzung
(998) verhindert, nicht mehr gekommen ist. Nach Monods Ver-
mutung hat er ihn zum Kaiserhofe begleitet ').
Als Ausgangspunkt seines Werkes bezeichnet Richer in einem
Vorworte das Ende von Hinkmars Werk (882). Dann gedenkt er
als seiner Quelle für die ältere Zeit mit etwas dunklen Worten des
Flodoard : si ignotae antiquitatis ignorantiae arguar, ex quodam
FlodoarcU presbitcri Remensislihello me aliqua sumpsisse non äbnuo;
at non verbci quidem eadem, sed alia pro aliis longe diverso orationis
scemate disposiiisse res ipsa evidentissime demonstrat. Wenn er
nun auch im Verlaufe der Erzählung einmal ausdrücklich auf die
Historia Remensis verweist (I, 19: si qiiis ad plenuni dinoscere cupit,
legat librum Flodoardi preshitcri, quem ah urbe condita de eiusdem
urbis episcojns iiberrime descripsif), so berührt er sich mit diesem
Werke doch nur gelegentlich und benutzt vielmehr, wo wir verglei-
chen können (d. h. vom Jahre 919 an), sehr ausgiebig die Annalen
Flodoards. So wird er denn unter dem libelJus auch eher die Annalen
verstanden haben , und in seiner vor 920 freilich sehr dürftigen
Erzählung benutzte er auch wohl deren uns verlorenen Anfang (vgl,
oben S. 459). Sonst kannte er nicht einmal die Annalen von Saint-
Vaast. Dagegen hatte er, vermutlich in Chartres, wohin ihn das
Studium der Medizin führte, sagenhafte Nachrichten') über die Her-
Lauer glaubt den Namen Richer in einem Briefe Fulberts v. Chartres
(Bouquet X, 444) auf diesen Aufenthalt in Chartres beziehen zu sollen,
Regne de Louis IV p. XL
') Vgl. G. Monod, Etudes sur l'hist. de Hugues Capet. Les sources
historiques. Revue bist. XXVIII, 241 — 272.
^) Vgl. C. v. Kalckstein, Gesch. d. frz. Königtums unter den ersten
Capetingern I (1877), S. 476 — 482. Favre, Eudes, roi de France (Paris
1893) p. 230—233. Ph. Lauer a. a. 0. p. 267—276 (= Romania XXVI,
161—174).
464 III. Ottonen. § 11. Frankreich. Reims.
kunft des Grafenhauses von Blois erfahren , und sonst noch einige
Notizen, welche er mit äalserster chronologischer Verwirrung ganz
willkürlich in Verbindung brachte; wie sehr ihm jede Entstellung
zuzutrauen ist, zeigt der folgende Abschnitt, wo Flodoards Annalen
vorliegen^). Wo sie enden (966), erreicht Richer die Zeit, welche er
schon selbst mit durchlebt hatte, und je mehr er sich der Gegen-
wart näherte, desto mehr hatte er Ereignisse zu berühren, deren
Mittelpunkt grolsenteils der erzbischöfliche Stuhl von Reims gebildet
hatte. Hier konnte es ihm, der im Auftrage Gerberts seine Geschichte
schrieb, an zuverlässiger Kunde nicht fehlen; für die frühere Zeit
kam es ihm auch zu statten, dafs sein Vater Rudolf ein Dienstmann
König Ludwigs IV. gewesen war, dessen Gunst er sich durch seine
Tapferkeit und Klugheit erworben hatte.
Aeufserlich war also Richer vortrefflich ausgerüstet, um ein
Geschichtswerk von nicht gewöhnlichem Werte zu schreiben, aber
leider fehlte es ihm gänzlich an der inneren Befähigung. Es fehlte
ihm vor allen Dingen ganz an geschichtlichem Sinne. Nicht die
Thatsachen, nicht die Wahrheit sind ihm das Wesentliche, son-
dern mehr noch die Form der Darstellung, Das Studium der
Alten , vorzüglich des sehr stark von ihm benutzten Sallust ^),
führte ihn, wie wir das im Mittelalter nur zu häufig wahr-
nehmen, blofs zu dem Bestreben, in der äufseren Form ihnen nach-
zueifern, namentlich erdichtete Reden den handelnden Personen in
den Mund zu legen und altertümliche Benennungen anzuwenden,
wo sie nicht an ihrem Orte sind, nämlich für die eigentümlichen
Zustände und Verhältnisse der Gegenwart. Bei Richer aber geht
das Streben nach rhetorischem Schmucke so weit, dafs die Darstel-
lung der Thatsachen dadurch wesentlich beeinträchtigt wird. Schil-
derungen von Schlachten und Belagerungen, sowie besonders auch
von Krankheiten, bei denen er seine medizinische Gelehrsamkeit zur
Schau trägt, wiederholen sich in übertriebener Weitschweifigkeit,
und bei genauerer Untersuchung findet man bald, dal's der Ver-
fasser sich hier nicht selten ganz seiner Phantasie überläist. Dieses
führt uns auf den zweiten grolsen Fehler Richers, nämlich seinen
Mangel an Wahrheitsliebe und Genauigkeit. Eine unbefangene
Daz'stellung darf man bei seinem Standpunkte überhaupt nicht er-
warten; aber auch da, wo keine Parteirücksichten ihn verleiteten,
^) Vgl. die Dissertation von Reimann (miten S. 466 Anm. 1), worin
Richers Unzuverlässigkeit im einzelnen nachgewiesen ist, namentlich auch
die Unechtheit seiner Zusätze zum Ingelheimer Konzile.
^) F. Vogel in den Acta Sem. Erlang. II, 418—421.
Richers Geschichtswerk. 465
begeht er die grülsten Fehler, welche besonders deutlich hervor-
treten, wo wir seine Quelle, die Annalen Flodoards, zur Vergleichung
bei der Hand haben. Flüchtig und ungenau erscheint er da im
höchsten Grade. Tritt nun aber gar noch ein bestimmter Beweggrund
hinzu, von der Wahrheit abzuweichen, so sehen wir ihn jedem An-
lasse dieser Art folgen; er übertreibt und vergröl'sert, was er bei
Flodoard vorfindet, aber er geht auch so weit , sein eigenes Werk
zu verfälschen, um eine krankhafte nationale Eitelkeit zu befriedigen.
Ein besonders günstiges Geschick hat uns seine eigene Handschrift
aufbewahrt (Bamberg E. III, 3), und diese zeigt uns, wie er im
ersten Buche das, was er früher geschrieben hatte, veränderte,
um anstatt Giselberts und der Lothringer den König Heinrich und
die Deutschen dem westfränkischen König unterworfen erscheinen zu
lassen. Doch bleibt es zweifelhaft, ob er sich hier nicht durch seine
ganz falsche Auffassung der älteren Geschichte irre leiten liel's ; ge-
wonnen wird aber für ihn auch dadurch nicht viel, dafs man an-
nimmt, er habe einer oberflächlichen Theorie zuliebe die überkom-
menen Thatsachen willkürlich verändert •)•
Als Historiker können wir demnach Richer unmöglich hoch
stellen ; so sehr er im einzelnen nach rhetorischem Schmucke und zu-
sammenhängender Darstellung strebt, so wenig ist er doch auf ein
richtiges Verhältnis der Teile bedacht gewesen, und es wird durch
ganz zufällige Umstände bestimmt, ob er auf alle Einzelheiten mit
grölster Ausführlichkeit eingeht, oder wiederum wichtige Ereignisse
nur leicht berührt oder ganz übergeht. Dazu ist seine Sprache ge-
sucht und oft durch unpassende Ausdrücke kaum verständlich, so
dal's wir sein Werk auch nicht in Rücksicht auf die Form loben
können, wenn wir von der Wahrhaftigkeit der Darstellung absehen
wollten. Demungeachtet aber hat doch Richers Buch für uns einen
hohen Wert; er ist unser einziger Berichterstatter über jene so wich-
tige Zeit, in der die Herrschaft von den Karolingern auf die Cape-
tinger überging. Und seine ausführliche Darstellung gerade dieser
letzten Jahre enthält eine grofse Fülle wichtiger Nachrichten, die
wir ihm allein verdanken und, obgleich sie nur mit grofser Be-
hutsamkeit zu gebrauchen sind, doch als eine sehr wesentliche
Bereicherung unserer geschichtlichen Kenntnis betrachten müssen*),
') Nach Wittich in den Forsch. III, 105—141 hätte Richer I, 34—40
eine lothringische Quelle benutzt , und weil er von Giselberts Erhebung
erst bei dem Eintritte dieser Quelle berichtet, die Stellen, wo er ihn vor-
her erwähnt hatte, verändert, um oberflächlich die Einheit herzustellen.
Vgl. auch Waitz, Heinrich I, 3. Aufl. S. 2(\ ff.
^) Für die Zeit Ottos II. wird seine Glaubwürdigkeit verteidigt von
Wattenbach , Geschichtsquellen. I. 7. .\urt. 30
466 III- Ottonen. § 11. Frankreich. Reims.
Denn bis auf unsere Tage ist Richers Werk fast ganz verborgen ge-
blieben; nur in grolsen Zwischenräumen haben Frutolf, Hugo von
Flavigny, Trithemius davon Gebrauch geniacht und dadurch eine
sehr unbestimmte Kunde von diesem Schriftsteller erhalten ; sein
Werk aber galt für verloren, bis Pertz es 1833 in Bamberg von
neuem entdeckte und 1839 zum ersten Male bekannt machte^).
Schon früher als Saint-Remi war das Kloster Fleury oder
Saint-Benoit-sur-Loire durch Odo von Cluny der strengeren
Zucht unterworfen worden ; von hier hatte St. Remi seinen ersten
Abt Hinkmar erhalten. In Fleury wurde 988 Abbo Abt, der, in
der Klosterschule avisgebildet, schon als Lehrer gewirkt hatte, als
er sich noch nach Paris und Reims zu weitei'en Studien begab-). In
der Astronomie machte er Fortschritte , fand aber übrigens seine
Ad. Matthaei, Händel Ottos IL mit Lothar v. Frankr., Hall. Diss. 1882;
für die Erhebung der neuen Könige (IV, 12. 13) von Julien Havet,
Oeuvres II, 68—76. Vgl. dagegen Uhlirz, Jahrb. unter Otto IL S. 15-3
Anm. 9.
1) Richerl Historiarum Ubri ZFed. Pertz, MG. SS. III, 561-657. Be-
sonderer Abdruck, Han. 1839. Neue Ausg. von Waitz 1877 mit genauerer
Beachtung der in der Handschrift vorgenommenen Aenderungen. Mit
franz. Uebersetzung von Guadet, Paris 1845, und in der Ausgabe der
Academie de Reims v. Poinsignon, 1856. Deutsche Uebersetzung v. Freih.
V. d. Osten-Sacken, mit Einleitung von Wattenbach, Berlin 1854; neue
Ausg. 1891, Geschichtschr. 37 (X, 10). Schriftprobe bei Pertz p. 566, zwei
andere Seiten in W. Arndts Schrifttafeln, 3. Aufl. Tafel 53. Während
diese Originalhs. Richers aus der Dombibliothek stammt, wird über
Richeri ad Gerhertiim in Ruotgers Kataloge der Michelsberger Bibliothek
(NA. XXI, 166, vgl. 170) erwähnt; Frutolf und Trithemius könnten dieses
zweite Exemplar benutzt haben. In Bamberg liegen viele Hss. aus Reims,
sie gehörten dem Bamberger Dome ; aber der Reimser Vegetius , jetzt
Dresden DG. 182, kam vom Michelsberge. Es bestand offenbar ein leb-
hafter Austausch. Vgl. über Richer im allgemeinen Reimann, De Richeri
vita et scriptis, Olsnae 1845. Giesebrecht I, 788. Maurenbrecher S. 69
bis 74. Lauer, Regne de Louis IV p. VIII — XL
^) lieber Abbo handelt ausführlich Cuissard, L'ecole de Fleury-sur-
Loire ä la fin du 10. siecle, Mem. de la Soc. arch. de l'Orleanais XIV
(1875), 551—717. Ebert III, 392—399. Pfister, Robert le Pieux p. 9 ff.
(über die erste Romfahrt p. 54). Sackur, Die Cluniac. I, 274 ff. 11, 345
bis 349. Ueber Hss., die in seinem Auftrag entstanden, vgl. Sackur
II, 345; des Josephus Bell. Jud. liefs er durch den Laien Rotbert ab-
schreiben, Hagen, Catal. Bern. p. 240. Ueber Abbos arithmetisch-chrono-
logische Schriften vgl. Rose , Meerman-Hss. S. 308 ff. und Schenkl, Bibl.
patr. lat. Brit. n. 2363. Ueber sein Excerptum de gestis Romanorum
jjontificum, vgl. Duchesne , Liber Pontifical. I. CCIV und über die dort
vermifsten Hss. Traube, Hieronymi fragmenta p. XIII. Der von Aimoin
angeführte Brief des Abtes Oylbold an Abbo vollständiger bei Auvray,
Deux mss. de Fleury, Orleans 1889, p. 7 (a. d. Annales de la Societe bist,
du Gätinais). Hier überhaupt über Abbo; die von Auvray im Vatikan
vergeblich gesuchte Hs. von Abbos Brief an Giraldns und Vitalis jetzt in
Berlin Phill. 1833. In einer anderen Hs. dieses Briefes (Rom. Reg. lat. 1573
Fleuiy. Abbo. Aimoin. 467
Erwartungen nicht befriedigt. In Orleans vervollkommnete er sich
in der Musik, und übernahm dann eine Mission nach England, wo
Erzbischof Dunstan die klösterliche Zucht herstellte. Heimgekehrt,
gewann er als Abt eine grol'se Wirksamkeit, und übernahm auch
997 für König Robert eine Gesandtschaft an den Papst. Einer
schon im Jahre 996 unternommenen römischen Reise gedenkt er in
einem Briefe an den Abt Hatto III. von Fulda ') ; mit diesem
war er in Reims bekannt geworden , und hatte mit ihm einen
Austausch von Reliquien beredet. Vor dem Tode des Königs
Hugo (996) verfalste er für diesen und seinen Sohn eine Sammlung
von canonischen und anderen Aussprüchen, mit besonderer Beto-
nung des königlichen Amtes und des den Mönchen gebührenden
Schutzes ^). Endlich wurde er am 13. November 1004 in dem
Priorate La Reole an der Garonne in einem Tumulte der Aquitanen
erschlagen. Sein Leben beschrieb Aimoin''), ein Mönch seines
Klosters, der ihn auf seiner letzten Reise begleitet hatte, mit einem
Briefe an Herveus, Schatzmeister von St. Martin in Tours, der, unter
Abbo in Fleury gebildet, die 1001 verbrannte Martinskirche wieder
herstellte. Sie wurde 1008 eingeweiht, 1012 starb Herveus '').
Nach Fleury war aus Montecassino, während es von den Lango-
barden verwüstet in Trümmern lag, der Leib des heiligen Benedict
entführt worden, eine Thatsache, welche freilich später von den
Cassinesen hartnäckig geleugnet wurde (vgl. oben S. 340). Die
näheren Umstände der Uebertragung, die einen grolsen Aufschwung
des Klosters zur Folge hatte, schilderte schon im 9. Jahrhundert ein
Unbekannter, vielleicht Adalbert (f 853)^), und Adrevald fügte
aus Ferrieres) ein Verzeichnis der Aebte von Ferrieres, vgl. Auvray p. 18
und Traube. NA. XVIII, 88.
') Baluzii Miscell. I, 409. Schannat, Hist. Fuld. I. 132.
*) Conrat (Cohn), Gesch. d. Quellen u. Litt. d. röm. Rechts (1889) I,
259—261. Sackur, Cluniac. II, 487.
') Vita Abbnnis abb. Floriacensis atict. Aimoino, Mab. VI, 1, 37 — 58. —
Vom Jahre 626 an bis 1060 war auch in Fleury eine Ostertafel mit
Annalen versehen, gedruckt als Chron. FJoriacense, Duchesne III, 355
bis 357. Pertz läfst das aus der Hist. miscella, den Ann. S. Amandi und
S. Columbae Entnommene weg und gibt den Rest MG. SS. II, 254 von
853 an als Annales Floriacenses. Andere Notizen, gröfstenteils überein-
stimmend, bis 1044, vom Rande einer Ostertafel in Bern als Ami. Flor,
hreves, MG. SS. XIII, 87. Catalogus abbatum Floriacensium bis 818, MG.
SS. XV, 1, 500.
*) Hugonis archidiaconi 'Turoy^ensis dialogus ad Fulbertum (ep. Carnot.)
de quodam miraculo, quod cotitigit in translatione S. Martini, Mab. Anall.
ed. II. p. 213 seqq., ist damals entstanden; vgl. Clerval, Les ecoles de
Chai-tres, Paris 1895, S. 75 f.
^) Ex Adventu cot'jwris S. Benedicti in agruin Flor. ed. Holder-Egger,
468 m» Ottonen. § 11. Frankreich. Reims.
bald nacli 875 ein Buch über die Wunder des heiligen Benedict
hinzu'), welches ixm 880 von Adelerius fortgesetzt wurde^). Diesen
schlofs sich nun auch Aimoin an, indem er im Jahre 1005 ein
zweites und drittes Buch der Wunder schrieb^). Geschichtliche Nach-
richten über die Könige von Frankreich kommen gelegentlich darin
vor'*) und wurden, obwohl weder genau noch ausführlich, doch bei
dem Mangel an anderen Quellen, besonders da auch Richers Werk
nur wenig bekannt geworden war, von Spätei'en häufig benutzt.
Ganz ohne geschichtlichen Wert ist der Bericht über die Illatio
S. Benedict i, d.h. die Ueberti'agung in die Marienkirche, und,
nach der Flucht vor den Normannen 883, die Rückbringung aus
Orleans am 4. Dezember desselben Jahi-es, voll von Wunder-
geschichten und gröfster historischer Verwirrung, von dem Hers-
felder Mönche Diederich nach längerem Aufenthalte in Fleury
verfafst für den Abt Richard von Amorbach, der von 1018 — 1039
auch Abt von Fulda gewesen ist'^).
Die Aufzeichnung der Wunder des heiligen Benedict hatte Aimoin
nach dem 4. Kap. seines dritten Buches abgebrochen, um auf den
Wunsch seiner Klosterbrüder eine Geschichte der Aebte von Fleury
zu schreiben, wovon uns nur das Leben Abbos erhalten ist. Seine
Arbeiten nahm etwas später Andreas wieder auf, indem er 1041
den Abt Gauzlin behandelte, Hugo Capets Bastard, welcher auf
Abbo folgte und 1030*^) als Erzbischof von Bourges gestorben ist^).
MG. SS. XV, 1, 480—482, 574 b, vgl. Bibl. bagiogr. p. 167 n. 1117.
Ueber den Verfasser (den einige, wie z. B. Certain in der Ausgabe für
die Soc. de l'hist. de France, Les Miracles de Saint Benoit, Paris 1855,
nach Sigeberts Vorgange, SS. eccl. c. 100 „Adrevaldus qui et Adalbertus",
von Adrevald nicht unterscheiden) vgl. Holder-Egger p. 475.
1) Ex MiracuUs S. Bened. Floriac. SS. XV, 1, 474—497. Ueber den
Brief des Papstes Zacharias (p. 484) vgl. Hahn, NA. I, 580—583 und
Loewenfeld, NA. IV, 173—175.
2) MG. SS. XV, I, 498—500.
') Ex Miraculis S. Benedicti (= Aimoinus Floriac. de regibus Fran-
corum), MG. SS. IX, 374—376.
*) Fragmentum ex antiqua memhrana Flor, monasterii ist dazu benutzt,
vgl. J. Havet, Oeuvres II, 68—76.
5) Bei Mab. IV, 2, 350—355 unvollständig. Vgl. C. v. Kalckstein,
Forsch. XIV, 119 f.; Dümmler, Ueber Leben und Schriften des Mönches
Theoderich (von Amorbach) in den Abhandl. der Berl. Akad. 1894 S. 21.
«) Ueber das Todesjahr NA. III, 383 Anm. 6.
') Ausg. von L. Delisle in den Memoires de la Societe archeologique
de l'Orleanais, T. II, 1853. Der Anfang NA. II, 605—607 in der irrigen
Meinung, dafs es ungedruckt sei. Weil die mit trefflichen Noten versehene
Ausg. Delisles wenig zugänglich und nach einer fehlerhaften Abschrift
gemacht war, ist im NA. III, 349 — 383, eine vollständige neue Ausgabe
von P. Ewald gedruckt. Ueber die I, 2 (Ewald p. 352) erwähnten Mönche
Miracula S. Benedicti. Aimoin. 469
Doch behielt Gauzlin auch als Erzbischof die Abtei, welche 102G ab-
brannte und unter seiner Leitung neu gebaut wurde. Seine Bio-
graphie enthält viele für Kunstgeschichte und Litteraturgeschichte
wichtige Nachrichten; auch von dem gefeierten Scholasticus Con-
s tantin, dem Freunde Gerberts, erfahren wir hier, dafs er von
dem Bischöfe Arnulf von Orleans') die Abtei St. Mesmin de Micy
erhalten hat"). Die Mirakel aber führte Andreas, häufig sich selbst
wiederholend, bis 1043; von anderer Hand sind nach 1056 Zusätze
dazu gemacht^). Endlich hat noch Kadulfus Tortarius, geb.
1063, ein fruchtbarer Dichter^), die Mirakel bis 1114 fortgeführt
und das ganze Werk in Verse gebracht; den Schlufs bilden einige
Aufzeichnungen von Hugo von Fleury'^).
Doch von Aimoin haben wir noch ein Werk anzuführen.
Noch bei Lebzeiten Abbos verfafst und diesem gewidmet ist
eine frühere Scbrift von ihm, eine Geschichte der Fi'anken, welche
bis zur Thronbesteigung Pippins reichen sollte, aber unvollendet
blieb und nur bis in die Mitte des 7. Jahrhunderts geführt isf).
Selbständigen Wert hat sie deshalb durchaus nicht; sie gleicht viel-
mehr den damals so häufigen Ueberarbeitungen alter Legenden,
und ist wie diese mehr eine sprachliche und formale als eine
geschichtliche Leistung. Eine später im Kloster St. Germain-des-
Pres hinzugefügte Fortsetzung bis 1040 ist aus bekannten Quellen
Isenbardus und Hisimbertus v. Fleury vgl. Auvray (oben S. 466 Anm. 2)
S. 9. Der dem Andreas aus Ramsey geschickte Episcopalis benedictionis
liber (I, 43, Ewald p. 369) wurde in Paris lat. 987 wiedererkannt von
Delisle, Sacram, p. 216; vgl. auch Delisle, Journal d, savants 1903
p. 435.
') Vgl. oben S. 462 Anm. 3.
^) Ein Gedicht an ihn, ein zweites an einen unbekannten Bovo, ed.
Dümmler, NA. II, 222 — 228. Beide auch bei H. Hagen, Carmina medü
aevi p. 130 — 136. Verbesseiningen zum ersten von L. Havet, Romania
VI (1877), S. 286. Vielleicht derselbe Abt Constantin wird als Yeranlasser
einer wertvollen Hs. in Versen gefeiert, NA, XA^III, 585; vgl. oben S. 417.
Sammlung der Hss. aus Micy bei Traube, Hieron. fragm. p. XII — XVIII.
^) Dieser Teil ist nur in der Ausgabe von Certain (vgl. oben S. 467
Anm. 5) gedruckt; Berichtigungen nach der Hs. (Rom Reg. lat. 592)'
NA. III. 344—349, von P. Ewald; vgl. Bibl. bagiogr. p.. 169.
*) Eine Abhandlung über ihn von Certain, Bibl. de l'Ecole des chartes,
4. ser. , 1 , 489 — 521 ; vgl. K. Hofmann in der Ausg. v. Amis et Amiles
(2. Aufl. Erlangen 1882) S. XXI— XXXII.
^) Radulfus und Hugo bei Certain p. 277 — 371. Ueber Hugo im
2. Bande.
®) Aimoini Hist07-ia Francorum ed. Breulius, 1602 (u. 1603) und in
Frehers Corpus Franc. Hist. mit den Fortsetzungen. Ohne dieselben
Duchesne III, 1 — 120. Bouquet III, 21 — 139. Ueber die Handschriften
Waitz, Archiv XI, 314. Vgl. oben S. 122.
470 III- Ottonen. § 11. Frankreich. Reims.
zusammengesetzt, mit einigen Zusätzen über die Geschichte des
Klosters; eine weitere Fortsetzung reicht bis 1165').
Schon frühzeitig, seit dem Anfange des 9. Jahrhunderts, wurden
Annalen im Kloster der heiligen Columb a zu Sens geschrieben^).
Mit ihrer Hilfe, wie sie in einer uns nicht erhaltenen ausführ-
licheren Gestalt bis 956 vorlagen, verfafste ein unbekannter Geist-
licher mit besonderer Beziehung auf das Erzbistum Sens eine etwas
ausgiebigere, aber noch immer sehr magei'e Chronik des westfrän-
kischen Reiches von der Schlacht bei Tertry bis zum Ende des Jahr-
hunderts nach mündlicher Ueberlieferung und persönlicher Erinne-
rung fortschreitend; wichtiger ist die von einem Zeitgenossen her-
rührende Fortsetzung von 1000 — 1015^). Dieses Werk wurde nicht
nur in der wenig späteren Chronik des Odorannus von Sens'*), son-
dern auch von Hugo von Fleury und anderen'*) viel benutzt und
von Ordericus Vitalis vollständig in seia Wei-k aufgenommen.
Von gröfserem Werte, aber der deutschen Geschichte und unserer
Aufgabe schon sehr fern liegend, ist die Chronik der Normannen
') Simeon Luce, La contiimation d'Aimoiii et le ms. lat. 12711 de
la Bibl. nat. (Not. et doc. pour la Soc. d'hist. de France) , Paris 1884,
p. 57^ — 70 über das Exemplar mit Interpolationen aus St. Germain-des-
Pres, woraus die ältesten Ausgaben genommen sind ; vgl. B. Krusch, HZ.
LVI, 367.
2) Ann. S. Columhae Senonensis 708—1218 ed. Pertz, MG. SS. T, 102
bis 109. Bis 840 in den Ann. S. Maximini ausgeschrieben, oben S. 406
Anm. 1. Nach einem vollständigeren Exemplare bis 922 sind sie von
Albericus benutzt, vgl. MG. SS. XXIII, 661. Verwandte Notizen {Notac
Senonenses) aus 2 Martyrologien bei Delisle, Notice sur plus, manuscrits
de la bibl. d'Orleans, Not. et extr. XXXI, 1, 424—426 u. Catalogue Libri
p. 46—47 (aus Paris nouv. acq. lat. 1604), und Delisle, Sacram. p. 164
bis 165 (aus Rom Reg. lat. 567). Nomina episcopor. civ. Senonunt mit
einzelnen Notizen aus einem Stockholmer Sakramentar im Anz. f. Kunde
der D. Vorzeit XXII, 39 und bei Delisle, Sacram. p. 371. Obedienz-Er-
klärungen für die Erzbischöfe von Sens mit einzelnen Notizen aus zwei
Petersburger Hss. NA. III, 199—202; V, 261; 601. Obedienz-Erklärungen
für die Erzbischöfe von Besan^on NA. III, 196 — 198.
^) Historia Franco7-um Senonensis a. 688 — 1015 (1034) ed. Waitz, MG.
SS. IX, 364—369. Vgl. Lot, Les derniers Carolingiens, Paris 1891, p. 338
bis 345.
■*) Odoranni monachi S. Petri Vivi Senonensis Chronicon collectum
a. 1045, ed. Duchesne II, 636. Mit den übrigen Schriften des Odorannus
bei Duru, Bibl. bist, de I'Yonne II, 187 — 446. Daraus auch bei Migne
CXLII, 765—831.
'") Clarii monachi S. Petri Vivi Senonensis Chronicon bis 1124, Fort-
setzung bis 1179, weitere Fortsetzung bis 1267, bei Duru II, 449—597.
Excerpte (unzureichend) MG. SS. XXVI, 30—36. Clarius enthält Reste
karolingischer Annalen aus Sens, die von den uns bekannten verschieden
sind und Beachtung verdienen ; vgl. Poet. Car. III, 68 adn. 5. Chronique
de Vabbaye de St. Pierre le Vif de Sens, redigee vers la fm du 13. si^cle,
par Geoffroi de Courlon, texte et trad. par G. Julliot, Sens 1876.
Dudo von St. Quentin. Warnerius. 471
von Rollo bis auf den Tod Richards I. (!.'9tj), von Dudo, Dekan
zu St. Quentin, am Anfange des 11. Jahrhunderts verfafst. Er
schrieb nach mündlicher üeberlieferung, hauptsächlich nach den
Erzählungen des Grafen Rudolf von Ivry, des Bruders Herzog
Richards I., und gibt uns eine wahre Volksgeschichte in reichhaltiger,
lebendiger, wenn auch mit viel Schönrednerei ausgeschmückter Er-
zählung, mit unbedingter Verherrlichung selbst der noch heidnischen
Normannen'). In dieser schwülstigen Ueberladung und in der Ver-
zierung mit inhaltlosen Versen in vielförmigen Metren nach dem
Vorbilde des Boethius, zeigt Dudo ganz den Charakter der Schulen
seiner Zeit, die unter Rollos frommen Nachfolgern auch in der
Normandie wieder auflebten. Schon die Ermordung des Herzogs
Wilhelm Langschwert (17. Dezember 942) veranlal'ste ein rhyth-
misches Gedicht, welches dem Dudo bekannt gewesen sein mag^).
Bald begegneten sich am erzbischöflichen und herzoglichen Hofe,
wie einst bei Karl dem Grofsen , Irländer und Franken in heftiger
Feindschaft. Moriuht gewann die Gunst des sehr weltlichen und
lebenslustigen Erzbischofs Hugo von Rouen (942 — 989) und der
Fürsten durch seine Lobverse. Warnerius dagegen, ein Mönch
von St. Ouen, sehr gelehrt in seiner Weise, widmete sich ganz
dem Dienste des Erzbischofs Robert (989 — 1037), Herzog Richards
Sohn, und bekämpfte mit beifsenden und ganz unflätigen Versen
den Gegner, dem er grobe Unwissenheit und Unsittlichkeit vor-
warf. Sein Gedicht ist an den Erzbischof und dessen Mutter ge-
richtet ^).
') Dudmiis libri III de moribus et actis jirimoriun Xormanniae ducum,
Duchesne SS. Normannici, Paris 1619 (= Migne CXLI, 605 — 758). Ex-
cerpt bei Bouquet X, 141 ; MG. SS. IV, 93—106. Neue Ausg. in 4 Büchern
von Jules Lair, Caen 1865 (in den Mem. de la Soc. des antiquaires de
Normandie XXIII), Migne CXLT. Die einzige vollständige Hs. aus Fecamp
jetzt in Berlin Phillipp. 18-54 (Ciarom. 687), vgl. Rose , Verzeichnis der
Meermanhss. S. 31-->. Vgl. unten S. 472 Anm. 1. Unbedeutend, weil ganz
aus den Bertin. u. Vedast. Annalen genommen, ist das Chronicon de Gestis
Normannorum in Francia 820—897, MG. SS. I, 532—536.
*) Complainte sur l'assassinat de Guillaume Longue-Epee (iuc. Laxis
fibris resonante), entdeckt von G. Paris, herausgegeben von Jules Lair in
der Bibl. de l'Ecole des chartes XXXI, 389—406. L. Delisle, Notice sur
des niss. du fonds Libri cons. ä la Laurent, ä Florence, in den Not. et
extraits XXXII , 1 (1886) p. 40 über ein älteres u. besseres Exemplar,
mit Faksimile. Lair, Etüde sur la vie et la mort de Guillaume Longue-
Epee. Paris 1893. Ausgabe u. Bilder aus beiden Hss.; desgl. neue Ausg.
von Ph. Lauer, Regne de Louis IV. p 319—323; vgl. ebd. p. 87 u. 276 ff.
^) Herausgegeben von H. Omont, Annuaire-Bulletin de la Soc, d'hist.
de France t. XXXI (1894) nach sehr schlechter üeberlieferung; ein anderes
Gedicht von Warnerius an Robert in derselben Hs. (Paris lat. 8121 A)
472 III- Ottonen. § 12. Cluny.
Aus ähnlicher Schule war .auch Dudo hervorgegangen. Seine Er-
zählung, ganz ohne historiographische Quellen, ist natürlich in den
Anfängen völlig sagenhaft und auch später sehr unzuverlässig, dabei
normannisch ruhmredig in hohem Grade; den Charakter ihres Ur-
sprungs verleugnet sie nirgends. Sehr eingehend ist das mit scharfer
und besonnener Kritik von E. Dümmler nachgewiesen'); der gleich-
zeitige Versuch von J. Lair, von Dudos Nachrichten für die Ge-
schichte etwas mehr zu retten, steht dagegen sehr zurück.
Gewidmet hat Dudo sein Werk dem Bischof Adalbero von
Laon (977 — 1030), der wegen seines politischen Verhaltens übel
berüchtigt, in seinen alten Tagen (etwa um das Jahr 1017) ein
langes Gedicht in der Form eines Gesprächs mit König Rotbert
verfafste, worin er seinem ganzen Grolle gegen Odilo und seine
Cluniacenser, ihre Begünstigung durch den König und die Er-
hebung mönchischer und niedrig geborener Bischöfe Luft gemacht
hat. Für die Kenntnis der Sitten und Zustände ist es nicht un-
ergiebig").
§ 12. Cluny.
Sackur, Die Cluniacenser II, 328—345.
Als die herrschende Richtung in den französischen Schulen im
10. Jahrhunderte trat uns jene rhetorisch -philosophische Bildung
entgegen, welche auf den Lehren der alten Grammatiker beruhte
und nicht auf kirchlichem Grunde erwachsen war. In scharfem
Gegen satze zu diesem Treiben entfaltete sich gleichzeitig in Cluny
und einer anderen (Paris lat. 8319), ungedruckt, erwähnt NA. II, 601
und von Omont.
') Forschungen VI, 357 — 890. IX, 651, vgl. die frühere Untersuchung
von Waitz, Ueber die Quellen zur Geschichte der Begründung der nor-
mannischen Herrschaft in Frankreich, Gott. Nachr. 1866, N. 6. G. Körting,
Wilhelms von Poitiers Gesta Guilelmi ducis Norm, et regis Anglorum,
Progr. der Dresd. Kreuzschule 1875. Mit Dudo beschäftigt sich auch
Joh. Steenstrup, Normannerne, Kop. 1876; vgl. die Rec. von E. Beauvois,
Revue hist. IV, 426 — 430. In dem an dieses Buch anknüpfenden Auf-
satze von Karl von Amira, Die Anfänge des normannischen Rechts, HZ.
XXXIX, 241—268, wird S. 245 f. die Glaubwürdigkeit des Dudo mit Un-
recht gegen Dümmler u. Waitz in Schutz genommen und die vermeint-
liche altnordische Ueberlieferung über die Herkunft Rollos zurückgewiesen.
Vgl. auch HZ. XLIV, 188. Femer F. Lot, Les derniers Carolingiens p. 346
bis 357; Lauer, Regne de Louis IV. p. XI — XIII.
^) Bouquet X, 64 — 67 mit ausführlichem Kommentare v. Hadr. Vale-
sius, herausgeg. und erläutert von Hückel. Biblioth. de la fac. des lettr.
de Paris XIII, 87-177; vgl. oben S. 460 Anm. 4 u. Sackur II, 94. Ein
von Adalbero an Bischof Fulco von Amiens gerichteter dialektischer
Traktat, herausgeg. von Hückel a. a. 0. S. 178—184; vgl. Prantl, Gesch.
d. Logik II, 58.
Adalbero von Laon. Die Aebte von Cluny. 473
eine streng mönchische Askese, v^relche das Studium des profanen
Altertums für sündlich erklärte, ohne seiner doch entraten zu
können ; sie war geistesverwandt mit der auf gleicher Grundlage
ruhenden Klosterreform in Lothringen , mit welcher auch häufige
Beruhigungen stattfanden'). Die Geschichtschreibung konnte nicht
gedeihen, wo man alles Irdische verachtete und verwarf, aber
indem man die Tugenden der gefeierten Häupter dieser Richtung-
anderen zum Vorbilde aufstellte, entstanden doch Lebensbeschrei-
bungen, welche um so wichtiger sind, je gröfser auch für die welt-
lichen Angelegenheiten damals die Bedeutung jener Männer war.
Aber auch die Kenntnis dieser ganzen Richtung und namentlich die
Entstehung und das Wachstum der Cluniacenser Kongregation, welche
bald eine so aufserordentliche politische Bedeutung gewann, ist von
unmittelbarer Wichtigkeit für den Geschichtsforscher; nur ist zu
bedauern, dafs der legendenartige, auf Erbauung abzielende Ton der
Biographien uns gerade über diejenigen Umstände, welche geschicht-
lich bedeutend sind, am wenigsten Aufklärung finden läfst. lieber
das Leben des ersten Abtes Odo (927 — 942^), dem wii- neben vielen
anderen Schriften eine aus sieben Büchern bestehende, kulturgeschicht-
lich nicht unwichtige Dichtung über die heilige Geschichte und die
Hauptlaster verdanken^), besitzen wir eine Schrift seines Schülers
Johannes'*). Das Leben des Abtes Majolus (949—994^) beschrieb
bald nach seinem Tode, nicht ohne gute Nachrichten von ihm nahe-
stehenden Zeitgenossen zu erhalten, in blütenreicher salbungsvoller
Rede der Mönch Syrus'^), dessen Schrift aber unvollendet blieb')
und von Adelbald (von Lerins) aus Heirichs Leben und Wundern
') Es fehlte nicht an Sorge für Schule und Bibliothek. lieber einen
für Majolus geschriebenen Hraban in lerem, (abgebildet Pal. See. II, 109.
110) vgl. oben S. 259 Anm. 3. Der sehr reiche Katalog (Delisle, Fonds
de Cluni, Paris 1SS4, S. 337—373) ist erst aus der Mitte des 12. Jahr-
hunderts, enthält aber viele ältere, auch in Clunj- geschriebene Hss.; die
in Cluny im 10. .Jahrhunderte gepflegte Kalligraphie zeigt deutlich den
Zusammenhang mit den älteren Bildungsstätten an den Ufern der Loire.
^) lieber seine Wirksamkeit und seine Werke Sackur, Die Cluniacenser
I, 48 fi'.; II, 331—837.
^) Odonis ahh. Cluniac. occupatio, prim. ed. Swoboda, Leipzig 1900;
vgl. NA. XXVI, 599 u. Weyman, Lit. Centralbl. 1901 S. 1068 über dieses
gelehrte und an Anspielungen reiche Gedicht.
*) Mab. V, 150—186. Kxc. ed. L. v. Heinemann, MG. SS. XV, 2, 586
bis 588. Vgl. Sackur I, 363 f.; II, 359 flF. Ueber die jüngeren Bearbei-
tungen Sackur, NA. XV, 105—116.
^) Vgl. Sackur, Die Cluniacenser I, 209 S.
«) Mab. V, 786—810. Auszüge MG. SS. IV, 649—655.
"j Vgl. Traube, NA. XVII, 402—407 und dagegen Sackur, Clunia-
censer 11, 339 Anm. 2.
174 III- Otloiicii. § l:',. liiiüeii. Liiidinaiid.
des lifüli^on Goniiiinus interpoliert ist. Den 'Jext d((S Syrus kannte
Odilo. der in seinem Elof^iuni ') die falschen Zutliuten des Aldebald
unbeachtet gelassen zu haben scheint^).
Sein Nachfolger 0 d i 1 o (994 — 1049) ■') l'and mehrere Biographen
in iihnlichem Stile ') ; er selbst verfalste jinlser dem Leben des Majolus
auch ein sogenanntes Epitaphium der Kaiserin Adalheid'). Er hat
derselben sehr nahe gestanden, besonders in der letzten Zeit ihres
Lebens, in welcher sie sich fast ganz frommen IJebungen und Kloster-
stiftungen hingab. Hierüber erithillt sciineScliriil vi((le Lobpreisungen,
über ihr Lrjben in der Welt ist sie sehr kiiiv, und begnügt sich mit
den allgemeinsten Umrissen; nur bei den Leiden und Gefahren
ihrer (Jelangenscliart und Flucht v(irweilt Odilo etwas länger. Der
geschichtliche Gewinn aus dieser Arbeit ist daher nicht bedeutend,
und nur einige wenige brauclil)are Nachrichten lassen sich daraus
entnehmen'').
i; 13. Italien. Liudprajid.
Liiiilin-.iiiili ()|M'i;i eil. I'cil/,, M(i.SS. III, 2<M :iii:i u. Iicsoiiilornr Alidruck in Oktiiv.
Neun AiisK- VOM Dliiniiili'i' 1M77. [Ji;hcr»ft'/A iiUi'. AiilnpoddHis im Aus/jiki') von
Froili. V. il. O.stiii-SMcki'ii, iriifc lOinloiliint; \()ii \V.i-tt,i:iili.ii',li, |{('iliii \Ht>'-i; '2. Aull.
1889, (lüHchicIil.srJir. l';i (X, 2); vgl. Olllldlacli, llililnilii'dci !, 432-487. .WO ))is
') Acta SS. M;u. li, f)8:5.
^) lieber die {{iofrraphien des Mnjoliis, ihre (Jliiul)wiirdigl<eit und ihr
VerliilliniH zu einander vgl. W. Schidly.e, ForHch. X,\l\', 1.^)!^ — 172. Saclcur
NA. XII, rm~ r>h]. Knlge^nung v. Schwitze; NA. X 1 V, 545— 504. Traube
(vgl. oben S. 47:5 Aniii. 7). Sackur, Cliuiiac. II, ;«8. Hibl. hagiogr. jj. 709.
Molinier, Source» 11, 'J3i>. — lipiMola de morte Maioli NA. XVI, ISO.
^) Vgl. über ihn Sackur, Cluniac. I, :')0Ü ff.
■•) lotKciUli de vita et virtutihun Odilonis nhh. lihri III, JViab. VI, 1,
679—710. Auszug MG. SS. XV, 812. Mabillon« Ausgabe vervoll.ständigt
von Siickur, NA. XV, 117 — 126. — h'.pinlula nionnchorwii Silviniacen.wtin
(Souvigny) de ohilu et miraculin Odilonis , Mab. p. (i7o — 075. — Zusatz
ül)cr Odili» im Mjuiyiolo^r. Noikcri, Forsch. XXV, 209.
•■) (hliloms l':fii/a/,liiiaii Adulheidae ed. Ww'i/. , W\. SS, IV, 633—645.
UebcrHctzimg von llüil'er, 185(i; 2. Auü. 1891, (IcwhichtHchr. ;{5 (X, 8).
(jicHcbr. I , 790. Das zweite liuch bilden in dem von ihr geHtil'tcten
Kloater Seltz im ElnasHe aufgezeichnete Mirocula Addlheidae, MG. SS. JV,
645- -649. VorauHgeHcliickl ist S. (iJJO ein metriaches /'j))itaplnum Ottonis
Mityni.
") Ucber andere Schriften Odilos vgl. Sackur W, 341. Medicinu spiri-
luali» contra temptatinnem concupisreniitie carnulix missit d donino Odiloiw
Clun. (iIjIj. nd jt(i(ri(irrhni)i Aqiiilei , cd. Morin, Ucvuc Ix'ined. XVI (1899)
S 477—478. h'/iislola Odilonis «bli. ('tun. ad lleinricum III. (;i. 1046),
ed. Sackur, NA. XXIV, 728 — 735. Ucber den von ihm dem Kniser Jlein-
rich II. iiberriiicliien und mit Vcnscii gcsi'luuücktcn Konimcntiir zu den
liriefcn dcH l'iiuluH aus Stellen dcH August, in, die aber Odilo kaum Helbst
auH^'eleHcn liiit (IJainbcrg 15. I, 8), v^rl. J>eitschuli, Katalog I, 1, 106; Hirsch,
Heinrich II. Hd. II S. 110; Hingholz, Der Ii. Odilo ,' Ilegensburg 1885,
«. XLVI— XLVIII.
Liudprands IJildung. 475
5-19. 572—624. Koepke , Dp vita et scriptis Liiiilpiainli, Heiol. 1S12. Waitz in
Schmidts Zcitsclir. II, 99. \V. (Hesebreclit , (lescliii.'lite der Kaiserzeit I. 779.
781. Maurenbrecher S. -itJ— 55. Liudprand von Creiuona und seine Quellen, von
C.Dilndliker und .T. .T. Müller, in M. HildinRers UutersucliunK'Mi zur niittl. (iesch.
I (L. 1871), über weh'h.- ich das ablehnende Urteil E. Künnnlers, HZ. XXVI, 273
bis 281 teile. Gesenbeniprkun},'en von liUdinRer XXVIII, 2aa~-238. J.. Ranke,
Weltgeseh. Vlll, t;y4-(;55. Ebert III, 111-127. Hantsch, lieber Liudprand, Progr.
d. Gymn. zu Leoben, 1«hS. Neuniann, Weltstellunf: d. byzant. Reiilies, Leinz.
1894, S. 17 f. Jiüdinger, Universalhist. im MA. (Denkschr." der iihil.-hist. CI. der
Wiener Akad. XLVI, II, 17— 2fi). Novati, L'intlusso del pensiero latino sopra la
civiltä italiana del niedio evo, 2. Aufl., Mailand 1899. Weiteres bei IJalzani
p. 119—135.
Auch Italien beginnt in dieser Periode sich wieder zu schrift-
stellerischen Leistungen zu erheben, und nach langer Unterbrechung
erscheint hier ein Geschichtschreiber, welcher den bedeutendsten
seiner Zeitgenossen zur Seite tritt. Es ist Liudprand, der so den
italienischen Namen von neuem zu Ehren brachte. Wie Paulus,
Warnefrids Sohn, stammte auch er aus vornehmem langobardischen
Geschlechte; auf die Römer, die er für ganz entartet hält, sieht er
mit tiefer Verachtung herab. Aber ein Italiener ist er ganz und
gar, und vollständig zeigt sich in ihm jener Charakter der dort
herrschenden grammatischen Ausbildung, deren wir früher (vgl. oben
S. 347 u. 351) gedachten. Auch erhielt er wie Paulus seinen Unter-
richt nicht in einer Klostei'schule, sondern am Hofe zu Pavia, wo
er früh die Aufmerksamkeit des Königs Hugo auf sich zog und
durch seine schöne Stimme dessen Gunst gewann.
Obwohl es in seinen Schriften nicht an Bibelstellen fehlt und
er den Griechen mit orthodoxem Eifer entgegentritt, so hat doch
seine Gelehrsamkeit, die er nur gar zu gern zur Schau trägt, einen
überwiegend weltlichen Charakter, und Horaz, Virgil, Terenz, Ovid,
Juvenal, Cicero sind die Schriftsteller, deren Aussprüche ihm immer
gegenwärtig sind, die er mit Vorliebe anführt'). Nach dem Muster
des Boethius schmückt er seine Schriften gern mit Versen in mannig-
fachen Metren, und er zeigt darin eine solche Gewandtheit, dafs man
an jene früher erwähnte Aeufserung des Panegjaüsten Berengars er-
innert wird, auf Verse lege jetzt niemand Wert, weil jedermann
dergleichen zu machen verstehe.
Schon Liudprands Vater und Stiefvater waren als Gesandte in
') Allgemeine Nachweisungen bei Köpke in der angef. Abb., Köhler,
NA. VIII, 70 &., Büdinger, Universalhist. S. 20 ff. ; sie gehen aber öfters
zu weit. Ueber Nachahmung des Boethius Peiper, Forsch. XII , 443 f. :
des Juvenal Maas, Philologus LVI, 525-534 und dazu NA. XXIII, 583;
des Querolus unten S. 478 Anm. 4 und dazu Haupt, Opusc. III, 587 f.; der
Briefe des Cicero Mendelssohn in seiner Ausgabe der Epp. Cic. p. VII;
eines nicht ganz selten überlieferten Gedichtes mit Schimpfwörtern auf
den Pan (Poet. lat. min. ed. Baehrens III, 170) Düinmler, Zeitschr. f. D.
Altert. XII, 447; der Priapea P. v. Winterfeld, Schedae critic. , Berlin
1895, p. 21 (allein Liudprand benutzt vielmehr Vulg. 2 Mac. 9, 9).
476 III- Ottonen. § 13. Italien. Liudprand.
Konstantinopel gewesen und hatten dort mancherlei Verbindungen
angeknüpft, welche dann Liudprand, als eine Sendung des Königs
Berengar, dessen Kanzler (V, 30) er geworden war, ihn 949 nach
Byzanz führte^), erneute iind benutzte, um sich nicht nur mit der
griechischen Sprache"), sondern auch mit der Geschichte und den
Einrichtungen des Reiches bekannt zu machen. Später hat er sich
mit Berengar und mehr noch mit der Königin Willa erzürnt; er
suchte und fand eine Zuflucht am Hofe des Königs Otto, und hier
traf er im Februar 956 zusammen mit dem spanischen Bischöfe
Recemund von Elvira^), der ihn aufforderte, ein Werk über die
Geschichte seiner Zeit zu verfassen. Zwei Jahre später, 958, machte
sich Liudprand wirklich an die Arbeit in Frankfurt, und ungeachtet
eines vielbewegten Lebens und mancher Unterbrechungen arbeitete
er daran fort bis zum Jahre 962, auch noch, als Otto schon zum
Kaiser gekrönt war und ihn zum Bischöfe von Cremona erhoben
hatte. Bald darauf aber, so scheint es, legte er dieses Werk bei-
seite, welches ohnehin durch den grofsen Umschwung der Dinge in
Italien seinen Zweck grofsenteils verloren hatte. Denn dieser hatte
vorzüglich darin bestanden, allen denen, welche ihm Gutes oder Böses
erwiesen hatten, nach Verdienst zu vergelten, besonders aber seinem
Hasse gegen Berengar und Willa Luft zu machen ; darum nannte er
es das Buch der Vergeltung, Antapodosis''). Er hat darin auch
weidlich auf seine Feinde gescholten; was aber eigentlich Berengar
und Willa ihm angethan hatten, erfahren wir nicht, da er in den
^) Aus seinen damaligen Mitteilungen sind nach Dümmlers Ver-
mutung die Nachrichten des Constantinus Porphyrogenitus de admin.
imp. e. 26 über König Hugo geschöpft. Wiener SB. XX, 358; vgl.
Dändliker S. 53.
2) In den Metzer Auszügen (vgl. unten S. 480 Anm. 1) sind die grie-
chischen Worte nicht, wie sonst die Graeca der lat. Hss., in griechischer
Unciale, sondern bemerkenswerterweise in griechischer Minuskel ge-
schrieben. Dieser Fall ist den in Poet. Car. III, 822 f. aufgeführten bei-
zufügen. Die Münchener Hs. Liudprands wendet die herkömmliche Un-
ciale an. Dafs Liudprand den Gallus des Lukianos zitiert (Ant. I, 12,
vgl. Köhler S. 74), verrät den Einflufs des Arethas v. Caesarea, durch den
die Beschäftigung mit dem griechischen Satiriker in der 2. Hälfte des
9. Jahrhunderts wieder aufgelebt war. üeber die Benutzung griechischer
historiographischer Quellen durch Liudprand vgl. Köhler a. a. 0. 76 f.,
Büdinger a. a. 0. 21 f.
^) Vgl. darüber Dümmler, Jahrbb. unter Otto I. S. 278.
■•) Er sagt es selbst (Ant. III, 1); doch hebt Ebert (111,420) mit Hin-
weis auf Buch I und II hervor, dafs er auch vom höheren Standpunkte
das Walten der göttlichen Vergeltung in der Geschichte zeigen will. Nach
Gundlach (Heldenl. I, 46 f.) hätte Liudprand ursprünglich mit dem
3. Buche angefangen, wofür nicht unerhebliche Gründe sprechen.
Liudprands Antapodosis. 477
sechs Büchern seines Werkes nicht weiter gelangt ist, als bis zu jener
Gesandtschaftsreise an den griechischen Hof im Jahre '.'4!'.
Als seine Absicht bezeichnet Liudprand, alles zu berichten, was
sich seit Kaiser Karls des Dritten') Zeit begeben, die Thaten der
Kaiser und Könige von ganz Europa, wie er selbst sagt. Er erzählt
von allem, was ihm bekannt geworden, von Deutschland, mit
besonderer Vorliebe vom griechischen Reiche, am meisten und ein-
gehendsten aber doch natürlicherweise von Italien. Eigentliche
Ordnung ist bei ihm nicht zu finden, und auch die chronologische
Folge sehr ungenau. Ueberhaupt darf man sich nirgends auf ihn
allein verlassen; wie Widukind schreibt er nur nach mündlicher
Kunde und verfällt besonders über fernerliegende Vorfälle in grobe
Irrtümer. Aber Widukind ist frei von der Leidenschaft, welche den
rachsüchtigen Italiener nur zu oft hinreifst. In seinem Ingrimme
hält er sich bei den einzelnen, oft unbedeutenden Vorfällen über-
mäl'sig auf; er gefällt sich in der Mitteilung von Anekdoten, be-
sonders wenn sie boshaft und anstöl'sig sind, in der rhetorischen
Ausmalung der Begebenheiten, in gezierten, den Umständen wenig
angemessenen Reden. Im einzelnen ist sein Urteil oft richtig und
treffend, seine Ansicht von den geschichtlichen Verhältnissen wohl
begründet, wie er denn auch in Otto dem Groisen sogleich den
Mann erkannte, von dem allein Italien Abhilfe seiner Leiden und
Gebrechen, die Herstellung der Zucht und Ordnung erwarten konnte,
und diesem ohne Wanken treu blieb. Seine Erwiderungen auf die
leeren Anmafsungen der Griechen sind ungemein treffend. Aber von
einer höheren Begabung zum Geschichtschreiber gibt doch sein Werk,
als Ganzes betrachtet, kein günstiges Zeugnis. Dafür gewährt uns
andererseits gerade seine behagliche, memoirenhafte Art zu erzählen
einen Einblick in die Sitten, Zustände und Denkweise der Zeit, der
vom höchsten Werte ist.
Als Otto der Grofse sich dauernd und ernstlich mit den italienischen
Verhältnissen zu befassen begann, fand er die Hilfe des gelehrten
und in den politischen Vei'hältnissen des Landes erfahrenen Mannes
sehr schätzbar; er verlieh ihm schon 961 das Bistum Cremona^)
und übertrug ihm 963 eine Gesandtschaft an den Papst Johann XII.;
bald daraufwar er zugegen in der Kirchen Versammlung, durchweiche
') Der Beiname des Dicken kommt erst im 12. Jahrhunderte vor, und
ist deshalb nach Dümmler (Ostfr. III, 291) nicht mehr erlaubt.
-) Hierhin übertrug Liudprand den auf recht niederträchtige Weise
gestohlenen S. Hymerius aus Ameria. Die später geschriebene kurze Er-
zählung ist MG. SS. III, 266 aus Ughelli abgedruckt.
478 ni. Ottonen. § 13. Italien. Liudprand.
dieser Papst entsetzt wurde, und über diese Vorgänge (960 — 964)
hat er eine eigene Schrift verfalst'). Hier versuchte er eine würdigere
Sprache anzunehmen, er bringt weder griechische Floskeln noch Verse
an und mäfsigt seine Leidenschaftlichkeit; doch blickt sein eigen-
tümlicher Stil überall dui'ch, und der Anspielungen auf römische
Dichter hat er sich auch hier nicht enthalten. Da er in höherem
Auftrage oder doch für das Auge des Kaisers schrieb, so ist seine
Darstellung keineswegs unbefangen; er verschweigt manches, und
man darf nicht vergessen, dafs diese scheinbar so rein objektive und
aktenmäfsige Erzählung doch nur eine Parteischrift ist, dafs er es
namentlich vorzieht, manche Vorfälle und Umstände nicht zu er-
wähnen. Aber im wesentlichen hat sich dennoch, was er mitteilt,
als richtig bewährt.
Im Sommer 968 ging Liudprand abermals nach Konstantinopel
als Brautwerber für Otto IL, und über diese Sendung stattete er
dem Kaiser einen Bericht ab, der ebenfalls erhalten ist, aber wie
jene beiden anderen Wex'ke, am Schlüsse unvollständig^). In diesem
Berichte nu.n hat sich Liudprand wieder ganz der üblen Laune
überlassen, welche durch die schlechte Behandlung, die er in Kon-
stantinopel erfuhr, in ihm ei'regt war, und er strömt über von
Spott und Hohn, Der üebermut der Griechen hatte ihn aufs tiefste
gekränkt, und er bietet alle seine Beredsamkeit auf, um die Kaiser
zu ihrer Züchtigung zu bewegen und diese Aufgabe als leicht und
mühelos darzustellen. Uebertrieben ist daher seine Schilderung; das
Bild namentlich, welches er vom Kaiser Nikephoros entwirft, ist nur
in Bezug auf seinen Geiz zutreffend, seine kriegerischen Eigenschaften
und die Wehrkraft des Reiches unterschätzt er durchaus. Aber im
übrigen ist seine Schilderung wahr und gewährt uns ein so eigen-
tümliches und lebendiges Bild des griechischen Reiches, dafs Giese-
brecht sie mit Recht fast vollständig in seine Geschichte der Kaiser-
zeit^) aufgenommen hat, als Seitenstück zu der Gesandtschaft des
Abtes Johannes von Gorze an den Kalifen von Cürdova'*).
') Liudprandi Historia Ottonis; abgedruckt auch bei Watterich I, 49
bis 63. Vgl. auch Giesebr. I, 837 und was oben S. 412 Anm. 2 über die
Quellen von Reginos Fortsetzer bemerkt ist. — Auf Leo VIII. bezogene
Spottverse NA. VIII, 383.
^) Liudprandi Belatio de legatione Constantinopolitana ; sie ist abge-
druckt auch in den Corpora der byzantinischen Historiker, vgl. Krum-
bacher, Byz. Litteraturgesch. 2. Aufl. S. 268.
3) Bd. I S. 523—546; vgl. S. 843. üeber Gundlach vgl. oben S, 474.
*) Ueber A. Zanelli, Una legazione a Costantinopoli nel secolo X.,
Brescia 1883, vgl. Arch. stör. ital. XIII (18x4), 298 ff. Erklärung des
Liudprands Historia und Legatio. 479
Liudprands Bericht endet mit seiner Abreise von Korfu am
7. Januar 969; im Sommer desselben Jahres überbrachte er als
des Kaisers »>(n(ii(.-< Briefe von diesem und vom Papste, die sich auf
eine römische Synode vom 2ü. Mai 969 beziehen, an eine Synode
zu Mailand, deren Beschlüsse Otto am 9. November 969 bestätigte').
Von Konstantinopel zurückgekehrt, unterzeichnete er auch nach-
träglich den Tauschvertrag zwischen Halberstadt und dem neuge-
schaffenen Erzbistume Magdeburg-). In zwei Tauschverträgen aus
dem Frühjahre 070 wird er zuletzt als in Cremona anwesend sicher
erwähnt'^); über seine weiteren Schicksale ist nichts bekannt. Nur
eine Nachricht von sehr zweifelhaftem Werte'') läfst ihn an der
glänzenden Gesandtschaft teilnehmen, welche endlich 971 die kaiser-
liche Braut wirklich in Empfang nahm, und auf dieser Reise sterben.
Im Jahre 984 musterte der Bischof Odelrich von Cremona die
Urkunden und Bücher im Schatzhause seiner Kirche: viel war
mulorum manihus entfremdet, und geschichtliche Werke finden sich
nicht im Verzeichnisse, auch nichts von Liudprand ; was diesen an-
geht, hat er nur zu berichten: turibuhim quod LuizonU fnit, de
manu raptoruin liberarimus^). Bekanntschaft mit seinen Schriften
ist in Italien nur bei Gregor von Farfa nachgewiesen.
In Deutschland dagegen verbreiteten sich Liudprands Schriften
frühzeitig und wurden von den gelehrteren, vielbelesenen Schrift-
stellern benutzt, während sie der gröfseren Menge unzugänglich
blieben. Wenn es auch , wie P. v. Winterfeld meint, sehr zweifel-
haft ist, dafs schon Hrotsvit die Antapodosis gekannt habe, so
haben doch sicher der Biograph Gerhards von Brogne, Frutolf und
Sigebert, Ragewin^), Magnus von Reichersberg, Alberich und Hein-
rich von Herford, Dietrich von Niem") und endlich Trithemius aus
der Antapodosis und der Historia Ottonis geschöpft.
Für die kritische Bearbeitung des Textes der Legatio kann nur
Wortes „mandrogerontes" c. 55 als Gaukler, aus dem Querolus entnommen,
nachgewiesen von L. Havet, Revue crit. 1878, I, 197 (NA. IV, 210).
*) Mitgeteilt von C. Cipolla, Mem. d. accad. di Torino 2. Ser. XLII,
33 fg.; jetzt MG. DD. II, 879-8S1.
■^) Vgl. Leibniz, Ann. imp. III, 243. Ottenthai in Böhmei-s Reg, II,
213 n. 474.
^) Hist. patr. Monum. XXI. 34—36, vom März und vom 15. Ainül 970.
*) Sie findet sich in dem Bericht über die Uebertragung des heiligen
Hymerius (vgl. oben S. 477 Anm. 2).
'") Hist. patr. Monum. XIII, Codex diplomatic. Langobardiae p. 1442
bis 1445. Arch. stör. Lomb. VIT (1880), p. 252—254.
'^) Die von Prutz, Ueber Radewin S. 48, vermifsten Stellen sind An-
tapod. I, 37 u. III, 14.
') Nach Lindner. Forsch. XXI, 90. 91.
480 ni. Ottonen. § 13. Italien. Liudprand.
die erste Ausgabe des Canisius vom Jahre IGOO, die auf einer Trierer
Handschrift beruht, zu Grunde gelegt werden, da diese Handschrift
selbst seither verschollen ist. Für die beiden anderen Werke glaubte
Pertz eine vollkommen sichere Grundlage gefunden zu haben in
der Freisinger Handschrift, welche für die griechischen Stellen vom
Schreiber gelassene Lücken zeigt, die von einer anderen Hand aus-
gefüllt sind. Nach der Ansicht von Pertz konnte das nur die Hand
des Autors sein, und von derselben Hand ist die Historia Ottonis
vollständig geschrieben. Diese Meinung war allgemein angenommen
und galt für unzweifelhaft, bis F. Koehler^) vollkommen schlagend
und überzeugend nachwies, dafs sie durchaus unhaltbar sei. Es
kommen Fehler und Versehen vor, welche ganz unmöglich von dem
Verfasser selbst herrühren können. Da nun Koehler in Metz Ex-
cerpte giüechischer Stellen aus Liudprand gefunden hatte, welche
auf ein korrekteres Exemplar zurückgehen und eine Beschäftigung
mit dieser Schrift im 10. Jahrhunderte beweisen, so hat er daran
die schon (oben S. 416) angeführte Vermutung geknüpft, dafs
Bischof Dietrich den Nachlafs Liudprands gerettet und die Abschrift
besorgt haben möge. Nach seiner Meinung wäre auch die Umschrift
der griechischen Worte nach der Aussprache mit lateinischen Buch-
staben erst hier hinzugefügt, allein dieselbe findet sich auch in der
aus andei'er Quelle stammenden Berliner Handschrift. Die Manu-
skripte werden schon etwas beschädigt gewesen sein, und dadurch
erklärt es sich, dafs sowohl der Legatio wie der Historia Ottonis
der Schlufs fehlt, in beiden Fällen aber nur ein kleines Stück.
Eine sehr gute Stütze für Koehlers Annahme vom Metzer Ursprünge
der üeberlieferung des Liudprand ist darin zu erblicken, dafs Bischof
Abraham von Freising, in dessen Zeit man die Freisinger Hand-
schrift immer mit Recht verlegt hat, nachweislich gerade in Metz
für sich hat Texte vervielfältigen lassen (vgl. oben S. 454 Anm. 6).
Selbstverständlich ist nun eine neue Ausgabe ein dringendes
Bedürfnis geworden. Wenn schon früher einzelne Verbesserungen
nicht zu umgehen waren, so werden jetzt viel öfter die besseren
Lesarten anderer Handschriften-) berücksichtigt werden müssen, und
der Konjekturalkritik eröfi'net sich ein weiterer Spielraum.
') NA. VIII, 47—88; Nachtrag von Dümmler 89.
^) Die aus der Ashburnhamschen Bibl. nach Florenz gekommene Hs.
(jetzt Laur. Ashb. 15, vgl. Paoli, Codici Ashburnhamiani I, 28) ist nach
Holder-Egger, NA. XI, 260. 264, eine Abschrift der Freisinger; doch geht
er dabei noch von der Voraussetzung aus, dafs diese das Original ist,
und auch sonst bleiben Zweifel. Von der mit der Klasse 5 verwandten
Berliner Hs. eine Seite in Arndts Schrifttafeln, 3. Aufl., 24. Exceptinn
Miracula Columbani. Fratrnient aus Iviea. Leo von Veicelli. 481
Für die Zeit des Königs Hugo nicht ohne Bedeutung ist das
Buch von den Wundern des heiligen Coluinban'j. Der
König Hugo verlieh nämlich um das Jahr 930 die Abtei Bobbio
seinem Kanzler Gerlannus, aber alle Stiftsgüter waren von räube-
rischen Machthabern in Besitz genommen. Unfähig, ihrer Herr zu
werden, rief Gerlan den Heiligen selbst zu Hilfe und brachte ihn
in feierlichem Aufzuge nach Pavia. Dieser liels sein Kloster nicht im
Stich und tbat die gewünschten Wunder. Da entfiel den Käubern
der Mut und sie steckten die Stäbchen (fustcs), welche symbolisch
den Verzicht bedeuteten, in die Pilgertasche (pera) des Heiligen,
der nun im Triumphe wieder nach seiner Ruhestätte gebracht
wurde. Von Dauer ist freilich auch die Wirkung dieses Auftrittes
nicht gewesen.
Auf ein schon von Bethmann mitgeteiltes, aber unbeachtet ge-
bliebenes Fragment aus Ivrea hat L. Weiland aufmerksam ge-
macht^); es bezieht sich auf die Usurpation des Franco (Boni-
fatius VII.) und dessen Bekämpfung durch den 974 von Otto II.
abgesandten Grafen Sicco, sowie die Verdrängung Benedicts VIT.
durch ihn im Jahre 980.
Die eifrig kaiserliche Gesinnung der lombardischen Bischöfe,
welche durch die kirchenfeindlichen Angriffe Arduins von Ivrea zu
gröfster Lebhaftigkeit angefacht wurde, spricht sich in zwei rhyth-
mischen Gedichten aus, welche von dem Bischöfe Leo von Ver-
celli (999 — 1026) stammen, dem Führer der kaisertreuen Partei
in Italien, eines auf Otto III. und den durch ihn erhobenen Papst
Gregor V., das andei-e eine Klage um Ottos III. frühen Tod nebst
der später hinzugefügten Verherrlichung seines Nachfolgers Hein-
richs IL, von dem die Niederwerfung Arduins erhofft wird. Auch
auf den 997 ermordeten Bischof Petrus von Vercelli verfaCste Leo
eine Grabschrift').
ex qestis regum (= Antapocl. I. 20 — 36) Passionale saec. XI ex. Trier 388
(vgl. Keuffers Katalog in Heft IV. Liturg. Hss , Trier 1897. auf der 3.
nicht numerierten Seite der Einleitung) von Brefslau nachgewiesen.
\) Miracula S. Columbani, Mab. 11,40 — 55; Rossetti, Bobbio illustrato
II, 149 — 181. — Verse aus Bobbio aus dem Ende des 10. .Jahrh. ohne
geschichtl. Inhalt NA. V, 622—624. vgl. Poet. Car. III, 688.
*) Bethmann, .\rchiv IX. 623; Weiland in den Göttinger Nachrichten
1885. S. 69 — 72 (Ausg. des Fragmentes nach Bethmann S. 70) ; Watterich
I, 86; Duchesne, Lib. poutif. II. 257 (ebd. p. 258 das schon von Watte-
rich herangezogene Ei^itapli Benedikts VII).
^) Die beiden Rhythmen Christe preces intellege und ^m»* dabit aquam
herausgeg. vonDümmler. Anselm der Peripatetiker S. 72 — 82: von Bloch
NA. XXII, 114—121. 136 (vgl. auch P. v. Winterfeld. Stilfragen aus der
latein. Dichtung des Mittelalters S. 25). Ueber die Thätigkeit Leos vgl.
Wattenbach, Geschichtsquelleu. I. 7. Autl. 31
482 If^- Ottonen. § 13. Italien. Luidprand.
Wenig erfreulich ist die historische Thätigkeit im Kloster Nonan-
tula; dem Inhalte nach in frühe Zeit hinaufreichend, hat sie uns
doch wesentlich nur spätere Aufzeichnungen verwii*rter und fabel-
reicher Tradition hinterlassen. Ein Leben des ersten Abtes Anselm')
(t 803), mit der Gründungsgeschichte aus der Zeit des Königs Aistulf^
ist erst im Anfange des 11. -Jahrhunderts mit viel chronologischer
Verwirrung und wenig Inhalt geschrieben ; desgleichen die mit der
Gründung des Klosters verbundenen Translationsgeschichten des hei-
ligen Silvester'-). Das Glück des Klosters wollte es, dai's der Papst
Hadrian III. 885 in der Nähe von Nonantula starb und dort be-
graben ward. Bald wurde er als Heiliger verehrt und that Wunder;
eine üeberlieferung davon erhielt sich mündlich oder schriftlich,
aber weiter wufste man nichts von ihm, und da man doch eine Le-
gende von ihm haben wollte, ward im ausgehenden 11. Jahrhunderte
der Zeitgenosse Karls des Grolsen Hadrian I. mit ihm zu einer Per-
son verarbeitet. Da hatte man Stoff genug und nahm zu Einhard
u. a. noch den Liber diurnus, von dem vielleicht bei jener Gelegen-
heit ein Exemplar im Kloster geblieben war; so kam das Monstrum
zu stände, welches noch nie vollständig gedruckt, aber in den Aus-
zügen Mabillons zu gläubig angenommen ist und Schaden augerichtet
hat'). Die Ueberführung der heiligen Senesius und Theo-
S. Löwenfeld, Leo von Vercelli, Gott. Diss. 1877; H. Bloch, Beiträge zur
Gesch. des Bischofs Leo v. Vercelli und seiner Zeit, NA. XXII, 11 — 136.
Bloch veröffentlicht mit den schon durch Dümmler (Forsch. VIII, 387,
XIII, 600-602, vgl. Schnürer, Piligrim v. Cöln, Diss. Monast. 1888) und
Brefslau (Heinrich II. Bd. III S. 144) gedruckten Schriftstücken aus Leos
Feder weitere historisch nicht unwichtige Briefe des Bischofs an Hein-
rich II. aus dem Jahre 1016 nach Arduins Tode (S. 16—23). die Elegie
auf Bischof Petrus von Vercelli (S. 109 mit dem wichtigen Nachtrag im
NA. XXVII, 752—754 und XXVIII, 788) und eine Tierfabel, die zu Leos
Kämpfen mit Arduin in Beziehung zu stehen scheint. Hinzuweisen ist
auch auf Leos Vorgänger Atto (924 bis c. 960): Opera ed. Burontius,
Verc. 1768, besonders wichtig De pressuris eccletiiasticis II. 322 — 352.
Gott. Diss. über ihn von J. Schultz 1886 , vgl. NA. XI, 641. Die von
Schultz u. Goetz (Berichte d. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch. 1896 S. 75
bis 78) ihm zugeschriebene polemische und sehr dunkle Schrift Polipticum
wird ihm von Ebert III, 369 abgesprochen und ins 11. Jahrh. gesetzt.
Hs. anderer Werke Attos Vercelli 40, vgl. Mon. palaeogr. siicra tav. 17.
^) Vita Anselmi, MG. SS. Langob. p. 566—570. Mit allen übrigen
Stücken gedruckt bei Bortolotti, Vita di S. Anseimo abb. di Nonantola,
Modena 1892. — B. Joh. von Arezzo schenkte an Nonantula um 876 ein
prächtiges Sakramentar, Delisle, Sacram. p. 128; Eimer, Iter Italic. S. 382.
-) De Fundatione monasterti Nonantulani , MG. SS. Langob. p. 570:
ed. Bortolotti p. 135 sq. Benutzt von Sicard v. Creniona , vgl. Holder-
Egger, NA. XXYL 483.
') Vgl. Th. V. Sickel, Die Vita Hadriani Nonantulana und die Diurnus-
Hb. V. im NA. XVIII, 107 — 133; Giorgi, Storia esterna del codice Vati-
Noniintuhi. l'uniia. Rom. 483
pompus, welche untei* der Königin Adalheid gegen die Pest aus
Treviso nach Pavia gebi-acht wurden, ist erst unter Abt Rudolf
(1002 — 1035) geschrieben '). Von den beiden erhaltenen Abtreiben
geht die eine bis i''3;J und eine zweite mit einigen geschichtlichen
Nachrichten bis auf den erwähnten Rudolf'), unter dem durch Erz-
bischof Aribert die Mönchsregel wieder hergestellt wurde. Damit
beginnt denn auch erst die Zeit, aus welcher schriftliche Aufzeich-
nungen uns erhalten sind.
Unbedeutend und fabelhaft ist das Leben des Johannes, ei^sten
Abtes des von Sigifrid II. gestifteten Klosters zu Parma, der um
i^^>90 starb; es ist erst gegen 1050 nach mündlicher Ueberlieferung
verfafst^).
üeber die Ottonischen Einrichtungen in Rom belehrt uns eine
Schrift, welche unter Otto III. entstanden ist und mit einer Be-
schreibung von Rom Nachrichten über die damalige Verfassung
verbindet ■■).
?; 14. Italien. Chroniken,
Während es in Italien , wie vor allem das Beispiel Liudprands
zeigt, nicht an Männern fehlte, welche zu schreiben verstanden, ver-
fafste um das Jahr 968 ein Mönch des Klosters Sant" Andrea am
Berge Soracte*), Benedict, eine Chronik, welche an Roheit der
cano del Diurnus. Arch. d. Soc. rom. di storia patr. XI (1889) p. ö — 58.
Bortolotti p. 76—89 und 155—159.
') Ughelli. Italia sacra V, 469—476, ed. Coleti V. 491—495; bei
Boi-tolotti p. 161—176.
^) Nomina abbatnm Nonantulensiuin , MG. SS. Langob. p. 571 — 57o,
?onst Chronicon No»antuIanu»t genannt; ed. Bortolotti p. 141 — 153. —
Isti sunt lihri, qui sunt adquisiti tempore domni Itodidfi abb. per Petrum
mon. in Nonantiilen.^i coenohio, ed. Giorgi, Rivista d. biblioteche VI, 58
bis 59. Dazu das Bild Aixh. paleogr. ital. III, 24.
^) Vita loliannis ahb. S. lohnnnis Parmensis , ed. Mab. V. 715 — 724.
'•) Graphia atireae urbis liomae bei Ozanam, Documents inedits p. 155
bis iSo (vgl. Codex urbis Roma«' topogr. , ed. Urlichs, p. 97 u. 124).
Gehört auch die Beschreibung in der vorliegenden P^orm dem 12. Jahr-
hundert an, so pafst doch der zweite Teil nur in die Zeit Ottos III. nacli
Giesebreoht I, 879 ff.; vgl. Gregorovius, Gesch. d. Stadt Rom IH (4. Aufl.).
S. 504 ff.; Graf, Roma nella memoria del medio evo I. 59 ff.; Bloch, NA.
XXII, 84. — Ueber die Fortsetzung der Papstgeschiehte Gie<ebrecht I.
782. Watterich I p. XIV— XXIII. Duchesne, Liber pontific. II p. IX sq.
— Wunderliches Gedicht aus Rom zu Mariae Himmelfahrt vielleicht 999
(ine. Sancta Maria quid est) bei Giesebreoht I, 898 und Novati (vgl. oben
S. 475) p. 169 sq.; vgl. Bloch, NA. XXII, 112 A. 3.
^) S. Andreae in flumine, in der Ebene bei Ponzano, nach Tomassetti,
Arch. d. Soc. rom. di storia patr. VII (1884). 382.
484 III. Ottoiieii. V? 14. Italien. Chroniken.
Gedanken wie der Sprache unübertroffen istO- Wäre die Aiisfüh-
Yung nicht gar zu ungeschickt, so könnte man in dem Versuche,
eine Weltgeschichte seit Christi Geburt zusammenzustellen, einen
Fortschritt erkennen, aber es ist nur eine Kompilation der dürftig-
sten Art. Wie wenig geschichtlichen Sinn der Verfasser besals, zeigt
sich auch darin, dal's er zuerst die Sage von Karls Zuge nach dem
Morgenlande aufnahm"); mitten zwischen Stellen aus Einhards
Werken schiebt er sie ein, ohne einen Widerspruch darin zu ge-
wahren. Im Mittelpunkt aller Dinge und Begebenheiten steht ihm
einzig sein Kloster; zu allen weifs er es in Beziehung zu bringen.
Gegen die fremden Heri'scher, welche nach Italien kommen, ist er
sehr aufgebracht, worin Maurenbrecher seinen Patriotismus erkennt,
während J, Jung ^) vielmehr seinen klerikalen Standpunkt darin
findet : er begeistert sich für den Papstkönig, und ist deshalb auch
gegen Alberich sehr eingenommen. Ueber seine eigene Zeit, über
Alberich und die Stadtgeschichte von Rom gewährt übrigens Benedict
bei dem Mangel an anderen Quellen wichtige Aufschlüsse; aber man
mufs sie aus seiner verworrenen und aller Grammatik hohnsprechen-
den Schreibart mit Vorsicht und Mühe entnehmen. Einige kleine Er-
gänzungen aus unbekannter Quelle'), welche sich an einen Auszug
aus Benedict anschliessen, liefert für die Jahre 966 — 998 eine Chronik
des 13. Jahrhunderts von S. Bartolomeo in Rom.
Einen eigentümlichen inneren Gegensatz zeigt uns die um die-
selbe Zeit geschriebene Chronik eines Salem itaners bis zum
Jahre 974''). Der Verfasser hat nämlich seinen grammatischen Kursus
') Chron. Benedicti de S. Andrea, von Pertz zuerst gedruckt MG. SS.
III, 695—722 mit Weglassung des Anfanges. Auszüge daraus übersetzt
bei 0. Abel, Paulus Diaconus S. 203; Wattenbach, Der Mönch von
St. Gallen S. 98. Benedict ist benutzt von Martinus Pol. nach Weiland,
Arch. XII, 33. Die Hs., welche Pertz fälschlich für sein Autograph hielt,
ist in schöner regelmäfsiger Bücherschrift geschrieben, vgl. das Bild zweier
Seiten bei Ern. Monaci, Arch. paleogr. ital. II, tav. 3. Vgl. im allgemeinen
Archiv V, 146; X, 381; Giesebrecht I, 782; Ebert HI, 443; Balzani p. 136
bis 138. üeber das im Chron. S. 697 enthaltene Epigramm des Papstes
Damasus vgl. Damasi epigr. ed. Ihm p. 64. Wegen der Verwandtschaft
von Benedicts Bericht über Otto I. mit dem Liber pontific. vgl. die oben
S. 412 Anm. 2 angeführten Aufsätze von Ottenthai und Sackur.
^) Vgl. G. Paris , Histoire poetique de Charlemagne p. 55 u. 387 ;
Rauschen, Die Legende Karls d. Gr. S. 142.
') Forsch. XIV (1874), 426 f.
*) Herausgeg. von Holder-Egger. MG. SS. XXXI, 213—214.
•>) Chron. Salernitanum ed. Pertz, MG. SS. III, 467—571. Die Regenten-
tafeln am Anfang, wiederholt MG. SS. Langob. p. 491. Bruchstücke über-
setzt in Abels Paulus Diaconus S. 192—202. Zu vergleichen ist: Schipa,
Storia del pvincii)iito longob. di Salerno, Nap. 1887: einige Einwendungen
Benedict von St. Aiulreu. Chronicon Saleinitunuiii. 485
durchgemacht , er ist sehr stolz auf seine gelehrte Bildung, citiert
Virgil, Lucan und einzelne Kirchenväter und gibt zuweilen wunderlich
spitzfindige sprachliche Untersuchungen zum besten. Auch kann
er ziemlich fehlerfrei schreiben, wenn er sich Mühe gibt; dazwischen
aber kommen wieder Stellen, wo er alle seine Gelehrsamkeit ver-
gifst und mit allen Flexionsformen ein leichtsinniges Spiel treibt.
Zum Geschichtschreiber war er wohl etwas besser befähigt als
Benedict, aber auf besonderes Lob hat auch er keinen Anspruch.
Er knüpft an Paulus' Geschichte der Langobarden an und erzählt
nun weiter von den langobardischen Fürstentümern in Unteritalien,
was ihm gerade einfällt, ohne viel Ordnung und ohne alle Kritik;
Erchempert hat er stark benutzt und was er aus eigener Kunde
hinzufügt, hat nur beschränkten Wert, doch hat er uns eine Anzahl
beneventanischer Grabschriften erhalten. Trauen darf man ihm nicht
viel, aber seine lebendig vorgetragenen, oft ganz novellenartigen
Erzählungen geben doch einen erwünschten Einblick in das Leben
und Treiben jener Länder, und für die Geschichte Unteritaliens sind
wir oft allein auf seine Nachrichten angewiesen.
Ungleich besser als diese Schriften ist die Chronik Venedigs
von dem Diaconus Johannes, dem Kaplan und vielleicht Ver-
wandten des Dogen Peters IL Urseolus (991 — 1009), der wiederholt
als Gesandter an Otto IIL und Heinrich II. geschickt wurde \). Seine
von F. Hirsch, HZ. LXI, 186—189. Ebert III, 445—446. Das zum Chron.
Salem. MG. SS. III, 548 aus Bamberg E. III, 14 fol. 350 subnotierte
Stück De Martyrio .^'. Procopii (vgl. oben S. 342) ist wiederholt MG. SS.
Langob. p. 457.
') Erste Ausgabe: Chronicon Venetum lohanni Sagornino vulyo trihu-
tum ed. Zanetti, Venedig 1765. Zweite: lohannis diaconi Chron. Venetum
ed. Pertz, MG. SS. VII, 1—38. Neueste mit umfassenden Erläuterungen
V. Monticolo, CronacheVeneziane antichissime I, 1890, p. 59 — 171 (= Fonti
per la storia d'Italia IX). — Pertz schrieb dem Johannes wohl irrig auch
das in den Hss. mit dem Chronicon Venetum verbundene Chronicon Gra-
dense zu: MG. SS. VII, 39 — 45; neue Ausgabe von Monticolo 1. c. p. 19
bis 51. — Quelle für das Chronicon Gradense neben dem Chron. Altinate
(vgl. unten S. 486 Anm. 2): Chronica de .snnguli.'< patriarchis Novae Aqui-
leiae a. 1049; ein Auszug daraus MG. SS. VII, 45—47; vollständig (u. d.
T. : Chronica patriarcharum Gradensium) ed. Waitz, MG. SS. Langob.
p. 392—397; jetzt bei Monticolo 1. c. p. 5—16. — Vgl. über Johannes
und sein Werk Giesebrecht 1, 790. Kohlschütter, Venedig unter Peter IL
Orseolo, Gott. Diss. 1868, bes. S. 61— 65. Simonsfeld, Andreas Dandolo,
München 1876, S. 56—79. Derselbe, Das Chronicon Altinate (= Venet.
Studien I), München 1878, bes. S. 14 ff. u. 74 ff. Derselbe, Rezension
der Ausgabe von Monticolo, HZ. LXVII, 360—365. Waitz, NA. II, 375
bis 381. Monticolo, La Cronaca del diac. Giovanni, Pistoja 1882. Der-
selbe, I manoscritti e le fonti della Cronaca del diac. Giovanni, Bull,
dell' Istituto stör, italiano IX (Rom 1890) p. 37—328. Derselbe, Nuovo
48(5 Tll- Ottoneii. § 14. Italien. Chroniken.
Sprache ist die eines Geschäftsmannes, ungeschmückt, auch nicht
frei von Verstölsen gegen die Regeln der Grammatik, aber leicht
verständlich und dem Gegenstande angemessen ; seine venetiani-
schen Provinzialismen sind unendlich viel angenehmer, als die
ungeschickten Phrasen der halbgelehrten Mönche. Im Anfang auf
Paulus Diaconus und Legenden gestützt und begreiflicherweise
mangelhaft, führt er seine Geschichte fort bis 1008; sie gewinnt
an Reichtum des Inhalts mit dem Fortschritte der Erzählung und
wird besonders wichtig, wo er von den Berührungen mit den
Kaisei'n berichtet, bei denen er selbst beteiligt war. Die treflPliche
Regierung des Dogen Peters II. bildet den Hauptgegenstand seiner
Darstellung. Ueberhaupt erkennt man hier gleich, dafs der Ver-
fasser das Leben nicht nur aus der Ferne ansah , sondern selbst
mitten darin stand.
In dem älteren Teile dieser Chronik herrscht eine grofse Ver-
wirrung. Ueber die Vorgeschichte von Venedig vor der Wahl des
ersten Dogen und die Chronologie der nächsten zwei Jahrhunderte
hat Andreas Dandolo in seinen Annalen besondere Nachrichten;
es scheint ihm ein altes Dogenverzeichnis vorgelegen zu haben,
mit den kurzen Charakteristiken der ersten Dogen , welche bei
Johannes fehlen^).
Sehr alte Elemente sind ferner in den ersten Büchern des sogen.
Chronicon Altinate^) erhalten, die mit ihrer höchst barbarischen
Sprache nach Simonsfeld schon im Anfange des 10. Jahrhunderts zu-
sammengestellt, später mit Zusätzen vermengt und bis ins 13. Jahr-
hundert fortgeführt sind; die ursprüngliche Form bleibt häufig
zweifelhaft.
archivio Veneto III, 365—386. Balzani p. 138—140. W. Meyer aus
Speyer, Die Spaltung des Patriarchats Aquileja, Berlin 1898 (Abhandl.
der Götting. Ges. d. Wiss. 11, 6), bes. S. 10—26. Uhlirz, Otto II. S. 191
Anm. 16; S. 195 Anm. 27.
*) Ein merkwürdiger Brief des Dogen Petrus Candianus an Heinrich I.
ed. Weiland, MG. Const. imp. I, 6 — 7; vcrl. Aronius, Regesten z. Gesch.
d. Juden S. 53 f.
^) Ausgabe von Rossi im Archivio stör. ital. YIII (1845) p. 1 — 228 u.
nach der besseren Dresd. Hs. im Appendice ders. Zeitschr. V (1847) p. 1
bis 128; jetzt als Chron. Venetum vulgo Altinate v. Simonsfeld, MG SS.
XIV, 1 — 97 , nach vier sehr voneinander abweichenden Handschriften.
Eine in zwei Hss. damit verbundene sagenhafte Darstellung der Troj.
röm. Gesch. (= Arch. stör, it., app. V, 37—46) hat Simonsfeld in der Aus-
gabe weggelassen und besonders herau«geg., NA. XI, 239 — 251. Vgl. die
oben S. 485 Anm. 1 angeführten Aufsätze von Simonsfeld und Waitz;
femer Simonsfeld, Archivio Veneto XXIV (1882), 111—131 u. ebd. XXXV
(1888), 117—134.
Venedi^if. Gumpold von Mantuu. 487
sj 15. Italien. P> i o r,M-a p h i e n.
Gegen das P]nde des 10. .hihrbunderts verschwindet in Italien
lene Barbarei, welche hier weit greller als in den anderen Teilen
■des karolingisclien Reiches hervorgetreten wur. Die bessere Ordnung
<3er politischen und kirchlichen Verhältnisse macht sich auch hier
fühlbar. Auf Veranlassung des Kaisers Otto II. schrieb ein Bischof
Oumpold von Mantua, von dem sonst wenig bekannt ist, ein
Leben des böhmischen Herzogs und Märtyrers Wen cesl aus (t 935).
Er stand indessen der Zeit wie den Ereignissen zu fern, um viel
davon zu wissen, und suchte die Dürftigkeit des Inhalts durch
schwülstige Phrasen zu verdecken. Hochtrabende sallustische Aus-
drücke paaren sich bei ihm in widerlicher Mischung mit der kirch-
lichen Phraseologie. Im Prologe werden auf solche Weise die
Bestrebungen der Menschen geschildert und dabei die freien Künste
mit Umschreibungen bezeichnet, welche Büdinger ohne Grund auf
Oerberts Disputation mit Otrich bezogen hat'). Es ist deshalb auch
nicht nötig, die Entstehung der Schrift nach Errichtung des Prager
Bistums anzunehmen, von der Gumpold noch nichts weifs, wäh-
rend man doch kaum annehmen kann, dals er sie, wenn er später
schrieb, nicht sollte erfahren oder berücksichtigt haben'-).
Ein zweites Leben desselben 31äi-tyrers schrieb später im 11.. Jahr-
hunderte, doch unabhängig von Gumpold, Lauren tius, ein Mönch
von Montecassino. Dieser beruft sich auf die Erzählungen eines
Landsmannes des Märtyrers und mag durch ihn Kunde erhalten
haben von einer schon früher in Böhmen und vielleicht in slavischer
*) Diese allein richtige Deutung jener Stelle verdankte Wattenbach
der Mitteilung Jaffes. Ueber die im Prologe zur Schau getragene Ver-
achtung der klassischen Studien vgl. Novati, L'influsso del pensiero lat.,
Mailand 1899 (2. Aufl.), p. 149.
^) Giimpoldi Vita Vencezlnvi dacitt, von Pertz entdeckt und heraus-
gegeben MG. SS. IV, 211—223; wiederholt Migne CXXXV. 923—942;
Fontes Rer. Boh. (Prag 1872) I, 146—166. Das Widmungsbild aus der
Wolfenbütteler Hs. in 0. v. Heinemanns Kataloge VII, IS'"!; es scheint
durchaus möglich, dafs „Hemma venerabilis principissa". welche diese
Prachths. anfertigen liels, die Gemahlin Boleslavs II. (f 1006) ist und
Schrift und Bilder in den Anfang des 11. Jahrhunderts gehören. Vgl.
im allgemeinen Büdinger, Zur Kritik altböhmischer Geschichte, Zeitschr.
f. österr. Gymnasien VIII (1857) S. 501 — 525; er bat Gumpolds Existenz
urkundlich nachgewiesen. Ueber Wenzel und seine Biographien vgl.
Wattenbach im 2. Bande dieser Geschichtsquellen: Fiüedjung, Kaiser
Karl IV. und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit (Wien 1876)
S. 150-161: Hauck III, 186—196.
488 III- Ottonen. j^ 15. Italien. Biographien.
Sprache verfafsten Legende, auf die wir später noch einmal zurück-
kommen werden').
Eine bedeutende Einwirkung übte auf Italien die damals auch
hier eindringende streng mönchische Askese, welche teils von Cluny
aus über die Alpen sich verbreitete, teils unabhängig davon und
in anderer Gestalt in Italien selbst aufkam. Zu den Hauptträgern
dieser Richtung gehört der griechische Kalabrese Ni los, der durch
seine aufs äufserste getriebene Verachtung alles Irdischen einen so
grofsen Eindruck auf Otto III. machte. Sein Leben ist von einem
Landsmanne in griechischer Sprache geschrieben und enthält einige
wertvolle Nachrichten, vorzüglich aber viele anziehende Einzelheiten
zur Kulturgeschichte Italiens').
Von demselben Geiste erfüllt, aber ungleich wichtiger für die
deutsche Geschichte, ist das Leben des heiligen Adalbert,
des Bischofs von Prag und Apostels der Preufsen (f 997), auf den
Wunsch seines schwärmerischen Freundes, des Kaisers Ottos III.,
verfafst von Johannes Canaparius, dem Abte des Alexius-
klosters in Rom (f 1004), in welchem Adalbei"t sich eine Zeitlaug
aufgehalten hatte"). Der Verfasser hat Adalbert selbst nahe ge-
') Passio S. Venzeslavi edita a domno Laurentio monacho S. Benedicti,
auszugsweise mitgeteilt von Pertz, Arch. V, 137 — 143; vollständig von
Dudik, Iter Romanum 1, 304 — 318, Fontes Boh. 167 — 182. Eine anonyme,
von Gumpold abhängige Legende (ine. Crescente fide) bei Dudik, S. 319
bis 326, Fontes 18;:j — 190. üeber die wenig glaubwürdigen Legenden
von Wenzels Mutter Ludmila vgl. die Vorrede von Holder-Egger zu der
Ausgabe der ältesten, die jedoch auch erst aus dem 12. Jahrhunderte
stammt, während diejenige, welche bisher für die älteste galt, nur ein
Teil von dem betrüglichen Werke des Pseudo-Christann ist, MG. SS. XV,
1, 572.
2) Vita S. Nili, Acta SS. Sept. VII, 336; Auszüge MG. SS. IV, 616
bis 618; vgl. Giesebrecht I, 789. Ehrbard in Krumbachers Byz. Litte-
raturgesch. 2. Aufl.) S. 195 u. 198. Ueber Griechische Briefe eines Leon,
die von den Schicksalen des Johannes (Philagathos), eines Freundes und
Landsmannes des Nilos handeln , Krumbacher ebd. S. 461 ; vgl. über
Johannes oben S. 354 Anm. 5. Ebenfalls griechisch geschrieben ist das
Leben des heil. Sabas von lerem. Orestes mit interessanten Nachrichten
zur Geschichte Ottos II. , herausgegeben von Cozza-Luzi in den Studi e
documenti di storia e diritto XII (1891), .33 ff., 135 ff., 312 ff.; vgl. Ehr-
hard a. a. 0.; Uhlirz, Otto II. S. 172 Anm. 57.
^) lohannis Canapnrii Vita S. Adalberti ed. Pertz, MG. SS. IV, 581 bis
595. Ausg. von AI. Batowski bei Bielowski (vgl. oben S. 388 Anm. 3)
I, 157 — 183 mit Varianten einer Handschrift aus Kielce. Uebersetzt von
Hüffer 1857; 2. A. 1891, Geschichtschr. 34 (X, 7). Ebert III, 486—491.
Hauck in, 245—251. Perlbach, NA. XXVII, 37—41, handelt über Cana-
parius und widerlegt die von Ketrzynski gegen seine Urheberschaft er-
hobenen Zweifel, ebenso vorher schon Kaindl, Mitteil. f. Gesch. der D. in
Böhmen XXXII (1894) S. 338— 347 u. Mitteil. d. Inst. XX, 644—648. üeber
Vita S. Nili. Johannes Canapariu^. 489
standen, benutzte auch einen Aufsatz des Domprobstes Willico von
Prag, und schreibt daher aus voller Kenntnis des Gegenstandes und
mit grofser Wärme, in reiner, von biblischen Phrasen erfüllter
Sprache; über die politischen Verhältnisse, welche der Wirksamkeit
Adalberts in Böhmen im Wege standen, darf man freilich bei ihm
keine Aufklärung suchen. Die wenig spätere üeberarbeitung dieses
Lebens von Bruno von Querfurt erwähnten wir schon (oben S. 388 f.).
Bruno gehört zu dem Kreise jener Asketen, welche in dem Kloster
Classe bei Ravenna lebten , aus deren Mitte der Camaldulenser-
orden hervorging. Das Leben des Stifters dieses Ordens, des Abtes
Romuald, hat um die Mitte des 11. Jahrhunderts Petrus
Damiani, der Hauptvertreter der Richtung, geschrieben; aus den
salbungsvollen Sentenzen lassen sich einige geschichtliche Nachrichten
auslesen ').
den böhmischen Landtagsschlurs von 992 in Wattenbachs Beiträgen zur
Gesch. der christl. Kirche in Mähren u. liöhmen S. 51 und bei Erben,
Regesta Bohemiae p. 33; ich finde ihn nicht berücksichtigt in dem sonst
sehr hervorragenden und scharfsinnigen Aufsatze von Loserth, Der Sturz
des Hauses Slawnik, Arch. d.W. A. LXV, 19—54, worin Adalberts Mifserfolg
in Prag zurückgeführt wird auf die Rivalität seines Hauses, eines fürst-
lichen chorwatischen, das mit Polen verbündet war, mit den Przemysliden.
De S. Ädalherto ep. Pragensi , spätere Legende , in der Bruno und Cana-
parius benutzt sind; neue Ausgabe von Pei'lbach, MG. SS. XV, 1177
bis 1184. Ueber die Uebertragung von Adalberts Gebeinen nach Prag im
Jahre 1088 vgl. den Zusatz zu Notkers Martyrolog. , Forsch. XXV, 209.
') Ex Vita S. liomtialdi aticfore I'etro Damiani ed. Waitz, MG. SS. IV.
846 — 854; vgl. im 2. Bande dieser Geschithtsquellen.
Register.
A.
Aachen 278. 279.
Aaron, westfränk. Mönch 253.
Abbo, Abt V. Fleury 121. 421. 466
bis 467. 469.
— von St. Germain 329—330.
Ablavius 74. 75. 77.
Abraham (957—994) B. v. Freising
454. 4.-)5. 480.
— Jacobsen 369.
Acta abb. Fuld. 262; epp. Cenom,
334; Friderici ep. Trai. 437;
ord. S. Benedicti 12; primorum
martyr. sincera 12; sanctorum
11. 12.
Adalbald vgl. Adalbold.
Adalbevo (887—910) B. v. Augsb.
286 Sl''
— (977—1030) B. V. Laon 460. 472.
— I (929—962) B.V.Metz 413. 415.
— II (984 — 1005) B. V. Metz 379.
415. 417.
— III (1047—1072) B. V. Metz 423.
— (966—988) Erzb. v. Reims 421.
4.58. 460. 462.
— Propst V. St. Paulin 410.
— vas librorum 4.54.
Adalbert (968—981) Erzb. v. Magd.
385. 410. 411.
— ß. V. Passau 455.
— (982—997) B. v. Prag 381. 387.
488. 489.
— Abt V. Echtei-nach 409.
— Abt V. Ferrieres 187.
— Abt V. Hornbach 418.
— Diac. V. Bamberg 401.
— Mönch V. Flenry 467.
— Mönch V. St. Erameram 451.
Adalbert, Graf v. Babenberg 368.
— Gründer v. Tegernsee 288.
— Notar 410.
Adalbold (1010—1026) B. v.Utrecht
403. 425. 436—438.
— Kalligraph in Tours 187.
Adalfrid, Mönch v. Fulda 253.
Adalgar, Lehrer 294.
Adalgis, Priester 278.
Adalhaid, B. v. Verona 345.
— Abt V. Corbie 183. 300. 303.
— Abt V. St. Martin in Tours 187.
189.
— Mönch V. Blandigny 435.
Adalheid, Kaiserin 351. 356. 474.
— Aebtissin v. Quedlinburg 377.
Adalher, Mönch v. Lorsch 397.
Adalram (821—836) Erzb.v. Salzburg
242. 292.
Adalwald, König der Langob. 93.
Adalwin, Abt v. Blandigny 432.
Adam, Abt v. Masmünster 169.
— V. Bremen 25. 251. 297. 298. 305.
321.
Adelard vgl. Adalhard.
Adelbald vgl. Aldebald.
Adelbero vgl. Adalbero.
Adelbold vgl. Adalbold.
Adelchis 181.
Adelerius v. Fleury 468.
Adelheid vgl. Adalheid.
Adelperga 57. 180. 184.
Ademar v. Chabannes 170. 332. 334.
Adhemar, Aquit. Mönch 230.
Ado (8.59—874) Erzb. v. Vienne 143.
240. 309. 317; Martyrol. 67. 345.
441.
— Priester 224.
Adrevald v. Fleury 467.
Register.
491
Adso, Abt V. Montii-rentler 354. 356.
405. 421. 422.
— Abt V. St. Basle 422.
Adventius (858-875) B.v.Metz 319.
322.
Adventus S. Benedicti 467.
— S. Landoaldi 432.
— SS.Wandregisili, Ansberti et Vul-
franni 431.
Aedde Steplianus 148.
Aegidius v. Orval 425.
Aelbert (Aetbelbert) Erzb. v. York
186. 294.
Aeneas Silvius 2. 7.
Aethicus 76. 122.
Aethilwald 151.
Agius 304. 306. 373.
AgneHus 62. 63. 343.
Agnes. Pfalzgr. v. Weimar 357. 375.
Agobard, Erzb. v. Lyon 172. 232.
309.
Aimoin v. Fleury 5. 121. 323. 330.
466—470.
Alagus, Domherr 333.
Alanus v. Farta 343.
Alberich, ß. v. Utrecht 294.
— Abt V. St. Evre 421.
— V. TroisFontaines 329. 470. 479.
Albrich, St. Galler Mönch 127. 237.
286.
Albert v. Stade 29.
Albuinus heremita 405.
Albwin, Abt v. Nienburg 304.
Alcvin 165. 168 flP. 186—191. 193. 200.
238. 243. 252. 253. 256. 257. 267.
282. 292. 294. 297. 308; V.Willibr.
148; Epp. 36. 169. 292.
Aldebald v. Lerins 473. 474.
Alderich, B. v. Le Mans 334.
— Erzb. V. Sens 187. 190. 227. 258.
309.
Aldhelm 151.
Alemar, secundarius 396.
Alger, canonic. Leod. 425.
Alpert V. Metz 362. 399. 418. 419.
438.
Altfrid, B. v. Hildesheim 243.
— (839—849) B.v.i\[ünster293.295.
336.
Altimannia 133.
Altmann 36.
Aluberht, Bischof 294.
Alvarus Pelagius 6.
Amalafrid 101.
Amalarius (809—814) Erzb. v. Trier
308. 309.
Amalrich. Erzb. v. Tours 187. 330.
Amandas (647—649) B. v. Mastricht
128.
Ambrosius . priniicerius notariorum
142.
Amersfoort 419.
Amico, Abt v. Murbach 164.
Amniian 76. 83.
Analecta BoUandiana 11.
Anamodus 289.
Anastasius bibliothecarius 65 838.
Andreas, Abt v. Michelsberg 96.
— Abt V. St. Pankraz in Rom 432.
— presb. Hergom. 231. 343.
— Dandolo 486.
— von Fleury 468. 469.
— V. Marchiennes 328.
Angelomus 227.
Angelsachsen 145 ff. 252.
Angilbert, Abt v. Corbie 191. 237.
— Abt V. St. Riquier 168. 169. 189.
190. 191 — 198. 215. 219. 233.
235. 237.
— Verf. des Rhythmus 235.
Angildruth 254.
Angilram (769—791) B. v. Metz 182.
191. 215.
— Abt V. St. Riquier 193.
Aniane 225. 231.
Annales Alamannici 158. 164. 285.
286. 405. 440; Alcvini 165:
Altah. 376. 377. 440; Andegav.
1 12 ;Angl. 244. 294. 405 ;Aquitan.
225 : Arelat. 63. 1 12. 1 13 ; Augiens.
165. 284. 286. 377. 395. 405.411:
Aug. breviss. 159. 165; Ausc. 159.
— Barcinon. 329: Bavarici breves
159. 166: Bertiniani 227. 246.
323—328. 431.471: Blandiniens.
246. 427; Burgund. 112. 115.
— Cadom. 405; chronographi vet.
146; Colon. 286. 294. 403. 404.
405. 440 ; Colon, breves 316. 404 ;
Colon breviss. 316; Corb. 155.
166. 305. 365. 377: Cracov. 405.
— Einhardi 209. 216 ff. 222. 247.
307. 377; Einsidl. 440: Elno-
nens. mai. 336; Elvacens. 376;
Engolism. 329.
— Flaviniac. 162. 221. 224; Plo-
doardi 458. 464; Floriac. 240.
329.467; Fossenses 426; Fuld.
209. 244—251. 256. 257. 261.
263. 265. 289. 305; Fuld. ant.
166. 167. 202. 223. 224. 252.
256; Fuld. necrol. 70. 202. 397;
Gand. 434; Guelferbvtani 158.
164. 222.
492
Register
Annales Halb. 308. 380; Heremi
441; Hersfeld. 244. 264. 376
bis 378. 384. 397; Hildesh. 376.
384. 385.
— luvavens. 164. 166.
— Laubac. 158. 376; Laureshani.
158. 159. 162. 163. 215. 221. 224.
225. 297. 337. 426; Lauriss. mai.
163. 164. 211—223. 226. 230.
308. 313. 337. 426; Lauriss. min.
162. 222. 223. 245. 246. 247. 253.
256. 263; Lauson. 162; Lemov.
329; Leod.426; Lindisfarn.165;
Lob. 222. 229. 263. 411. 426;
Loisel.211; Lugdun. 329; Lund.
405.
— Magdeb. 378. 386. 389; Masciac
329; Maximiniani 163. 164. 221
223. 224. 315; Mett. 143. 144
222. 229. 323. 328; Monast. 305
Monast. Gregor. 376; Mosellani
158. 160—162. 163. 164. 221;
Murbac. 158. 164. 165.
— Nazar. 158. 164. 165 ; Nivern. 329 ;
Normann. 405.
— Ottoburani 156. 375. 376.
— Petaviani 158. 160. 161. 163.
247; plebei 211; Prüm. 311;
Prüm, necrol. 70.
— Quedlinb. 376—380. 392. 398.
— Ratisb. 449; Ravennat. 62. 113;
Rem. 458; Rotom. 405.
— Salisb. 166. 449.
— SanctiAmandil58ff.467; Bavon.
203; Benigni Divion. 405; Ber-
tini 427; Blasii necrol. 70;
Bonifatii 263. 376; Columbae
Senon. 329. 406. 467. 470; Dio-
nysii 165; Dionysii Rem. 458;
Dysib. 75. 286; Emm. 164. 166.
449; Emm. breviss. 449; Gall.
158. 286. 411; Gall. brev. 285.
440; Gall. breviss. 286; Gall.
mai. 405. 440: Gall. reg. 159:
Germ. min. 159. 165; Germ.
Paris. 165; lacobi 426; Maxi-
mini 329. 406. 470; Medardi .
Suess. 329 ; Meginradi 441 :
Nazarii 397; Nicasii Rem. 458;
Petri Col. 316; Quintini 329;
Victoris Massil. 225. 329.
— Sith. 209. 223. 245—247; Tiliani
158; Turon. 107.
— Vedastini 323. 327. 328. 426.431.
463. 471; Weingart. 440; Weis-
senburg. 162. 376; Weltenb.
necrol. 70; Werthin. 305; Xant.
163. 314. 315. 316: Yburg.
247.
Annalista Saxo 301. 368. 380. 386.
394. 438.
Annalium veterum fragmenta 222.
Annius Viterbiensis 9.
Anno (884—916) B. v. Freising 288.
— (950—978) B. v. Worms 406.
— Schreiber 403.
Anonymus Cuspiniani 61 ; de situ
orbis 324; de Suevorum origine
369; Haser. 290; Mellicensis 95;
Moguntin. 397; Ravennas 74;
Vales. 55. 62.
Anscher, Biograph Angilberts 193.
194.
Ansegis, Abt v. St. Wandrille 201.
241. 264.
Anselm v. Canterbury 361.
— v. Lüttich 317. 425.
Ansfrid (995—1010) B. v. Utrecht
419. 436.
Ansibert. B. v. Ronen 127.
Anskar (831 — 865) Erzb. v. Hamburg
297—299. 301. 356.
— vgl. Anscher.
Anso, Abt v. Lobbes 145.
Antrieb, Freisinger Lehrer 454.
ApoUinaris Sidonius 97. 98. 102.
Apologeticon Ebbonis 326.1
Apologia pro schola Herbipolensi
398. 400. 453.
Aquileja 44. 236; Evang. 71.
Arator 253. 423.
Arbert, Abt v. St. Arnulf 413.
Arbogast 135.
Archiv d.Gesellsch. f. ältere deutsche
Geschichtskunde 19. 20. 26.
Ardo Smaragdus 231.
Arethas v. Caesarea 476.
Aribo (764—783) B. v. Freising 138.
171.
— (1020—1081) Erzb. v. Mainz 395.
441. 442.
Aripo, Mönch v. St. Emmeram 451.
Arichis 180. 184. 341.
Arles 63.
Arn (785—821) Erzb. v. Salzb. 166.
172. 175. 176. 187. 189. 215.
292.
— (855—893) ß. V. Würzburg 288.
289
Arndt, E. M. 19. 25.
— W. 25.
Arnulf, König 262. 451.
— Graf v. Flandern 430. 431. 433.
435. 436.
Register.
49?>
Arnulf (99(_;— 1023) H. v. Halb. 380.
— (t 641) B. V. Metz 414.
— (972—1003) B. V. Orleans 4ii2.
469.
Arx, Ildefons v. 24.
Aspert (89 1 —893) B. v. Regensb. 289.
Astronomus 230. 234. 246.
Astuvii, Römerstadt 51.
Athanarit 74.
Atto, B. V. Vercelli 352. 482.
Auctarium Prosperi 63.
Audoenus 119. 126.
Audradus Modicus 237.
Aufgebot des Jahres 981 394.
Augsburg 2. 4. 5. 8. 43. 47. 70. 286.
448—449. 452. 458.
Augustinus 54. 68. 87. 88. 89. 90.
94. 237. 396.
— V. Canterbur}- 147.
Aurelius Victor 83. 258.
Aurillac 460.
Ausonius 97. 100. 282.
Auxerre 60. 333.
Auxilius 339.
Avenches 112. 115.
Aventin 5. 6. 9.
Avitus, B. V. Clermont 104.
— ß. V. Vienne 98. 121.
Aynard, Lehrer v. St. Evre 423.
462.
Azo, B. V. Ivrea .345.
B.
B., sächsischer Priester 425.
Baehr, J. C. F. 38.
Balderich II. (lOOS— 1018) B. v. Lütt.
425. 439. 450.
— (970—987) B. V. Speier 357.
399.
— (917— 976) B.v. Utrecht 336. 358.
419. 420. 424.
Baldo, Salzburger Lehrer 268. 292.
Balthard. Abt v. Hersfeld 264.
Balther 135.
Balthilde 131. 193.
Baltrara, Abt v. Lutra 447.
Balzani, Ugo 13. 40.
Bamberg 355. 401.
Bangor, Abtei 131.
Baronius 9. 12.
Basel 6. 7.
Baturich (817—848) B. v. Regensb.
258. 288.
Baudemund 128.
Baudonivia 102.
Baugulf, Abt V. Fulda 199. 252. 256.
257.
Beatus Rhenanus 3. >!.
Bebe, Diaconus 401.
Beda 62. 64. 65. 66. 88. 94. 144.
145—146. 147. 149. 160. 185.
189. 220. 221. 224. 240. 312. 315.
320. 328. 333. 365. 377. 399. 426;
Chron. cont. 146; de rat. temp
64; Martyrol. 66.
Benedict VIII.. Papst 401.
— IX., Papst 450.
— Abt V. Aniane 190. 225. 231.
— V. Sant' Andrea 412. 483. 484.
— Grammatiker 453.
Benedictus levita 24. 264. 265.
Benedictbeuern 454.
Benzo 400.
Beornrad, Erzb. v. Sens 257.
Berenger, B. v. Cambrai 306.
Bergues-SaintWinoc 430.
Bern, Abt v. Reichenau 446.
— Mönch V. Reichenau X.
Bernald (821—840) B. v. Strassb. 228.
277.
Berner v. St. Remi 462.
Bernhard, K. v. Italien 230. 259.
— (924—968) B.v. Halberstadt 379.
Berno vgl. Bern.
Bernowin 191.
Bernward (992—1022) B. v. Hildes-
heim 354. 372. 382—384.
Börosus 9
Bertha, Tochter Karls d. Gr. 194 f.
ßertharius Virdun. 321. 357. 420.
Bertulf, Abt v. Bobbio 132.
Bethmann, C. L. 25.
Bibliotheca hagiographica X. 12.
Bischofsheim 154. 254. 260.
Biso (886—908) B, v. Paderborn .304.
308.
Blandigny, Saint- Pierre au mont
Blandin de Gand 430—433.
435. 452.
Blidulf 334.
Bluhme 24.
Bobbio 130. 132. 236. 460. 481.
Bobbo. Abt V. Lorsch 396. 397.
Bobolenus 130. 132. 134.
Boeddeken 304.
Boehmer 34. 35.
Boethius 73 f. 147. 274. 278. 281.
306. 312. 354. 855. 399. 423. 436.
452. 453. 461. 471. 475.
Boineburg 15.
BoUand 11.
Bollandisten X. 11. 12.
494
Register.
Bonifatius 3ö. 13S. 143. 147. 150—154.
252. 260. 262. 265. 281. 293. 294.
295. 321.
Bonitho v. Sutri 36.
Boretius. Alfred 24. 27.
Bouquet 13. 29. 80.
Bovo (t 947) B. V. Chälons-sur-Mame
306.
— Abt V. Corvey 305. 306. 365. 368.
436.
— Abt V. St. Bertin 187.
Bremen 297. 298.
Bresslau, H. 26.
Breves notitiae Salisb. 176. 290.
Brogne 434-436.
Brouwer 10.
Branellus 6.
Bruno (940—962) Erzb. v. Köln 357
bis 360. 401—403. 408. 416. 419.
420. 450.
— T. Querfurt 388. 389. 489.
— Abt V. Montierender 422.
— Notar 436.
Brunwart, Abt v. Hersfeld 264.
Bruun Candidus 253 — 256.
Büchler 20. 22.
Bun, Abt V. Hersfeld 258. 264.
Burchard ( 1000—1025) B. v. Worms
397. 399. 419.
— Abt V. St. Gallen 357. 442.
— Propst in Mainz 396.
— V. Reichenau 445.
c.
Caesar 419.
Caesaria v. Arles 102.
Calpurnius 174.
Cambrai 322.
Canisius, Heini-ich 10.
Carducci 13.
Canon 7.
Carmen de S. Bavone 431.
Carmina Centulensia 332.
CaroH M. Expeditio hisp. 208.
Carolas Magnus 167 ff. 276. 277;
et Leo ill. 196.
— II. Calvus 67. 227. 324. 325. 330.
335.
— III. 207. 2.50. 272.
— (856—863) Erzb. v. Mainz 265.
Cassian 68.
Cassiodor 73 — 80; Chron. 7. 53. 54.
61. 62. 75. 82. 83. 84; Getica
75—78; Instit. 79; Variae 79.
80. Vgl. Historia tripartita.
Castellum LucuUanum 53.
Casus S. Galli 29. 267—268. 44L
443. 453.
Catalogus Brixiensis 344: Conon.
65; Felicianus 65.
— eodicumhagiograph.il; testium
veritatis 9.
— provinciarum 1S5; regum et
impp. 183.
— pontt. Rom. 61. 65.
— archiepp. Lugd. 329: Rem. 4.58:
Senon. 470; Trev. 40S; Vienn.
240.
— epp. Argent. 446; Atreb. 328;
August. 448; Basil. 276: Con-
stant. 267 : Rat. 289 ; Virdun. 321.
— abb.Aug.267:Blandin.431;Corb.
255. 306; Ferrar. 467; Floriac.
467; Fuld. 262; Murbac. 287:
Xonant. 483: S. Bavonis 434;
S. Emm. 289: S. Galli 267;
SS. Udalr. et Afrae 448; S. Ve-
dasti 328; Weissenb. 266; Wer-
thin. 295.
Catonis disticha 3-34.
CatuU 424.
Cellanus v. Peronne 100.
Celtis 4. 5. 370.
Cena Cypriani 259. 338.
Centuriatoren 8. 9. 256. 314.
Chartres 462. 463.
Chelles 127. 330.
Chevalier, ül. 18.
Childebrand 141. 142.
Childerich 99.
Chilperich 100. 101. 105.
Christian. Abt v. St. Pantaleon 404.
— V. Stablo 320.
Christophorus, primieerius 387.
Chrodegang (742 — 766). B. v. Metz
161. 211.
Chrodobertus. B. v. Tours 111. 126.
Chronica de sex aetatibus mundi224.
— S. Benedicti 347.
Chronicon ad a. 334 60; univ. ad
a. 741 144. 220. 221. 225; ad
a. 796 223. 246. 247 : ad a. 805
215. 221 ff. 224. 225. 328. 426;
Adonis 143; Altinate 485. 486;
Aquitan. 225. 329; Augustanum
90; breveAlam.224; Brix..344
Caesaraug. 95 ; Canisianum 90
Corbeiense 298. 305; Cu.spini
ani 61 ; de gestis Norm. 323
471; Floriac. 467; Fontanell
222. 241; Gothanum 178; Gra
den.se485; Halberst. deperd.377;
Register.
495
imperiale 62 'J(l. 112; Laures-
hani. 257; Lauson. Chartul. 159.
163; Magdeburg. :]^6; Moissiac.
163. 221. 222. 224. 225. 229. 297;
Nonant. 483; Novaliciense 208;
paschale 64; patr. Grad. 485;
Pithoeanum 90; Sagorn. 485;
Saleni. 341. 484— 485; S. Petri
vivi 470: S. Victoris 225; Ul-
ricianum 90: Ur.sperg. 2; Ve-
dast. 222. 323. 328; Venetum
485; Vulturn. 341.
Chunibert, Lehrer in Salzburg 453.
455.
Chur 70.
Churrer, Caspar 7.
Cicero 302. 403. 452. 462. 475; vgl.
Invectivae.
Civate 181.
Cividale 408.
Clarius, Mönch in Sens 470.
Classe, Kloster 489.
Claudius v. Turin 171. 172. 224. 227.
Clausula de Pippino 142.
Clemens Scottus 172; alius 227. 253.
324.
Cluny 472—474. 488.
Codex Carolinus 36. 210. 316; Eg-
berti 408: Einsidl. 280; Einsidl.
Vitae Carol. 226: Udalrici 36;
Urbinas 113.
Codex epistolaris Fuld. 256. 266.
— — Froumundi 453.
— — Lauresham. 419.
— — Moguntinus 265.
Coleti 13.
Columba, Stifter v. Jona 107 f. 130.
Columban, Stifter v. Bobbio 130
bis 133.
Comagena 50.
Compilatio Fuldensis 262. 263. 376.
412.
Computus Helperici 332. 333.
Conquestio dom. Chludovici 232.
Conrad L, König 272. 306.
— (934—976) B. v. Konstanz 440.
— V. Hirschau 96.
— V. St. Avold 417.
— B. Pilgrims Schreiber 456.
Conring 15.
Constantin, Abt v. St. Symphorian
417. 419.
Constantinus Porphyrogenitus 476.
— scholasticus 469.
Constantius, B. v. Albi 122.
— Luxoviensis 355. 447.
Constructio Farfensis 343.
Consuetudines S. Emiuerarami 451.
Consularia Constantinop. 64 ; Italica
61. 92.
Continuator Bedae 146.
-- Prosperi vgl. Prosper.
— Reginonis 263. 286. 410—412.
Contzen 38.
Conversio Carantanorum 291.
Corbic 127. 131. 299—301.
Cornelimünster 231.
Cornelius 34.
Corvey 166. 300-302. 305. 306. 355.
363. 364. 368. 394.
Cosmographia anon. Rav. 74.
Cozroh 287.
Crantz 166. 223.
Cuculus, Schüler Alcvins 176.
Cuono V. St. Avold 418.
Cuspinian 3. 5. 61.
Custos Tillensis 419.
Cyrillus v. Alexandria 64.
Cysoing 193.
D.
D'Achery 12.
Dado (880-923) B. v. Verdun 274.
322. 335.
Dahlmann 24. 37.
Dares Phiygius 142.
David, Chorbischof 334.
Dedicatio ecclesiae S. Petri Babens.
439.
— capellae Litbac. 446.
Dedimia, Aebtissin 102.
Deicolus, ir. Mönch 447.
De imp. pot. in Urbe Roma 348.
Desiderius v. Cahors 121.
Deuil 436.
Diarium Nepesinum 117.
Dicta abb. Priminii 154.
Dicuil 171.
Diekamp 84.
Dietrich v. Amorbach 360. 4U0. 468.
— V. Niem 367. 479.
— Mönch des Mathiasklosters in
Trier 409.
— Vgl. Theodericus.
Diomedes, lat. Grammatiker 169.
Dionysius Areopagita 226. 317.
— chronographus 143.
— Exiguus 64. 143.
Diptycha 71.
Diptychon S. Maximini 406.
Dodanae liber manualis 231.
Domus Carol. Genealogia 182. 229.
496
Reffister.
Donat, B. v. Fiesole 170. 215.
— lat. Grammatiker 73.
Dortmund 193.
Droctoveus, Abt v. St. Germ.-des-
Pres 123.
Drogo, B. V. Metz 266.
— von Bergues-St. Winoc 480.
Druthmar, Abt v. Corvey 302. 396.
— vgl. Christian v. Stablo.
Dubduin 270.
Du Chesne 13.
Dudo von St. Quentin 471. 472.
Duemge 20. 21.
Duemmler 26.
Dunchad Scottus 334.
Dungal 170. 175. 268. 292. 322.
Dunstan, Erzb. v. Canterburv 47.
425. 4.35. 467.
Dysibod 45.
E.
Ebbe, Erzb. v. Reims 229. 232. 276.
277. 326.
— B. V. Worms 898.
— Kustos 898.
Eberhard, Markgr. v.Friaul 193.819.
— elsäss. Graf 154.
Eberhart v. Gandersheim 373.
Eberwin 410.
Ebrachar (959—971) B. v. Lüttich
425. 426.
Eburnant v. Hornbach 418.
Ecbasis captivi 421.
Echternach 148. 296. 336. 355.
Eckhart 16. 17. 18.
Egbert (977—993) Erzb. v. Trier
408. 409.
— Erzb. V. York 186.
— Abt V. Hy 14S.
— Lütticher Lehrer 436. 437.
Eginhard u. Emma 194.
Egino (f 802) B. v. Verona 182.
416.
Eginold, Abt v. Gorze 413.
Egmond 315. 409.
Eichstätt 153. 290. 456.
EigiL Erzb. v. Sens 310. 311.
— Abt von Fulda 2.53. 254. 259.
Eika (Aldeneyk) 319.
Einhard 6. 8.' 36. 69. 143. 173. 194.
198—209. 220. 229. 241. 244.
247. 249. 253. 258. 261. 279.
280. .309. 427. 430. 482. 484;
Ann. 216—220. 307; vgl. Vita
Caroli.
Einsiedeln 280. 285. 450. 451.
Eirard, B. v. Lisieux 288.
Ekkehard v. Aura vgl. Frutolf.
— d. Rote, Domscholaster in Magde-
burg 386.
— I. in St. Gallen 442.
— 11. palatinus 352. 353. 354. 357.
386. 895.
— IV. 267. 270. 271. 274—275. 395.
440. 441—443. 449.
Eidrad, Abt v. Novalese 345.
Electus, Presbyter Scott. 318.
Elevatio S. Bertini 187.
Elias, B. von Angouleme 332.
— Abt v. Gr. St. Martin 403.
Elipand, Irrlehrer 188.
Eller (Helera) Kloster 135.
Ellwangen 243. 281. 451.
Elog'um Liberii r)apae 65; Wille-
gisi 396.
Elphegus (1006—1012) Erzb. von
Canterbury 435.
Embricho (864—899) B. v. Regens-
burg 288. 386.
Emnilde, Nichte d. Königin Mech-
thild 391.
Endlicher 34.
Engelmod, B. v. Soissons .302.
Engilmar, Abt 290.
Enhardus 247. 248. 249.
Ennodius .53. .54. 80. 97. 102.
Epinal, Kloster 417.
Epistola Adalb. Ultrai. 436: Ade-
lardi Blandin. 435 ; Adsonia 405 ;
Andreae abb. S. Pancr. 482:
Hulderichi Aug. 7; Luciferi 6;
de morte Maioli 474; de obitu
Odilonis 474; Othelboldi abb.
Gand. 433; Petri Candiani 486;
Victurii 152.
Epistolae Alati 290.
— Austrasicae 121.
Epitaphium Adalberonis IL 417;
Adalheidis imp. 474; Adventii
322; Aggiardi 208; Ambrosii
142: Ansäe reg. 180: Arichis
184; Arsenii 302; Bavonis 147.
433; Balderici 420: Bened. VIL
481; Bernaldi 277; Brun. Col.
401. 402; Chrodegangi 415;
Damasi papae 170; Deoderici
416; Ebracharii 111; Einhardi
202; Ekkehardi 395: Folcwini
424; Germani 100; Gerold! 277;
Gregorii V. 398: Hathuvigae
402: Heinrici com. 818; Helmen-
galdi 170; Hildeberti 816;
Register.
497
Hildegardae 182; Hucbaldi et
Milonis 336; Leonis 353: Lo-
tharii I. 237; Lud. II. imp.
236; Ludw. regis 242; Lulli
lf.3: Mich. Rat. 449; Nithardi
235; Ott. M. 386. 474; Pucifici
345: Petri ep. Verc. 481; Petii
abb. Mediol. 344: Pirniinii 154;
Ratheni424; Ratleici 244: Ka-
toldi 301; Ricfridi 420; Rud.
diac.404; Rutlandi 208; Sende-
baldi 415; Stephani 353: Wa-
lahfridi 280: Waren trudis 243;
Wolfradi 402.
Erchanaold, Erzb. v. Mainz 436.
Erchanbald (882—912) B. v. Eich-
stätt 290.
— (1014—1020) Erzb. v. Mainz
395.
— (965—991) B. V. Strassburg 442.
446. 447.
Erchanbold, Abt v. Fleury 462.
Erchanbcrti Breviarium 240; Cont.
272.
Erchembert. Abt v. Nieder-Altaich
455.
Erchempert von Montecassino 67.
341. 342. 485.
Erich. Herzog 168. 236.
Erlebold, Abt von Reichenau 276.
277. 278. 284. 285.
Erluin (995—1012) B. v. Cambrai
425.
— Abt V. Gembloux und Lobbes
429.
Ermenald, Abt v. Aniane 228.
Ermengarde 307.
Ermenrich v. Ellwaugen 174. 243.
258. 280—283. 289. 290. 360.
Ermentarius, Abt v. Noirmoutier
331.
Ermoldus Nigellus 228.
Eucherius, B. v. Lyon 47.
Eugenius, Erzb. v. Toledo 93.
— Vulgarius 339.
Eugippius 50—55. 109.
Eusebius 58. 59. 88.
Eustasius 132. 134. 135. 137.
Eutrop 57. 75. 87. 180.
Everger (985—999) Erzb. v. Köln
404.
Ewald, Paul 27. 37.
Exceptura ex gestis regum 480 bis
481.
Excerptum ex Chron. Orosii 63.
— de Gestis Rom. pontiff. 466.
Exordia Scythica 78.
F.
FabriciuK, .]. A. 18.
Farabert (947—953) H. v. Lüttich
435.
— Abt V. Prüm 311.
Fardulf, Abt v. St. Denis 222.
Farfa 343.
Fasti consulares, Idatiani 64; Rav.
61—63. 75. 89. 90. 112. 343;
Vindobon. 61.
Faustinus 172.
Faviana 51. 52. 53. 55.
Fecunda ratis 437.
Festus, röm. Grammatiker 184.
Feuchtwangen 44«. 452. 453.
Ficker, .Julius 34. 35.
Fiducia 191.
Fincke, .1. P. 18.
Fingen, Schottenabt 415.
Flacius lllyricus 6. 8.
Flavianus 179.
Flavigny 221. 811. 420.
Fleury 446. 462. 466—469.
Flodoard 214. 229. 326. 333. 407.
427. 457—460. 463.
Florbert, Abt v. Gent 147. 431.
433.
Florentius, B. v. Strassburg 135.
Flores temiiorum 2.
Florian, der heil. 44. 47. 48.
Florus, diac. Lugdun. 67. 232. 279.
309. 345.
— röm. Historiker 87. 239.
Folcard, Abt v. Blandigny 431.
Folcmar (965—969) Erzb. v. Köln
402. 404.
— B. V. Utrecht 382. 414.
— Abt V. Weissenburg 376.
Folcwin (817—855) B. v. Therouanne
427.
— Abt V. Lobbes u. St. Bertin 240.
424. 426. 427. 428.
Folmar vgl. Folcmar.
Fontes rerum Austriacarum 34.
Formulae 121. 164. 173. 176. 187;
Alsat. 273; Aug. 274. 277;
Salom. 273.
Fortiinatus vgl. Venantius Fortu-
natus.
Fragmentum Chesnianum 159. 162.
223.
— de Arnulfo duce 452: de Bonif.
VII. 481; de Lud. iun. 250; de
Pippino duce 144.
— ex libro aureo Eptern. 143; ex
membr. Floriac. 468.
Watt enbach, Geschichtsquellen. I. 7. Aufl.
32
498
Register.
Franco (854—901) B. v. Lüttich 318.
319.
Francorum regum historia 240.
Frankenchronik, Lorscher 228. 245.
263.
Frauenbildung 356. 357.
Frecht, Martin 8.
Frechulf, B. v. Lisieux 238—240-
258. 330.
Freckenhorst, Kloster 296.
Fredegar 114-118. 119. 120. 122.
132. 142. 143. 144. 182. 185.
211. 221. 222. 291. 328: Cont.
122. 141—143. 144. 214. 215.
220. 221. 222. 223. 241. 328.
Fredigardus v. St. Riquier 332.
Freher 18.
Freising 136. 138. 171. 287. 454.
Fridugis 187.
Friedrich (937—954) Erzb. v. Mainz
286. 395. 440.
— (954—990) Erzb. v. Salzb. 400.
453. 454.
— (bis 838) B. v. Utrecht 437.
— , Johannes 46. 47.
Fritzlar 154.
Frodebert, B. v. Tours 122.
Frothar (813—848) B. v. Toul 322.
Froumund 402. 452.
Frutolf 121. 349. 367. 368. 380. 466.
479.
Fulbert. B. v. Cambrai 434.
— V. Chartres 193. 463.
Fulco, B. V. Amiens 472.
— (882—900) Erzb. v. Reims 236.
326. 334. 335. 458.
Fulda 71. 166. 199. 202. 206. 238.
244. 248. 251—266. 267. 269.
397; Necrol. 203.
Fulrad, Abt 276.
Fundatio Blandin. 430; Corb. 301;
Gladb. 405; Heining 384; No-
nant. 482. Werthin. 296.
GalifiFe 38.
Gallus, der heilige 133. 134.
— B. V. Clermont 104.
Gallus Oehem 154. 275. 445.
Gandersheim 306. 369—373. 377.
Garamnus, Archidiak. v. Reims 460.
Garemann, Abt v. Hornbach 418.
Gatterer 19.
Gaudentius 388.
Gauderich, B. v. Velletri 338.
Gauzlin, Erzb. v. Bourges 468.
— B. V. Paris 330.
— (922—963) B. v. Toul 421.
— Abt V. St. Amand 335.
Gebhard (996—999) B. v. Augsb.
449.
Gebehard IL (980—995) B. v. Kon-
stanz 446.
Geddo, Lehrer in Magdeburg 386.
Gellius 104.
Gellone 66. 231.
Gembloux 428. 429.
Genealogia S. Arnulfi 183; Arnulfi
com. 436; Caroli maioris 183;
Carolorum Mettensis 183; du-
cum Brabantiae 183; regum
Francorum 183.
Gennadius 89. 95.
Gent 248. 430—433.
Geographus Bawarus 289.
Gerald, St. Galler Lehrer 442.
Gerberga, Königin 356. 422.
— Aebt. V. Gandersheim 357. 370.
Gerbert, Abt v. Corvev 306.
— (Silvester IL) 340. 353. 354. 385.
408. 416. 421. 422. 436. 437.
452. 460—463. 469. 487.
Gerbodo, Abt v. Lorsch 397.
Gerfrid (809—839) B. v. Münster
295.
Gerhard' (963—994) B. v. Toul 421.
422.
~ Abt V. Brogne 430. 434—436.
462.
— Abt V. Seeon 401. 454.
— Augsburger Priester 395. 448.
449.
Gerhous 403.
Gerlannus, Kanzler 481.
Germain 12.
Gero (969—976) Erzb. v. Köln 403.
404.
Gerold, Graf 272. 276.
— Kaplan 220.
Gesta Aldrici Cenom. 333; Apollonii
433; Berengarii 346. 347; Cae-
sarum 218; S. dementia 338;
Dagoberti 120. 121. 328; Fran-
corum 118—120. 121. 123. 125.
142. 144. 221. 240. 312. 365.
378; Heinrici IV. 5. 308; Od-
donis L 370; Remens. 328;
Theoderici 80. 116; Treviro-
rum 409. 410. 450: Witigowonis
445.
— Pontt. Rom. 65. 163. 337. 341.
483.
Register.
499
Gesta archiepp. Magd. 3ö7.
— epp. Autisiod. 333; Camerac.
328; Cenom. 334; Halb. 380.
392; Leod. 428; Mett. 182. 419;
Neap. 341. 342; Veidun. 321.
— abb. Ö. Bertini 187. 427; Fon-
tanell. 241; Lob. 42(5.
Giesebiecht 39.
Gildas 146.
Giraldus, Freund des Abbo v. Fleury
466.
Girard de Rossillon 329.
Gisiler (981—1004) Erzb. v. Magd.
386. 391.
Gladbach 404.
Glaiifeuil 331.
Glossao Salomonis 274.
Gnesen 387.
Gobeliniis Person 143. 251. 304.
Godefrid (9ö0— 961) B. v. Speier
399.
Godehard (1022—1038) B. v. Hild.
355. 385.
— Erzb. V. Salzburg 455.
Goderamnus, Abt in Hild. 383.
Godesscalk (994—1006) B. v. Freis.
454.
— can. Leod. 317.
— Ketzer 236. 259. 278. 826.
— Kalligraph 169.
Godobald, Abt v. St. Denis 317.
Gogo 122.
Goldmann, A. 39.
Gonter, Abt v. Brogne 435.
Gorze 161. 405. 413-415. 460.
Gozbald (841—855) B. v. Würzburg
243. 281. 282. 289.
Gozbert, Abt v. Hersfeld 376.
— Abt V. St. Gallen 134. 268.
— dessen Neffe 268. 269. 282.
Gozpert, Abt v. Tegernsee 452.
Grand val, Granfelden 134. 270. 333.
Graphia aureae ux'bis Romae 483.
Grautotf 33.
Gregorius I. papa 69. 147. 169. 183.
185. 417.
— V. 398.
— Turon. 5. 63. 100- 103-114. 115.
116. 118. 119. 120. 128. 138.
142. 185. 328; bist. epit. 115.
— V. Utrecht 293. 294.
— V. Farfa 479.
Gretser 10.
Griechen 358.
Grifo 143.
Grimald, Abt v. St. Gallen 243. 266.
267. 269. 275. 278. 279. 281. 282.
j Grimm, Gebr. 19.
I Gruber 16.
i Gudinus 355.
Guido l'isanus 74.
Guimann von St. Vaast 328.
Gumpold, B. V. Mantua 354. 375.
487.
Gundeland, Abt v. Lorsch 161.
Gundlach 27. 39. 40.
Gundohin 117.
Gundram, k. Kaplan 281.
Gunthar (849—863) Erzb. v. Köln
262. 316.
- (1024—1025) Erzb. v. Salzb. 425.
453.
Gunzo V. Novara 351. 352.
H.
Haeusser, L. 38.
Hahn, S. Fr. 16.
Haimin von St. Vaast 327—328.
Haimo (840—853) B. v. Halberstadt
258. 308. 379.
— (991—1024) B. V. Verdun 420.
425.
— von Auxerre 332.
Haistulf (813—825) Erzb. v. Mainz
264.
Haito V. Reichenau 222.
Halberstadt 379. 380.
Haldulf, B. V. Cambrai 161.
Hamberger 18.
Hamburg 175. 297.
Hardolf, Abt 418.
Hariulf 192. 193. 194. 281. 331. 332.
Hartgar (840—854) B. v. Lüttich
319.
Hartmann, Abt v. St. Gallen 441.
— Mönch in St. Gallen 269. 272.
443.
— L. 27.
, — Seh edel 2.
, Hartmut, Abt v. St. Gallen 258. 267.
I 270.
Hartwich, Abt v. Tegernsee 406.
Haslach 135.
I Hathumod 306. 373.
I Hathuwig, Herzogin von Schwaben
356.
— Aebtissin v. Essen (f 947) 402.
Hatto (891—913) Erzb. v. Mainz
266. 273. 312. 335. 368.
— L, Abt V. Fulda 253. 257. 259.
— III., Abt V. Fulda 467.
— mjser 418.
500
Register.
Hatto \'. Vieh 460.
Hauto, Abt V. Stablo 421.
Hazecha v. Quedlinburg 357. 373.
399.
Heda, Wilhelm 487.
Hedwig vgl. Huthuwig.
Heeren 22.
Heerwagen 7.
Hegel, Karl 34.
Hegilwich, Aebtissin 330.
Heidenheim 1.53. 154.
Heinrich iL, Kaiser 355. 362. 389.
401. 450. 451.
— Herzog V. Oesterreich 55.
— (973—982) B. v. Augsburg 448.
— (956—964) Erzl). v. Trier 408.
450.
— (995—1018) B. V. Würzburg 380.
395. 400.
— V. Gent 95.
— V. Herford 303. 304. 373. 479.
Heirich v. Auxerre 258. 308. 324.
332—333. 334. 417. 473.
Heito (806—823) B. v. Basel 275.
276. 278.
Helisachar 238.
Helmold 7.
Helpericus 332. 33:^.
Hen sehen, Gottfr. 11.
Herford 303. 304. 373.
Heribert (999—1021) Erzb. v. Köln
362. 398. 404. 405.
Heriger (913—926) B. v. Mainz 362.
— Abt V. Lobbes 428. 432. 436.
Herivaeus, Erzb. v. Reims 266. 427.
— Schatzmeister v. St. Martin 467.
Hermann (890—927) Erzb. v. Köln
423.
— (1018—1026) B. V. Toul 423.
425.
— V. Altaich 453.
— V. Reichenau 7. 62. 75. 165. 276.
286. 411; Martyrol. 67.
— V. Tournai 328.
— Wormser Kler. 399.
Hermold, Abt 228.
Hersfeld 165. 263. 264. 376. 397.
Herveus vgl. Herivaeus.
Herward, Notar 396.
Hethis im Solling 300.
Hetti (814—847) Erzb. v. Trier 243.
309.
Hezelo (1018—1026) B. v. Toul 425.
Hibernicus exul 171.
Hieronymi Chron. 7. 5S. 59. 60. 62.
75. 83. 87. 88. 89. 90. 91. 92.
95. 115. 122. 142. 144.221.328;
Martyrol. 6ß; de viris ill. 95.
132. 239.
Hilariacum (St. Avold) 161.
Hilarianus de cursu temporum 142.
Hilarius, Papst 64.
Hildebald. Erzb. v. Köln 215. 315.
321.
— B. V. Soissons 332.
Hildebold, Lehrer 334. 421.
Hildebrandslied 261.
Hildegar, B. v. Meaux 12.".
Hildegrim (853—888) B. v. Halb.
296.
Hildemar v. Civate 344.
Hilderich, Abt v. Prüm 407.
Hildesheim 381—385.
Hildeward (968—996) B. v. Halb.
379.
Hildoard (um 800) B. v. Cambrai 322.
Hilduin (842—849) Erzb. v. Köln 316.
— Abt V. St. Denis 143. 215. 226.
278. 279. 301.
Hildulf 135.
Hilmerad, B. v. Cambrai 300.
Hincmar, B. v. Laon 326.
— Erzb. V. Reims 108. 213. 214.
227—228. 243. 256. 324. 325 bis
326. 458. 459. 463; de ord. pal.
302: de villa Novill. 214. 326.
— Abt v. St. Remi 462. 466.
Hinschius 24.
Hippolytus Portuensis 60. 114.
Histoire literaire de la France 38.
Historia abb. Agaun. 113; Daretis
Frigii 116. 122; Francorum
Aimoini 469 ; Francorum regum
240; Francorum Senon. 470:
Friderioi L 2; Langob. cod.
Goth. 17S; Lombardica 68;
miscella 180. -355. 467; rela-
tionis S. Richarii 193; Remensis
458. 459.463; Sanguinis Domini
444: tripartita 78. 300. 338.
4.52. 4.55; S. Walarici 4.35;
Wambae regis 92.
Historiae Francorum Steinveld. 183.
Hitto (810—835) B. v. Freising 287.
Hofschule 173. 243. 258. 320. 323.
324. 334. 358. 423.
Höhlbaum 35.
Holder-Egger 26. 31.
Homerus latinus 282. 346. 452.
Homiliarium Caroli Magni 182.
Honorii Imago mundi 2.
Honorius de SS. eccl. 95.
Horaz 189. 304. 357. 423. 452. 475.
Register.
501
Hornbach 154. 418.
Hrabanus Maurus 67. 201. 202. 232.
238. 239. 243. 249. 253. 255. 256
bis 261. 264. 265. 266. 267. 278.
281. 288. 289. 308. 311. 403.
437. 473.
Hrotrohc 138.
Hrotsvit 4. 360. 367. 369—372. 479.
Hubakl, vgl. Hucbald.
Huber, Alfons 35.
Hubert (708—727) B. v. Lüttich
318.
— Priester v. St. Vaast 328.
Hucbald v. St. Amand 149. 218. 296.
324. 332. 335—336. 420. 423.
— Lütticher Lehrer 425.
Hugo (945-947) B. v. Lüttich 406.
425.
— Erzb. V. Reims 462.
— (942—989) Erzb.v. Rouen 471.
— Abt V. Cluny 360.
— Abt V. Saint-Quentin 236.
— Archid. v. Tours 467.
— V. Flavigny 357. 466.
— V. Fleury 469. 470.
— V. Trimberg 96.
Humbert (832—841) B. v. Würz-
burg 289.
Hunibald 9.
Huoggi, Abt V. Fulda 262.
Husward vgl. Usuardus.
Hydatius 64. 91. 92. 115. 116.
I.
Ibrahim ibn Ja'qüb 369.
Idatius vgl. Hydatius.
Ido, Trauslatio S. Liborii XII.
Ildefons von Toledo 95.
lUatio S. Benedicti 468.
Immo, B. V. Arezzo 419. 438.
— Abt V. Gorze u. Prüm 380. 415.
445.
— Abt V. Münster 442.
— Abt V. St. Gallen 442.
— Abt V. Waulsort 415.
— imperator bei Widukind 366.
Importunus, B. v. Paris 122.
Inden vgl. Cornelimünster.
Indiculus Arnonis 176.
Ingramnus, B. v. Laon 218.
Institutio de diversitate officiorum
192.
Invectiva in Romam 339.
Invectivae Ciceronis in Sallustium
452.
Inventio S. Gisleni 435; Hunegundis
462; Maurini 404.
Irland 145. 148; vgl. Schotten-
mönche.
Irmingard, Kaiserin 259. 279.
— vgl. Ermingarde.
Irraintrud, Gem. Karls d. K. 279.
324.
Isidorus Hispalensis 55. 92. 93 — 95.
112. 113. 115. 120. 122. 123.
178. 221. 328. 347; cont. 113.
— Pacensis 92.
Isker, Abt v. Murbach 287.
Iso von St. Gallen 270. 274.
Israel, irl. Bischof 358.
Italia Sacra 13.
Iterius, Abt v. St. Martin 188.
Ivrea 481.
J.
Jacobus Januensis 68.
Jaife 25. 36. 37.
Janssen 34.
.leremias Orestes 488.
Johannes, Herzog v. Neapel 342.
— papa VIII. 338.
IX. 291.
XVI. vgl. Joh. Philagathos.
— B. V. Arezzo 482.
— Canaparius, Abt 388. 488. 489.
— Abt V. Gorze 413—415. 421. 478.
— Abt V. Montecassino 340.
— Abt V. St. Arnulf 413. 414.
— Abt V. St. Maximin 442.
— diac. Neap. 340. 341.
— diac. Rom. 147. 338.
— diac. Ven. 485.
— Biclariensis 91.
— Calaber vgl. Joh. Philagathos.
— von Cluny 473.
— Fuldensis 253. 360.
— Longus 435.
— Philagathos 354. 488.
— Scottus 323—324.
— v. St. Vincenz 341.
— V. Thielrode 434.
— Trithemius vgl. Trithemius.
Jonas, B. v. Orleans 318. 324.
— V. Susa 107. 108. 127. 130. 132.
133. 179.
Jordanis 2. 5. 7. 62. 72. 74. 75. 76.
78. 80—87. 112. 118. 239. 328.
365.
Jordanus 177.
Jornandes vgl. Jordanis.
502
Register.
Joseph Anglicus 171.
— Lehrer Ludw. d. Stammlers 330.
Josephus, Bellum Jud. 83. 466.
Jotsaldus von Cluny 474.
Joviacum 58.
Judio, Schüler Hucbalds 420.
Judith, Kaiserin 227. 239. 324.
Julian, B. v. Toledo 92.
Julius Africanus 58.
Jumieges 194. 252.
Jung, J. H. 16.
Justinus 78. 83. 88. 314.
Justus, Abt 172.
Juvavum 43.
Juvenal 347. 403. 475.
K.
Kaddroe, Abt 415.
Kaisers werth 149.
Kalender 60.
Kaltenbrunner 37.
Karl vgl. Carolus.
Kehr, P. 37.
Knust 24.
Koblenz, Castorstift 71.
Köln 6 f. 43 ff. 315. 401—405. 420.
Köpke 25.
Kommissionen, historische 34.
Koner 34.
Konrad vgl. Conrad.
Konstanz 70. 184. 268. 446.
Kralo, Abt v. St. Gallen 453.
Krause, Jo. Chr. 19.
— Viktor 27.
Kremsmünster 171.
Krusch 27.
Kunigunde, Kaiserin 357.
L.
Lambach 48.
Lambert (bis 708) B. v. Mastricht
316. 317.
— von Blandigny 431.
— von Hersfeld 3. 7. 19. 153. 165.
263. 264. 376. 377.
Lammspring 307.
Lampert vgl. Lambert.
Landelin 135.
Landerich, B. v. Meaux 121.
Landulfus Sagax 180. 355.
Lang, Paul 3.
Langobarden 177 ff.; Herkunft 178.
Lantbert vor]. Lambert.
Lanto, B. v. Augsburg 283.
Laon 332.
Lappenberg 25. 33.
Laubach vgl. Lobbes.
Laudes S. Bonifatii 320.
Lauffen am Neckar 290.
Laurentius Casin. 487.
Lausanne 112. 162.
Laus Hispaniae 95.
Legenda aiirea 68.
Legenden 68.
Leibniz 14 — 17.
Leich von den beiden Heinrichen
362; vgl. Ludwigsieich.
Leidrad (799—813) B. v. Lyon 172.
Le Mans 333. 334.
Leno, Kloster 344.
Leo papa VII. 457.
VIIL 478.
IX. 423.
— V. Ostia 341. 365.
— B. V. Vercelli 395. 481. 482.
— Abt u. Legat 340. 462.
— Archipresbyter 342.
Leobgyth 154.' 260.
Leon 488.
Lerins, Kloster 90.
Liafwin 149. 295. 433.
Libellus de imp. pot. 348.
— de maior. domus 143. 183.
— supplex uion. Fuld. 253.
Liber aureus Prüm. 407 ; diurnus 482 ;
donationum Bremensiseccl. 297 ;
generationis 60- 115. 142; He-
remi 441; bist. Francorum 118
bis 120; manualisDodonae 231 ;
pontificalis H5. 163. 185. 221.
228. 337. 341. 412. 483. 484;
vitae eccl. Dunelm. 72; vitae
Einsidl. 441.
Libri Carolini 174. 188.
Lieder 41.
Lietald, Abt v. Mouzon 435. 462.
Ligiirinus 4. 5.
Lindisfarne 139. 165.
Lioba vgl. Leobgyth.
Lippach 446.
Liudfrit, Lehrer in Salzburg 400.
453.
Liudger (804—809) B. v. Münster
171. 293-295.
Liudolf vgl. Ludolf".
Liudprand o. 8. 353. 358. 871. 412.
416. 435. 454. 474—480.
Liudulf vgl. Ludolf.
Liuphram (836—859) Erzb. v. Salz-
burg 292.
Register.
503
Liutbeit (863—889) Erzb. v. Mainz
244. 250. 26r). 2(J6. 274.
— (849—871) B. V. Münster 295.
Liutbirg, Klausnerin 304. 356.
Liutbar von Reichenau (?) 355.
444.
Liuthard, Abt von Reichenau 444.
445.
— Probst 321.
Liutokl (989—996) B. v. Augsburg
448.
Liutolf vgl. Ludolf.
Liutward v. Vercelli 250. 273.
Livinus 147. 433.
Livius 88. 149. 219. 294. 365.
Lobbes (Laubach) 145. 320. 424.
426. 433.
Loewenfeld 37.
Lorch 48. 53. 55. 56. 455.
Lorenz, Ottokar 39.
Lorsch 161. 213. 223. 397; Nekro-
log 203. .397; vgl. Franken-
chronik.
Lothar, Kaiser 259. 262. 279.
Lothringen 401 ff.
Lucan 197. 403. 417. 485.
Lucrez 278. 282. 287.
Luder, P. 2.
Ludolf, Graf 306.
— (994-1008) B. v. Trier 418.
— Abt V. Corvey 303.
— Mainzer Priester 265.
— , Notar Liutolf A 410.
— , Hiob 15. 16.
Ludwig der Fromme 226-232. 278.
324.
— der Deutsclie 242—245. 292.
Ludwigsieich 237. 335.
Lüttich 145. 292. 311. 316—319. 420.
423—428. 434. 450. 454.
Lukianos 476.
Lul, Lullus (754—786) Erzb. von
Mainz 151—153. 252. 262. 263.
265.
Lupicinus 114.
Lupoid V. Bebenburg 6.
Lupus, B. V. Chälons 259.
— B. V. Troyes 187.
— V. Ferrieres 154. 202. 206. 227.
244. 257—258. 264. 309. 310.
324. 330. 332.
Lutra, Lure 134. 447.
Luxemburg 408.
Luxeuil 66. 116. 130—132. 134. 354.
421.
Lyon 6. 47. 172. 447.
M.
Maassen 26.
Mal)illon 12. 28.
Macrobius 73.
Madalwin 55. 290.
Mader 5.
Magdeburg 6. 8. 367. 385—390.
Magno, Erzb. v. Sens 173.
Magnus v. Reichersberg 479.
Mago (t 831) Priester 260.
Mahtbild, Königin 35G. 373. 375.
— Aebt. V. Herford 373.
— Aebt. V. Quedlinb. 364. 375.
Mailand 92. 179. 344.
Mainz 6. 151 — 152. 248. 250. 264
bis 266. 395. 441.
Majolus, Abt v. Cluny 259. 360. 473.
Malmedy 317. 320. 321.
Manlius 4.
Manno, Probst 320. 324. 423.
Mansi 9. 13.
Marcellinus comes 62. 82. 83. 86.
Marchelm (Marcellinus) 149.
Marcnlf 121.
Marcus, B. v. Soissons 333.
Marcward, Abt v. Prüm 309. 310.
Marianus Scottus 75. 244. 263. 286.
356. 376.
Marius Aventicensis 62. 91. 92. 112
bis 113. 119.
Markomir 74.
Marraoutier 330.
Martianus Capella 73. 104. 272.332.
352.
Martin v. Troppau 30. 484.
Martinus Bracarensis 92.
— Gallus 388.
— Turonensis 69. 102. 105. 107.
Martyrium S. Proctipii 342. 485.
Martyrologien 46. 48. 61. 66—69.
Martyrologium Augiense 67. 275.
— Frising. 455.
— Gellonense 66.
— Romanum 15.
Masmünster, Abtei 169.
Massai in Berry 329.
Matthaeus Palmerius 90.
Matthias Palmerius 90.
Mauriner 12. 13. 14. 18.
Maximian (546 — 556) B. v. Ravenna
62. 343.
Maximilian, Kaiser 3. 4.
Maximus von Zaragoza 95.
Mediolani Descriptio 179.
Megenfrid v. Fulda 9. 238.
Megilo, Abt v. Tegernsee 288.
504
Register.
Megingaud, Abt v. St. Martin in
Trier 410.
Megingoz (791—794) B. v. Würzb.
151.
— Abt V. Hersfeld 377.
Meginhard von Fulda 249. 250- 262.
266. 316.
Meginrat, der heilige 285.
Meingold 193. 321.
Mela, Pomponius 83.
Melanchthou 7.
Melk 14.
Mencke 18.
Mensuratio orbis 1G9. 171.
Merkel, Job. 24.
Merseburg 390. 391.
Meseritz 388. 389.
Metz 116. 161. 182. 222. 322. 412
bis 419. 4.54.
Michael (944—972) B. v. Regens-
burg 449.
Michaelstein 304.
Michelsberg 401. 466.
Michelstadt i. Odenwald 201. 202.
Mico V. St. Riquier 196. 234. 235.
331—332.
Micy, Kloster 469.
Milo (969—996) B. v. Minden 380.
381
— von St. Amand 128. 324. 327.
335.
Mirabilia Romae 61.
Miracula sanctae Adalheidis 474;
Bertae 330; Giodesindis 414;
Verenae 444; Waldburgae Hei-
denh. 154. 290; Waldburgae
Tiel. 438.
— sancti Adalberti 389.489 ; Adelphi
286; Agrippini 342; Angilberti
193; Apri 422.
— Basoli 422; Bavonis 431; Bene-
dicti 331. 468. 469; Bercharii
422; Bernwardi 384; Bertini
331; Columbani 481; Ermini
428; Eugenii436; Filiberti 331.
— Galli 267. 269: Genesii 283;
Germani 330. 333. 474; Goaris
310; Gorgonii 414. 415.
— Mansueti 422; Marei 284. 444;
Martialis 331 ; Mauri 331 ; Maxi-
mini 406; Nazarii 397.
— Othmari 267. 270; Pantaleonis
404;Pirminii418; Quintini 331;
Remacli .320; Richarii 193;
Ursmari 428.
— Vedasti 327.
— Waideberti 422; Wandregisili
241 ; Wigberti 377. 397 ; Wille-
hadi 297.
Miracula Sanctorum Fuld. 260.
Modena 237.
Modestus 253. 256. 279.
Modoin, B. v. Autun 174. 279.
Modus Ottinc 362.
Moengal (Marcellus) 270.
Mohl 26.
Molinier X. 40.
Mombritius 10.
Momrasen 26.
Mönch v. Kirschgarten 247.
Monachus Sangallensis 170.207.208.
240. 272.
— Ultraiectinus S. Pauli 419.
Mondsee 171.
Mone 33.
Monod, G. 37.
Montecassino 67. 171. 181. 182. 252.
.300. 339. 340. 341. 467.
Montglonne, Kloster 236.
Montierender 421.
Monumenta Germaniae 18 — 32.
Moriuth 471.
Mouzon 462.
Moyenmoutier 388.
Mühlbacher 26. 35.
Mühlheim a. M. (Seligenstadt) 202.
Müller, Joh. 19.
Münster im Gregorientale 376.
— in Westfalen 166. 295. 305.
Muratori 13.
Murbach 154. 164. 285. 286.
Narratio clericorum Rem. 326.
Naso 174. 200. 228. 282.
^^eapel 339. 341.
Nekrologien XI. 69. 70.
Nennius 146. 328.
Neuweiler bei Zabern 286.
Nibelung 142.
Nibelungen, lat. 456.
Nicolaus v. Siegen 96.
Nidbruck, K. v. 8.
Nieder-Altaich 171. 243. 289. 458.
455.
Niedermünster, Regensb. 452.
Nienburg 387.
Nithard 194. 230. 233—235.
Nivelle 145.
Noirraoutier 300.
Nonius Marcellus 423.
Nonantula 482—483.
Register.
bOl
Nonsberger Märtyrer 48.
Norbert, Abt v. St. Gallen 443.
Nordhausen 378. 374.
Nordhorn, Kloster 298.
Nota de unct. Pippini 142.
Notae Bronienses 43G; iuris 173;
S. Maximini 406; Senonenses
470; S. Vict. Xant. 315.
Notitia de servitio nionasteriorum
'225.
Notker (972-1008) B. v. Lüttich
420. 423. 425-428. 430. 432.
436. 446. 454.
— Balbulus 54. 67. 207. 240. 269.
270. 272—274. 322. 360. 376.
444. 446. 449. 474.
— Labeo oder Teutonicus 441. 442.
— Pfefferkorn 354.
Novalet^e 193. 345.
Novara 71.
Nuenar, Graf 6. 9.
0.
Obermünster, Regensb. 452.
Ochsenhausen 3^8.
Odbertt992— 1004) B. v. Verona 450.
— Abt V. St. ßertin 427.
— von Lorsch 397.
— von Utrecht 437-
Odelrich, B. v. Cremona 479.
— (961-969) Krzb. v. Reims 460.
Odilo, Herzog 171.
— Abt V. Cluny 472. 474.
— von St. Medard 218. 336.
Odo, Abt V. Cluny 105. 334. 357.
360. 421. 473.
— Abt V. Ferrieres 187. 258.
— Abt V. Glanfeuil 331.
— Abt V. Moutier-la-Celle 421.
— Architekt 201.
Odorannus von Sens 470.
Odulf, Custos V. St. Riquier 332.
Oehem vgl. Gallus.
Ohtrich, Otricus, Majid. Lehrer 310.
316. SM. 385. 387. 487.
Olbert, Abt v. Gembloux 398.
Ootbert vgl. Odbert.
Ordericus Vitalis 470.
Origo et exordium gentis Francorum
183.
— gentis Langob. 178. 185.
— Suevorum 3G9.
Orleans 468.
Orosius 76. 78. 82. 83. 87—88. 89.
94. 107. 144. 221. 328.
Ortwinus Gratius 7.
Ostertafeln 64. 1-55.
Ostgoten 72 ff.
Otbert vgl. Odbert.
Otfrid 242. 244. 258. 288.
Otgar (825-847) Erzb. v. Mainz
257. 259. 2ti4-265.
— Gründer v. Tegernsee 288.
Otger, Paladin Karls 193.
Othelbold, Abt 433.
Othgive 433.
Othloh 153. 397. 450.
Otricus vgl. Ohtrich.
Ottenthai 35.
Otto l. 351— 3.'-)4; H. 353. 3-54. 370.
408. 411. 460; III. 3.54. 370.
382. 416. 460. 488.
— Frisingensis 2. 5. 8. 30. 55. 88.
213.
— V. Lonsdorf, B. v. Passau 456.
Otwin (954—984) B. v. Hild. 381.
406.
— Abt V. Gent 432.
Ovid 132. 197. 228. 361. 475; de
vetula 6.
Oylbold, Abt 466.
P.
Pabst, H. 25.
Pacificus, aichidiaconus 345.
Paderborn 304.
Pagi 9.
Palacky 34.
Palatini pueri 174.
Palmerius vgl. Matthaeus und Mat-
thias.
Panegyricus Berengarii 346.
Papebroch 11.
Paris 5. 6. 119. 329.
Parma 483.
Paschasius Diac. 54.
— Radbertus 301—302. 324.
Passau 48. 51. 55. 56. 290. 453. 455
Passio Adalberti Prag. 194. 388. 392
Afrae 47; Bonifatü 153. 397
Christophori 399; Desiderii 125
Dionysii 121. 143. 226; Florian
47. 48; Friderici Trai. 437
Gorgünii380; Trenaei 48; Petr;
et Pauli 198; Quatuor Coronat
48.; Quirini 288; Sigismundi
114; Thebaeorum 45.47; Trud-
perti 137; ündecira milium virg.
45. 47; Victori-s et Ursi 114:
Wenceslai 488.
506
Register.
Patricius, der heilige 188.
Paulinus (787—802) Patr. v. Aquil.
168. 191. 230.
Paullini 15.
Paulus (849—855) Erzb. v. Rouen
330.
— Diaconus 55. 57. 65. 91. 147.
169. 177—186. 314. 341. 451;
Coli, horail. 182. 451; Gesta
epp. Mett. 182: Hist. Lang. 5.
184—186. 343. 344. 365. 485.
486; Cont. Casin. 184. 341;
Cont. Rom. 184. 223. 337; Epi-
toraae 184; Hist. Rom. 57. 180.
Pavia 92. 175.
Pelagius L. Papst 85.
Persius 403. 407. 423. 452.
Pertz, G. H. 21—25. 29. 32. 34.
— K. 27.
Petershausen 446.
Petit, G. 5.
Petronius 332. 333.
Petrus Damiani 135. 208. 489.
— (t 997) B. V. Vercelli 481.
— (858—899) Abt des Ambrosius-
klosters in Mailand 344.
— Archidiac. v. Cambrai 336.
— Diac. V. Montecassino 95.
— Subdiac. v. Neapel 341. 342.
— Pisanus 168. 169. 182. 191.
— de Vinea 7.
Peutinger 4. 5. 8.
Pez, B. n. H. 14.
Pfävers, Verbrüderungsbuch 71.
Piligrira (971—991) ß. v. Passau
56. 400. 450. 455. 456.
Pippin 141 ff.
Pirmin 154. 418.
Pistorius 18.
Planctus Caroli 236.
Plautus 454.
Poeta Saxo 219. 222. 226. 307 bis
308.
Poitiers 101. 136.
Pontificale Romanum 65.
Poppo (1016—1047) Erzb. v. Trier
450.
— (941—961) B. V. Würzb. 352. 450.
— Abt V. Stablo 442. 443.
— Hof kaplan 361.
Porphyrius 49-
Potthast X. 11. 18. 32. 37.
Poussay, Abtei 408.
Prag 487.
Pragmatius, Presb. 114.
Pregitzer 15.
Presbyter Ultraiect. 153. 321.
Priapea 475.
Primordia Gandeshem. 372.
Priscian 73. 282. 403. 452.
Priscus 74.
Probus, Ire 253.
Prologus legis Salicae 100. 119. 122.
Prosper 7. 10. 61. 62. 63. 75. 88 bis
91. 92. 112. 143. 179. 189;
Cont. Havn. 62. 92. 179. 185.
Prudentius, christl. Dichter 276. 277.
328. 360. 371. 403. 417. 457.
— (t 861) B. V. Troyes 213. 214.
227. 235. 279. 298. 324—325.
371.
Prüm 309. 407. 446.
Purchard vgl. Burchard.
Quedlinburg 357. 375—380. 391.
Quellen zur schweizerischen Gesch.
34.
Querela de divisione imp. 232.
Querimonia Romanorum 337.
Querolus 475. 479.
R.
Radbertus Paschasius 301—302. 324.
— vgl. Ratpert.
Radbod vgl. Ratbod.
Radegunde 101.
Radla 388.
Rado cancellarius 190.
Radulfus, Erzb. v. Reims 194.
— de Diceto 96.
— Tortarius 469.
Ragewin 479.
Raginar, Graf 429. 435.
Raiiiogala, Domherr v. Auxerre 333.
Ramwold , Abt von St. Emmeram
406. 451.
Ranke, L. 32. 33.
Ratbod (883—915) Erzb. v. Trier
309. 812.
— (899-907) B. V. Utrecht 316.
.320. 821. 322.
Ratgar, Abt v. Fulda 253. 256. 258.
Ratheiius, B. v. Verona u. Lüttich
236. 353. 358. 407. 416. 424
bis 425. 452.
Ratleik 202. 203. 244.
Ratolf, B. V. Verona 284.
Ratpert, Mönch in St. Gallen 267.
268. 271. 272. 273.
Register.
i07
Ratram, Abt in St. Avold 417.
— Mönch in Corbie 301. 324.
Raumer, Fr. von 32.
Ravenna 61. G2. G3. 93. 342.
Raynaldus 9.
Reccheo 25().
Recemund, B. v. Elvira 358. 476.
Regensburg 95. 1:56. 288. 2S9. 449
bis 453.
Regimar, Priester 242.
Reginbald, Bibl. v. St. Emm. 453.
Reginbert (834-835) B. v. Hildesh.
308.
— Probst V. Werden 296.
— Bibl. in Reichenau 275. 283. 286.
Regino v. Prüm 6. 142. 143. 222.
226. 266. 286. 309. 311—314.
315. 437; Contin. 263. 286. 410
bis 412.
Reginold (966—989) B. v. Eichstätt
456.
Registrum Farfense343; Gregorii I.
408; lohannis VIII. 338.
Regula S. Benedicti 173. 181.
— Canonicorum 161.
Regum Merov. geneal. et cat. 183.
Reichenau 71. 154. 164. 171. 182.
222. 243. 267. 275—286. 352.
403. 408. 439—446. 450; Ver-
brüderungsbuch 154.
Reichsannalen 157—158. 210 ff.
221 ff. 227 ff. 230. 245. 247.
249. 312. 315. 440.
Reims 227. 326. 336. 457—466. 467.
Reinhard, B. v. Halberstadt 380.
Relatio S. Richarii 193.
— S. Vedasti 327.
— S. Walarici 435.
Remigius v. Auxerre 332. 334. 335.
421.
— V. Reims 121.
Remiremont 71. 134.
Remling 46.
Renatus Profuturus Frigeridus 106.
Restauratio mon. S. Petri 454.
Rettberg 45—47. 48. 49. 56.
Revelatio Steph. papae 142.
Rheinau 285.
Rhythmische Gedichte 122 f. 236.
237.
Ricburg, Aebtissin 373.
Richard, Abt v. Fulda 396. 468.
Richarius (922—945) B. v. Lüttich
311. 314.
— Mönch V. Gembloux 430.
Richbod (795—804) £rzb. v. Trier
308.
Richbod, Abt v. St. Riquier 235.
Richer 326. 327. 459. 460. 462 ff.
Richthofen 24.
Riculf (786—81.3) Erzb.v. Mainz 191.
215. 264.
Rigoliot 12.
Rihkarius 455.
Rikkardis, Aebtissin v. Gandersheim
370.
Rimbert (865—888) Erzb. v. Hamb.
297. 298. 299. 305.
Rinaudo, C. 40.
Robert vgl. Rodbert.
Rochus V. Ilsenburg 379.
Rodbert (883—897) B. v. Metz 322.
423.
— (989—1037) Erzbischof V. Rouen
471.
— (930—956) Erzb. v. Trier 407.
457. 458.
— (1056—1063) Abt v. Prüm 407.
— Mönch V. Mettlach 409.
— Mönch V. Reichenau 408. 445.
— Laie 466.
— Vgl. Rupert.
Rodenberg 27.
Rodoin, Probst 218.
Rodrad, Abt in Corbie 300.
Rösler 19.
Rom 280. 338. 483. 488.
Romanus 114.
Romarich 145.
Rorico 121.
Rosweyd, Heribert van 10.
Rotbert vgl. Rodbert.
Rotenhan, Sebastian von 6.
Rotein 72.
Roterius 114.
Rotger (917—930) Erzb. v. Trier 407.
457.
— V. Köln 358. 401—402.403. 427.
466.
— Lehrer Salomos III. 273.
Rouen 119. 127.
Rudhelm, Abt v. Reichenau 275.
Rudolf, Abt V. St. Bertin 335.
— Laienabt v. St. Riquier 195.
— v. Fulda 154. 248—251. 258. 260.
261. 281.
Rudpert vgl. Rodbert.
Rüxner 9.
Rufinus 58. 82. 90. 308.
Ruinart 12.
Rumold, Lehrer 455.
Ruodlieb 362. 453.
Ruotger vgl. Rotger.
Ruotpert vgl. Rodbert.
508
Register,
Rupert V. Salzbursf 135. 136. 138.
Ruthartl (979-995) B. v. Cambrai
425.
s.
Saint-Amand 158. 159.172. 175. 835.
83ö. 433.
— Avold (Hilariacum) 161. 417.
— Basle 459. 462.
— Bavon 201. 430—433.
— Benoit-sur-Loire 165. 466—468.
— Bertin 187. 335. 402. 427. 435.
— Claude 114. 324.
— Cloud 201.
— Denis 118. 119. 121. 123. 142.
222. 223. 330. 434. 435. 451.
— Evre 421—423.
— Faron 193.
— Florentde-Vieil 236-
— Germain-des-Pres 12. 121. 123.
165. 330. 469—470.
— Ghislain 434. 435.
— Hubert 318.
— Julien 232.
— Marcel 115.
— Martial 331.
— Martin de Tours 161. 187 fF. 330.
467.
— Maur-des-Fosses 331.
— Maurice 113. 142.
— Medard 209. 218. 232.
— Mesmin-de Micy 469.
— Mihiel 227. 421.
— Omer 323. 433.
— Pierre au Mont Blandin 201.
— Remi 435. 462. 466.
— Riquier 192. 238—236. 831.
— Servais 201.
— Thierry 462.
— Vaast 327.
— Vannes 420.
— Wandrille 201. 241.
Sallust 104. 257. 865. 403. 464. 487.
Salonio 1. (839— 871) B. v. Konst. 258.
— III. (890—920) B. V. Konst. 273.
274. 441. 446.
Salvianus 52.
Salzburg 43. 55. 56. 70. 136. 166.
175. 176. 290—293. 899. 400.
453—455.
Samo 116. 291.
Samuel (Beornrad) Erzb. v. Sens 257.
— (841—856) B. V. Worms 257.
Sanct Arnulf, Metz 308. 413. 414.
— Blasien 70.
Sanct Corbinian 136.
— Emmeram 4. 47. 136. 288. 289.
451—453. 454.
— Florian 44.
— Gallen 23. 24. 62. 63. 71. 138.
134. 243. 267—274. 285. 352.
354. 856. 399. 439—443. 446.
453. Necrol. 440.
— Jacob in Lüttich 439.
— Kilian 138—189.
— Martin in Köln 160. 193. 404;
in Trier 409. 410.
— Maximin 310. 311. 358. 385. 405.
406. 410. 451.
— Michael, Hild. -383.
— Pantaleon 452.
- Paul i. ütrechter Sprengel 419.
— Peter, Salzburg 71. 135. 454.
— Symphorian, Metz 417. 418.
— Victor 151.
— Vincenz, Metz 415. 417.
Sancta Julia in Brescia 71.
Sandrad, Abt v. Gladbach 406.
Sant' Andrea 483—484.
Sarabert, Pfarrer 432.
Schedel vgl. Hartmann.
Scheffer-Boiehorst 25.
Scheidt 16.
Schienen, Kloster 284.
Schmauss 11.
Schorkel, Siegmund 7.
Schottenmönche 128—135.139. 140.
160. 170. 267. 270. 276. 285.
292. 818 f. 322. 332. 334. 344.
345. 358. 471.
Schwalm 27.
Scriptores bist. Aug. 319.
— rer. Ital. 13.
Pruss. 34.
Seckingen 135.
Secundus v. Trient 178. 186.
Sedulius, christl Dichter 100. 281.
334. 375. 453.
— Scottus 237. 240. 295. 316. 319.
822. 344. 345.
Seligenstadt 202. 248.
Seltz 474.
Semler 19.
Sendebald, Gr. v. Toul 415.
Seneca 339. 414.
Senlis 331.
Sens 203. 329. 470.
Sermo de vita Amalabergae 320.
— de S. Ferrutio 262.
— de inform. epp. 461.
— de tumulat. S. Quintini 331.
— de S. Servatio 320.
Register.
509
Sermo de adventu SS. Wandregesili,
Ansbert i et Vulfranni 431.
Servatus Lupus vgl. Lupu.s.
Servius, röm. Grammatiker 347. 423.
Seulf, Erzb. v. Keim.s 334.
Severin 48. 50—56. 84-J.
Severus Sulpicius vgl. Sulpicius.
Sicardus v. Cremona 62. 482.
Sichardus, Job. 7.
Sicfarius, Propst v. St. Remi 326.
Sickel 26.
Sidonius vgl. Apollinaris.
Sigebert V. Gembloux 5.25. 29. 91.
417. 429. 430. 479; de SS. eccl.
95. 209. 227. 31-5. 334. 437.
Sigebard, Möncb v. St. Maximin 406.
Sigeward 304.
Sigismund, B. v. Halberstadt 308.
Sigloard 236. 326. 335.
Sigulf, Abt v. Ferneres 187. 190.
Sindbert, Abt v. Murbach 164.
Sintleozesau 1.54.
Sirmond 10.
Sisebut, K. der Westgoten 93.
Smaragdus, Abt 213. 227.
— vgl. Ardo.
Sobius. Jacob 7.
Soest 404.
Solenbofen 281.
Sophia, Aebt. v. Gandersh. 372.
Soupher, Gervasius 5.
Speier 399. 400.
Staatskalender, röm. 60 fF.
Stabius 3. 5.
Stablo 311. 318. .820. 428. 443.
Städtechroniken 34.
Starehand (933—966) B. v. Eich-stätt
456.
Statius 346. 452.
Statuta Murbacensia 276.
Stefanus, Magister 179.
Stein, Freih. vom 19—22. 31.
Steindorft" 37.
Steinhöwel 2.
Stenzel 30. 32. 33.
Stepelin v. St. Trond 433.
Stephan (901-920) B. v.Lüttich 336.
423. 424. 434.
— Abt v. Prüm 407.
— Mönch v. St. Pantaleon 404.
— Magister 179.
— V. Novara 352. 353. 400.
Strassburg 5. 6. 228. 446. 447.
Streonshalch 147.
Struve, B. G. 18.
Stumpf-Brentano 35.
Sturm, Abt v. Fulda 252. 293.
Sualo (Solus) 154. 281.
Suestern 193.
Sueton 69. 93. 204. 205.
Suiacum 330.
Suitbert v. Kaiserswurth 149. 160.
Sulpicius, Alexander 106.
— Severu.s 63. 68. 91. 102. 103.
112. 373.
Sunderold (Sunzo, f 891) Erzb. v.
Mainz 266.
Suntheim, Ladislaus 3.
Surius, Laurentius. 10.
Sylloga cod. Sangall. 441.
Symeon, Mönch 344.
Symmachus 73. 83.
Syrus V. Cluny 473.
T.
Tabula Peutingeriana 4.
Tacitus 41. 261. 365. 428.
Tado. Erzb. v. Mailand 344.
Tagino (1004— 1012) Erzb.v.Magdeb.
387. 4.50.
Taio 343.
Tassard, Alardus 427. 435.
Tassilo, Herzog 171. 172. 215.
Tatto, Lehrer in Reichenau 275. 276.
277. 278.
Tegernsee 193. 288. 388. 452. 454.
Tengnagel 10.
Tentzel"l5.
Terenz 360. 370. 374. 403. 475.
Teuffei 38.
Thangmar 382—384.
Thegan 229 f. 276. 279. 309. 426.
437.
Theiner 9.
Theodard v. Mastricht 316.
Theodat, Genosse des Florentius 135.
Theoderich, K. d. Ostgoten 65. 73 ff.:
Gesta 80.
Theodericus I. (965—984) B. v. Metz
413. 414. 415. 416. 417.
— II. (1006—1047) B. v. Metz 417.
— vgl. Dietrich.
Theodofrid, Abt v. Corbie 123.
Theodorus 283.
Theodulf, B. v. Orl. 170. 171. 172.
191. 200. 228. 236. 282. 315. 324.
Theofrid v. Echternach 127. 149.
Theophanes 62. 338.
Theophano, Kaiserin 354. 356. 404.
Theotmar, Erzb. V.Salzburg 250.291.
Theudemar. Abt v. Montecassino
181. 184.
510
Register.
Theotroch, Diac. 397.
Thiadelm, Lehrer 385.
Thiatbrat, Bischof 294.
Thietgaud (847—863) Erzb. v. Trier
248. 309.
Thietmar (1009-1018) B. v. Merseb.
25. 236. 301. 380. 386. 387.
390—394. 438.
Thiofrid vgl. Theofrid,
Thomas, Lehrer 227. 324.
Thomaslegende 68.
Tibull 428.
Tiburnia 53.
Tiel an der Waal 438.
Timo, Pfalzgraf 288.
Tito, Abt V. St. Peter 454.
Toeppen 34.
Toul 322. 421. 454.
Tours 105. 187. 253. 257. 321.
Traditiones Corbeienses 302.
Translatio Adelphi 286; Agapiti et
Fei. 289—290; Albini 404;
Alexandri 261. 266; Alexandri
Fris. 287; Amalbergae 430;
Athanasii 342.
— Baltechildis 330. 331: ßavonis
432. 433; Benedieti 340; Be-
nigni et Agnetis 420; Bertae
330; Callisti Cisonium 193;
Castoris 229; Celsi 409; Chri-
santhi et Dariae 229. 310; Cor-
nelii 331; Cypriani 331; Dio-
nysii 451; Epiuhanii381 ; Euge-
nii Tolet. 436'; Evergisli 404.
— Felicis et Regulae 271; Firmini
420; Fortunatae 284; Germani
165. 330; Habundii 344; Her-
metis 291; Huberti 318; Hy-
merii 477.
— lanuarii 284; lusti 321; lustini
301; Landoaldi 428. 432; Li-
borii XII. 304; Livini et Brictii
433.
— Magni 283; Marcellini et Petri
208. 209. 246; Mauri 331;
Maurini 404; Mederici 330;
Metronis 424.
— Patrocli404; Pusinnae304; Qui-
rini Malm. 321; Radbodi 321;
Ragnoberti 239. 330; Reginae
311; Remigii 326.
— Sanguinis Domini X. 444 ; Sebasti-
ani 218. 232; Senesii et Theo-
pompi 482; Severi 264; Severini
342; Silvestri 482; Sosii 342;
Tiburtii, Marc, et P. 201. 209;
Viti 301. 365.
Traube 26.
Trier 42. 43. 52. 71. 308. 309. 405
bis 410. 450.
Trithemius 3. 9. 95. 96. 313. 320.
466. 479.
Trotmar vgl. Druthmar.
Turpin 208.
Tutilo 271.
Tuto (894-920) B. v. Regensburg
289.
u.
üdalgis, Lehrer in N.-Altaich 455.
üdalrich (924—973) B. v. Augsb. 7.
447—449. 453. 456.
Udalschalk (Augsb.) 286.
Uffing 303. 380.
Ughelli 12.
Ulmar v. St. Vaast 327.
Ulrich V. Hütten 6.
— vgl. Üdalrich.
Ursinus 126.
Ursula 45. 47. 403.
LTsuardus 67.
Uta, Aebtissin v. Niedermünster 452.
Utho, B. V. Strassburg 135.
Utrecht 148. 149. 293—295. 320. 419
bis 420. 436—438.
y.
Valerius Maximus 332.
Vegetius 239. 240. 319. 355. 466.
Venantius Fortunatus 47. 69. 100
bis 102. 104. 108. 121. 122. 125.
197. 208. 274. 307. 321. 421.
Venedig 485. 486.
Venerandus Altarip. 122.
Verbrüderungsbücher 71.
Verdun .321. 420.
Verona 345-347. 424.
Versus aevi Carol. 236; de Bobo-
leno 130; de hirundine 320; de
imag.Tetrici278; de Leone VIIL
478 ; marini 309 ; de epp. Mett.
182; de ord. comprov. 293; de
Ott. in. 481; de rota mundi
122; de Will. Norm. occ. 471.
Victor Cartenensis 91. 92.
— Sangallensis 447.
■ — Tunnunensis 91. 95.
— Vitensis 92.
Victurius 63. 64.
Vidrung (Wintrung) 150.
Register.
511
Vigilius, Papst 85. 86. 106.
Vildhaut 39.
Virgil 104. 174. 190. 197. 228. 230.
253. 304. 308. 346. 360. 403.
423. 475. 485.
— (767—784) B. v. Salzburg 136 bis
138. 292.
Virununi 43.
Visio domni Caroli 207. 208. 259.
266; Caroli III. 335; Flotildae
458; paup. mulierculae 231;
de poenis Fulradi 276; Haduini
232.458; Rotcharii 207: Wet-
tini 275. 276. 27.S.
Vita abb. Agaun. 113; Abbonis Flor.
467; Adalberonis Aug. 286:
Adalberonis II. Mett. 417; Adal-
berti diac. 409; Adalberti Prag.
388. 392. 488. 489; Adalhardi
301. 302; Adelphii 134; Agili
130; Alcvini 190; Amandi 128.
327. 335; Amati 134; Angil-
bertil93. 194; Aniani 107; An-
selmi Non. 4^2; Ansfridi 419;
Auiskarii 298 ; Antonii Lirinensis
53; Arbogastil35; Arnoldi208;
Arnulfi Mett. 126. 144. 185. 318;
Athanasii 342 ; Attalae 130. 132 ;
Audoeni 127.
— Baldericill. Leod. 439; Balthil-
dis 127; Basiiii 108; Baugulfi
254; Bened. Anian. 231: Bern-
wardi 384; Bertulfi Bob. 130.
132; Bertulfi Rentic.431; Boni-
i'atii 150—152. 223. 293. 336;
Brunoni.s Colon. 358. 392. 402.
427. 433; Burchardi Wirz. 150;
Burchardi Woim. 398; Bur-
gundofarae 130. 132.
— Cadroae 415; Caroli M. 202. 203
bis 207. 219. 222. 229. 307. 365.
378.482; Cassiani423; Chiliani
138; Chlodovaldi 125; Chrode-
gangi 414.415; Chrothildis 125;
Columbani 107. 116. 130—132.
134. 283; Corbiniani 136 bis
138. 172; Cuonradi ep. Const.
446.
— Dagoberti 111.127; Deicoli 134.
447; Deoderici Mett. 417; Desi-
derii Cadurc. 126; Desiderii
Vienn. 93; Donati 171; Droc-
tovei 123.
— Eigilis 254; Eldradi vgl. Heldra-
di; Eligiil26. 317; Emmerammi
1.36—138. 172; Epiphanii 80;
Erluini 430; Erminonis 145;
Eugendi 114; Eugenii II. papae
337; Eustasii 130. 132; Ewal-
dorum 149.
Vita Faronis 123: Findani 285; Flo
rentii 135; Florini 48; Folquini
Morin. 427; Fridolini 135; Fro
doberti 422.
— Galli 133. 134. 267 ff. 276. 283
Ganiulberti 171 ; Gaugerici 126
Gauzlini Flor. 468; Gebehard:
ep. Const. 446; Gerardi Bron
434. 435. 479; Gerardi Tüll
421; Geretrudis 126. 145.374
Gerfridi 295; Germani Grandi
vall. 134; Germani Paris. 125
Glodesindis 414; Goaris 310
Goerici 417; Gregorii I. 147
183. 336. 338; Greg. Traiect
293; Greg. Turonensis 105.
— Hadriani 1. papae 337; Hadri
ani III. papae (Nonant.) 482
Hariolfi 281.282; Harlindis319
Hathumodae 307; Heinrici II
438; Heinrici IV. 5. 8; Heldrad:
345; Hemmoni.s 379; Herasmi
290: Heriberti398. 405; Hludo-
wici Pii 229—231: Hostiani
114; Hrodberti 137. 291; Hu-
bert! 318: HugonisGemmet. 194.
— Idae .303. 380; loh. Gorz. 334.
413—414; loh.Parm. 483; loh.
Reomensis 133.
— Lamberti 316. 318; Lamberti
metr. 336. 423; Lamberti auct.
Stephano 423; Lebuini 149.296.
336. 420; Leobae 260; Leode-
garii 126; Leonis papae 111. 163.
337; Liudgeri 293. 295. 336;
Liutbirgis 304; Livini 147.433:
Lullil53; Ludmilae488; Lupi-
cini 114.
— Macharii 432. 433; Magnerici
311; Magni 282—283; Maho-
meti 386; Mahthildis 207.374.
375; Mainulfi304; Maioli 473;
Martini 69. 307; Mauri 331:
Maximiliani 56 ; Maximini 258.
310; Meginrati 285; Meingoldi
193. '621.
— Nicolai I. papae 338; Nili 488;
Notkeri Leod. 425.
— Odiliae 127; Odilonis 474; Odo-
nisCIun.473; OduIfi437; Oth-
mari 267. 268.
— Paschasii Radb.301 ; Pauli Virod.
357; Philippi 149; Pirminii 154.
418; Praeiecti 127.
512
Reffister.
Vita Quinque fratr. Pol. 389; Quin-
tini 423; Quirini 56.
— Rabani 260; Radbodi 321. 420:
Radegundis 102. 125. 374;
Ragnoberti 330; Reginswindis
290;Reinilae319; Reinoldi 193
404; Remacli 317. 428; Remedii
s. Remigii 102. 107. 326. 458
Reverentii 330; Richarii XII
190. 193; Rictrudis 336. 424
Rigoberti 214; Rimberti 299
Romarici 134; Romualdi 489;
Ruperti 136—137. 291.
— Sabae 488; Salabergae 130;
Servatii 128; Severi Agath. 114;
Severi Rav. 265; Severini 50
bis 56. 455: Simeonis Acbivi
284; Soli 258. 282. Stephani IT.
papae 337; Stepbani V. papae
337; Stiu-mi 252. 254; Sualonis
258. 281: Suitberti 149.
— Theodavdi 318; Theoderici vgl.
Deoderici; Thiadildis 296; Tru-
donis 215. 317; Trudperti 135.
137.
— üdalrici 392. 448: Ursmari 424.
— Vedasti 107. 125. 132. 190.
— Walae 302: Waldburgis 290;
Waltgeri 303 ; Wandregisili 118.
241. 431; Wenceslai 375. 487.
488; Wiboradae443: Wigberti
258. 264; Wilfridi 148; Wille-
baldi 153; Willehadi 296; Wil-
lelmi Gellon. 231; Willibrordi
148. 190. 336: Winnoci 430;
"Wolfkangi 450; Wynnebaldi
153.
Vitalis 466.
Vitruv 173. 201. 383.
Vivian, Graf 187. 330.
'Völkertafel, fränkische 122.
Volcold, B. V. Meissen 353.
Volkmar vgl. Folcmar.
Vulfila 73.
Vulgarius 339.
Yussinus 258.
w.
Wachler 37.
Wadilcoz, Reichenauer Mönch 275.
Wagner, Petrus Gallus 96.
Waitz 25. 26. 33. 37. 38. 39.
Wala 300. 303.
Walahfrid 199. 200. 202. 206.
226. 227. 229. 239. 258. 267.
269. 275. 276. 277—281. 324.
325.
Walbeck 391.
Walcaud vgl. Waltcaud.
Waldburga 154.
Waidebert, Abt v. Luxeuil 132.
Waldo (884—906) B. v; Freising 274.
275. 288.
— Abt V. Schwarzach u. St. Maximin
310.
— Abt V. St. Gallen , Reichenau,
St. Denis 171. 268. 275. 292.
Waldram, Mönch in St. Gallen 272.
274.
Walram v. Naumburg 6.
Waltbraht, Enkel Widukinds 261.
Waltcaud (810-831) B. v. Lüttich
312. 318.
— in Trier 312.
Walthavius 193. 371. 442. 446.
Walther, Abt. v. St. Bertin 427.
— V. Speier 399.
— Ph. A. V. 34.
Wandalbert v. Prüm 47. 67. 310. 316.
Wandregisil 118.
Wangia- Worms 398.
Wanizo, Schreiber v. St. Gero 403.
Warin. Abt v. Corvey 301. 803.
Warmann (1026—1034) B. v. Kon-
stanz 418-
Warnerius v. St. Ouen 471.
Wattenbach 25. 26. 32. 37. 39.
Watterich 37.
Wechel 8.
Weihenstephan 287.
Weiland, L. 25. 27. 31.
Weissenburg 243. 266. 876. 446.
Wenilo, Erzb. v. Sens 325.
Werden 166. 221. 295-296. 303.
305. 380.
Werdolf, Abt v. Lutra 447.
Werinbert, Mönch v. St. Gallen 258.
267. 272.
Werinfrid, Abt v. Stablo 428.
Werinhar (1001—1029) B. v. Strass-
burg 855. 447.
Werrainghoff 26.
Wessobrunn 453.
Westgoten 93 ff.
Wetti 134. 269. 276. 278.
Wiebert, Gründer v. Gembloux 428.
— Abt V. Fritzlar 154. 252. 264.
— Gefährte Brunos 390.
Wicfrid (959—984), B. v.Verdun 420.
Wicking, Mönch v. Prüm 407.
Wicterb, Agilolfinger 172.
Widerich, Abt v. St. Evre 421.
lic'gister.
il3
Wido, Abt V. St. Evre 423.
— V. Osnabrück 337.
Widukindv.Corvey8.261.3G4-3GS.
371. 372. 378. 392.
Wigand, Magdeb. Centuriator 8.
— Plarrer 303.
Wigbert, vgl. VVicbert.
Wigo V. Fouchtwaiigen 448.
Wiker, Abt v. St. Maxiinin 40<i.
WiUleshausen 2()1.
Wilfrid (t 709) Erzb. v. York 147.
148.
Wilhelm (954—968) Erzb. v. Mainz
286. 366. 870. 395. 410. 411. 440.
— V. Malmesbury 335. 437. 462.
— V. Toulouse 231.
Will, Cornelius 35.
Willegis (975—1011) Erzb. v. Mainz
353. 372. 382. 395. 396. 398.
Willehad (787—789) B. v. Bremen
296.
Willer, Abt v. St. Maximin 406.
Willibald (745—781) B. v. Eichstätt
153. 397.
— V. St. Victor 151.
Willibert (870—889) Erzb. v. Köln
816.
Willibrord, B. v. Utrecht 148. 186.
294.
Willico, Domprobst v. Prag 388. 489.
Wihnanns 25.
Winidhar, Abt v. P]llwangen 451.
— Schreiber in St. Gallen 173.
Winkelmann 35.
Winnoxbergen (Bergues St.-Winoc)
430.
Winrich, Abt v. St. Maximin 406.
Wipert vgl. Wiebert.
Witgar (887) B. v. Augsburg 244.
Witger, Flandr. Priester 436.
Witigowo, Abt V. Reichenaa 445.
Wizo 176. 187. 188.
Wolbodo, B. V. Lüttich 420.
Wollgang (972—994) B. v. Regensb.
352. 354. 355. 449—452.
Wolf hard v. Herrieden 68. 154. 290.
Worms 397. 398.
Würzburg 139. 150. 243. 289. 290.
400. 450. 453; Necrol. 203.
Wynnebald 153.
Xanten 315.
York 186. 189.
X.
Y.
Z.
Zacharias, Papst 151. 468.
— Erzkaplan 455.
Zeumer 26. 27. 31.
Zürich 271.
Zurzach 444.
Zwentibold 193.
Watteubacb, Geschichtsquellen. I. 7. AuH.
33
Druck der
Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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76 d